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Fangschuss: Vijay Kumars erster Fall
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Fangschuss: Vijay Kumars erster Fall
eBook253 Seiten3 Stunden

Fangschuss: Vijay Kumars erster Fall

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Über dieses E-Book

Vijay Kumar ist dreißig Jahre alt, indischer Abstammung, frischgebackener Privatdetektiv - und schon desillusioniert: Seine erste Auftraggeberin ist eine anstrengende Frau, die ihre Katze vermisst. Indischer Whisky und eine gehörige Portion Selbstironie helfen ihm, aufkommende Zweifel an seiner Berufswahl zu verdrängen.

Doch auch sein zweiter Auftrag ist weder lukrativ noch Glanz und Ruhm versprechend: Die junge Ness macht sich Sorgen um ihren Freund, den Drogendealer Philipp. Lustlos hört sich Vijay in der Szene um und merkt erst, als er über eine Leiche stolpert, dass er längst selbst in Gefahr schwebt. Eine Jagd beginnt durch das noble Zürcher Bankenviertel bis in die Einsamkeit einer Berghütte.

Ein indischer Schweizer oder ein Schweizer Inder? Spannend und amüsant spielt Sunil Mann mit Klischees und wurde für sein Krimidebüt prompt mit dem Zürcher Krimipreis belohnt.
SpracheDeutsch
HerausgeberGrafit Verlag
Erscheinungsdatum26. Sept. 2011
ISBN9783894258047

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    Buchvorschau

    Fangschuss - Sunil Mann

    Copyright

    © 2010 by GRAFIT Verlag GmbH

    Chemnitzer Str. 31, 44139 Dortmund

    Internet: http://www.grafit.de

    E-Mail: info@grafit.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    eISBN 978-3-89425-804-7

    Inhalt

    Der Autor

    Prolog

    Montag

    Dienstag

    Mittwoch

    Donnerstag

    Freitag

    Samstag

    Sonntag

    Glossar

    Der Autor

    Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren. Nach der Matur schrieb er sich in Zürich für Psychologie und Germanistik ein. Beide Studien brach er erfolgreich ab. Zurzeit ist er als Flugbegleiter tätig, ein Job, der ihm genügend Zeit zum Schreiben lässt. Für seine Kurzgeschichten hat er bereits zahlreiche Preise gewonnen. Fangschuss ist sein Romandebüt.

    Mehr Informationen unter www.sunilmann.ch

    Prolog

    »Es war eine verdammte Falle.«

    Er hielt den Kopf gesenkt und sprach mit gepresster Stimme, leise und schnell. Die Finger seiner linken Hand spielten nervös am Henkel der Kaffeetasse herum, während er mit der rechten immer noch das daumennagelgroße Glas umklammerte, in dem der Kirsch gewesen war. Er hatte ihn rasch hinuntergestürzt und der Bedienung mit einer weltmännisch gemeinten Handbewegung zu verstehen gegeben, dass das keinesfalls reichte. Nach dem dritten hatte sie die Flasche wortlos auf dem Tisch stehen lassen, doch jetzt bediente er sich nicht mehr davon. Sein zuvor leichenblasses Gesicht hatte durch den Schnaps etwas Farbe bekommen, ein an Cocktailkirschen erinnerndes Rot überzog nun fleckig seine jungenhaften Züge, die er seinem Alter entsprechend mit einer betont männlichen Mimik zu überspielen versuchte. Er zuckte mit den Mundwinkeln, schob das Kinn vor und zog den Rotz hoch, bis ich ihm ungeduldig zu verstehen gab, dass wir unter uns seien und er auf das Grimassenschneiden bis auf Weiteres verzichten dürfe. Worauf er unsicher grinste und sich etwas zurücklehnte. Die Baseballmütze, die er verkehrt herum trug, das darunter hervorquellende, leuchtend orange gefärbte Haar und die willkürlich sprießenden Bartstoppeln ließen ihn im gedämpften Licht des Lokals jünger erscheinen, als er war. Ness hatte gesagt, dass er vierundzwanzig sei, doch im Moment wirkte er wie achtzehn. Wie ein Achtzehnjähriger, der gerade Todesangst ausgestanden hatte.

    Der dunkle Holzboden knarrte verhalten, als die Bedienung, eine robuste, aber hübsche Frau mit breiten Wangenknochen und slawischem Akzent, erneut an den Tisch trat und sich nach weiteren Wünschen erkundigte. Er winkte ab und brachte dabei sogar ein angedeutetes Lächeln zustande. Ich fragte mich, ob sie seine scharfen Körperausdünstungen auch wahrnahm. Ungelüftete Fußballergarderobe trifft auf Schlachthaus. Er hatte zwar nur eine Woche in einer abgelegenen Alphütte verbracht, doch mir verschlug es noch immer den Atem, wenn er eine hastige Bewegung machte und ein Luftzug aus seiner Richtung herüberwehte. Aber wahrscheinlich war die Kellnerin stark erkältet oder ihr Mann roch ähnlich. Sie ließ sich jedenfalls nichts anmerken, lächelte nur und verzog sich wieder hinter den Tresen.

    Zu Beginn hatte ich befürchtet, gar nichts aus ihm herauszubekommen. Nervös zappelnd wie ein überzuckertes Schulkind war er auf dem Stuhl gesessen und hatte herumgedruckst. Doch dann hatte er plötzlich tief Luft geholt und erzählt.

    »Wir gingen hinein und legten unsere Ware auf den Tisch, danach wurden wir mit Getränken und Sandwiches versorgt. Bis dahin war alles cool, alles voll easy. Ich wartete auf die Kohle und wollte danach so rasch wie möglich abhauen.«

    Ich beobachtete ihn, während er sich auf seine Geschichte konzentrierte und das Licht der Lampe dunkle Schatten in sein Gesicht kerbte.

    »Doch plötzlich veränderte sich die Stimmung, und ich dachte noch, aber hallo, was für eine abgefahrene Sache ist denn das. Die Spannung stieg spürbar, es war, als rückten sie näher, und sie hatten alle diesen merkwürdigen Blick drauf. Drohend, gefährlich und irgendwie auch gierig. Lüstern. War echt krass, Mann.«

    Wir waren mittlerweile beinahe allein im Lokal. Die Stunde derjenigen, die vor dem Abendessen noch schnell auf ein Glas oder zwei reingeschaut hatten, um sich Mut für den ehelichen Samstagabend anzutrinken, war vorbei, die Wanderer und Wochenendausflügler hatten sich längst auf den Weg ins Tal begeben. Die Kellnerin räumte Tische ab, wischte mit einem Lappen nach und trug dann das volle Tablett zur Anrichte, wo sie alles in eine Spülmaschine füllte. Die rot-weiß karierten Tischtücher und die dazu passenden Vorhänge gaukelten genau jene Heimeligkeit der heilen Schweiz vor, die bei Touristen so beliebt war, das dunkle, beinahe schwarze Holz, aus dem Wände, Decke und sogar die Bodendielen gefertig waren, ließ den Raum kleiner erscheinen, als er war. Kunstvoll geschmiedete Hängelampen aus Gusseisen spendeten ein warmes, sanftes Licht.

    Der Junge räusperte sich, blickte kurz über die Schulter zur Theke und schien zu zögern. Seine Finger spielten am Tischreiter herum. Coupe Nesselrode, 8.50 Franken, stand auf der eingeschobenen Karte, dazu ein Foto: Vanilleeis im Glas, darüber Kastanienpüree, eine Sahnehaube und zuoberst die obligatorische rot glänzende Kirsche. Ein Klassiker im Herbst. Seine Finger bogen die Karte unsanft um und rissen sie langsam in Stücke.

    »Und dann ließ der dicke Chinese plötzlich sein Glas fallen. Es war, als wäre der Bann gebrochen. Alle zuckten zusammen, und ich sprang, ohne zu überlegen, zur Tür, riss sie auf und rannte, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin.«

    Montag

    Sechs Tage zuvor beobachtete ich, wie sich eine Kakerlake vergeblich anstrengte, mein brandneues Handy zu besteigen. Das Telefon war mir von einem äußerst freundlichen Verkäufer mit gelgetränkter Igelfrisur aufgeschwatzt worden und verfügte über unvorstellbar viele Funktionen, die dem durchschnittlichen Benutzer das Gefühl geben sollten, dass es sich hierbei mindestens um die Fernsteuerung eines Raumschiffes handelte. Die Kakerlake versuchte hartnäckig, mit ihren dürren Beinchen Halt auf der glatten Oberfläche zu finden, bis ich sie zwischen Daumen und Zeigefinger klemmte, mich kurz an ihrem verzweifelten Gezappel ergötzte und daran dachte, dass sie in gewissen Ländern als Delikatesse gehandelt wurde, den darauf folgenden Gedanken trotz meines knurrenden Magens im Keim erstickte und sie aus dem Fenster hinter mir warf, das der ungewohnten Hitze wegen weit offen stand. Ein Jahrhundertherbst, unkten die Meteorologen im Fernsehen, aber da das Wort ›Jahrhundert‹ in den letzten Jahren im Zusammenhang mit ungewöhnlichem Wetterverhalten beinahe inflationär benutzt wurde, war man allgemein wenig beeindruckt und genoss die warmen Septembertage, ohne sich allzu viele Gedanken dazu zu machen. Jedenfalls ich. Ich hatte ganz andere Probleme.

    Vorsichtig hob ich das Telefon hoch und drückte die grüne Taste. Der Signalton erklang auf der Stelle, das Telefon schien tadellos zu funktionieren. Drei Tage waren jetzt vergangen, und es hatte keinen einzigen eingehenden Anruf vermeldet. Diejenigen meiner Mutter ausgenommen. Ich seufzte, lehnte mich in meinem im Brockenhaus erstandenen Bürosessel zurück und starrte an die Decke. Sie war übersät von bräunlichen Wasserflecken und erinnerte an ein T-Shirt aus dem Anfängerkurs für Batik. Seit sechs Jahren wohnte ich jetzt schon in dieser Wohnung an der Dienerstrasse in Zürichs Kreis 4 und hatte mich längst an ihre Mängel, die damals in der Anzeige mit charmanter Altbau im Originalzustand umschrieben worden waren, gewöhnt. Dafür war die Miete akzeptabel und meine Nachbarschaft störte sich nicht daran, wenn ich nachts lautstark Musik laufen ließ. Vielleicht auch deshalb, weil sie sie in dem ganzen Lärm, den sie selbst veranstaltete, gar nicht hörte.

    Nachdem ich endlich im Besitz meiner Lizenz war, hatte ich mein Wohnzimmer stilsicher in eine Art Büro umgewandelt. Das heißt, das abgewetzte Sofa stand jetzt direkt neben der Wohnungstür, falls ein unvorhergesehener Andrang meine Klienten zwingen würde zu warten. Davor ein niedriger Tisch mit ein paar zerfledderten Illustrierten. Den Fernseher hatte ich ins Schlafzimmer verbannt, das sich im zweiten Raum meiner Zweizimmerwohnung befand, er schuf Platz für einen großen, dunklen Schreibtisch, denn ein großer, dunkler Schreibtisch ist zusammen mit schräg gestellten Jalousien das A und O jedes Detektivbüros, das weiß jeder, der ab und zu fernsieht. Dazu gab es einen Gummibaum und irgendeine Pflanze mit elliptischen Blättern, die gelb umrandet waren. Ich fand sie hübsch und sie war billig gewesen − was absolut nichts mit meinem Frauengeschmack zu tun hatte.

    Direkt gegenüber dem Sofa stand eine indische Truhe, dunkles Tropenholz mit verschnörkelten Schnitzereien, Kolonialkitsch, aber ich konnte mir vorstellen, dass gewisse Leute darauf abfuhren. Ein paar Halter für Räucherstäbchen vervollständigten zusammen mit einer handgroßen, rosafarbenen Ganesha-Statue, dem hinduistischen Gott mit dem hässlichen Elefantenkopf, die Ethnoecke. Ich wollte es nicht übertreiben, aber schließlich muss man sich irgendwie von der Konkurrenz abheben.

    Am meisten mit Stolz erfüllte mich aber mein Namensschild, das unten bei der Klingel neben dem Hauseingang hing und dann noch einmal im dritten Stock an der Wohnungstür. V. J. Kumar, Privatermittlungen, stand da in schwarzen Lettern auf einer brandneuen, blank polierten Messingplakette eingraviert, die sich wie ein Goldfisch im Haifischbecken von den anderen Namensschildern und den dazugehörigen Klingelknöpfen abhob, die geschwärzt von den Abgasen des Durchgangsverkehrs und dem häufigen Gebrauch durch denselben beinahe unleserlich geworden waren. Meinen etwas umständlichen, aber typisch indischen Vornamen Vijay hatte ich zum international verständlichen Kürzel V. J. zusammengeschrumpft, etwas, das enorm wichtig war in einer von exotischen Namen dominierten Nachbarschaft, die hauptsächlich aus Prostituierten und Dealern bestand. Meiner potenziellen Kundschaft.

    »Hai rabba!«, hatte meine Mutter händeringend gejammert. »Mein Sohn ist nicht nur unnütz, sondern offensichtlich auch noch komplett verrückt geworden. Pagal ho gaya. Hätte ich doch an seiner Stelle eine sanftmütige und folgsame Tochter geboren! Ohne Widerrede hätte die ihre alte Mutter im Haushalt und im Geschäft unterstützt und nach ihrem Schulabschluss hätte man sie dank der soliden Schweizer Ausbildung und ihrer Jungfräulichkeit gewinnbringend mit einem jungen Mann aus Mumbais besseren Kreisen verheiraten können. Das wäre dann der ganzen Familie zugutegekommen. Aber der! Da zahlt sich keine einzige investierte Rupie aus!«

    Sie fixierte mich mit diesem Blick, den sie indischen Frauen schon im Kindesalter beibringen und den jede von ihnen perfekt beherrscht: eine Mischung aus Vorwurf, unbeschreiblichem Seelenleid und einer üppigen Portion Melodramatik. Ich kriegte auf der Stelle ein schlechtes Gewissen, dieser Blick verfehlte seine Wirkung nie.

    Vijay bedeutete ›der Sieger‹, und ein Sieger wollte ich auch sein. Ich war gerade dreißig geworden, hatte ein wenig studiert, war ein wenig herumgereist und hatte meinen Vater und meine Mutter, die vor mehr als drei Jahrzehnten in die Schweiz gekommen waren und sich mühsam eine eigene Existenz aufgebaut hatten, damit beinahe zur Verzweiflung getrieben. Doch jetzt hatte ich nach dem erfolgreich absolvierten Fernkurs immerhin eine abgeschlossene Ausbildung als Privatdetektiv vorzuweisen und war selbstständig.

    Zumindest momentan.

    Noch war ich nicht ganz so erfolgreich, wie mein Businessplan es vorsah, doch wenn ich auf mein Bankkonto schielte, würde ich noch mindestens zwei Wochen auf eigenen Beinen stehen können, wenn ich eine Mahlzeit am Tag ausließ und eine andere in flüssiger Form zu mir nahm. Und ich war bereit, noch viel mehr tun, damit das Geld länger reichte. Denn das Letzte, was ich wollte, war, zurück in den Laden meiner Mutter zu gehen, um dort hinter dem Tresen zu stehen und im Dunst der ständig brodelnden Pfannen ihre selbst gebackenen Samosas zu verkaufen.

    Ich schlug die Zeitung auf, die ich vor mir auf dem Tisch liegen hatte. Es war eine dieser Gratiszeitungen, wie sie einem am Bahnhof von bereits frühmorgens beängstigend gut gelaunten Studenten aufgedrängt wurden. Auf die Titelseite hatte es ein junger Mann geschafft, besser gesagt seine übel zugerichtete Leiche, die man in der Limmat gefunden hatte. Noch stand die Polizei vor einem Rätsel, weder Identität noch Todesursache waren geklärt. Das Foto über dem kurzen Bericht zeigte eine wenig geglückte Aufnahme eines Mitarbeiters des Elektrizitätswerks Letten, der mit betrübter Miene und ausgestrecktem Arm auf die Rechenanlage zeigte, wo die Leiche zusammen mit benutzten Kondomen und leeren PET-Flaschen angeschwemmt worden war. Rasch blätterte ich weiter und betrachtete im Anzeigenteil nicht ohne Stolz das Inserat. V. J. Kumar, Privatermittlungen, stand da, darunter meine Telefonnummer, meine E-Mail- und Internetadresse.

    Seitdem ich meine Homepage vor drei Tagen online gestellt hatte, zeigte der Zähler schon vier Besucher an. Zweimal war ich selbst es gewesen, um zu überprüfen, wie die von meinem Kumpel José gestaltete Seite wirkte. Er arbeitete als Journalist bei eben diesem Gratisblatt und dank ihm wurde die Anzeige auch nicht ganz so teuer. Dafür hatte ich versprochen, mit ihm einen Abend in der Centralbar beim Helvetiaplatz zu verbringen, wo der gesamte Abend auf mich gehen sollte. Was mich bei seiner Trinkfestigkeit letztendlich wohl mehr kosten würde als eine reguläre Anzeige.

    Einmal hatte sich meine Mutter die Seite angesehen, als tüchtige und erfolgreiche Ladeninhaberin kannte sie sich gut mit Computern aus. Lediglich mit dem Internet hatte sie manchmal ihre liebe Mühe. Schon mehr als einmal musste ich ihren Bildschirm von Myriaden wild blinkender Sites mit unzweideutigen Inhalten befreien.

    »Keine Ahnung«, war die übliche, kurz angebundene Antwort auf die Frage, wie sie denn dahin gekommen sei, während sie angestrengt und mit geröteten Wangen in einem Topf rührte oder tief gebückt ein Gestell auffüllte, um meinem spöttischen Blick auszuweichen.

    »Das ist alles, Beta, mein Sohn?«, fragte sie zweifelnd, als sie sich meine spartanisch, aber meines Erachtens stilvoll gehaltene Homepage anschaute. Ob sich ihre Skepsis auf die Gestaltung der Seite bezog oder meinen Geisteszustand, war nicht genau zu eruieren.

    »Da sollten mehr Farben sein, Muster und Ornamente, die Leute mögen es fröhlich«, bemängelte sie. »So was erwarten die Schweizer von uns Indern! Sonst wirst du nie erfolgreich!«

    »Ma, ich bin kein Teppichhändler auf dem Basar in Agra, sondern ein Privatdetektiv!«, erwiderte ich entsetzt.

    Sie zuckte mit den Schultern. »Acha. Gut. Wenn du meinst.«

    Den vierten Besucher meiner Homepage kannte ich nicht, folgerichtig war er der erste potenzielle Kunde. Es bestand Hoffnung.

    Flüchtig las ich die Anzeigenseite. Ein Inserat von Madame Bonheur, gleich unter meinem, versprach Glück in Liebe und Beruf, Madame pendelte, legte Karten und las Kaffeesatz, auch am Telefon, darüber drohte Domina Paulina härteste Bestrafung für den diskreten Geschäftsmann, ab siebzehn Uhr, an. Ich befand mich wieder mal in bester Gesellschaft.

    Ich musste kurz eingenickt sein, denn als ich erwachte, erfüllte goldenes Nachmittagslicht den Raum. Ganesha lächelte selig und irgendwie ein wenig beduselt vor sich hin, Staub tanzte in der Luft, und es roch nach gebratenem Lammfleisch und Zwiebeln, was auf das immer noch offen stehende Fenster und die tausendundeinen Kebabstände der nahe gelegenen Langstrasse zurückzuführen war. Irgendwoher erklang ein summendes Geräusch, und der Tisch vibrierte leicht. Es dauerte dennoch zwei oder drei weitere Sekunden, bis ich begriff. Mein Telefon klingelte! Ich sprang auf, und während ich es zum Ohr führte, dachte ich einmal mehr daran, den Klingelton zu ändern, dieses halbseidene Gesumme war ziemlich uncool für einen richtigen Detektiv.

    »Herr Kummer?«

    Ich bejahte, ohne zu korrigieren.

    »Ich brauche Sie dringend!«

    »Natürlich«, erwiderte ich und grübelte darüber nach, wer aus meinem Bekanntenkreis sich da einen Scherz mit mir erlaubte. Es war eine hohe, weinerliche Stimme, die einer etwa fünfundvierzigjährigen Frau gehörte, so schätzte ich. Ich kannte keine Frauen in dem Alter, jedenfalls nicht näher und schon gar nicht solche, die akzentfrei Deutsch sprachen. »Was kann ich für Sie tun?«

    »Das kann ich Ihnen nicht am Telefon mitteilen. Wären Sie so nett und würden kurz zu mir rausfahren?«

    Ich brummte abwägend, raschelte mit der Zeitung und hoffte, dass das wenigstens ein bisschen nach übervoller Agenda klang. Dann war ich so nett. Sie gab mir die Adresse. Beste Wohnlage auf der linken Seeseite, noch in der Stadt. Ein guter Anfang, dachte ich.

    Ich hatte ja nicht den Hauch einer Ahnung.

    Auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr ich im Schritttempo durchs Quartier. Einmal mehr stellte ich fest, wie provinziell und reizlos Wollishofen war mit seiner konzeptfreien Mischung aus abgehalfterten Mietblöcken aus den Sechzigerjahren, den dörflich wirkenden Wohnhäusern mit Kleingewerbe im Erdgeschoss und den unzähligen gesichtslosen Geschäftsgebäuden, die sich entlang der Seestrasse dicht aneinanderdrängten − und wie hübsch und gepflegt oberhalb der Tramlinie, wo der Hügelzug sanft anstieg und schmale Einbahnsträßchen zu umzäunten und schmuck bepflanzten Grundstücken führten, wo meist im Hintergrund von Bäumen gut getarnt eine Villa lauerte. Ich parkierte meinen hellblauen Volkswagen, einen klapprigen Käfer, den ich von meinen Eltern zum zwanzigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, vorschriftswidrig auf dem Gehsteig, denn ein regulärer Parkplatz war nicht auszumachen.

    Sofort fiel mir die Stille auf, die hier herrschte. Weit unten glitzerte unverdrossen der Zürichsee und spielte mit seinen Schiffchen und den von Sonnenhungrigen dicht besiedelten Ufern weiterhin Sommer. Irgendwoher aus der Ferne drang verhalten das einlullende Rauschen der Straße. Ansonsten war nur das zögernde Tschilpen einer Amsel zu hören. Es schien, als hätten die Bewohner des Viertels beim Bingo gestern Abend allesamt eine Kreuzfahrt gewonnen

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