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Blues für sanfte Halunken und alte Huren: Ein Fall für den Alligator
Blues für sanfte Halunken und alte Huren: Ein Fall für den Alligator
Blues für sanfte Halunken und alte Huren: Ein Fall für den Alligator
eBook263 Seiten3 Stunden

Blues für sanfte Halunken und alte Huren: Ein Fall für den Alligator

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Über dieses E-Book

Ein Noir der Spitzenklasse zeigt den schmalen Grat zwischen Verbrechen und Gesetz.
Marco Buratti, der Alligator, und seine beiden Kumpane Max "das Gehirn" und Rossini, genannt der alte Gauner, jagen ihren ewigen Todfeind Giorgio Pellegrini. Doch dieser kollaboriert längst mit der Polizei als V-Mann. Da ermorden Killer dessen Frau und dessen Geliebte. Die machthungrige Dottoressa Marino vom Innenministerium spinnt ein unentwirrbares Netz von Intrigen und nötigt das skurrile Trio zu verdeckten Ermittlungen in der Mordsache. Erst allmählich erkennen die drei die Falle, auf die sie zusteuern – und gehen aufs Ganze.
SpracheDeutsch
HerausgeberFolio Verlag
Erscheinungsdatum19. Feb. 2019
ISBN9783990370957
Blues für sanfte Halunken und alte Huren: Ein Fall für den Alligator

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    Buchvorschau

    Blues für sanfte Halunken und alte Huren - Massimo Carlotto

    Eins

    Der Informant wirkte wie ein ehemaliger Polizist. Seine Uniform hatte wahrscheinlich schon seit Jahren eingemottet im Schrank gehangen, aber die Bügelfalte in den Hosenbeinen und der akkurate Scheitel, der seine kurzen blonden Haare teilte, ließen vermuten, dass er es in der Hierarchie nicht weit gebracht hatte.

    Meine Beobachtung beruhte allein auf meinem Instinkt und meiner Erfahrung, mehr Anhaltspunkte hatte ich nicht. Doch ich war mir sicher, zumindest sicher genug. Auf der rechten Backe hatte der Mann einen auffälligen dunklen Fleck, der etwa so groß wie ein Fünfcentstück war. Als ich von Geld sprach, hellte sich sein Gesicht auf. Das Strahlen in seinem Blick verriet, dass er auf ein Ende des sparsamen Lebens hoffte.

    Er heiße Hermann, sagte er und fuhr sich mit dem linken Zeigefinger über die Lippen, als wollte er sich vergewissern, dass sie sauber waren.

    „Sind Sie sich wirklich sicher?", fragte ich nachdrücklich und zeigte ihm noch einmal die Nahaufnahme des Mannes, den wir suchten.

    Er nickte entschieden, und da ich überzeugt war, dass er die Wahrheit sagte, reichte ich ihm den Gegenwert von eintausend Euro in Schweizer Franken. Er fragte nicht, warum wir so misstrauisch nachhakten, die Antwort hätte bei ihm womöglich Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns geweckt. Wenn sich das Gewissen zu Wort meldete, musste man vorsichtig sein.

    Nicht zuletzt deshalb hatte ich es vermieden, ihm die Wahrheit zu sagen. Er glaubte, dass wir nach einem Mann fahndeten, den ein verstorbener Onkel, der nach Brasilien ausgewandert war, zum Alleinerben eingesetzt und dem er ein Millionenvermögen vermacht hatte.

    Zunächst hatten wir in den einschlägigen Lokalen in und rund um Bern diskret die Nachricht gestreut, dass wir nach jemandem suchten, und ein Foto aus einer Hochglanzzeitschrift für Gourmets in Umlauf gebracht. Es zeigte einen gut aussehenden, faszinierenden Typ von Mitte vierzig mit einem intelligenten und selbstsicheren Blick – einen Mann, den wir für immer von dieser Erde tilgen wollten.

    Schließlich war die Nachricht an die Ohren des guten Hermann gedrungen, der uns, wie es aussah, die richtige Adresse liefern konnte.

    Das Lokal, in dem wir uns trafen, war alt, die Besitzerin ebenfalls. Nach ihrem Tod würde es das Etablissement wohl nicht mehr geben, denn die Gäste waren auch nicht viel jünger. Wir mochten den Schuppen, weil er irgendwie aus der Zeit gefallen war, die Gläser schmeckten leicht nach Spülmittel, und jeden Abend, gute drei Stunden lang, spielten zwei Iren Gitarre und sangen dazu alte, melancholische Lieder. Folk, ein bisschen Jazz, ein paar Bluesnummern.

    Mairead hatte eine Stimme, die an Bonnie Raitt erinnerte. Bei Killian, ihrem Mann, hörte man zwischen den Zeilen die mühsam unterdrückte Wut eines nationalistischen Iren. Aber vor allem spürte man, dass sie sich in Liebe verbunden waren. Nach all den Jahren sahen sie sich immer noch tief in die Augen, strahlten einander an und küssten sich. Wir beneideten sie, denn das fehlte in unserem Leben. Dabei waren sie nicht mehr jung, ihre Gesichter zeugten vom jahrelangen Tingeln durch rauchige Kneipen, doch sie waren authentisch. Voller Bewunderung und gerührt prosteten wir ihnen zu: mit Calvados, Grappa, Wodka. Auch wir hatten nach einer solchen Liebe gesucht, sie manchmal gefunden und wieder verloren – doch unsere rebellischen Herzen waren noch nicht bereit, auf sie zu verzichten.

    Hermann, der Informant, der mit uns am Tisch saß, schob mir einen Zettel mit der Adresse zu. Offenbar hatte er eine alte Schreibmaschine benutzt, denn das S war schon ziemlich abgenutzt und kaum mehr lesbar. Unser Mann wohnte in der Nähe des Spitalacker-Stadions.

    „Was können Sie mir darüber hinaus sagen, Hermann?"

    „Es ist ein kleines Haus, er wohnt dort mit einer Frau", antwortete er in gebrochenem Englisch.

    Bei dieser Antwort schwanden unsere letzten Zweifel. „Wann haben Sie die beiden das letzte Mal gesehen?"

    „Ihn gestern, bei ihr ist es länger her."

    Ich streckte ihm die Hand hin. Hermann war verlegen und zögerte eine Weile, bis er sie ergriff. Dann ging er mit gesenktem Kopf davon und vermied es, sich noch einmal umzusehen. Kein Mensch hier würde sich an diesen unauffälligen Mann erinnern, nicht in diesem Königreich der Liebe, die das irische Paar zelebrierte.

    „Vielleicht ist es tatsächlich Giorgio Pellegrini", sagte ich, nachdem er weg war, und trank einen Schluck.

    Der alte Rossini zuckte die Schultern. „Möglich. Bringen wir es hinter uns."

    Max, den alle „das Gehirn nannten und der gerade etwas auf dem Tablet recherchierte, schaute zu uns herüber. „Die Zeit drängt, wir sind inzwischen seit mehr als einem Monat in Bern. Falls der Informant sich irrt, gehen wir zurück nach Italien, sonst haben die Bullen bald hundertprozentig eine Menge unangenehmer Fragen an uns.

    „Einverstanden. Ich nickte. „Morgen früh schauen wir dort vorbei.

    Als wir merkten, dass die Wirtin genug von uns hatte, zogen wir in eine ruhigere Kneipe in der Nähe des Bahnhofs um, wo sich elegante Escortladys zwischen zwei Kunden eine Pause gönnten. Sie tranken einen Cappuccino oder einen frisch gepressten Saft und brachten viel Zeit auf der Toilette zu, um den Geruch des letzten Kunden wegzuwaschen. Leider fehlte es uns an den entsprechenden Sprachkenntnissen, um uns mit ihnen näher zu befassen. Dafür schlossen wir Bekanntschaft mit zwei Spanierinnen um die dreißig und einem Transsexuellen aus Slowenien, die alle perfekt Italienisch sprachen. Die falsche Frau nannte sich Katharina und setzte sich sofort an unseren Tisch, hörte unseren Gesprächen zu oder erzählte von ihrer Zeit in Mailand, ihren Liebschaften, ihren Nachbarn. Momentan wartete sie auf den Anruf eines Typs, der im besten Hotel der Stadt abgestiegen war und sie gut bezahlen würde. Deshalb ließ sie es sich nicht nehmen, unsere Getränke zu bezahlen. Normalerweise nahmen wir solche Einladungen nicht an – in diesem Fall machten wir eine Ausnahme, um sie nicht zu beleidigen.

    Beniamino mochte sie, das sah man. Und sie mochte ihn, allerdings rein platonisch. So war ihr Leben: Sie ließ sich von Unbekannten vögeln und traf Männer, mit denen sie träumte. Mit einer zärtlichen Geste strich Katharina ihm über den schmalen Oberlippenbart, auf den der alte Gauner sehr stolz war, und ging dann hüftwackelnd davon.

    Ich hatte ein anonymes Vorstadthäuschen erwartet, eines, das man übersah, einen guten Ort, um sich zu verstecken. Stattdessen war das Gebäude in einer auffälligen Farbe gestrichen und wirkte recht elegant. Der kleine Garten war gepflegt, die Hecke millimetergenau geschnitten. Ein Weg aus weißen Steinen führte um das Haus herum, er war mit Blättern bedeckt, die der Eisregen von den Bäumen gerissen hatte. Wahrscheinlich kümmerte sich die Frau, die Hermann seit einigen Tagen nicht mehr gesehen hatte, normalerweise um solche Dinge. Giorgio Pellegrini gewiss nicht. Er war nicht der Typ, der einen Besen in die Hand nahm, und er würde zudem nicht das Risiko eingehen, sich in der Nachbarschaft offen zu zeigen.

    „Niemand zu Hause, meinte Beniamino und startete den Motor, „wir kommen noch mal her, wenn es dunkel ist. Vielleicht haben wir dann mehr Glück.

    „Oder er ist für ein paar Tage weggefahren", warf Max ein.

    „Möglicherweise ist er abgehauen und hat uns schon wieder verarscht", gab ich knapp zurück.

    Rossini legte den Gang ein. Wir fuhren einen Geländewagen mit Schweizer Kennzeichen, den uns unser Vermieter besorgt hatte, ein Italiener, der vor zwanzig Jahren Geschäfte mit Beniamino gemacht hatte. Die Wohnung kostete genauso viel wie die Suite in einem Grandhotel, aber sie war gemütlich und sicher. Niemand würde uns dort finden.

    Wir fuhren ins nahe gelegene Innenstadtviertel, und jeder ging seiner Wege. Ich trank ein Bier und machte mich dann auf zu einem Plattenladen. Der Besitzer war ein alter Rocker mit wachem Blick, sein Gesicht verriet eine lange Drogenkarriere, die sicher reich an Erfahrungen gewesen war.

    „Was suchst du?", fragte er auf Deutsch.

    „Bluessängerinnen. Im Moment höre ich nichts anderes", erklärte ich ihm auf Englisch.

    „Sieh dich dort um."

    Er zeigte auf ein Regal, doch ich schüttelte den Kopf. „Empfiehl mir was. Ich bin auf der Suche nach etwas Neuem und will keine Zeit damit verschwenden, mich durch Massen von CDs zu wühlen."

    Grinsend zog er eine CD heraus und reichte sie mir. „Die kennst du sicher nicht. Finnisch."

    Ich warf einen Blick auf das Cover. Ina Forsman. Rote Haare, tätowierte Arme. „Lass mich reinhören, wenn sie mir gefällt, nehme ich sie."

    „Wie du willst", meinte er schulterzuckend und drückte mir ein paar abgegriffene Kopfhörer in die Hand.

    Der Typ hatte recht. Ina hatte die passende Stimme für Stücke wie Bubbly Kisses. Seit einer ganzen Weile bereits liebten es meine Ohren und mein Herz, ausschließlich Frauenstimmen zu hören. Vielleicht war es auch bloß der Blues, der mein ungestilltes Verlangen nach Liebe erträglich machte. Wenn ich ihn hörte, dachte ich an meine Beziehungen aus der Vergangenheit und erinnerte mich daran, dass ich nicht immer so einsam gewesen war wie im Moment. Als ich nach einer Weile genervt die Kopfhörer abnahm, musterte mich der Rocker erstaunt.

    Ich winkte wortlos ab, um ihn zu beruhigen. Schließlich konnte ich ihm nicht erklären, dass man Herzensangelegenheiten beiseitelassen musste, wenn man dabei war, einen Mann zu ermorden. Und es hatte nichts damit zu tun, ob ich persönlich abdrückte oder nicht. Ich würde anwesend und mit Sicherheit erleichtert sein, Pellegrini vor meinen Augen sterben zu sehen.

    Das letzte Mal hatte ich dem schönen Giorgio Auge in Auge in einem Kellergewölbe gegenübergestanden, und Rossini hatte eine Pistole auf ihn gerichtet. Und dann schloss der Alte mit ihm einen Deal: sein Leben gegen etwas für uns sehr Wichtiges, obwohl ich ihn beschworen hatte, die Menschheit von diesem Arschloch zu befreien. Er blieb hartnäckig, wollte nicht auf mich hören, und so verschonten wir Pellegrini.

    Trotzdem war ich nach wie vor fest davon überzeugt, dass wir in diesem Moment unsere Prinzipien hätten aufgeben sollen. Was mich betraf, ich hätte damit leben können. Beniamino leider nicht.

    Ein paar Minuten vor sieben brach Rossini das schmiedeeiserne Tor auf. Wir hatten die Abendessenszeit gewählt, weil die Nachbarn jetzt in ihren gemütlichen warmen Häusern vor dem Fernseher saßen und abgelenkt waren. Geräusche von draußen würden sie kaum wahrnehmen.

    Die Tür war doppelt verschlossen, sprang jedoch mithilfe einer reichen Auswahl an Dietrichen widerstandslos auf. Unser Mann fürs Grobe ging zuerst rein, die Pistole im Anschlag. Im Inneren war es still und dunkel. Das Haus wirkte leer. Unser Mann war ausgeflogen. Ein Diplom in einem Bilderrahmen an der Wand im Flur sagte uns, dass hier eine gewisse Lotte Schlegel lebte. Als ich meine kleine Taschenlampe anknipste, fiel ihr Licht auf das Foto einer lächelnden jungen Frau mit kurzen schwarzen Haaren. Ich fragte mich, wie sie wohl in Pellegrinis Fänge geraten war.

    Max deutete auf ein anderes Bild, das mit einer Reißzwecke an der Tür des massiven antiken Eichenschranks im Schlafzimmer befestigt war. Giorgio Pellegrini lächelte uns von oben herab an, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war das Foto, das wir benutzt hatten, um ihm auf die Spur zu kommen. Irgendwie musste er eines davon in die Finger gekriegt und begriffen haben, dass wir ihn früher oder später finden würden, und war abgehauen.

    Die Schranktüren waren mit Paketband zugeklebt, und als Beniamino es mit seinem Taschenmesser durchschnitt, wehte uns ein ekliger, süßlicher Verwesungsgeruch entgegen, der uns verriet, dass eine Leiche im Schrank lag. Die Hausbesitzerin war nackt und mit diversen Schichten Plastikfolie umwickelt. Der Strumpf, mit dem man sie erdrosselt hatte, lag noch eng um ihren Hals, ihre Gesichtszüge waren in panischer Angst erstarrt. Wenngleich wir keine Experten waren, erkannten wir, dass sie seit einigen Tagen tot war.

    Max schauderte beim Anblick dieses Haufens Plastik, in dem sich der Körper einer der Frauen befand, die die Bekanntschaft mit dem schönen Giorgio teuer bezahlt hatten. Beniamino legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn in Richtung Wagen.

    „Und jetzt?", flüsterte ich enttäuscht, als wir alle wieder im Auto saßen.

    „Ich rufe die Bullen an, wir haben unsere Optionen ausgeschöpft", murmelte Rossini.

    Seufzend stimmte ich zu.

    Es war nie eine gute Idee, Ispettore Giulio Campagna anzurufen. Doch ich durfte mich nicht beschweren, immerhin war ich es, der Hilfe brauchte.

    Campagna war ein komischer Kauz, trug seltsame Hawaiihemden und hatte seine ganz eigenen Vorstellungen von der Polizei und der Justiz. Er war oft so unfreundlich und abweisend, dass selbst ein Heiliger die Geduld verloren hätte, aber als wir in Padua einen Schlussstrich unter Pellegrinis kriminelle Machenschaften gezogen hatten, war er bereit gewesen, uns zu decken.

    Damals waren wir in der festen Überzeugung in unseren Alltag zurückgekehrt, dass dieser Typ der Vergangenheit angehörte. Ich hatte mich einer Bluesband auf Tournee angeschlossen, war unterwegs, hörte gute Musik, trank und riss Frauen für eine Nacht auf. Das Leben laufen zu lassen war meine Methode, um wieder zu Atem zu kommen. Dann eines Nachmittags bekam ich einen Anruf. Pellegrini. Ich hätte auflegen sollen, aber ich tat es nicht. Zu groß war die Neugier, was er von mir wollte, vielleicht weil ich bereits drei oder vier Bier intus hatte.

    Pellegrini war immer für eine Überraschung gut, so auch dieses Mal: Er wollte uns anheuern, damit wir in den Mordfällen an seiner Frau und seiner Geliebten ermittelten. Martina und Gemma. Ich hatte sie beide gut gekannt. Nach der Flucht ihres Herrn und Meisters war das La Nena in ihren Besitz übergegangen – jenes Restaurant, das Giorgio gegründet und berühmt gemacht hatte.

    Zwar hatte ich nach einer lebhaften Diskussion den Auftrag abgelehnt, doch er hatte mich nur ausgelacht: „Ich kenne dich, Buratti, ich habe dich arbeiten sehen. Du bist von der Wahrheit besessen, du wirst dir diesen Fall nicht entgehen lassen."

    Sein Ton war zu selbstsicher. Man konnte sich auf diesen Typ nicht verlassen, selbst wenn er die Wahrheit sagte. Jede Aktion war bei ihm genau geplant. Nachdem ich mein Bier ausgetrunken hatte, war ich zu einem Internetpoint gegangen, um zu recherchieren. Laut polizeilichen Erkenntnissen waren die beiden Frauen gefoltert und erdrosselt und im Keller des Restaurants versteckt worden. Die Tageseinnahmen befanden sich noch in Gemmas Tasche, womit klar war, dass es sich nicht um einen Raubüberfall handelte. Vielmehr ging man davon aus, dass eigentlich Pellegrini das Ziel gewesen war und die beiden Frauen ums Leben kamen, weil sie seinen Aufenthaltsort nicht verraten hatten. Trotz grauenhafter Folter.

    Nach wie vor hatte ich keine Ahnung, aus welchem Grund Pellegrini mich wirklich angerufen hatte. Ich sollte es einige Stunden später auf unerwartete Weise herausfinden. In dem Augenblick nämlich, als mich der Inspektor und seine Leute nach rauer Polizistenart aus dem Schlaf rissen und ins Präsidium von Padua brachten.

    Dort lernte ich Dottoressa Angela Marino kennen. Eine schöne und faszinierende Frau, von der ich niemals erwartet hätte, dass sie so ausgebufft sein konnte. Das begriff ich erst, als sie mein Gespräch mit Pellegrini vom Vortag abspielte. Darin war kein einziger Satz, der gegen mich ausgelegt werden konnte, aber dieses Schwein hatte offenbar eine Vereinbarung mit der Dottoressa getroffen, um dem Knast zu entgehen. Nicht zum ersten Mal, denn er hatte schon früher Komplizen und Informationen an die Polizei verkauft. Inzwischen mischte er bei irgendwelchen geheimen Operationen mit. Wenn wir nicht in der gleichen Liga gespielt hätten, wären wir beide wegen irgendeiner Anklage längst im Knast gelandet und hätten als notorische Kriminelle eine lange Haftstrafe absitzen müssen. Bislang hatten wir uns gegenseitig gedeckt, jetzt schien das vorbei zu sein.

    Angela Marino war recht überzeugend gewesen. Sie hatte mir Max’ Krankenakte unter die Nase gehalten.

    „Mit seinen gesundheitlichen Schwierigkeiten hält er im Knast nicht mehr als vier, fünf Jahre durch."

    Ich hatte genickt. Oder besser, ich hatte so getan, als ob ich einknickte. In Wirklichkeit begannen meine Freunde und ich, alle möglichen Hypothesen in Betracht zu ziehen. Mit dem Resultat, dass es uns als beste Lösung erschien, das Problem an der Wurzel zu packen und Giorgio Pellegrini, der uns lediglich aus Rache in diese Sache mit hineingezogen hatte, das Lebenslicht auszublasen. Also waren wir aus der Szene verschwunden und machten Jagd auf ihn, doch er war uns dreimal entwischt. Inzwischen waren uns die Ideen ausgegangen, was wir noch versuchen könnten.

    Wir mussten unbedingt Zeit gewinnen. Selbst wenn wir bislang nicht alle Details kannten, lag auf der Hand, dass es sich um eine äußerst schmutzige Geschichte handelte, bei der von vornherein außer Frage stehen dürfte, mögliche Zeugen ungeschoren zu lassen. Und da die Dottoressa offenbar nicht vorhatte, irgendwelche Absprachen einzuhalten, dachten wir darüber nach, uns an der Dalmatinischen Küste oder im Libanon zu verstecken, wo Rossini sichere Kontakte hatte.

    Aber dann beschlossen wir dummerweise, es noch ein allerletztes Mal zu versuchen. Weil diese ganze Sache eine solch ekelhafte Dimension angenommen hatte und wir das alles unerträglich und ungerecht fanden. Außerdem wollten wir der Marino, einer hochrangigen Ermittlungsbeamtin aus dem Innenministerium in Rom, eins auswischen. Sie behandelte uns wie Marionetten, die man nach Belieben hin und her bewegte. Dorthin, wo man sie gerade brauchte.

    Wenn sie glaubte, wir würden uns verkaufen, dann hatte sie sich böse getäuscht. Um keinen Preis der Welt.

    „Wir setzen alles auf eine Karte", hatte Rossini gesagt, der so manche Kämpfe in seinem Leben ausgefochten hatte. Und meinte damit selbst die Freiheit und das Leben. Wie früher in der hohen Zeit der Banden.

    „Ruf ihn an." Rossini blieb hartnäckig, und ich holte das Handy aus meiner alten Fliegerjacke.

    Zwei Tage später saß ich am frühen Morgen in einer Bar, die in einem Vorstadtviertel von Padua im Erdgeschoss eines grauen Mehrfamilienhauses mit einem antennengespickten Dach lag. Um diese Zeit gab es hier nur Cornetti, die noch halb gefroren waren, und einen grauenvoll schmeckenden Kaffee mit einem ekligen Milchpulver aus Österreich. Dafür konnte man sich hier ungestört mit Leuten treffen, mit denen man auf keinen Fall gesehen werden wollte. Hier achtete niemand auf die anderen.

    Die Besitzerin stammte aus Albanien und kümmerte sich ausschließlich um ihre eigenen Angelegenheiten. Sie war 1991 mit der ersten Welle von Flüchtlingsbooten in Brindisi gelandet, hatte Jobs angenommen, die kein Italiener machen wollte, und dabei genug Geld zur Seite gelegt, um diese Bar zu eröffnen. Ihre Kundschaft

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