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Doc Holliday Staffel 2 – Western: E-Book 11-20
Doc Holliday Staffel 2 – Western: E-Book 11-20
Doc Holliday Staffel 2 – Western: E-Book 11-20
eBook1.411 Seiten18 Stunden

Doc Holliday Staffel 2 – Western: E-Book 11-20

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Über dieses E-Book

-Staffel 2-

Hier erhalten Sie die ersten zehn Folgen in einer Ausgabe!

Serienbeschreibung:
"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Sie kennen den berühmten US Marshal und seine Abenteuer? Sonst sollten Sie ihn schnell kennen lernen. Sein Lieblingssatz:" Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen.

Titel:

E-Book 11: Wer zu früh zieht...
E-Book 12: Gunfight am Schienenstrang
E-Book 13: Drei gegen Doc
E-Book 14: Brandy für Topeka
E-Book 15: Las Animas
E-Book 16: Der Grenzgeldjäger
E-Book 17: Blei im Straßenstaub
E-Book 18: Gunsmoke im Branch Saloon
E-Book 19: Inferno El Paso
E-Book 20: Der Kartenhai
SpracheDeutsch
HerausgeberKelter Media
Erscheinungsdatum7. Feb. 2017
ISBN9783740914004
Doc Holliday Staffel 2 – Western: E-Book 11-20

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    Buchvorschau

    Doc Holliday Staffel 2 – Western - Frank Laramy

    Doc Holliday 2 – Staffel

    Inhalt

    Wer zu früh zieht...

    Gunfight am Schienenstrang

    Drei gegen Doc

    Brandy für Topeka

    Las Animas

    Der Grenzgeldjäger

    Blei im Straßenstaub

    Gunsmoke im Branch Saloon

    Inferno El Paso

    Der Kartenhai

    Doc Holliday –2–

    Staffel

    Roman von Frank Laramy

    Doc Holliday 2 – Staffel

    Wer zu früh zieht...

    Roman von

    Trommelnder Hufschlag brach sich an den roten Felswänden des Grand Canyon.

    Aus rauhen Männerkehlen drangen Schreie. Schüsse peitschten durch das wildzerklüftete Tal.

    Eine Overland-Postkutsche sprang wie ein wildes Tier über den steinigen Fahrweg. Die gelben Holzspeichen der Räder ächzten, die Lederhalterungen der Federn waren bis zum Zerreißen gespannt.

    Aber Merlin Hall hieb wie ein Wahnsinniger auf das Vierergespann ein.

    »Hoiii!« gellte sein Ruf in den Ohren der schweißnassen Pferde. Sie rissen an den Strängen und gaben das letzte ihrer Kräfte her. Schaum flog wie Schneeflocken von ihren Mäulern. Sie hatten die Köpfe weit vorgestreckt, die Augen schreckhaft aufgerissen.

    Doch die Verfolger waren schneller.

    Merlin Hall nahm die lange Peitsche zwischen die Zähne und zog seinen Colt. Es war ein alter langläufiger Armeerevolver. Er stammte noch von seinem Vater, der bei den Blauröcken gedient hatte.

    Doch vom Fahrersitz der schwankenden Overland aus war es kaum möglich, eine Kugel ins Ziel zu tragen.

    Und das Ziel waren zwei Männer, die auf galoppierenden Pferden hinter der Überlandkutsche herhetzten.

    Es waren John und Tom Alagna.

    Banditen, Verbrecher, kaltblütige Mörder.

    Vor kurzem waren sie aus dem Vorlager von Sescattewa entsprungen, aus den Steinbrüchen des ewigen Schweigens. Ihnen war es gelungen, was bisher kaum ein Gefangener fertiggebracht hatte.

    Die Flucht aus Sescattewa!

    Und nun, erst wenige Tage der Hölle des Straflagers entronnen, begingen sie schon wieder ein Verbrechen.

    Was hatte damals der Sheriff von Yankton zum Richter gesagt?

    »Ihr hättet sie hängen lassen sollen, Euer Gnaden!«

    Der Mann hatte recht gehabt.

    Auch Sescattewa hatte nicht vermocht, die beiden Verbrecher auf eine andere Bahn zu bringen. Sie hatten die gnadenlose Sonne ertragen, den grausamen Durst, die eisige Kälte und die langen Bullpeitschen der Wächter.

    Doch Sescattewa hatten sie bereits vergessen.

    John Alagna war ein breiter, wuchtiger Mann. Er ritt etwas hinter seinem jüngeren Bruder. Sein Pferd hatte Mühe, mit dem anderen Tier Schritt zu halten.

    Tom dagegen war sehnig und schlank. Das glatte Gegenteil seines Bruders. An seinem Körper war kein Gramm Fett zuviel. Ihm hatten die Jahre in den Steinbrüchen wenig ausgemacht. Er war dunkelhäutig wie ein Mexikaner, hatte stechende Kohlenaugen und einen schmallippigen Mund. In allen Teilen war er seinem älteren Bruder überlegen: Er war schneller, wenn es galt, den Colt zu ziehen; und im Faustkampf hatte ihn bisher noch kein Mann auf den Boden bringen können.

    John Alagna hatte einen dumpfen Geist. Wo sich auch nur eine Gelegenheit dazu ergab, betrank er sich. Im übrigen befolgte er die Befehle seines jüngeren Bruders.

    Allein wäre John niemals der Hölle von Sescattewa entronnen. Die Flucht war einzig und allein das Werk seines Bruders gewesen.

    Es war Zufall, daß sie jetzt hinter der Overland herjagten. Ihre Taschen waren leer, sie besaßen keinen lausigen Cent.

    In den Steinbrüchen hatten sie nur die beiden Pferde und die Waffen stehlen können – und seitdem waren sie wie vom Teufel gehetzt über die Mountains geritten.

    »Ich habe noch zwei Kugeln!« schrie Tom seinem Bruder zu.

    John Alagna stieß einen Fluch aus.

    »Ich habe noch drei!«

    »Dann wird es Zeit!« rief Tom zurück und hieb seinem Pferd die Sternradsporen in die Weichen.

    Das Tier wieherte schmerzhaft auf und sprang mit einem gewaltigen Satz nach vorn. Mehr Kraft konnte es bestimmt nicht aus seinen Sprunggelenken herausholen.

    Fünfzig Yards waren noch zwischen der Overland und den beiden Banditen.

    Merlin Hall schoß, was sein Colt hergab, aber die Kugeln verfehlten ihr Ziel. Und er hatte auch nur für Sekunden die Fahrstraße aus den Augen lassen können.

    Straße!

    Es war ein in den Fels gehauener Weg. Tief unten floß der Colorado River. Dunkel glänzten seine Wasser zur Höhe hinauf. In vielen Windungen schlängelte sich dieser Weg durch die farbenglühenden Schluchten des Grand Canyon.

    Über diesen Höhenpfad wurden die Rinderherden aus dem Süden hinauf nach Utah und Wyoming getrieben. Die bleichen Gerippe der Longhorns am Wegrand zeugten von diesem Trail.

    Und die Kutscher der Overlands, die diese Strecke befahren mußten, ließen ihre Pferde im Schritt laufen, denn der Fels hatte den Weg an den Abgrund gedrängt, zwei Wagen konnten nur mit Mühe aneinander vorbeigelangen.

    Doch diesmal war es eine Fahrt mit dem Tod, ein spukhafter Tanz am Rande des Verderbens.

    Die Kutsche schleuderte hin und her. Manchmal hing das rechte Hinterrad über dem Abgrund. Der Wagen schwankte und war nahe daran, abzustürzen. Aber die vier rasenden Pferde zerrten ihn wieder auf den Weg.

    Drei Männer saßen in dem schwankenden Gehäuse der Overland. Sie klammerten sich an den Sitzen fest und schlugen sich an den Wänden die Köpfe wund.

    Für die drei Passagiere war diese Höllenfahrt schlimmer als für den Fahrer. Sie waren wehrlos eingesperrt. Es hätte ihren Tod bedeutet, wenn sie jetzt abgesprungen wären.

    Der Älteste von ihnen mochte das siebzigste Lebensjahr schon überschritten haben. Sein Haar war schlohweiß. Es war Oliver O’Sullivan, ein Mann, der im Auftrag der Regierung durch die Staaten fuhr, um Landvermessertrupps aufzustellen.

    Das war eine harte Arbeit für einen Mann von über siebzig Jahren. Die Roten wehrten sich verzweifelt gegen diese Einpferchung, und es war oft zu blutigen Kämpfen gekommen.

    Diesmal war er auf dem Weg nach Fillmore in Utah.

    Es war sein letzter Auftrag. Dort sollte er sein Amt einem jüngeren Mann übergeben.

    Würde er die Stadt jemals erreichen!

    Der zweite Mann war ein Trailboß, der oben in Salt Lake City eine Herde übernehmen sollte, um sie nach Hamilton in Nevada hinüberzutreiben. Die Longhorns waren in Nebraska verladen und bis Salt Lake mit der Bahn transportiert worden. Bob Wilmot hieß der Rindermann. Er war groß, starcknochig und roch nach Pferdeschweiß und Rinderausdünstung. Sein Gesicht war vom rauhen Leben der Prärie gezeichnet. Frost und Hitze, Regen und Staub hatten tiefe Furchen in das lederne Antlitz gegraben. Sein Leben war ein einziger, endloser Ritt über die Trailwege des alten Westens gewesen.

    Ein hartes Leben.

    Und in dieser Minute verfluchte Bob Wilmot sich selbst. Weshalb hatte er diese elende Overland genommen?

    Aber zu diesen Überlegungen war es jetzt zu spät.

    »Wenn dieser verdammte Narr da vorn doch anhalten würde!« brüllte er kaum verständlich dem dritten Passagier zu, der gerade versuchte, seinen Kopf durch die Fensteröffnung zu bringen. Der Mann hatte einen vernickelten Colt in der Hand. Schon seit vielen Stunden war die Overland unterwegs, aber bisher hatte dieser Mann nicht ein einziges Wort gesprochen. Er hatte in seiner Ecke gelehnt, meistens geraucht und zum Fenster hinausgesehen.

    O’Sullivan und Wilmot hatten sich anfangs unterhalten, waren dann aber schließlich auch stumm geworden.

    Der dritte Fahrgast, jener schweigsame Mann mit den eisblauen Augen und dem scharfgeschnittenen Gesicht, hatte irgendwie bedrückend auf die beiden anderen gewirkt. Wer mochte er sein? Vielleicht ein Anwalt? O’Sullivan war zu keinem Ergebnis gekommen. Nur die beiden schweren Revolver waren ihm aufgefallen. Es mußten wertvolle Waffen sein, die Kolben waren mit Elfenbein ausgelegt.

    Yeah, es waren wertvolle Waffen, aber sie hatten eine weit bemerkenswertere Eigenschaft, wenigstens in den Händen des Mannes, der sie trug: Da waren sie von tödlicher Sicherheit.

    Denn der Mann, der es inzwischen mit Mühe fertiggebracht hatte, sich aus dem Fenster der schwankenden Kutsche zu beugen, war Doc Holliday.

    »Damned, halten Sie doch die Pferde an!« schrie er zu Merlin Hall hinauf.

    Aber der Ruf war vergeblich. Der Fahrer verstand kein Wort. Seine Ohren waren taub vom Gerassel des schweren Wagens und dem donnernden Hufschlag des Vierergespanns.

    Doc Holliday gab es auf und blickte nach hinten.

    In diesem Moment sprengten die beiden Banditen um eine Wegbiegung. Sie hatten ihren Abstand verringern können.

    Dreißig Yards!

    Zu weit für den Colt!

    Der Georgier zog den Abzugbügel durch und feuerte aufs Geratewohl.

    Fünfmal übertönte der peitschende Knall der Sixguns das tosende Gerumpel der Overland.

    John Alagna schrie auf und griff sich ans Knie. Eine Kugel hatte das Gelenk durchschlagen.

    »Der Hund hat mich getroffen!« rief er seinem Bruder zu.

    Tom wandte sich gar nicht um.

    »Weiter, solange du im Sattel bleiben kannst.«

    Der Abstand verringerte sich mehr und mehr.

    Aber dann geschah es…

    *

    Doc Holliday hatte den Colt ins Halfter gestoßen. Er wollte seine andere Waffe ziehen, aber dazu kam er nicht mehr.

    Wie von einer Riesenfaust gepackt, wurde er zu Boden geschleudert. Hart schlug er mit dem Kopf auf die Bodenplatte auf. Für Sekunden wurde es Nacht um ihn.

    Auch die beiden anderen Männer wurden durch die Kutsche gewirbelt. Am härtesten traf es den alten Landmesser. Er schlug mit dem Hinterkopf gegen den metallenen Türgriff.

    Nur der Trailboß hatte Glück, das heißt, wenn man unter diesen Umständen noch von Glück reden konnte. Er war auf Holliday geflogen; der Sturz war durch den Körper des Georgiers abgemildert worden.

    Was war geschehen?

    Das rechte Hinterrad der Kutsche war an einem kopfgroßen Stein zersplittert. Dreißig, vierzig Yards hielt der schwere Wagen sich noch im Gleichgewicht. Aber dann neigte er sich zur Seite. Der schmiedeeiserne Achsenstumpf bohrte sich in den felsigen Boden. Funken stoben auf, ein ohrenbetäubendes Kreischen zerriß die Luft, schleifender Stahl auf hartem Fels.

    Die Overland überschlug sich. Die Stränge rissen, die verängstigten Pferde stürmten in panischer Angst davon.

    Merlin Hall wurde wie ein Geschoß durch die Luft geschleudert und stürzte in den Abgrund.

    Die Kutsche überrollte den Rand der Fahrstraße, über dem Abhang schwankte sie noch einen Sekundenbruchteil, doch dann kippte sie unendlich langsam über und torkelte tanzend wie ein Ball den Abhang hinunter.

    *

    Bleierne Ruhe lastete über dem Grand Canyon.

    Es war die Ruhe der Jahrtausende, die diese bizarre Bergwelt geschaffen hatte.

    Ein Geierpaar kreiste über dem Abgrund. Mit majestätischem Flügelschlag zog es seine Spiralen in den blauen Himmel Arizonas.

    Zwei Männer standen am Wegrand der Straße und blickten in den Abgrund hinunter.

    Neben ihnen standen schweißnasse Pferde mit fliegenden Flanken.

    Einer der Männer hatte sich mit dem Rücken gegen den Sattel seines Pferdes gelehnt. Er hielt das linke Bein gegen den Körper gepreßt.

    »Damned, das haben wir nun davon! Keinen Cent und ein Loch im Fell.«

    »Pech, John«, sagte der andere rauh.

    »Was soll jetzt werden?«

    Tom Alagna beugte sich weit vor, um besser in die Tiefe blicken zu können.

    »Es hat keinen Zweck!«

    »Was?«

    »Da kommt keiner hinunter.«

    »Kannst du die Overland sehen?«

    Tom schüttelte den Kopf.

    »Ich sehe nichts. Ein überhängender Fels versperrt die Sicht hinunter.«

    John biß sich auf die wulstigen Lippen. In seinem zerschmetterten Knie bohrte der Schmerz.

    »Es ist wohl besser, wenn wir jetzt verschwinden.«

    »Weshalb hast du es so eilig? Ich muß dich verbinden.«

    »Das hat Zeit bis später. Stell dir vor, wenn uns hier jemand sieht.«

    Tom Alagna lachte blechern.

    »Na und? Was gibt es denn hier zu sehen außer uns beiden?«

    John war schwer von Begriff.

    »Aber die Overland…«

    Das hämische Grinsen auf dem Gesicht des anderen vertiefte sich.

    »Wo ist denn hier eine Overland?«

    Da grinste auch John. Doch plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen.

    »Und was ist mit den vier Pferden?«

    »Die können nicht reden.«

    Da irrten sich die beiden Verbrecher; das Vierergespann redete seine eigene Sprache. Die Pferde trugen an ihren Geschirren die Zeichen der Wells Fargo Company – und sie schleppten an zerfetzten Strängen eine Deichsel hinter sich her, an der ein Wagen fehlte.

    Aber John Alagna war beruhigt. Er ließ sich auf den Boden nieder.

    »Dann sieh mal nach der Wunde, Tom.«

    Die Kugel des Georgiers hatte die Kniescheibe zertrümmert und war im Gelenk steckengeblieben.

    »Du brauchst einen Arzt«, meinte der Hagere.

    »Woher sollen wir einen Arzt nehmen?«

    »Wir werden schon einen finden. Ich war zwar noch niemals in dieser verdammten Gegend, aber wo eine Overland fährt, muß es auch bald eine Stadt geben.«

    Als er dann die Wunde verband, stöhnte John.

    »Verdammt, paß doch auf!« stieß er hervor.

    »Stell dich nicht so an. Wenn die Kugel raus ist, kannst du in ein paar Wochen wieder laufen wie vorher.«

    John Alagna sollte nie wieder wie ein normaler Mensch laufen können; sein Bein würde steif bleiben.

    Der Hagere half seinem Bruder in den Sattel.

    »Mit dem Reiten wird’s ja noch gehen.«

    John sagte nichts. Er schob den linken Fuß mit schmerzverbissenem Gesicht in den Steigbügel. Dann warf er einen Blick nach der Sonne.

    »Es ist Mittag vorbei. Laß uns zusehen, daß wir weiterkommen. Mir knurrt der Magen!«

    Dann ritten sie los, und kein Gedanke der Verbrecher blieb bei den Menschen zurück, die sie ins Verderben gestürzt hatten.

    *

    Am Rand eines Felsplateaus auf der gegenüberliegenden Seite des Canyons stand ein Indianer. Unbeweglich stand der Rote da. Sein bronzefarbenes Gesicht war so steinern wie die Felsen unter ihm. Der Bergwind spielte mit seinem blauschwarzen Haar, das ihm tief über die Schultern fiel.

    Es war ein Navajo-Indianer. Einer der wenigen, die ihr Land noch nicht verlassen hatten. Er haßte die Reservate. Er wollte ein freier Mann bleiben.

    Mit beiden Händen stützte er sich auf eine lange Kentuckybüchse. »Die Bleichgesichter sind räudige Hunde«, sagte er leise. »Sie zerfleischen sich untereinander.«

    Der Indianer hatte den Überfall mit angesehen. Die Schüsse hatten ihn an den Rand des Canyon gelockt.

    Von dort aus, wo er stand, konnte er auch die zertrümmerte Overland sehen.

    Ein Felsvorsprung hatte die Kutsche vor dem endgültigen Sturz in die Tiefe bewahrt, aber sie hing zur Hälfte bedrohlich über dem Abgrund.

    »Dort ist kein Leben mehr«, führte der Rote sein Selbstgespräch weiter, und dann hob er den Blick und sah die kreisenden Geier. »Ihr werdet sie holen«, murmelte er.

    Der Navajo wandte sich ab und ging zu seinem Pferd zurück. Er hatte das Tier hinter einem Felsturm zurückgelassen, als die ersten Schüsse gefallen waren. Jetzt schwang er sich in den Sattel und ritt davon.

    *

    Der donnernde Hufschlag riß Gerry Warms vom Tisch hoch.

    »Was, die Overland? Jetzt schon?« Dann nahm er seinen Hut, stülpte ihn auf und lief nach draußen.

    Das Vierergespann bog schon in die Hofeinfriedigung ein, und die Tiere blieben mit röhrend keuchendem Atem vor dem Haus stehen.

    Warms hatte die Augen aufgerissen. Aber er schloß sie wieder und rieb sie mit Daumen und Zeigefinger. Dann öffnete er sie.

    Es hatte sich nichts verändert. Dort standen vier abgetriebene Pferde – aber der Wagen fehlte.

    Gerry Warms ging um die zitternden Tiere herum und sah die gelben Messingschilder an den Geschirren. Er hätte die Pferde auch so erkannt, denn noch vor vier Tagen hatten sie in seinem Korral gestanden.

    »He! Was ist da passiert?« stieß er heiser hervor, während er die Tiere zum Korral führte.

    »Was ist los?« klang da eine Frauenstimme vom Haus her.

    Warms wandte sich nicht um.

    »Mit der Overland muß etwas geschehen sein.«

    »Das sehe ich auch«, gab die Frau zurück. »Wo ist sie denn geblieben?«

    »Wenn ich das wüßte«, versetzte Warms und kratzte sich im Nacken.

    Der Wells Fargo Mann war von kleiner, untersetzter Gestalt. Ein halbes Jahrhundert hatte er hinter sich gebracht, man sah es an den tiefen Furchen, die sich in sein Gesicht eingegraben hatten.

    Das Leben hatte die beiden Warms’ nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt. In Nebraska war der Mann als Siedler gewesen, ein Rancher hatte ihn von seinem Land vertrieben. Dann war er als Digger in die Berge gegangen, um nach dem gelben Staub zu suchen. Da waren es Banditen gewesen, die ihn um den Ertrag zweier mühevoller Jahre gebracht hatten.

    Es gab noch mehr Stationen im Leben dieses Mannes. Als Railroader, als Holzfäller und auch als Cowboy war er geritten, bis er dann endlich bei der Wells Fargo Company gelandet war. Jahrelang war er selbst mit der schweren Overland durch die Staaten gefahren, bis ihm die Company diese kleine Station gegeben hatte.

    Hier saß er nun seit drei Jahren.

    Die Station lag in den Trumbull Mountains; ein trostloses Bergland, in dem man meilenweit nach einem grünen Grashalm suchen mußte. Es gab dem Namen des Staates Arizona alle Ehre. Arida zona hatten die Spanier dieses Land genannt: dürrer Landstrich.

    Die Trumbullstation war viele Meilen von jeder Ansiedlung entfernt, aber ohne ihr Bestehen hätte in den Bergen keine Overland Linie unterhalten werden können. Es war die Strecke Presscoot – Cerbat – Fillmore – Salt Lake City.

    Selbst ein Jahrhundert später hatte es noch keine Railway Company zustande gebracht, eine Bahnlinie durch das Colorado-Plateau zu führen. Die turmhohen Felsen bildeten ein unüberwindliches Hindernis.

    Die Außenwelt kam nur alle vier Tage zu der einsamen Station in den Bergen, und selten geschah es, daß sich ein Reiter hier hinauf verirrte.

    Nur einmal im Jahr kamen die Rindermänner mit ihren ausgemergelten Herden.

    Aber sonst verlief das Leben der bei den Warms’ in monotoner Eintönigkeit. Doch sie hatten dieses Leben liebengelernt. Jahrzehnte waren sie ruhelos durch die Staaten gezogen, jetzt endlich hatten sie Ruhe.

    Bis zu diesem Tag!

    »Was willst du tun?« fragte die hagere Frau mit dem gutmütigen Gesicht und den verarbeiteten Händen.

    »Ich werde – sie suchen müssen«, versetzte Warms stockend.

    »Aber Gerry, in einer Stunde ist es dunkel!«

    Der Mann nickte. »Da hast du recht, aber ich muß trotzdem raus. Ich werde Fackeln mitnehmen.«

    »Kannst du nicht bis zum Morgen warten, Gerry?«

    Der Mann schüttelte den Kopf.

    »Mattie, ich habe selbst viele Jahre auf dem Bock gesessen, und ich kenne auch den verdammten Weg durch den Canyon. Merlin Hall war ein guter Fahrer. Es muß schon mit dem Teufel zugegangen sein, daß ihm etwas zugestoßen ist.«

    »Tu, was du willst«, sagte die Frau ärgerlich und ging ins Haus.

    Warms spannte die völlig erschöpften Pferde aus.

    »Verdammt, wenn ihr doch reden könntet«, knurrte er und rieb die Tiere ab. Nachdenklich besah er sich die Geschirre und den Deichselrest.

    »Sie hat sich überschlagen«, murmelte er und dachte fröstelnd an den schmalen Weg und die Schluchten im Grand Canyon.

    »Hell and devils, hoffentlich sind sie nicht in den Abgrund gestürzt!«

    Gerry Warms wußte, was das zu bedeuten hätte.

    Er zog einen leichten Wagen aus dem Schuppen und spannte zwei Braune vor.

    Dann ging er ins Haus und beendete hastig seine Mahlzeit, die er vorhin unterbrochen hatte.

    »Mach dir keine Sorgen, Mattie. Ich bin bald wieder zurück. Gib mir etwas Verbandszeug und Whisky mit. Vielleicht brauche ich es draußen.«

    »Willst du nicht doch bis zum Morgen warten?« Aus der Stimme der Frau klang die Angst.

    Gerry Warms blickte seine Frau erstaunt an. So kannte er sie nicht. Sie war doch immer tapfer gewesen, auch wenn er früher für Monate unterwegs war.

    »Was ist mit dir? Ich bin in wenigen Stunden zurück, Mattie. Es ist meine Pflicht, nach Merlin und der Kutsche zu sehen. Begreif das doch!«

    Die Frau wischte sich mit der Schürze übers Gesicht.

    »Ich weiß selbst nicht, was mit mir ist, Gerry. Es ist nur so ein ungutes Gefühl…«

    Warms machte eine wegwerfende Bewegung.

    »Du wirst alt, Frau«, versuchte er zu scherzen.

    »Ich bin schon seit einigen Jahren alt, Gerry«, gab sie ernst zurück.

    »Du siehst Gespenster.«

    »Ich sehe keine Gespenster. Aber es stimmt etwas nicht bei der Sache.«

    Der Mann lachte. Aber es klang nicht sehr echt.

    »Das habe ich inzwischen auch gemerkt. Wenn die Pferde ohne den Wagen kommen, stimmt ganz sicher etwas nicht.«

    Die Frau schwieg eine Weile und blickte sinnend vor sich hin. Ihr Mann hatte ja recht, und es gab kaum etwas, das sie seinen Worten entgegensetzen konnte. Aber irgend etwas warnte sie, ihren Mann jetzt fortzulassen. Es kam tief aus ihrem Innern. Sie konnte sich dieses Gefühl selbst nicht erklären, aber es war da und gemahnte sie an eine Gefahr, die auf sie zukam.

    Müde hob sie die Schultern.

    »Du mußt es wissen, Mann.« Dann reichte sie ihm ein Bündel Verbandsstoff und die Flasche mit Whisky. »Ich werde aufbleiben, bis du wieder zurück bist.«

    »Ach was, leg dich hin, es kann lange dauern«, sagte Warms im Hinausgehen.

    Sie trat zur Tür und blickte hinter ihm her, als er den Hof verließ.

    *

    Dunkelheit lag über den Bergen.

    Die beiden Banditen hatten den Grand Canyon bereits verlassen und die Trumbull Mountains erreicht.

    »Verdammt, wir müssen doch bald an eine Station kommen«, fluchte Tom Alagna wütend. »So weit können die doch nicht auseinanderliegen.«

    »Vielleicht haben wir sie in dieser höllischen Finsternis verpaßt«, meinte John.

    »Das ist nicht möglich. Ich habe keinen Weg abzweigen sehen.«

    »Yeah, solange es noch hell war.«

    Tom hielt sein Pferd an und ließ sich aus dem Sattel gleiten.

    »Das werden wir gleich haben.« Er nahm ein Zündholz aus der Tasche und riß es am Coltgurt an. Dann bückte er sich und leuchtete mit der kleinen Flamme den Boden ab. Als er sich erhob, sagte er bestimmt: »Da läuft die Wagenspur – es ist die Overlandstraße.«

    »Also dann weiter«, meinte John.

    Der andere wollte sich gerade in den Sattel ziehen, er hatte den Fuß schon im Steigbügel, als er das Geräusch eines rollenden Wagens in der Ferne hörte.

    »Damned! Was ist denn das?«

    John hatte das Geräusch noch nicht vernommen.

    »Was meinst du?«

    »Ein Wagen kommt auf uns zu. Hörst du es nicht?«

    Der Verwundete strengte sein Gehör an.

    »Verflucht, du hast recht. Wer mag das sein?«

    »Du stellst Fragen«, knurrte Tom. »Woher soll ich das wissen?« Dann unterbrach er sich und fuhr erst nach einer Weile leise fort: »Die vier Pferde! Sie kennen den Weg. Heavens, daß ich nicht gleich daran gedacht habe.«

    »An was?«

    Tom Alagna zog sich in den Sattel.

    »Das werde ich dir gleich erklären. Komm, wir müssen von der Straße herunter.«

    Im Grand Canyon wäre das kaum möglich gewesen, aber hier konnten sie vom Weg abbiegen. Sie brachten ihre Pferde in ein schmales Seitental und rutschten aus den Sätteln.

    John Alagna hatte sein verwundetes Bein schon wieder vergessen; als er jedoch damit den Boden berührte, schrie er auf:

    Tom fuhr herum.

    Kannst du nicht dein Maul halten!« herrschte er ihn an. »Dich hört man ja bis Utah hinüber.«

    »Damned, mein Bein«, stöhnte John.

    »Daran mußt du früher denken. Warte lieber, bis ich zurück bin. Ich gehe zur Straße hinüber.«

    »Ich komme mit. Hilf mir!«

    Tom brummte etwas, aber dann faßte er seinen Bruder doch unter und half ihm die wenigen Yards bis zum Talausgang. Dort kauerten sie sich an den Boden nieder.

    Das Rumpeln des Wagens war deutlicher geworden.

    »Wie wollen wir ihn erledigen?« fragte John.

    »Wen?«

    Der Verwundete kicherte.

    »Diesmal bist du es, der dumme Fragen stellt. Wen anders als den Mann, der mit dem Wagen kommt.«

    »Und wenn es mehrere sind?«

    »Wir brauchen Dollars!« kam es rauh von den Lippen des anderen.

    »Jetzt hör mal zu, John. Du bist nie sehr schlau gewesen. Ohne mich säßest du bis an dein Lebensende in den Steinbrüchen. Ich wette mit dir um meinen Gaul, daß da vorn ein oder mehrere Männer kommen, die nach der Overland suchen.«

    »Und woher willst du das wissen?«

    »Bisher haben wir keine Spur von den vier Pferden gesehen. Sie werden zur Station gelaufen sein.«

    Das leuchtete schließlich auch dem anderen ein.

    »Du hast recht. Dann werden wir sie überfallen und anschließend die Station ausräumen.«

    Tom Alagna dachte eine Weile nach. Dann sagte er leise: »Wir werden sie nicht überfallen, Brother.«

    »Weshalb nicht?«

    »Weil wir es nicht notwendig haben.«

    »Verdammt, wir haben doch keinen Cent mehr.«

    »Yeah, jetzt, aber wir werden bald welche haben. Paß auf: Wir lassen sie vorbei, und wenn ich mich nicht irre, werden sie dann noch einen weiteren Trail vor sich haben. Die Overland finden sie nicht, zumindest nicht in dieser Nacht.«

    John nickte grinsend.

    »Yeah, um den Kasten zu finden, werden sie lange suchen müssen. Und was machen wir?«

    »Ganz einfach, wir reiten weiter zur Wells Fargo Station.«

    »Well, und machen alles stumm, was da herumläuft.«

    »Das wird nicht notwenig sein, schätze ich. Denn dort wird keiner mehr herumlaufen.«

    »Wie kommst du darauf?« stutzte John.

    »Glaubst du, Wells Fargo unterhält hier in den verdammten Bergen eine ganze Crew? Wenn’s hoch kommt, werden zwei Mann da sein. Wie gesagt, wenn’s hoch kommt. Ich habe eine Menge Stationen gesehen, die nur von einem Mann bedient werden.«

    »Damned, du hast recht«, meinte John Alagna. Dies war eine sich immer wiederholende Redensart von ihm. Und in den meisten Fällen traf sie auch zu.

    Das Geräusch der Wagenräder war inzwischen so nahe herangekommen, daß die Banditen schwiegen.

    Und dann erblickten sie den Schein der Fackel. Das Licht der Flamme huschte gespenstisch über die öden Felsen.

    Gerry Warms hatte erst eine Wegstunde hinter sich. Er konnte nicht so schnell fahren, da er den Boden nach Spuren absuchen mußte.

    Aber der alte Overlanddriver war fast davon überzeugt, daß das Unglück im Grand Canyon geschehen war – und er befürchtete Schlimmes.

    Auch er hatte auf seinen Fahrten manchen Überfall hinter sich gebracht. Es war nicht immer glattgegangen. Seiner Frau hatte er nie etwas davon gesagt, er wollte sie nicht ängstigen.

    Doch an einen Überfall hier in den Bergen konnte er fast nicht glauben. Die Company ließ mit Absicht auf der einsamen Strecke keine Wertgüter transportieren. Das wußten die Posträuber im allgemeinen.

    Und bisher war auch nie etwas auf diesem Teil der Strecke passiert.

    Seit dem letzten Jahr hatte die Wells Fargo sogar darauf verzichtet, einen Gunman mitzuschicken.

    Gerry Warms hatte ahnungslos die Stelle erreicht, wo die beiden Banditen lauerten. Er wußte nicht, daß er am Tod vorüberfuhr.

    »Du hast recht, es ist nur einer«, flüsterte John seinem Bruder zu. »Sollen wir ihn nicht doch abknallen?«

    »Du bist wahnsinnig«, zischte Tom zurück. »Die Sache mit der Overland kann uns keiner nachweisen. Aber ein neuer Mord? No, Brother. Wir müssen uns verdammt in acht nehmen.«

    Und so entging der Wells Fargo Mann dem sicheren Tod. Er fuhr an dem Taleinschnitt vorüber, ohne auch nur einen Blick hinüberzuwerfen.

    Der Wagen rumpelte weiter, und das Geräusch hatte sich bald in der Ferne verloren.

    *

    Frau Mattie Warms war schon wiederholt eingenickt, aber immer wieder schreckte sie aus dem Halbschlaf hoch und ging zur Tür.

    Doch die Nacht schwieg.

    Sie ging zur Herdstelle zurück und setzte sich. Aber die Unruhe konnte sie nicht loswerden.

    Mattie Warms hatte schon lange nicht mehr gebetet, in dieser Nacht tat sie es. Es war kein auswendig gelerntes Gebet, das die Frau sprach, aber der, an den es gerichtet war, würde es schon verstehen.

    Ihr Mann war alles, was sie auf der Welt besaß und liebte. Seit dem schrecklichen Tag vor fünfzehn Jahren gab es nur noch ihn.

    Damals hatte man ihren neunjährigen Sohn Randolph tot ins Haus gebracht. Betrunkene Cowboys hatten ihn auf der Straße erschossen. Der Sheriff hatte ihn mit seinem Deputy nach Hause gebracht; auf dem Weg dahin war der flachsblonde kleine Randy gestorben. Der Junge war das ganze Glück und die Freude seiner Eltern gewesen. Der Schmerz hatte sie beide furchtbar getroffen.

    War es an jenem fürchterlichen Tag in den Mittagsstunden nicht auch so gewesen? Hatte sie nicht damals auch eine dumpfe Vorahnung gehabt?

    Ja, es war genauso gewesen.

    Mattie Warms nickte wieder ein; schreckliche Träume quälten sie.

    Die alte Pendeluhr schlug zehn. Hohl und drohend hörte sich der Glockenschlag an.

    Die Frau schreckte hoch. Nie hatte sie bisher empfunden, daß der Schlag der alten Uhr hohl und drohend geklungen hatte. Im Gegenteil; die französische Pendüle war ihr immer ein Stück Heimat gewesen. Ihr Mann hatte sie damals gekauft, als sie in Nebraska die kleine Farm gehabt hatten.

    Seitdem hatte sie die Uhr auf all ihren Wegen mitgeschleppt.

    Und ihre dunklen Schläge übertönten jetzt die schleichenden Schritte, die das Haus umkreisten.

    Sie war da, die Gefahr, vor der die Frau zitterte!

    *

    »Ich kann nicht mehr weiter mit dem Knie«, flüsterte John.

    »Ich habe gleich gesagt, du sollst bei den Pferden bleiben.«

    John Alagna ging auf die Vorhaltung nicht ein.

    »Also war er doch nicht allein im Haus.«

    »Bleib hier, ich werde nachsehen, wer noch drin ist.« Dann verschwand Tom lautlos in der Dunkelheit.

    Er gelangte an die Vorderfront des kleinen Hauses und verhielt augenblicklich den Schritt.

    In der hellerleuchteten Türöffnung stand eine hagere Frau und blickte in die Nacht.

    Unhörbar zog sich Tom zurück. Als er bei seinem Bruder angelangt war, flüsterte er wütend: »Damned, es ist ein Weib!«

    »Ist es allein?«

    »Ich nehme es an. Was sollen wir machen?«

    Diese Frage war keineswegs erstaunlich. Selbst der abgebrühteste Bandit vergriff sich nicht gern an einer Frau. Es galt im Westen als das schwerste Verbrechen, eine Frau zu töten. Es war noch schwerwiegender als ein Sheriff-Mord.

    Auch John hatte eine Weile überlegt.

    »Wir brauchen sie ja nicht umzubringen«, war das Ergebnis dieser Überlegung.

    »Vielleicht ist es besser, wir reiten weiter«, meinte der Hagere.

    »Dann verhungern wir. Unsere Munition ist alle. Wir haben kein Wasser mehr in den Flaschen, und seit zwei Tagen haben wir keinen Bissen mehr zwischen den Zähnen gehabt.«

    »Da hast du recht, John. Es geht nicht anders. Warte hier.« Dann band er sich sein Halstuch vor Mund und Nase und zog den Colt, in dessen Trommel keine Kugel mehr war.

    »Good luck!« zischte John hinter ihm her.

    Er hatte erbärmlichen Hunger.

    Mattie Warms hatte sich wieder an die Herdstelle gesetzt. Sie nahm eine Handarbeit vom Tisch, aber sie tat keinen Nadelstich.

    Die Tür stand offen, sie hatte sie absichtlich nicht geschlossen, um den heimkehrenden Wagen nicht überhören zu können.

    Da erschien in der Tür plötzlich ein Schatten, sie bemerkte ihn nicht, da sie in die glimmende Glut der Feuerstelle blickte.

    Tom Alagna ließ seine Augen durch den Raum gleiten. Ein grober Tisch, zwei Schemel, Schlafstellen und ein selbstgezimmerter Schrank! – das war alles.

    Hier werden wir kaum Dollars finden! fuhr es dem Verbrecher durch den Kopf. Dann trat er einen Schritt vor.

    »Bewegen Sie sich nicht, Ma’m, dann geschieht Ihnen auch nichts.«

    Die Frau erstarrte. Es fuhr ihr etwas über den Rücken wie die eisige Hand eines Toten. Langsam wandte sie den Kopf und blickte zur Tür.

    »Was wollen Sie?«

    Der Bandit trat näher.

    »Ich brauche Brot, Käse und Fleisch, Wasser, Patronen – und Dollars.«

    Mattie Warms erhob sich mechanisch.

    »Was ist mit der Postkutsche, mit meinem Mann?«

    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

    »Von der Overland, die hier nicht angekommen ist«, stammelte die Frau völlig verstört.

    Der Bandit wurde grob.

    »Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen zu unterhalten, Ma’m. Also los, tun Sie das, was ich Ihnen gesagt habe – oder…«

    Mattie Warms war keine ängstliche Frau, sonst hätte sie sich nicht damit einverstanden erklärt, in die Einsamkeit der Berge zu ziehen. Hier mußte sie auf alles verzichten, was anderen Frauen Selbstverständlichkeit war.

    Aber einer solchen Situation hatte sie bisher noch nicht gegenübergestanden.

    Was sollte sie tun?

    Vielleicht war es richtig, dem Mann zu geben, was er verlangte. Wenigstens Essen und Trinken. Sie glaubte, die Stimme ihres Mannes zu vernehmen, den Rat, den er ihr geben würde. »Tu, was er sagt, Mattie!«

    Aber die wenigen Dollars, die sie sich sauer erspart hatten, würde sie niemals hergeben. Das Geld sollte für ihre alten Tage sein, und bis dahin war es nicht mehr allzu weit.

    »Ich werde Ihnen Brot, Fleisch und Wasser geben.« Sie zwang sich bei diesen Worten zur Ruhe. »Das hätte ich Ihnen aber auch gegeben, wenn Sie ohne Revolver und Maske mein Haus betreten hätten.«

    »Und wie steht es mit den Dollars?« fragte Tom Alagna schnell.

    Die Frau hob die Schultern.

    »Wir haben kein Geld im Haus. Wir sind arm, der Lohn meines Mannes reicht gerade zum Leben.«

    Der Bandit blickte sie mit verkniffenen Augen an. Er sah sofort, daß sie log. Diese Frau konnte sich nicht verstellen.

    »Ich weiß, daß Sie Bucks im Hause haben, Ma’m. Versuchen Sie nicht, mich zu belügen.«

    »Woher wollen Sie das wissen?«

    Der Verbrecher lachte hämisch.

    »Weil Ihr Mann es mir gesagt hat.«

    Diese Worte trafen die Frau wie ein Keulenschlag.

    »Was sagen Sie da? Mein Mann?«

    »Yeah, Ihr Mann!« versetzte er rauh.

    »Wo haben Sie ihn gesehen?«

    »Sie werden ihn nie wiedersehen, wenn Sie nicht tun, was ich sage.«

    Mattie Warms ließ sich auf den Stuhl zurückfallen. Sie schlug beide Hände vors Gesicht. Ihre Schultern begannen zu beben. Eine Welt brach in ihr zusammen.

    »Ist er tot?« preßte sie hervor.

    »Noch nicht.«

    »Was soll ich tun?«

    »Das habe ich Ihnen bereits gesagt.«

    Die Frau nahm die Hände vom Gesicht. Sie straffte ihren gekrümmten Rücken und blickte zu Alagna hinüber.

    »Können Sie mir beweisen, daß mein Mann noch lebt?«

    Mit dieser Frage allerdings hatte der Bandit nicht gerechnet. Er konnte ihr ja schlecht die Wahrheit sagen. Er entschloß sich zu einer anderen Taktik.

    »Jetzt bin ich es leid!« brüllte er und war selbst erschrocken über die Lautstärke seiner Stimme. Etwas leiser fuhr er fort: »Geben Sie mir, was ich verlangt habe.«

    Mattie Warms sprang auf.

    »Ich werde Ihnen geben, was ich habe. Es ist nicht viel, aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie meinen Mann zurückschicken.«

    »Das werde ich. Also beeilen Sie sich, ich habe nicht viel Zeit.«

    Die Frau ging zum selbstgezimmerten Schrank. Ihr Mann hatte ihn aus rohen Brettern zusammengenagelt. Es war eine harte Arbeit gewesen, aber beide waren sie ganz stolz auf den Schrank.

    Sie öffnete die Tür und blickte hinein. Alles, was sie besaßen, befand sich in diesem Schrank.

    Und dann sah sie das zweiläufige Gewehr. Warms hatte es früher auf seinen Fahrten bei sich gehabt, und sie wußte, daß es geladen war. Gerry sorgte immer dafür, daß er eine geladene Waffe zur Hand hatte. Er kannte das gefährliche Leben im Westen. Selbst seiner Frau hatte er beigebracht, wie man mit einem Gewehr umging.

    Mattie wandte den Kopf und blickte zur Tür.

    Der Bandit hatte sich an den Pfosten gelehnt.

    »Nun machen Sie schon!« mahnte er ungeduldig.

    »Ja, ja«, sagte sie und sah wieder in den Schrank. Das Gewehr brannte in ihren Augen. Dann wanderte ihr Blick zum obersten Regal hinauf, zu der kleinen Holzschachtel, in der sie ihre Dollars aufbewahrten.

    Sie wußte genau, wieviel in diesem Kästchen war.

    Dreihundertsiebzehn Dollar.

    Für sie war es ein Vermögen. Schweiß und geschundene Hände hatten diesen kleinen Stapel zusammengetragen.

    »Wird es bald?« klang die harte Stimme des Banditen in ihrem Rücken.

    Die Frau fuhr zusammen.

    »Ich komme schon«, erwiderte sie. Dann nahm sie aus einem der unteren Fächer einen Brotleib und eine halbe Seite Speck. Sie trug beides zum Tisch und nahm ein großes Messer aus der Schublade.

    »Ich habe selbst ein Messer«, sagte der Bandit. »Lassen Sie es ruhig liegen.«

    »Aber es ist das letzte Brot, das ich im Hause habe. Die nächste Overland kommt erst in vier Tagen.«

    »Sie werden schon durchkommen«, erwiderte der Verbrecher gefühllos. »Und jetzt holen Sie das andere!«

    Mattie Warms warf ihm einen dunklen Blick zu, aber sie gehorchte.

    »Wasser können Sie sich draußen am Brunnen holen«, sagte sie, in der Hoffnung, daß der Bandit den Raum verlassen würde.

    Aber Tom Alagna blieb.

    »Das erledige ich später. Und jetzt kommen Sie endlich mit den Bucks raus, sonst hole ich sie mir selber.«

    In diesem Moment überfiel die Frau eine wilde Wut. Sie stürzte zum Schrank und riß das Gewehr an sich. Sie hatte nie geglaubt, daß sie es vermocht hätte, so schnell einen Hahn zu spannen.

    Wie ein Donnerschlag brüllte das schwere Gewehr durch den Raum.

    Aber der Mann, dem die Kugel gegolten hatte, war verschwunden. Die Türöffnung gähnte leer und schwarz.

    Mattie zitterte am ganzen Leib. Jetzt wird er Gerry töten! fuhr es ihr durch den Kopf. Sie lief hinaus in den Hof, die Waffe in der Hand.

    »Bleiben Sie! Ich gebe Ihnen alles. Sie können…«

    Die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Brutal wurde sie zurückgerissen und zu Boden geschleudert. Das Gewehr entfiel ihren Händen.

    »So weit kommt es noch«, hörte sie die höhnische Stimme des Mannes über sich. »Weiber, die auf Männer schießen! Das fehlt mir gerade noch. Los, stehen Sie auf!«

    Die Frau erhob sich nicht. Sie war völlig erschöpft.

    »Gerry«, flüsterte sie über bleiche Lippen. Dann überfiel sie eine tiefe Ohnmacht.

    Der Verbrecher beugte sich über sie. Der Lichtschein aus der Tür fiel auf ihr Gesicht. Er sah, daß sie ohnmächtig war.

    »Um so besser«, grinste er und hob das Gewehr auf. Dann ging er ins Haus.

    Er fand alles: die Dollars, die Patronen und sogar noch eine angebrochene Flasche Whisky. Alagna nahm eine Decke vom Lager und schlug die Sachen darin ein, auch das Brot und den Speck. Ehe er zu seinem Bruder ging, warf er noch einen Blick auf die Frau. Aber sie regte sich nicht.

    »Bist du es?« rief ihm John entgegen.

    »Wer sonst?« gab er heiser zurück.

    »Damned, als der Schuß fiel, habe ich gedacht, du wärst draufgegangen.«

    »So schnell geht das nicht. Aber jetzt komm hoch, ich helfe dir in den Sattel. Es ist besser, wenn wir hier verschwinden!«

    John ließ sich von seinem Bruder aufs Pferd helfen, aber die wichtigste Frage brannte ihm noch auf den Lippen.

    »Hast du wenigstens etwas zu Essen gefunden?«

    »Ich habe alles, was wir brauchen. Wir reiten noch eine Stunde und machen dann Rast.« Er hatte die Wolldecke mit der Beute am Sattelhorn befestigt. »Willst du einen Whisky?« fragte er und zog die Flasche hervor.

    Vor Jahren hatten sie den letzten Schluck Whisky getrunken.

    »Was hast du da gesagt? Whisky? Damned, ich glaube, ich kenne dieses Wort gar nicht mehr.«

    »Hier, trinke!« Tom reichte seinem Bruder die Flasche hinüber. Anschließend nahm auch er einen tiefen Schluck. »Jetzt sieht die Welt schon anders aus, was?«

    »Das kann man wohl sagen«, grunzte der andere zufrieden.

    Doch an ihrer Welt hatte sich noch nichts verändert, sie war so geblieben, wie sie vor Jahren war: grausam und verbrecherisch.

    *

    Gnadenlos brannte der Glutball der Sonne auf die Felswüste des Grand Canyon. Nur auf den Plateaus milderte der Wind die Hitze, aber in den Schluchten waberte sie wie kochendes Blei.

    Wie riesige Dome der Urzeit ragten die nackten Felsstürme aus dieser grandiosen Bergeinsamkeit in den ewig blauen Himmel Arizonas.

    Doc Holliday wußte nicht, welches Geräusch er im Unterbewußtsein zuerst empfunden hatte: das leise Stöhnen oder das heisere Krächzen. Aber die beiden Laute blieben und klammerten sich hartnäckig in seinem Gehirn fest.

    Aber nicht nur diese Töne brachten ihn ins Bewußtsein zurück. Er hatte das Empfinden, in einem Glutofen zu liegen. Seine Kehle war zugeschnürt und brannte. In allen Gliedern fühlte er dumpfe Schmerzen.

    Er versuchte, die Augen zu öffnen, doch es gelang ihm nicht; seine Lider schienen aus Blei zu sein.

    Dann vernahm er das häßliche Krächzen unmittelbar über seinem Kopf.

    Holliday versuchte, seinen Arm zu heben, aber es gelang ihm nicht; seine Hand war irgendwo eingeklemmt.

    Da gab er jede Anstrengung auf und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

    Was war geschehen? Wo hatte er sich zuletzt befunden? Cerbat tauchte auf, die kleine graue Stadt in den Bergen, der schmutzige Saloon, in dem er bis zum Morgengrauen auf einem Stuhl gesessen hatte, weil es kein freies Zimmer in der Stadt gab.

    Doch was hatte er da getan?

    Die Overland!

    Wie ein Blitz durchfuhr dieser Gedanke seinen schmerzenden Schädel. Dann kam die Erinnerung in rascher Folge: der Grand Canyon, die Banditen – und dann der Sturz über den Abhang.

    Der Georgier wurde plötzlich hellwach. Seine alte Zähigkeit kehrte zurück und ließ ihn seine Schmerzen überwinden.

    Und diesmal gelang es ihm, die Augen spaltweit zu öffnen.

    Das erste, was er erkannte, war die flimmernde gelbe Scheibe der Sonne.

    Doch dann bemerkte er das merkwürdige Profil eines häßlichen Schädels. Zunächst riesengroß gegen den blendenden Schein der Sonne, und dann, als er die Augen enger zusammenkniff, wußte er auf einmal, was für ein Wesen dort auf den Trümmern des Wagens kauerte.

    Ein Geier!

    Nackt war sein Hals und kahl der Schädel. Die dunklen Augen glühten ihn gierig an.

    Holliday bewegte den Kopf.

    Der Geier stieß einen schrillen Schrei aus, federte sich vom Wagen ab und flog mit schwerfälligem Flügelschlag davon.

    Er würde nicht weit fliegen; ganz sicher ließ er sich irgendwo in der Nähe nieder, um weiter zu warten. Das wußte Holliday. Aasgeier hatten unendlich viel Zeit.

    Jetzt erst blickte der Gambler sich in seiner näheren Umgebung um.

    Von der Overland war nur noch das festgefügte Gerippe geblieben. Sie hing auf einem schmalen Felsvorsprung, und wenn Holliday den Kopf wandte, dann konnte er in den gähnenden Abgrund blicken.

    Bei der geringsten ungeschickten Gewichtsverlagerung konnte der Kasten Übergewicht bekommen und in die Tiefe stürzen.

    O’Sullivan lag hinter ihm. Sein Gesicht konnte der Georgier nicht erkennen. Es schien kein Leben mehr in dem alten Mann zu sein.

    Der Trailboß lag genau am entgegengesetzten Teil des Wagens über einem Holm.

    Bob Wilmot hing über dem Abgrund!

    Sie befanden sich in einer entsetzlichen Lage.

    Nur der Körper des Alten und Holliday selbst hielten den Wagen noch im Gleichgewicht; der Georgier war die Zunge an der Waage. Wenn er jetzt wirklich versucht hätte, aufzuspringen und aus dem Gehäuse zu entkommen, wären die beiden anderen unweigerlich abgestürzt.

    Aber selbst wenn er das gewollt hätte – es wäre ihm nicht gelungen, denn seine rechte Hand war unter einer breiten Holzlatte eingeklemmt.

    Doch weiter in dieser gefährlichen Lage zu verharren, wäre Wahnsinn gewesen, denn von außen konnte ihnen hier unten keine Hilfe kommen.

    Der Georgier schob sich so weit nach hinten, wie es sein eingeklemmter Arm zuließ.

    Da ächzte es im Gerüst des Wagenkastens, ein angebrochener Holm hatte nachgegeben.

    Der Spieler hielt den Atem an.

    Es war der Holm, auf dem Bob Wilmot hing. Langsam senkte sich der leblose Körper des schweren Mannes und rutschte einige Handbreit nach vorn.

    Doch dann verfing er sich wieder und blieb mit baumelnden Armen hängen.

    Der Georgier hatte schon in vielen brenzligen Situationen gesteckt – und war immer wieder davongekommen. Seine eiskalte Ruhe war sicher nicht unmaßgeblich daran beteiligt, daß er noch lebte.

    Aber diesmal schien das Ende da zu sein.

    Wenn ich hier je lebend herauskomme, dann sollen diese beiden Schurken nichts mehr zu lachen haben, das schwor er sich – und wer den Mann aus Georgien kannte, der wußte, daß er diesen Schwur halten würde.

    Doc Holliday verscheuchte die Gedanken und konzentrierte sich auf die gefährliche Lage. Wenn er nur gewußt hätte, ob der Cowboy noch am Leben war! So sehr er aber auch seine Augen anstrengte, er konnte nicht bemerken, ob sich die Brust des Cowboys hob und senkte – oder ob sie reglos war.

    Wäre Bob Wilmot bei Besinnung gewesen, und hätte er vermocht, auf die schmale Felsplatte zurückzuklettern, dann wären sie zunächst gerettet gewesen.

    Zunächst. Wie es dann hätte weitergehen sollen, war auch noch mehr als ungewiß.

    Doch daran wollte Holliday jetzt noch nicht denken. Erst mußte er in Erfahrung bringen, was mit dem Mann da vorn los war.

    Da hörte er Stöhnen hinter sich. Er erinnerte sich dunkel, daß er diese Töne bei seinem Erwachen gehört hatte.

    Vorsichtig wandte er den Kopf. Jede Bewegung mußte er behutsam ausführen, um ihrer aller Lage nicht noch mehr zu gefährden.

    »Können Sie mich verstehen?« wollte er fragen, aber nur ein ganz heiseres Krächzen drang über seine Lippen.

    Er wiederholte die Worte. Diesmal kamen einigermaßen verständliche Laute über seine gesprungenen Lippen.

    Jetzt erhielt er auch Antwort.

    O’Sullivan war schon seit Stunden bei Besinnung. Ein rasender Schmerz in seinem Rücken hatte ihn aus der Ohnmacht gerissen. Er hatte schon versucht, sich zu erheben, aber der Schmerz war größer, fast unerträglich geworden.

    Ein nadelspitzes Stück Hartholz hatte sich in seinen Rücken gebohrt und hielt ihn am Boden fest.

    Glück im maßlosen Unglück.

    Hätte der alte Mann sich erheben können, dann wären sie unweigerlich abgestürzt, und auch er wäre noch mitgerissen worden.

    Und das war auch die größte Sorge, die Holliday jetzt hatte. Deshalb sagte er: »Bleiben Sie liegen und rühren Sie sich nicht, sonst sind wir alle verloren.«

    Wieder der gurgelnde Laut. Aber jetzt verständlicher: »Ich – halte – es nicht aus!«

    »Sie müssen es versuchen. Noch liegen wir fest und können nicht weiter abrutschen.«

    Diese Worte schienen den Alten etwas mehr zu sich zu bringen.

    »Sind wir denn – noch nicht auf der Sohle – der Schlucht?« Jetzt kamen die Worte deutlich und voller Angst über seine Lippen.

    »No, dann wären wir tot«, versetzte der Spieler rostig.

    »Wo – sind wir denn?«

    »Wir hängen auf einem vorspringenden Felsstück. Und jetzt reden Sie nicht mehr, Sie werden Ihre Kräfte noch brauchen.«

    »Well«, stöhnte der Alte, dann schwieg er.

    Also hatte noch einer den furchtbaren Sturz überlebt.

    Wäre doch der Rindermann nur bei Besinnung gewesen, er hätte sie alle retten können.

    Hätte er das wirklich?«

    Wäre es nicht besser gewesen, wenn die zertrümmerte Overland endgültig das Gleichgewicht verloren hätte und in die Tiefe gestürzt wäre?

    Doch der Georgier war ein Mann, dessen Kampfgeist in der Gefahr zu ungeahnter Größe heranwuchs.

    Es gab nur zwei Möglichkeiten, aus dieser Lage herauszukommen: Entweder der Trailboß kam zur Besinnung und kletterte zurück, oder Doc Holliday mußte versuchen, den Holm durchzuschießen, an dem Bob Wilmot hing. Das hätte allerdings das sichere Ende des Cowboys bedeutet. Aber der Georgier wußte jetzt schon, daß er das niemals tun würde. Lieber würde er selbst mit abstürzen.

    Zum Glück hatte er beim Sturz seine Revolver nicht verloren.

    Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Vielleicht konnte er den Trailboß mit einem Schuß wieder zu sich bringen – wenn der Mann überhaupt noch lebte Vorsichtig zog er mit der freien Hand den Colt und zielte sorgfältig auf den Stiefelabsatz des Rindermannes.

    Dann zog er den Abzugsbügel durch.

    *

    Gerry Warms hatte die ganze Nacht auf seinem schaukelnden und stoßenden Wagen verbracht, und erst am Morgen hatte er kehrtgemacht.

    Er hatte eingesehen, daß eine weitere Suche sinnlos war. Niedergeschlagen trat er den Rückweg an. Diesmal ließ er die beiden Braunen im Trab laufen. Es trieb ihn nach Hause. Plötzlich mußte er wieder an die Worte seiner Frau denken, an ihre unerklärliche Angst.

    Es war im Morgengrauen, als er die Stelle passierte, wo das Unglück geschehen war. Aber seinen von der anstrengenden Fahrt schmerzenden Augen entgingen die wenigen Holzsplitter, die auf dem felsigen Weg lagen.

    Und so fuhr er an den Verlorenen vorüber, der einzige Mann, der nach den Vermißten gesucht hatte.

    Erst als er Meilen entfernt war, hielt er plötzlich das Gespann an.

    War da nicht ein Schuß gefallen? Er lauschte angestrengt und mit geschlossenen Augen.

    Yeah, es war ein Schuß gewesen. In der Ebene hätte er ihn auf diese Entfernung nicht mehr vernehmen können. Aber die Schluchten des Grand Canyon warfen das Echo wie einen Ball von Felswand zu Felswand und trugen es so über viele Meilen durch die gigantische Erdspalte, die von ihren einstigen Herren, den Apachen, Teufelsfurche genannt worden war.

    »Ich kann mich auch getäuscht haben«, meinte er zu sich selbst. »Oder es war der Navajo?«

    Er und seine Frau kannten den einsamen Indianer. Er kam manchmal auf die Station und brachte ein erlegtes Stück Wild, um es gegen Munition einzutauschen. Sie sprachen immer nur wenige Worte miteinander.

    Warms durfte dem Roten keine Munition geben, das wußte er, aber wovon sollte der einsame Mann in der kargen Bergwelt leben? Und außerdem waren sie froh, wenn sie ab und zu Frischfleisch essen konnten.

    Der Stationshalter ließ die Pferde wieder antraben.

    Das Verschwinden der Overland blieb ihm ein Rätsel, und auf dieses Rätsel gab es nur eine Lösung: Sie mußte irgendwo in die Tiefe gestürzt sein.

    Hätte Warms nicht die ganze Nacht bei Fackelschein seine Augen bis aufs Äußerste angestrengt, dann hätte er die Splitter vorhin auf dem Engpaß des Schluchtweges bemerkt. Dann hätte er zwar Gewißheit gehabt, aber was hätte das an dem Schicksal der Verunglückten geändert?

    Nichts.

    Kein Mensch wäre in die Schlucht hinabgestiegen, um für ein sinnloses Rettungsunternehmen sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.

    *

    Die Sonne stand im Scheitelpunkt ihrer Reise, als Gerry Warms die Station erreichte. Er bog in den Hof ein – und sah seine Frau am Boden liegen.

    Mit einem Satz war er vom Wagen und kniete neben Mattie nieder.

    Bleich und hager lag die Frau da. Sie sah aus wie eine Tote.

    »Nein!« schrie Warms verzweifelt und rüttelte sie an der Schulter.

    Aber die Ohnmacht war so tief und der Schock so schwer, daß die unglückliche Frau nicht zu sich kommen konnte.

    Hastig öffnete Warms ihr die Kleider und suchte nach einer Wunde. Erst als er keine Verletzung fand, wurde er etwas ruhiger. Er beugte sich über sie und legte sein Ohr auf ihr Herz. Leise, aber doch vernehmlich, spürte er den Herzschlag.

    »Sie lebt«, stammelte der hilflose Mann und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.

    Behutsam nahm er sie auf den Arm und trug sie ins Haus. Dort legte er sie aufs Lager.

    Noch hatte Warms den offenen Schrank nicht gesehen. Er hatte in seiner Aufregung auch das Gewehr im Hof nicht bemerkt.

    Erst als er an den selbstgezimmerten Schrank trat, um Whisky zu holen, sah er, was geschehen war.

    Sein erster Griff war ins obere Fach.

    Die kleine Holzkiste war verschwunden!

    Gerry Warms trat der Schweiß auf die Stirn. Er wühlte den ganzen Schrank durch.

    Die Dollars waren nicht mehr zu finden.

    Kraftlos stützte der Mann sich an die Schranktür. Was sollte nun geschehen? Sie besaßen kein Land und keine Kinder. Kein Mensch würde ihnen ein Stück Brot geben, wenn er einmal nicht mehr arbeiten konnte.

    Wer mochte das getan haben? Ausgerechnet ihm, einem der Ärmsten, mußte man das Letzte nehmen.

    Warms wandte sich nach seiner Frau um. Was mochte sie gelitten haben? Dann erinnerte er sich an den Whisky.

    Und da entdeckte er, daß nichts, aber auch gar nichts mehr von dem im Schrank war, was sie zum Leben brauchten. Kein Brot, kein Fleisch, keine Bohnen, kein Käse, kein Mehl.

    Das waren die Vorräte für die nächsten vier Wochen gewesen. Die Overland brachte sie in regelmäßigen Abständen aus Cerbat mit herauf.

    Gerry Warms erinnerte sich an die Flasche, die seine Frau ihm mitgegeben hatte. Er ging hinaus, um sie zu holen.

    Da sah er das Gewehr im Staub liegen. Er untersuchte es; ein Schuß war daraus abgegeben worden.

    »Also hat sie sich verteidigt«, murmelte er. Das hätte er seiner Frau nie zugetraut. Er hatte ihr zwar das Schießen notdürftig beigebracht, aber nie geglaubt, daß sie den Mut haben würde, im Notfall zur Waffe zu greifen.

    Warms nahm die Flasche vom Wagen und ging ins Haus. Auf dem schmalen Rand des Lagers ließ er sich nieder, dann flößte er seiner Frau Whisky ein.

    Mattie begann zu husten. Das scharfe Getränk brannte ihr in der Kehle und brachte sie wieder zu sich. Aber es dauerte eine Weile, bevor sie die Augen aufschlug.

    »Bist du zurück, Gerry?« sagte sie tonlos.

    Sie entsinnt sich nicht, dachte er.

    Aber es sollte nur eine kurze Minute dauern, da erinnerte sich Mattie wieder an alles. In ihre Augen traten Entsetzen und Hoffnungslosigkeit.

    »Weißt du es – schon?«

    Warms nickte betrübt.

    »Yeah.«

    »Ich konnte es nicht verhindern.«

    Das Gesicht des Mannes wurde hart »Natürlich, Mattie. Sag mir, wer es war.«

    Die Frau erhob sich und setzte sich auf die Bettkante. Der ungewohnte Whisky hatte ihr wieder Farbe gegeben.

    »Er stand dort plötzlich an der Tür.«

    »Wer?«

    Mattie hob die Schultern.

    »Ich habe ihn vorher nie gesehen. Er trug eine Maske.«

    »War er allein?«

    Sie nickte. Doch plötzlich fiel ihr wieder ein, was der Bandit gesagt hatte.

    »Aber du mußt ihn doch kennen. Du hast ihn doch geschickt.«

    Warms blickte seine Frau an, als zweifle er an ihrem Verstand.

    »Ich soll ihn geschickt haben?«

    »Aber das sagte er…« Und dann erzählte sie ihrem Mann, was geschehen war.

    Gerry Warms hatte sich erhoben und lief mit stampfenden Schritten um den Tisch herum.

    Nein, seiner Frau konnte er keinen Vorwurf machen, er allerdings wäre auf den alten Banditentrick nicht hereingefallen.

    »Sag endlich etwas«, bat sie.

    »Was soll ich sagen, Mattie? Ich bin auf meiner Fahrt keinem Menschen begegnet.«

    Da schlug sie beide Hände vors Gesicht und schluchzte.

    »Mein Gott«, stieß sie hervor. »Dann hätte ich ihm unser Geld gar nicht zu geben brauchen.«

    Warms blieb vor ihr stehen.

    »Hör auf zu heulen, Frau, davon wird es auch nicht besser.«

    »Was tun wir jetzt?«

    »Arbeiten!« erwiderte der Mann rauh.

    »Hätte ich doch bloß nicht…«, jammerte die Frau.

    Der Mann schnitt ihr die Rede ab.

    »Ich will dir einmal etwas sagen, Mattie. Du hättest ihm das Geld sofort geben sollen. Was wäre, wenn er zurückgeschossen hätte? Ich muß diesem Banditen sogar noch dankbar sein.«

    Wer wußte, was geschehen wäre, wenn Tom Alagna eine Kugel in seinem Revolver gehabt hätte? Er hatte wohl nicht die Absicht gehabt, auf die Frau zu schießen, aber nachdem sie ihm mit der Waffe in der Hand gegenübergetreten war, hätte er wohl auch geschossen.

    »Wer mag das nur gewesen sein?« rätselte die Frau. »Wir haben doch niemandem etwas getan.«

    »Bist du nicht lange genug im Westen, um zu wissen, daß man dafür niemandem etwas getan haben muß?« erwiderte er und nahm seine Wanderung wieder auf.

    Da schien ihm ein Einfall zu kommen.

    »Vielleicht hat er die Overland überfallen?«

    Die Frau blickte auf.

    »Ich habe dich noch gar nicht gefragt; hast du sie gefunden?«

    »Nichts, keine Spur!«

    »Wie schrecklich.«

    Warms strich mit der Hand über die Stirn. Er konnte nichts tun, noch nicht einmal zur nächsten Station reiten. Ein zweites Mal durfte er seine Frau nicht allein lassen.

    Nein, er konnte nicht weg. Vielleicht hielt der Bandit sich noch in der Nähe auf.

    In diesem Moment erklang vom Hof her der Hufschlag eines Pferdes.

    Warms fuhr herum und riß den Colt aus dem Halfter.

    »Los, stell dich hinter den Schrank und rühr dich nicht!« zischte er seiner Frau zu. Dann ließ er sich auf den Boden nieder und robbte zum offenstehenden Eingang. Vorsichtig schob er den Kopf vor, um hinaussehen zu können.

    Das erste, was er sah, waren die Hufe eines Pferdes unmittelbar vor der Tür, dann hob er langsam den Blick.

    *

    Der Schuß gellte in den Ohren der beiden Männer. Ein Toter hätte davon erwachen müssen. Die Kugel durchschlug Wilmots Stiefelabsatz. Das Bein wurde hochgeschleudert und pendelte hin und her, bis es wieder zur Ruhe kam.

    Der angebrochene Holm ächzte bedenklich.

    »Was machen Sie denn?« stammelte der Alte.

    Damned, ich habe vergessen, ihn zu warnen! dachte Holliday.

    »Verhalten Sie sich ruhig. Ich muß Wilmot wecken. Das heißt, wenn er überhaupt…«

    »Noch lebt«, murmelte der Alte niedergeschlagen.

    Der Georgier beobachtete den Rindermann scharf. Es war eine scheußliche Lage, in der Wilmot hing. Selbst wenn noch Leben in ihm sein sollte, so mußten ihm doch alle Glieder abgestorben sein. Er hing auf dem Holm wie ein Wäschestück über der Leine.

    Dann sah Holliday, daß der Mann noch lebte, es sah aus, als wolle Wilmot den Kopf heben.

    Der Georgier reagierte sofort.

    »Ich werde noch einmal schießen«, warnte er den Alten und drückte ab.

    Diesmal zielte er so, daß die Kugel nah am Kopf des Mannes vorüberflog. Wenn der Trailboß auch nur halbwegs bei Besinnung war, mußte er den scharfen Luftzug des Geschosses spüren.

    Doc Holliday hatte sich nicht verrechnet.

    Der erste Schuß war nur wattig an das Ohr des Cowboys gedrungen. Er hatte im dämmernden Unterbewußtsein versucht, den Kopf zu heben, wollte dann aber wieder in taube Besinnungslosigkeit zurückfallen.

    Der zweite Schuß riß ihn wieder hoch.

    Er öffnete die blutunterlaufenen Augen und konnte im ersten Moment nichts erkennen. Doch dann klärte sich langsam das Bild unter ihm.

    Er sah eine Felsmauer von gähnender Tiefe und unten das silberne Band eines Flusses.

    Dann klang eine Stimme an sein Ohr.

    »Halten Sie jetzt die Augen offen, Wilmot, es geht um Ihr Leben. Versuchen Sie tief zu atmen. Sie müssen bei Besinnung bleiben. Hören Sie mich, Wilmot?« Holliday hatte den Namen gehört, als sich die beiden Männer auf der Fahrt unterhalten hatten.

    Der Rindermann hatte die Worte nicht alle verstehen können, aber ihren Sinn begriff er. Es ging um sein Leben, hatte der Mann gerufen, das war in seinem Bewußtsein hängengeblieben.

    Wo er sich befand und was geschehen war, wußte er noch nicht. Er gab sich auch keine Mühe, denn er mußte seine letzte Kraft aufwenden, um nicht wieder ins Dunkel zurückzusinken.

    Holliday tat alles, um den Mann wachzuhalten. Es war ihm ganz klar, was davon für sie alle im Moment abhing.

    »Wilmot, versuchen Sie, Ihre Arme zu bewegen, aber vorsichtig. Zuerst die Finger und dann ein Gelenk nach dem anderen.«

    Der Trailboß wandte langsam den Kopf nach dem Mann hinüber, der mit ihm sprach. Er brauchte fast eine halbe Minute zu dieser Bewegung. Sein Genick war taub und wie abgestorben, aber er schaffte es doch.

    Dann sah er die Trümmer der Overland und die beiden Männer auf der schmalen Felsplatte. Dieser Anblick gab dem harten Mann einen Teil seiner Lebenskraft wieder. Er brachte es sogar fertig, zu sprechen.

    »Was ist geschehen? Wo sind wir?«

    Holliday hielt den Mann mit einem Gespräch fest. Nur so konnte er ihn wach halten.

    »Erinnern Sie sich an die Banditen?«

    »Yeah, jetzt erinnere ich mich wieder. Wir sind in den Abgrund gestürzt.« Und dann blickte er in diesen Abgrund.

    Bob Wilmot war ein Mann, der über Bärenkräfte verfügte. Man sagte von ihm, daß er einen Longhornstier mit bloßen Händen an den Boden zwingen konnte. Die rohesten Burschen in seiner Crew wagten nicht, ihm zu widersprechen. Er war ein Mann, der keine Furcht gekannt hatte. Doch als er jetzt bewußt in den gähnenden Abgrund blickte, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. In einer Reflexbewegung zuckte er zusammen.

    »Verhalten Sie sich ruhig«, hallte es vom Felsen herüber.

    Und wie zur Bestätigung knisterte der gebrochene Holm.

    Doc Holliday mußte dem Mann die Wahrheit sagen, bevor er eine Unvorsichtigkeit beging.

    »Sie müssen sich so lange ruhig verhalten, bis Sie sich in der Lage befinden, daß Sie zu uns herüberkommen können. Die Stange, auf der Sie hängen, ist angebrochen.«

    Dem Trailboß lief beißender Schweiß in die Augen; der Abgrund unter ihm zerfloß zu einem verschwommenen Bild.

    »Weshalb helfen Sie mir nicht? Reißen Sie doch eine Latte aus dem Kasten, und reichen Sie das Holz herüber.«

    »Wenn sich einer von uns beiden erhebt, kippt die Kutsche über und stürzt in den Abgrund.«

    Wilmot wandte wieder den Kopf zu Holliday hinüber. Er konnte zwar alles nur verschwommen sehen, aber jetzt erkannte auch er die Gefahr.

    »Sie haben recht«, ächzte er. »Warten Sie, ich werde es versuchen.« Dann begann er damit, seine Finger zu bewegen. Sie waren dick von angestautem Blut. Aber nach und nach gelang es ihm, sie und auch die anderen Glieder zu bewegen.

    Holliday sah die Anstrengung des Mannes; er mußte ihn im stillen bewundern. Wie viele andere Männer hätten in dieser Lage aufgegeben.

    Fast eine halbe Stunde war vergangen.

    Die Sonne neigte sich den gegenüberliegenden Hängen des Canyons zu, aber ihre Strahlen waren immer noch von verheerender Glut.

    Das Geierpaar saß kaum fünfzig Yards entfernt reglos auf einem kahlen Felsen. Wie aus Erz gegossen saßen sie da im rötlichen Licht der sinkenden Sonne.

    Es wird Zeit, dachte der Georgier. Brach die Dunkelheit erst herein, dann mußte Wilmot die ganze Nacht auf dem Holm verbringen.

    Der Trailboß schien den gleichen Gedanken zu haben.

    »Ich glaube, ich kann es jetzt versuchen.«

    »Was machen die Hände?«

    »Schlecht, aber es muß gehen.«

    Nach einer kleinen Pause meinte der Gambler: »Denken Sie daran, daß ich Ihnen erst helfen kann, wenn Sie den Fels erreicht haben.«

    Wilmot nickte mit hängendem Kopf.

    »Bleiben Sie, wo Sie sind, sonst sind wir alle zum Teufel!«

    Dann begann die ungeheuerlich anstrengende Arbeit für den entkräfteten Mann.

    Zuerst versuchte er mit der linken Hand die Bruchstelle der Spante zu erreichen. Er fühlte das aufgesplitterte Holz und packte so fest zu, wie er konnte. Dann zog er sich langsam, millimeterweise vor.

    Aber das Holz ächzte, er spürte, wie sich die Splitter in seine Hand bohrten.

    Doch Wilmot gab nicht nach. Seine Faust umklammerte die Bruchstelle wie ein Eisenring. Er wußte, daß es um sein Leben ging.

    Immer weiter schob sich sein Körper der Bruchstelle zu. Fingerdick traten ihm die Adern an der Schläfe hervor. Das Blut hämmerte wie rasend in seinem Kopf. Er wollte schon aufgeben, die Anstrengung war zu groß, aber da fiel sein Blick wieder in die Tiefe, in der es schon zu dunkeln begann.

    Dieser Anblick verlieh Wilmot wieder neue Kräfte.

    Doc Holliday hatte das Zögern des Rindermannes bemerkt.

    »Geben Sie nicht auf, Wilmot. Sie werden es schaffen.« Der Spieler war nicht sehr überzeugt von seinen Worten, aber er mußte den Mann anfeuern.

    Weshalb mußte er das eigentlich? ging es ihm durch den Kopf. Wenn Wilmot es wirklich schaffte, was erwartete ihn dann? Vielleicht ein noch qualvolleres Sterben.

    Aber er sprach dem Mann weiter Mut zu.

    »Sie müssen es schaffen, bevor die Sonne sinkt, Wilmot.«

    Der Trailboß war wieder zu Atem gekommen.

    »Also gut«, sagte er

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