Dorian Hunter 59 – Daemon Mechanicus
Von Uwe Voehl und Christian Montillon
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Über dieses E-Book
Der 59. Band der legendären Serie um den "Dämonenkiller" Dorian Hunter. - "Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ›Dorian Hunter‹ und sein Spin-Off ›Das Haus Zamis‹ vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction." Kai Meyer
enthält die Romane:
235: "Der siebenteilige Tod"
236: "Dämonennächte"
237: "Daemon Mechanicus"
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Dorian Hunter 59 – Daemon Mechanicus - Uwe Voehl
Daemon Mechanicus
Band 59
Daemon Mechanicus
von Peter Morlar, Logan Dee und Jo Zybell
© Zaubermond Verlag 2014
© Dorian Hunter – Dämonenkiller
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur
http://www.zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Was bisher geschah:
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor.
Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen, auf die de Conde es abgesehen hatte, blieben ungeschoren. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Zwar plante Asmodi I. noch, seinen Geist in einen anderen Körper zu retten, doch der Versuch schlug fehl. Zersplittert in Körper, Geist und Sonnengeflecht überdauerte der ehemalige Fürst die Zeiten, bevor Lucinda Kranich, die Nachfolgerin Skarabäus Toths als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Dreifaltigkeit Asmodis wieder zusammenfügte und ihn zu neuem Leben erweckt.
Seitdem hat sich der neue, alte Fürst der Finsternis aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Aber für Dorian Hunter gibt es keinen Zweifel, dass Asmodi bald wieder von sich hören lassen wird. Die erste Spur führt zu dem Dämon Baal, mit dem er einen Pakt schließt: Baal lässt Dorian gehen, wenn dieser dafür Asmodi bekämpft. Der Dämonenkiller geht darauf ein und setzt die Suche in Bandar Abbas fort, wo er mit einer Seuche konfrontiert wird, die der Dämon Ahriman ausgelöst hat. Dorian erhält Unterstützung von George Morales, einem Mann mit ganz eigenen Zielen und ganz eigenen Methoden ...
Erstes Buch: Der siebenteilige Tod
Der siebenteilige Tod
von Jo Zybell
1. Kapitel
Ein Sattelschlepper näherte sich aus Richtung des Hafens, ein Viehtransporter. Er stoppte vor einem Rollgittertor. Rinder blökten auf der Ladefläche. Aus dem Inneren der Schlachthäuser hörte man Männergebrüll und das jämmerliche Geschrei von Schafen und Lämmern, die zur Schlachtbank geführt wurden.
Schräg gegenüber, in der Parkanlage der Koranschule, spielten Halbwüchsige Fußball. Vom Khomeini Boulevard her rollte ein mit Dreck beladener Ochsenkarren heran. Auf der Höhe der Schule hielt er an. Zwei Männer stiegen vom Kutschbock, bärtig und mit schmutzig grauen Turbanen bedeckt. Sie zogen zwei lange Haken vom Kutschbock, gingen zum Kanalisationsdeckel in der Mitte der Straße und hievten ihn mit den Haken von der Schachtöffnung. Niemand beachtete sie.
Die Burschen im Schulpark schrien auf – ein Tor war gefallen. Vor dem Schlachthoftor stand mit laufendem Motor der Viehwagen. Seine Presslufthupe tönte über Dächer, Straße und Park, zweimal, dreimal, viermal. Die Fußballer äugten zu dem Truck hinüber. Endlich bewegte sich das Rolltor. Ein paar Straßen weiter, schon ziemlich nahe am Hafen, begann auf dem Minarett einer Moschee ein Muezzin zu singen. Zeit für das Mittagsgebet.
Die beiden Ochsenkarrenfahrer legten den Kanaldeckel ab und hoben den Sinkkasten aus der Fassung. Er war voller feuchtem Laub und Abfall. Der jüngere der beiden Turbanträger ließ seinen Haken fallen, packte den Kasten und schleppte ihn zum Ochsenkarren, um ihn zu leeren. Der andere fingerte eine Zigarette aus der Brusttasche seiner Jacke.
Im Park vor der Schule rangelten die Jungen um den Ball. In der offenen Tür der Koranschule stand der Imam und schrie sich die Kehle heiser, um die Fußballer zur Gebetszeit in die Schule zu rufen. Der Beifahrer des Viehtrucks, ein dürres Männchen in ehemals weißem Muskelshirt und mit grüner Baseballkappe, stand vor dem Rolltor; nachdem es sich zu nur einem Drittel geöffnet hatte, rührte es sich nun nicht mehr. Zwei Männer traten aus dem Schlachthaus und eilten zum Tor. Beide trugen blutige Plastikschürzen, einer hielt einen Werkzeugkasten in der Rechten. Der Fahrer steckte den Kopf aus dem offenen Fenster und stieß Verwünschungen aus, weil das Rolltor klemmte.
Neben dem Ochsenkarren breitete einer der beiden Kutscher eine Gebetsdecke auf dem Bürgersteig aus. Der andere bückte sich vor dem offenen Kanalschacht nach einem Schlüssel, der ihm aus der Tasche gerutscht war, als er nach dem Feuerzeug kramte. Eine Hand erschien am Rand des Kanalschachts, oder nein, eine schlammige, von Geschwüren bedeckte Klaue – sie griff nach dem Unterarm des Turbanträgers und zerrte ihn in die Öffnung des Kanalschachts. Der Mann stürzte, sein Schrei verhallte rasch.
Sein Kollege auf dem Gebetsteppich fuhr hoch. Sekunden lang kniete er reglos und starrte auf den leeren Asphalt neben der Schachtöffnung; bis er aufsprang. Er schrie so durchdringend und gestikulierte so wild, dass die Männer am Tor vor dem Viehtransporter aufmerksam wurden. Der Beifahrer und einer der Metzger liefen herbei. Der Fahrer des Trucks, ein junger, drahtiger Bursche in abgeschnittenen Jeans und mit nacktem Oberkörper, stieg aus dem Fahrerhaus und folgte den anderen. Auch drei oder vier Halbwüchsige aus dem Park der Koranschule liefen herbei.
Sie alle versammelten sich um den offenen Kanalschacht, beugten sich hinunter, hörten sich die Schilderung des Ochsenkarrenkutschers an oder riefen nach dem Abgestürzten. Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe, alle deuteten in die Tiefe. Einige gingen in die Knie und streckten ihre Hände in den Schacht. Sie zogen den Abgestürzten herauf, der sich auf den Asphalt kauerte und seltsam teilnahmslos vor sich hin stierte. Alle redeten auf ihn ein.
Der Fahrer des Trucks holte eine Stablampe aus seinem Lastwagen und leuchtete in den Kanal. Der Metzger deutete erschrocken auf die Stirn des Geretteten. Dort wölbte sich eine blutige Beule. Sie platzte und ein Schwall Blut und Eiter ergoss sich über den Bedauernswerten. Jetzt war es der Beifahrer des Viehtransporters, der zum Truck rannte, um den Verbandskasten zu holen. Noch immer lief der schwere Motor.
Von jetzt auf nun sprangen die Männer voller Entsetzen vom geöffneten Kanalschacht zurück. Bis auf einen: den Fahrer des Viehtransporters. Der lag auf der Straße, wand sich und schlug mit der Stablampe nach einer schwarzen Klaue, die aus dem Schacht nach seinem Unterschenkel griff. Sie hielt das Bein des Mannes fest und zerrte ihn Zentimeter um Zentimeter in den Kanalschacht hinein. Bis zur Hüfte schon war er darin verschwunden, gab es nun auf, mit der Lampe nach der Klaue zu schlagen, klammerte sich stattdessen lieber am schweren Kanaldeckel fest. Doch auch der rutschte schon der Öffnung entgegen.
Der junge Bursche brüllte panisch, warf seinen nackten Oberkörper hin und her und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Die Männer um ihn herum gestikulierten wild, wagten sich aber nicht näher als bis auf einen Schritt an den Truckfahrer heran. Endlich kam dessen Beifahrer zurück, sah, was geschah, ließ den Verbandskasten fallen und griff zu. Er packte seinen Gefährten an den Handgelenken, zog und zerrte und forderte die anderen auf, ihm zu helfen. Zwei junge Koranschüler fassten sich ein Herz, stießen Gebetsrufe aus und packten mit an.
In diesem Augenblick riss der Ochsenkarrenfahrer, den die Männer aus dem Schacht gezogen hatten, den Mund weit auf. Ein Schwall Blut ergoss sich über Brust und Hosenbeine. Die Lippen waren geschwollen, Geschwüre bedeckten nun auch den Hals und die Hände. Er stemmte sich hoch, starrte seine Retter aus rollenden Augäpfeln an und knurrte wie ein scharfer Hund. Die Männer verstummten, denn der Schreck fuhr ihnen erneut in die Knochen.
Dann ging alles sehr schnell: Der Beifahrer schrie auf und lag unverhofft neben seiner grünen Baseballkappe und den beiden Koranschülern rücklings auf der Straße. Halb über ihm hing sein Fahrer – endlich war er frei. Doch statt sich zu freuen, blickte er brüllend über die Schulter hinter sich auf seine Beine: Sein linker Unterschenkel fehlte. Schwallartig sprudelte das Blut aus dem leeren Hosenbein. Die beiden Koranschüler knieten wie festgefroren. Einem wurde der Schritt seiner Hose feucht.
Der gerettete Ochsenkarrenfahrer aber stürzte sich auf seinen Kollegen und den Metzger. Er riss beide um, drückte einem den Hals zu und schlug dem anderen die Zähne in die Wangen. Als er Sekunden später von den Männern abließ, sprangen sie blutend auf und flüchteten zum Schlachthaustor: der Beifahrer des Viehtransporters, die Koranschüler, der Metzger. Der von Geschwüren übersäte Ochsenkarrenkutscher verfolgte sie knurrend.
Zuletzt stemmte sich der Truckfahrer hoch. Schwielige Beulen und offene Wunden bedeckten den nackten Oberkörper. Auf einem Bein hüpfte er quer über die Straße zum Truck und zum Schlachthaustor. Er zog eine Blutspur hinter sich her.
George Morales steuerte seinen Mercedes von Westen her in die Innenstadt. Er fuhr nicht schnell, warum auch? Niemand verfolgte sie, und sie verfolgten niemanden. Außerdem wollte er nicht auffallen. Also fuhr er ganz gemütlich, als käme er vom Picknick am Strand und nicht aus einem mörderischen Kampf mit den dämonischen Mächten der Schwarzen Familie. Die erste größere Schlacht war geschlagen.
»Glückwunsch, Hunter!«, wandte er sich an den schnurrbärtigen Mann auf dem Beifahrersitz. »Sie haben eine verdammt gute Figur gemacht, alle Achtung!« Über die Schulter spähte er zur Rückbank, wo Coco Zamis saß. »Und Sie erst, Ma'am! Ich bin schwer beeindruckt!«
Dorian dachte über eine bissige Antwort nach, doch Coco war schneller. »Sparen Sie sich den Atem, Morales.« Sie hatte die Beine auf die Rückbank gezogen. Aufmerksam beobachtete sie die Fahrzeuge hinter ihnen. »Sie werden ihn noch brauchen. Ich fürchte, das war nur die erste Schlacht in einem Krieg, in den uns jemand hineinziehen will.«
»Eine Schlacht, die eine Menge verbrannter Erde hinterlässt.« Dorian Hunter fingerte eine Players aus der Schachtel, die dritte schon, seit sie die Seuchenklinik im Außenstadtbereich verlassen hatten. »Dieser dämonische Schlächter hat gewütet wie ein tollwütiger Höllenhund.«
»Was heißt hier hineinziehen will?« Morales kantige Züge wurden hart. »Sie sind schon mittendrin, schätze ich.« Er kippte den Rückspiegel ein wenig, sodass er die ehemalige Hexe beobachten konnte. »Ich könnte sie natürlich sofort zum Airport fahren, wenn sie keine Lust auf weitere Schlachten haben.« Genüsslich betrachtete er ihre kleine Gestalt, den üppigen Busen und die festen Schenkel, die der weit nach oben gerutschte schwarze Rock entblößte. »Ich persönlich hätte schon noch Lust.«
Lust, dachte Dorian. Pass bloß auf, Morales!
Coco antwortete nicht, beachtete den ehemaligen Agenten nicht einmal.
»Reden Sie keinen Unsinn, Morales!«, blaffte der Dämonenkiller. »Wir fahren zum Hotel. Und dort besprechen wir in Ruhe, wie wir weitermachen. Don und Phillip sollten dabei sein.«
»Jetzt machen Sie mich aber glücklich, Hunter.« Morales stellte den Rückspiegel wieder so ein, dass er den rückwärtigen Verkehr beobachten konnte. »Ich hätte ungern auf die weitere Unterstützung unserer schönen Begleiterin verzichtet.« Er stoppte vor einer roten Ampel.
»Manchmal langweilen Sie mich, wissen Sie das?« Dorian zündete seine Zigarette an, steckte das Feuerzeug weg und stellte die Beine auf den Flammenwerfer, den Morales in der ersten Hektik des Aufbruchs in den Fußraum des Wagens gestellt hatte. Auch die beiden Berettas mit den leeren Magazinen lagen dort, achtlos, als wären sie nur Spielzeug. »Es gibt keinen Weg zurück.« Seine Stimme klang leise und heiser. »Das, was wir da eben in diesem Seuchenkrankenhaus erleben mussten, kann nur das Werk eines mächtigen Dämons sein. Wir sind Jäger. Wir müssen weitermachen.«
Ich bin Jäger, fügte er in Gedanken hinzu. Ich muss weitermachen.
Er musste, ja, das war die Wahrheit. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte er an Lilian, seine geliebte Frau, die ihm die Dämonen genommen hatten, und er dachte daran, dass er erst wieder laut lachen würde, wenn er die Schwarze Familie vollständig vernichtet hatte. Doch wie tief mochte er selbst mit seinen vielen Leben verstrickt sein in ihre Mächte und Machenschaften? Er war sicher, das volle Ausmaß noch lange nicht erkannt zu haben. Er schob die Frage zur Seite und saugte den Rauch tief in die Lungen.
»Ein mächtiger Dämon«, sagte Coco nachdenklich aus dem Fond der Limousine. »Der Herr der 999 Krankheiten?«
»Vielleicht.« Dorian Hunter blies den Rauch gegen die Frontscheibe. »Wir werden es herausfinden.«
»Wer sonst außer Ahriman sollte es sein?« Die ehemalige Hexe ballte die Hände zu Fäusten. »Diese Stadt ist sein Herrschaftsbereich und das alles ist seine Handschrift! Diese entstellten und zu Mordmaschinen mutierten Menschen … es ist widerwärtig!«
Morales feixte. »Ich hätte Sie für abgebrühter gehalten, Ma'am.« Die Ampel sprang auf Grün. Morales fuhr an und bog in den Taleqani Boulevard ein. Links weitete sich jetzt das Meer. Die Mittagssonne funkelte auf den Wogen. »Wenn ich an die unangenehmen Stunden denke, die hinter uns liegen und an den … emotionalen Ausbruch ihres mädchenhaften Begleiters, dann vermute ich ebenfalls, dass wir es mit Ahriman zu tun haben. Das heißt aber, wir werden den Spuren seiner Handschrift folgen müssen. Und da kommt noch der eine oder andere unschöne Anblick auf uns zu, fürchte ich.«
»Danke für die Ansprache«, flötete Coco Zamis spitz. »Bin sehr ermutigt, echt.«
»Ich kann gerne weitermachen, wenn Sie wollen. Ich habe nämlich auch schon so manche der Blutspuren gesehen, die unsere gemeinsamen Freunde, die Dämonen, durch die Weltgeschichte zu ziehen pflegen …«
»Können Sie zur Abwechslung auch mal die Luft anhalten?« Dorian Hunter warf seine Zigarettenkippe aus dem Fenster. »Und vielleicht ein bisschen schneller fahren? Ich sehne mich nach unserem Hotelzimmer und nach einer kalten Dusche.«
George Morales schwieg beleidigt. Schneller fuhr er nicht. Dorian aber dachte an Phillip Hayward. Er war Zeuge dessen gewesen, was Morales emotionalen Ausbruch genannt hatte – einer der typischen Trancezustände des Hermaphroditen. Häufig lieferte er währenddessen wertvolle Hinweise. Während jenem, auf den der Ex-Secret-Service-Mann angespielt hatte, hatte er den Namen Ahriman und andere Bezeichnungen gestammelt. Baal und Coyote, Namen, die beinahe auch Dorian in eine Art Trance gestürzt hatten – in Erinnerungsfetzen aus einer seiner anderen Existenzen. Missmutig fischte der Dämonenkiller die nächste Zigarette aus der Schachtel.
»Genug jetzt!« Von hinten griff ihm Coco über die Schulter und nahm ihm die Zigarette weg. »Du bist nicht der Einzige in diesem Wagen, dem die Nerven flattern. Ich krieg schon kaum noch Luft hier hinten von all dem Dampf!«
Kommentarlos lehnte sich Dorian Hunter zurück. Sie hatte ja recht. Er senkte das Fenster vollständig ab und hing seinen Gedanken nach. Eine Zeit lang sprach keiner ein Wort. Jeder versuchte zu verarbeiten, was er erlebt hatte. Sie näherten sich dem Hotel. Morales fluchte, weil ihm ein Taxi die Vorfahrt nahm.
»Eines müssen Sie mir noch erklären, Morales«, sagte Dorian. »Was genau meinten Sie vorhin, als Sie behaupteten, dieser als Mediziner getarnte Dämon würde uns ganz bestimmt keine Schwierigkeiten mehr bereiten?«
»Sind Sie sicher, dass ich Ihnen das erklären soll?« Der Mann mit dem kantigen Gesicht und dem schwarzbraunen Bürstenhaarschnitt grinste herablassend. »Nicht, dass ich Ihnen dann schon wieder auf Ihre sensiblen Nerven gehe.« Er äugte in den Rückspiegel.
Coco beugte sich zwischen Fahrer- und Beifahrersitz. »Erzählen Sie schon!«
»Wie sollte ich einer solch charmant vorgetragenen Bitte widerstehen können?« Mit der Rechten ließ George Morales das Steuer los und griff in die Innentasche seines Jacketts. »Ich habe ihm ein Souvenir mit auf die letzte Etappe seines Lebensweges gegeben.« Er reichte Dorian ein winziges, metallisch glänzendes Ding. »Klein aber fein.«
Dorian und Coco betrachteten das unscheinbare Etwas. Es war kaum daumennagelgroß, ellipsenförmig und flach wie Alufolie.
Es lief spitz und hart zu.
»Was ist das?«, wollte Dorian wissen.
Fragend musterte er den Ex-Agenten.
»Eine Bombe.«
Am großen Kreisverkehr rund um die kleine Parkanlage, die laut Stadtplan Meydan-e-Shohada hieß, bog der Taxifahrer in den Boulevard ab, der nach dem Revolutionsführer benannt war, in den Bolvar-e-Emam-Khomeyni ab. Nach einigen Hundert Metern ging es dann nach rechts in ein belebtes Viertel – doch welches Viertel von Bandar Abbas war schon unbelebt?
Don Chapman blickte auf die Karte, die entfaltet auf seinen Schenkeln lag. Qal'eh Shahi hieß dieser Bereich der Stadt. »Qal'eh Shahi.« Murmelnd versuchte er, sich den Namen einzuprägen, wie alles, was er aufschnappte. Er war zu lange beim Secret Service gewesen, um sich diesen Reflex noch abgewöhnen zu können.
Sorgfältig faltete er die Karte zusammen, warf noch einmal einen Blick auf den Zettel mit der Adresse und versuchte die Hausnummern an den vorbeihuschenden Fassaden zu entziffern. Sehr weit her war es noch nicht mit seinem Farsi, doch Zahlen bildeten kein Problem. »Lassen Sie mich hier raus«, verlangte er ein paar Hausnummern vor derjenigen, die er am Telefon auf seinen Zettel gekritzelt hatte. Er sprach zuerst auf Englisch, dann auf Farsi.
Der Fahrer gestikulierte und palaverte, stieß auch einige Brocken Englisch aus. Es sei doch noch ein ganzes Stück bis zur angegebenen Adresse.
»Halten Sie an, verdammt noch mal, sonst werde ich ungemütlich!« Diesmal begnügte sich Don mit Englisch. Der Fahrer schien genau zu verstehen. Schimpfend stoppte er.
Eine klare Sprache und dann bekam man, was man wollte; das hatte Don in der kurzen Zeit in der persischen Hafenstadt bereits gelernt. Er zahlte, geizte nicht mit dem Trinkgeld und stieg aus. Das Taxi, ein alter Toyotakombi, raste davon.
Er ging ein Stück die Straße Richtung Hafen hinunter. Ein herrenloser Ochsenkarren stand dort in Höhe eines kleinen Parks, und ein Stück weiter ein Truck vor einem halb offenen Rollgittertor, ebenfalls unbemannt, wie es schien. Die Auspuffrohre hinter der Fahrerkabine pusteten dunkle Dieselwölkchen in die flirrende Luft. Die Mittagssonne brannte erbarmungslos auf die Stadt. Don versuchte sich vorzustellen, wie heiß es hier würde, wenn erst einmal der Juli oder gar der August anbrach. Es gelang ihm nicht. Er sehnte sich nach einem kühlen Londoner Regentag.
Die Ochsen standen reglos, nur ihre Schwänze pendelten hin und her. Fliegen summten um ihre Nüstern, krabbelten in ihren Augenhöhlen. Don machte einen Bogen um sie. Auch das war ein während viel zu langer Zeit ins Nervenkostüm gebrannter Reflex: Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte allzu große Nähe zu Paarhufern jeder Gattung für Don Chapman Lebensgefahr bedeutet. Verwundert bemerkte er den offenen Kanalschacht und den schweren Deckel daneben. Und was hatten diese Flecken zu bedeuten? Rote Farbe mitten auf der Straße?
Das Blöken von Viehzeug erregte seine Aufmerksamkeit, Schafe und Kühe. Kam es nicht aus dem Sattelschlepper? Natürlich – ein Viehtransporter. Warum aber lief dessen Motor? Er ging darauf zu. Nun erst wurde er auf das Geschrei von Männerstimmen aufmerksam. Es drang aus dem flachen Gebäudekomplex auf dem Gelände hinter dem Gitterzaun und dem Rollgittertor. Und hörte er da nicht auch Schafe und Ziegen blöken und meckern? Aber ja doch – Schafe, Ziegen und Lämmer aus den Flachbauten, Rinder aus dem Truck.
Er stand still und blickte zu den flachen Gebäuden. Ein Schlachthaus. Noch einmal fischte er den Zettel aus der Hosentasche und blinzelte auf die Adresse, die ihm der neue Kollege am Telefon diktiert hatte. Die Hausnummer stimmte mit der des Schlachthofes überein. Was zum Teufel hatte er in einem Schlachthof verloren?
Er sah sich um. Ziemlich ruhige Gegend, zu ruhig im Grunde. Die Stadtbewohner hielten ihren Mittagsschlaf, das war normal bei dieser Hitze. Plötzlich brüllte der Motor des Trucks auf. Der Lastzug stieß zurück. Die Reifen drehten durch, als er erneut anfuhr und einen Satz nach vorn machte. Der Motor heulte wieder auf, das schwere Gerät beschleunigte donnernd.
Es nahm Kurs auf Don Chapman!
Ein schmächtiger Mann in weißem Unterhemd und mit grüner Baseballkappe saß am Steuer. Einen Atemzug lang konnte Don ihn genau sehen – auch die blutigen Geschwüre im Gesicht des Fahrers.
Wieder blitzte ihm die Erinnerung an die Jahre durch den Kopf, als er in Teddybärgröße seinen Mann stehen musste. Selbst Kleinwagen waren ihm während dieser Phase seines Lebens noch bedeutend größer erschienen als dieser Truck. Doch das Grauen, das ihn plötzlich überfiel, erstickte augenblicklich alle Erinnerungen im Keim. Er warf sich zur Seite, rollte an den Straßenrand und riss seine Pistole aus dem Schulterholster.
Der Sattelschlepper raste an ihm vorbei, die Bremsen schrien, als er stoppte. Das Vieh auf der Ladefläche blökte in höchsten Tönen. Die Heckklappe wurde aufgestoßen, Rinder sprangen panisch aus dem Laderaum. Da die Rampe nicht ausgefahren war, stürzten die ersten auf den Asphalt, brachen zusammen und blieben strampelnd liegen. Andere Tiere benutzten sie als Rampe, galoppierten auf die Straße. Dutzende Tierleiber quollen geradezu aus dem Laderaum des Viehtransporters. Auf einem saß ein Mann mit nacktem Oberkörper, beugte sich tief zwischen das Gehörn des Rindes und trieb das Tier auf Don zu.
Was um alles in der Welt ging hier vor?
Don sprang auf, spurtete zum Rolltor, schob sich zwischen die Lücke ins Gelände des Schlachthofes und versuchte das Tor zuzuschieben. Es rührte sich nicht. Ein Rind prallte gegen das Tor, Don Chapman wich zurück. Ein anderes Tier drängte sich durch die Torlücke, weitere folgten. Don rannte dem Schlachthaus entgegen. Alles, was er je über eine Stampede gelesen hatte, schoss ihm durch den Kopf. Er legte den spritzigsten Spurt seit Langem hin.
Im Laufen drehte er sich um. In diesem Moment schob der Reiter sein Rind durch die Torlücke. Don stutzte. An der Stelle, wo gesunden Menschen die Nase aus den Gesichtern ragte, wucherte diesem Mann ein kleiner, feuchtroter Blumenkohl über dem Mund. Die Lippen sahen schwarz aus und wie zerrissen, und aus dem leeren linken Hosenbein baumelten Fäden und Klumpen geronnenen Blutes.
Don Chapman riss die Waffe hoch und schoss auf den grauenhaften Reiter, feuerte wieder und wieder, jagte ihm das gesamte Magazin entgegen. Endlich kippte der Mann vom Rücken des Rindes.
Der ehemalige Puppenmann griff ins Jackett, holte das Ersatzmagazin heraus. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auf der Straße die Tür des Trucks zur Seite schwang. Ein kleiner schmächtiger Bursche stieg aus. Steifbeinig und langsam wie ein Mondsüchtiger bewegte er sich, und ebenso zielstrebig. Blut tränkte sein schmutziges Unterhemd. Er stelzte dem Zaun entgegen. Ein eiternder Tumor entstellte das Gesicht des Burschen. Das linke Auge war zugeschwollen, das rechte erschien groß wie ein Bullenauge. Gelbrote Flüssigkeit troff ihm aus dem unnatürlich weit aufgerissenen Mund. Er schleppte sich zum Zaun, kletterte hinauf und schob sich über den Stacheldraht auf der Zaunkrone.
Don Chapman traute seinen Augen kaum. Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Ruhig, Don, ganz ruhig, immer die Nerven behalten. Hinter ihm, im Schlachthaus, blökte Vieh und knurrten Hunde. Schritte näherten sich. Er starrte auf den Toten vor dem Tor und auf den Kleinen in der Stacheldrahtkrone des Zauns.
War dies nicht genau die Sorte von Untoten auf den Fotos, die Trevor Sullivan ihnen vor einigen Tagen in seinem Büro auf den Tisch gelegt hatte? Don wechselte das Magazin.
Der kleine Mann rutschte aus dem Stacheldraht, blutige Gewebsfetzen blieben darin hängen. Er stürzte auf den Betonboden. Zähne sprangen aus dem blutenden Mund. Doch der offensichtlich Schwerkranke kümmerte sich nicht darum, stemmte sich vielmehr hoch und wankte auf Don zu, der nicht lange fackelte und schoss.
Eine Kugel nach der anderen fuhr dem schmächtigen Iraner in den entstellten und eiternden Körper. Erst vier Schritte vor Don jedoch, nach dem neunten Schuss, blieb er endlich stehen, knickte in den Knien ein, kippte nach vorn und schlug mit dem Gesicht auf dem Beton auf. Eine Lache aus gelblichem Sekret und Blut breitete sich rund um seinen Schädel aus.
Don atmete tief durch, würgte und schluckte den Brechreiz herunter. Weg hier, Don, nichts wie weg … Er umklammerte den Pistolengriff mit beiden Händen und drehte sich um. Ein massiger Kerl in einer blutigen Plastikschürze stand hinter ihm. Pulsierende Geschwüre bedeckten sein Gesicht und seine haarigen Arme. Blut sickerte ihm aus Nase und Ohren.
Mit der Rechten hob er ein Fleischerbeil.
»… eine Mikrobombe, um genau zu sein.« Selbstzufrieden, als hätte er den kleinen Sprengsatz persönlich erfunden und gebaut, plauderte George Morales über das ovale, spitz zulaufende Plättchen, das Dorian Hunter zwischen Daumenkuppe und Zeigefingerbeere hielt.
»Und dieses winzige Ding soll den Dämon getötet haben?« Coco Zamis konnte es nicht glauben.
»Eine Frau wie Sie wird