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JOHN SHIRLEYS DRACULA: Ein Horror-Roman
JOHN SHIRLEYS DRACULA: Ein Horror-Roman
JOHN SHIRLEYS DRACULA: Ein Horror-Roman
eBook348 Seiten4 Stunden

JOHN SHIRLEYS DRACULA: Ein Horror-Roman

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Über dieses E-Book

Vladimir Horescu, leitender Manager der Computerfirma IBEX Corporation West, erhält eines Tages einen Brief von seinem Vater – zumindest behauptet der Schreiber des Briefs, er sei Vladimirs Vater und deutet an, er sei der ebenso berühmte wie berüchtigte Dracula. Vladimir selbst war davon ausgegangen, dass sein Vater tot sei, wie es ihm seine Pflegeeltern gesagt hatten.

In der Folge erhält Vladimir mysteriöse Besuche – zunächst dringt ein Mann in sein Haus ein, der vorgibt, Luzifer zu sein, und dieser ersucht Vladimir um Beistand bei seinem Kampf gegen Dracula. Dazu schickt er ihm eine Frau, Margaret Holland, die ihn dabei unterstützen soll.

Und tatsächlich gerät Vladimir immer tiefer in eine blutige Auseinandersetzung mit Dracula...

Der Roman John Shirleys Dracula von Cyberpunk-Legende John Shirley erschien erstmals im Jahr 1979; der Apex-Verlag veröffentlicht diesen modernen Horror-Klassiker in der vom Autor überarbeiteten Version als deutsche Erstveröffentlichung, übersetzt von Alfons Winkelmann.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Dez. 2019
ISBN9783748723707
JOHN SHIRLEYS DRACULA: Ein Horror-Roman

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    Buchvorschau

    JOHN SHIRLEYS DRACULA - John Shirley

    Das Buch

    Vladimir Horescu, leitender Manager der Computerfirma IBEX Corporation West, erhält eines Tages einen Brief von seinem Vater – zumindest behauptet der Schreiber des Briefs, er sei Vladimirs Vater und deutet an, er sei der ebenso berühmte wie berüchtigte Dracula. Vladimir selbst war davon ausgegangen, dass sein Vater tot sei, wie es ihm seine Pflegeeltern gesagt hatten.

    In der Folge erhält Vladimir mysteriöse Besuche – zunächst dringt ein Mann in sein Haus ein, der vorgibt, Luzifer zu sein, und dieser ersucht Vladimir um Beistand bei seinem Kampf gegen Dracula. Dazu schickt er ihm eine Frau, Margaret Holland, die ihn dabei unterstützen soll.

    Und tatsächlich gerät Vladimir immer tiefer in eine blutige Auseinandersetzung mit Dracula...

    Der Roman John Shirleys Dracula von Cyberpunk-Legende John Shirley erschien erstmals im Jahr 1979; der Apex-Verlag veröffentlicht diesen modernen Horror-Klassiker in der vom Autor überarbeiteten Version als deutsche Erstveröffentlichung, übersetzt von Alfons Winkelmann.

    JOHN SHIRLEYS DRACULA

    Diese Neuausgabe ist dir gewidmet. Genau – dir.

      Eins

    1.

    Es gibt Zeiten, zu denen nehmen gewöhnliche Dinge scheinbar eine unheimliche Bedeutung an. Regisseure von Suspense-Filmen verweilen liebevoll auf einem Telefonbuch, einem Kerzenhalter, einem Messer – einfach nur, damit du dich nach dem Grund hierfür fragst. Richte die Kamera nur genügend lange auf einen Ausguss, lasse langgezogene Akkorde dazu ertönen, schrille Violinen, und zeige nichts als diesen einzelnen Wasserhahn, aus dem es unaufhörlich tröpfelt – und der Ausguss nimmt irgendwie unheimliche Dimensionen an. Was diese unheilvolle Aufmerksamkeit bewirkt, ist, dass aus einem gewöhnlichen Wasserhahn ein Gegenstand des Schreckens wird.

    Das passiert mir hin und wieder, und zwar ohne den Einfluss von Filmtechnik. Wenn ich Angst habe, sehe ich Anzeichen von Bedrohung in den harmlosesten Gegenständen. Die Kaffeekanne scheint sich mit der Zuckerdose zu verschwören, und das Licht der Glühbirne wird hart: eine Warnung. Häufig erfahre ich solche Empfindungen nicht – dafür hat mein Analytiker gesorgt. Gewöhnlich sind sie nicht vorhanden. Aber manchmal. Manchmal, so wie beim Anblick des Briefs.

    Vor drei Monaten. Am ersten Dezember. Der Brief auf meinem Schreibtisch.

    Viel kann in drei Monaten geschehen.

    Mein Leben war acht Jahre lang geschäftig, jedoch banal verlaufen, ein Plateau, von der stürmischen Trennung von meiner Frau Lollie abgesehen ereignislos. Selbst meine wöchentlichen Sitzungen zum Aggressionsabbau bei meinem Therapeuten waren zur langweiligen Routine geworden. Ich hatte kein Verhältnis.

    Und dann der Brief und Schnipp-Schnipp-Schnipp – eines nach dem anderen.

    Äußerlich war nichts wirklich Besonderes am Briefumschlag. Ich war Antiquar gewesen, also erkannte ich die charakteristischen, mit Tinte und Gänsefeder geschriebenen Buchstaben. Ja, es war ziemlich ungewöhnlich, einen Brief zu erhalten, auf dem die Adresse mit einer Gänsefeder geschrieben war. Ungewöhnlich, jedoch nichts Besonderes. Es gibt nach wie vor ein paar Leute, die sie benutzen, zum eigenen Amüsement oder weil sie einen Hauch von Format bewahren wollen. Und gewiss war die altmodische Handschrift, die aussah wie ein Spinnennetz, kaum lesbar, figural, ein Hinweis darauf, dass der Brief von einem alten Menschen verfasst war, von einem sehr alten, um genau zu sein. Nichts wirklich Besonderes daran. Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, warum ein solcher Mensch an den leitenden Manager der IBEX Corporation West schreiben sollte. Eine Beschwerde? Es gab keinen Absender.

    Er war an mich adressiert: Vladimir Horescu, General Manager, IBEX Corporation West, 2311 California Street, City of San Francisco, State of California.

    Merkwürdig, dachte ich: City of San Francisco, State of California. Und keine Postleitzahl.

    Der Umschlag bestand aus Leinenpapier. Das Zeug ist heutzutage nur schwer aufzutreiben.

    Wer?

    Vielleicht einer meiner Partner aus den alten Tagen, bevor ich mich gewandelt hatte. Die alten Tage, bevor mein Arzt mir verbot, mich auf Antiquare und Okkultisten einzulassen. Jemand von der »Gesellschaft zum Studium der Alten Künste«, vielleicht. In diesem Fall würde ich nicht reagieren. Ich hatte mich von dieser ergrauten Bande getrennt.

    Aber gewiss musste der Brief von der GSAK stammen. Nichts Besonderes.

    Also... warum zögerte ich dann, ihn zu öffnen?

    Warum hielt ich den Brief mit beiden Händen auf Armeslänge von mir entfernt, entfärbte den Umschlag mit dem jäh ausgebrochenen Schweiß meiner Finger? Warum starrte ich das rote Wachssiegel auf der Rückseite des Umschlags an? Das rote Wachssiegel mit dem eingestempelten Zeichen F.

    In diesem Augenblick war der Umschlag die Verkörperung allen Übels und aller Bosheit. So drückte ich es im Geiste aus: Übel und Bosheit. Was ich, genauer gesagt, empfand, während ich den Brief anblickte, war so etwas wie Rache und Gewalt. Um genau zu sein. Aber das konnte ich vor mir selbst nicht zugeben. Mein Arzt, ein dezidierter Behaviorist, hatte mich darauf trainiert, solche Ausdrücke auszuwischen. Sämtliche negativen Extreme wurden aus meinem Bewusstsein gelöscht, reflexartig.

    Aber ich starrte den Umschlag nach wie vor an und konnte ihn nicht öffnen.

    Er war in New Orleans abgestempelt. Ich kannte niemanden in New Orleans.

    Zaghaft öffnete ich den Umschlag mit den Fingern. Normalerweise benutze ich einen Brieföffner, aber ich hatte eine unerklärliche Angst, dass das harmlose weiße Rechteck aus Papier aufschreien würde, falls ich es mit Metall berührte. Vielleicht würde es...

    Klick. Meine geistige Abschirmung fing das Wort auf und unterdrückte es. Dieses Wort repräsentierte etwas, woran ich damals nicht denken durfte.

    Jetzt hingegen kann ich es aussprechen: Bluten. Bluten. Blut.

    Ich öffnete den Umschlag, fummelte das Blatt Leinenpapier hervor, breitete es auf dem Schreibtisch aus, strich es glatt, schluckte heftig und las:

    Mein Sohn! Wisse: ich bin dein Vater.

    Ich habe dich gefunden! Es beschämt mich, dass ich auf dieses unpersönliche Mittel der Kontaktaufnahme zurückgreifen muss. Ich versuchte, dich über das Telefon zu erreichen, und mir wurde von  einer Schwachsinnigen gesagt, dass du keine Anrufe annimmst, außer nach besonderer Vorankündigung. Ich teilte der Frau mit, dass ich dein Vater sei, und sie erwiderte etwas, das darauf hinauslief, dass mein »Humor« nicht »erwünscht sei« und dass sie wüsste, dass Mr. Horescus Vater tot sei. Diese Frechheit entfachte meine Wut, aber bevor ich der Übeltäterin (einer Frau!) die Offenbarung ihres unverschämten Verhaltens hätte zuteilwerden lassen können, trennte sie die Verbindung. Ich gehe fest davon aus, dass du sie vernichten lassen wirst.

    Daraufhin entschloss ich mich, nicht nach deiner privaten Telefonnummer zu suchen. Es ist am besten, dass eine Art Präludium zu unserem eigentlichen Gespräch stattfindet. Damit du weniger wahrscheinlich meine Identität anzweifelst.

    Ich schreibe dies in New Orleans. Ich werde in zwei Wochen in deiner Gegend eintreffen. Ich habe bereits meine Diener vorausgeschickt, um das Haus vorzubereiten. Einen dieser Diener habe ich mit einer schriftlichen Botschaft zu deinem Haus gesandt...

    Der Mann, der umherschlich und den die Polizei verjagte? Sie hatten gesagt, es habe sich um einen langsamen, sehr blassen, kränklich wirkenden Burschen gehandelt, der in dem Gehölz hinter meinem Haus verschwunden sei. Sie hatte einen Schuss abgegeben...

    ...der anscheinend getötet wurde, bevor er seine Mission hätte bekannt machen können. Ein weiterer meiner Diener fand ihn in dem Wald. Eine Kugel hatte ihm das Rückgrat gebrochen, so dass er außerstande war zu gehen. Meine Genossen entschieden sich gegen den Versuch, dich auf diese Weise zu kontaktieren. Ich muss dir zum Eifer deiner Untergebenen gratulieren. Obwohl es nicht leicht war, ein Gespräch mit dir zu erhalten, bin ich vielleicht derjenige, der bereuen sollte, denn alles in allem war ich es, der dich verließ, vor mehr als dreißig Jahren...

    Ich atmete nicht mehr: Ich bemerkte es und zwang mich zu atmen. Daraufhin entschloss ich mich, denjenigen anzuzeigen, der diesen Brief verfasst hatte. Ich würde ihn öffentlich demütigen. Ich hatte meinen Vater nie gekannt, aber ich war im Geiste grimmig entschlossen, ihn zu verteidigen. Ich glaubte die Geschichte nicht, die meine Pflegeeltern mir erzählt hatten, glaubte ihre Behauptung nicht, dass er eine flüchtige Bekanntschaft meiner Mutter gewesen sei, der sie eines Nachts vergewaltigte, sie so brutal vergewaltigte, dass sie darüber wahnsinnig wurde. Sie war verrückt geworden, ja, aber ich glaubte nicht, dass ein einziger Vorfall dafür verantwortlich sein konnte. Ich wollte an meinen Vater glauben. Ich hatte ihn tot geglaubt, und jemand benutzte die Erinnerung an ihn für einen ausgeklügelten Scherz. Mit finsterem Gesicht las ich weiter.

    ...und ich hinterließ nur wenige Mittel für deine Erziehung. Dies bedauere ich im Nachhinein. Es gibt Dinge, bei denen du hättest von Nutzen sein können, und es gibt Wahrheiten, die ich dir gern mitgeteilt hätte. Vielleicht ist es noch nicht zu spät dafür, einige Dinge zu lernen.

    Ich freue mich auf einen langen Aufenthalt im Gebiet von San Francisco. Die Nächte dort sind warm und wohlig, voller Leben. Ich habe fast ein Jahr nördlich von deiner Stadt verbracht, bin dort bis vor vier Monaten verblieben, als mich die Vorsicht zwang, mich zur City of New Orleans zu begeben.

    Ich habe vor, Chutney House zu beziehen, das ich für sie im Jahr 1953 als teilweise Kompensation für den unvermeidlichen, jedoch zufälligen Schaden erwarb, den ich ihrer Nichte, deiner Mutter, zufügte. Zusätzlich legte ich einen Trust-Fond auf, als Vorwegnahme der Ausgaben für deine Pflege. Ich verfüge immer noch über eine Option auf das Haus, sollten die Bewohner verscheiden, wie es im vergangenen Jahr der Fall war, und da ich dieses Recht wahrte, habe ich Veränderungen an dem Haus vorgenommen und die Hausanschlüsse wieder in Betrieb gesetzt. Trotz allem bin ich mir bewusst, dass du der Hauptbesitzer des Hauses bist.

    Ich erwarte deine Ankunft am Abend des zweiundzwanzigsten Dezember dieses Jahres 1977, pünktlich um dreiundzwanzig Uhr.

    So ruhig, wie ich konnte, schob ich mich vom Schreibtisch weg, ging zur Bar links in meinem Büro und schenkte mir ein Glas Mineralwasser ein. Ich versuchte, nicht nachzudenken, während ich eine Valium schluckte. Mehrere Minuten lang stand ich zitternd da. Verbrenne den Brief, sagte die körperlose Stimme meines Analytikers. Guter Rat. Aber ich war neugierig – jemand hatte sehr viel recherchiert.

    Die Neugier gewann Oberhand.

    Ich kehrte zum Schreibtisch zurück, seufzte und sank in den Drehstuhl. Ich warf einen Blick auf den Brief, schaute weg, sah dann wieder auf den Brief. Ich verspürte ein Beben der Aufregung. Es war kein Scherz. Es war er.

    Mein Vater.

    Er hatte das Haus zur Verfügung gestellt, die mysteriöse Besitzurkunde für das Grundstück, den ebenfalls mysteriösen Trust-Fond. Chutney hatte sich geweigert, mir zu sagen, woher das alles stammte. Nur mein Vater würde es wissen.

    Halb schuldbewusst warf ich einen Blick auf das breite Panoramafenster rechts, dann auf die Tür mir gegenüber, hinter der (wie ich mir einbildete) meine neugierige Sekretärin kauerte und spionierte.

    Ich stand auf, schloss die Tür ab und zog (irrational – immerhin befand ich mich im zwanzigsten Stockwerk) die Vorhänge vor das Fenster. Ich tapste über den tiefen weißen Teppich zu meinem Schreibtisch mit der Glasplatte. Ich las:

    Ich habe keinen Zweifel daran, dass unser Treffen für uns beide nützlich sein wird, und ich schon gespannt darauf, dich aus der Nähe zu betrachten. Trotz ihrer Bemühungen haben meine Agenten nur wenig Einsicht gewonnen.

    Mich schauderte. Welche Bemühungen? Was wussten sie? Hatten seine Agenten von Lollies Morphiumsucht gewusst?

    Du lebst zurückgezogen, und du hältst eine Position von einigem Einfluss inne, trotz deiner Zurückgezogenheit. Du bist sorgfältig abgeschirmt, dennoch bist du imstande zuzuschlagen, wie im Fall einer gewissen B., der Dame im Blue Gem Club...

    Da brauchte ich eine zweite Valium. Niemand wusste von dieser Frau. Niemand. Selbst der Gangster, den ich bezahlt hatte, um B. abzuschrecken, damit sie meinen Boss nicht mehr erpresste, war zum Schweigen gebracht worden. B.s Freund hatte den Gangster gefunden, der sie verprügelt hatte, und ihn erschossen. B. ist an einem Schädel-Hirn-Trauma gestorben, das sie durch die Prügel erlitten hatte. Ihr Freund wurde von den Genossen des Gangsters umgebracht, die draußen gewartet hatten.

    Niemand wusste es. Aber er wusste es.

    Ich hatte nicht gewollt, dass sie starb – ich hatte bloß gewollt, dass der Mann sie ein wenig herumstieß, sie erschreckte. Aber ich deckte ihren Tod sorgfältig. Dennoch – er wusste es.

    ...und durch diese Eigenschaften zeigst du deine Verbindung zu der Hohen Abkunft unserer Familie. Du bist wahrlich der Enkelsohn des Drachen.

    Erzähle deiner drogenverseuchten Gattin nichts von diesem Termin. Informiere niemanden.

    Mir fällt gerade ein, dass du stolz sein könntest und nicht willens, meine Bekanntschaft zu machen. Wenn dies der Fall ist, dann wirst du dich vielleicht daran erinnern, dass mein Wissen über die Fakten zum Fall B. sich für dich als unangenehm erweisen könnte, wenn dieses ahnungslose Gewürm davon erführe, das unter dem Banner »Behörde« stolziert.

    Ich erwarte dich pünktlich.

    Sei gesegnet,

    Vladislav Draco II., Sohn des Drachen

    Mein Vater?

    Mr. Chutney hatte nur zwei kleine Informationen hinsichtlich meines Vaters preisgegeben (er behauptete, dem Mann nur einmal begegnet zu sein, in der Nacht vor dem Angriff auf meine Mutter): Einmal, dass er Europäer war. Zum Zweiten, dass er von adeliger Herkunft war, oder es zumindest behauptet hatte.

    Der Stil des Briefs zeugte von Kompetenz, war jedoch auch bemüht, als ob dem Schreiber einfach nicht wohl mit der englischen Sprache gewesen wäre. Und er hatte mit einem Namen unterschrieben, den ich wiedererkannte, ein Name, der, näher bestimmt durch die römische Ziffer II für »der Zweite« und dem Schnörkel »Sohn des Drachen« mit einem gewissen mittelalterlichen europäischen König des sechzehnten Jahrhunderts in Verbindung gebracht wurde. Ein König, der am besten unter seinem Namen Vlad, der Pfähler bekannt war. Einige nannten ihn Dracula, Wurzel der Legenden, auf denen Bram Stokers richtungsweisender Roman beruhte.

    Als Mitglied der Gesellschaft für die Studien der Alten Künste hatte ich einige Recherchen angestellt, sehr genaue Recherchen, über die Geschichte von Vlad, dem Pfähler. Drei Jahre lang war das meine wesentliche Beschäftigung gewesen. Ich hatte Hunderte uralter Dokumente untersucht, ich kannte seine Unterschrift gut. Und das war seine Unterschrift auf diesem Brief. Und es war sein Wachssiegel, begriff ich, als ich den Umschlag untersuchte.

    Es konnte eine Fälschung sein. Aber Carlton hatte darauf beharrt, dass Dracula am Leben war, und er hatte Beweise geliefert, die seine Annahme stützten. Unzureichende Beweise, gewiss. Aber ausreichend, um misstrauisch zu werden...

    Mein Vater?

    Ich wäre misstrauischer gewesen, wenn der Schreiber herzlicher gewesen wäre, mehr traditionell väterlich. Ich wusste wenig von meinem Vater, aber irgendwie, aus irgendeinem unumstößlichen Instinkt heraus, war ich mir gewiss, dass die übliche Zuneigung nicht sein Ding gewesen wäre. Und diese Korrespondenz war nicht weit entfernt von Herzlosigkeit. Ein Mann, der behauptete, mein Vater zu sein, den ich für tot gehalten hatte, der mich vor dreiunddreißig Jahre verlassen hatte – und er entschuldigt sich bloß oberflächlich! Stattdessen bedroht er mich, lässt durchblicken, dass er meine schmutzige Wäsche den »Behörden« übergeben würde, falls ich seinen Forderungen nicht nachkäme.

    Ja. Mein Vater. 22. Dezember? In drei Wochen.

    Ich ging zu dem runden Wandsafe und drehte das Kombinationsschloss, sprach meinen Namen in die Stimmen-Erkennung und trat zurück, während sich die Safetür aufschraubte. Ich steckte den Brief wieder in den Umschlag und verstaute diesen in einer Metallschachtel hinten im Safe, hinter den Diamanten und unter den Börsenpapieren. Ich schloss den Safe und ging zur Tür, schloss sie auf, warf sie weit auf und hoffte, Miss Horowitz an der Tür lauschend zu erwischen (auf was? auf das Rascheln von Papier?). Sie saß eitel und zierlich hinter ihrem u-förmigen Schreibtisch, blickte gar nicht neugierig über die Schulter und lächelte hölzern. »Sir? Ähh... Kaffee?«

    »Nein, nein. Sie – Sie erinnern sich an den Ordner, der von Doktor Frawley herüber kam? Ich habe ihn nie geöffnet, habe Sie beauftragt, ihn im Schrankfach zu deponieren...«

    »Ja, Sir?«

    »Holen Sie ihn mir. Ungeöffnet. Wenn Sie das erledigt haben, können Sie nach Hause gehen. Ich gebe Ihnen für die nächsten drei Tage bezahlten Urlaub, haben Sie verstanden?«

    »J-jaa. Ja, Sir!« Sie versuchte, ihre Freude zu unterdrücken, ging zu dem Schrank, streifte sich hastig ihren Mantel über und machte sich auf den Weg zum Aufzug. Ich entdeckte etwas, bei dem ich zusammenzuckte. »Miss Horowitz!«

    Ihre blondgefärbten Haare flogen, als sie mir die lange, glänzende Nase zuwandte, wobei sie dieses Mal versuchte, ihre Gereiztheit zu verbergen. »Ja, Sir?«

    »Der Aschenbecher. Nicht nur, dass er geleert werden müsste, sondern es ist auch noch ein Stummel auf den Teppich gefallen.« Eilig machte sie sich daran, ihn zu entfernen, und ich sah, wie sie dabei die Muskeln an der Kinnlade anspannte. »Lassen Sie den Teppich absaugen, sagen Sie es unterwegs dem Hausmeister. Und ich möchte, dass das Fenster hier drin geputzt wird, sagen Sie ihm das auch.«

    »Sie haben es erst gestern geputzt, Mr. Horescu...«

    »Miss Horowitz...«

    »Ich werde es ihm sagen, Sir«, erwiderte sie forsch und fügte ein Achselzucken hinzu, das zum Ausdruck brachte: Ich sollte mich inzwischen an diesen Exzentriker gewöhnt haben, schätze ich.

    Sie ging. Ich blickte von dem grauen Flecken auf dem weißen Teppich weg, wo er durch die Asche verschmiert war (grauer Schmier wie der Fleck, den pilzbehaftete Finger hinterließen, Finger aus Knochen) und kehrte in mein Büro zurück. Und nahm eine Valium – auf die Tafil, die ich zuvor geschluckt hatte. Beides sorgte dafür, dass ich mich wie in einer Wolke fühlte. »Valium, Vladium, Vladium Valium, higamus, pigamus...«, sang ich vor mich hin. Ich bestand aus Wolken, aber die Wolken waren durchschossen von Blitzen und einem donnerhaften Namen:

    Vlad Vlad Vlad König Vlad Sohn von...

    Ich schritt auf und ab (der Drache!), warf unbehaglich einen Blick auf die Vorhänge vor den Fenstern, runzelte die Stirn (Sohn des Drachen!) über einen Daumenabdruck auf der gläsernen Platte meines Schreibtischs. Ja, Moss Horowitz sollte sich inzwischen an mich gewöhnt haben. Ich wusste, was meine Angestellten von mir dachten. Es gab Respekt, ich hatte hart für meinen Posten gearbeitet. Und es gab Geringschätzung. Ich hatte einen von ihnen aus einem Aufzug heraus murmeln hören, dessen Türen sich gerade schlossen, nachdem ich hinausgetreten war: Dieser analfixierte Hurensohn! Ich habe ihn gestreift, und er hat seinen Mantel auf einen Flecken hin überprüft!

    Okay, okay, dachte ich, also möchte ich alles stets sauber haben. Sollte mehr Menschen wie mich geben, dann müsste ich nicht so weit entfernt von der City wohnen. Es wäre genügend sauber für eine nette Wohnung...

    Aber ich wusste, dass ich heuchelte.

    Sauberkeit war eine Besessenheit. Sie hatte dazu geführt, dass drei Hausdiener gekündigt hatten. Ich hatte einen Chauffeur verloren, weil ich exzessiv an seiner Uniform herumgemäkelt hatte. Es war exzessiv. Aber der Seelenklempner weigerte sich, mich deswegen zu behandeln, und beharrte darauf, dass es ein gesundes, wenn auch extremes Ventil war, und wenn ich nicht dieser Besessenheit frönen würde, dann würde ich stattdessen – der anderen Besessenheit frönen. Ich polierte mich mit dieser wütenden Sauberkeit (während ich dies dachte, musterte ich kritisch meine Fingernägel). Es war die einzige Möglichkeit, sich zu vergewissern.

    »Wie alle paranoiden Zwänge ist die Faszination vom Tod kein rationales Bedürfnis, die Vernunft berührt sie nicht. Man muss mit Ernsthaftigkeit herangehen, oder sie wird die Kapitulation erzwingen. Und Sie werden sich dabei ertappen, Leichen zu erwerben. Vlad...«

    Solchermaßen hatte der Arzt gesprochen.

    Ich holte meinen Mantel aus der Garderobe, trug ihn zaghaft zwischen zwei Fingern zu einer Stelle mit besserem Licht, wo ich ihn untersuchen konnte. Er war sauber, keine Spinne oder anderes Ungeziefer war hineingekrochen. Ich hatte gewusst, dass er sauber war. Aber ich musste es dennoch überprüfen.

    Ich schlüpfte in den Mantel, und Miss Horowitz kehrte mit dem Umschlag zurück. Ich musterte genau meine weißen Handschuhe, streifte sie über, nahm den Umschlag entgegen (nachdem ich ihn auf Schmutz untersucht hatte) und entließ sie.

    Auf meinen Weg nach draußen stieß ich fast mit Ross Pullman zusammen. Er hatte ein selbstzufriedenes Grinsen auf seinem breiten, athletischen Gesicht, das Grinsen, das er stets nach einem erfolgreichen Gespräch mit dem Alten zeigte.

    »Hallo, Ross«, sagte ich so höflich, wie ich konnte. Wir hassten einander. Er wollte meine Stelle und hielt mich für ein konservatives Arschloch. So einfach. Seine eisblauen Augen lachten, und er schlug mir in spöttischer Kameradschaft auf die Schulter. Er tat es absichtlich, weil er wusste, dass ich vor seiner Berührung zurückwich.

    »Hallo, Vlad.«

    »Hast mit dem Alten gesprochen?«

    »Ja, er...«

    Aus einem Impuls heraus: »Du hast mit ihm gesprochen, weil du meine Stelle willst?«

    Das erwischte ihn unvorbereitet, er geriet ins Stottern und lachte dann gezwungen. »He, Vlad, du solltest wissen, dass ich nicht...«

    »Doch. Na ja, du kommender junger Mann, du wirst deine Gelegenheit erhalten. Ich habe mich gerade vor einem Augenblick entschlossen, für drei Monate wegzubleiben. Du wirst mit Sicherheit meinen Platz in meiner Abwesenheit übernehmen, und das wird deine große Chance sein, ihm zu zeigen, dass du wesentlich fähiger bist als ich.«

    Sein Gesicht zeigte eine lustige Mischung aus Bestürzung und Jubelstimmung. Die Aufzugtüren öffneten sich zischend, ich trat hinein. Ich stellte mir vor, wie Pullmans Gesicht zwischen den Aufzugtüren zusammengepresst und zerquetscht wurde – damals konnte ich den Tagtraum nicht weiterführen. Jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, kann ich mir vorstellen, wie Pullmans Gesicht zwischen den Aufzugtüren zerquetscht wird, als ob sie es umklammern und zerdrücken würden wie ein Stück Obst, ihn zu einer roten Masse verarbeiten, zu einem zerquetschten Leichnam, der Blut anstelle von allzu großer Zuversicht verströmt... So stelle ich es mir jetzt vor. Aber damals, geistig gut trainiert, wechselte ich das Thema.

    Ich entschloss mich auf dem Heimweg in der Bücherei vorbeizuschauen. Dort gab es ein gewisses Buch. Eine Geschichte der Mitteleuropäischen Dynastien, in dem das Foto eines Gemäldes zu sehen war, eines Gemäldes von... Vlad, dem Pfähler.

    2.

    Nachdenklich saß ich draußen vor meinem Haus in meinem Mercedes. Ich sah zu seinen erleuchteten Fenstern mit den zugezogenen Vorhängen hinüber, musterte seine drei Ebenen den Hügel hinab. Alles schien in Ordnung zu sein, die Balustraden von Blättern frei gefegt, und aus Jolsons Wohnung im Kellergeschoss, wo er wahrscheinlich in verzückter Meditation hockte, kam das Licht der Lampen. Wonach suchte ich? Ich hatte auf der anderen Straßenseite geparkt – normalerweise biege ich gleich in die Zufahrt, betätige die Fernbedienung zum Öffnen des Garagentors und fahre den Wagen hinein.

    Aber ich saß nach wie vor im Dunkeln, die Scheinwerfer erloschen, der Motor tickte, während er sich abkühlte, und sämtliche Fenster waren geschlossen. Es war absurd. Es gab nichts zu fürchten... vielleicht war ich wegen meines Besuchs beim alten Doc Hoagin erschüttert. Er war über meinen Besuch nicht erfreut gewesen. Er lebte wie ein Eremit, nachdem er in Rente gegangen war. Ich hatte ihm die Fotokopie gezeigt, die ich aus dem Buch der Bücherei angefertigt hatte. Kennen Sie diesen Mann?, hatte ich ihn gefragt. Hoagin hatte sich damit gebrüstet, dass sein Gedächtnis untrüglich sei, obwohl er einundachtzig war. Er setzte die Brille auf, runzelte die Stirn und betrachtete sich das Foto unter verschiedener Beleuchtung. Soll verdammt sein, hatte er gesagt, wenn das nicht wie dieser Bursche aussieht, der deiner Mama so übel mitgespielt hat, vor mehr als dreißig Jahren. Sie haben ihn nie erwischt – ich habe ihn selbst nur einmal gesehen. Ich hatte Mrs. Chutney wegen ihres Asthmas aufgesucht, in der Nacht, bevor das passiert ist, und, bei Gott, ich erinnere mich immer noch daran! Es ist eine höllische Erinnerung, Horescu. Ich frage dich jetzt...

    Hastig hatte ich eine Ausrede vorgebracht und war gegangen, als er mich fragte, ob es stimmte, dass der Mann mich gezeugt hatte.

    Vielleicht war ich deshalb so aufgewühlt. Zum Teil jedenfalls. Aber das Haus erschreckte mich untergründig, ebenso, wie mich an diesem Nachmittag der Umschlag erschreckt hatte. Grundloses Gefühl von Bedrohung.

    Ich schluckte heftig, schüttelte mich und startete den Motor. Ich lenkte den Wagen auf die Zufahrt, drückte den Knopf für das Garagentor, das Metalltor rollte hoch, ich fuhr hinein.

    Nachdem sich das Garagentor hinter mir geschlossen hatte, saß ich mehrere Minuten lang im Wagen und musterte die schattigen Ecken der Garage. Betonmauern. Nirgendwo ein Platz, wo sich jemand hätte verstecken können. Ich verließ den Wagen, schloss ihn ab und ging ins Haus, dabei den braunen Umschlag umklammernd. Ich unternahm bewusst jede Anstrengung, nicht über die Schulter zu schauen, als ich durch die Tür ging.

    Im Innern fühlte ich mich alles andere als erleichtert, selbst nachdem ich das Licht in der Küche eingeschaltet hatte. Die Anspannung war nach wie vor vorhanden.

    Ich erschrak, als Jolson in der Tür zum Untergeschoss erschien. Jolson war halber Koreaner, sein Vater war ein französischer Colonel gewesen, der sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hatte, nachdem er Jolsons Mutter befruchtet hatte. Also hatten Jolson und ich etwas gemeinsam. Er kam nach seiner Mutter, sah eher koreanisch als sonst etwas aus, aber seine Augen waren grün, und er war größer als die meisten Asiaten. Er war irgendwo zwischen sechzig und siebzig, sein rasierter Schädel wurde allmählich faltig. Er arbeitete seit fünf Monaten für mich und hatte meine übereifrigen Inspektionen des Hauses mit ungetrübter Geduld ertragen. Auf seinem hageren Gesicht lag niemals auch nur der Hauch von Feindseligkeit, wenn ich ihn bat, etwas zu säubern, das bereits sauber war. Dies war nicht Unterwürfigkeit, es war Verständnis. Zwischen uns herrschte keinerlei Missstimmung. Er sprach selten, gewöhnlich nur, wenn er

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