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E-Fam Exodus: Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)
E-Fam Exodus: Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)
E-Fam Exodus: Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)
eBook292 Seiten3 Stunden

E-Fam Exodus: Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)

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Über dieses E-Book

Die Mega-City Neun, Heimat von Millionen Bürgern, arbeitet an ihrem eigenen Zerfall. Einige Bewohner, darunter hochrangige Persönlichkeiten, hauchen unfreiwillig die Lebensgeister aus. Bei dem Versuch, einem Programmierer das Leben zu retten, kommt Privatermittler John Mayer einem verbindenden Element zwischen all den Todesfällen auf die Schliche und wird so selbst zum Gejagten.
Zur Flucht gezwungen muss er sich eingestehen, dass auch sein treuer elektronischer Begleiter, der E-Fam Otto, in die Geschehnisse verstrickt sein könnte. Welchem Plan folgt der Elektronische Famulus?
Johns Vertrauen wird auf eine harte Probe gestellt. Doch zum Verschnaufen bleibt keine Zeit, altbekannte Gegenspieler sind ihm dicht auf den Fersen.
SpracheDeutsch
HerausgeberPolarise
Erscheinungsdatum26. Juni 2020
ISBN9783947619559
E-Fam Exodus: Ein Fall für John Mayer und Otto (Krimi)

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    Buchvorschau

    E-Fam Exodus - Arno Endler

    go.

    1

    Der Ohrwurm würde mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gehen. Eine sowohl eingängige als auch langweilige Melodie, die mitten in das Nervenzentrum zielte, sich dort verhakte und in Schleifen lief. Ich wünschte dem Arrangeur die Pest an den Hals, wusste jedoch gleichzeitig, dass er seine Arbeit hervorragend erledigt hatte. Und von irgendetwas musste ja jeder leben, wie ich am eigenen Leib erfuhr. Selbst wenn es bedeutete, damit einem völlig Fremden auf die Füße zu treten.

    »Otto?«, fragte ich laut, da ich der einzige Passagier des Trans-Segment-Lifts war und somit niemanden störte.

    »Bürger Mayer? Was kann ich für Sie tun?« Die Stimme des E-Fams erklang direkt in meinem Hörzentrum. Wie gewohnt empfand ich sie als beflissen, mit einem leisen Hauch Sarkasmus darin.

    In den letzten Monaten, die zum Bedauern meines Kontostands recht ruhig verlaufen waren, hatte ich in der freien Zeit Dutzende antike Filme aus den Datenbanken geladen und konsumiert. So stellte ich mir Otto nach Ansicht der alten 2-D-Streifen als greisen englischen Butler vor, dessen Respekt vom Hausherren auf den jungen Lord übergegangen war. Der Tonfall passte exakt, selbst wenn ich den elektronischen Famulus natürlich nicht direkt vor mir hatte.

    »Wie lange dauert die Fahrt?«, fragte ich.

    »Rund acht Minuten.«

    Ich seufzte. »Kannst du bitte die Musik abschalten?«

    »Zu meinem Bedauern, nein. Der Trans-Segment-Lift verfügt über einen autonomen Tonerzeuger.«

    »Oh, und was ist mit den Bildern?«

    Auf dem 360-Grad-Bildschirm der Fahrstuhlkabine liefen normalerweise Newsfeeds, Nachrichten- und Werbeblöcke. Ich musste in diesem Moment jedoch meine Schwindelattacken bekämpfen. Ein Video wurde eingespielt. Wahrscheinlich von einem Kopter aufgenommen, der auf den Sektor drei zuflog. Die Flughöhe war immens, was mir nicht guttat, da ich an Akrophobie litt. In der Ferne sah ich den spitz zulaufenden Turm, in dem auch ich mich gerade aufhielt.

    Auf drei Pfeilern gelagert, ragte er von einer kreisrunden Grundfläche aus rund neun Kilometer in die Höhe. Ein Tripod, der an eine überdimensionale Version des Eiffelturms erinnerte. Die unterste Ebene schwebte wie ein gewaltiges Ufo mit einem Radius von zweihundert Kilometern über Teilen des europäischen Festlands und der Nordsee. In den zehn Segmenten lebten mehr als einhundert Millionen Bürger, die den Sektor drei der Mega-City nur selten oder gar nicht verließen.

    Das Video lief unbarmherzig weiter. Ich schloss kurz die Augen, doch der Schwindel verging nicht. Also sah ich wieder hin. Im strahlenden Licht der Sonne näherte sich der Kopter. Ich fragte mich, wann die Aufnahmen gemacht worden waren.

    »Der oberste Bereich fehlt«, murmelte ich. »Die Bilder sind alt.«

    »Korrekt beobachtet, Bürger Mayer. Es handelt sich um eine Promotionskampagne der LIFT-CORPORATION«, erklärte Otto. »Die Abstimmung über die Aufstockung stand kurz bevor. Der Aufzug zur Satellitenstation, dessen Kabel in der Spitze des Turmes verankert werden sollte, schürte Ängste. Die Bürger waren nicht begeistert über die Aussicht, ein tonnenschweres Seil dicht oberhalb der Köpfe installiert zu bekommen, um eine Verbindung zur Orbitalstation zu errichten. Sie starteten eine Kampagne. Dieses Video gehört dazu.«

    »Warum läuft es gerade jetzt ab? Wo sind die Nachrichten?«

    »Zu meinem Bedauern habe ich keinen Einfluss auf die Bildwiedergabe.«

    »Der omnipotente Famulus ist nicht in der Lage, ein Video abzuschalten?«, witzelte ich. »Ich bin erstaunt.«

    »Nun, so ist es leider. Kann ich Ihnen sonst zu Diensten sein?«

    Ich schnüffelte laut und vernehmlich. »Riecht es leicht nach verbranntem Plastik?«

    »Die Datenlage unterstützt diese Wahrnehmung nicht, Bürger Mayer.«

    »Okay, dann bin ich beruhigt.« Der Bildschirm der Fahrstuhlkabine zehrte an meinen Nerven. Ganz gleich wohin ich auch schaute, sog mich die Tiefenwirkung in den Abgrund. Der Kopter umrundete den Turm in großer Höhe, ließ dabei keine Einzelheit aus.

    Ich sah die drei Pfeiler, Old England auf der britischen Insel, Gamle Danmark, der zu großen Teilen in der Nordsee angebracht worden war. Nur der äußerste östliche Rand berührte die sandigen Dünenlandschaften der dänischen Nordseeküste. Im Flug ging es weiter über das europäische Festland und den letzten Pfeiler, Alt-Deutschland, dessen Grundfläche das alte Ruhrgebiet eingenommen hatte.

    Ich sah auf die nahezu ausgestorbenen, ehemals bewohnten Gebiete des Sektors eins, nun Brachland und Betonwüste. Ein apokalyptischer Alptraum.

    Das Video endete, als der Lift stoppte. Ich spürte den Halt überdeutlich. Irgendjemand musste den Betreiber über die Fehlfunktion informieren. Ich wollte schon Otto den Auftrag dazu geben, als sich die Lifttüren öffneten und mich ein Höllengestank mitten im Gesicht traf.

    Ich atmete flach durch den Mund, um dem Übermaß an olfaktorischen Reizen zu entgehen. »Verdammt, Otto! Wo bin ich nur gelandet?«

    »In Segment vier, Bürger Mayer«, dozierte der E-Fam. »Hier wird produziert, was auf allen anderen Ebenen die Mägen füllt.«

    »Warum stinkt das nur so?«

    »Alles eine Frage der Gewöhnung«, behauptete Otto.

    »Kannst du überhaupt riechen?«, hakte ich nach.

    »Sie sollten sich auf Ihren Auftrag konzentrieren, Bürger Mayer. Die fragliche Firma liegt rund vier Kilometer entfernt. Sie können es gar nicht verfehlen. Eine Sonne schwebt über dem Komplex.«

    Ich verließ den Lift, schaute mich um.

    Nur wenige Bürger hielten sich hier auf. Das Areal zwischen den Hallen und Gebäudekomplexen auf dieser Ebene wurde mehr von Fahrzeugen genutzt. Von E-Mobilern, das waren zumeist autonome Transporter. Große Tore in den Gebäuden spuckten sie förmlich aus. Nach einem nicht erkennbaren Plan sausten sie umher, transportierten wahrscheinlich Rohstoffe von einem Ort an den anderen. In der Mitte des Platzes ragte ein Zentralkomplex in die Höhe. Wie eine Stufenpyramide geformt, schien hier der Vergnügungsbereich zu sein. Ich sah Werbemonitore für Restaurants, Leisure-Paläste und, zu meiner Verwunderung, auch Hotels und Wohnkomplexe.

    Rechts hinter diesem Bereich, deutlich abgesetzt im Hintergrund, sah ich die angekündigte Sonnennachbildung über einer schmucklosen würfeligen Anlage, in der sogar Fenster fehlten.

    Ich stiefelte los, registrierte beinahe resigniert, dass ich mich bereits an den Gestank gewöhnt hatte. Otto schwieg.

    Während meines Wegs zu POETS PLC rollten einige Transporter an mir vorbei. Es waren zumeist Magnetschwebemobiler, die geräuschlos beschleunigten. Im grauen Plastuntergrund bemerkte ich nun auch die vielen eingelassenen elektromagnetischen Fäden. An den Seiten der Lastenfahrzeuge sah ich nur die kleinen Hilfsräder für den Worst Case eines Energieausfalls. Das Abrollgeräusch von Gummirädern erschreckte mich daher, als zwei schwerbeladene offene Mobiler meinen Weg kreuzten. Auf den Ladeflächen stapelten sich Mini-Container mit unterschiedlichen Aufdrucken. Drei oder vier Logos kamen mir bekannt vor, aber bevor ich noch genauer hinschauen konnte, waren sie bereits verschwunden.

    An dem Zentralkomplex legte ich eine kurze Pause ein. Eine transportable Café-Bar mit einer exquisiten Auswahl an sündhaft teuren Echt-Kaffees schien mir ein perfekter Standort für eine Beobachtung.

    Ich lächelte dem Barista zu und entschied mich für einen Espresso mit Bohnen aus der Mega-City Drei, was Bürger Flinall ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Den Namen las ich auf dem kleinen Brustbutton, den er an seinem Kittel festgemacht hatte.

    »Ein Genießer«, rief er aus.

    »Gehen wohl nicht gut? Die Geschäfte mit echtem Kaffee?«, fragte ich.

    »Nein. Hier nicht, Bürger«, gab er zu. »Es sind einfache Arbeiter, die auf dieser Ebene tätig sind. Sie wollen nur einen regulären Syntho-Kaff. Liefere ich natürlich auch. Aber es ist nur heißes Wasser auf einen Löffel des Pulvers. Dafür braucht man keinen Barista.«

    Ich sah ihm zu, wie er die Maschine bediente. In die Stille zwischen dem Fauchen und Brodeln hinein stellte ich meine nächste Frage. »Warum dann diese Stelle für einen mobilen Stand? Warum verkaufen Sie nicht in der Mall?«

    »Zu viel Konkurrenz, Bürger«, antwortete er. »Meine Kunden verschaffen mir hier ein stabiles Einkommen. Bitte schön.«

    Eine Tasse dampfender Köstlichkeit tauchte direkt vor meiner Nase auf. Flinall lächelte mir zu.

    »Danke.« Ich nahm ihm die Tasse ab.

    »Meine Kundschaft geht dort ein und aus.« Er deutete in Richtung der orange glühenden Sonne.

    »Bei POETS PLC?«, vergewisserte ich mich.

    »Ja. Sie kennen den Laden?« Sein Blick fiel automatisch auf die graue Fassade mit dem schwarzen Doppeltor. Kein Schriftzug, keine Werbung. Eine wirklich seltsame Firma.

    »Ist mein Ziel.« Der Espresso war sensationell. Er duftete schokoladig mit einer starken Vanillenote, schmeckte kräftig, erdig, aber nicht bitter. Flinall verstand sein Handwerk.

    »Ihr Ziel? Sind Sie auch ...?«

    »Nein, nein.« Ich wiegelte ab. »Dort ist jemand, den ich suche.«

    »Ah.« Bürger Flinall lächelte zwei Arbeitern in purpurroten Arbeitsanzügen zu, die vor seinem Stand stehenblieben und zwei S-Kaffs bestellten.

    Ich stellte das leere Tässchen ab, überlegte, ob ich mir noch einen weiteren Espresso leisten sollte, als plötzlich Ottos Stimme dazwischenfunkte. »Die Sichtung ist bestätigt, Bürger Mayer. Er ist definitiv durch diese Tür gegangen.«

    »Und seitdem nicht mehr aufgetaucht?«, subvokalisierte ich eine Frage. Das winzige implantierte Interpreter-Modul hinter meinem linken Ohr maß die Muskelkontraktionen meines kompletten Sprechapparates und formulierte daraus Worte, ohne dass ich laut sprechen musste. Otto »hörte« mich so problemlos.

    »Falls es keinen versteckten Hinterausgang gibt, können wir das ausschließen.«

    »Danke, Otto.« Ich konzentrierte mich auf den Eingang zu POETS PLC, einer börsennotierten Gesellschaft, die jedoch nur wenigen Eingeweihten bekannt war. In den Minuten, die ich auf dieser Ebene verbracht hatte, war niemand hineingegangen oder herausgekommen.

    »Sie wissen, wer dorthin geht?«, erkundigte sich Flinall im Verschwörerton und beugte sich zu mir herüber.

    »Ja.«

    »In ein paar Momenten wird sich die Tür öffnen«, behauptete der Barista.

    »Woher wollen Sie das wissen?«

    »Gleich«, flüsterte Flinall.

    Sein Verhalten irritierte mich. Ich wartete jedoch geduldig, bis tatsächlich das Doppeltor aufglitt. Frauen und Männer, rund ein Dutzend, strömten heraus. Sie schienen alle unterschiedliche Ziele zu haben. Zwei kamen direkt auf den Baristastand zu. Die Männer waren in pastellfarbene Hosenanzüge nach derzeitiger Mode gekleidet und redeten angeregt miteinander. Sie trugen beide Rucksäcke.

    »Da kommt meine Kundschaft«, verkündete Flinall und stellte sich bereit.

    »Banzai, Bürger Flinall! Zwei Espressi, wie gewohnt«, rief einer der beiden Neuankömmlinge.

    Ich rückte ein wenig zur Seite, um ihnen Platz zu machen. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit. Ich spürte, dass mich jemand beobachtete. Langsam veränderte ich meine Haltung, spähte in alle Richtungen. Niemand fiel mir auf.

    »Otto«, subvokalisierte ich. »Kannst du mir sagen, ob ich observiert werde?«

    »Sie werden beobachtet?«, kam prompt die Rückfrage.

    »Wenn ich es definitiv wüsste, würde ich nicht um deine Unterstützung bitten.«

    »Niemand verhält sich auffällig, Bürger Mayer. Aber ich werde ein Auge darauf haben.«

    »Gibt es irgendwelche blinden Flecken auf dieser Ebene?«, hakte ich nach.

    »Nein. Allerdings ist die Anzahl der möglichen Subjekte und aktiven Kameras sehr hoch. Es kostet Zeit, alle Unverdächtigen auszuschließen.«

    »Tu dein Bestes!«

    Ich lauschte dem uninteressanten Gespräch der zwei Rucksackträger. Es ging um die Dates am Abend und Deadlines, die zu halten waren.

    Ich nickte Flinall zu, der mir den Device-Reader hinhielt.

    »Oh, ich bin nicht verchipt«, gab ich zu. »Das erledigt mein E-Fam. Welche Nummer?«

    Ich sah für einen Augenblick den Zweifel in seinem Gesicht. Doch Bürger Flinall nannte mir die Nummer. Kurz darauf ertönte ein Ping. Er starrte auf das Display und lächelte, während er die Zahlen las. »Großzügig. Danke. Sie haben einen E-Fam?«

    »Ja.«

    »Die sind selten geworden.«

    »Sind sie?«, meinte ich. »Wäre mir nicht bewusst.«

    »Nun, Bürger Mayer.« Flinall verstaute den D-Reader unter der Theke. Meinen Namen hatte er mit der Zahlung frei Haus geliefert bekommen. Als er mich wieder ansah, erkannte ich, dass er reden wollte und würde. »In der Schule habe ich ein Referat über die Famuli gehalten. Ich war ein neugieriger Prä-Bürger und meine Recherchen wurden sehr gut bewertet.«

    Ich zuckte mit den Schultern. »Und was haben Sie herausgefunden?«

    »Vor rund fünfzig Jahren gab es mehr als einhundert eingetragene E-Fam-Kontraktverhältnisse. Als ich mein Referat hielt, konnte ich nur zwanzig ermitteln. Alle in Familien- oder Gesellschaftsbesitz. Die Zahl der E-Fams sank. Und tut es wahrscheinlich heute noch. Wie viele Besitzer von E-Fams kennen Sie, Bürger?«

    »Nun, ich würde nicht von besitzen sprechen«, widersprach ich. »Aber es sind nicht viele, ja.«

    »Sehen Sie. Aber Sie nennen einen E-Fam Ihr Eigen. Ich bin erstaunt.«

    »Nun, als wissbegieriger Bürger könnten Sie mir auch verraten, wann die Tür dort erneut aufgeht. Ich muss dringend hinein.«

    Der Barista lächelte. »In etwa fünf bis zehn Minuten. Bedeutet jedoch nicht, dass man Sie hineinlässt.«

    »Stimmt«, gab ich zu. »Aber ich habe einen Partner.«

    Flinall schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Richtig. Beehren Sie mich bald wieder«, rief er mir nach.

    Ich steuerte die Doppeltür an, hinter der sich die Firma POETS PLC versteckte. Es wurde Zeit, ein Geheimnis zu lüften.

    Vor dem Eingangsbereich lungerten gleich mehrere Bürger herum, taten uninteressiert, schwiegen einander an. Mich beachtete niemand.

    »Otto? Irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte ich unhörbar.

    »Nein, Bürger Mayer. Zu meinem Bedauern nicht. Die Firewall der Poeten ist außerordentlich. Ich werde länger benötigen, um Ihnen im Inneren von Nutzen zu sein.«

    »Ich bin bereit.« Ein leises Summen unterbrach unser Gespräch. Die ausschließlich männlichen Bürger signalisierten körpersprachlich Bereitschaft.

    Mit einem nahezu seufzenden Geräusch schoben sich die beiden Türen in die Seitenwände. Den Blick hinein verhinderte eine Art grelles Gegenlicht. Gewollt?

    Gestalten schälten sich aus der Helligkeit. Mehrere Bürger drückten sich mit gesenkten Blicken an uns vorbei. Es wirkte verstohlen, beinahe verschwörerisch, wie sie auseinanderstoben, sich auf der freien Fläche verteilten. Eine junge Frau blieb mir im Gedächtnis, weniger, weil sie die einzige weibliche Passantin zu sein schien, sondern vielmehr wegen ihres seltsamen Gangs. Die Schrittlänge zu ausladend, die Bewegungen unbeholfen. Sie humpelte nicht, stattdessen stakste sie unsicher, wie ein Roboter, der das Laufen noch lernen musste.

    Sie starrte mich im Vorbeigehen an, um dann aber den Blick plötzlich abzuwenden, so als würde ich sie nicht interessieren. Es wirkte zu bemüht. Ich hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt, weshalb, war mir nicht klar.

    So verzichtete ich darauf, sie anzusprechen, und richtete eine Bitte an Otto. »Schau mal nach, wer die Frau mit dem seltsamen Gang ist.«

    Die Stimme des E-Fams klang irritiert. »Die Überwachungssensorik der Halle ist nur eingeschränkt nutzbar, Bürger Mayer. Eine Frau? Ich kann keine Frau erkennen.«

    »Was? Kurze blonde Haare, etwa 1,75 groß, schmal in den Schultern und dem Oberkörper, im Verhältnis dazu breite Hüften. Ihr Gang wirkt unnatürlich und sie hat mich gemustert.«

    Otto schwieg.

    Während die ersten Bürger eintraten, wartete ich geduldig, ob es eine Zutrittskontrolle gab. Ich entdeckte nichts dergleichen. Offenbar vertraute die Firma ganz auf ihr abgeschiedenes Gelände in dieser wenig frequentierten Ebene. Kein Wachmann war zu sehen, als ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Auf den ersten Blick suchte ich auch vergeblich nach offensichtlichen Kameras. Vielleicht waren sie nur gut versteckt.

    »Bürger Mayer?«

    »Ja, Otto?«

    »Ich weiß nun, wen Sie meinten. Allerdings ist sie den Observationsmodi entwischt.«

    »Wie? Jemand mit einem solchen Gehrhythmus sollte doch auffallen.«

    »Nun, offenbar kannte die junge Frau die Art der Überwachung und nutzte sie zu ihrem Vorteil. Auf dieser Arbeitsebene nutzen die meisten Firmen Walking-Scanner.«

    »Bitfucking, Otto! Leute identifizieren an ihrem speziellen Gang? Ich dachte, diese Zeiten wären vorbei!«

    Der elektronische Famulus klang beinahe entschuldigend, als er mich belehrte. »Im Zeitalter der frei erwerbbaren Bodysuits, die jedes und jeden imitieren können, stellt die äußere Erscheinung eine nur mäßig effektive Möglichkeit dar, jemanden zu identifizieren. Die Bewegungen eines Bürgers hingegen lassen sich nicht so leicht kaschieren.«

    »Doch diese Bürgerin hat es getan.« Ich bewegte mich auf die noch offenen Tore zu, folgte einem Bürger auf dem Absatz.

    »Ja, leider. Aber ich habe eine optische Aufnahme von einer Observationscam eines Restaurants. Die Auflösung ist schlecht und die Entfernung relativ hoch. Dennoch ist es ein Bild. Ich starte eine Suche.«

    »Informier mich, wenn du etwas herausgefunden hast.«

    »Stets zu Diensten, Bürger Mayer«, entgegnete der E-Fam. »Darf ich fragen, womit die Bürgerin Ihr spezielles Interesse verdient?«

    »Instinkt, Otto. Instinkt.« Ich spazierte einfach weiter. Der rechteckige Vorraum wies drei Türen auf. Beschriftet waren sie mit POETEN, JOURNALE und SERVICE.

    Alle wartenden Bürger verließen den Bereich durch eine der beiden Türen mit POETEN und JOURNALE.

    Ich war ratlos.

    »Bürger Mayer?« Ottos Stimme klang gedämpft und leicht verzerrt.

    Ich bemerkte, dass sich das Doppeltor nach außen geschlossen hatte. »Ja, Otto?«, fragte ich subvokal zurück.

    »Die Verbindung wird massiv gestört. Ich melde mich, wenn ich die Firewall überwunden habe.«

    Ich sparte mir eine Antwort. Die Tür mit der Aufschrift SERVICE öffnete sich automatisch, als ich nähertrat. Es erwartete mich ein Zimmer mit einem Tresen, hinter dem holografisch ein künstliches androgynes Gesicht lächelnd in der Luft schwebte. Auf einen kompletten Oberkörper hatte der Designer verzichtet.

    »Banzai und willkommen bei POETS PLC, Bürger. Was kann ich für Sie tun?« Die Lippenbewegungen waren nicht exakt synchron, was ich unter fahrlässig subsumierte. Hier residierte eine Firma, die sich solche Fehler erlauben konnte.

    »Ähm, ich weiß nicht recht«, gab ich ganz das Bild eines unsicheren Kunden.

    »Möchten Sie ein Abo abschließen? Sind Sie im Besitz eines Gutscheins für eine Probestunde?«

    »Probestunde«, erwiderte ich.

    »Bitte übertragen Sie Ihren Rabattcode.«

    Ich räusperte mich. »Damit kann ich nicht dienen. Wie hoch sind die Kosten für eine Probestunde, wenn ich sie bezahlen muss?«

    »Dies ist leider nicht möglich.«

    »Könnte ich bitte mit einem Menschen sprechen?«, versuchte ich den letzten Ausweg des genervten Kunden.

    »Einen Moment«, entgegnete das holografische Gesicht, bevor es erlosch.

    Ich wartete, ohne mich auffällig umzusehen. Es dauerte weniger lang als erwartet, bis eine versteckte Tür sich öffnete.

    Ich sah auf. Ein Bürger, der sein professionelles Lächeln wie eine Maske präsentierte, betrat den Raum und deutete eine Verbeugung an. »Banzai, Bürger ...?«

    »Mayer. John Mayer. Banzai.« Der Angestellte von POETS PLC war in einen graubraunen, enggeschnittenen Hosenanzug gekleidet. In nichts unterschied er sich vom Heer der Modediktat-geprägten Bürger des Sektors drei. Die Haare zu einem wuschelig-modischen Kurzschnitt drapiert, der Körper auf die optimale Länge von 1,80 Metern optimiert, das Gesicht makellos, die Zähne strahlend weiß und die Fingernägel in allen Farben des Regenbogens lackiert, so wie es für die Männer bis dreißig angesagt war. Auf der schmalen Brust prangte ein Namensschild, eingeklammert von zwei stilisierten Federn. Ich beugte mich vor, um es genauer in Augenschein zu nehmen. »Bürger Peabloid, vielen Dank, dass ich mit einem Menschen aus Fleisch und Blut sprechen kann.«

    Sein Lächeln veränderte sich nur um eine Nuance. »Nicht Piebleut. Pea-blo-id, Bürger Mayer. Ich bin der diensthabende Service-Mitarbeiter und stehe Ihnen zur vollen Verfügung. Wie kann ich Ihnen helfen? Sie sind noch nicht in unserer Datenbank als Kunde registriert. Was also ist Ihr Begehr? Und wie sind Sie auf das Angebot unserer kleinen, aber feinen Firma gestoßen, wenn ich fragen darf?«

    Bürger Peabloid gehörte definitiv zur neugierigen Sorte. Entweder betrieb POETS PLC einen enormen Aufwand zur Qualitätssicherung oder sie hatten etwas zu verbergen.

    »Nun, ich würde gerne eine Probestunde absolvieren«, behauptete ich.

    »In welchem Bereich?«, hakte Peabloid nach, der mit keiner Silbe erwähnte, dass ich seine Fragen nicht beantwortet hatte.

    »Bereich?« Mir fielen die Türüberschriften in der Vorhalle wieder ein. »Ach so. Journale.«

    »Sie sind Redakteur? Oder Freischaffender?«

    Seine intensive Befragung beunruhigte mich. »Ist das wichtig?«, wich ich aus. Wenn du nichts verraten willst, so beantworte eine Frage stets mit einer Gegenfrage.

    »Nun, nein. Wie sieht es mit Referenzen aus?«

    Ich stutzte. »Muss ich welche vorweisen?«

    »Nun ...« Bürger Peabloid umrundete den Tresen und trat dicht an mich heran. Das geglättete Gesicht ließ keinen Rückschluss auf seine tatsächlichen Motive zu. »Bürger Mayer. Es ist üblich, dass jeder Neuzugang von mindestens zwei aktuellen oder ehemaligen Kunden eine Empfehlung erhält.«

    Ein Club? Diese bitgefuckte

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