Die letzte Reise: Krimi aus dem Totenreich 3
Von Myron Bünnagel
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Buchvorschau
Die letzte Reise - Myron Bünnagel
1
Ich konnte das Meer durch das geöffnete Fenster riechen, noch bevor die mehrspurige Straße zu einem einsamen Band Richtung Labelle verkümmerte. Ein schwerer, feuchter Geruch, der heran kroch und zu nisten begann. Er erinnerte mich an einen ungelüfteten Keller in dem irgendetwas vor sich hinfaulte. Eine Leiche vermutlich. Hinter den Vororten mit ihren heruntergekommenen Eigenheimen kamen ein paar verlassene landwirtschaftliche Betriebe und schließlich ausgedorrte Wiesen. Dann schlängelte sich die Küstenstraße an vergilbten Reklametafeln vorbei, mindestens zehnmal das gleiche Motiv – Suntop Waschpulver mit einer strahlenden Hausfrau darauf. Aus mir unbekannten Gründen musste sich die Werbung auch über den Tod hinaus behaupten. Jetzt tauchte das Meer auf und weigerte sich bald darauf, aus der Landschaft zu verschwinden. Sein Gestank passte zu der schwarzen Brühe, die bis zum Horizont reichte. Das Meer der Unsicherheit. Angeblich brandete es bis in die Gefilde der Lebenden, man musste nur weit genug hinausfahren. Wenn einen nicht vorher die tückische Strömung oder Untiefen hinderten. Mit Sicherheit wusste jedoch niemand, was am anderen Ufer wartete. Weit draußen kreuzten einige schrottreife Tanker in den Fahrtrinnen, vermutlich direkt im Bermuda-Dreieck verloren gegangen. Der Himmel über ihnen wollte die Sonne nicht durchlassen und hielt sie hinter einem diesigen Schleier gefangen. Ein warmer, idyllischer Tag.
Labelle lag drei Fahrtstunden von der Stadt entfernt, ein verschlafenes Küstenörtchen mit weißen Häuschen und den typischen Touristenläden. Nur, dass niemand hier jemals zum Urlaubmachen herkam. Die Villen schmiegten sich ans Kliff, bereit, in die Tiefe zu stürzen, wenn der Fels zu bröckeln begann. Ein exklusives Fleckchen für die Reichen und Schönen.
Barrents Haus lag am anderen Ende von Labelle, etwas abseits selbst von den anderen Villen. Ein Gebäude mit viel Glas und einem Flachdach, zeitlos geschmacklos. Eine hölzerne Plattform hing über dem Abgrund und lud zu Tanzabenden ein.
Ich lenkte meinen Wagen die Einfahrt hoch und parkte neben einer Limousine und einem Sportcoupé. Die verdorrten Blumen und das abgestorbene Gras waren sorgfältig gepflegt, dem Haus selbst merkte man erst auf den zweiten Blick an, dass es Opfer eines Feuers geworden war. Unter der weißen Farbe sah ich die verkohlten Holzleisten.
Der Türklopfer brachte es nicht zum Einsturz, also wartete ich. Im Hintergrund rauschte träge das Meer, im Haus ging eine Tür, aber ansonsten war es hier oben angenehm ruhig.
Ein Butler öffnete und streckte den Kopf heraus. „Sie wünschen?" Er war klein und aufgequollen, mit einer grobporigen Nase und blutunterlaufenen Augen. Sehr wahrscheinlich, dass er sich tot gesoffen hatte.
„Roger Cross – Mr. Barrent erwartet mich."
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das ist richtig. Bitte, folgen Sie mir nach hinten. Er stieß die Tür auf und führte mich durch die Villa nach draußen. Alles war sauber und ordentlich, aber der Brandgeruch würde dennoch nie ganz verschwinden. Das Innere war wie ein Mausoleum, totenstill und voll gestellt mit Grabbeigaben aus allen möglichen Epochen. Irdene Krüge, Waffen, Masken, Schmuck – in Vitrinen, Regalen und an den Wänden. Ich blieb vor einer Auslage mit goldenen Ketten und Ringen stehen, vielleicht altrömischer Herkunft, aber was wusste ich schon davon. „Muss ja ein paar besorgte Hinterbliebene haben, Ihr Chef.
Der Butler runzelte die Stirn: „Mr. Barrent ist Sammler, einer sehr bedeutender."
„Natürlich auch möglich."
Der alte Knabe machte sich nichts aus Humor: „Hier entlang, bitte, Mr. Cross. Er geleitete mich durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Die Plattform war mit einem Tisch und Stühlen hergerichtet. „Wenn Sie sich bitte einen Augenblick gedulden wollen.
Er sparte sich die Verbeugung und überließ mich dem Wind und dem Panorama. Das ganze Konstrukt knarrte und ächzte, als ich mich an die Reling lehnte und auf das schwarze Wasser hinab schaute. Weit draußen trieben Bojen, die übereifrige Schwimmer davor warnten, sich der Strömung auszusetzen, auch wenn ich nicht wusste, wer überhaupt einen Fuß in diese stinkende Brühe setzen würde. Die dunklen Wellen liefen unter mir an einem hellen Strand aus, an dem ein Motorboot lag. Eine Jacht lohnte wohl nicht. Unweit davon stand ein einsamer Liegestuhl auf dem sich eine Blondine räkelte, die noch viel einsamer aussah. Ihr Badeanzug verbarg nicht allzu viel des wohlproportionierten Körpers. Unsere Blicke begegneten sich und ich war mir sicher, dass sie gerne ein wenig Gesellschaft dort unten gehabt hätte.
„Mr. Cross? Schön, dass Sie es einrichten konnten. Mein Name ist Geoffrey Barrent." Eine tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Er wirkte wie ein Mittfünfziger, grau an den Schläfen, nicht mehr ganz formschön um die Hüften, Maßanzug, nervöse Hände.
„Schöne Aussicht haben