Fairytale gone Bad 3: Das Zeitalter der Kröte
Von Faye Hell
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Über dieses E-Book
Ein buchstaben-totalitäres System kontrolliert den Buchmarkt.
Es gibt nur noch ein einziges Buch, das gelesen werden darf. Jacob Toads monströses, dreitausend Seiten umfassendes Meisterwerk: Die Geschichte unserer Welt – ein Märchen? Im Untergrund widmen sich Widerstands-Buchgruppen aber weiterhin den alten Klassikern. Ein gefährliches Unterfangen, denn illegales Lesen wird mit dem Tod bestraft.
Bist du bereit für den letzten Schriftsteller unserer Gesellschaft?
Bist du bereit für das letzte Buch deines Lebens?
Bekannte Märchen auf eine ganz neue Art nacherzählt - nichts für kleine Kinder! Die Gebrüder Grimm würden im Grab rotieren ...
In der Reihe FAIRYTALE GONE BAD erscheinen:
1: Die Nacht der Blumen - von Michaela Harich
2: Der Flug der Krähen - von Stephanie Kempin
3: Das Zeitalter der Kröte - von Faye Hell
4: Die Schwefelbraut - von M. H. Steinmetz
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Buchvorschau
Fairytale gone Bad 3 - Faye Hell
Fairytale
gone bad
Faye Hell
Das Zeitalter der Kröte
Content Notes
Nicht geeignet für jüngere Leser.
#gewalt #sexuelle sprache
© 2020 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein
Herausgeberin und Lektorin der Reihe: Michaela Harich
Umschlaggestaltung: Viktoria Lubomski Design
Alle Rechte vorbehalten
ISBN TB – 978-3-95869-389-0
Printed in the EU
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amrun-verlag.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
v1/20
auf dem hohen dach der zivilisationen
prangen trotzig die kalten definitionen
kosten
wäre sie kostenlos
nutzen
wäre sie nutzlos
gib nie dumpf der illusion dich hin
denn materie prägt hier den sinn
materielles der gefährte
hochstilisiert und ausstaffiert
auf puren wert rasch reduziert
und dennoch gänzlich ohne werte
reguliert besessen den ursprünglichen fluss
verhöhnender götze ergeht sich im genuss
alles unmittelbare
glattkarschiert
alles unberührbare
abgenutzt
geprügelte sehnsucht weicht kalkül
starre nichtigkeit, wahr zählt nicht viel
die kröte muss und die kröte soll
jeder hier auf diesem haufen
ist zu kaufen und will kaufen
die kröte bekommt den hals nicht voll
schleck sie – schluck sie
würg sie
würg sie hinab
die kröten
bis du nicht mehr kannst
sondern sie dich können
schleck sie – schluck sie
würg sie
würg sie hinab
die moneten
verdau mit gedärm das taler speit
auf das gebeinhaus der menschlichkeit
löst es sich einst bleibt der abdruck im fleisch zurück
vom preisschild das mit nachdruck jedem aufgegdrückt
dem dir
dem mir
dem einmal wir
schon lang nicht mehr
dieses anorganische amphib
es folgt seinem regressiven trieb
frisst es das übrige selbst das bleibt
verklingt ein leben ohne sinn
mit einem allerletzten bing
am scannerfeld der vergänglichkeit
EINS: Die Rebellion muss funktionieren
Mitten auf meinem gläsernen Wohnzimmertisch lag ein Mann.
Mit nacktem Arsch.
In seiner eigenen Kotze.
Zu seinem und wohl auch zu meinem Glück lag er auf dem Bauch. Deshalb war er nicht an der Kotze erstickt und ich konnte seinen Schwanz nicht sehen. Für dieses Vergnügen hätte ich schon unter den Tisch kriechen müssen und darauf konnte ich getrost verzichten. Am Morgen nach einer durchfeierten Nacht war nichts grauenvoller als der schlaffe Schwanz eines anderen Mannes. Okay, ein Toter auf dem Wohnzimmertisch wäre wohl schlimmer gewesen als ein regungsloser Schwellkörperlurch, doch das Schicksal hatte uns beide verschont.
Zwischen den Arschbacken des Mannes ragte eine rote Kerze empor. Bei eingehender Betrachtung erkannte ich, dass es sich wohl um eine weiße Kerze handeln musste, die das Blut des Mannes rot gefärbt hatte. Eine harte Nacht definierte man am besten dadurch, dass man mit einer blutigen Kerze im Arsch erwachte. Der arschnackte Mann begann zu schnarchen und die Kerze vibrierte bei jedem Ton.
Interessant.
Neugierig trat ich etwas näher. Die Kotze war noch nicht eingetrocknet. Grüne Schlieren zogen sich durch einen gelblichen Brei. Galle. Nur routinierte Säufer kotzten Galle. Das hatte man mir zumindest gesagt. Ich war kein geübter Säufer, sondern bestenfalls ein ambitionierter Amateur. Ich bevorzugte Drogen. Weiche Drogen, harte Drogen, Insektenvernichtungsmittel. Ich hatte ohnehin nicht vor, lange zu leben, da konnte ich mein Leben genauso gut besonders stillos und brachial verschwenden. Und das an jedem einzelnen gottverdammten Tag.
In der halbgetrockneten Kotze schwamm ein weiß schimmerndes Bröckchen. Ich beugte mich hinunter, um es eingehend betrachten zu können. Scharf gezackte Kanten. Ein Stück eines Schneidezahnes. Wahrscheinlich hatte jemand dem arschnackten, schnarchenden Typen in die Fresse geschlagen, bevor er ihm mit einem Wachspflock den Schließmuskel geweitet hatte. Liebe hatte eindeutig viele Gesichter.
Ein eisiger Hauch kroch aus der Klimaanlage an der Decke und trieb mir den Gallengestank in die Nase. Ich würgte, kotzte neben meinen Wohnzimmertisch mit Kerzenständer, wischte mir das schweißnasse, blau gefärbte Haar aus dem leichenblassen Gesicht, taumelte zurück zur geschwungenen Mamortreppe, die hinauf in den ersten Stock führte, und ließ mich darauf niedersinken.
»Heilige Scheiße«, murmelte ich, als ich den Blick durch mein Wohnzimmer schweifen ließ und hätte dabei selbst nicht sagen können, ob diese fünf Silben die Verlautbarung elementarer Erschütterung waren oder fundamentalen Stolz ausdrückten.
»Verdammte heilige Scheiße.«
Das würde mir niemand nachmachen können.
Vor allem, weil jeder andere dafür ins Zentrum wandern würde. Und niemals wieder zurückkehren.
Das war die Kernkompetenz des Zentrums.
Es fraß Menschen.
Ich schüttelte den Kopf. Jeder Fehltritt war in unserer Gesellschaft schwierig. Aber meine exzessiven Feste waren auch deshalb sagenhaft und unerreicht, weil ich es einfach drauf hatte. Ich wusste, wie man stilsicher verzweifelte, eskalierte, deklassierte und zelebrierte. Diese letzte Zelebration hatte ein Schlachtfeld hinterlassen. Scheintote inklusive. Zumindest glaubte ich, dass keine der halbentkleideten Alkohol- und Drogenleichen tatsächlich tot war. Darüber hinaus war das Überleben oder eben Ableben meiner Partygäste belanglos. Ich würde nicht mal dann Probleme bekommen, wenn sie alle so lebendig waren wie mein kalter, besudelter Glastisch.
Auf dem überdimensionalen, schwarzen Ledersofa vor dem Panoramafenster, das einen unverbauten Blick auf einen weißen Sandstrand, gigantische Palmen, wogendes Meer und einen blitzblauen Himmel gewährte, lagen sechs splitternackte Menschen. Möglicherweise waren es auch sieben, vielleicht sogar mehr. Das hoffnungslose Gewirr aus Gliedmaßen erschwerte genaue Angaben. Jemand mochte seinen Kopf versenkt, ihn zwischen Titten und Ärsche gesteckt haben. Jemand könnte ihn sogar verloren haben.
Der schwarze Marmorfußboden war übersäht mit leeren Flaschen, Kanülen, Kleidungsstücken und weiteren regungslosen Menschen. Meine verdammte Villa, am beschaulichen Rande der kapitalen Stadt gelegen, hatte dreizehn Schlafzimmer, aber ich war mir sicher, dass es alle meine Gäste entweder auf meinem feudalen Glastisch, meinem Sofa oder schlichtweg auf dem Fußboden getrieben hatten. Ich liebte es, mich wie ein russischer Oligarch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu fühlen. Ausschweifungen waren meine Form der Diskretion. Die Schlafzimmer hatte ich nur, um in schlaflosen Nächten an den verschlossenen Türen vorbeizuwandern wie ein Schlossgespenst und meine Weltentfremdung zu vertiefen.
Diese leeren Zimmer – für Freunde, Familie und etwaige andere Gäste gedacht – waren der Inbegriff meiner Einsamkeit. Sie waren das Sinnbild jeder Einsamkeit. Ich brauchte die Zimmer, um mich sicher zu fühlen. Ihre Leere war mein Bollwerk gegen eine Gesellschaft, die bloß eine Gier kannte: die Gier, mir Gesellschaft zu leisten.
Einsamkeit bedeutete Sicherheit.
Dennoch war es meine Pflicht, uneinsam zu sein.
Es war das, was das Komitee von mir verlangte.
Niemand widersetzte sich dem Komitee. Noch nicht mal ich. Am allerwenigsten ich. Mich gab es nur, weil es diesen Ausschuss gab. Ich war kein Mensch, war es nicht mehr. Ich war ein Produkt. Ich war erschaffen worden. Irgendwann würden sie mich wegwerfen.
Ich kratzte mich an meinen Eiern und mein Schwanz wurde hart. Kurz überlegte ich, ob ich ihn einer der Scheintoten reinschieben sollte, aber trotz all meiner abartigen Veranlagungen stieß mich jegliches nekrophile Gebaren konsequent ab, also beschloss ich, stattdessen ein wenig aufzuräumen. Ich tippte mit dem Zeigefinger nah meiner linken Schläfe gegen das Jochbein und aktivierte den internen Kommunikator. Das Implantat war ein Privileg und rein allgemeinmenschlich gesehen nicht serienmäßiger Standard. Vorerst hatten nur Personen, die auch wirklich Teil des Netzes waren, Interne. Die herrschende Klasse war, was die technische Evolution betraf, der gesellschaftlichen Masse immer mindestens einen Schritt voraus. Die anderen hatten ein Smarter Phone.
Ich hatte einen Internen.
Ich war eine Privilegierter.
Ein Gefesselter.
Ein Kontrollierter, der die Massen kontrollierte.
»X23P6 korrekt«, meldete sich eine Stimme in meinem Kopf.
»Ich brauche einen Aufräumtrupp«, sagte ich, während ich aufstand und an den Körpern vorbei zum Panoramafenster ging.
»X23P6 verstanden«, kam die Antwort.
Das war alles.
Anweisungen wurden gegeben, Anweisungen wurden verstanden und Anweisungen wurden ausgeführt. Wenn man das Zusammenleben erst mal auf dieses Mindestmaß an Interaktion heruntergebrochen hatte, war die Freiheit eine Zier, die niemand gern sein Eigen nennen wollte. Nur wer nicht mehr anordnete, verstand oder ausführte, war frei. Und wer frei war, wurde abgestellt und verwahrt. Eingefroren bis zum Besserungstag.
Eine postmoderne Legende.
Ein Dogma, eine Lüge. Niemand würde sich bessern und niemand wurde eingefroren.
Es gab das Zentrum, aber keine unterirdischen Lagervorrichtungen, in denen steife Körper ihrer Besserung entgegenschliefen.
Es gab bloß Krematorien.
Die Flammen waren das Eis unserer Nation und sie waren gleichermaßen ein demütiger Kniefall vor den verehrten Ahnen.
Wähle die Mittel deiner Vernichtung weise, lass es Asche regnen.
Ich schaute hinaus auf den Meeresstrand, wo sanfte Wellen am weißen Sand leckten wie ich an der Pussy einer Unbefleckten. Diese Perfektion ließ Magensäure meine Speiseröhre hinaufkriechen. Es war so schön, dass es zum Kotzen war. Abermals übergab ich mich auf meinen Fußboden. Ich zuckte mit den Achseln. Kein Thema, der Aufräumtrupp würde demnächst eintreffen und Kotze wie Leiber wegschaffen.
Ich hielt mein Jochbein gedrückt. Dreiundzwanzig Minuten, teilte mir das Netz mit. Gelangweilt beobachtete ich eine Möwe, die am blauen Himmel ihre Kreise zog, und berührte schließlich das Display neben dem Fenster mit meiner flachen Hand.
Die Idylle war unerträglich.
Und mit meiner Berührung brach sie in sich zusammen wie das Kartenhaus, das wir alle bewohnten.
Aus dem feuchten Traum eines Netzzeitalter-Touristen wurde ein wütender, stinkender, grauer Moloch. Die kapitale Stadt, wie sie leibte, aber kaum noch lebte. Undurchdringliche Wolken aus Ruß, Asche und dem totalen Kollaps. Kalte Wände, kalte Herzen, kaltes Leben. Ein Wahnsinn aus Beton,