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Piratensehnsucht: Zwischen Himmel und Hölle
Piratensehnsucht: Zwischen Himmel und Hölle
Piratensehnsucht: Zwischen Himmel und Hölle
eBook886 Seiten13 Stunden

Piratensehnsucht: Zwischen Himmel und Hölle

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Über dieses E-Book

Karibik 1653:
Rosalia ist siebzehn, frisch verlobt und Tochter einer Fürstin - und des berüchtigten Piratenkapitäns Garreth.
Noch schlimmer als das: Sie hat sich in den Kopf gesetzt, ihn zu finden.
Von wem sie jedoch nichts weiß, ist der verbitterte, gefühlskalte Pirat Cornelius, ein Crewmitglied ihres Vaters. Und der sieht nicht nur umwerfend aus, sondern erweckt auch nie gekannte Gefühle in ihr.
Doch dann führt er sie in die dunklen Geheimnisse der Welt der Elfen ein …
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. Aug. 2016
ISBN9783734540110
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    Buchvorschau

    Piratensehnsucht - Julia Napp

    Prolog

    Mitten in der Nacht schreckte ich auf.

    Was war das?

    Angespannt lauschte ich in die Stille hinein, horchte auf jedes kleine Geräusch, doch ich vernahm nur das entfernte Rauschen der Wellen und das Rascheln von Ästen im Wind.

    Etwas beruhigter wollte ich mich gerade wieder hinlegen, da hörte ich es erneut. Wie ein fernes Donnergrollen.

    Hastig sprang ich aus meinem Bett und lief zum Fenster. Ich wusste, was diese Geräusche bedeuteten, hatte ich sie doch schon oft genug gehört. Und wie jedes Mal jagten sie mir kalte Schauer über den Rücken. Mein Herz raste.

    Ich riss das Fenster auf und beugte mich hinaus, um besser hören zu können, doch mein Verdacht bestätigte sich bereits, als ich die unnatürlich schwere Luft einatmete. Sie roch nach Meer, Rauch, Blut und Angst. Es bestand kein Zweifel.

    Piraten.

    „Rosalia. Rose!" Ich hörte, wie Gracia durch den Flur geeilt kam. Wenig später riss sie die Türe auf und sah mich aufgeregt an. Ihr Gesicht war schreckensblass.

    „Komm schnell. Die Piraten … die Stadt … alles brennt!" Sie zitterte am ganzen Körper, schaffte es aber dennoch, mir einen Umhang zuzuwerfen, mir Schuhe hinzustellen und ungeduldig zu warten, bis ich mich angezogen hatte. Dann nahm sie meine Hand und zog mich aus meinem Zimmer. Hastig liefen wir durch die Gänge des Palasts, einige Treppen nach unten und schließlich ins Freie, wo bereits eine Kutsche wartete. Die Pferde warfen nervös die edlen Köpfe herum, als spürten sie die Gefahr, die in der Luft lag.

    Sobald wir eingestiegen waren, fuhr die Kutsche los und nur die Wachen blieben zurück.

    Atemlos ließ ich mich nach hinten sinken und spähte durch die zugezogenen Vorhänge, während meine Stiefschwester neben mir zitterte und weinte.

    Angsthase. Sei doch froh, dass endlich einmal wieder etwas passiert. Das Leben ist sonst so öde.

    Aber tief in mir hatte auch ich Angst.

    Vorsichtig schob ich die Gardine ein Stück zurück und sah in die dunkle Nacht hinaus. Das Donnern der Kanonen und Pistolen, die Schreie der Menschen im Hafen und das Klirren von Waffen wehten zu uns herüber, entfernten sich aber langsam. Wir waren auf dem direkten Weg aus der Stadt heraus.

    Plötzlich wieherten die Pferde und mit einem Ruck blieb die Kutsche stehen.

    „Was ist los?", rief der Fürst und klopfte an die Wand, die uns vom Kutscher trennte, doch er bekam keine Antwort. Stattdessen wurden die Türen aufgerissen und während meine Stiefschwester wie am Spieß schrie, blickte ich in das Gesicht eines verdreckten Mannes.

    Das letzte, was ich sah, war der Säbel, der auf meine Brust zuraste.

    Ich erwachte schweißgebadet und keuchend, schlug die Decke zurück und ging wankend zum Fenster, das ich hastig aufriss. Kühle Luft strömte mir entgegen und beruhigte meinen wilden Herzschlag.

    Wieder ein Albtraum. Wieder derselbe, wie sonst immer. Wieder dieses böse grinsende Gesicht, das ich zu kennen glaubte. Denn tief in meinem Innersten war da diese Erinnerung, die mir sagte wer das war.

    Dabei hatte ich keine Ahnung, wie mein Vater aussah …

    1. Ein Brief an einen Geliebten

    Ich sah mich in dem leeren Zimmer um. Eigentlich war es gar nicht leer, aber es kam mir wie ausgestorben vor. Keine Kleider im Schrank, keine Bilder an den Wänden, das Bett ohne Kissen, die Fenster ohne Vorhänge.

    Langsam strich ich über die raue Oberfläche des kleinen Tisches in der Ecke, auf dem keine Blumenvase mehr stand. Ich hatte mich hier nie zu Hause gefühlt, aber es war doch immer meine Heimat gewesen. Ich kannte nichts anderes. Und eigentlich wollte ich auch gar nicht hier weg. Nicht, solange es André gab.

    Seufzend ließ ich mich auf dem Stuhl nieder und starrte aus dem Fenster. Hinter den Zweigen des Baumes konnte ich das Meer funkeln sehen.

    Wenn ich dich doch noch einmal sehen könnte …

    Mein Herz zog sich vor Schmerz zusammen, als ich an all die schönen Augenblicke dachte, die André und ich gemeinsam erlebt hatten. Die Blumen, die Küsse bei Nacht am Strand, unsere stundenlangen Gespräche. Wie sollte ich ohne all das überleben? Wie sollte ich ohne ihn überleben?

    Mein Blick fiel auf das Tintenfässchen auf dem Tisch. Ohne lange zu überlegen, zog ich einen Papierbogen und eine Schreibfeder aus einer Schublade, tauchte die Feder in das Tintenfass und begann zu schreiben:

    Liebster André,

    Ich schreibe Dir diese letzten Zeilen voller Trauer. Ich wünschte, es wäre nicht vorbei. Ich wünschte, es würde einen Ausweg für uns beide geben. Doch das Schicksal hat es nie gut mit mir gemeint, das weist Du. Und seit Du weg bist, ist alles noch viel schlimmer geworden. Du weißt, wie sehr ich diesen Palast ohne Dich verabscheue. Wenn Du nicht da bist, ist mein einziger Trost, dass Du bald wiederkommst. Doch in meinem Herzen wollte ich immer weg von hier. Aber nicht so. Nicht, indem ich Gouverneur Dayron heirate.

    Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem ich den Gouverneur kennengelernt hatte. Mutter, die Fürstin Bellisa von Belize, hatte meiner Gouvernante Gracia befohlen, mich hübsch zu machen. Hübsch, wie sehr ich dieses Wort verabscheute. Ich wollte nicht hübsch sein. Ich wollte nicht, dass sich die Leute an mich erinnerten, an das Mädchen, das nie hätte geboren werden dürfen. Ich wollte, dass sie mich einfach ignorierten, mich in Ruhe ließen. Und wenn sie es nicht lassen konnten, über mich herzuziehen, sollten sie es wenigstens in meiner Gegenwart machen und sich nicht wie Feiglinge hinter meinem Rücken zusammenstellen und tuscheln. Ich wollte nicht länger so tun müssen, als wäre ich ein liebes, braves Mädchen. Ich hielt das Geheuchel, die Intrigen, diesen feinen aber rasiermesserscharfen Charme, dessen Ironie man schon von weitem sah, wenn man in einem Palast aufgewachsen war, nicht mehr aus. Ich wollte den Leuten in die Augen sehen, wenn ich mit ihnen sprach.

    An jenem Tag, an dem ich Gouverneur Dayron kennengelernt hatte, hatte ich ein rotes Gewandt getragen, in das meine Gouvernante mir geholfen hatte. Gracia war ziemlich flink für ihr Alter – und sie war alt, darin bestand kein Zweifel. Sie war eine kleine einheimische Frau – wie eigentlich alle Bediensteten – mit grauem Haar, das sie immer unter einer weißen Haube verdeckt trug. Sie hatte kleine, braune Augen, die von Krähenfüßen umrahmt waren, eingefallene Wangen, eine kleine Nase und volle Lippen.

    Gracia hatte mir die Haare zu einem ungemütlichen Knoten aufgesteckt und meine Füße hatten in den engen Schuhen geschmerzt. Das Korsett hatte mir die Luft abgeschnürt, als ich durch die langen, mit Gemälden und Wandteppichen geschmückten Flure des Palasts entlanggegangen war.

    Der Palast, in dem ich mit meiner Mutter, Fürstin Bellisa, lebte, lag inmitten der spanischen Kolonialstadt Belize an der karibischen Meeresküste. Hinter dem Palast erstreckte sich ein riesiger Park mit uralten Mahagonibäumen, Orchideen, Mangroven und Palmen. Durch den Handel mit dem begehrten Mahagoniholz war die Familie meiner Mutter reich und wohlhabend geworden.

    Natürlich hatte ich auch einen Vater, aber über den sprach niemand. Es wurde mir verboten über ihn zu sprechen. Ob es daran lag, dass es Mutter unangenehm war, oder daran, dass sein schlechter Ruf sein Licht auf mich werfen könnte, wusste ich nicht. Ich wusste sowieso nur ziemlich wenig über ihn. Das Einzige, was man mir nicht verschwiegen hatte, war, dass er uns verlassen hatte, als ich noch sehr jung gewesen war. Gerüchten zufolge, die mich nur erreichten, wenn ich in der Stadt war, war er einer dieser Piraten, die ganze Städte niederbrannten und die größten Schiffe überfielen. Aber ob daran etwas Wahres war, wusste ich nicht mit Sicherheit. Was ich hingegen wusste, war, dass ich nichts sehnlicher wollte, als zu ihm. Pirat hin, Pirat her. Wenn da nicht André gewesen wäre.

    Als mein Vater meine Mutter kennengelernt hatte, wusste sie – ebenfalls den Gerüchten zufolge – nicht, dass er ein Pirat war. Er hatte sich als wohlhabender Bürger ausgegeben und sie betrogen. Aber als irgendwann die Wahrheit ans Licht gekommen war, hatte er fliehen müssen, um nicht gehängt zu werden.

    Leider hatte ich, da ich damals kaum geboren war, keine Erinnerungen an ihn. Außer einer – ich hatte ihn geliebt. Das spürte ich jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, und ich wusste, dass auch er mich geliebt hatte.

    Als ich gerade vier Jahre alt gewesen war, heiratete meine Mutter – ihr erster Ehemann war bei einem Schiffsunglück gestorben – erneut. Fürst Gregorio, der aus einer kleinen spanischen Kolonie im Landesinneren kam, brachte seine beiden Kinder mit, die ihre Mutter durch die Geburt des zweiten Kindes verloren hatten. Seitdem lebten wir zusammen. Ein Albtraum, denn aus irgendeinem Grund mochte mich mein Stiefvater nicht. Er ließ kaum eine Möglichkeit aus, mich zu schikanieren, herumzukommandieren oder mir eine Tracht Prügel zu versetzen. Früher hatte er es grundlos getan, aber mit der Zeit hatte ich angefangen selbstständig zu Denken und zu Handeln. Was ihm gar nicht passte. Ich versuchte immer wieder, vernünftig mit ihm oder meiner Mutter zu reden, doch sie hörten mir nicht zu, meinten, dies seien keine Gesprächsthemen für eine Frau wie mich – dabei war ich die rechtmäßige Erbin! – und schickten mich weg. Leider siegte in solchen Momenten oft meine rebellische Seite und ich erwiderte doch noch etwas, woraufhin mir Gregorio meistens seinen Willen einzuprügeln versuchte. Inzwischen ertrug ich es, ohne um Nachsicht zu betteln, sondern biss mir einfach auf die Zunge und unterdrückte den Instinkt, mich wehren zu müssen.

    Doch dann war er mit der Nachricht gekommen, dass ich heiraten würde. Den reichen, ungebildeten, unehelichen Gouverneur Dayron, der irgendwo auf den kleinen Antillen lebte. Vor ein paar Wochen war der alte Gouverneur gestorben und hatte seinem einzig bekannten Sohn alles hinterlassen und ihn zu seinem Erben gemacht. Man munkelte, dass er nicht auf natürliche Weise gestorben war, aber keiner konnte es beweisen und all die, die es vielleicht gekonnt hätten, wagten es nicht, die Stimme zu erheben.

    Es war mir vorgekommen, als würde ich zum Galgen gehen, als ich mich auf den Weg gemacht hatte, um Dayron kennenzulernen …

    Meine Gedanken schweiften von dem Brief ab und jener Tag spielte sich noch einmal vor meinen Augen ab. Der Tag, an dem mein Schicksal besiegelt worden war:

    Ich hatte es mir früh angewöhnt, leiser zu gehen, als andere. Selbst meine jüngere Schwester Isabella, die zierlicher war als eine Blume, trampelte oft geräuschvoll herum. Es hatte mich schon oft vor Schlägen geschützt, wenn ich lautlos aus demselben Raum verschwunden war, in dem sich mein Stiefvater aufhielt.

    Ruhig ging ich den langen Flur entlang und horchte auf, als ich im Saal unter mir jemanden mit tiefer Stimme laut reden hörte.

    „Wann kommt sie denn? Ich habe nicht ewig Zeit.", maulte die Stimme.

    „Sie kommt sicher bald.", versuchte Mutter den Gouverneur zu besänftigen. Es gelang ihr nicht und er maulte weiter.

    Ich hatte ihn zwar noch nie gesehen, ahnte aber bereits zu diesem Zeitpunkt, was er für eine Art Mensch war: angeberisch, selbstbewusst, arrogant.

    Ich will ihn nicht heiraten.

    Verzweiflung kroch in mir hoch und setzte sich in meinen Knochen fest. Am liebsten wäre ich zurück in mein Zimmer gelaufen und hätte mich dort eingeschlossen, aber dann hätte ich mir eingestanden, dass ich Angst hatte. Angst davor, dass er so war, wie mein Stiefvater. Angst vor einer neuen Umgebung voll fremder Leute und einem Ehemann, der mehr von mir wollte, als eine Mitgift. Einen Erben.

    Letztlich kehrte ich nicht um, sondern stieß mit einer Hofdame zusammen, die mich verächtlich ansah und weiter eilte.

    Dummes Huhn.

    Man sollte doch meinen, dass wenigstens die Hofdamen höflich zu mir gewesen wären, doch selbst sie schienen eine Abneigung gegen mich zu haben. Wenn ich kam, drehten sie mir den Rücken zu, sprach ich mit ihnen, antworteten sie nur knapp und eilten dann davon. Und ich wusste ganz genau, dass sie diejenigen waren, die jede Menge Gerüchte über mich in die Welt setzten.

    An der Treppe kam mir meine kleine Stiefschwester Isabella entgegen, die wie eine hübsche Fee auf mich zu tänzelte.

    „Komm schon, Rosalia. Gouverneur Dayron ist so charmant. Wie kannst du ihn nur warten lassen?", flötete sie begeistert. Isabella war vierzehn Jahre alt und fand alle Männer charmant. Außerdem war sie in allem eine brave, anständige, höfliche Tochter – ganz im Gegensatz zu mir. Noch dazu war sie ziemlich hübsch und kaum jemand machte einen Hehl daraus, dass sie schöner war als ich. Sie hatte blonde Haare und ein liebliches, ovales Gesicht mit einer kleinen Nase, großen, dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen und einen, immer zu einem Lächeln verzogenen, kleinen Mund. Sie war nicht sehr groß, dafür aber schlank und zierlich und hatte eine, selbst für ein Mädchen, das nie das Haus verließ, unnatürlich blasse Haut. Sie sah zerbrechlich aus und wurde deshalb von allen wie ein rohes Ei behandelt.

    „Ich kann machen was ich will. Du brauchst mir nicht zu sagen, was ich tun soll.", fauchte ich sie missmutig an. Sie musterte mich verwirrt.

    „Willst du wirklich so vor den Gouverneur treten? Dir sollte man einmal beibringen, wie eine Dame sich anständig zu kleiden hat."

    „Und dir sollte man einmal beibringen, was Respekt gegenüber den älteren Geschwistern bedeutet.", schoss ich zurück. Sie senkte verlegen den Blick, da sie genau wusste, dass André dasselbe gerade einmal vor einer Woche zu ihr gesagt hatte und sie ihm versprochen hatte, sich zu bessern.

    „Entschuldige. Aber kommst du jetzt trotzdem?" Ich verdrehte mürrisch die Augen, seufzte ergeben und folgte ihr die Treppe herunter zu meinem beinahe Verlobten. In Gedanken schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel, riss mich dann aber doch zusammen, stellte mich brav lächelnd neben meinen Stiefvater Gregorio und knickste höflich. Dann betrachtete ich Dayron eingehend. Zu meinem Schrecken sah er erstaunlich gut aus. Er war kleiner als der Durchschnitt, recht schlank, aber nicht dürr, anständig gekleidet und frisiert, hatte braune, kurze Haare und einen gepflegten Bart.

    Wieso? Wieso muss er auch noch hübsch sein? Ich will ihn nicht heiraten! Ich will gar nicht heiraten!

    „Darf ich vorstellen, Gouverneur Dayron? Das ist die Tochter meiner verehrten Gemahlin. Ihr Name ist Rosalia Maria. Sie ist eine entfernte Verwandte der Cousine der spanischen Königin.", stellte mein Stiefvater mich vor. Meine Verzweiflung schlug in Wut um und ich ballte die Hände zu Fäuste.

    Ich bin doch keine Ware, die man einfach so anpreisen und versteigern kann!

    „Und das, Rosalia Maria, ist der edle Gouverneur Dayron, der dich als seine Braut in Betracht zieht., verkündete Gregorio, ergriff meine Hände und umspannte sie wie Handschellen. Er murmelte etwas wie: „Benimm dich!, und legte meine Hände in die des Gouverneurs. Der schaute mich aus gleichgültigen Augen an, hob meine Hand an seine Lippen und drückte einen feuchten Kuss auf meine Finger, igitt, die ich ihm schnell entzog und unauffällig an meinem Kleid abwischte. Gregorio funkelte mich besinnungslos vor Zorn aus seinen milchig grauen Augen an, was ich mit einem milden Lächeln quittierte. So etwas beeindruckte mich schon lange nicht mehr.

    Mutter zog mich grob zu einem der Stühle und drückte mich unsanft darauf. Ich starrte sie wütend an und unterdrückte ein Kichern, als ihre gewaltige Perücke verrutschte. Mutter schob sie hastig wieder gerade und schaute verlegen zu Boden. Sie war eine kleine Frau, die besonders auf ihr Aussehen bedacht war. Sie trug immer ein elegantes Kleid und war mit vielen Ketten und Perlen behangen. Ich fand, es war viel zu viel und beinahe schon erstaunlich, dass sie die Last des ganzen Schmucks überhaupt tragen konnte. Abgesehen davon war sie ziemlich hübsch. Die Fürstin hatte eine schmale Nase, volle Lippen und große, schwarze Augen, die immer und überall einen Fehler oder einen anderen Makel entdeckten, und manchmal wie schwarze Kohlen wirkten. Diese Augen machten mich immer etwas nervös und ich konnte mir nicht erklären, warum sie solch eine Augenfarbe hatte. Zum Glück hatte sie mir die nicht vererbt.

    Dayron setzte sich mir gegenüber hin und lächelte mich gewinnend an. Dabei zeigte er eine Reihe brauner, stumpfer Zähne, und wandte sich dann an meinen Stiefvater, der sich am anderen Ende des Tisches niedergelassen hatte.

    Hat dir denn niemand beigebracht deinen Mund auszuspülen, Jungchen?

    Es macht mir richtig Spaß, Fehler an ihm zu suchen – wo es doch offensichtlich kaum welche an seinem Äußeren gab –, bis er selbstzufrieden näselte:

    „Kommen wir jetzt zum finanziellen Teil der Hochzeit. Falls ich einwillige, Eure Tochter zu heiraten, benötige ich noch 100 Silberstücke für die Vorbereitungen. Ihr sagtet, Ihr würdet so etwas übernehmen, Mylord?" Gregorio nickte stumm.

    „Gut. Zudem habt Ihr mir 50 Schweine, 40 Pferde, 160 Silberstücke und 120 Goldstücke als Mitgift zugesichert." Ich hätte mich beinahe verschluckt. So viel? Nicht einmal nahe Verwandte der Königsfamilie konnten sich so eine Mitgift leisten. Wollten mich Mutter und der Fürst wirklich so dringend loswerden?

    „Sicherlich, die Schweine und Pferde stehen schon bereit. Allerdings …" Gregorio stockte und ich hob spöttisch eine Augenbraue. Sollte er es Dayron doch ruhig erzählen. Wir waren nicht so reich, dass wir uns eine solche Mitgift leisten konnten. Erst recht nicht jetzt …

    „Was ist? Wollt Ihr mir etwa sagen, Ihr haltet Euer Versprechen nicht ein?"

    „Doch, natürlich! Es ist nur … die Piraten haben unsere Küsten erst kürzlich überfallen. Seitdem haben wir kaum noch Silber, geschweige denn Gold.", gestand Gregorio kleinlaut.

    „Was …? Nein, wenn das so ist, kann ich Eure Tochter nicht nehmen. Ich werde mir eine andere Braut suchen. Eine, deren Eltern zu ihren Versprechen stehen. Eine, die eine ordentliche Mitgift mitbringt. Guten Tag." Damit erhob sich der arrogante Gouverneur, drehte sich um und stolzierte Richtung Ausgang. Verzweifelt eilte Mutter ihm hinterher, und flehte mit bittenden Augen:

    „Wartet. Ich werde einen Boten zu meinen reichen Verwandten in Spanien schicken. Sie werden uns das Geld bestimmt geben. Bitte. Eine, wie meine Tochter findet Ihr nicht wieder. Sie wird Euren Erwartungen bestimmt gerecht." Offensichtlich hoch interessiert drehte sich Dayron um und musterte sie nachdenklich. Dann nickte er.

    „In Ordnung. Aber in einem, nein sagen wir in zwei Monaten will ich heiraten."

    „Dann werdet Ihr Rosalia tatsächlich nehmen?"

    „Ja, sie ist hübsch und zierlich. Ich werde sie nehmen." Da war es wieder, dieses Wort. Hübsch. Wie sehr ich es hasste.

    Ich hatte der Unterhaltung mit offenem Mund gelauscht, jetzt saß ich wie betäubt da, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Konnte das wirklich sein? Hatte er gerade tatsächlich unserer Hochzeit zugestimmt?

    Mutter strahlte von einem Ohr bis zum anderen, zog mich von meinem Stuhl hoch, nahm meine Hand und legte sie feierlich in die des Gouverneurs. Da erwachte mein Verstand auf einmal wieder zum Leben. Fassungslos riss ich mich los und rannte die Treppe hinauf. Oben drehte ich mich noch einmal um, schoss meiner Mutter und Gregorio wütende Blicke zu und rannte dann den Flur entlang in mein Zimmer, wo ich geräuschvoll meine Türe schloss und den Schlüssel umdrehte.

    Ich zuckte zusammen, als jemand die Türe aufriss und mich unsanft aus meinen Gedanken holte. Ich ließ die Feder sinken und sah den Wachmann abwartend an.

    „Ja?" Er errötete.

    „Verzeiht, ich dachte, Ihr würdet bei der Kutsche sein." Verlegen deutete er eine Verbeugung an und verschwand. Ich seufzte leise und wandte mich wieder dem Brief zu.

    Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für uns. Seit ich Dich kenne, André, warst Du immer für mich da. Ich liebe Dich so sehr, dass es weh tut. Und wenn ich jetzt gehe, lasse ich mein Herz bei Dir zurück. Pass gut auf es auf, Liebster. Vielleicht komme ich eines Tages zurück und hole es mir. Unsere Geschichte wird nicht wie die meiner Eltern enden. Niemals.

    Ein Windstoß ließ die Zweige des Baums gegen die Fensterscheibe schlagen und ich sah traurig lächelnd auf. Der Baum war für mich ein Symbol der Freiheit. Er bedeutete, dass mein Leben aufregend sein konnte. Er bedeutete, dass ich ein Geheimnis hatte. Denn jede Nacht, wenn alle anderen geschlafen hatten, war ich aus dem Fenster auf diesen Baum geklettert und dann weiter bis auf den Boden. Ein kaum sichtbarer Pfad führte von dort aus zum Strand, wo ich stundenlang die Wellen beobachten und die Stille der Nacht genießen konnte. An diesem Strand hatten André und ich so viele Nächte verbracht. Wir waren gemeinsam geschwommen, hatten uns Geschichten erzählt und waren Arm in Arm eingeschlafen, bevor wir am nächsten Morgen zurück in den Palast geschlichen waren. Nie waren wir bemerkt worden. Wer ahnte denn auch schon, dass die Tochter der Fürstin und ihr Stiefbruder sich liebten?

    Ich kenne Dich, Liebster, und ich weiß, dass Du Dir die Schuld an alledem gibst. Es ist nicht Deine Schuld. Es war nicht Deine Entscheidung und Du hast alles Mögliche dafür getan, um diese Hochzeit zu verhindern. Wenn ich weg bin, mache Dir keine Vorwürfe. Wir haben es beide versucht.

    Ja, wir hatten es wirklich versucht. Am Tag nach dem Besuch des Gouverneurs hatte mein Stiefvater nach mir schicken lassen. Ich konnte noch immer das Blut an meinen Lippen fühlen, als er mich geschlagen hatte:

    „Du sollst zu deinem Stiefvater in den Saal kommen. Ich glaube, er will dich wegen Gestern ausschimpfen."

    „Wahrscheinlich nicht nur das!", brummte ich missmutig und ging an Gracia vorbei auf den Flur hinaus, ohne sie noch einmal anzusehen. Dennoch spürte ich ihre Blicke zwischen meinen Schulterblättern.

    An der breiten Treppe, die hinunter in den Saal führte, blieb ich stehen. Unten ging Gregorio mit finsterer Miene auf und ab. Hin und wieder blieb er stehen und beschwerte sich über ahnungslose Mädchen, Stief- und Piratentöchter. Ich unterdrückte ein Grinsen, setzte eine unschuldige Miene auf und ging leise die Treppe runter.

    Gregorio war ein kleiner, drahtiger Mann mit Schnauzer und kahlem Schädel, auf dem er immer eine weiße Lockenperücke trug. Er war dunkelhäutig, hatte eine platte Nase und dünne, oft aufgeplatzte Lippen. Außerdem besaß er schmale, listige Augen, die einen überall hin verfolgten. Noch ein Grund mehr, Gregorio nicht zu mögen.

    Wachsam ging ich zu ihm hinunter und blieb hinter ihm stehen.

    „Du hast mich rufen lassen?" Gregorio wirbelte erschrocken herum, verzog dann zornig das Gesicht und brüllte:

    „Weißt du eigentlich, wie du uns gestern blamiert hast? Weißt du eigentlich, wie peinlich du mir und deiner Mutter bist? Und dann verschwindest du einfach in deinem Zimmer, ohne dich zu entschuldigen! Wir können froh sein, dass dich der Gouverneur überhaupt noch will! Es wird Zeit, dass ich dich daran erinnere, wo dein Platz ist!" Wütend holte er zum Schlag aus, hielt aber in der Bewegung inne. Jetzt flammte aber der Zorn in mir auf, so wie jedes Mal, wenn er mich schlagen wollte.

    Soll er mich doch verprügeln. Er kann mich schlagen, bis ich tot bin. Aber bezwecken wird er damit nichts. Niemals!

    „Ja, schlag' mich!", schrie ich herausfordernd zurück.

    „Schlag' mich, wenn es dich glücklich macht. Du kannst mich schlagen, so viel du willst, aber ich werde diesen widerlichen, eingebildeten und aufgeblasenen Gouverneur nicht heira…!" Die Faust meines Stiefvaters schlug mir ins Gesicht. Es knackte widerlich und ich schmeckte Blut auf meiner Zunge. Ich spürte, wie es mir aus der Nase lief und wie mein Auge zu schwoll. Mein Gesicht brannte, rote Flecken tanzten vor meinen Augen und einen Augenblick befürchtete ich, Ohnmächtig zu werden. Ich taumelte nach hinten, hielt mich an einem Stuhl fest und verengte die tränenden Augen zu Schlitzen. Hasserfüllt starrte ich Gregorio an. Ich würde nicht aufgeben. Niemals!

    „Schlag' mich! Schlag' eine wehrlose Frau!", schrie ich ihn an. Da verlor der Fürst endgültig die Geduld und schlug mich nochmal … und nochmal … und nochmal. Meine Sicht trübte sich. Ich nahm die Schläge kaum noch wahr. Mich erfüllte Hass. Ein so unbändiger Hass auf meinen Stiefvater, dass ich glaubte, darunter zu ersticken.

    Und dann prügelte ich auf ihn ein. Ich legte all den Schmerz, die Trauer, den Verlust all der Jahre, die ich schon auf der Welt war, in diese Schläge. Und vor allem schlug ich aus Hass. Hass auf meinen Stiefvater, der mich so oft verprügelt hatte, nur um seinen Frust an mir auszulassen. Hass auf meine Mutter, die meinen Vater benutzt, betrogen und hintergangen hatte, und Hass auf Dayron, der mich wie eine Ware behandelte. Einen nutzlosen Teil einer Mitgift, den er nicht ablehnen konnte.

    Ich spürte wie mir das Blut aus der Nase, den aufgeplatzten Lippen und der geschwollenen Zunge lief. Und jeder Tropfen war Futter für meinen hell auflodernden Hass, der sich mit meiner Wut vermischte. Sie hatten mir alles geraubt, was mir wichtig war: Meinen Vater, der mich als einziger Mensch jemals wirklich geliebt hatte, mein Vertrauen zu ihnen und meine Freude am Leben. Alles hatten sie mir geraubt und nur den Hass, die Wut und den Zorn hatten sie mir gelassen.

    Ich nahm verschwommen wahr, wie mein Stiefvater sich ein Taschentuch vor das Gesicht presste und kraftlos auf einen Stuhl sank. Es färbte sich rot und er nahm eine Serviette vom Tisch. Ich spürte, wie mich zwei kräftige Arme festhielten, mich die Treppe hoch trugen und auf mein Bett legten. Verschwommen nahm ich zwei Gestalten war, die um mich herum liefen, mir mit feuchten Lappen das Gesicht abwischten und mir die Kissen aufschüttelten.

    Langsam kam ich wieder zu mir. Ich erkannte Gracia, die mit einem Tablett heran kam. Eine zweite Gestalt näherte sich und mein Herz schlug schneller vor Erleichterung. Es war mein Stiefbruder André. Er strich mir sanft die Haare aus dem Gesicht und redete leise auf mich ein. Zuerst verstand ich ihn nicht, aber nach und nach drangen die Worte zu mir durch:

    „Bleib liegen, Kleines. Du bist beinahe ohnmächtig geworden. Du hast wie … wie ein … das sah wahnsinnig aus." Ich lächelte ihn gequält an. Dann schloss ich erschöpft die Augen.

    Mir bleiben noch zwei Tage in diesem Palast. Ich weiß, Du hast Wichtiges zu tun und Deine Reise ist lang, aber mein letzter Wunsch ist es, Dich noch einmal wiederzusehen. Und Du glaubst gar nicht, was ich alles über die Fürstin erfahren habe.

    Es war einige Tage nach Andrés Aufbruch zu seiner Reise gewesen, da hatte mir Gracia ein erschreckendes Geheimnis verraten:

    „Rosalia, nun setz dich doch gerade hin. Du zerknitterst noch das ganze Kleid. Deine Mutter wird schimpfen, wenn sie das sieht." Genervt sah ich auf.

    „Kannst du mir nicht etwas anderes erzählen? Wie wäre es mit einer Geschichte über meinen Vater!" Gracia erbleichte.

    „Nein, deine Mutter hat es mir ausdrücklich verboten!"

    „Ach bitte. Sie muss es ja nicht erfahren. Bitte, Gracia, bitte!" Ich wollte nicht aufgeben und schaute sie flehend an. Ich wusste so wenig über diesen Menschen und versuchte schon lange, irgendetwas über ihn aus Gracia herauszuholen. Denn sie war eine der wenigen, der ich vertraute und die meinen Vater gekannt hatte.

    „Bitte.", bettelte ich und setzte mich brav gerade hin. Gequält sah Gracia zu mir auf und nickte schließlich zögernd.

    „Also gut, aber versprich mir, dass das unter uns bleibt."

    „Versprochen!", erwiderte ich eher begeistert als ernst. Die Gouvernante erhob sich.

    „Warte einen Augenblick hier, ich muss noch schnell etwas holen.", damit war sie auch schon aus dem Zimmer gehuscht.

    Es dauerte tatsächlich nicht lange, da kam sie wieder herein. Mit einem Stapel Bücher im Arm, den sie auf mein Bett legte.

    „Das musst du unbedingt geheim halten. Es sind die alten Tagebücher deiner Mutter. Ich habe sie aufgehoben, als die Fürstin sie wegschmeißen wollte. Du kannst sie lesen, wenn du magst. Sie gehören dir." Fasziniert nahm ich eines der Bücher in die Hand und strich über den staubigen Einband. Als Gracia sich räusperte, sah ich auf.

    „Soll ich nun erzählen, oder nicht?" Hastig legte ich das Buch weg.

    „Natürlich."

    „Es ist schon so lange her, ich muss mich erst einmal zurückbesinnen. Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Es war im Sommer 1635. Dein Großvater hatte einige Jahre zuvor eine aufwändige Hochzeit für deine Mutter und ihren Gatten arrangiert und sie waren schon einige Jahre verheiratet, da startete der junge Mann auf einmal eine Seereise. Allerdings starb er während der Überfahrt, da seine Schiffe von Piraten überfallen wurden. Deine Mutter, die nie glücklich über die Ehe gewesen war, nutzte die Chance um nach Hause zu fahren, wo kurz nach der Hochzeit ihre Eltern verstorben waren. Im besagtem Sommer wollte sie die Reise antreten, machte es aber nicht besser als ihr Ehemann und wählte einen ungünstigen Zeitpunkt, um über das Meer zu segeln. Ihr Schiff wurde angegriffen, die Mannschaft getötet und sie gefangen genommen, um mit ihr ein Lösegeld zu erpressen. Womit der Kapitän des Schiffes aber nicht gerechnet hatte, war die Schlagfertigkeit deiner Mutter. Anfangs verärgerten ihn ihre dreisten Antworten, dann war er aber fasziniert von ihr und verbrachte immer mehr Zeit bei ihr im Kerker. Und so haben sich deine Eltern schließlich ineinander verliebt.

    Ich kenne natürlich nicht die ganze Geschichte, denn es stand mir nicht zu, danach zu fragen, aber nach allem, was ich weiß, brachte dein Vater es nicht mehr übers Herz, Bellisa zu verkaufen, und brachte sie stattdessen nach Hause, wo er bei ihr blieb. Später hat mir deine Mutter einmal erzählt, dass sie damals, als sie gefangen genommen wurde, geglaubt habe, sterben zu müssen, und dass das Schlimmste für sie gewesen sei, dass der Pirat in ihren Augen wunderschön gewesen war. Liebe ist etwas sehr mächtiges, mein Kind. Sie kann einen daran hindern, klar zu denken, kann alle vernünftigen Gedanken verschließen und lässt nur noch Platz für Gedanken an den Geliebten." Die Gouvernante räusperte sich peinlich berührt und fuhr dann mit rauer Stimme fort:

    „Dein Vater war ein Riese, hatte breite Schultern und trug Säbel und Messer mit sich. Auf mich und die Bediensteten machte er einen Furcht einflößenden Eindruck. Er war damals etwa achtzehn, vielleicht ein bisschen älter, und trotzdem stärker als alle anderen. Natürlich durften die beiden nicht öffentlich zeigen, dass sie sich liebten, und es durfte erst Recht niemand erfahren, wer er wirklich war, aber alles kann man eben nicht verbergen. Sie erzählten sich oft Geschichten und lachten viel zusammen. Und dann war deine Mutter schließlich schwanger. Sie freute sich riesig darüber und auch dein Vater war glücklich. Ich weiß noch, einmal hat er ihr einen großen Strauß voller Wildblumen gebracht.

    Kurz nach deiner Geburt hat sich dann aber alles geändert. Nein, die Fürstin hat sich verändert. Sie wurde grob, unfreundlich und hat deinen Vater von ganzem Herzen gehasst. Sie hat ihn und die Bediensteten schikaniert und beschimpft und es war kaum auszuhalten. Aus der Liebe deines Vaters entwickelte sich ebenfalls Hass und wenn ein Pirat wütend wird, dann sollte man ihm lieber aus dem Weg gehen, glaube mir. Das Einzige, was ihn besänftigen konnte, warst du. Er hat dich geliebt, hat dir Piratenlieder vorgesungen, hat dich auf seinen Knien geschaukelt. Aber die Fürstin wurde immer seltsamer und er hatte keine andere Wahl mehr, als zu fliehen, denn inzwischen hatte sie die Soldaten gegen ihn gerichtet. Ich glaube, dass es die Absicht der Fürstin gewesen war, dass er ihr irgendwann seine Schätze anvertraute. Ansonsten hätte das ganze doch keinen Sinn ergeben, oder? Warum sollte sie ihn sonst zu sich locken?" Sie stockte kurz und schluckte trocken.

    „Jedenfalls war seine Liebe zu dir so stark, dass er den Hass der Fürstin ignorierte und so lange bei dir blieb, wie es ihm möglich war. Er hatte nur noch Augen für dich. Er liebte dich heiß und innig, wollte dir alles geben und alles für dich sein. Doch gleichzeitig zog es ihn, glaube ich, hinaus. Er wollte wieder frei sein, auf dem Meer segeln und sein Piratenleben genießen. Er beschloss zu gehen und dich irgendwann, wenn du größer wärst, nachzuholen, so hat er es mir im Geheimen gesagt. Und eines Nachts verschwand er dann einfach. Aus deiner Mutter machte er sich nichts, er hasste sie ja inzwischen, und sie bekam auch niemals seine Schätze. Und würde sie ihm noch einmal begegnen, das wusste sie, würde er sie töten. Außerdem hat dein Vater dir … Ach nein, doch nicht, ich hatte gerade nur so einen Gedanken." Ich hatte gebannt der Geschichte gelauscht. Jetzt war ich schockiert, wie selbstsüchtig und egoistisch meine Mutter war. Gleichzeitig machte mich der letzte Satz misstrauisch. Gracia verheimlichte mir etwas, das war mir klar, doch ich ging erst einmal nicht näher darauf ein.

    „Danke, Gracia, du hast mir wirklich geholfen.", murmelte ich gedankenverloren. Ich bemerkte kaum, wie sie das Zimmer verließ. Ich dachte an meinen Vater, der der Hinterlist meiner Mutter zum Opfer gefallen war. Bis jetzt hatte ich meine Mutter nicht besonders gemocht. Doch jetzt hasste ich sie. Ich hasste sie dafür, was sie meinem Vater angetan hatte. Und mir.

    Angeekelt griff ich nach einem der Bücher, die alle mit einer Jahreszahl versehen waren. Ich nahm das aus dem Jahre 1636 und blätterte neugierig darin herum, ließ es aber bald sinken. In dem Buch stand kaum etwas über meinen Vater, nur über mich und meine Geburt.

    Enttäuscht wollte ich gerade ein anderes Buch nehmen, als ein Bild zwischen den letzten beiden Seiten hervor rutschte. Ich nahm es in die Hand und betrachtete neugierig die erstaunlich genaue Zeichnung.

    Auf dem Bild waren drei Leute abgebildet: Eine war eindeutig meine Mutter. Sie hatte sich kaum verändert und ich hätte sie überall wiedererkannt. Die zweite Gestalt war ein kleines Kind.

    Vielleicht bin ich das?

    Ich kicherte leise und betrachtete das Kind genauer.

    Ja, vielleicht bin ich das wirklich …

    Die dritte Person auf dem Bild – ein großer, breitschultriger Mann – kannte ich ebenfalls nicht. Oder doch?

    Aufgeregt beugte ich mich vor und sah den Mann genauer an. Den Mann aus meinen Träumen. Ich wusste genau, dass er es war, obwohl auf diesem Bild keine Anzeichen für ein böses Grinsen zu sehen waren, wie es immer in meinen Albträumen zu sehen war.

    Vater. Wenn ich das Kind bin, ist das mein Vater.

    Mit wild klopfendem Herzen musterte ich den Mann und stellte erstaunt fest, dass er mir ziemlich ähnlich sah. Nicht dem Kind, sondern mir als junge Frau.

    Gerührt strich ich mit dem Finger über sein Gesicht. Auf dem Bild hielt er mich, beziehungsweise das Kind, in den Armen und schaute mich lächelnd an. Mutter hingegen schien Vater ziemlich zornig anzustarren, soweit man das erkennen konnte. Unter dem Bild stand in ihrer krakeligen Handschrift:

    Kurz bevor ich ihn rausgeschmissen habe!

    Noch vor wenigen Minuten hätte mich das schockiert, doch nach Gracias Geschichte war ich auf alles gefasst.

    Meine Gedanken wirbelten durcheinander. Wahrheit und Lüge schienen zu verschwimmen, ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Konnte meine Mutter uns alle wirklich die ganze Zeit belogen haben? Hatte sie meinen Vater in Wirklichkeit gehasst? Hatte er sie … war er der grausame Pirat gewesen, von dem immer erzählt wurde? War ich etwa ein … Unfall? Oder war Gracias Geschichte doch wahr und Mutter hatte den Piraten benutzt, um an seine Reichtümer zu gelangen?

    Entschlossen nahm ich das Buch von 1635 und begann zu lesen. Ich tauchte in die Gedanken meiner Mutter ein, las den ganzen Tag, versuchte die Gedanken meiner Mutter zu verfolgen. Doch so sehr ich mich auch bemühte, mit jeder Seite, jedem Satz, jedem Wort bröckelte das Bild, das ich von ihr hatte. Schließlich warf ich das Buch keuchend weg und ließ mich erschöpft auf den Rücken fallen.

    Zu meinem Erstaunen schien die Fürstin meinen Vater 1635 noch geliebt zu haben, erst 1636, nach meiner Geburt, hatte sie sich verändert. Und dadurch nicht nur ihr Verhalten, sondern auch ihre Denkweise, ihre Art zu schreiben und sogar ihre Schrift. Sie schien ein komplett anderer Mensch geworden zu sein.

    Ich schüttelte den Kopf und kehrte aus meinen Erinnerungen zurück in die Gegenwart. Doch noch immer kreisten meine Gedanken um meine Mutter.

    Wie kann man nur so … so herzlos sein? Die Piraten rauben, plündern, brandschatzen und töten, ja, aber sie haben einen Grund dafür. Sie wollen überleben, wollen Schätze anhäufen und frei sein. Sie aber ist so, weil sie egoistisch, dumm und herzlos ist. Wie kann sie mir überhaupt in die Augen schauen?

    Alles, was Gracia mir erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Alles!

    Bin ich denn dann überhaupt besser, als Gouverneur Dayron? Bin nicht auch ich ein uneheliches Kind? Wie kann ich ihn verurteilen, wenn ich dieselbe Schande trage?

    Traurig starrte ich an die Decke. Waren wir vielleicht dazu bestimmt, zu heiraten?

    „Nein!" Ich krallte meine Finger um die Tischkante.

    Nein, ich werde ihn nicht heiraten! Wir mögen beide uneheliche Kinder sein, aber ich bin ein Kind der Liebe, er nicht. Seine Mutter war eine … eine Prostituierte, meine Eltern haben sich hingegen damals noch geliebt. Nein, es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen uns beiden.

    Dennoch machte mich der Gedanke ruhelos und es wurde auch nicht besser, als ich sie zurück zu meiner Mutter zwang. Meine Mutter. Es schien, als würde sie sich ein ganzes Leben lang unter einer Maske verbergen und nur selten ihr wahres Gesicht zeigen.

    Mein Blick wanderte von dem Brief weg zu meinem Bett, wo unter der Matratze die Tagebücher meiner Mutter versteckt lagen.

    Seit Du aufgebrochen bist, ist alles noch viel schlimmer geworden. Bälle, Unterricht in Sprache und Haltung, Hofdamen, die mich umher scheuchen. Ich wünschte, Du hättest gesehen, wie ich mich mit der Fürstin gestritten habe. Du hättest mich verstanden. Mutter hingegen hat mich in den Keller sperren lassen.

    Ja, diesen Streit würde ich nie im Leben vergessen. Es war einige Wochen nach der Begegnung mit Dayron gewesen. Wochen, die alle gleich verlaufen waren. Morgens hatte ich Unterricht gehabt. Mein Lehrer unterrichtete mich, seit ich denken konnte. Ich sprach dank ihm fließend Spanisch, Französisch, Englisch und ein wenig Latein, konnte schreiben, lesen und rechnen und kannte mich in der Geschichte aus. Dazu hatte ich noch Unterricht in Haltung und Benehmen und ich lernte Tanzen. Ich tanzte seit ich sieben war und tat kaum etwas lieber. Ich hatte immer das Gefühl, mit der Musik zu verschmelzen, und war jedes Mal enttäuscht, wenn der Augenblick vorbei war. Es war wunderbar, sich mit meinem Lehrer zur Musik zu bewegen, zu verschmelzen. Wenn er mich von sich wegdrehte und dann wieder an sich zog oder wenn er mich im Kreis wirbelte, ich Pirouetten drehte und er mich umarmte, fühlte ich mich wunderbar frei. In solchen Augenblicken war ich wirklich glücklich.

    „Der Tanz ist wie ein Kampf. Vielleicht kannst du dir so die Schritte besser merken.", hatte mein Lehrer einmal gesagt, als ich mich immer wieder vertanzt hatte.

    „Wenn der Schwertkämpfer nach rechts geht, folgt der Gegner der Bewegung, wenn er sich weg dreht, dreht der andere sich mit. Weiche ich nach hinten aus, folgst du mir und dränge ich dich zurück, weichst du aus. Das Ganze geht auch bei einer Drehung so. Stell dir vor, ich hätte ein Schwert in der Hand und hebe den Arm, um zuzuschlagen. Was machst du dann?" Ich hatte gegrinst und triumphierend geantwortet:

    „Ich drehe mich unter dem Schlag weg." Mein Lehrer hatte das Grinsen erwidert und anerkennend genickt.

    „Genau. Hast du es jetzt verstanden?"

    „Schon längst." Doch leider gingen die Tanzstunden immer viel zu schnell vorbei.

    Am Nachmittag hatte ich meine Mutter dann zu allen möglichen Veranstaltungen begleiten müssen. Da hatte es Bälle von reichen Händlern und angesehenen Bürgern organisiert gegeben, opulente Festmahle und jede Menge Sachen, die mich nicht interessiert hatten.

    Am Abend hatte ich dann immer ordentlich am Tisch sitzen und brav zuhören müssen, was der Fürst und die Fürstin erzählten. Da ich das nie getan hatte, hatte mich Gregorio oft angeschrien und vom Tisch verbannt.

    Leider war es unmöglich gewesen, Gregorio immer aus dem Weg zu gehen. Ich hatte keinen Streit gesucht, er aber anscheinend schon. Immer wenn wir uns getroffen hatten, hatte er etwas an mir auszusetzen gehabt. Geschlagen hatte er mich aber nicht mehr.

    Bei meiner Mutter war es nicht anders. Ich hätte beide mit Respekt und Höflichkeit behandelt, wenn sie mich nicht sofort beschimpft hätten, sobald wir uns begegneten.

    Ich hatte gerade einen angenehmen Rhythmus im Tagesablauf gefunden gehabt, da war unerwartet ein Bote von unseren Verwandten aus Spanien gekommen. Sie hatten berichten lassen, dass sie sich für mich und den Gouverneur freuten, und hatten 100 Goldstücke geschickt. Glücklich hatte Mutter einen Boten zu Dayron gesandt und erzählen lassen, dass wir in drei Wochen heiraten können würden.

    Als ich das erfahren hatte, war der alte Hass wieder in mir aufgelodert. Ich hatte getobt und gebettelt, nicht heiraten zu müssen, doch es hatte alles nichts gebracht.

    Um mich zu beruhigen, war ich durch den Palast gewandert. Ich hatte nicht einmal genau gewusst, wohin ich wollte, als ich am Treppenansatz ankam und nach unten geschaut hatte:

    Meine Mutter eilte geschäftig durch den Saal und trat schließlich mit einer Weinflasche in der Hand an den Platz des Fürsten. Sie schenkte ihm das Glas voll ein und holte dann ein kleines, braunes Fläschchen aus ihrer Rocktasche. Sie zog den Korken und goss ein wenig in den Wein von Gregorio.

    Was zum Teufel macht sie da? Will sie ihn vergiften?

    Ich versteckte mich hinter einer Ritterrüstung und beobachtete, wie Gregorio den Saal betrat. Er setzte sich an den Tisch und griff nach dem Weinglas. Dann trank er es in langen Zügen leer und Mutter beobachtete jede seiner Bewegungen. Schließlich fragte sie:

    „Wie hat dir der Wein geschmeckt?"

    „Vorzüglich. Wie immer, meine Herrin und Gebieterin. Du wolltest mit mir sprechen, meine Liebe?" Ich fing beinahe an zu würgen, bei diesen schmeichlerischen Worten.

    Das ist ja widerlich.

    „Richtig, mein lieber Gemahl. Du müsstest einmal wieder auf Reisen gehen und die Streitereien schlichten. Ich will Frieden in unserem Land. Deinem Sohn vertraue ich dabei nicht. Außerdem bräuchte ich dringend wieder neue Kleider. Samt, Seide und Brokat. Etwas Teures eben. Es gibt da einen ziemlich guten Händler, der solche Kleider herstellt." Sie sah Gregorio listig an und der antwortete säuselnd:

    „Natürlich bekommst du deine Kleider und ich werde dir Edelsteine mitbringen, mit denen du dich schmücken kannst. Soll ich sonst noch etwas für dich tun?"

    „Nein, vielen Dank. Meine Tochter benimmt sich zurzeit einigermaßen akzeptabel. Du musst nichts mehr tun. Um den Rest kümmere ich mich. Obwohl …" Die Fürstin blinzelte Gregorio zu.

    „Was wünscht meine Herrin von mir?", fragte er.

    „Ich brauche von dem Heiler, der unten am Hafen wohnt und mir diese wohltuende Medizin gegen meinen starken Husten liefert, ein paar neue Fläschchen von dieser Medizin. Wenn du mir die besorgen könntest?" Sie zog das braune Fläschchen aus ihrer Tasche und hielt es dem Fürst hin. Dieser nickte und stand auf.

    „Ich werde dir alles besorgen und für dein weiteres Wohlbefinden sorgen. Ich werde sofort aufbrechen und erst in zwei oder drei Tagen wiederkommen. Auf Wiedersehen." Damit nahm Gregorio Bellisas Hand und küsste sie. Dann verließ er den Saal und ich huschte über den Flur in mein Zimmer zurück.

    Von wegen Medizin gegen Husten. Das ist irgendein gemischtes Zeug, das … Das ist ein Mittel, das Gregorio dazu zwingt, alles zu tun, was sie von ihm will. Darum hat er sich gerade so unterwürfig benommen. Jetzt verstehe ich auch, warum sie sich immer so verschwörerisch mit Gregorio unterhält, bevor er mich verprügelt. Das Mittel bringt einen dazu, alles zu tun, was sie ihm sagt.

    Eigentlich glaubte ich nicht an solche Zaubermittel, doch meiner Mutter war alles zuzutrauen.

    Ich wollte mich gerade wütend auf mein Bett fallenlassen, als mir ein erschreckender Gedanke kam.

    Was ist, wenn sie mir dieses Zeug auch gibt? Bin ich überhaupt noch ich selbst? Und was ist mit Vater? Hat auch er diesen Trank bekommen? Warum hat er bei ihm die Wirkung verloren?

    Ich beschloss, nur noch Wasser zu trinken, da man darin die braune Flüssigkeit leicht sehen könnte. Ich grinste verschmitzt. Mit mir würde die Fürstin kein leichtes Spiel haben.

    Im Laufe des Tages kam Gracia in mein Zimmer und sagte mir, Mutter müsste mit mir etwas Wichtiges besprechen. Ich verdrehte die Augen.

    Was gibt es denn bitteschön wichtiges zu besprechen? Gar nichts, natürlich!

    Trotzdem ging ich leise die Treppe herunter und in den großen Saal, wo Mutter bereits auf mich wartete. Als sie mich sah, rief sie aufgeregt:

    „Da bist du ja endlich! Ich möchte, dass du mir jetzt etwas hilfst: Als Erstes, was sollen wir deinem Gemahl aus unserem Land mitbringen? Außer dir natürlich.", sie kicherte leise, aber ich spürte ihre stechenden Blicke kalt auf mir ruhen.

    „Als Zweites, wie möchtest du heiraten? Ich schlage Folgendes vor: Als Erstes wird eine Heilige Messe veranstaltet. Darin enthalten ist das Eheversprechen mit dem Kuss. Auch die Trauzeugen sind da." Einen Moment lag herrschte eisiges Schweigen, dann konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Es war einfach zu viel für meine strapazierten Nerven.

    „Ich finde es wundervoll, dass du dir solche Gedanken gemacht hast. Sie waren allerdings umsonst. Ich werde Dayron nicht heiraten!" Meine Stimme war immer lauter geworden. Jetzt schrie ich:

    „Ihr könnt mir nicht vorschreiben, was ich tun und lassen soll! Ihr könnt mir meine Freiheit nicht nehmen! ICH-WERDE-IHN-NICHT-HEIRATEN! Nicht um alles Gold der Welt. Ich werde diesen Sohn einer Hure, diesen widerlichen Bastard, nicht heiraten!" Das würde richtig Ärger geben. Aber ich hatte die Wahrheit gesagt. Jeder wusste, dass der alte Gouverneur keine Frau gehabt hatte. Er hatte sich für die Nächte immer irgendeine Hure in sein Bett geholt. Selbst seine Schwester war ihm nicht entgangen. Und irgendeine dieser Huren hatte sich getraut, ihm ein Kind zu bringen. Seine anderen Kinder hatte er nie zu Gesicht bekommen.

    „Wie kannst du so etwas sagen!", kreischte die Fürstin los.

    „Gregorio, Gregorio. Komm her! Diese missratene Göre hat gerade den Gouverneur einen Hurensohn genannt. Dabei ist ihr Vater wahrscheinlich selbst ein Hurensohn und ein Bastard zugleich!" Wahnsinnig vor Wut brüllte ich:

    „Sag' noch einmal etwas über meinen Vater und du wirst nicht länger leben. Du, wo du doch selber eine Hure bist, die sich einen fremden Mann mit ins Bett genommen hat. Die scharf auf seine Reichtümer war, sie aber nie bekommen hat. Du, die meinem Vater sein Kind weggenommen hat. Du bist nicht nur eine Hure, sondern auch eine verdammte Hexe, Lügnerin, Verräterin und Betrügerin. Du warst nie auch nur ein bisschen eine Mutter für mich. Noch nie hast du mich gestreichelt, in den Arm genommen oder sogar geküsst. Du hast mich immer behandelt wie eine Magd. Doch es wird langsam Zeit für mich, an den Fesseln zu zerren. Nur ein Hund duckt sich vor seinem Herrn und bettelt ihn um Gnade an. Doch ich werde jetzt nicht mehr zu deinen Füßen sitzen. Ich bin die Tochter meines Vaters und als solche habe ich die Pflicht zu erfüllen, die er nicht erfüllen konnte. Du hast mich mein ganzes Leben lang betrogen. Dafür hasse ich dich. Wie mein Vater dich hasst. Wir beide hassen dich, für das was du uns angetan hast. Wenn Vater dich noch einmal sehen würde, und das weißt du selber genau, wird er dich töten. Und wenn du dich jetzt nicht in Acht nimmst, du Hure, werde ich dich für ihn töten. Und ich weiß genau, dass du Gregorio nicht anders behandelst als meinen Vater. Du betrügst auch ihn! Mit einem Zauberwein!"

    Stille! Totenstille! Es kam mir so vor, als ob die ganze Welt schweigen würde. Ich wusste genau, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Ich wusste genau, dass Vater weder ein Hurensohn, noch ein Bastard war. Ich wusste es einfach. Gelogen hatte ich allerdings, als ich behauptet hatte, ich würde sie töten. Das würde ich niemals können.

    Da meine Mutter das aber nicht wusste, stand sie reglos vor mir.

    „Gregorio!", krächzte sie, doch ich unterbrach sie höhnisch.

    „Du brauchst gar nicht zu rufen. Du hast Gregorio schließlich auf Geschäftsreise geschickt. Er soll dir deine Medizin besorgen, damit du nicht mehr solch einen Husten hast. Oder soll er dir etwa deinen verdammten Zaubertrank holen?" Ich starrte die Frau wie eine Fremde an. Schweigen. Dann fragte sie leise:

    „Woher weißt du das alles? Hat Gracia es dir erzählt?"

    „Gracia? Nein, ich habe deine Tagebücher gelesen." Das entsprach zwar nur der halben Wahrheit, aber ich wollte Gracia nicht in Schwierigkeiten bringen. Bellisa schnappte erschrocken nach Luft.

    „Tagebücher? Welche Tagebücher?" Ich runzelte verwirrt die Stirn.

    „Na die, die du früher geschrieben hast."

    „Ich habe nicht … ach die.", sagte Bellisa etwas gedehnt und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie sich wirklich daran erinnerte. Aber da sich ihre Stimmung schlagartig änderte, nahm ich an, dass sie wusste, welche Tagebücher ich meinte.

    „Dafür wirst du büßen.", knurrte sie mit heiserer Stimme. Ich lachte bitter.

    „Nein!" Ich konnte mir ein hämisches Grinsen nicht verkneifen.

    „Denn du wirst keinem davon erzählen können, ohne dass er dich für schuldig hält oder sogar als Hure bezeichnet. Gregorio würde dich verstoßen. Selbst mit dem Zaubertrank." Die Frau sah mich entsetzt an, drehte sich um und lief aus dem Saal.

    Erschöpft ließ ich mich auf einem Stuhl nieder, doch bald darauf kamen drei schwer bewaffnete Soldaten herein und bauten sich vor mir auf.

    „Wir sollen Euch auf Befehl der Fürstin die letzten drei Wochen, die Ihr noch hier seid, in den Keller bringen, Mylady. Ihr habt sie beleidigt und beschimpft." Ich starrte sie entgeistert an.

    „Was soll ich gemacht haben?", fragte ich entsetzt.

    „Ich habe mich mit ihr gestritten, aber so schlimm war es nun auch wieder nicht." Das war eine große Lüge, aber manchmal muss man einfach lügen.

    Leider hatten meine Proteste keinen Sinn und da ich wusste, dass die Soldaten der Fürstin gehorchen würden, stand ich wütend auf, ging in mein Zimmer, holte eine Decke und zwei Kissen und folgte den Soldaten in den Keller. Es war nicht das erste Mal, dass ich hier eingesperrt wurde, aber trotzdem war es immer wieder ein komisches Gefühl, gefangen zu sein.

    Ich richtete mir mein Lager her und trat dann an das vergitterte Fenster. Den restlichen Tag stand ich dort und schaute auf den Park, die Bäume, die Beete voller duftender Blumen und auf das Meer, das durch die Zweige einiger Bäume zu sehen war. Ich genoss den warmen Wind auf meiner Haut, atmete tief den salzigen Geruch des Meeres ein und hörte dem Geschrei der Möwen zu.

    Gegen Abend brachte mir einer der Soldaten etwas zu essen. Hungrig stürzte ich mich auf das Essen und das kühle Wasser, das ich vorher auf Hinweise zu dem Zaubertrank überprüfte. Es schmeckte gut, vor allem deswegen, weil keiner dabei war, der mir sagte, wie ich essen sollte.

    Als mein Hunger schließlich gestillt war, stieg die Wut wieder in mir auf.

    „Ich hasse euch. Ich hasse euch alle.", knurrte ich immer wieder vor mich hin, bis ich zu heiser und zu müde dazu war. Dann legte ich mich auf mein Lager und dachte nach. Ich wusste, dass mich die Fürstin und der Fürst hassten und ich hasste sie ja auch. Isabella mochte ich nicht besonders, aber sie tat wenigstens das, was ich wollte. Sie ließ mich in Ruhe.

    Meine Gedanken wanderten weiter zu André. Er liebte mich, das hatte er mir deutlich gezeigt. Wenn er jetzt hier gewesen wäre, hätte er dafür gesorgt, dass ich nicht hier unten bleiben müsste, da war ich mir sicher.

    Eine Welle der Zärtlichkeit überrollte mich.

    Ich liebe meinen eigenen Bruder. Na ja, Stiefbruder. Aber sind es wirklich meine wahren Gefühle für ihn? Es fühlt sich so unwirklich an. Er ist wirklich wunderbar, charmant und süß, aber ist es wirklich echte Liebe? Wie kann ich mir da sicher sein?

    Verwirrt über meine abwegigen Gedanken schalt ich mich innerlich.

    Natürlich liebe ich ihn. Er ist … er ist mein Bruder.

    Ich biss mir auf die Lippe. Er war mein Bruder, um genau zu sein mein Stiefbruder. Wollte ich das alles wirklich? Wollte ich für ihn wirklich hier bleiben? Und waren meine Gefühle für ihn von seinem Stand als mein Bruder abhängig oder nicht?

    Eine ganze Weile grübelte ich noch darüber nach, dann entschloss ich schließlich, nicht weiter darüber nachzudenken. Ich würde bei André bleiben, solange es ging. Und dann …

    Mit einem Glücksgefühl im Bauch, schlief ich schließlich ein und träumte davon, auf einem Piratenschiff zu sein, am Bug zu stehen und die Anwesenheit eines wunderbaren Mannes neben mir zu spüren.

    Falls wir uns nie wieder sehen sollten, André, sollst Du wissen, dass ich Dich mehr liebe, als alles andere auf der Welt. Für immer.

    In Liebe, Deine Rose

    2. Die Handschrift eines Piraten

    Ich las mir den Brief noch einmal durch und faltete ihn dann sorgfältig zusammen. Anschließend versiegelte ich ihn und machte mich auf den Weg zu Gracias Kammer.

    Meine Gouvernante sah erstaunt auf, als ich die Türe öffnete.

    „Rosalia, was machst du denn hier?" Ich war erst ein oder zwei Mal hier gewesen, darum konnte ich ihr Erstaunen nachvollziehen.

    „Hier, kannst du den André geben?" Ich reichte ihr den Brief.

    „Und gib ihm bitte auch die Tagebücher. Sie liegen unter meinem Bett."

    „Natürlich, das mache ich." Sie nahm den Brief entgegen und legte ihn unter ein kleines Tischdeckchen. Dann sah sie mich traurig an.

    „Es tut mir so leid, Rose. Ich werde dich hier sehr vermissen." Ich zwang mich zu einem Lächeln und trat näher.

    „Ich werde dich auch vermissen, Gracia. Du warst neben André die Einzige hier, die nett zu mir war."

    „Ich habe mich gerne um dich gekümmert. Und weil du jetzt gehen musst, habe ich noch ein Geschenk für dich. Es ist … es ist von deinem Vater. Er sagte mir, ich solle es dir erst geben, wenn du alt genug wärst. Und das bist du jetzt. Du bist siebzehn Jahre alt." Gespannt sah ich auf die alte Dame hinab.

    „Was ist es?" Sie deutete auf eine vertäfelte Wand.

    „Hinter einer der Fliesen findest du einen Brief und ein Geschenk."

    Darauf bedacht, mir den Kopf nicht zu stoßen, ging ich näher und untersuchte die Wand, konnte aber keinen Hebel oder so erkennen, mit dem man die Fliesen beiseiteschieben konnte. Ich wollte die alte Frau gerade danach fragen, als sie auf einen der Steine drückte, mit denen die Wand verkleidet war. Ein paar der Fliesen schwangen zur Seite und gaben den Blick auf ein großes Loch frei.

    Vorsichtig schob ich meine Hand hinein und tastete nach einem Hinweis. Da ich nichts entdeckte, befühlte ich auch die Decke und die Seiten des Lochs. Und tatsächlich war da etwas. Ein kleiner Spalt. Ich schob meine Finger vorsichtig in die Lücke und Staub rieselte herunter. Dann überlief mich ein Schauer der Freude. Ich spürte ein Stück Papier zwischen meinen Fingern und zog es heraus. Im trüben Licht erkannte ich einen Brief.

    „Gracia, ich habe ihn gefunden.", rief ich aufgeregt. Mit zitternden Fingern faltete ich den Brief auseinander und begann, die krakelige Handschrift zu entziffern.

    Liebe Rose,

    Ich bin Dein Vater, Kapitän Garreth.

    Und egal was alle anderen Dir sagen, ich liebe Dich.

    Du musst mir glauben, ich will Dich nicht alleine zurücklassen, aber Deine Mutter will Dich unter gar keinen Umständen gehen lassen. Den Grund dafür weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass sie Dich nie besonders mochte. Mich auch nicht, aber sie kann nicht verhindern, dass ich fliehe. Einen Piraten kann niemand aufhalten, wenn er sich was vorgenommen hat.

    Fest steht, ich liebe Dich, und als Zeichen dafür habe ich Dir ein sehr wertvolles Geschenk hinterlassen. Es bedeutet mir wirklich viel. Gib Acht, dass Du es nicht verlierst oder es Dir gestohlen wird, denn es ist einmalig und es gibt Menschen die töten würden, um es zu bekommen. Sei also wachsam.

    Ich hoffe, Du wirst dich freuen.

    Liebe Rose, tief in mir weiß ich, dass wir uns wiedersehen werden. Ich werde Dich irgendwann zu mir hohlen. Ich werde nicht aufgeben, bis ich Dich gefunden habe und Dich wieder in meinen Armen halte. Das verspreche ich Dir. Aber wenn es nicht gelingt, dann musst Du mich suchen.

    Gib niemals die Hoffnung auf. So wie ich.

    Damit du mich erkennst, ist auf der Rückseite ein Bild von mir abgebildet. Mein Schiff heißt „Little Luna" und ist das größte Piratenschiff der Karibik. Du wirst sie an der Brücke erkennen, die so silbern leuchtet, wie der Vollmond in einer wolkenlosen Nacht.

    Wir werden uns irgendwann wiedersehen.

    In Liebe,

    Dein Vater, Kapitän Garreth von der Little Luna.

    Ich liebe Dich, meine kleine Tochter. Für immer.

    „Ich liebe dich auch, Vater!", flüsterte ich und wischte mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich wollte gerade den Brief wieder zusammenfalten, als ich auf der Rückseite das Bild sah. Es war eine Tintenzeichnung, die Vater zeigte, wie er stolz und verwegen auf einer Kommandobrücke stand, während ihm der Wind durch die langen Haare fuhr. Auf dem Kopf trug er einen Dreispitz und um die Hüfte hatte er einen breiten Ledergürtel geschnallt, in dem Waffen steckten. Er trug hohe Stulpenstiefel, eine Kniehose und eine Weste.

    „Wie ein echter Pirat.", murmelte ich und atmete zitternd ein. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

    Ich faltete den Brief zusammen, steckte ihn ein und wandte mich wieder der Vertäfelung zu. Vorsichtig tastete ich das Loch nach dem Geschenk meines Vaters ab, blieb aber an einem Haken hängen. Als ich meinen Ärmel vorsichtig lösen wollte, fiel etwas klappernd auf den Boden – ein Schlüssel.

    Erstaunt wollte ich meine Hand aus dem Loch ziehen, streifte dabei aber mit einem Ärmel über den staubigen Boden. Ich stutzte. Da war Holz zu sehen.

    Als ich den Staub wegwischte, kam eine große, braune Holztruhe zum Vorschein, die mit schönen Schnitzereien verziert war. Ich wollte sie aus dem Loch heben, schaffte es aber nicht.

    „Gracia, kannst du mir helfen?"

    „Ich fürchte nicht. Aber vielleicht ist die Truhe einfach eingeklemmt.

    Versuch es doch nochmal." Ich folgte ihrer Anweisung und diesmal bewegte sie sich leicht. Mit einem kräftigen Ruck hob ich sie schließlich heraus und stellte sie ächzend auf dem Boden ab. Gracia schloss die Vertäfelung.

    „Die Kiste ist ziemlich schwer.", stellte ich fest, setzte mich auf die Truhe und …

    „Ach Rose. Jetzt hast du das Kleid ganz schmutzig gemacht." Ich bemühte mich um ein zerknirschtes Gesicht, als mir aufging, dass ich mich in den Staub gesetzt hatte, mit dem die Truhe bedeckt war. Gracia schüttelte lachend den Kopf.

    „Du bist unmöglich." Grinsend sah ich zu ihr hoch, besah mir dann aber das dicke Schloss. Es hatte dieselbe verschnörkelte Form wie der Schlüssel, der aus dem Loch gefallen war. Aufgeregt steckte ich ihn hinein und drehte ihn problemlos herum. Mit einem leisen Klicken sprang das Schloss auf und meine Hände zitterten vor Spannung, als ich mich auf den Boden kniete, vorsichtig den Deckel hochhob und gebannt durch den Spalt spähte.

    Mir stockte der Atem und mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Zuerst realisierte ich gar nicht, was ich da sah, doch als es zu funkeln begann, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. In der Truhe befand sich derselbe Gürtel wie der, den mein Vater auf dem Bild trug. Zumindest sah er genauso aus. Ein halbes Dutzend Wurfmesser steckten in dem breiten, schwarzen Ledergürtel, ebenso zwei Dolche, ein zweischneidiges Entermesser und ein langer, schlanker Säbel.

    Andächtig ließ ich meine Finger über das Leder gleiten. Auf der Gürtelschnalle war ein goldener Totenkopf aus Eisen mit Augen aus Rubinen abgebildet, um den herum sich eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete eiserne Rose rankte. Die scharfen Klingen der Waffen funkelten gefährlich und als ich den Säbel berührte, zuckte ich erschrocken zusammen. Ein Tropfen Blut rann an meinem Finger herunter.

    „Sind sie nicht alle wunderschön?", hauchte ich andächtig.

    „Schön?", rief Gracia entsetzt.

    „Das sind Waffen zum Töten. Dein Vater besitzt diesen Gürtel ebenfalls, er trug ihn immer bei sich. Ich hatte schreckliche Angst vor diesen Waffen." Ich schaute Gracia etwas gekränkt an, klappte dann den Deckel zu, hob die Truhe stöhnend hoch und trug sie in mein Zimmer. Unter das Bett passte sie nicht, darum stellte ich sie zu den anderen Kisten, die noch in die Kutsche gebracht werden mussten.

    Nachdem ich die Zimmertüre abgeschlossen hatte, öffnete ich den Deckel erneut und holte den Gürtel vorsichtig heraus. Der Säbel war, wie ich jetzt erkannte, nur einseitig geschliffen, dafür aber recht leicht. Das Entermesser war kürzer, zweischneidig und leicht gebogen. Die Dolche waren unterschiedlich lang, der Schmalere von beiden etwa zwei Spannen, der Breitere etwa eineinhalb. Die Wurfmesser betrugen etwa eine Länge von eineinhalb Spannen und waren erstaunlich schwer.

    Aufgeregt legte ich den Gürtel beiseite und sah erneut in die Truhe.

    Unten auf dem Boden lag ein grüner Stoff, den ich neugierig herausholte. Es waren mehrere Teile und unten drunter lag ein Paar Stiefel. Verwirrt hob ich eines der Stoffstücke an. Es sah aus wie …

    „Natürlich!" Ich faltete auch die anderen Stücke auseinander. Es waren die Teile eines Kleides. Eines sehr vulgären Kleides in der Farbe satter, dunkler Grüntöne mit einem leichten goldenen Schimmer – die Farbe meiner Augen. Hatte er das gewusst?

    Ich rief nach Gracia und schloss die Türe gleich wieder ab, sobald sie den Raum betreten hatte.

    „Kannst du mir bitte aus dem Kleid helfen?" Verwundert hob

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