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Darius: Vom Dichter zum Richter und von Denker zum Henker
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eBook250 Seiten3 Stunden

Darius: Vom Dichter zum Richter und von Denker zum Henker

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Über dieses E-Book

Darius Leben ist kurz davor eine dramatische Wendung zu nehmen, wenn er von einem unscheinbaren Händler ein unscheinbares Amulett annimmt, das seine Schaffenskrise beenden soll. Jedoch wird der Hofdichter zum Gejagten und muss mit Hilfe eines Kleinkriminellen seine kopflose Flucht aus der Stadt unternehmen, jedoch ist ihm seine Vergangenheit stets auf den Fersen. Als ihn dann die Rebellion gefangen nimmt, schwant ihm Schlimmes, doch ein unbekannter Besucher hilft Darius dabei, sich seiner Vergangenheit zu stellen und zu erkennen, dass es sich vielleicht doch lohnt Standhaft im Angesicht von Konflikt zu bleiben und dass er sein lyrisches Talent für mehr einsetzen kann, als für den Höchstbietenden. Die Rebellion hat eine neue Waffe – und sie heißt Darius.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Nov. 2020
ISBN9783752922974
Darius: Vom Dichter zum Richter und von Denker zum Henker

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    Buchvorschau

    Darius - Dennis Borscheid

    Prolog

    Hinrichtungen sind langweilig. Doch sie werden um einiges spannender, wenn man selbst involviert ist. Damit verhält es sich wohl wie mit Paraden - oder Golf. Es macht eine Menge Müll, niemand versteht wirklich den Sinn dahinter und wirklich genießen tun es nur die Reichen und Mächtigen. Und zuzugucken ist herzlich unspektakulär. Bis es der eigene Kopf ist, der ins metaphorische letzte Loch geschlagen wird.

    Hallo, mein Name ist Darius. Willkommen zu den letzten 10 Minuten meines Lebens.

    Ich will euch das was folgt von vornherein ersparen, ich wiederhole mich, aber es ist wirklich immer dasselbe. Immer dasselbe große Hubaba, du-wirst-hiermit-im Namen-des-x-beliebigen Herrschers, -Gottes, Demigottes, oder-wer-sonst-gerade-an-der-Macht-war-vor-den-Augen-des-guten,-schlechten, -mittelprächtigen, -oder-sonst-gerade-vor-der-Bühne-stehendem-Volke hingerichtet. Und auch letzte Worte sind, entgegen der Behauptung der Weltliteratur, rhetorisch eher auf Kneipenniveau. Viel unverständliches Gestammeltes, das gelegentliche Einnässen und ab und zu übergibt sich jemand.

    Ich habe aber auch an meine letzten Worte nur eine geringe Erwartung. Ich denke ich werde meinen über die Jahre angereicherten Schatz an Sprachwitz ein letztes Mal ausgraben und mein Leben so verlassen wie jede meiner Freundinnen: Hals über Kopf und mit einem schlechten Witz auf den Lippen.

    Rückblickend kann ich aber sagen, dass meine Entscheidungen, trotz meiner momentan doch etwas prekären Lage, immer dem Grundsatz gefolgt sind jedweder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Diesen Grundsatz habe ich mit einer Entschlossenheit gelebt wie sonst nur meine Liebe zu Wein und Datteln.

    Es ist sowieso viel interessanter welche schicksalhaften Ereignisse mich in diese unbequeme Lage gebracht haben.

    Wie schon erwähnt, habe ich es mir zum Lebensvorsatz gemacht, jeder Gefahr aus dem Weg zu gehen. Leider lebe ich in einer Zeit in dem so gut wie alles eine grundsätzliche Gefahr mit sich bringt. Von Krieg, über Pest, bis zu Hungernot haben wir alles in diese Jahrzehnte gepackt, wofür wir früher Jahrhunderte brauchten. Ein wirklich rückschrittlicher Fortschritt. Leider ist es nicht ganz möglich sich von diesen Gefahren fern zu halten, sollte man nicht als Einsiedler unter einem Felsen leben wollen. Ihr seht, es ist nicht leicht Ich zu sein. Doch ich war schon immer mit großem Einfallsreichtum gesegnet, so auch hier. Da jede ehrliche Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem harten Leben und frühen Tod führt, und jede unehrliche Arbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem frühen Ableben und hartem Tod führt, entschied ich mich für den Mittelweg.

    Eine Anstellung so unnötig, und doch so geschätzt, sodass ich niemals hart arbeitete, geschweige denn hart lebte. Ich wurde Dichter.

    Lasst mich kurz schildern, was in der Arbeitsbeschreibung steht. Sitze den ganzen Tag in einem sonnendurchfluteten Zimmer, oder wetterabhängig einem Park, und philosophiere über die Welt, das Leben, und die Herrlichkeit deines Patrons (nicht in dieser Reihenfolge). Bringe diese Gedanken in sich reimender Form zu Papier in einer Art die lustig, heuchelnd oder geradewegs schmeichlerisch ist. Verständlichkeit ist kein Muss.

    Ich fand meine erste Tätigkeit in den Diensten einer Hofdame von Poltras. Ihr Angebeteter war ein großer Befürworter der schönen Künste (solange sie die oben beschriebenen Qualitätsmerkmale erfüllten) und sie erhoffte sich durch meine Anstellung ein gesteigertes Ansehen in den Augen des Schutzheiligen der Künstler. Nach kurzer Zeit hatte ich sie an seine Tafel katapultiert und mir einen Namen als Liebesdichter gemacht, was manche Hofdame als Metapher für männliche Prostitution sah. Es folgten viele klärende Gespräche, und im Falle einer besonders penetranten Dame ein Hilfeschrei nach den Wachen. Nichtsdestotrotz genoss ich die Zeit am Hof von Poltras. Leider starb meine Patronin kurze Zeit später nach einem Jagdunfall (nicht auf mich), und ich zog fort, denn trotz zahlreicher Angebote, wollte ich meinem Ruf als Liebesdichter nicht wortwörtlich gerecht werden.

    Nach einigen kleineren Anstellungen in den Städtchen und größeren Dörfern fand ich mich im Jahr 976 in den Diensten eines Barons Rafael Margoza, auch bekannt als der „blutige Baron", wieder. Und hier beginnt die Geschichte die mich zu einem Gejagten, Geächteten und wohl bald Geköpften machte.

    Kapitel 1

    „Geht die Sonne auf oder unter?", fragte ich Ente.

    „Ich hoffe unter, ich kann diese Helligkeit nicht ertragen.", antwortete er mir leicht lallend. Beziehungsweise schwer lallend, aber da ich genauso betrunken wie er war, konnten wir uns besser verstehen als es die hohen Herrschaften, die mit gerümpfter Nase an uns vorbeigingen, gekonnt hätten.

    „Was auch immer, ich muss nach Hause.", sagte ich.

    „Gute Idee.", entgegnete er und lief in seinem typischen Gang, der ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte, die Straße herunter. Manche sagen, er lief auf diese Art auf Grund einer Kriegsverletzung. Zufällig sind es diejenigen mit denen Ente gezecht hatte.

    Ich warf meine Hand hoch und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung um. Dann zerbrach die Welt in zwei. Ein Dröhnen fuhr aus dem Himmel auf mich nieder. Der höllische Klang kam vom Glockenturm der Kathedrale und rief zum Gebet.

    Scheiße! dachte ich.

    Nicht nur weil jeder Schlag der Glocke gleich einem Hammerschlag auf meinen Kopf war, sondern es auch hieß, dass es Morgen war. Und das wiederrum hieß, dass ich spät dran war. Diese Kette von Erkenntnissen ließ mich in Schweiß ausbrechen, als ich die Straße mehr schlecht als recht herunterlief.

    Als ich durch die Tür trat, schlug mir der Geruch von Wein entgegen. Und es sagt viel über meine Gefühlslage aus, dass ich dankend ablehnte.

    Am Fenster stand, dickbäuchig und glatzköpfig {oder dickköpfig und glatzbäuchig}, der Baron. Neben ihm hing dünn und vollhaarig, ein Portrait seinesgleichen. Um welchen Baron es in meinen Gedichten ging, überlasse ich euch zu erraten. Meine Gedichte. Es war schon länger Zeit, dass ich eins verfasst hatte. Zumindest eines über Margoza. Zumindest eins, dass ihm gefallen würde.

    Deshalb war ich auch mit Ente in der Schänke gelandet, um Inspiration zu finden. Und deshalb fand dieses Treffen statt, um mein neustes inspiriertes Werk vorzustellen. Es war der Abgabetermin. An dem ich mein Gedicht oder mein höfisches Leben abgab.

    „Nun Darius, wo ist es?", fragte Margoza.

    „Es ist hier.", antwortete ich. Margoza drehte sich um.

    „Wo?"

    „Hier, sagte ich und zeigte mit dem Finger auf meine Schläfe. Margoza zog die Augen zusammen. „Darius ich bin nicht in der Stimmung.

    Bist du es je? Sie nannten Margoza auch den Roten Baron – ein entschlossener Verfechter der beschriebenen Hinrichtungen.

    „Ich muss es nur finden, Herr."

    „Du hattest zwei Monate Zeit es zu finden. Vielleicht sollte ich deinen Kopf aufmachen und selbst ein wenig suchen?" Plötzlich war mir doch nach Wein.

    „Das wird nicht nötig sein. Gebt mir noch eine Woche. Ich spüre es in meinem Kopf."

    „Sicher, dass es nicht der Kater ist?"

    „Nein es bahnt sich etwas an!"

    „Oh, das tut es auf jeden Fall." Seine Miene ließ keine Zweifel darüber was er damit meinte.

    Nach Schlaf war mir nicht mehr zumute. Ich wanderte durch die Straßen der Stadt, auf der Suche nach irgendetwas, dass mich zu einem Gedicht inspirieren würde.

    Doch tief in mir wusste ich, dass ich über jede Eigenschaft, Eigenart und eigene Erfindung unseres Herrschers geschrieben hatte. Ich hatte seine Entschlossenheit mit dem Hammerschlag des Schmiedes verglichen, der beständig das Eisen in die richtige Form bringt. Ich hatte seine Gnade {eine seiner Erfindungen} angepriesen und seine Rechtschaffenheit {eine meiner Erfindungen} als Vorbild für die Welt gemacht. Und so viel mehr noch.

    Kurz gesagt, ich hatte keine Ideen mehr. Ich war raus. Verdammt. Versteht mich nicht falsch. Ich war noch voller Ideen. Ich hatte große Pläne worüber ich noch schreiben wollte. Nichts davon hatte mit Baron Rafael Margoza zu tun. Leider kann man mit Träumen nicht das Essen oder den Wein bezahlen.

    Eine Woche später.

    Eine Idee. Eine Idee. Eine Idee. Wie schwierig kann das sein? Unser Herrscher ist so weise, selbst eine Art und Weise... Ein weiteres Papier landete zusammengeknüllt in der Ecke, wo sich schon ein Haufen bis zur Klinke der Zimmertür stapelte. Wieder ging die Sonne auf, und wieder hatte ich Kopfschmerzen. Doch dieses Mal jedoch hatte ich nicht die Nacht durchzecht, sondern durchgearbeitet. Gearbeitet! Ich war mit den Nerven am Ende. Die Glocke der Kathedrale erklang. Geschlagen ließ ich den Kopf in meine Hände fallen. Es war vorbei. Ich hatte nichts. Seufzend stand ich auf. Lass es uns hinter uns bringen.

    Ich ging die Straße von meiner schönen Wohnung hinauf zum Schloss des Barons. Auf dem Markt herrschte schon reger Betrieb. Händler priesen lautstark ihre Waren an, und die Einkäufer versuchten diese Waren ebenso laut herunterzuhandeln. In diesem Moment erschienen mir ihre harten, anstrengenden Leben verlockend. Soweit war es schon. Kopfschüttelnd ging ich weiter.

    „Ihr seht besorgt aus, Herr." sprach eine Stimme mich von der Seite an.

    „Es ist wirklich nicht schwer, dass zu erkennen. Wenn ihr also Wahrsager seid, wisst, ich habe keine Zeit und kein Interesse."

    „Nichts dergleichen bin ich."

    „Ich habe auch im Moment für keine Mixtur, Tinktur, Elixir oder Zaubertrank gebrauch."

    „Nichts dergleichen verkaufe ich."

    „Was ist es denn das ihr mir andrehen wollt?"

    „Eine Lösung."

    „Fahr zur.…"

    „Hört mich an! Nehmt dieses Amulett. Wenn ihr nicht alles bekommt, was ihr wollt, kommt zum Brauhaus zum geschlagenen Krieger. Ich werde es zurücknehmen."

    „Und wenn es funktioniert?"

    „Kommt ebenfalls dorthin. Nur dann mit genügend Geschichten, um uns bis zum Morgengrauen zu unterhalten."

    „Falls es nicht funktioniert beginnt im Morgengrauen eine ganz andere Unterhaltung, mit mir in der tragischen Hauptrolle."

    „Es wird funktionieren. Der Stein spricht. Hört zu."

    Was hatte ich zu verlieren? Mein Leben? Gut, das war vielleicht überzogen, doch was ist ein Leben ohne Wein und Sonnenschein?  Ich bin ein Künstler, Gottverdammt!

    Grummelnd nahm ich das Amulett an mich und hängte es mir um den Hals. Es war kühl und schwer – ein wunderbares Gegengewicht zu dem imaginären Strick, der sich mit jedem vergangenen Tag um meinen Hals zog.

    „Wie fühlt es sich an?", fragte der Händler.

    „Es ist ein verdammter Stein.", antwortete ich. Und das war nicht übertrieben. Es war wirklich unscheinbar. Ich hätte nur eine Hand Steine vom Boden aufsammeln müssen und ich hätte vier identische Exemplare gefunden. Das einzige was ihn von einem normalen Kieselstein unterschied, war eine einzelne Rune, die wohl von einem Kind auf den Stein gekratzt wurde.

    „Was bedeutet die Rune?", fragte ich.

    „Gebrochen.", antwortete der kleine Mann.

    „Und dass soll mir weiterhelfen?!"

    „Man kann vieles brechen, mit positivem Effekt. Wie einen Fluch."

    „Oder ein Genick.", entgegnete ich.

    „Habt Vertrauen. Und es sieht gut an euch aus."

    „Ja, es bringt wirklich Kopf und Hals zusammen. Hoffen wir, dass es so bleibt."

    „Heute Abend im Brauhaus zum geschlagenen Krieger."

    „Hoffen wir, dass es bald nicht zum erhängten Dichter heißt."

    „Hab vertrauen. Der Stein spricht.", sprach der kleine Mann und verschwand in der Menge.

    „Hoffentlich reimt er auch.", murmelte ich zu mir selbst.

    Niemals fiel mir auf, wie schnell ich das Amulett akzeptiert hatte, pre-mortum Verzweiflung hin oder her.

    Die Stadt Margoza in der ich zu dieser Zeit weilte und ich hatten eine ganz besondere Beziehung:

    Sie hatte schon vor ihrer Einnahme durch den Barons ihre beste Zeit auf dieser Welt hinter sich, und ich die meine in ihr. Versteht mich nicht falsch, ich bin ein absoluter Stadtmensch, doch auf Grund der letzten Entwicklungen in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit war zu verschwinden. Nur wollte ich mich nicht demselben Schicksal unterwerfen das Margoza ereilen würde.

    Denn wenn mich die Geschichte (die ich gelesen habe) eins gelehrt hat, dann, dass eine Stadt, die in einer Nacht dem Erdboden gleichgemacht wird, im kollektiven Gedächtnis die Jahrhunderte überdauert, jedoch die Stadt, welche über Jahrhunderte im Erdboden verschwindet, innerhalb einer Generation vergessen wird. Wir Menschen lieben wirklich das Spektakel. Das soll nicht heißen, dass ich einen schnellen Tod einem langsamen Dahinraffen vorziehen würde – das Thema Tod betrachte ich lieber aus der Ferne, physisch und zeitlich. Mein Ziel war es jede Form von Verfall, Verkommen und

    Verletzungen zu vermeiden, bisher mit großem Erfolg. Bisher.

    Eine weitere Ähnlichkeit, die mich mit dieser Stadt verband, war, dass wir beide wirklich viel Potenzial besaßen. Margoza lag wie alle großen Städte dieser Region am Fluss Siepem, der auch das goldene Band genannt wurde, denn er galt als wichtigster Handelsweg diesseits der Roten Berge, aus deren heißen Tiefen er entsprang. Der Siepem verband die Gold- und Silbermienen der Roten Berge im Norden mit den Hafenstädten des antylischen Meeres, welche die Schätze der Länder Hinter Dem Horizont in das Land brachten.

    Was Margoza jedoch von den anderen Handelsstädten unterschied, war, dass es neben dem Handel noch ein weiterer wichtiger Kontenpunkt gewesen war {leider muss ich, ähnlich wie die Fassaden dieser tragischen Stadt, nun in die Vergangenheit abgleiten}: Es war die Stadt der Vier gewesen. Die Vier waren keine Wesen an sich, es waren Institutionen. Die Institutionen der hohen Künste: Der Schreib- und Malkunst, sowie der Musik und des Schauspiels. Noch heute sieht man Fresken ihrer Gründer an den öffentlichen Plätzen, doch immer seltener erkennen die vorbeigehenden Leute die Gesichter und noch seltener die Geschichte hinter diesen. Auch die zahlreichen Bühnen der Stadt, auf denen zu ihren Glanzzeiten Schausteller aller Disziplinen ihren Weg zum Ruhm {oder Blamage} gefunden hatten, waren inzwischen entweder verfallen oder zweckentfremdet worden {manche fungieren inzwischen als Schafställe, eine merkwürdige Parallele zu ihrem vorigen Nutzen}.  Es ist nicht unbedingt ihre Schuld, nach dem letzten Krieg und der beinahe Zerstörung Margozas hatten ihre Bewohner anderes im Kopf als die schönen Künste (ein weiterer Grund für meine Ablehnung von jeglicher gefahrbehafteten Situation), und der Baron selbst hatte diese Abneigung zu seinen Gunsten genutzt und jede Form von Kunst den Geldhahn zugedreht. Und da Kunst auf die Gunst von Gönnern angewiesen ist, bedeutete dies das Ende der Vier.

    Und da die Zyklen zwischen Frieden und Krieg immer kürzer wurden, wurde auch das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung immer kleiner. Es wird zwar häufig gesagt, das Wort sei schärfer als das Schwert, jedoch wird in der Hitze des Gefechts eher selten nach einem Dichter oder Geschichtsschreiber gerufen (Ihr seht, die Logik meiner beruflichen Wahl ist Wasserdicht). Margoza war deshalb in seiner Glanzzeit auch ein kulturelles Zentrum gewesen, mit prachtvollen Theatern, großen Bibliotheken und kunstvollen Gärten. Doch so wie ich auch, wurde es von seinen Oberen so geschunden und zweckentfremdet, dass unsere Fassade (architektonisch, beziehungsweise lyrisch) in arge Mitleidenschaft gezogen worden war. Doch was soll man tun, wenn der Grundstein seines geistigen Theaters entfernt wird, und zur Erbauung eines literarischen Wehrturms verwendet wird? Man freut sich, dass man weiterhin aufrecht steht und ab und zu einen neuen Anstrich erhält.

    Wo ich gerade von neuen Anstrichen spreche.

    Auch das Anwesen des Barons war nicht mehr das glorreiche Selbst das es einst sicherlich gewesen war – und auch so war sein Herrscher. Selbst die Banner, in so vielen Schlachten siegreich empor gereckt, hingen schlaff und durchlöchert an dem bröckelnden Sandstein, aus dem die gesamte Obere Stadt gebaut war, herunter. Die Wachen schienen sich ein Vorbild an den Stoffbahnen über ihren Köpfen genommen zu haben und standen, gestützt auf ihre Hellebarden, mit hängenden Schultern und Lidern vor dem torlosen Tor. Keine Regung durchzuckte sie als ich zwischen ihnen hindurchschritt und den Innenhof betrat. Das Bild sah dort kaum anders aus. Ein paar Wachen fochten zähflüssige Übungskämpfe aus, während ihre Vorgesetzen im Schatten der Mauer saßen und ihren Sold im Bier oder beim Karten spielen verloren. Es hatte etwas merkwürdig friedfertiges, trotz all der Waffen und definitiv nicht friedfertigen Männern. Der Sommer hatte die Stadt fest im Griff.

    Ein altes Sprichwort aus dieser Gegend besagt nämlich: Sommer bringt Frieden, Winter bringt Krieg. Frühling bringt den Handschlag, Herbst bringt den Hieb. Der Sommer würde bald zu Ende gehen, doch die Wachen verschoben die Vorbereitungen gerne auf die letzte Minute, eine Einstellung die in ihrer Schulzeit wohl den Weg zur Berufung als Wachen vorgeebnet hat. Nicht das ich besser gewesen wäre, doch manche von uns haben entweder das Glück oder das Talent etwas zu können, dass andere wertschätzen. Es ist das bildungstypische Gegenstück zu dem Ausspruch zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Leider bringt einen das aber auch in das mal gewollte, mal ungewollte Licht, an dem sich die Öffentlichkeit ergötzen kann – mal an rosigen Formulierungen, mal an blutigen Hinrichtungen.

    Unwillkürlich berührte ich das Amulett. Es war heiß. Doch so wahr schließlich alles in Margoza. Auch mir stand der Schweiß auf der Stirn. Und nur ein Teil davon wegen der Hitze.

    Als ich die Treppe hoch zum Turm des Anwesens stieg, geschah etwas Seltsames. Normalerweise würden meine Beine schwer, mein Schritt langsamer werden, so sehr scheute ich mich vor der Auseinandersetzung mit meinem „Patron". Doch heute war mein Schritt leicht, schon fast freudig. Als würde mich eine Vorfreude erfüllen auf das was kommen sollte. Schnell erklomm ich die letzten Stufen und klopfte an die schwere Eichentür, eine der letzten Türen in der Festung des Barons, welche noch als solche bezeichnet werden konnte.

    „Herein", rief eine bekannt gereizte Stimme. Der Sommer bringt zwar Frieden, aber nur dem der auch Frieden sucht.

    Trotz meiner unverständlichen Vorfreude lugte ich vorsichtig durch einen Spalt in der Tür, in der Erwartung, eine monströse Armbrust oder anderen Tötungsapparat auf die Tür gerichtet zu sehen. Nichts dergleichen war zu sehen, deshalb trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Wir waren allein. Der Baron war allein. Wie so häufig in der letzten Zeit. Und es waren nicht die vielen Treppen und unerträgliche Schwüle in dem kleinen Zimmer des Turms die dazu führten.

    Wie gesagt, der Sommer bringt Frieden...

    „Hast du es?", fragte er mit blankem Gesichtsausdruck. Man sah ihm an, dass er gute Neuigkeiten brauchte. In Konsequenz brauchte ich ein Gedicht. Das ich nicht hatte.

    „Die Hitze scheint den See meiner Kreativität ausgetrocknet zu haben, O Nobler.", begann ich meine wohl letzte Ausrede. Dachte ich. Doch ich war mir sicher, dass mein Mund gerade andere Wörter geäußert hatte. Erstaunt hielt ich inne. War es die Hitze? Oder verfrühtes Galgengestammel? Ich setzte erneut an:

    „Ich konnte nicht schreiben, denn die Hitze drückte meine lyrischen

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