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DSA 129: Im Schatten der Esse: Das Schwarze Auge Roman Nr. 129
DSA 129: Im Schatten der Esse: Das Schwarze Auge Roman Nr. 129
DSA 129: Im Schatten der Esse: Das Schwarze Auge Roman Nr. 129
eBook420 Seiten6 Stunden

DSA 129: Im Schatten der Esse: Das Schwarze Auge Roman Nr. 129

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Über dieses E-Book

Die Wildermark - vom Krieg zerbrochen, von falschen Hoffnungen getäuscht, ist dies kein gutes Land, um allein auf die Walz zu gehen. Dennoch macht sich die junge Schmiedegesellin Zita aus Zweimühlen auf, um ihr Handwerk zu vervollkommnen. Gejagt von den niemals ruhenden Geistern ihrer Vergangenheit gilt es, inmitten plündernder Orkbanden und intriganter Kriegsfürsten zu bestehen. Als zudem verdorbene Klingen aus Sternenstahl auftauchen, welche drohen, die Seelen ihrer Opfer für immer in die Niederhöllen zu zerren, schließt sich Zita dem Schwertgesellen Ulfberth an. Sie stellen sich einem grausamen Feind, um das ohnehin gebeutelte Land vor einem weiteren Fluch zu bewahren; einem Fluch, der den Krieg in der Wildermark nie enden ließe.
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum21. Juni 2012
ISBN9783868898231
DSA 129: Im Schatten der Esse: Das Schwarze Auge Roman Nr. 129

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    Buchvorschau

    DSA 129 - Judith C. Vogt

    Biografie

    Judith Vogt wurde 1981 in der Nordeifel geboren. In einem 100-Seelen-Dorf, das wenig Beschäftigung für Jugend­liche bot, begann sie Rollenspiel mit siebzehn Jahren und tauchte ab in das Lesen und Schreiben von Fantasy. Ihrer Leidenschaft für Bücher treu, arbeitete sie als ausgebildete Buchhändlerin.

    In ihrer Freizeit interessiert sie sich – neben Rollenspiel – vor allen Dingen für alte Zeiten und alte Geschichten, für Kelten, Frühmittelalter, Reenactment, Schwertkampf, aber auch für Natur und Ökologie und natürlich fürs Schmiede­handwerk.

    Judith Vogt lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Aachen. Im Schatten der Esse ist ihr erster Roman.

    www.jcvogt.de

    Titel

    Judith C. Vogt

    Im Schatten der Esse

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band 11069PDF

    Titelbild: Arndt Drechsler

    Aventurienkarte: Ralph Hlawatsch

    Lektorat: Catherine Beck

    Buchgestaltung: Ralf Berszuck

    E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

    Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.

    DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE sind eingetragene Marken.

    Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Buch-ISBN 978-3-89064-125-6

    E-Book-ISBN 978-3-86889-823-1

    Danksagung

    Für Hawlogh – den Weggefährten vieler Abenteuer

    Dank gebührt:

    … an vorderster Stelle dem, den ich am wenigsten kenne: Uli Lindner – vielen Dank für Zweimühlen und eine großartige Zeit!

    … meiner weltbesten Kriegsfürstengruppe: die Herren von eigenen Gnaden Lydia, Marc und Christian, die Berater Dietmar und Tobias. Danke für die Tasse.

    … der unermüdlichen Korrekturleserin Alex für all die nützlichen Korinthen und Erbsen, für die Hilfe bei der Erstellung des Glossars und für dein Urteil als Nicht-DSA-Fritte.

    … Marc für ebenso fleißiges Korrekturlesen, für bissige und nette Kommentare, für dein Urteil als DSA-Fritte und natürlich für Tronde (und die Rede)!

    … Ines für die ausführliche Meinung.

    … Jannis für seine spontane Hilfe bei den Schmiedeszenen und für viele nützliche Infos, die ich, wenn schon nicht beim Schreiben, vielleicht irgendwann beim Schmieden gebrauchen kann.

    … Anna und Stefan fürs nie die Hoffnung aufgeben.

    … meinen Kindern dafür, dass sie mich manchmal haben arbeiten lassen.

    … Christian – ein Detailauszug muss reichen: Danke für nächtelanges Storybasteln, für Faltenausbügeln, geduldiges Loben und Nörgeln, für die Schmiede in der Garage und Abenteuerliches im realen Leben und in Aventurien!

    Abschied von Zweimühlen

    Abschiede pflegen die schlechte Gewohnheit, sich so lang hinzuziehen, dass es ist, als sterbe man einen sehr langsamen Tod. Mein Abschied begann an einem Morgen, an dem die Dämmerung den Himmel entzweischnitt wie eine Schere. Die eine Hälfte war rosarot, wie verwässertes Blut, das aus dem Schnitt perlte, die andere Hälfte grau und kalt und fahl. Im Innenhof von Nardos Schmiede stehend sah ich hinauf, und es war, als sei der Himmel mein Spiegel. Eine Hälfte meines Herzens fühlte sich grau und taub an in meiner Brust – wie ein Stein und so, als würde ihr nichts etwas bedeuten. Die andere Hälfte vergoss Herzblut und Tränen bei dem Gedanken, fortzugehen.

    Ich hatte mein Bündel bereits geschultert, als Saria, Nardos Frau und erste Gesellin, mit dem kleinen Gondrik auf dem Arm aus dem Wohnhaus kam, beide noch verschlafen und sich die Augen reibend. Undankbar sah ich sie an. Mussten sie es mir noch schwerer machen? Nardo stand doch schon unbeholfen an meiner Seite und trat von einem schwerfälligen Fuß auf den anderen – und ich hörte zu allem Überfluss sich nähernde Fußtritte.

    Nardo legte mir die schwielige Hand auf die Schulter, deren Fingernägel, ebenso wie meine, schwarze Ränder hatten, die sich nie wieder würden abwaschen lassen. Ich versuchte, ihn anzulächeln, aber der Morgen war so grau und kalt und traurig, ich konnte es gar nicht richtig. Mein Meister Hawlogh bren Anchas kam durchs Tor, der neue Baron von Zweimühlen. Es ist eine lange Geschichte, wie es kam, dass der Meisterschmied eines halbnackten Barbarenvolkes aus dem Norden Baron unserer Stadt in Darpatien wurde, und ich weiß nicht, ob ich sie richtig erzählen würde. Jedoch so ist es. Er ist unser Baron und mein Lehrmeister. Also, Nardo ist auch mein Lehrmeister, als Baron hat man ja noch andere Dinge zu tun, als Kindern wie mir beizubringen wie man Nägel schmiedet. Aber anders als Nardo Gänsekiel, der liebenswürdige, schwergliedrige, schnaufende Hufschmied, hat Baron Hawlogh eine Kunstfertigkeit, die sicherlich die aller Schmiede in der Wildermark übertrifft, außer vielleicht die der Zwerge in Zwerch. Und er kennt Geheimnisse – Geheimnisse von Feuer und Stahl und Hammerschlägen und alten Versen und Gesängen, die die Zaubereien seines Volkes in die Waffen hineinschmieden.

    Der Baron trat durch den Innenhof zu uns und sagte leise, in der Stille der Morgendämmerung: »Du wirst ihr doch wohl nicht den Segen geben, Nardo, sie ist mein Lehrling.« Dann sah er mich an, und etwas Weiches spielte um seine Lippen. »Gewesen. Du bist mein Lehrling gewesen. Jetzt bist du eine verdammt gute Gesellin. Eine bessere jedenfalls«, er erhob die Stimme ein wenig, weil Reto nun auf den Hof trat, »als Reto, dieser faule Hund, der keinen graden Nagel in die Wand schlägt.«

    Reto verzog das Gesicht, als hätte er zu viel Ampfer gegessen, lachte dann aber und zwinkerte mir zu.

    Hawlogh trat vor mich, so nah, dass ich unter seinem offenen Mantel auf seiner bloßen Brust die blauen Tätowierungen erkennen konnte, deren Linien sich schlängelten und überkreuzten und viele von uns abergläubischen Zweimühlenern so beunruhigten. Mich beunruhigten die blauen Hautbilder nicht mehr. Vertraut war mir das Spiel der Muskeln geworden, das sie wie lebendig erscheinen ließ, während der Arm mit dem Hammer seine präzisen Schläge ausgeführt hatte.

    Er legte seine Hände auf meine Schultern und sah mir in die Augen, so lange, dass ich fühlte, wie mir das Herz in der Brust eng wurde.

    »Zita, ich entlasse dich auf das, was wir im Norden Kralessa nennen. Wie deine Meister es schon getan haben, so sollst auch du jetzt auf Aves’ Spuren wandern, in Ingerimms Sinne lernen und von Natûru-Gons und Travias Segen begleitet sein und überall gerne empfangen werden. Lerne, was du kannst, gib weiter, was du weißt, und komme als Meisterin zu uns zurück! Wir werden jeden Tag nach dir Ausschau halten und dich vermissen.« Und damit drückte er mich heftig an sich, dass ich den Geruch seines Fellmantels in der Nase hatte und der Kloß in meinem Hals mich fast erstickte. Ich nickte und presste die Lippen zusammen.

    Wie im Traum nahm ich wahr, dass Saria und Nardo mich umarmten, wie sie weinten und schnieften und sich schnäuzten. Der kleine Gondrik hing an meinem Hosenbein und wollte auf meinen Arm, aber ich wandte mich irgendwann einfach um und ging, während der Himmel über mir in Rot- und Rosatönen schier zerbarst. Irgendwo, weit im Westen, hing noch ein Hauch der kalten bleiernen Schwere. Als ich mich in diese Richtung wandte, erwachte die Stadt langsam zum Leben, und ich schritt eilig durch die Straßen und Gassen aus festgetretenem Staub und Schmutz, bis ich bei der Palisade am Wehrheimer Tor ankam.

    »Jetzt gehst du also wirklich auf die Walz, Zita!«, sagte der lange Bogomil, der am Tor Wache stand, und machte sich gemächlich daran, es zu öffnen. So, wie er es anfing, sah es nach einer komplizierten und langwierigen Tätigkeit aus, und ich trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

    »Hmm«, grummelte ich zur Antwort.

    »Weißt du schon, wo’s hingeht?«

    »Irgendwohin. Wo die Mark zu Ende ist. Nach Weiden vielleicht. Die Ritter dort wissen ein gutes Schwert bestimmt zu schätzen.« Diese Gedanken waren mir zwar gerade erst gekommen, kristallisierten sich jedoch sofort klar zu einem Entschluss heraus.

    Bogomil nickte ernst. »Ich hab dein Gesellenstück im Tempel gesehen. Ein prachtvoller Andergaster, wirklich. Wer mit so was kämpfen kann, zahlt sicher einiges für ’nen zweiten von der Sorte.«

    Hinter mir hörte ich Schritte. Kamen sie mir jetzt nachgelaufen, um mich noch mehr zu umarmen und mir ihre Tränen an Schultern und Wangen zu schmieren?

    »Mach schon auf, Bogomil, sonst muss ich dem Baron sagen, dass Zweimühlen entweder ein kaputtes Tor hat oder seine Leute zu dumm sind, damit umzugehen!«, brummte ich den Langen an, der die Schultern hochzog und mich mit einem gespielt-ängstlichen Ausdruck ansah.

    »Bloß nicht, bloß nicht. Wollte doch nur noch mal mit der besten Schmiedegesellin der Wildermark sprechen. Wer weiß, ob wir uns noch mal wiedersehen, Kleine. Man weiß ja nie, was das Leben hier so bringt. Vielleicht hebt Gallys eines Tages ab und stürzt auf uns runter, weißt du, wie diese Festung von dem Galotta.« Er kicherte, dann wurde sein Gesicht ernst, als wäre er sich nicht sicher, ob er etwas Lästerliches gesagt hatte, und er schlug hastig das Zeichen des Herrn Praios. »Also, alles Gute dir, und geh irgendwohin, wo es schön ist und die Leute Frieden haben. Dann lernst du mal, wie das so ist.«

    Ich nickte und ging durch das Tor, das er mir nun endlich aufhielt. Auch ihm sagte ich kein Wort des Abschieds. Nach wenigen Schritten hörte ich jedoch ein »Warte, warte, nicht zumachen!«

    Ich drehte mich nicht um, obwohl – oder weil – ich die Stimme erkannte. Einige weitere Schritte, und er hatte mich eingeholt.

    Retos sommersprossiges Gesicht grinste mich an. Er war viel zu fröhlich und unbeschwert für diesen Morgen. Für dieses Land. Für meinen Geschmack.

    »Zita, willst du gehen ohne einen Abschiedskuss?«, neckte er mich.

    Ich runzelte die Stirn. »Warum sollte ich dir einen Kuss geben?«, fragte ich brüsk.

    »Wem sonst? Komm, Zita, wir haben jahrelang zusammen gelernt. Du mehr, ich weniger, wie sie ja immer so nett behaupten. Du warst wie meine Schwester. Auch schon damals, bei Mutter Erlgunde. Gib mir einen schwesterlichen Kuss, dann kriegst du ein brüderliches Abschiedsgeschenk von mir.«

    »Ich will keine Geschenke, ich habe schon genug zu tragen«, murmelte ich, aber er lehnte sich vor, spitzte die Lippen und schloss die Augen, und dabei sah er so herzzerreißend dumm aus, dass ich einfach lachen musste. Kurz entschlossen gab ich ihm einen winzigen Kuss auf die Wange.

    »Hier, bezaubernde Zita, der alle Herzen zufliegen, mein Geschenk.«

    Ich nahm es entgegen, es war in einen schmutzigen Lappen gewickelt – durch ihn hindurch spürte ich sofort, was es war. Ich nahm es heraus und fand meine Ahnung bestätigt. Es war eine Zange.

    »Eine Zange. Danke.« Mit mäßiger Begeisterung schob ich sie in meinen Werkzeuggürtel zu meinen beiden anderen Zangen.

    »Ich habe sie selber gemacht, was natürlich heißt, dass sie schlechter ist als deine«, feixte Reto. »Aber sie ist mit Liebe gemacht statt mit Verbissenheit. Also, jede Macke daran ist Kunst. Und es ist noch was Besonderes dran. Das sag ich dir nur, wenn du mir noch einen Kuss gibst.« Er grinste schelmisch. »Diesmal aber auf den Mund.«

    Ich zuckte mit den Achseln und sah ihn verächtlich an. »Das denkst du dir wohl so. Aber ich mag Rätsel. Ich werde es einfach selbst herausfinden und mir den Kuss sparen.«

    Empört sah er mich an. »Aber …«

    »Kein Aber. Hol dir den Kuss von Mila ab oder von, wie heißt sie noch, Tsalinde.«

    »Perainlinde«, murmelte er beleidigt. »Dann mach’s gut, und viel Spaß beim Rätseln, du Sturkopf! Ich werde dich vermissen.«

    Ich ging ein paar Schritte auf dem ausgefahrenen Karrenweg. Dann wandte ich mich noch einmal um. Reto mit seinen ungekämmt-wirren Haaren stand da, und hinter ihm stand Zweimühlen, die Palisaden rosa vom Dämmerlicht behaucht, die Holzhütten und Fachwerkhäuser dahinter so seltsam verletzlich und schutzbedürftig zusammengedrängt, dass mir mein Herz so schwer war wie das ganze Bündel auf meinem Rücken.

    »Ich dich auch«, sagte ich, und es fiel so ungewollt leise aus, dass ich es selbst kaum hörte.

    Aber Reto hörte es, lächelte und nickte.

    Ich höre Stimmen von drausen vor der Tür. Ich weiß gar nicht so richtig, wo ich bin, alles ist so verschwommen in meiner Erinnerung.

    »Lass sie sich noch etwas ausruhen«, sagt Sarias Stimme. Ich merke, dass ich das nicht will, dass sich alles in mir dagegen sträubt. Untätig in der Dunkelheit sitzen. Die Tür geht auf, und Hawlogh steht im Türrahmen. Ich erkenne seine Silhouette an den wilden Zöpfen, die er am Hinterkopf zu einem unordentlichen Knäuel zusammengebunden hat. Er sagt ganz ruhig, obwohl ich so etwas wie Wut oder Aufgewühltheit in seiner Stimme hören kann: »Ich hab das Feuer angemacht. Zita, ich brauche deine Hilfe am Blasebalg.«

    Ich stehe auf und gehe hinaus, über den Hof und in die Schmiede. Ich habe das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, aber ich weiß nicht, was. Es riecht nach Kohle, nach Stahl und alter Hitze. Vielleicht auch nach einem Hauch Schweiß. Ich mag das und entspanne mich etwas.

    Hawlogh steht neben mir, und wir zögern beide, bevor wir die Schmiede betreten. Werkzeuge liegen auf dem Boden, der schwere Tisch ist in der Mitte entzwei. Ich sehe sofort, dass Hämmer und einige fertig geschmiedete Messer fehlen. Reto steht schon an der Esse, weder er noch der Baron scheinen die Unordnung zu beachten.

    Wir sehen uns alle an, und es kommt mir vor, als hätte ich etwas im Hals, was ich nicht runterschlucken kann. Hawlogh scheint nach Atem zu ringen, bevor er sagt: »Also, los, Lehrlinge, an die Arbeit!«

    Meine erste Nacht unter freiem Himmel verlief zum Glück ereignislos. Ich träumte von Feuer und heißen Kohlen und erwachte sehr früh, zu der Stunde, zu der sich der Himmel langsam aufzuhellen beginnt, aber die Nacht noch einmal besonders kalt und unbarmherzig wird, und der Tau sich wie eine nasse Hülle um mich zu legen begann. Ich verkroch mich in meinen Wolldecken, wurde mir aber rasch bewusst, dass die Wärme meines eigenen zitternden Körpers nicht ausreichen würde, um diesen Herbstmorgen wesentlich gemütlicher zu gestalten. Also rollte ich zittrig und mit klammen, steifen Gliedern meine Habe wieder zu einem Bündel zusammen, das ich mir auf den Rücken schnallte. Meine Füße waren eiskalt in den Lederschuhen, und alles an meinem Körper fühlte sich feucht an und schien meine Bewegungen zu hindern. Trotzdem schlug ich direkt einen schnellen Schritt an und versuchte mich warm zu laufen, bis die Sonne aufgegangen war. Als jedoch die herbstlich goldenen Strahlen der Sonne einmal über die Hügelkuppen gekrochen waren, brach ein warmer Traviatag an, an dem mir noch zu warm werden sollte in meinen wollenen Hosen und mit all meinem Gepäck und Werkzeug. Ich befand mich immer noch in der Baronie Zweimühlen, und die friedliche Einöde, die einst die Kornkammer des Reichs gewesen war, umgab mich nach allen Seiten. Doch wenn ich wirklich die Wildermark verlassen wollte, so lag dahinter, in allen Richtungen auf viele Meilen, ein unberechenbares Land, in dem einem so ziemlich alles passieren konnte.

    Ich gelangte zur Reichsstraße, der großen gepflasterten Schneise, die von West nach Ost durch die Wildermark schnitt. Einst eine viel befahrene Straße, war sie nun an vielen Stellen beschädigt und vernachlässigt. Unschlüssig stand ich am grasüberwucherten Straßenrand. Der Sommer hatte sein Werk getan und die Straße sicher an beiden Seiten noch um einen halben Schritt überwuchert. Ich fragte mich, wie schnell es wohl gehen würde, bis sich der Leib Sumus wieder über ihr geschlossen hatte.

    Vielleicht würde es tatsächlich geschehen. Viel Wasser war den Darpat hinuntergeflossen und viel war gekämpft und geredet worden – manche wagten schon, vom Frieden zu sprechen, von der Kaiserin, vom Reich. Ich schüttelte insgeheim den Kopf. So nah am Schwarzen Tobrien – was konnte da noch alles geschehen?

    Sollte ich der Reichsstraße gen Efferd folgen? Sie würde mich bis Wehrheim führen, aber von Wehrheim hatte ich nur gehört, dass es schrecklich zerstört worden war und von Geistern und Dämonen und diesen blutrünstigen Kor-Anhängern heimgesucht wurde. Und rundherum erstreckte sich auf Meilen und Meilen das Mythraelsfeld, auf dem die wütenden Geister derer, die dort beim Weltenbrand erschlagen wurden, jeden Dummen auffraßen oder in ihr Reich hinabzogen oder wer weiß schon was …

    Es war ein seltsames Gefühl, fort von zu Hause zu sein. Einfach den Füßen zu folgen. Ich pflückte die letzten Brombeeren am Wegesrand und aß ein paar Scheiben Brot. Ich hatte sehr viel Zeit, über sinnlose Dinge nachzudenken, mich ewig dahinfließenden Gedanken hinzugeben. Von ferne sah ich einen Schäfer mit seiner Herde, gelblich-weiße Schafe mit schwarzen Gesichtern. Er hatte wohl immer Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen – machte das aus Schäfern nicht sicherlich die größten Denker der Welt?

    Meine Gedanken drehten sich immer wieder um meinen Weg. Gen Firun, einfach auf Karrenwegen durch die Wildermark? Oder bis auf Sichtweite an Wehrheim heran und es dann schleunigst Richtung Firun hin umgehen? Wo würde ich einen Meister finden, der mich aufnehmen würde, zumindest über den Winter? Was würde er von meinen Fähigkeiten halten? Vielleicht wäre er der Ansicht, dass ich nicht das Richtige gelernt habe, zu viele Dinge, die kein Mensch bezahlen kann, zu wenig Hufeisen und Pflugscharren.

    Gegen Abend erschöpften sich meine Gedanken nurmehr darin, gequält meine Schritte bis tausend zu zählen und danach wieder bei eins anzufangen. Meine Füße brannten, aufgescheuerte Blasen schmerzten, mein Rücken tat mir weh, und ich hatte Hunger. Ich hatte noch etwas Brot im Gepäck, scheute mich aber, erneut ein durchfrorenes Nachtlager am Wegesrand aufzuschlagen. Tatsächlich zahlte sich meine Verbissenheit, für die mich Reto gestern früh noch geneckt hatte, aus, und ich sah zwischen dem Gesträuch, etwas abseits der Straße, ein Herdfeuer durch die Spalten in den Fensterläden eines Gehöfts schimmern. Als ich näher kam, hörte ich wildes Hundegebell. Nervös griff ich an meinen Gürtel und packte den Griff meines Schmiedehammers. Ein Schmiedehammer ist nicht so groß, wie die meisten Menschen denken, aber ich konnte ihn sehr präzise führen, egal, ob auf einem Werkstück am Amboss oder auf einen Hundekopf. Im Dunkeln vor mir hörte ich ein Hecheln, das sich vom Gebell abgesetzt hatte und sich mir rasch näherte. Ich löste den Schmiedehammer aus seiner Schlaufe und presste die Lippen zusammen.

    Bei Travia, das war nicht sehr gastfreundlich, die Hunde auf einen Wanderer loszulassen!

    Als ich schon triefende Lefzen und weiße Zähne im dämmerfinsteren Gesträuch vor mir aufblitzen sah, schallte mit einem Mal ein gellender Pfiff durch die Nacht.

    »Answin! Zurück! Bei Fuß!«, brüllte eine kräftige Frauenstimme, und mit einem Winseln, als wäre er am Halsband zurückgerissen worden, gehorchte Answin.

    Zitternd und schweißnass wagte ich mich nun weiter vor, nahm einen Pfad zwischen zwei überhängenden Weiden, die alles um mich her tief verschatteten, und zuckte schon beim leisen Warnruf eines Vogels zusammen.

    Dahinter jedoch öffnete sich der Weg auf ein kleines Geviert, das von einigen Bäumen, einer Scheune und einem niedrig kauernden Bauernhaus umstanden war. Dort stand eine Frau mit einer Laterne aus Pergament, um sie drei Hunde – einer sich wild gebärdend, nur Lefzen, Fänge, gierige Augen und struppiges schwarzes Fell, die anderen beiden diszipliniert, ein grauhaariges langbeiniges Tier mit Schnauzbart und ein jüngerer Hund, der sich bereits zu den Füßen seiner Herrin zusammengerollt hatte. Die Frau war hager und wirkte streng, die Haare verborgen unter einer Haube, die hohen Wangenknochen traten unter einer dünn und alt wirkenden Haut scharf hervor. Mein Atem hatte sich noch nicht von der Angst erholt, die der Hund mir eingeflößt hatte, und so stieß ich stockend und fast schon demütig hervor: »Travia … Travia mit euch, ich bin auf der Walz und … ähm, gehofft, bei Travia …«

    »Du möchtest auf Travias Gesetze verweisen, nehme ich an, Kind«, sagte die Frau streng, als hätte ich sie damit beleidigt. Was ich vielleicht hatte. »Ich weiß, dass ich einen Handwerker auf der Walz freundlich aufnehmen soll, so wollen es Travia und Ingerimm.«

    Und Natûru-Gon, fügte ich in Gedanken hinzu.

    »Du kannst im Kuhstall schlafen, das ist dort drüben. Ich bringe dir Suppe und einen Schluck Bier, und morgen beschlägst du mir mein Pferd neu.« Sie wandte sich ab, darpatische Gastfreundschaft hatte einem wildermärkischen Pragmatismus Platz gemacht. »Answin, Hal, Rohaja, kommt mit!« Zwei Hunde trotteten hinter ihrer Herrin her, Answin knurrte immer noch wild und ließ mich nur widerstrebend zurück.

    Ich musste mich vom heimelig durch die Fenster scheinenden Herdfeuer abwenden und die Tür zum dunklen Kuhstall öffnen. Ich hatte Glück: Das Wetter war gut gewesen und die meisten Tiere noch auf der Weide, also schlug mir zwar im ersten Moment ein sehr unangenehmer Geruch entgegen, es erwies sich dann aber als nicht so schlimm wie befürchtet – und immerhin verbreiteten die wenigen Mutterkühe mit ihren Kälbern eine wohlige Wärme, sodass ich meine Decken auf einem Flecken sauberen Strohs ausbreitete und auf die versprochene Suppe wartete.

    Dabei erinnerte ich mich an etwas, da muss ich sehr klein gewesen sein.

    Ich werfe sicherlich einiges durcheinander, aber ich befinde mich in einer kleinen Baracke nahe der Palisadenmauer. Ich habe einen Hundewelpen bei mir, aber er ist kränklich, und ich bin zu klein, um mich richtig um ihn zu kümmern. Er hat sich jetzt schon länger nicht mehr bewegt, und ich stupse ihn immer wieder mit dem Finger an. Ich weiß, dass ich an dabei ein Frauengesicht denke, an das ich mich heute nicht mehr erinnere. Es ist wächsern und kalt, das weiß ich noch, und ich befürchte, dass auch der kleine Hund wie das Gesicht die Augen nicht mehr aufschlagen wird. Aber noch ist er warm, und ich lege meine Wange an seinen weichen Bauch und fühle das schwache Zittern des Lebens in ihm.

    Während ich die Suppe aß und auch die ganze Nacht hindurch, wechselnd zwischen Wachen und Schlaf, fragte ich mich, was mit dem Welpen geschah. Starb er? War es meine Schuld? Hatte ich nicht genug zu fressen für ihn? War er ohne seine Mutter nicht fähig gewesen zu überleben? Ich hatte es überlebt, den Hunger und die Krankheit, die meine Mutter dahingerafft hatten.

    Hatte ich den kleinen Hund begraben? Oder war er gar nicht gestorben, hatte er überlebt und war mir irgendwann davongelaufen? Ich durchkämmte mein Gedächtnis nach weiteren Bildern von ihm, doch ich wurde nicht fündig, und auch in meinen Träumen tauchte nur das Gefühl auf, wie es war, meine Wange an seinen weichen zitternden Bauch zu drücken.

    Answin, Hal und Rohaja. Was für eigenartige Hundenamen. Doch sie passten zu dieser hageren, strengen Frau, die mit diesen Namen vielleicht etwas Ordnung in ihr Leben brachte.

    Einsame Wanderung

    Die Frau beschäftigte mich noch bis in den Nachmittag hinein. Die abendliche Suppe, die morgendliche Grütze und das Brot zu Mittag war mit einiger Arbeit abzugelten. Dafür musste ich auf ihrem brüchigen Strohdach eine undichte Stelle stopfen, ihre nervöse, hagere Mähre neu beschlagen, ein Türscharnier ausbessern, das Holzgestell ihres Pflugs richten und den Schlitten mit neuen Eisenkufen für den Winter ausstatten. Danach wurde ich langsam ärgerlich, denn es brachte mich nicht weiter auf meiner Reise, aber ich bemühte mich, mein Bestes zu tun und freundlich zu der Alten und ihrem störrischen, schweigsamen Knecht zu sein. Eine junge, aber bereits ergraute Magd steckte mir noch einen halben Laib Brot und ein Stück Käse zu, bevor ich weiter meines Wegs ging. Die Sonne sank bereits wieder, als ich auf die Reichsstraße traf und ihr noch ein Stück nach Westen folgte. Irgendwo hier endete Zweimühlen, und die Baronie Königsweber begann, aber wo, konnte ich nicht genau sagen. Alte Grenzsteine waren überwuchert, und niemand hielt Wache an den Grenzen. Bald wandte sich ein recht gut befahren aussehender Weg nach Norden.

    Eigentlich muss ich schon recht nahe an Wehrheim dran sein, dachte ich. Es ist auf jeden Fall hinter Königsweber. So beschloss ich, mich Wehrheim nicht weiter zu nähern, sondern dem Karrenpfad zu folgen, der sich buckelig über Grassoden und Baumwurzeln dahinschlängelte. Dabei versuchte ich, mir ins Gedächtnis zu rufen, auf wessen Gebiet ich mich wohl befand. Der Weg war, wie alle Wege bislang, verlassen. Nur Vögel zwitscherten, ab und an huschten eine Maus oder ein Kaninchen am Wegesrand vor mir davon. Ein Falke rüttelte über einer offenen Stelle im Gelände. Anders als auf der Reichsstraße fühlte ich mich nun etwas verlassen und irgendwie bedrückt von all der Einsamkeit um mich herum. Und was, wenn ich jetzt auf feindlichem Gebiet war? Auf dem Gebiet von Räuberbanden oder Söldnerfürsten, denen Travias Gebote nichts galten und auch nicht das Gesetz vom freien Geleit der wandernden Handwerksgesellen? Was war, wenn sie nun aus dem Wald stürzten und mich beraubten, mir mein Werkzeug wegnahmen und die Handvoll Taler in dem Beutel, den ich um den Hals und unter dem Hemd verborgen trug? Energisch schüttelte ich den Kopf, fasste den Wanderstab, den ich mir aus einem Haselgebüsch geschnitten hatte, fester und versuchte, mutig auszuschreiten. Die Pause, während der ich die Gerätschaften der Bäuerin gerichtet hatte, hatte immerhin meinen Blasen und wunden Füßen wohlgetan, der späte Herbst war golden und rot, und es gab sicherlich keinen Grund, sich Sorgen zu machen. War ich hier nicht auf dem Gebiet des Rabenmunds? Der war ein Ritter, nach allem, was ich wusste, der Enkel des großen Kaisers Answin, über den hier so viele Geschichten erzählt wurden. Er, so hieß es, hätte sicherlich nicht all dieses Elend über sein Heimatland Darpatien kommen lassen. Und manche sagten gar, es sei dem Hause Gareth ganz recht gewesen, dass dies Land hier verheert worden sei – war es doch die Wiege des sogenannten Thronräubers Answin und sollte hiermit lernen, keine weiteren Umstürzler mehr hervorzubringen. Aber ich wusste nicht, ob das stimmte. Die Kaiserin war freundlich und sehr anmutig gewesen, als sie Zweimühlen besucht hatte. Und Darpatien lag nun einmal an der Trollpforte, und direkt dahinter war ja schließlich das finstere Dämonenreich mit den Toten, die bei Tage herumwandeln und den fliegenden Festungen und all diesen Sachen. Mich schauderte bei dem Gedanken, dass die Reichsstraße, der ich gestern noch so arglos in die Gegenrichtung gefolgt war, direkt dort hineinführte, mitten in den Schlund der Dämonen und Untoten und dieser entsetzlichen Schrecknisse. Mir wurde wieder etwas bang ums Herz. Zu Hause, da hatte ich das natürlich auch alles gewusst, aber es erschien mir unmittelbarer, als ich so allein auf der Straße unterwegs war.

    Als nächstes wird der Barde beigesetzt. Seine lustigen Lieder gefielen den Kriegsfürsten immer besser, doch zu seiner Beerdigung spielt Hildelind eines seiner traurigen Lieder über den Krieg und über die Menschen, die so viel verloren haben. Sie stockt irgendwann und kann nicht weitersingen, ihre Stimme ist voller Tränen. Da singt nur ihre Drehleier das Lied zu Ende, summend und quietschend und dröhnend und leicht misstönend, weil es ein altes und verstimmtes Instrument ist.

    Auf dem Boronsanger sind viele, viele frische Hügel, und die Totengräber haben noch viel Arbeit vor sich. Ich stehe etwas abseits und schaue mich um. Ich will nicht hier stehen und traurig sein. Ich will zurück in die Stadt, in die Schmiede, ich wollte den Griff des Messers tordieren, aber nun ist er zu kurz geworden, und ich muss sehen, was ich daraus mache. Wie kriege ich das wieder ausgebügelt? Reto sieht zu mir rüber, wie ich von einem Fuß auf den anderen trete, und runzelt die Stirn. Fragt er sich, was ich grade denke? Es werden noch einige Leute beerdigt, und fast die ganze Stadt ist hier, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Die Gardisten heben ihre Waffen, als Midgardia in ihr Grab gelegt wird, die große und schwere Frau wirkt in dem weißen Tuch fast kindlich. Ich seufze und wende mich ab, gehe unbemerkt vom Boronsanger zurück in die Stadt.

    In der Schmiede angekommen, betrachte ich stirnrunzelnd den Messergriff. Ich könnte die Klinge verkürzen, die noch unfertig ist, ein flaches, unbearbeitetes Stück Eisen, und aus einem Teil davon noch ein Stück Griff heraushauen. Aber diesen mittleren Teil zu bearbeiten, wird schwierig. Ich könnte versuchen, die Torsion rückgängig zu machen; könnte den Griff wieder erhitzen und in die andere Richtung drehen. Aber dann verdreht es sich wahrscheinlich noch mehr. Irgendwann kommt auch Reto wieder rein. Er wirft einen Blick darauf und sagt: »Mach einfach ein Kindermesser draus. Ist genau richtig für Kinderhände. So, wie die Zeiten aussehen, kannst du die Klinge auch gleich richtig groß und scharf ausschmieden, dann können sie sich beim nächsten Überfall wehren.« Er macht zustechende Bewegungen mit dem rechten Arm, und ich verziehe unwillig den Mund.

    Ich will etwas sagen, ich will sagen, dass sie nicht mehr alle über diesen Überfall reden sollen. Dass sie nicht um jeden Toten so viel Aufhebens machen sollen, ständig weinen sie alle überall, und dieses Gerenne zum Boronsanger nimmt kein Ende, und jeder hat etwas dazu zu sagen, statt endlich seine ingerimmverdammte Arbeit wieder aufzunehmen – die Dächer zu reparieren, die Palisade instandzusetzen und weiterzumachen. Aber ich sage es nicht. Nicht, weil ich glaube, dass es Reto verletzen würde, sondern, weil ich es einfach satt bin, weitere Worte zu verschwenden.

    Ich habe natürlich kein Kindermesser daraus gemacht. Ich habe Stunden dafür gebraucht, den Griff wieder zu einem schönen, geraden Stück Eisen auszuarbeiten, es länger und dünner auszuschmieden und dann noch einmal ordentlich zu tordieren, sodass der Griff eine lange, gedrehte Schlaufe ergab, die gut in der Hand lag. Reto machte es sich eben immer zu einfach. Das ist der Grund, weswegen er ewig Hufschmied bleiben wird und in Nardo Gänsekiels Fußstapfen Pflugscharren und Nägel schmieden wird.

    Ich hingegen wollte neue Geheimnisse entdecken, Waffen schmieden, die der Kaiserin selbst gefallen würden. Ich lächelte vor mich hin. Die Weidener Ritter würden Schwerter brauchen und Lanzen, vielleicht auch Streitkolben. Und die meisten Menschen wussten auch immer ein schönes Messer zu schätzen, keine Waffe, sondern einfach ein schönes Messer, um einen Apfel zu zerteilen oder ein Seil durchzuschneiden. Ich dachte an die Schlangenmusterung, die sich ergab, wenn man ein Messer aus zweierlei Stahl eine Weile in Essig legte. Das würde den Weidener Rittern gefallen, und sie würden mir eine Unterkunft und ein gutes Leben dafür gewähren. Und vielleicht würde ich danach ein Empfehlungsschreiben erhalten und könnte damit nach Gareth zu Meister Thorn Eisinger, dem Heldenschmied, gehen, dem größten Schmiedemeister der Menschen…

    Langsam brach die Dämmerung herein, und als ich die ausgebrannten Ruinen eines Bauernhofs inmitten brachliegender Felder ausmachte, wurde mir klar, dass diese Nacht kein warmer Kuhstall, Suppe und Bier auf mich warteten. Ich seufzte und beschloss, mir mein Lager in den Ruinen einzurichten. Wenigstens vor Wind und Regen würde ich dort einigermaßen geschützt sein.

    Aber vielleicht sind dort Menschen gestorben.

    Es war, während ich mir die Ruinen so ansah, sogar sehr wahrscheinlich, dass dort Menschen gestorben waren. Die schwere Eichentür hing eingeknickt in den Angeln, alles, was vom Mobiliar nicht im Laufe der Zeit geplündert worden war, war zerstört, zerhauen und umgestoßen. Die Knochen eines Rindes lagen ineinander gefallen neben dem Brunnen im Innenhof, Gras wuchs durch die Augenhöhlen des blankgepickten Schädels. Ich erschauerte und suchte mir einen Platz im Heuschober, der zwar fast komplett niedergebrannt war, wo es aber am unwahrscheinlichsten war, dass dort noch die ruhelosen Geister der Toten wandelten.

    Die Nacht wurde kurz und unruhig. Immer wieder glaubte ich, Geräusche zu hören, und schreckte auf. Hörte ich das Rind nicht mit den Knochen klappern und schaurig muhen? Kroch nicht etwas unten im Brunnen herum? Ich hatte Durst und mein Wasserschlauch war fast leer, doch ich traute mich nicht, Wasser aus dem schwarz gähnenden Brunnen hinaufzuziehen. Kratzten nicht dort unten Fingernägel an den Steinen?

    Sie haben sie sicher dort hinuntergestoßen. Sie haben gelacht und die Kinder hineingeworfen und die Magd … Und sie sind nie wieder hinausgekommen,

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