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Expurgico: Das Schwarze Auge Roman 179
Expurgico: Das Schwarze Auge Roman 179
Expurgico: Das Schwarze Auge Roman 179
eBook373 Seiten5 Stunden

Expurgico: Das Schwarze Auge Roman 179

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Über dieses E-Book

Das bewegte Leben des Schwarzmagiers Karjunon Silberbraue nahm mehr als nur eine Wendung. Ausgebildet an einer Akademie des Bundes des Weißen Pentagramms wurde er wegen seiner ketzerischen Forschungen schließlich aus der Weißen Gilde ausgeschlossen. Sein Meisterwerk, die Adaption der borbaradianischen Zauberformeln in den Kanon der Gildenmagie, gilt als brillant und machte Karjunon berühmt. Doch der greise Erzmagus besitzt nicht nur einen wachen Geist, sondern auch eine Zielstrebigkeit, für die sein eigener Tod keine Grenze darstellt.
Der junge Scholar Anselmo, der unerwartet zum Chronisten von Karjunons Lebensgeschichte wird, versucht nach dessen Tod mit seinen Freunden herauszufinden, welche Geheimnisse Silberbraue trotz seines Ablebens verbirgt. Dabei gerät der Scholar in einen immer undurchsichtigeren Plan der Erzmagiers, der ihn in tödliche Gefahr bringt.

Der neue Roman von Aram Ziai in Aventurien - der Welt von Das Schwarze Auge!
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum2. März 2023
ISBN9783987321894
Expurgico: Das Schwarze Auge Roman 179

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    Buchvorschau

    Expurgico - Aram Ziai

    Aram Ziai

    Expurgico

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band US25736

    Titelbild: Nadine Schäkel

    Aventurien-Karte: Daniel Jödemann

    Redaktion: Nikolai Hoch, Alex Spohr

    Lektorat: Claudia Waller

    Korrektorat: Frauke Forster

    Umschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick Soeder

    Layout und Satz: Jörn Aust, Michael Mingers

    Ulisses Spiele:

    Zoe Adamietz, Jörn Aust, Philipp Baas, Mirko Bader, Tania Bogomazova, Steffen Brand, Bill Bridges, Martin Brunninger, J-M DeFoggi, Trisha DeFoggi, Carlos Diaz, Nico Dreßen, Christiane Ebrecht, Christian Elsässer, Cora Elsässer, Frauke Forster, Vanessa Heilmaier, Nils Herzmann, Nikolai Hoch, David Hofmann, Curtis Howard, Jan Hulverscheidt, Nadine Indlekofer, Philipp Jerulank, Johannes Kaub, Nele Klumpe, Christian Lonsing, Matthias Lück, Thomas Michalski, Carolina Möbis, Carsten Moos, Johanna Moos, Sven Paff, Stefanie Peuser, Felix Pietsch, Markus Plötz, Marlies Plötz, Elisabeth Raasch, Nadine Schäkel, Maik Schmidt, Ulrich-Alexander Schmidt, Thomas Schwertfeger, Alex Spohr, Stefan Tannert, Hannah van den Höövel, Jan Wagner, Katharina Wagner, W. Gwynn Wettach, Carina Wittrin

    Copyright © 2023 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN, UTHURIA und THE DARK EYE sind eingetragene Marken der Ulisses Spiele GmbH, Waldems.

    Alle Rechte vorbehalten.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Danksagung

    Dafür, dass aus den vielen zusammengekritzelten Notizen über meinen ersten Magier, den ich Mitte der 1980er Jahre zu spielen begonnen habe, tatsächlich ein Roman geworden ist, sind neben mir noch viele andere Leute verantwortlich.

    Ich danke zuerst Tom Finn (il miglior fabrio) für unglaublich freundliche Unterstützung und Anleitung beim Romanprojekt trotz Promistatus und Franziska Müller und Katja Vollbach für Testlesen und zahlreiche Anmerkungen – und vor allem für das Verständnis und die Geduld, die sie mit mir hatten, als ich mehr als einmal im spärlichen Urlaub die meiste Zeit mit Romanschreiben verbracht habe.

    Ich danke Sven Wasner, Stefan Küppers, Heiko Bodonge, Harry Simon, Nicola Küppers, Insa Lenz, Franziska Müller, Anne Engelhardt, Lily Tholen, Anil Shah, Anna Bauer, Simon Aulepp, Jenny Simon, Katja Vollbach, meinen Kindern Jaron und Jonna und vielen anderen für die wunderbaren und langjährigen Ausflüge nach Aventurien.

    Meine Dankbarkeit gilt auch Uli Kiesow, Thomas Römer und Hadmar von Wieser und zahllosen anderen für die wunderbar kreative Ausgestaltung dieser Welt (einschließlich Thorwaler Piratinnen, elfischer Liebe, Hotzenplotzigkeit und Borbarads Rückkehr), Stefan Küppers, Beate Razen und Stephan Johach für die Erfindung der drei bis heute wohlbekannten Gildensprecher_innen damals in Würselen sowie Franz Janson, Alex Spohr und vor allem ­Uli ­Lindner für die drei großartigen Bände zu den aventurischen Magierakademien. Ich danke Momo Evers für Licht und Traum und Chaos, Lars Klappert für Drinji Barns entschlossene Verschrobenheit und Drachengrößenvergleiche, Karl-Heinz Witzko für die Bruderschaft vom zweiten Finger Tsas und den ganzen Rest der irrwitzigen und bezaubernden maraskanischen Kultur, Harry Simon für Hartwurstveralberung und Rollenspieltheorie – ich habe viel von ihnen gelernt.

    Daniel Simon Richter danke ich dafür, dass er damals als Spielleiter Karjunon Silberbraue über den Draconiterorden den Zugang zur Metaspekulativen Dämonologie ermöglicht hat, und Thomas Römer dafür, dass er ihm als Autor darauf aufbauend die offizielle Entmystifizierung der borbaradianischen Magie ermöglichte.

    Ich danke Nikolai Hoch für eine Salve kompetenter kritischer Nachfragen zum Exposé dieses Romans und Alex Spohr für die inhaltliche Durchsicht des Manuskripts – und Ulisses Spiele dafür, dass sie die vielen Leute, die winzige Mosaiksteinchen zu Aventurien beigetragen haben, auf der Karte gegenüber vom Impressum in den Publikationen verewigt haben.

    Auf dass wir uns immer in Phantasiewelten flüchten können, wenn die wirkliche Welt zu bedrückend wird, wir letztere aber nie vergessen. Preiset die Schönheit, Bruderschwestern!

    Auenland, Sofaecke, im Oktober 2022

    »Wer aber im Pakt mit den Fuersten der Niederhoellen, der ist ein Daimonologus. Er hat sein heylig Seel verschachert und ist gefallen in Verdammnis. Sprich vor ihm die Namen der Zwoelfe, auf dasz ihm Heyl zutheyl werde, und bring ihn zum Tempel. So er sich aber weygert, schlag ihn todt, wo er steht!«

    —aus der ›Goettlichen Ermahnung an die Magi und Magae‹, Priesterkaiser und Bote des Lichts Gurvan Pariobur II., 463 BF

    Erster Prolog

    Mirham, 1034 BF, 8. Efferd

    Regenschleier peitschten über den nächtlich verhüllten Boronanger.

    Längst hatte sich der Untergrund der Mirhamer Begräbnisstätte in eine gewaltige Schlammwüste verwandelt, aus der unheilvoll hunderte schiefe Grabsteine ragten, die sich im Schatten von wuchtigen Grabmälern und verwitterten Statuen ergeben duckten.

    Der Gestalt im Kapuzenmantel war das Unwetter nur recht, sorgte es doch dafür, dass sie und ihre beiden Begleiter unbeobachtet blieben, auch wenn sie gerade beinahe im Matsch ausrutschte und sich erst im letzten Moment fing. Rasch wischte sie sich eine regennasse Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht. Oder waren es Tränen?

    »Hier, hier vorne ist es!«, wies der schmächtigere der beiden Begleiter den Weg. Die Laterne in der einen Hand und zwei Schaufeln unter den anderen Arm geklemmt, ging er voraus, während der andere, kräftige – obwohl schwer bepackt mit einer unförmigen Last – seltsam sicheren Schrittes hinter ihm her trottete. Jetzt, wo sie am Grab angekommen waren, setzte der Kräftige das längliche Bündel ab und nahm die zweite Schaufel in Empfang.

    Die schmächtige Gestalt hob die Laterne. In ihrem Licht schälte sich jetzt erstmals das in den Stein gearbeitete Symbol der Boronkirche aus der Dunkelheit: das zerbrochene Rad. Regenwasser rann in Strömen über den Grabstein und fand seinen Weg zu den eingemeißelten Buchstaben darunter:

    Karjunon Silberbraue

    946–1034 BF

    Ein paar Augenblicke lang stand die Frau vor dem Grabstein. Sollte sie es wirklich tun?

    Schließlich gab sie sich einen Ruck. »Fangt an«, befahl sie den beiden Gestalten. Der Schmächtige stellte die Laterne vor dem Grabstein ab und sie begannen, das Grab auszuheben. So kamen im flackernden Licht zwei weitere Schriftzüge auf dem Grabstein zum Vorschein. Beide waren in Bosparano verfasst:

    Dracomagus expurgico

    Non serviam

    Die Frau schluckte und trat einige Schritte zurück, um den Männern bei der götterlästerlichen Arbeit zuzusehen. Sicher, die beiden wussten nicht, was die Worte bedeuteten. Aber sie wusste es. Sie verrieten, dass hier ein Magier mit einem Titel beerdigt war, mit dem nur sehr wenige alte und mächtige Meister der arkanen Kunst geehrt wurden. Und sie verrieten auch, dass er von einem Gildengericht zur Höchststrafe verurteilt worden war: zum Ausschluss aus der Gilde. Sie neigte den Kopf zu Seite. Das Bekenntnis des Bestatteten am Ende – er selbst hatte darauf bestanden, dass es auf seinem Grabstein stehen würde – ließ sich entweder deuten als Erklärung dieses Urteils oder als seine Konsequenz. Denn es bedeutete übersetzt: »Ich werde nicht dienen!«

    Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Ihre Worte waren bloß ein Flüstern: »Ich weiß wirklich nicht, ob du das verdient hast, alter Narr!«

    Zweiter Prolog

    Perricum, 1011 BF

    Der sehnige, fast schon athletische Magus mit den ergrauenden Locken stand wie angewurzelt in der Zelle im Keller des Sanatoriums und starrte auf die Szene, die sich ihm bot. Er presste die Handfläche vor den Mund und schüttelte den Kopf. Olorand von Gareth-Rothenfels, Magister Magnus Contrarius und stellvertretender Leiter der Schule der Austreibung in Perricum, hatte sich schon länger Sorgen über das Treiben der Spektabilität Hilarud von Kuslik gemacht. Hilarud hatte in den vergangenen Jahren mehr als einmal vergeblich versucht, Dämonen aus Patienten auszutreiben, bei denen mittels Analys Arkanstruktur keine dämonische Besessenheit feststellbar war; während er selbst hingegen stets behauptete, der Einzige zu sein, dem sich der Dämon offenbart hatte. Es handelte sich um einen Dämon, der sich nur gelegentlich in wechselnden Personen manifestierte, aber nicht in der Gegenwart anderer – nur wenn Hilarud alleine war, und das war nach allem, was sie in Perricum über die siebtsphärischen Entitäten wussten, ein höchst untypisches Verhalten für Dämonen. Und sie wussten mehr als an jeder anderen Akademie im Mittelreich, die Academia Arcomagica in Punin vielleicht sogar eingeschlossen. Wahrscheinlicher war, so Olorands nüchterne und traurige Dia­gnose, dass die jahrzehntelange Arbeit mit jenen, deren Verstand durch Magie, Geister und Dämonen gelitten hatte, an den Nerven der Spektabilität Spuren hinterlassen hatte. Auch Antimagier und Seelenheiler waren schließlich nicht gefeit vor Verfolgungswahn und Einbildungen. Wer zu oft die Fratze der Niederhöllen erblickt hat, der erkennt sie selbst dort, wo andere nur Selbstsucht oder Verwirrung oder Wahn sehen. Der Gardist hatte ausgesagt, dass seine Spektabilität der einzige gewesen war, der den geschlos­senen Trakt des Sanatoriums vergangene Nacht betreten hatte. Olorand kannte den Wächter; er war schon zwei Jahrzehnte in der Akademie und außerdem hatte ein Respondami ergeben, dass er zweifelsfrei die Wahrheit sprach.

    Olorand blickte auf die Gestalt am Boden und biss in seine in­zwischen zur Faust gekrümmten Finger. Sorgen hatte er sich schon gemacht, aber dass es so weit kommen würde, hätte er sich nicht vorstellen können. Bei Hesinde und Boron, niemals hätte er vermutet, dass Hilaruds Geist so zerrüttet sein könnte, dass er zu so etwas fähig wäre! Und nun musste er sich die Frage stellen, wie viel Verantwortung er selbst für die grausige Szenerie trug, die sich ihm bot, während der Akademiegardist draußen vor der Zelle sich von dem Anblick abwandte.

    Der vielleicht zehnjährige Junge in der Zwangsjacke lag auf dem Boden, die Gliedmaßen seltsam verrenkt und mit blauen Flecken übersät. Seine Augen waren in den Schädel gedrückt worden.

    »Magister Olorand!« Der Angesprochene wurde erst jetzt gewahr, dass er in seine Faust gebissen hatte, nahm die von Bissspuren gezeichnete Hand aus dem Mund und drehte sich um. Eine zweite Gardistin trat in die Zelle. Sie vermied es, den Jungen anzusehen. Ihr Gesicht war rot vor Aufregung. »Seine Spektabilität. Er … hat sich vom Dach des Schulturms gestürzt und … er liegt unten in den Klippen, aber sein Rücken … Ich glaube er ist …«

    Olorand atmete tief ein und aus. »Möge Golgari seine Seele sicher über das Nirgendmeer tragen«, murmelte er den traditionellen Segen Borons. Er war sich nicht sicher, ob er das ob dieser tragischen Nachricht denken durfte, aber wenigstens hatte Hilarud ihm einen unangenehmen Gildenprozess erspart. Schnellen Schrittes verließ er das Sanatorium.

    Dass der sonst von der hohen Bannstaubdosis so trübe Blick der älteren Patientin in der Zelle gegenüber, die durch das kleine Fenster in der Tür auf den Korridor hinaussah, in diesem Moment seltsam klar war, entging ihm ebenso wie ihr maliziöses Lächeln.

    Mirham, 1034 BF, 4. Efferd

    Anselmo fluchte. Boronstag, sein einziger freier Tag der Woche, und Spektabilität Savertin hatte ihn freundlich ersucht – das hieß: abkommandiert –, an Magister Silberbraues Sterbebett zu wachen, und das auch noch mitten in der Prüfungsphase. Der Magister hätte speziell nach ihm verlangt, hatte Savertin gesagt. Ausgerechnet Silber­braue … ›Den Alten‹ nannten die Scholaren ihn nur. Er war gewiss über 80 Jahre alt und sah aus, als hätte er die letzten zehn davon Duglumspest oder Zorganpocken gehabt, schlimmer noch: er roch auch so. Angeblich war er ein Genie, eine Koryphäe der Meta­magie, mit Ehrentiteln und Auszeichnungen wie dem Schwarzen Auge von Khunchom auf dem Gildensiegel in seiner linken Handfläche und dem Pentagramm in Endurium. Anselmo hatte von dieser Brillanz jedoch wenig mitbekommen. Für ihn war Silberbraue nur ein tattriger Greis, der unverständliche Vorlesungen über Magietheorie hielt – oder vielmehr gehalten hatte. Angeblich hatte ihn die Blaue Keuche erwischt, er sei schwer erkrankt und könne kaum aufstehen, hieß es in der Gerüchteküche, und langsam ginge es mit ihm wohl zu Ende. Seine Vorlesung wurde jetzt von Magistra K’Hestofer gehalten und war zumindest etwas verständlicher.

    Unwirsch schritt Anselmo über den Hof zum Mentorenturm. Seine Robe flatterte im Wind. Auch in der Regenzeit im Efferd war es in Mirham alles andere als kalt, aber gerade wehten von Osten her heftige Regenböen. Er unterdrückte einen weiteren Fluch. Silberbraues Kammer war natürlich im fünften Obergeschoss, direkt unter der Turmkrone, und die innere Treppe war den ausgebildeten Magiern vorbehalten. An der Außentreppe gab es kein Geländer. Die Akademie der Vier Türme hielt ebenso viel von Statusunterschieden wie von der Philosophie der Eigenverantwortung und der natürlichen Auslese: Wer so unachtsam (oder berauscht) war, dass er die Treppe herunterfiel, der war den Herausforderungen eines Magierlebens ohnehin nicht gewachsen. Verdammt! Fast wäre er auf den nassen Steinen ausgerutscht. Pah, nächstes Jahr hatte er seine Examinatio, dann wäre er endlich Adept und ein fertig ausgebildeter Gildenmagier. Dann würde auch er Stab und Siegel tragen. Er würde sich einen Magiernamen zulegen. Refardeon klang gut oder Ascandeor. Vielleicht würde er später einem Granden aus Al’Anfa als Leibmagier dienen, vielleicht war auch ein Posten als Assistent oder Aushilfslehrer an seiner Akademie drin, wenn seine Noten gut genug waren. Dann würde er auch ganz oben im Mentorenturm sitzen, die innere Treppe benutzen und Diener und Schülerinnen bei Wind und Wetter die geländerlose Außentreppe hinauf- und hinunterjagen. Na ja, wer nicht allzu viel Ilmenblatt geraucht oder Boronwein getrunken und alle Sinne beisammen hatte, der schaffte es auch unfallfrei bis oben und solch berauschenden Luxus konnte sich Anselmo – im Gegensatz zu manch anderen Studiosi in Mirham – ohnehin nicht leisten. Sein Vater war Schreiner gewesen, aber schon vor Jahren bei einem Unfall zu Boron gegangen. Er war bei seiner ersten lukrativen Anstellung am Mirhamer Königshof vom Baugerüst gefallen, hatte ihm seine Mutter erzählt, die ihn und seine drei Geschwister seitdem mit ihrer Anstellung als Dienstmagd allein durchzubringen versuchte. Nur durch einen glücklichen Zufall hatte Magister de Porcupino von der Akademie damals seine Begabung entdeckt und ihn in den Vier Türmen aufgenommen. Er erinnerte sich noch: Er war acht oder neun gewesen und auf dem Weg zum Königspark, weil sein Freund Etilio ihm erzählt hatte, dass man dort Arangen von den Bäumen pflücken konnte (Anselmo mochte Arangen sehr), als ihn eine Horde von Jungen und Mädchen aus dem wohlhabenden Viertel fragte, was so ein Dreckspatz wie er in ihrer sauberen Straße verloren hätte. Anselmo hatte vor Angst kein Wort herausgebracht und nach einigen weiteren Beschimpfungen fingen sie an, mit Steinen nach ihm zu werfen. Sein Herz hatte wie verrückt geschlagen, aber irgendwie waren die Steine an ihm abgeprallt, bis er sich schließlich umgedreht hatte und gerannt war – direkt in die Arme eines prächtig gekleideten Herren mit Stab und spitzem Hut, der die Steinewerfer mit wenigen Worten verscheucht und ihn prüfend gemustert hatte … Magister de Porcupino hatte ihm beruhigend die Hand auf den Kopf gelegt und erklärt, er wolle gerne mit seiner Mutter sprechen. Diese war überglücklich gewesen, als Anselmo auf die Empfehlung der früheren Spektabilität in die Akademie eingeladen worden war und tatsächlich ein Stipendium erhielt – was aber nicht mehr hieß, als dass er Kost und Logis bekam und sein Schulgeld – unvorstellbare 70 Dublonen pro Jahr! – irgendwann später würde abarbeiten oder zurückzahlen müssen. Doch immerhin hatte seine Mutter ein Maul weniger zu stopfen, er war aufgenommen worden und wenn er die Prüfungen bestand, würde er in einem Jahr ein angesehener Gildenmagier sein. Er dürfte sich ›Adeptus‹ nennen und müsste mit ›Gelehrter Herr‹ angesprochen werden – und vor allem würde er gutes Geld heimbringen, wie seine Mutter selten vergaß zu erwähnen.

    Auf einer Seite durchnässt kam er oben an. Trotz der Aussicht, ins Trockene zu gelangen, zögerte Anselmo. Was in Borons Namen könnte der Alte nur von ihm wollen? Außer in der Vorlesung hatte er nach dem Novizium nur einmal Unterricht bei ihm gehabt, in der Transformatorica-Prüfung, in der er beinahe gescheitert wäre. Sie hatten ihn mitten in der Nacht aus dem Schlafsaal geholt, um spontan seine Zauberfähigkeiten in einer Stresssituation zu überprüfen. Eine solche probabor iussu magistro war üblich in Mirham, und diese Prüfungen waren berüchtigt. Seinem Kameraden Ron­drigo hatte Spektabilität Savertin mitgeteilt, dass eine seiner Mahl­zeiten in den nächsten drei Tagen vergiftet sein würde, um seine Fähigkeiten im Abvenenum zu testen. Im Unterschied zu Anselmo beherrschte Rondrigo die Formel schon recht zuverlässig, doch am dritten Tag waren seine astralen Kräfte erschöpft gewesen. Ron­drigo hatte behauptet, keinen Hunger zu haben, doch Savertin ließ das nicht durchgehen – die Schüler sollten lernen, die Verbotenen Pforten zu öffnen und zur Not mit ihrer Lebenskraft zu zaubern. Doch das hatte Rondrigo noch nicht fertig gebracht und so wurde er nach der gegrillten Muräne an Pfeffersoße von Krämpfen geschüttelt und erbrach sich den Rest des Tages und die halbe Nacht lang.

    Anselmos Prüfung war noch schlimmer gewesen. Silberbraue und sein Gehilfe hatten ihn in ein Kellergewölbe geführt und in eine stockfinstere, vergitterte Zelle gesperrt – zusammen mit der Nachtkatze! Bei dieser handelte es sich nicht etwa um ein Haustier, sondern um das Resultat eines chimärologischen Experiments, das sie kürzlich im Seminar hatten kennenlernen dürfen. Das Wesen war zwar etwas kleiner als eine gewöhnliche Katze, trug aber einen geschuppten Schwanz mit Stachel – glücklicherweise nur mit einem sehr schwachen Skorpiongift –, war hochgradig aggressiv und lichtscheu. Silberbraue hatte die Zelle verschlossen, den Schlüssel an die gegenüberliegende Wand gehängt und mit dem Drehstift der Öllampe die Größe der Flamme heruntergeregelt, sodass ihr Licht kaum noch bis in die Zelle reichte.

    »Studiosus Anselmo, Ihr werdet geprüft auf den Lichtzauber«, hatte er bloß verkündet.

    Anselmo war in Schweiß ausgebrochen. Er musste sich auf Geste, Formel und astrale Muster des Zaubers konzentrieren. Hatte sich da ein Schatten bewegt? Die Formel des Flim Flam war die erste, die sie im Noviziat erlernt hatten, eigentlich sollte das ein Kinderspiel sein! Aber so … Hinter ihm erklang Fauchen, er erahnte eine Bewegung. Schnell drängte er sich an die Gittertür, wo die Öllampe den Keller noch ein wenig erhellte. Die astralen Muster formten sich vor seinem geistigen Auge. Jetzt, schnell, das Fingerschnippen und dann die Formel! Aber seine schweißnassen Finger bekamen kein Schnipsen zustande. Das Fauchen kam näher. Oh, bitte! He­sinde hilf! Er versuchte es nochmal und noch einmal, doch er konnte seinen Fingern kein Geräusch entlocken und auch die astralen Fäden nicht so verknüpfen, wie er sollte. Da! Jetzt sah er sie im Halbdunkel. Die Nachtkatze hatte den Stachel bis nach vorne über den Kopf gereckt und die Zähne gebleckt. Sie kauerte sich zusammen und setzte zum Sprung an. Verzweifelt streckte Anselmo die Hand durch das schmale Gitter, konzentrierte sich auf die Muster des Motoricus und sprach die Formel. Mittels der Telekinese bewegte er den Drehstift der Öllampe und die Flamme wuchs wieder empor und erhellte die Zelle. Erschrocken zog sich die Nachtkatze unter eine Bank zurück. Anselmo atmete tief durch. Silberbraue kratzte sich am Kinn, als er den Schlüssel von der Wand fischte.

    »Klägliches Versagen, aber kreative Lösung, Studiosus Anselmo. Das kann ich als bestanden werten!«

    Sollte er ihn damit beeindruckt haben? Eher unwahrscheinlich.

    Wie auch immer – das hier musste die richtige Tür sein. Er klopfte und eine weibliche Stimme bat ihn herein. Noch bevor er sie sah, wusste er, dass Silberbraues Assistentin bei ihm war. Zino Asmodea Umbarion war ihr Name, doch unter den eifersüchtigen Studiosae munkelte man, dass sie vor ihrer Examinatio einen weniger klangvollen Namen gehabt hatte, vermutlich ›Trudlinde Bauerntrampel‹ oder dergleichen. Tatsächlich sah sie aus wie von Rahja geküsst, mit ihren langen goldblonden Locken, den vollen Lippen, den strahlend blauen Augen und den endlosen Beinen. Diejenigen Scholaren, die nicht in sie verliebt waren, hielten sie für eine gefühlskalte Schlange, die sich bei den Lehrern einzuschleimen wusste und sich so allerlei Vorzüge sicherte.

    Die Studierstube von Magister Silberbraue war eher karg. Keine Fasarer Teppiche auf den Holzdielen, keine Al’Anfaner Seidenvorhänge vor den Fensterläden, an der Wand nur ein Regal voller staubiger Folianten und ein beeindruckend unordentlicher Schreibtisch mit aufgeschlagenen Büchern, Pergamentstapeln, einem Kolben, einem Tintenfass, einer Pfeife, einer Reihe von Tiegeln und kleinen Krügen, einer halbleeren Phiole – wahrscheinlich Boronwein oder Kairanelixier, vermutete Anselmo –, einem blassroten kindskopfgroßen Kristall und einem etwas deplatziert wirkenden getrockneten Blumenstrauß. Am Tisch lehnte ein schmuckloser Zauberstab aus Steineiche mit einer Kristallkugel am Ende. Daneben stand ein Schreibpult, darauf ein Oktavband und eine Feder. Der schwere Geruch von Räucherstäbchen lag in der Luft und Magistra Asmodea wedelte mit ihren schlanken Händen die zarten Schwaden durch den Raum, um den anderen, schwefelartigen Geruch zu überdecken, der vom Bett ausging. Dort lag er, den kahlen, schorfigen Schädel nicht wie sonst unter einer Kapuze verborgen, die dünnen Arme mit den knochigen langen Fingern und den schwarzen, fast schon klauenartigen Nägeln aus den Ärmeln des hochgeschlossenen Nachthemds herausragend, die tief in den Höhlen liegenden, grünen Augen halb geschlossen. Um den Hals, unter dem zotteligen Bart, hing an einem Lederband ein Medaillon in Form eines kleinen silbernen Buches. Er sah noch bleicher aus als früher, an Handrücken und Unterarm hatte er offenbar nässende Wunden, die sich durch die Verbände abzeichneten.

    So sieht das also aus, wenn man Golgaris Schwingen hört, dachte Anselmo. Ein guter Grund, sich damit noch Zeit zu lassen.

    »Meister!« Die sanfte Stimme der schönen Magistra durchdrang den Raum. »Studiosus Anselmo ist hier.«

    Ein heiseres Krächzen antwortete. »Ja, ich weiß. Bin ja schließlich nicht taub!« Des Magisters Stimme war leise, aber sie klang, als wäre seine Kehle mit Reibeisen bearbeitet worden.

    Asmodea Umbarion verdrehte die Augen. Dann sagte sie spitz: »Mich benötigt Ihr dann ja nicht mehr. Ich wollte ohnehin beim Custos fragen, ob mein Buch angekommen ist und überlasse Euch dann Eurem neuen Gehilfen.« Beim Hinausgehen streifte sie ihn mit einem vielsagenden Blick. War es Geringschätzung, Mitleid oder Neugier, die darin lag? Anselmo vermochte es nicht zu sagen.

    »Du fragst dich bestimmt, was der Alte von dir will, richtig?«, schnarrte die Reibeisenstimme.

    Anselmo zuckte unmerklich. »Nein, hochgelehrter Magister. Das heißt …«

    Was war unhöflicher: zu neugierig oder desinteressiert zu erscheinen?

    »… ähm, Ihr werdet es mir schon mitteilen, wenn es von Belang ist, nehme ich an.«

    »Ich werde es dir sagen: Geh zum Pult, nimm die Feder und fang an zu schreiben.«

    Anselmo tat wie ihm geheißen.

    »Die erste Seite lässt du frei. Und dann schreibst du: ›Dies sind die Memoiren von Karjunon Silberbraue, Dracomagus, Geheimer Magister von Ash’Grabaal und Magister magnus theoreticus der Akademie der Vier Türme zu Mirham‹!«

    Anselmo stutzte, begann dann aber zu schreiben. Zunächst fühlte er sich ein wenig geschmeichelt, doch dann dachte er an seinen freien Tag und fragte sich: Wieso eigentlich er? Warum ließ der Alte nicht seinen Lieblingsschüler Avestophanes für diese ehrenvolle Aufgabe rufen, wenn es denn endgültig mit ihm zu Ende ging und jemand seine Geschichte aufschreiben sollte? Der war fast der Einzige, der seinen Vorlesungen zu Arkanologie und Magodynamik nicht nur folgen konnte, sondern sogar noch kluge Fragen stellte. Sollte der sich doch mit den Lebenserinnerungen seines Meisters herumschlagen.

    Die Reibeisenstimme ertönte wieder: »Hast du das, Junge?«

    Na ja, sei’s drum.

    »Geboren wurde ich im Jahre 946 nach Bosparans Fall – im ­Jahre 13 Perval, sagte man damals noch – als Kastan Joost ter Kierkegard in Festum. Meine Eltern waren wohlhabende Gewürzhändler, die bereits, als ich noch ein Kind war, auf meine magische Begabung aufmerksam wurden. Um sicherzugehen, dass trotz ›Madas Fluch‹ – ja, so sahen sie diese Begabung – mein Weg ein göttergefälliger sein würde, schickten sie mich, als ich neun war, mit meinem Onkel nach Kuslik, in die Halle der Metamorphosen, die der Hesindekirche nahesteht. Ist dir ja sicher ein Begriff. Wenn du in Geschichte aufgepasst hättest, wüsstest du, dass sie früher Accademia Magica Mutanda Forumque Metamorphoses Cusliciensis hieß.«

    Anselmo hielt kurz inne: Es stimmte zwar, aber woher wollte der Alte wissen, dass er nicht aufgepasst hatte?

    »Doch, schreib das ruhig auch auf. Im Bornland gab es nur graumagische Akademien und mein frommer Vater bestand darauf, dass ich an einer Schule der Weißen Gilde die arkane Kunst erlernen würde und schickte mich deshalb auf die andere Seite des Kontinents. Jedenfalls war ich stets ein gelehriger Schüler und bestand meine Abschlussprüfungen fast alle mit ›Excelsior‹, sodass ich als Jahrgangsbester von Spektabilität Nanduria Schlangenstab das Rohalsmal erhielt.«

    Anselmo lächelte gezwungen. Er würde mit Sicherheit niemals als Jahrgangsbester seinen Abschluss machen. Er konnte froh sein, wenn er die Prüfungen überhaupt bestand.

    Kuslik, 965 BF

    »… verleihe ich hiermit Kastan Joost ter Kierkegard das Rohalsmal, auf dass er – Hesinde zur Ehr’ – sein Wissen und das unserer Halle noch weiter mehren möge.« Die grauhaarige Akademieleiterin nickte ihm zu und bedeutete ihm, die Hand zu heben. Kastan hielt also die Handfläche mit seinem Gildensiegel, auf dem neben der Schlange der Halle der Metamorphosen jetzt auch das Einhorn zu sehen war, in die Höhe. Höflicher Applaus füllte die Konventshalle. Es war der 7. Hesinde, der Tag von Rohals Verhüllung, an dem die neuen Adepten nach bestandener Examinatio in die Reihen der Gildenmagier aufgenommen wurden.

    Ja, jetzt klatschten sie, wenn auch mit wenig Begeisterung. Kastan musterte seine Mitschüler mit verkniffener Miene und erinnerte sich daran, wie er vor neun Jahren eingeschüchtert und ehrfürchtig durch das Schlangenportal schritt und das erste Mal die Akademie betrat und kurz darauf von der Lehrerin in die Klasse geführt und vorgestellt wurde. Kaum hatte er »Donk och, Frou Mehjister« gesagt und sich mit einem »De Zwelfe zom Jruße« an seine Klassenkameraden gewandt, prusteten sie los vor

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