Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

DSA 86: Todgeweiht: Das Schwarze Auge Roman Nr. 86
DSA 86: Todgeweiht: Das Schwarze Auge Roman Nr. 86
DSA 86: Todgeweiht: Das Schwarze Auge Roman Nr. 86
eBook336 Seiten4 Stunden

DSA 86: Todgeweiht: Das Schwarze Auge Roman Nr. 86

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In dem abgelegenen Boronkloster im Finsterkamm hält der Tod blutige Ernte: Eine mysteriöse Mordserie hält die Bewohner in Atem und vor den Toren lauern die Orks, begierig, das Kloster beim geringsten Anzeichen von Schwäche zu erstürmen.
Welches Geheimnis umgibt Bewohner und Insassen des Noionitenklosters? Welche Schrecken der Vergangenheit bergen die alten Mauern? Können der junge Krieger Quin und seine Begleiter die Rätsel um die Anlage lösen, oder sind sie selbst schon ... todgeweiht?
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum26. Nov. 2014
ISBN9783957524393
DSA 86: Todgeweiht: Das Schwarze Auge Roman Nr. 86

Mehr von Markus Tillmanns lesen

Ähnlich wie DSA 86

Titel in dieser Serie (100)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Rollenspiele am Tisch für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für DSA 86

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    DSA 86 - Markus Tillmanns

    Markus Tillmanns (geb. 25.9.1975) studierte Neuere deutsche Philologie, Germanistische Sprachwissenschaft und Philosophie in Düsseldorf.

    Mit der Kurzgeschichte Die Queste der Donna Consuela gewann er 2002 den von Amazon.de und dem Heyne-Verlag ausgeschriebenen Kurzgeschichtenwettbewerb. Im gleichen Jahr erschien außerdem sein erster Roman Das Daimonicum bei Heyne.

    Markus Tillmanns

    Todgeweiht

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band 86

    Redaktion und Lektorat: Catherine Beck

    Kartenentwurf: Ralf Hlawatsch

    E-Book-Gestaltung: Nadine Hoffmann

    Copyright © 2014 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

    Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Print-ISBN 3-89064-523-3

    E-Book-ISBN 9783957524393

    Gewidmet dem mächtigen Fenndrakon von Havena

    Prolog

    Es war einer jener seltsamen Momente, in denen man aus dem Schlaf schreckt, in der sicheren Erkenntnis, dass etwas Furchtbares bevorsteht. Er wusste, dass sie kamen. Dass sie kamen, um ihn zu holen.

    Angst war seinen Rücken hinaufgekrochen, kaum dass er aus dem Schlaf aufgefahren war. Er lief gleich zum Fenster und spähte nach draußen in die Dunkelheit: Zweifellos, sie kamen!

    Nun stand er dort und zitterte am ganzen Leib. Während seine Augen nur geisterhafte Bewegungen im Dunkel ausmachen konnten, malte ihm seine Phantasie die entsetzlichsten Dinge aus: Was ihm bevorstand. Was sie mit ihm anstellen würden. Wie er ihnen hilflos ausgeliefert wäre. Ohnmächtig hatte er die Arme um den Leib geschlungen, in einer kindlichen Geste des Schutzes und der Hilflosigkeit zugleich. Warum ließ man ihn nicht einfach in Ruhe? Warum waren sie dort draußen?

    Seine Gedanken wechselten in rascher Folge, doch ohne Ordnung. Angst trieb ihre Sporen tief in die Flanken seines Gemüts und die Folge war ein immer schnellerer Galopp, in dem sein Verstand voranraste, ohne Sinn und Richtung. Gewalt, sie würden ihm Gewalt antun. Warum? Gefahr, Gefahr war dort draußen! Sich verstecken, ja das wäre sinnvoll! Nein, zwecklos! Zu viele, hoffnungslos. Verstecken, aber wo? Es half nichts, er würde die Furcht mit sich nehmen.

    Ganz allmählich erst dämmerten wieder geordnete Gedanken sein Bewusstsein hinauf. Er gewahrte, dass er noch immer vor dem Fenster stand. Das war ein Fehler, denn hier oben war er weithin sichtbar und gab insofern ein gutes Ziel ab. Er trat zwei, drei unsichere Schritte zurück. Wie viel Zeit ihm wohl noch blieb, bis sie hier waren? Wenige Minuten waren das Äußerste, worauf er hoffen durfte. Also musste er handeln. Rasch handeln.

    Endlich gelang es ihm vollends, die lähmende Lethargie abzuwerfen. Er sah sich gehetzt im Raum um. Nirgends war ein geeignetes Versteck zu sehen. Flucht, das wäre die beste Alternative! Doch halt! Das Haus hatte nur eine einzige Tür und wenn er dort hinausging, würde er ihnen direkt in die Arme laufen. Nein, zum Flüchten war es zu spät. Die Erkenntnis versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. Also wäre sein Schicksal besiegelt.

    Etwas in ihm sträubte sich gegen diese Hoffnungslosigkeit, begehrte auf in einem widerspenstigem Trotz, der zu allem bereit war.

    Plötzlich sprang er auf die Luke zu und riss sie auf. Er warf sich eher hinunter, als dass er die Leiter benutzte. Unten raste er zur Eingangstür. Sie war bereits verriegelt. Das würde sie nicht lange aufhalten! Er stürmte in das benachbarte Zimmer. Die Läden waren geschlossen. Er zerrte das Bett beiseite. Der Schrank, ja!

    Mit der Kraft der Verzweiflung schob er den schweren Eichenholzschrank knirschend vor das geschlossene Fenster. Sollten sie sich die Zähne daran ausbeißen! Gegenüber, das andere Fenster!

    Er rannte durch die Diele in das gegenüberliegende Zimmer. Wieder ein Fenster, ein Bett, ein Schrank. Mit einer verzweifelten Verbissenheit wuchtete er das Bett beiseite. Dann presste er den Leib gegen das kühle Holz des Schrankes und schob auch diesen unter heftigem Schnaufen vor das Fenster. Gut, auch das würde sie eine Weile aufhalten ...

    Er lief zurück auf den Flur. Die Tür, die Tür war nicht stabil genug. Gehetzt blickte er um sich. Das Bett – das wäre eine Lösung. Er sprang zurück in die Kammer und griff nach der Bettkante. In einer schier übermenschlichen Kraftanstrengung warf er das schwere Möbelstück auf die Seite. Er zerrte daran. Rumpelnd setzte sich das Holz in Bewegung. Ja, so passte es durch den Türrahmen. Jetzt durch die Diele damit. Er keuchte.

    Plötzliches Krachen ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Die Eingangstür erzitterte. Sie waren da! Noch hielt das Holz.

    Mit einem halb aus Wut und Widerwillen geborenen Stöhnen schob er das knirschende Bett vollends vor die Eingangstür. So. Er hatte Zeit gewonnen, ein wenig Zeit. Erneut krachte die Tür laut unter dem Ansturm äußerer Gewalt.

    Sein Herz klopfte bis zum Hals. Der Schweiß war ihm ausgebrochen und hielt ihn fest in seiner klammen Klaue. Sein Blick irrte flehend zwischen den beiden angrenzenden Räumen hin und her. Was konnte er nun noch tun? Er wusste keine Antwort. Grausam unschlüssige Augenblicke verstrichen ungenutzt.

    Ein drittes, lauteres Krachen. Sein Herz raste wie wild. Er musste etwas unternehmen. Endlich warf er die Starre ab und hastete wieder über die Leiter nach oben. Die Luke! Er ließ die Luke unter sich polternd zufallen, dann warf er sich über die Kommode und riss diese mit unglaublicher Gewalt in die Höhe. Er taumelte unter der Last unsicher voran und ließ das enorme Gewicht schließlich unter ohrenbetäubendem Lärm auf die Luke stürzen. Ja, auch das würde sie ihm einige Augenblicke vom Leibe halten! Sein aufkommendes Triumphgefühl löste sich schlagartig in Entsetzen auf, als von unten das Geräusch splitternden Holzes heraufdrang. Trampelnde Schritte. Sie waren im Haus! Sie waren hier!

    Seine Hand fuhr in einer Geste hilfloser Verzweiflung zum Mund und er biss hinein. Der Schmerz schien ihm unwirklich und fern. Nur die Schritte, sie kamen nah und immer näher!

    Erst der Geschmack seines Blutes brachte ihn zur Besinnung. Der Ausdruck tiefen Entsetzens wich ganz langsam aus seinem Gesicht, machte einer kalten Entschlossenheit Platz: Seine Miene war nun ganz unbewegt, nur seine Augen loderten heiß hervor.

    Was hatte er sich vor ihnen geängstigt? Nein, sie sollten ihn fürchten, fürchten sollten sie ihn. Er hob seinen Dolch auf, der von der Kommode auf den Boden herabgefallen war. Nur noch zwei Dinge gab es jetzt für ihn zu tun. Sie würden sehen, was sie davon hatten, ihn hier nächtens zu überfallen! Er schnitt in seiner kalten Wut mit der Waffe tief in das Fleisch seines Arms. Ein Keuchen entfuhr ihm. Blut spritzte hervor.

    Schritte auf der Leiter. Sie kamen hinauf.

    Er rutschte auf den Knien bis vor die Wand und brachte dort die Zeichen an. Zeichen von seinem eigenen Blut.

    Erneutes Krachen. Die Luke erzitterte.

    Er erhob sich wieder und starrte auf die Kommode. Sie sprang einen Fingerbreit in die Höhe und fiel dann polternd zurück. Sie mussten unten eine Art Ramme benutzen.

    Sollten sie nur kommen, dachte er grimmig. Sollten sie nur kommen, sie würden schon sehen, was sie davon hatten. Er stand kurz davor, die verbotenen Pforten zu öffnen. Seine rechte Hand krallte sich tief in die Wunde am linken Arm. Er stöhnte. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Er rief sich die unheilige Zaubermatrix ins Gedächtnis, die er vor langer Zeit erlernt hatte. Er würde ihnen einen Empfang bereiten wie im Vorhof der Niederhöllen!

    Ein Krachen und Knirschen.

    Seine Lippen murmelten unheilige Worte, er hatte das Tor aufgestoßen. Er spürte, wie der Sog ihn erfasste. Wie sein eigenes Leben den Zauber speiste, wie die verdammungswürdige Gier nach Blut ihm den Lebenssaft aus den Adern riss.

    Ein gewaltiges Krachen, das sich in Splittern auflöste.

    Sie waren da!

    Dann sprach er Worte der Macht.

    Finsterkamm

    »Zwei Mächte begrenzen unser Dasein und es sind dies die Mächte von Geburt und Tod, Tsa und Boron. Doch wisset, nicht bloße Gegensätze sind diese, sondern Gegensätze in Abhängigkeit, denn noch immer ist Geburt Voraussetzung von Tod. Wo also Tsa wirkt, da wird unaufhaltsam auch Boron wirken ...«

    Aus der Predigt eines Lowanger Boron-Geweihten, 7 Hal

    So ein Lagerfeuer ist eine feine Sache. Es strahlt behagliche Wärme aus, wenn die Schatten länger werden, und ist ein Licht in der Dunkelheit, wenn die Nacht hereinbricht. Es lädt die Reisenden wortlos ein, sich um die flackernden Scheite zu versammeln und ist damit eine willkommene Stütze der Geselligkeit. Und selbst wenn die Gespräche um das Feuer herum einmal verstummen, bieten das Spiel der Flammen, das knackende Nachsacken des Brennholzes und das gelegentliche Hochstieben der Funken einen Anblick, der auf ganz eigene Art zu unterhalten weiß.

    Ja, man könnte fast sagen, dass den Flammen eine hypnotische Kraft innewohnt, welche die Aufmerksamkeit der Umsitzenden stetig auf sich lenkt und auch zurückhaltende Gemüter in ihren Bann zieht. Für eher pragmatisch denkende Reisende ist das Feuer eine gern gesehene Möglichkeit, auch fern jeder Gaststube eine wunderbar warme Mahlzeit zu erhalten, und wer einmal den Duft von über offenem Feuer Gebratenem gerochen hat, der weiß, wovon hier die Rede ist.

    Natürlich ist es auch ungemein nützlich etwa in der Abwehr wilder Tiere oder aber als Signal für andere Wanderer: Seht her, hier gibt es unverhoffte Gesellschaft inmitten der Einöde! Auch ist schon mancher durch den weithin sichtbaren Schein eines Feuers vor dem Erfrieren bewahrt worden. Ja, so ein Lagerfeuer ist eine rundum sinnvolle Angelegenheit.

    Umso sträflicher und unvernünftiger mutet es an, wenn jemand es ohne Not verlöschen lässt.

    Als Angrond an diesem Morgen die schweren Lider hob, vermisste er sogleich etwas, ohne recht einschätzen zu können, was es war. Sein noch von Müdigkeit umfangener Verstand begann sich erst ganz langsam in Bewegung zu setzen. Da war der Frühnebel, der in den Hängen des Gebirges nichts Ungewöhnliches war und sie schon seit einigen Tagen begleitete. Da war das Heulen des Windes, der seinen Weg um Bergkuppen herum und durch tiefe Schluchten suchte. Auch das kannte er zur Genüge. Ein rascher Seitenblick verriet ihm, dass auch seine beiden Reisegefährten noch um das Feuer herumlagen, wo sie gestern Abend ihr Lager aufge...

    Das Feuer! Angrond richtete den Oberkörper mit einem Ruck auf. Das war es!

    Das vertraute Knistern war an diesem Morgen nicht unter jenen Eindrücken gewesen, mit denen der neue Tag ihn begrüßte. Sein Gesicht nahm einen säuerliche Ausdruck an. Mit der rechten Hand, die wie alles an ihm groß und massig war, strich er sich unwirsch den Morgentau aus dem prächtigen Schnauzbart, der sein Gesicht zierte. Er würde den Jungen zur Rechenschaft ziehen müssen. Müdigkeit hin, Müdigkeit her, man schlief bei der Wache nicht einfach so ein, dafür gab es keine Entschuldigung. Was war das für ein Pflichtgefühl, das der Knabe da mitbrachte? Ihm, Angrond, hatte man seinerzeit auf der Akademie das Pflichtgefühl mit dem Rohrstock eingebläut. Das war eine schmerzhafte, aber auch eine lehrreiche Lektion gewesen. Da wären solche Nachlässigkeiten nicht geschehen. Und dann noch mitten in der Wildnis. Phex, der Glücksgott, musste seine schützende Hand über sie gehalten haben, dass ihnen in dieser Nacht nichts Schlimmes widerfahren war. Wenn der Junge es hier nicht lernte, würde er vielleicht keine Gelegenheit mehr erhalten, es überhaupt zu lernen.

    Mit brachialer Urgewalt schoss plötzlich ein Nieser aus seiner fleischigen Nase und verteilte einen feinen Sprühregen aus schillernden Tröpfchen auf seinem Bart. Er registrierte am Rande, dass sich seine beiden Reisegefährten unruhig räkelten. Der abrupte Lärm war wohl zu laut, um sie unbehelligt zu lassen, aber noch nicht laut genug gewesen, um sie aufzuwecken.

    Angrond zog vernehmlich die Nase hoch, um alles, was der Nieser noch darin belassen hatte, in die richtigen Bahnen zu lenken. Das fehlte noch, dass er sich hier verkühlt hatte, weil der Bursche das Lagerfeuer ... Jetzt war es aber an der Zeit, dem Buben den Marsch zu blasen. Wenn sie schon heutzutage auf den Kriegerschulen nichts Rechtes mehr lernten, dann musste die Ausbildung eben auf offenem Feld fortgesetzt werden!

    »Quin«, brüllte er unvermittelt und registrierte nicht ohne Befriedigung, dass der solcherart unsanft Geweckte gleich senkrecht aus dem Schlafe fuhr und nach dem Schwertknauf griff.

    Angrond wälzte den voluminösen Leib herum und trat mit einem großen behaarten Fuß auf die Breitseite des Schwertes. »Und was jetzt, Junge?«, fragte der Ältere triumphierend. »Wenn ich ein Wolf wäre, hättest du längst ein Loch in den Leib gefressen bekommen.«

    Der angesprochene junge Mann erbleichte ob des morgendlichen Schreckens. Er wirkte wie ein Nebelgespenst mit dem ohnehin stets fahlen Gesicht inmitten der blassblonden Haare, die strähnig und von der Nacht zerwühlt herabfielen. Der wässrige Blick der blauen Augen musterte sein Gegenüber ängstlich.

    »Wenn Ihr ein Wolf wärt«, kam eine schlaftrunkene Stimme vom dritten der drei Nachtlager zurück, »dann hättet Ihr genug Verstand besessen, in dieser götterverlassenen Gegend nicht so einen Lärm zu machen.«

    Angrond beachtete die Bemerkung nicht. Es hatte in den letzten Wochen, seitdem der seltsame Gefährte sie begleitete, einige Male seinen Langmut herausgefordert, nicht erbost aufzufahren. Aber er wäre nicht Angrond Oberwasser gewesen, wenn er sich so leicht aus der Reserve hätte locken lassen. Es war eine nicht ungefährliche Reise abseits der großen Handelswege, die sie noch vor sich hatten. Ein dritter Waffenarm konnte der Sicherheit der Gruppe nur dienlich sein. Sollte der dritte Mund ruhig reden, was er wollte.

    »Nachtwache ist Nachtwache«, blaffte der alte Krieger den Jüngeren an, »hat man dir das nicht beigebracht in deiner Schule?«

    Quin schluckte. »Doch, Herr, natürlich, Herr. Ich will auch sehen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.« Die letzten Worte unterstrich er mit einem eifrigen Nicken, das ihm das ungebändigte Haar ins Gesicht fallen ließ.

    »Streich dir die Haare von den Augen, Junge! Mach dich nicht ohne Not noch blinder!«, herrschte der Ältere ihn augenblicklich an.

    Er hätte wohl noch mehr unschöne Dinge gesagt, wenn ihn in diesem Moment nicht ein Ereignis abgelenkt hätte, das er bei aller Felderfahrung noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Auch Quin schlug die gleiche Beobachtung in ihren Bann, sodass die beiden die Köpfe zur Seite drehten und mit offenen Mündern fassungslose jene ... Absonderlichkeit betrachteten, die sich dort ereignete.

    Oscatatio ya Fero, jener dritte Mitreisende, der uns bisher nur als ruheliebender Mensch aufgefallen war, richtete sein Haar. Für gewöhnlich hätte dies allein schon genügt, um Angronds Unverständnis zu ernten (immerhin war man hier fernab der Zivilisation, da durfte ein Mann nach seinem Dafürhalten aussehen, nun, wie ein Mann eben aussah unter solchen Bedingungen). Nein, das eigentlich Seltsame daran war, dass das Haar, das ya Fero dort richtete, nicht im eigentlichen Sinne seines war. Der alte Kämpe war nun lange genug in ya Feros Begleitung gereist, um zu wissen, dass der Horasier kurzes, braunes Haupthaar hatte, nicht anders als Angrond selbst. Das Haar aber, das er nun in offenbar vieltausendfach geübter Bewegung glatt strich, war weiß, schneeweiß, um genau zu sein. Und dieses Haar war weit länger als es in nur einer Nacht gewachsen sein konnte und lief im Nacken in einen Zopf aus, der mit einem schwarzen Band gebunden war.

    Ya Fero tat ganz so, als ob er das Starren der beiden Beobachter jetzt erst bemerkte. »Ist etwas?«, fragte er mit abschätzigem Blick.

    »Ihr habt falsches Haar auf dem Kopf«, stellte Quin überflüssigerweise fest.

    Ya Fero ließ nur einen abfälligen Laut vernehmen und schien die beiden keiner weiteren Antwort für würdig zu befinden.

    Angrond stemmte sich schwerfällig in die Höhe. Schwerfällig, da ihm zum einen das Schwere und Behäbige im Wesen lag und zum andern, da ihn das Kettenhemd, das er selbst nächtens trug, auch nicht eben leichter machte. »Ich wusste, dass Ihr ein eitler Geck seid, ich wusste es vom ersten Augenblick an«, brummte er kopfschüttelnd. »Falsches Haar, falsches Haar«, wiederholte er einige Male eher zu sich selbst als zu den Gefährten redend, »falsches Haar, das verstehe nun, wer will. Auslachen wird man Euch hierzulande, jawohl!«

    Ya Fero erwiderte ungerührt: »Lachen ist kein schlechter Anfang für eine Freundschaft – und bei weitem das beste Ende.«

    »Was will er denn damit sagen?«, fragte Quin, den anstelle einer Antwort jedoch Angrond unsanft am Oberarm griff und in die Höhe zog.

    »Lass den Stutzer, Junge, wir sind hier in unbewohntem Gebiet. Da kannst du nicht herumsitzen und Maulaffen feilhalten wie auf den Prachtalleen in deinem schönen Gareth. Jetzt sieh zu, dass du etwas zu beißen auspackst, wir wollen heute noch ein gutes Stück des Weges schaffen. Es ist nicht unser Bier, wenn der Herr Marchese nicht begreift, was in der Wildnis Not tut und was nicht.« Noch während er sprach, hatte er damit begonnen, seinen Schlafsack zu einem möglichst kleinen Bund zusammenzuschnüren. Er hatte die Worte über Freundschaft wohl gehört, doch was sie bedeuten mochten, kümmerte ihn nicht. Was diesen Südländer anging, war seine Anwesenheit sinnvoll, mehr nicht. Sie waren eine Zweckgemeinschaft, die für diese eine Reise Bestand haben sollte. Danach mochte sich der Südländer so viel falsches Haar aufsetzen, wie er wollte.

    »Oh, ich bin mir sehr wohl bewusst, was die Situation erfordert, mein Herr. Zumindest weiß ich, was sich in Anwesenheit einer schönen Dame gehört.«

    Angrond schnaubte missmutig, einen Augenblick lang zweifelnd, ob er dem gehörten Unsinn überhaupt Aufmerksamkeit schenken sollte. Es schien ganz so, als ob der Liebfelder nun vollends den Verstand verloren habe. Doch einem unbekannten Umstand zufolge – es mögen vielleicht seine alten Kämpferinstinkte gewesen sein – hob er dennoch den Kopf und blickte in die gleiche Richtung wie ya Fero. Und zum zweiten Mal an diesem Morgen musste er sich eingestehen, ehrlich erstaunt zu sein: Da war tatsächlich eine Dame. Und eine ungemein schöne noch dazu. Eine sehr junge Dame, wenn man es recht bedachte. Das grazile Geschöpf hatte einen außergewöhnlichen, in allen Farben schimmernden Umhang umgeschlungen. Darüber war ein blonder Lockenkopf zu sehen, dessen Haarpracht bei jedem Schritt auf und ab hüpfte. Die junge Frau war etwa vierhundert Schritt entfernt inmitten der ansonsten menschenleeren Steinwüste der Hochebene zu sehen. Sie schien sich ohne Furcht direkt und offen in Richtung der drei Rastenden zu bewegen.

    Alle drei standen nun dort stumm und warteten die endgültige Ankunft des überraschenden Gastes ab. Während Angronds Gesicht in erster Linie Misstrauen und Vorsicht spiegelte, lächelten seine beiden Begleiter ob der zu erwartenden Abwechslung nach mehreren sehr eintönig verlaufenen Reisetagen.

    Doch während Quin mit Augen und Mund zugleich strahlte und der eben empfangene Rüffel ihm nur noch fern und unwirklich schien, deutete sich auf ya Feros Lippen nur ein eher leises Lächeln an.

    Die Wanderin war nun hinreichend nahe gekommen, dass man ihr Gesicht besser erkennen konnte. Der Eindruck einer ungemein hübschen Person bestätigte sich: Zwei leuchtend grüne Augen unter sanft geschwungenen und sehr hellen Brauen. Ihre Wangen waren – vielleicht von der Anstrengung des Aufstiegs, vielleicht von der morgendlichen Kälte – gerötet, was ihrer vollendet gerundeten Form den Eindruck einer fröhlichen Lebendigkeit verlieh.

    Als die Fremde auf fünf Schritt Entfernung herangekommen war, blieb sie respektvoll stehen und lächelte, wobei sie Zähne entblößte, die in ihrem Mund glitzerten wie eine Reihe kleiner Perlen.

    Angrond räusperte sich, sagte aber nichts. Dennoch hatte er mit dem Laut den Blick der hübschen Dame auf sich gezogen und begann sich gleich unwohl zu fühlen. Nun sollten ihm ein paar geschliffene Grußworte in den Sinn kommen, doch stattdessen war dort oben nur Leere. Bei allen Zwölfen, dass er sich in seinem Alter noch fühlen konnte wie ein gemaßregelter Schuljunge! Das lag alles nur daran, dass diese Frau so unverschämt ansehnlich war ...

    »Tsa zum Gruße«, sagte sie freundlich. Ihre Stimme hatte einen hellen, fröhlichen Klang, der wie ein ferner Zauber wirkte in dieser Umgebung aus grauen Felsen und Nebeln.

    »Ihr seid eine Geweihte der jungen Göttin, nicht wahr?«, entfuhr es Quin, der immer noch nicht aufhören konnte zu lächeln. »Tsafilia ist mein Name«, erwiderte sie nickend, »und mit wem habe ich es zu tun?«

    Quin öffnete den Mund zur Erwiderung, da tönte es bereits »Angrond Oberwasser« von seiner Linken.

    »Ich bin so etwas wie der Führer dieser kleinen Gruppe«, betonte der stämmige Mann mit wiedererwachtem Selbstbewusstsein.

    »Und ich bin Quin Kürzer«, setzte der Jüngere eifrig hinzu.

    Die Geweihte hatte beiden bei ihrer Vorstellung kurz in die Augen gesehen. Nun wanderte ihr Blick hinüber zu dem Dritten, der neben den erloschenen Holzscheiten stand.

    »Marchese Oscatatio ya Fero, zu Euren Diensten, Euer Gnaden«, sprach dieser formvollendet und deutete eine leichte Verbeugung an. »Es ist mir eine große Freude, ein so liebreizendes Geschöpf in dieser so ungastlichen Gegend willkommen heißen zu dürfen.«

    Ohnmächtig musste Angrond mit ansehen, wie die Aufmerksamkeit des Mädchens sich ganz dem vermaledeiten Stutzer zuwandte. Sie hatte die Augen niedergeschlagen und ihre Wangen schienen noch ein wenig rötlicher geworden zu sein.

    »Ein solch artiges Kompliment in dieser menschenleeren Gegend, das hätte ich heute Morgen noch nicht zu hoffen gewagt. Eure Galanterie ist die Freude einer jeden Dame«, bemerkte sie, während ein Zauber der Röte ihre Wangen überkam.

    Ya Fero zuckte in sorgsam gespieltem Gleichmut mit den Achseln. »Ach, wisst Ihr, ein Mann kann mit jeder Frau glücklich werden, solange er sie nicht liebt.«

    Orks!

    »Furcht wird die imperialen Provinzen gefügig machen!«

    Tar Honak während einer Stabsbesprechung zur Vorbereitung des Khôm-Krieges

    Der weitere Fortgang der Reise stellte sich zunächst als ungemein angenehm heraus. Nicht, dass die Berge weniger karg, der Wind weniger kalt und beißend oder der Weg über Geröll und Schutthalden weniger beschwerlich gewesen wäre, nein, es lag vielmehr an der ungeahnten Fröhlichkeit, die mit der Dienerin der Jungen Göttin Einzug gehalten hatte. Es stellte sich heraus, dass sie eine Fülle anregender Geschichten aus aller Welt zu erzählen wusste, die sie mit einer Lebendigkeit vortragen konnte, als habe sie jede einzelne davon persönlich erlebt. Und wenn ihr fröhlich plätschernder Redefluss sich doch einmal unversehens staute und ihr das rechte Wort nicht über die Lippen kommen wollte, dann musste sie selbst darüber so herzhaft und ansteckend lachen, dass niemand ihr dafür gram sein konnte.

    Auch führte Tsafilia eine kleine Holzflöte mit sich, deren Spiel ihre drei Gefährten gelegentlich bei der Mittagsrast oder dem abendlichen Lagerfeuer erfreute. Und nur hin und wieder unterbrach sie ihre Musik und nahm das Instrument verlegen von den Lippen, wenn insbesondere Quin sie allzu sehr mit verträumten Augen anstarrte.

    Auch Oscatatio nutzte diese Gelegenheiten, um die Geweihte eingehend zu mustern, doch stellte er sich dabei ungleich geschickter an und blieb in seinem besonderen Interesse unbemerkt. Seinen scharfen Augen waren die feinen Linien im Gesicht Tsabellas nicht entgangen. Die verspielte Art und der stets fröhlich auf und ab wippende Lockenkopf mochten über manches hinwegtäuschen, doch ganz so jung, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte, konnte die Mitreisende nicht mehr sein. Dennoch hütete der Marchese sich, sie nach ihrem wahren Alter zu fragen. Denn er wusste darum, dass eine Frau, die einem dies verriet, einem glattweg alles verraten würde. Und es gab schließlich Dinge, die man nun wirklich nicht wissen wollte.

    So begnügte er sich damit, ein Stück höflicher Konversation mit ihr zu betreiben. Er wusste wohl, dass die Kunst, ein Gespräch zu führen, im Wesentlichen darin bestand, alles zu berühren und nichts zu vertiefen. Und so frönten sie der leichten Unterhaltung, die Angronds eher schwerfälligen Gesprächsversuchen oft genug geradezu davonzufliegen schien. Mit einer gewissen inneren Befriedigung registrierte der Horasier, wie der wuchtige Krieger den zunehmenden Zorn über diesen Gang der Ereignisse hinter seinem unansehnlichen, riesigen Bartungetüm zu verbergen suchte.

    Am Tage aber, während der langen Stunden ihrer Wanderung durch die Ödnis des Finsterkamms, verwickelte er sie nicht selten in ein anregendes Gespräch,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1