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DSA 107: Löwin und Mantikor: Das Schwarze Auge Roman Nr. 107
DSA 107: Löwin und Mantikor: Das Schwarze Auge Roman Nr. 107
DSA 107: Löwin und Mantikor: Das Schwarze Auge Roman Nr. 107
eBook325 Seiten4 Stunden

DSA 107: Löwin und Mantikor: Das Schwarze Auge Roman Nr. 107

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Über dieses E-Book

Der strenge Winter steht bevor, und die Amazonen von Yeshinna warten dringend auf eine Salzlieferung. Schließlich werden Offizierin Zahira und die junge Inja ausgesandt, um den Salzhändler aufzusuchen und zur Rede zu stellen. Als Zahira bei einem Überfall getötet wird, wird Inja klar, dass mehr hinter der Sache steckt, als Königin Gilia ahnt. Da sie sich in der Welt außerhalb der vertrauten Burgmauern nicht auskennt, schließt sie sich der Söldnerin Erethia an, die auch noch eine Rechnung mit den Räubern offen hat, die Zahira getötet haben. Obwohl beide Frauen das gleiche Ziel haben, haben Amazone und Söldnerin sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie sie es erreichen - und so ist ein Streit unvermeidlich ...
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum10. Juli 2014
ISBN9783957524409
DSA 107: Löwin und Mantikor: Das Schwarze Auge Roman Nr. 107

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    Buchvorschau

    DSA 107 - Karsten Kaeb

    Jochen Hahn und Karsten Kaeb

    Löwin und Mantikore

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band 11042EPUB

    Titelbild: Arndt Drechsler

    Aventurien-Karte: Ralph Hlawatsch

    Illustration: Mia Steingräber

    Lektorat: Florian Don-Schauen

    Buchgestaltung: Ralf Berszuck

    E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

    Copyright © 2014 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

    Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Print-ISBN 978-3-89064-249-9

    E-Book-ISBN 9783957524409

    Auf dem Sichelstieg

    »He, Junge ... pass auf, was du machst!« Der Ruf des alten Leumann lenkte Ferlings Aufmerksamkeit wieder zurück auf seine gegenwärtige Arbeit. »Wenn du Wert auf deine Finger legst, dann schau besser auf deine Arbeit!«

    Der schmächtige, junge Fuhrknecht spürte, wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg. Ein wenig unschlüssig blickte er zwischen dem schweren Haumesser in seiner Rechten und dem Stapel Kleinholz neben der Feuerstelle hin und her. Natürlich hatte der ältere Fuhrknecht mit seinem Rat völlig recht. Seine Aufgabe bestand im Augenblick darin, das Holz für das Lagerfeuer zu zerkleinern, mit dem schweren Arbeitsmesser keine ungefährliche Arbeit. Eine Unachtsamkeit dabei hätte ihn leicht einen Finger kosten können.

    »Ich kann dich ja verstehen, dass der Anblick dich ablenkt, Kleiner«, grinste Leumann, als er sich neben dem Jungen niederließ und Feuerstein, Stahl und Zunder auspackte, um das Lagerfeuer zu entzünden. »Aber schau nicht zu auffällig zu unseren beiden Gästen, sie könnten sich beleidigt fühlen ... und erweck besser nicht den Eindruck, dass du dir vorstellst, was sich unter all dem Leder und der Fellkleidung verbirgt. Amazonen sind nicht gerade für ihre Geduld gegenüber Männern bekannt.«

    »Amazonen?« Er blickte wieder zum Lagerplatz der Frauen hinüber und Leumann musste einsehen, dass sein Versuch, die Aufmerksamkeit des jüngeren Mannes von den Frauen abzulenken, gründlich misslungen war. Immerhin hatte er damit erreicht, dass Ferling seine Worte geradezu andächtig flüsterte. »Richtige Amazonen?«

    Als sich die zwei reisenden Kämpferinnen ihrer kleinen Reisegruppe angeschlossen hatten, hatte Ferling auf dem Kutschbock des dritten Wagens gesessen, außer Hörweite des Gespräches, das die augenscheinliche Anführerin des Duos mit Obmann Tiro Weißfeldingen geführt hatte. Aus den wenigen Wortfetzen, die er hatte aufschnappen können, hatte er geschlossen, dass die zwei Frauen dem fahrenden Händler ihre Begleitung anboten. Zunächst hatte Ferling sie als einfache Söldlinge abgetan, die sich vor dem Wintereinbruch noch schnell ein paar Silberstücke verdienen wollten. Einem solchen Angebot hätte Tiro wohl kaum widerstehen können, selbst wenn es ihm auf halbem Weg zwischen Dragenfeld und Braunenklamm unterbreitet wurde. Ihr Wagenzug war klein: drei vierspännige Planwagen und nur drei Wagenlenker, den Obmann selbst mitgezählt. Hinzu kamen noch die beiden Karren der Schaustellerfamilie, die sich ihnen bereits in Weißtobrien angeschlossen hatte, und ein paar weitere Reisende. Alles zusammen zählte die Reisegruppe 17 Leute, einschließlich der vier Gauklerkinder. Zwei mehr, die zudem ihre Schwerter zu führen wussten, konnten sich als wertvolle Unterstützung erweisen.

    »Echtere wirst du kaum finden«, stellte Leumann mit einem versonnenen Lächeln fest. »Auch wenn sie im Augenblick nicht nach Amazonen aussehen mögen. Aber sieh sie dir nur mal genauer an.«

    Diese Aufforderung erwies sich eigentlich als überflüssig, denn seit die zwei Frauen mit ihnen ritten, haftete Ferlings Blick bereits auf ihnen, besonders auf der jüngeren. Beide waren in dicke Fellkleidung und Harnische aus verstärktem Leder gehüllt, dazu kamen eine einfache, pelzbesetzte Kappe, Lederstiefel und ein schwerer Fellumhang zum weiteren Schutz gegen die aufkommende Winterkälte. Jede der Frauen trug ein schmales Schwert mit gebogener Klinge am Gürtel – Reiterschwerter oder, wie die Leute weit öfter sagten, Amazonensäbel.

    Nicht nur wegen dieser Waffe hatte Ferling im Laufe des Tages seine erste Einschätzung über die zwei Frauen wieder verworfen. Sie benahmen sich auch völlig anders, als es sich ein junger, unerfahrener Fuhrknecht aus Südweiden von Söldnern vorstellte. Sie verhielten sich ruhig und zurückhaltend und machten keinerlei Anstalten, mit den anderen Mitgliedern der Reisegruppe einen Streit anzuzetteln. Genaugenommen wechselten sie kaum ein Wort mit einem der Reisenden. Sie zeigten sich stolz, erhaben, kühl und distanziert.

    Ferling hatte sie zunächst kaum einschätzen können. Für reisende Ritterinnen waren sie zu schwach gerüstet, und sie trugen auch nicht die klassischen Kettenpanzer und Wappenröcke der Rondrianer.

    Jetzt bezeichnete Leumann sie als echte Amazonen, Mitglieder jenes geheimnisvollen Kämpferinnenordens, der irgendwo in den Bergen der Drachensteine eine seiner letzten Festungen unterhielt. Das erklärte viel: die leichte Rüstung, die Bewaffnung und ihr Gebaren.

    Innerlich strahlte Ferling. Dieses Zusammentreffen allein für sich genommen stellte schon ein besonderes Erlebnis dar. Welcher andere Junge aus Altnorden konnte schon von sich behaupten, er wäre einer richtigen Amazone begegnet? Hoffentlich täuschte sich der alte Leumann nicht.

    Ferlings Blick traf den der jüngeren Kriegerin und er sah schnell weg. Die Frau konnte kaum älter als achtzehn Sommer sein, möglicherweise sogar noch weniger. Bisher wäre er nie auf den Gedanken gekommen, dass eine groß gewachsene Kriegsfrau schön sein könnte. Doch diese Frau empfand er als schön, als ausgesprochen schön sogar. Ihre langen, blonden Haare fielen bis auf die Schultern herab, große und ausdruckstarke, graublaue Augen wurden von einem ebenmäßigen, edel geschnittenen Gesicht umrahmt, sie wirkte in keinster Weise maskulin – ganz im Gegenteil. Er rief sich Leumanns Worte ins Gedächtnis zurück, wonach er bloß nicht den Eindruck bei ihr erwecken solle, dass er sie mit seinen Blicken ausziehen wolle. Das hätte eine Amazone ganz gewiss als Beleidigung aufgefasst.

    Im Augenwinkel sah er, dass die ältere der beiden Kämpferinnen auf die jüngere einredete. Auch die schwarzhaarige Frau wirkte gewiss nicht hässlich, doch ihre Ausstrahlung war völlig anderer Natur. Sie wirkte ständig aufmerksam, wesentlich erfahrener ... und damit für ihn als Außenstehenden auch strenger und irgendwie beunruhigender. Sie strahlte die Ruhe und Überlegenheit einer selbstsicheren Veteranin aus, die schon viel er- und noch mehr überlebt hatte.

    »Was macht das Feuerholz?«, rief Leumann ihm seine Aufgaben wieder ins Gedächtnis zurück. Ferling schüttelte kurz den Kopf, als könne er damit die Gedanken an die blonde Kriegerin verdrängen. »Ich werde noch ein wenig sammeln gehen.«

    »Bleib hier!«, mischte sich eine neue Stimme in das Gespräch ein, als Obmann Weißfeldingen zu den beiden Fuhrknechten trat. Der hochgewachsene Mann blickte vom alten Leumann zu Ferling. »Irgendwelche Schwierigkeiten?«

    »Nein, nicht doch«, feixte Leumann und entblößte sein lückenhaftes Gebiss. »Unser Jungchen hier ist nur drauf und dran, sein Herz zu verlieren.«

    Der Obmann zog nur kurz die Augenbrauen in die Höhe und lächelte dünn. Ganz offensichtlich gingen ihm im Moment ganz andere Gedanken und Sorgen durch den Kopf. Mit einem schweren Seufzen ließ er sich neben den beiden Fuhrknechten auf einen Baumstumpf nieder. In seiner Begleitung befand sich ein kleinerer, ausgesprochen drahtiger Mann, dessen Haar sich bis auf einen grausträhnigen Haarkranz bereits aus dieser Welt verabschiedet hatte. Seine Kleidung wirkte abgetragen, aber ausgesprochen farbenprächtig. Ferling kannte ihn als den Anführer von »Haldans Hungerleidern« – der Gauklertruppe, die mit ihnen reiste. Hatte er ihn während der bisherigen Reise immer gut gelaunt und fröhlich erlebt, so wirkte er im Augenblick angespannt und besorgt. Er blickte immer wieder so unauffällig wie möglich über seine Schulter zum Lagerplatz der übrigen Reisenden.

    Auch die drei Männer und zwei Frauen, die dort beieinander saßen, hatten sich ihrem Wagenzug erst nachträglich angeschlossen, und augenscheinlich kannten sie sich schon länger. Sie hatten sich als Rinderhirten auf der Suche nach neuer Arbeit vorgestellt. Der gebirgige Osten Weidens rüstete sich bereits für die kommenden Wintermonate, die meisten der sogenannten Rinderbarone hatten ihr Vieh schon längst von den Weiden in die sicheren Ställe gebracht. Mit dem Winter kam gerade für die wandernden Hirten ohne eigene Rinder die Zeit, in der sie sich nach einer passenden Beschäftigung umsehen mussten. Die wenigsten verdienten übers Jahr genügend Silber, um sich im Winter in einer Stadt oder einem größeren Dorf auf die faule Haut legen zu können. Stattdessen mussten sie sich als Gelegenheitsarbeiter und Tagelöhner verdingen. Diejenigen, die wenigstens über ein eigenes Pferd verfügten und nicht ihrem Dienstherren hörig waren, wanderten übers Land, und die Einheimischen vermieden es, ihnen allzu nahe zu kommen. Die Viehburschen galten als grobe Gesellen, denen Faust, Peitsche und Dolch recht locker saßen. Nicht wenige standen zudem im Verdacht, dass sie sich kaum von den Viehdieben und Straßenräubern unterschieden – und vielleicht sogar welche waren.

    Im Augenblick saßen die fünf Raubeine um ihr Feuer versammelt, aßen ihren spärlichen Proviant und ließen eine Schnapsflasche kreisen. Offensichtlich hatten sie den Sommer über gut genug verdient und ihre Geldkatzen waren wohlgefüllt, denn immer öfter ereiferten sie sich darüber, was sie mit ihrem gewonnen Reichtum in der nächsten Stadt anstellen würden. Die Reden, die sie dabei schwangen, wurden mit dem steigenden Alkoholpegel immer hemmungsloser und frecher.

    Natürlich hatten sie die beiden Kriegerinnen sehr genau gemustert, und die Blicke der Männer sprachen eine deutliche Sprache – wobei sie sicherlich weit weniger unbedarft und unschuldig waren als Ferlings schüchterne Blicke. Bisher hatten die beiden Amazonen dies weitgehend ignoriert, doch die unterschwellige Spannung war stetig gewachsen. Dies mochte auch der Grund für die jetzigen Sorgen des Obmanns und des Gauklerprinzipals sein.

    »Ich fürchte, dass unsere Gäste uns noch Ärger bereiten könnten«, stellte der Obmann fest. Seine Stimme verriet, dass er sich redlich bemühte, Gelassenheit auszustrahlen, doch so recht wollte ihm das nicht gelingen. »Ihr Benehmen fordert einen Streit mit diesen streitbaren Damen ja geradezu heraus.«

    »Und ich fürchte, dass wir dabei zwischen die Fronten geraten werden«, schloss sich Haldan den Ausführungen des fahrenden Händlers an. »Diese Erfahrung würde ich meinen Kindern und Kindeskindern gerne ersparen. Die Wildnis ist schon gefährlich genug.«

    Leumann nickte zustimmend. »Haben wir eine Möglichkeit, es zu verhindern?«

    »Ich glaube, dass wir mit den Amazonen reden können, jedenfalls mit der Älteren. Sie wirkt vernünftig.« Weißfeldingen seufzte. »Und die Jüngere wird sich an ihre Anweisungen halten.«

    »Rondrianer sind nicht gerade für ihre Geduld bekannt, und die Amazonen sind die Schlimmsten«, erklärte Haldan angespannt. »Wenn diese elenden Säufer etwas tun, was sie als Beleidigung oder Herausforderung verstehen, dann wird Blut fließen ... und wir können nur hoffen, dass es nicht unseres sein wird. Aber ich gebe Euch recht, Herr Weißfeldingen. Wir müssen mit ihnen reden. Nur wer von uns soll das tun?«

    Der Obmann ließ sich von dem schiefen Grinsen des Gauklers anstecken und lächelte ebenfalls schwach. »Wir beide, Haldan. Dann erkennen sie vielleicht, wie ernst uns diese Sache ist.«

    ***

    »Sie starren schon uns wieder an!« Inja wandte sich von der Fünfergruppe ab. In ihrer Stimme schwang sowohl Verärgerung als auch eine Spur Besorgnis. »Sie sind respektlos.«

    Zahira schüttelte den Kopf und lächelte aufmunternd. »Respekt ist etwas, das nicht verliehen wird, meine kleine Perle. Frau muss ihn sich verdienen.«

    Es war eher der Spitzname, der Injas Ärger verrauchen ließ, als der Ratschlag, den ihre Vorgesetze und Lehrmeisterin ihr gab. Es war eine Anspielung auf ihren Namen, der letztlich die mittelreichische Verballhornung des tulamidischen Wortes Ingdscha – die Perle – darstellte. Eigentlich war das kein sehr passender Name für eine Amazone, wie Inja immer wieder befand. Aber sie hatte sich den Namen nicht aussuchen können.

    »Gewöhn dich besser daran, dass Fremde dich anstarren, Inja, vor allem Männer. Und rechne immer damit, dass sie in sich in deiner Gegenwart töricht verhalten. Das ist nun einmal die Wirkung, die dein Anblick auf andere Menschen hat.«

    Sie schenkte der jüngeren Frau ein verschwörerisches Lächeln, als dieser die Schamesröte ins Gesicht stieg. »Und wenn du mal nicht in dickes Leder und Fell gehüllt bist, dann musst du damit rechnen, dass es noch viel schlimmer wird.«

    Inja dachte daran, welche Wirkung ihre Gefährtinnen schon auf sie selbst hatten: athletische Frauen mit der Gewandtheit einer Raubkatze. Der kräftige und doch verführerisch weibliche Körper, angetan mit dem knappen, schulterfreien, nach dem Oberkörper modellierten Bronzekürass, dem kurzen Rock aus beschlagenen Lederstreifen und den ledernen Panzerschienen an Unterarmen und Unterschenkeln. Auch wenn sie sich bisher keine Gedanken darüber gemacht hatte, aber auch sie selbst musste unbedarfteren Naturen wie eine Lichtgestalt vorkommen mit ihren langen Locken, die sie so gern mit der wallenden Mähne eines Löwen verglich: das Urbild der stolzen Amazone.

    Bedrohlich einerseits, weil Amazonen nun einmal bedrohlich wirken sollten, und zugleich verführerisch. Von Männern, die sich bekanntlich von ihren Trieben lenken ließen und keine Selbstbeherrschung kannten, war in der Tat zu erwarten, dass ein solcher Anblick sie zu merkwürdigen Dingen veranlassen würde.

    »Was ist dein eigentliches Problem, Inja?«, mischte Zahira sich in ihre Gedanken. »Es ist doch nicht wegen dieser fünf Raufbolde, oder?«

    Die jüngere Frau seufzte. »Nein, es ist die Reise an sich. Warum, glaubst du, hat dieser Händler nicht wie verabredet das Salz nach Yeshinna schicken lassen?«

    Zahira nickte. Die ausgebliebene Lieferung des Salzhändlers Rhys Korber aus Braunsfurt bedrohte zwar nicht den Fortbestand des Königinnenreiches von Al’Yeshinna, doch ohne Salz würden sie die Fleischvorräte für den kommenden Winter nicht haltbar machen können. Und der Winter kam früh dieses Jahr. Würde er entsprechend länger dauern und heftiger ausfallen, dann wäre das Leben auf der Burg um einiges härter als sonst. Deswegen hatte der Rat der Kriegerinnen sie beide ausgeschickt, um Rhys Korber zur Rede zu stellen.

    »Könnte er uns verraten haben?«, fragte Inja. Branka hatte bereits bei ihrer Aufnahme in die Reihen der Kriegerinnen angedeutet, dass der Rat sie für eine bestimmte Aufgabe auserkoren hätte. Aber niemals hätte sie es sich träumen lassen, dass sie in Zukunft Zahira und Leodora bei deren Pflichten unterstützen solle. Die beiden Offizierinnen hatten eine Sonderstellung innerhalb der Amazonengemeinschaft. Natürlich hatten die Amazonen schon immer lose Verbindungen zum Rest Aventuriens gepflegt, um sich mit dem zu versorgen, was die grundhörigen Bauern in den Dörfern rund um die Festungen nicht erzeugen konnten. Aber ansonsten blieben die stolzen Rondratöchter weitgehend unter sich. Nur die Abgesandten der Königin zogen in ihrem Namen durchs Land, um Botschaften zu überbringen und neue Handelsbeziehungen aufzubauen. Seit der Invasion des dreimal verfluchten Borbarad war noch eine neue Aufgabe hinzugekommen: Auf Anweisung der damaligen Hochkönigin Yppolita von Kurkum sollten die Kriegerinnen die Entwicklung der anderen Länder beobachten und möglichst einen engeren Kontakt mit den dort herrschenden Adelsfamilien und den Orden der Zwölfgötter, vor allem natürlich denen der Rondra, knüpfen.

    Mit der erfahrenen Leodora und der wesentlich jüngeren Zahira, die immerhin auf einer früheren Reise nach Süden mitten zwischen die Fronten im Krieg Al’Anfas gegen das Kalifat geraten war und entsprechend einschlägige Erfahrung mit verschiedensten Aventuriern verzeichnen konnte, hatten zwei recht unterschiedliche Amazonen die anspruchsvollen Pflichten einer Gesandten übernommen. »Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht«, erklärte Zahira gelassen. »Rhys ist ein sehr zuverlässiger und ehrlicher Zeitgenosse ... für einen Mann.«

    Sie sah Inja mit einem schiefen Lächeln von der Seite an. »Witterst du etwa eine Verschwörung gegen die Amazonen, meine kleine Perle?«

    Da Inja ihr nicht sofort antwortete, fuhr sie lächelnd fort: »Wir sind nicht auf einer Queste im Kampf wider die Schwarzen Lande. Der Rat der Kriegerinnen hat uns ausgeschickt, um ein kleines Handelsproblem zu klären. Wenn sich alles so entwickelt, wie ich denke, dann werden wir keinen Gebrauch von unseren Schwertern machen müssen.«

    »Ja, aber ...«

    »Kein Aber«, schnitt Zahira ihr das Wort leise, aber bestimmt ab. Dann lachte sie jedoch wieder versöhnlich und ihre Gesichtszüge entspannten sich. »Du hast natürlich gehofft, dass diese Angelegenheit etwas aufregender wäre. Aber vergiss nicht, Inja, dass du zum ersten Mal in die Ferne reist. Der eigentliche Zweck unserer Mission besteht für dich darin, dass du langsam in die Aufgaben und Pflichten einer Gesandten eingeweiht werden sollst. Dazu musst du erst einmal nichts weiter tun, als mir über die Schulter zu sehen und an deinen Fähigkeiten zu feilen, mit anderen Menschen zu verhandeln. Verschwörungen gegen das Königinnenreich kannst du aufdecken, wenn du mehr Erfahrung hast.«

    »An meinen Fähigkeiten feilen«, wiederholte Inja bedächtig.

    »Unter meiner Anleitung«, ergänzte Zahira. »Fangen wir zum Beispiel mit deiner Beobachtungsgabe und deiner Menschenkenntnis an: Was denkst du über diese beiden Männer da?«

    Erst in dem Augenblick, in dem Zahira ihre Aufmerksamkeit wieder auf die anderen Menschen lenkte, sah sie, dass sich dort etwas tat. Der Anführer der drei Fuhrleute stand jetzt zusammen mit dem dürren Grauhaarigen in der bunten Kleidung eines Spielmanns am Feuer seiner beiden Begleiter.

    »Ein Fuhrknecht und ein alter Gaukler«, stellte Inja mit einem Achselzucken fest. »Ich sehe nichts Besonderes an den beiden, auch keine Bedrohung. Der eine ist schon uralt, und zu kämpfen hat wohl keiner von ihnen gelernt.«

    »Da urteilst du schnell und zu unbedacht, meine kleine Schülerin«, erwiderte Zahira. »Schau noch einmal genauer hin: Zunächst haben die beiden bei ihrem Gespräch immer wieder betont unauffällig in unsere Richtung und in die dieser fünf Herumtreiber gesehen. Wir können also davon ausgehen, dass die fünf und wir Thema ihres Gespräches sind. Was deine Einschätzungen angeht, kann ich dein Urteil nicht gutheißen. Dieser alte Gaukler mag in die Jahre gekommen sein, aber er bewegt sich immer noch bemerkenswert geschickt. Er trägt einen Langdolch im Gürtel und einen zweiten Dolch im linken Stiefel. Der Fuhrknecht verbirgt einen Säbel unter seinem langen Mantel. Seine Kleidung ist für meinen Geschmack etwas zu teuer für einen einfachen Wagenlenker. Es würde mich nicht wundern, wenn ihm die drei Planwagen gehören, mit denen er und seine Mitreisenden unterwegs sind. Verstehst du, was ich meine?«

    Inja nickte langsam. »Immer die Augen offen halten?«

    »Das ist nur der Anfang«, lächelte Zahira. »Die wahre Kunst besteht darin, dass du auch die richtigen Schlussfolgerungen aus deinen Beobachtungen ziehst.«

    »Und du glaubst, dass ich das lernen kann?«, hakte die jüngere Frau vorsichtig nach. Zahira knuffte ihr aufmunternd gegen die Schulter und strahlte. »Inja, wäre ich anderer Ansicht, dann hätten Leodora und ich uns bestimmt nicht dich als meine Schülerin ausgesucht.« Sie nickte in Richtung der zwei Anführer, die sich jetzt von den beiden übrigen Fuhrknechten trennten und langsam auf sie zukamen. »Sieht fast so aus, als wollten sie mit uns sprechen ... sieh in der Zwischenzeit nach unseren Pferden.«

    ***

    Der nächste Morgen begann mit den für diese Jahreszeit im öst­lichen Weisen typischen dunklen Nebelschwaden, die der von den Einheimischen Biundtar genannte Nordwind vom Nebelmoor über das Hügelland trug. Und selbst ohne den Nebel hätte sich der Himmel in einem tristen Grau gezeigt. Die nahen Berge der Roten Sichel im Norden trugen bereits schneeweiße Kappen, und auf den Wipfeln der Bäume im Hügelland unterhalb der kahlen Berge glitzerte der gefrorene Tau, ein leiser Vorgeschmack auf den grimmigen Frost des bevorstehenden Winters. Allerdings war es bei weitem noch nicht so anhaltend kalt wie im tiefsten Firun- oder Hesindemond. Als Folge davon bildeten sich in den Senken teilweise recht ausgedehnte und tiefe Tümpel. Verbunden mit den hartnäckigen Nebelfeldern trocknete das Land kaum noch richtig ab, selbst wenn es Praios’ strahlendem Schild gelang, die dichten Wolken zu verdrängen.

    Inja zog ihren Umhang enger um ihre Schultern, während sie ihre Stute mit sicherem Schenkeldruck über die schlammige Straße lenkte. Alhina trottete mit gesenktem Kopf, hängendem Schweif und angelegten Ohren durch den Straßenmorast. Fast schien es Inja, als legten sich die Nebelschleier nicht nur auch auf ihr Gemüt.

    Während ihrer Ausbildung war sie manches Mal für ihre Geschicklichkeit im Umgang mit der Waffe und ihrem ehrgeizigen Lernwillen gelobt worden, gleichzeitig hatten ihre Lehrmeisterinnen aber auch ihr – in ihren Augen – übertriebenes Interesse an der Welt außerhalb der Mauern Yeshinnas kritisiert. Die gestrenge Schwertmeisterin Hennya hatte sie eindringlich vor ihrer Neugier gewarnt, die sie eines Tages noch in ernsthafte Schwierigkeiten bringen werde. Dazu zeichnete die gealterte Veteranin ein finsteres Bild von der Welt außerhalb der Amazonenfestungen, wo Männer sich erdreisteten, Seite an Seite mit den Frauen die Geschicke der Menschen zu lenken, wo Elend und Armut an allen Ecken gediehen und das unehrenhafte, feige Denken mancher Männer selbst die reinen Gemüter der Frauen verdarb.

    In der Tat schienen sich die düsteren Bilder der Offizierin zu bewahrheiten, als sie sich über die schwer gangbare Nordflanke der Drachensteine nach Süden bewegten. Die einstmals häufig genutzte Verbindung zwischen den Drachensteinen und der Schwarzen Sichel im Süden und der Gelben Sichel im Norden war an einer Stelle unterbrochen, wo früher der Weiler Dragenfeld gestanden hatte ... jener Ort, von dem es hieß, dort habe sich Borbarads Geist im Diesseits manifestiert. Zurück blieb nur eine Landschaft bar jeden Lebens, eine durch verderbte Magie geschändete Region, wo jedes Leben binnen weniger Stunden dahinwelkte: die Wüstenei von Dragenfeld.

    Die erste menschliche Ansiedlung auf ihrem Weg aus den Bergen hinab ins Tal war das Dorf Rundhag gewesen. Nach einer fast viertägigen Reise durch die schroffe Bergwelt und die dunklen Wälder der Drachensteine hatte Inja einen gastlichen Marktflecken mit ähnlich zufriedenen Bewohnern wie in den Lehensdörfern rund um Yeshinna erwartet. Doch dann stellte sich das Dorf als erbärmlicher Weiler mit nicht mehr als fünfzig Seelen heraus, deren ganzer Wortschatz nur aus »Tag auch« und »Weiß nich’« zu bestehen schien.

    Etwas mehr war Inja dann schon von dem Ort Sichelweg angetan gewesen. Hier herrschte eine wesentlich freundlichere und aufgeschlossenere Stimmung. In dem Gasthaus, das Zahira für ihre erste Übernachtung unter einem Dach ausgesucht hatte, wurde ihnen ein vor Ort gebrautes süffiges Dinkelbier vorgesetzt. Zudem bot sich hier erstmals die Möglichkeit, ihre beiden Reitpferde und das Packtier in einem trockenen Stall unterzustellen, und sogar die Gelegenheit, ein warmes Bad zu nehmen.

    Nach zwei weiteren, elend langen Tagen auf der durchnässten und verschlammten Straße hatten sie schließlich Salthel erreicht – den Sitz des Markverwesers der Sichelwacht. Doch die Stadt wirkte überhaupt nicht so, wie Inja sich eine Grafenstadt vorgestellt hatte. Die einzige Befestigung bestand lediglich aus einem aufgeschütteten Erdwall und einer Holzpalisade mit nur einem einzigen Tor. Die beiden Tempel der Ansiedlung waren der Travia und dem Ingerimm geweiht, zwei Kulten, denen die Amazonen wenig Respekt zollten, standen ihre Lehren doch teilweise im Widerspruch zum Amazonenglauben.

    Die Mittellosen in dieser Stadt hatten ein noch schwereres Los als etwa in Rundhag. Bettler reckten immer wieder flehend ihre Hände den besser gestellten Bewohnern und Reisenden entgegen. Das waren bedauernswerte, ausgemergelte Gestalten, die kaum in der Lage schienen, für ihr tägliches Brot zu arbeiten ... ein erbarmungswürdiger Anblick.

    Ein neues Geräusch holte Inja wieder in die Gegenwart zurück: das laute, schrille Weinen eines Kleinkindes. Sie blickte kurz über ihre Schulter zurück zu dem zweiten Gauklerkarren. Die brünette Frau auf dem Kutschbock mochte in ihrem Alter sein, doch sie hatte bereits zwei Kinder. Das jüngste wiegte sie gerade dick in Woll- und Leinentuch verpackt in ihren Armen, während sie mit der linken Hand die Zügel der beiden Maultiere hielt, die sich vor dem Karren abmühten. Für einen kurzen Augenblick fragte sich Inja, was wohl das Missfallen des jüngsten Mitglieds der Gauklerfamilie erregt haben mochte und wie seine Mutter reagieren würde. Sie musste nicht lange warten, um das herauszufinden. Der schlaksige Blonde, der die ganze Zeit neben dem Wagen hergetrottet war, schwang sich mit einem breiten Lächeln auf den Kutschbock und

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