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DSA: Salon der Schatten: Splitterdämmerung I
DSA: Salon der Schatten: Splitterdämmerung I
DSA: Salon der Schatten: Splitterdämmerung I
eBook425 Seiten3 Stunden

DSA: Salon der Schatten: Splitterdämmerung I

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Über dieses E-Book

Niam von Bosparan, Pôlberra, Gorodez Sgirra - diese Namen gehören den berüchtigtsten Magiern ihrer Zunft. Gemeinsam mit anderen Zauberern von ebenso zweifelhafter Reputation bilden sie den Salon der Schatten, einen geheimen Zusammenschluss von ebenso mächtigen wie skrupellosen Schwarzmagiern. Doch nun sehen sie sich einem Feind gegenüber, der selbst sie das Fürchten lehrt - und der gewillt ist, die Metropole Vinsalt in die Verdammnis zu stürzen, um ihren Bund zu vernichten. Wird sich der Salon der Schatten behaupten oder an der Selbstsucht seiner Mitglieder zerbrechen?

Salon der Schatten wirft einen Blick in die verborgene Welt der Geheimgesellschaften und Schwarzkünstler und setzt Ereignisse in Gang, die Aventurien verändern werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberUlisses Spiele
Erscheinungsdatum2. Juni 2016
ISBN9783957523303
DSA: Salon der Schatten: Splitterdämmerung I

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    Buchvorschau

    DSA - Michael Masberg

    Impressum

    Ulisses Spiele

    Band US25704

    Titelbild: Regina Kallasch

    Lektorat: Florian Don-Schauen, Eevie Demirtel

    Umschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick Soeder

    Layout: Michael Mingers

    Satz: Marco Findeisen

    Copyright © 2016 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

    Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

    Printed in the EU.

    Print-ISBN 978-3-95752-322-8

    Ebook-ISBN 978-3-95752-330-3

    Salon

    der Schatten

    Ein Roman in der Welt von

    Das Schwarze Auge©

    Originalausgabe

    Michael Masberg

    Autor

    Michael Masberg, geboren 1982, ist Autor, Regisseur, Veranstalter, Kurator und Bühnenkünstler. Als Sam Greb erzählt er Geschichten aus der Fieberwelt, als Salonlöwe lädt er zum BEAT SALON und darüber hinaus arbeitet er für die Folkwang Universität der Künste, battleROYAL und weitere künstlerische Institutionen.

    Für Das Schwarze Auge schreibt er seit 2005 und war seitdem an über drei Dutzend Publikationen als Autor und Redakteur beteiligt. Zudem verfasst er regelmäßig Beiträge für das Magazin Aventurischer Bote.

    Michael Masberg lebt in Essen. Nach dem Zweiteiler Der Nabel der Welten und Der Kreis der Sechs ist Salon der Schatten sein dritter Roman in der Welt des Schwarzen Auges.

    Weitere Informationen und Identitäten:

    www.michael-masberg.de

    Foto: Andrea Kiesendahl

    »Jeder Stern, der vom Himmel fällt, hinterlässt am Firmament eine Lücke, die sich mit Finsternis füllt.«

    —Thalya Torrean von Westfar, kaiserliche Hofastrologin, 1025 BF

    Herbst.

    Im Jahre 1039 nach dem Fall Bosparans.

    Präludium

    Die Nacht der fallenden Sterne

    Gorodez Sgirra

    Der Nachthimmel war erfüllt von den Silbertränen fallender Sterne.

    Ich stolperte über das Kopfsteinpflaster in eine Seitengasse, um mich herum helle Mauern mit abblätterndem Putz und roten Schieferhäubchen. Ich atmete flach. Meine Lungen brannten.

    Über mir zogen weitere Sternschnuppen über den Himmel. Nächte wie diese verhießen nichts Gutes. Ich war in einer solchen Nacht geboren worden. ›Maldonado‹ hatte mich in unserem Dorf die halbblinde Zahorihexe mit ihrer faulenden Maulhöhle genannt. ›Vergiftetes Geschenk‹.

    Ich lauschte, doch außer meinem rasselnden Atem konnte ich nichts hören.

    Ich hatte noch nie so viele Sterne fallen sehen wie in jener Nacht. Oder den Nächten davor. Einfältige Narren glauben, man darf sich etwas wünschen, wenn man einen Stern fallen sieht. Ein gefährlicher Gedanke. Wünsche sind heimtückisch, sie verraten einen.

    Und wer auf Wünsche vertraut, nimmt sein Schicksal nicht selbst in die Hand.

    Die Schritte meiner Verfolger rissen mich aus den Gedanken. Sie waren immer noch hinter mir her. Das war gut, denn genau so hatte ich es geplant. Sie durften mich nicht verlieren. Sie durften mich aber auch nicht bekommen. Leider war ich ein schlechter Läufer.

    Mein Glück war, dass meine Verfolger auch nicht in der besten körperlichen Verfassung waren. Dazu kam, dass ein dreigehörnter Höllenknecht Besitz von ihnen ergriffen hatte. Ein bösartiger Geist in drei Körpern, dessen einziger Wille es war, mich zu finden und zu töten. Aber er hatte mich unterschätzt.

    Als ich loslief, umklammerte ich das bläuliche Amulett an meinem Hals. Es schützte mich vor dem Blick magischer Augen, also musste sich der Dämon auf die drei Augenpaare seiner Opfer verlassen. Und ich hatte einen weiteren Vorteil: Wir befanden uns in Punin. Es gibt keine Stadt auf diesem verdammten Kontinent, die ich so gut kenne wie Punin.

    Ich hielt die drei Besessenen auf Distanz und lockte sie gleichzeitig dorthin, wo ich sie haben wollte. Abseits der großen Gassen und Plätze, auf denen sich die Schaulustigen versammelten, um das Himmelsspektakel zu beobachten, eilte ich im Schatten der wuchtigen Kontore und Speicherhäuser durch das Hafenviertel. Schließlich erreichte ich eine kleine, abgelegene Halle und schlüpfte durch eine schmale Pforte ins Innere. Ich verriegelte die Tür hinter mir.

    Es war dunkel, aber ich kannte mich aus und verzichtete darauf, meinen Magierstab zu entflammen. Bald hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Ich versteckte mich hinter einigen Kisten, in denen Yussuf sein amhallahisches Teufelszeug nach Punin schmuggelte.

    Es rüttelte an der Tür. Dann hämmerte es. Schließlich warf sich jemand mit Wucht dagegen. Die Tür hielt, doch das war nur eine Frage der Zeit. Ich lehnte mich gegen die Kisten und bereitete mich innerlich auf das Kommende vor. Erst als ich kurz davor war, mit einem Fingerschnippen eine kleine Flamme herbeizurufen, bemerkte ich, dass ich mir unbewusst einen Zigarillo zwischen die Lippen geschoben hatte.

    Ein letzter wuchtiger Hieb riss die Tür aus den Angeln, und drei Schatten glitten ins Innere. Ich hörte ihren zornigen Atem, wie von tollwütigen Hunden.

    Gelassen trat ich in die Mitte der Halle, und auf einen Gedanken hin entflammte die Kugel an der Spitze meines Stabes. Das Licht der magischen Fackel warf zuckende Schatten auf die Kisten, die sich zwischen hölzernen Pfosten bis an die Decke stapelten.

    Dort stand ich: ein hochgewachsener, viel zu dünner Kerl in einer dunkelgrauen, abgetragenen Magierrobe. Ein ebenso abgetragenes, blasses Gesicht unter braunen Haaren, die nicht nur aussahen, als wären sie mit einem stumpfen Messer geschnitten worden. In einer Hand hielt ich meinen lodernden Magierstab, in der anderen einen Zigarillo. Ich entzündete ihn an der magischen Fackel.

    »Da wären wir«, sagte ich.

    Die drei Besessenen umkreisten mich am Rand des Fackelscheins wie Wölfe. Ich besah sie mir zum ersten Mal genau. Ein beleibter Schläger mit Halbglatze, dessen Kopf vor Anstrengung rot angelaufen war, eine fahlblonde Magd mit krummen Beinen und zu großen Ohren und ein altes Mütterchen, dessen weiße Haube von den grauen Haaren geglitten war und ihr wie ein loser Strick um den Hals hing. Es war wirklich mein Glück gewesen, dass der Dämon sich diese drei Jammergestalten ausgesucht hatte.

    Ihre Gesichter waren von namenlosem Hass verzerrt und ihre Augen blutunterlaufen. Sie schlichen mit eckigen, abgehackten Bewegungen um mich herum wie die Mirhamionetten eines betrunkenen Puppenspielers.

    »Wo ist er?«, zischten die drei Besessenen mit einer Stimme.

    Ich tippte mir an die Stirn. »Ich weiß es. Aber ich werde es für mich behalten.«

    »Du wirst reden. Ich werde dir die Haut vom Körper ziehen und dir jeden Knochen einzeln aus deinem stinkenden Fleisch brechen. Deine Leiden werden Äonen währen, und am Ende wird deine gemarterte Seele reden.«

    »So viel Zeit bleibt mir nicht.«

    Die drei kamen näher. Ich rührte mich nicht. Als sie nur noch einen Schritt entfernt waren, leuchteten auf dem Boden grüne Linien auf, die sich zu einem Pentagramm verbanden. Es umschloss mich und meine Verfolger und füllte sich mit magischen Glyphen.

    Der Schläger taumelte zurück, doch kaum, dass er die Linie berührte, jaulte er auf, als würde er in einen Kessel kochendes Wasser fassen. Sein Schmerzensschrei fand sein Echo in den Kehlen der anderen beiden. Der Bannkreis hielt sie gefangen.

    »Hast du wirklich gedacht, dass ich es dir so einfach mache, du stinkender Höllenauswurf? Drei Unschuldige okkupieren und mich durch meine Stadt hetzen – das war es? Ich bin Gorodez Sgirra, kein blutiger Anfänger!«

    Die Magd stürzte sich mit einem Fauchen auf mich. Im Fackelschein blitzte die Klinge eines Messers auf. Sie zielte auf meine Brust – und glitt durch sie hindurch.

    Ich kam aus meinem Versteck heraus. Während sich mein Abbild im Bannkreis auflöste, entzündete ich endlich den Zigarillo. Ich genoss den ersten, tiefen Zug mit geschlossenen Augen. Als sich der Rauch in meiner Brust ausbreitete, ließen die stechenden Schmerzen nach. Ich konnte wieder atmen.

    Die Besessenen hatten sich in der Mitte des Bannkreises zusammengerottet und fixierten mich mit hasserfüllten Blicken. Das einzige Licht in der Halle spendeten die glosenden Linien des Pentagramms.

    »In drei Köpfen hast du dich breitgemacht, aber du benutzt keinen einzigen zum Denken. Ich habe nie verstanden, warum sich Menschen euch Chaosknechten unterwerfen. Wer Idioten folgt, kann nur in der Verdammnis enden.«

    »Du kannst meine Macht über dieses verrottende Fleisch nicht brechen, Magier. Du bist zu schwach.«

    Ich grinste. »Wer hat gesagt, dass ich es alleine versuche?«

    Aus den Schatten löste sich eine Gestalt. Sie trug ein dunkles Kleid, das nach meridianischer Mode bis zum Schenkel geschlitzt war. Ihre hellen Haare schimmerten grün im Licht des Pentagramms. Zanna ließ ihren kurzen Magierstab beiläufig zwischen den Fingern kreisen wie ein Gaukler seinen Narrenstab.

    Zanna ter Tarna – ich werde wohl nie erfahren, ob dies ihr wirklicher Name war. Bei Zauberern ihrer Zunft kann alles eine Illusion sein. Allabendlich verzauberte sie als Bühnenmagierin das Publikum der Puniner Theater mit ihrem Blendwerk, doch ihre wahre Profession war eine andere.

    Sie schmiegte sich an mich, und ich legte einen Arm um ihre Hüfte. Sie war fast so groß wie ich.

    »Sehe ich wirklich so furchtbar aus wie das Trugbild?«

    »Ich habe mir herausgenommen, dich ein wenig aufzuhübschen«, sagte sie. »Kennst du den Namen des Dämons?«

    »Nein, aber wir sollten dennoch mit ihm fertig werden.«

    Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange und löste sich von mir. In einer theatralischen Geste ergriff sie meine Hand. Ich strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken.

    »Du wirst keinen Frieden finden, Magier«, zischte der Dämon aus drei Mündern. »Banne mich, und andere werden dich jagen. Eines Tages wirst du scheitern, und dann werde ich in der Hölle auf dich warten.«

    »Da bist du nicht der Einzige. Die Niederhöllen wetten auf mein Ende, aber sie warten vergeblich.« Ich schnippte den Zigarillo in die Dunkelheit. »Das ist deine letzte Gelegenheit, diese Körper freiwillig zu verlassen, Höllenbrut, oder wir werden dir eine Pein bereiten, dass du dich nach deiner Zeit in der Seelenmühle zurücksehnst.«

    Ich bekam keine Antwort und hatte auch keine erwartet. In der Höllensprache Zhayad intonierte ich die Bannformel. Zanna zögerte keinen Herzschlag und stieg mit ein. Das ist der Vorteil, wenn man mit Leuten zusammenarbeitet, die wissen, was sie tun.

    Über unsere Hände festigte sich das magische Band zwischen uns. Die astralen Kräfte vereinten sich und flossen von uns in die Linien des Pentagramms. Das grüne Leuchten wurde stärker und tauchte alles in ein gespenstisches Licht. Nur für das magische Auge sichtbare Fesseln schlugen nach den drei Körpern im Bannkreis.

    Ich konnte die Gegenwart des Dämons körperlich spüren, seinen unbändigen Hass auf die Schöpfung, den rasenden, zerstörerischen Neid, der danach gierte, alles Lebende ins Verderben zu stürzen. Der Dämon wehrte sich gegen unseren Exorzismus.

    Ein Bild drängte sich mir auf: ein tollwütiger Kampfhund, der sich mit aller Kraft in die Kette warf, die ihn hielt. Und ich stand ihm mit nicht mehr als einem rostigen Messer gegenüber, um ihn zu töten.

    Zanna drückte meine Hand. Ich gewann Zuversicht. Wie unsichtbare Armbrustbolzen schlug unser Zauber in die drei besessenen Leiber ein und warf sie nieder. Sie wanden sich mit verrenkten Gliedern auf dem Boden, ihre Münder spien Obszönitäten und Beleidigungen in die Welt, doch ich ließ mich davon nicht beirren. Ich hatte derlei schon oft gehört.

    Die Körper bäumten sich auf. Aus ihren Augen, Ohren, Mündern und Nasen stieg gelblicher Qualm auf, der bald wie eine unheilvolle Gewitterwolke über uns schwebte. Türkisfarbene Blitze zuckten im Inneren der Schwaden, und die Schatten, die sie formten, erinnerten mich an eine dreigesichtige Wolfsfratze. Die Wolke dehnte sich immer weiter aus und griff nach den Rändern des Pentagramms.

    In diesem Moment vollendeten wir unseren Zauber. Ein Netz grüner Linien legte sich um die Dämonenwolke und zog sich zusammen. Der Höllenknecht stemmte sich ihm vergeblich entgegen. Er schrumpfte immer weiter zusammen, bis er sich mit einem reichlich unspektakulären ›Plopp‹ auflöste. Das Pentagramm erlosch, und die Dunkelheit kehrte zurück.

    Die Kugel an meinem Stab flammte auf. »Bei meinem nächsten Besuch bringe ich keinen Dämon mit, Liebes.«

    Zanna strich mir über die Wange. »Das hast du schon beim letzten Mal versprochen, Gorodez. Wo bliebe auch das Vergnügen deiner Besuche, würdest du wirklich nur auf ein Glas Wein vorbeischauen?« Sie lachte.

    Während Zanna nach den Opfern des Dämons sah, suchte ich auf dem Boden nach dem fortgeworfenen Zigarillo. Ich fand ihn vor einer Kiste mit novadischen Glyphen und entzündete ihn neu. Die Beschriftung wollte mir weismachen, in den Kisten befänden sich Vasen aus Amhallah. Wer das glaubte, erzählte auch seine Wünsche fallenden Sternen.

    In meinem Rücken hörte ich Zanna Zauberworte murmeln. Ich drehte mich um und besah mir die Menschen auf dem Boden. Drei Bürger Punins, die vermutlich nichts verband, die ihre beschaulichen Leben geführt hatten, unschuldig, bis ein Dämon aus der Leere zwischen den Sternen hervorgekrochen war, um sich ihrer Körper zu bemächtigen. Und das alles wegen mir. Ich verzog das Gesicht.

    »Sie schlafen«, sagte Zanna. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie etwas länger schlafen werden.« Sie sah mich an. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wen du dieses Mal verärgert hast.«

    »Das willst du nicht wissen. Danke für deine Hilfe, Zanna. Es war mir wie stets eine außerordentliche Freude.« Ich wandte mich zum Gehen.

    »Gorodez Sgirra, du wirst es nicht wagen, mich einfach so stehen zu lassen und zu verschwinden.«

    »Jemand muss sich um diese armen Seelen kümmern, und das kannst du besser als ich. Das hier war nicht der letzte Akt, eher die Ouvertüre. Ich habe etwas Zeit gewonnen, und diese Zeit muss ich nutzen.«

    »Ich verstehe. Das wahre Vergnügen möchtest du ganz für dich alleine.«

    Ich sah zu ihr hinüber, wo sich im Halbschatten die Umrisse ihres schlanken Körpers mit den beleidigt vor der Brust verschränkten Armen abzeichneten.

    »Nein, das ist es nicht«, sagte ich und ging zu ihr zurück. »Ich will dich nicht noch tiefer in diese Angelegenheit hineinziehen. Du bist gut, Liebes, das weiß ich, sonst hätte ich nicht an deine Tür geklopft und um Hilfe gebeten. Aber du bist zu gut. Für das, was kommt, brauche ich die Hilfe der bösen Leute.«

    Sie kannte mich zu lange, um nicht besorgt zu sein. »Was hast du vor, Gorodez?« Ihre Stimme klang ungewohnt ernst.

    »Ich werde ein Geschwür ausbrennen, das sich in die Welt gefressen hat. Und nebenbei vielleicht noch ein paar Seelen retten.«

    »Ist es wegen dem, was am Himmel geschieht?«

    Ich hoffte es nicht, aber ich gab ihr keine Antwort. Sie musste etwas in meinen Augen sehen, das ihr nicht gefiel. »Gib auf deine eigene Seele acht, mein Freund.« Sie entnahm meinen Fingern den Zigarillo, führte ihn zu ihren roten Lippen und nahm einen Zug. Dann gab sie ihn mir zurück. »Das nächste Mal bevorzuge ich doch den Wein.«

    »Ich werde dich nicht enttäuschen, Liebes«, sagte ich mit einem unguten Gefühl – möglicherweise einer Vorahnung, dass es eine Lüge war.

    Ich ließ sie mit den Schlafenden in der Lagerhalle zurück und trat nach draußen in die Gassen Punins. Etwas hätte anders sein müssen. Nach dem Exorzismus hätte die nächtliche Stadt lebendiger auf mich wirken müssen, befreiter. Doch die drückende Unruhe war geblieben.

    Ich sah hinauf zum Himmel und zu den fallenden Sternen. Es wirkte, als würden die Seelen sämtlicher Paradiese aus der Himmelsfeste Alveran fliehen.

    Ich zog mir die Kapuze meiner Robe über den Kopf. Der Zigarillo schmeckte nach Zannas Lippen. Während ich meine Wanderung aufnahm, ging ich die nächsten Schritte meines Plans durch.

    Teil 1

    Zusammenkunft der Schatten

    Laila Chirasir

    Lori kletterte behände den Mast des Flussseglers hinauf und stieß einen heiseren Schrei aus, der die Matrosen zusammenzucken ließ. In der Herbstsonne schillerte die Federschleppe des Äffchens wie ein Regenbogen.

    Ich schmunzelte über die unausgesprochene Furcht der Matrosen. Dabei glaubten diese bosparanischen Tölpel, der kleine Affe mit dem prachtvollen Gefieder sei ein exotisches Tier von einer fernen Südmeerinsel. Wie sie wohl erst reagiert hätten, hätten sie gewusst, dass Lori eine Chimäre war, die ich aus einem Moosaffen und einem Pfau geschaffen hatte, um mich des Wohlwollens von Meisterin Sefira zu vergewissern?

    Während ich versonnen Lori beobachtete, trat der Kapitän an mich heran, ein sonnenbärtiger Sohn der Trunksucht mit rot geäderter Knollennase.

    »Comtessa Laila Chirasir.« ›Comtessa‹ – mit diesem bosparanischen Titel sprach er mich an, seit ich mich ihm als Erbin der Fürstin von Nelkra vorgestellt hatte, auch wenn das nur zu Teilen stimmte. Aber Meisterin Sefira war fern, und hier hinterfragte es niemand. Zudem standen mir noch ganz andere Lügen bevor, sollte meine Reise nach Vinsalt nicht zu einem Makel unauslöschlicher Schande werden. »Es wäre mir eine außerordentliche Ehre, Euch zum Abschied auf einen Becher Goldfelser Morgenrot einzuladen, unter den Weinen eine Fürstin, wie Ihr in Eurer Zunft.«

    Immerhin gab der alte Narr sich Mühe, auch wenn seine Stimme vor Furcht zitterte. Ich hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich aus Selem kam. Für den Rest Aventuriens bedeutete dies, dass ich ebenso gut aus den Niederhöllen kommen könnte. Dies war der selbstgerechte Blick auf die Besiegten der Geschichte.

    Ich überlegte noch, ob ich mich dazu herablassen sollte, sein Angebot anzunehmen, als am anderen Ende des Schiffes Tumult erklang. Einer der Matrosen ging zu Boden, zwei andere wichen zurück, und in der Mitte stand Jehu mit seinem massigen, nackten Oberkörper und dem verschleierten Gesicht, eine Hand am Griff des Doppelkhunchomers auf seinem Rücken. Seine kleinen, dunklen Augen funkelten vor gerechtem Zorn.

    »Dieser Sohn einer Hündin hat dich beleidigt, Herrin«, sagte er in der Zunge meines Volkes, ohne den Blick von dem zitternden Matrosen am Boden zu nehmen.

    »Was hat er gesagt?«, fragte ich meinen Bewacher, ebenfalls auf Tulamidya.

    »Ich hörte, wie seine Zunge schnalzte, dass nun endlich die Hexe von Bord gehe. Er meinte dich, Herrin. Soll ich ihn bestrafen?«

    Ich beschwichtigte ihn mit einer Geste und wandte mich an den Kapitän. »Euer unwürdiger Knecht hat es gewagt, seine falsche Zunge gegen mich zu verwenden.«

    Mit Genuss sah ich zu, wie jegliche Farbe aus dem aufgedunsenen Säufergesicht wich.

    »Er hat es sicherlich nicht so gemeint«, stammelte der Kapitän. »Ein Missverständnis ...«

    Ich trat ganz nahe an ihn heran. Er war einen Kopf kleiner als ich, wagte es aber nicht, aufzusehen.

    »Wenn in meiner Heimat ein Diener gegen ein ehrbares Mitglied der alten Familien aufbegehrt, schneiden wir ihm das schändliche Körperteil ab. In diesem Fall seine Zunge.« Ich lächelte. »Wenn wir gnädig sind.«

    Dem Kapitän knickten die Knie ein und er fiel zu Boden. »Ich bitte Euch, Comtessa, zeigt Gnade.«

    »Also bittet Ihr mich, dass mein Leibwächter ihm die Zunge herausschneidet?«

    Entsetzt sah der Kapitän auf, als er begriff, was er gesagt hatte. Tränen stiegen ihm in die Augen. Ich kostete seine Verzweiflung aus, dann wandte ich mich an Jehu.

    »Verschone diesen Unwürdigen. Als Dank wird der Kapitän uns die Kosten für unsere Reise erlassen und uns mit sieben Flaschen seines Weines bedenken.« Der Kapitän nickte eifrig, und Jehu ließ die Hand vom Griff seines Säbels.

    Keine Stunde später legten wir am Flusshafen von Vinsalt an. Unter den strengen Blicken Jehus trugen die Matrosen mein Gepäck von Bord, bereichert um den Wein des Kapitäns, der mein Gastgeschenk sein würde. Lori saß auf meiner Schulter und fauchte die Matrosen an.

    Als ich gerade von Bord gehen wollte, lief mir zufällig der vorlaute Sohn der Dreistigkeit vor die Füße, der es gewagt hatte, mich zu beleidigen. Er erstarrte. Lächelnd hob ich die offene rechte Hand wie zum Gruß. Er sah mich verwirrt an, unschlüssig, wie er reagieren sollte. Ich murmelte eine Zauberformel und ballte die Hand zur Faust.

    Seine Schmerzensschreie waren noch zu hören, als wir das Hafenviertel schon hinter uns gelassen hatten.

    Wir bogen in eine Prachtstraße im Schatten des Tempelbergs ein. Bunte Stoffe in den Farben der Mächtigen hingen schlaff an den Masten, und zu beiden Seiten erhoben sich Villen und Paläste. Obwohl ein steter Menschenstrom über die gepflasterte Straße floss, klang der allgegenwärtige Lärm, der mich auf dem Weg durch Vinsalt begleitet hatte, hier gedämpfter.

    Die silbernen Almosen, mit denen ich unseren Führer für seine Dienste großzügig bedacht hatte, hatten ihn dazu verleitet, uns durch die halbe Stadt zu führen und sie in den blumigsten Worten und auf schlechtem Tulamidya zu preisen. Er konnte nicht wissen, wie sehr mich die lärmende Selbstgefälligkeit dieser schrecklichen Stadt anekelte. Doch ich ließ seine Lobpreisungen der Wunderwerke und Errungenschaften Vinsalts über mich ergehen: der himmelstürmende Bau mit einer mechanischen Uhr, das Opernhaus, der Fürstenpalast, die Sakralbauten der bosparanischen Götter ... Gegen meinen Willen begann ich, aufmerksamer zuzuhören. Das letzte Mal war ich vor zwölf Lebensjahren in Vinsalt gewesen, eine erblühende Zauberschülerin von siebzehn Jahren, die staunend am Robensaum ihrer Meisterin gehangen hatte. Die Stadt war seitdem größer, prächtiger und geschäftiger geworden. Eine stolze Stadt, die mit weit ausholenden Schritten in die Zukunft eilte. Ich dachte an mein heimatliches Selem, das zwischen schimmelnden Ruinen dahinsiechte, und empfand Abscheu für das, was mich umgab.

    Doch mir entging nicht, dass unter dem Stolz der Stadt und seiner Bewohner etwas anderes lag. Etwas bedrückte die Gemüter, und es war nicht allein die Schwüle, die der trockene Herbstwind mit sich brachte. Es war etwas anderes, das mir überall auf meiner Reise begegnet war: Unruhe. Auch die Vinsalter hatten erlebt, wie vor einigen Wochen nächtelang die Sterne vom Himmel gefallen waren. Niemand wusste, was es zu bedeuten hatte, doch kaum jemand sah darin ein gutes Vorzeichen.

    In Selem galten fallende Sterne als Boten des Unglücks. Es war ein niedergeworfener Stern neidischer Götter gewesen, der einst den Aufstieg meines Volkes in einer Flutwelle ertränkt hatte.

    »Wir da, Herrin«, riss mich das schlechte Tulamidya meines Führers aus den Gedanken. Wir standen vor einem gelb getünchten Palast, der über und über mit blauen Tüchern, Blumen und Fresken geschmückt war. »Der Palazzo Mhanadi.«

    Der Palast gehörte dem Gewürzhändler Chadim ben Charef. Der Novadi galt Tulamiden, die das erste Mal nach Vinsalt kamen, als besondere Empfehlung. Ich hatte einen anderen Grund, aus dem ich ihn aufsuchte. Lange Zeit vor meiner Geburt, als er es noch nicht zu Wohlstand gebracht hatte, hatte er Meisterin Sefira als Söldner gedient. Sein heutiges Ansehen verdankte er auch ihr.

    Ich verabschiedete unseren Führer, der sich wortreich bedankte, mir zu Diensten gewesen sein zu dürfen. Er war schon lange verschwunden, da stand ich immer noch zögernd vor dem Palast. Jehu wartete geduldig.

    »Vielleicht ist es nicht klug, sich an Chadim zu wenden«, sagte ich. »Sollte Meisterin Sefira nach mir suchen, wird sie zuerst hier vorstellig werden.«

    Jehu schwieg, doch ich hatte keine Antwort von ihm erwartet. Er war das Geschenk meiner Meisterin zu meiner bestandenen Adeptenprüfung gewesen. Seither waren nur wenige Tage vergangen, an denen er sich nicht an meiner Seite befunden hatte. Er kannte meine Gedanken, doch er wusste, dass seine nicht gefragt waren, es sei denn, ich verlangte sie zu hören.

    Bald wandelst du dreißig Lebensjahre über die Welt, dachte ich. Doch der Gedanke an Meisterin Sefira macht dich immer noch zu einem kleinen Mädchen.

    Um hier nach mir zu suchen, musste sie erst einmal wissen, dass ich in Vinsalt war. Und dies wusste außer Jehu niemand. Außerdem war es möglich, dass Sefira noch nicht nach Selem zurückgekehrt war, um mein Verschwinden zu bemerken. Manches Mal blieb sie monatelang fort.

    Ich straffte mich, schritt zu dem sandfarbenen Tor und wurde im Palast vorstellig. Als ich meinen Namen und den Namen meiner Meisterin genannt hatte, verbeugte sich die Sklavin, die mich empfangen hatte, tief und eilte davon. Wir standen zwischen Marmorsäulen auf einem Mosaik, dessen polierte Steine eine große, blaue Wüstenblume formten. Lori putzte sich auf meiner Schulter die Federn. Ich musste nicht lange warten.

    Meister Chadim empfing mich mit aller gebührenden Ehrerbietung. Er war fast siebzig Lebensjahre alt und ungemein füllig, bewegte sich dabei jedoch erstaunlich elegant. In seinem aufgedunsenen Gesicht wirkten die Augen wie kleine Steine. Er hüllte sich in erlesene Stoffe, die wie sein Palast gelb und blau gefärbt waren.

    Der Gepflogenheiten seines Volkes folgend, berührte ich die Wand und sagte: »Ich bin dein Schützling.«

    Chadim lachte. »Bei Rastullahs Lockenpracht, welch schöne Tochter des Himmels schenkt meinen alten Augen neuen Glanz? Herrin Laila, wie viel Zeit ist seit dem Geschenk unserer letzten Begegnung vergangen? Unglückliche zwölf Jahre! Doch im gesegneten dreizehnten Jahr führt das Schicksal dich zu mir. Und sieh dich an: schön wie des Alleinen Wonneweib Khabla, mit Locken so schwarz wie der Schweif einer reinrassigen Shadifstute und der Glut brennender Kohlen in den Augen! Du bist zur Frau gereift, und ich zu einem alten Mann. Sei Gast in meinem bescheidenen Heim und siehe mich als deinen demütigsten Diener.«

    Sein bescheidenes Heim brauchte sich nicht vor dem Palast der Meisterin zu verstecken. Überall wuselten Sklaven, und wohin mein Blick fiel, sah ich eine Herrlichkeit, die einem tulamidischen Potentaten angemessen war.

    »Du ehrst mich mit deinem großzügigen Angebot, Meister Chadim, doch ich will nicht über dich gebieten wie eine Herrin, sondern wünsche, dass du mich wie Meisterin Sefira als Freundin willkommen heißt.«

    Der füllige Novadi lachte, dass sein Körper bebte. »Das ist mir eine noch größere Ehre, oh Blüte des Szintotals. Lass meine Diener sich um dein Gepäck kümmern.« Während er mich durch seinen Palast führte, plauderte er weiter. In seinem Tulamidya vermischte sich der Dialekt der Wüstenstämme mit einem horasischen Einschlag. »Man gewöhnt sich daran, ›Diener‹ zu sagen. Dabei sind sie natürlich Sklaven. Da es in dem herrlichen Reich des wiederauferstandenen Horas jedoch keine Sklaven gibt – es sei denn, man selbst ist Comto, doch dann nennt man sie ›Leibeigene‹ –, nun, aus diesem Grund nenne ich meine Sklaven ›Diener‹, und niemand stört sich daran.«

    »Dein Palast ist prächtiger, als ich ihn in Erinnerung habe, Meister Chadim.«

    Seine Vorliebe für die Farben Gelb und Blau setzte sich in allen Räumen fort. Sandfarbene Teppiche dämpften unsere Schritte, und in kostbaren Vasen aus Unauer Porzellan mit blauer Ornamentik verströmten blauhäuptige Blumen fremde Gerüche.

    »Ich bin kein Mann, der mit gespaltener Zunge von sich spricht, wie die elende Schlange, die auf dem Bauch durch den Sand kriecht, ohne sich jemals zu erheben, oh Nachtschöne. Ich wurde zwischen Kameldung geboren und habe in jungen Jahren die Ehre meiner Sippe beschmutzt. Rastullah sei mein Zeuge, hinter mir liegt ein langer Weg! Heute bin ich ein angesehener Mann von Ehre, reicher als mancher Bey. Meine Karawanen und Schiffe tragen die erlesensten Gewürze aus den fernsten Ländern in das Reich des goldenen Adlers.«

    Ich hatte schon einige Novadis in meinem Leben getroffen, doch dieser Mann hatte wenig gemein mit den Elendsgestalten, die am Rande Selems in ihren Zelten kauerten. »Und die Wüste deiner Vorväter?«, fragte ich neugierig.

    »Die ist Vergangenheit, mein bezauberndes Kind der Höflichkeit.«

    Er führte mich auf eine schattige Terrasse, von der aus ich auf einen weitläufigen Garten und den hoch aufragenden Tempelberg blickte. Jehu stellte sich schweigend unter die Arkaden neben dem Eingang, und Lori klettere von meiner Schulter auf einen niedrigen Tisch, um einen Apfel aus einer Schale zu stibitzen. Während sich

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