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Eine kurze Geschichte der Fantasy
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eBook409 Seiten5 Stunden

Eine kurze Geschichte der Fantasy

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Über dieses E-Book

Fantasy ist, obwohl Literaturkritiker wie Akademiker dies gerne ausblenden, das einfluss- und erfolgreichste Genre des 21. Jahrhunderts. Einige der frühsten Bücher unserer Kultur, darunter das Gilgamesch-Epos und die Odyssee, handeln von Ungeheuern, Wundern, phantastischen Reisen und Magie. Gegenwärtig reicht das Spektrum der Fantasy von weltweit rezipierten mehrbändigen Serien bis zu anspruchsvollsten Nischenpublikationen.

Die vorliegende Einführung stellt das Genre in den Zusammenhang der euröpäischen Literatur, erzählt seine Geschichte von den Anfängen bis zu den Ursprüngen der modernen Fantasy im 20. Jahrhundert und widmet sich in ihren Hauptkapiteln der Zeit seit Tolkiens ›Herr der Ringe‹, vom Fantasy-Boom der 70er- und 80er-Jahre über den Erfolg der ›Harry Potter‹-Serie bis hin zu aktuellen Entwicklungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberGolkonda Verlag
Erscheinungsdatum6. Dez. 2017
ISBN9783944720265
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    Buchvorschau

    Eine kurze Geschichte der Fantasy - Farah Mendlesohn

    Ins Deutsche übertragen von Simone Heller

    © 2012 by Libri Publishing

    Erstveröffentlichung 2009 in der Middlesex University Press

    Die erweiterte Ausgabe erschien 2012 bei Libri Publishing

    Für die deutschsprachige Ausgabe:

    © 2017 by Golkonda Verlag GmbH

    Mit freundlicher Genehmigung von AutorInnen und Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Karin Will

    Redaktion: Hannes Riffel

    Korrektur: Susanne Claudius und Inger Banse

    Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.wordpress.com]

    Satz: Hardy Kettlitz

    Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin

    Golkonda Verlag

    Theresienstr. 16

    80333 München

    www.golkonda-verlag.de

    ISBN: 978-3-944720-25-8 [Buchausgabe]

    ISBN: 978-3-944720-26-5 [E-Book]

    Inhalt

    Titel

    Impressum

    Inhalt

    1 | Einleitung

    2 | Vom Mythos zur Magie

    3 | 1900–1950

    4 | Tolkien und Lewis

    5 | Die 1950er Jahre

    6 | Die 1960er Jahre

    7 | Die 1970er Jahre

    8 | Die 1980er Jahre

    9 | Die 1990er Jahre

    10 | Pullman, Rowling, Pratchett

    11 | 2000–2010

    Chronologie bedeutender Werke und Personen

    Bedeutende Werke

    Bedeutende Filme, Fernsehserien und andere Medien

    Bedeutende Künstler

    Bedeutende Herausgeber und Reihen

    Glossar

    Weiterführende Literatur

    Danksagung

    Phantastik im Golkonda Verlag

    Den vielen unabhängigen Experten gewidmet, deren Wissen in Fanzines, Rezensionen, Büchern, dem Internet und in E-Mails dieses Werk ermöglicht hat.

    1 | Einleitung

    Während wir dies schreiben, gehören neununddreißig der vierzig Filme, die weltweit die höchsten Einspielergebnisse erzielen, zu den Genres Fantasy oder Science Fiction. J. K. Rowling ist eine der meistverkauften Autorinnen der Welt. Terry Pratchetts Bücher wandern direkt auf die Hardcover-Bestseller-Listen.

    STAR WARS

    -Romane dominieren die Taschenbuch-Listen der

    NEW YORK TIMES

    . Eine Serie über eine Cheerleaderin, die Vampire tötet, wurde zur Kultserie der 1990er Jahre und führte im Fernsehen zu einer neuen Blüte der Fantasy. J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe, ein Buch, das bis heute kontinuierlich erhältlich ist, stand am Ende des 20. Jahrhunderts in Großbritannien bei beinahe jeder Umfrage ganz oben auf der Liste der Lieblingsbücher. In der literarischen Ecke scheint es für jüngere Schriftsteller keine Schwierigkeit zu sein, von der realistischen Belletristik ins Phantastische zu wechseln.

    Dennoch gibt es da ein Problem. Susanna Clarke und David Mitchell, zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Jonathan Strange und Mr. Norrell und Der Wolkenatlas – Bücher, die jeder Fantasy-Fan zu schätzen wüsste – von Kritikern gefeiert und kommerziell erfolgreich, wurden der Welt als literarische Autoren präsentiert. Tolkiens Vorrangstellung und die Beliebtheit von Rowling oder auch Philip Pullman hingegen wurden als Anzeichen einer Infantilisierung der Gesellschaft abgetan, ein Argument, durch das die Fürsprecher der Fantasy sich genötigt fühlen, ihre erwachsenen Qualitäten hervorzuheben. (Wie die zahlreichen Kinder- und Jugendbücher, die hier besprochen werden, belegen, stellen wir die Auffassung infrage, lediglich eine Form von Erwachsensein sei akzeptabel.) Als Rowling und Pullman für den renommierten Whitbread-Literaturpreis nominiert wurden, stieß das literarische Establishement einen kollektiven Schrei des Entsetzens aus. Während Fantasy immer beliebter wird, versuchen Kritiker, das »Lesenswerte« auszusondern, und behaupten, es sei keine Fantasy; Beispiele hierfür sind die Bücher von Jonathan Lethem und Jeanette Winterson. Trotzdem, wie Margaret Doody es ausgedrückt hat: »Wenn Romane von bewunderten Autoren [Italo Calvino und Isabel Allende] von Baronen handeln, die in Bäumen leben, und von Mädchen mit grünen Haaren, dann ist es an der Zeit aufzuhören, so zu tun, als käme es bei längeren Prosawerken darauf an, dass sie ›realistisch‹ seien.«[1]

    All das wirkt äußerst sonderbar. Fantasy handelt doch gewiss von Drachen, Elfen, Besenstielen, Feen, Geistern, Vampiren und allem, was die Nacht unsicher macht? Wie wir im Verlauf dieses Buches feststellen werden, liegt die Schwierigkeit darin, dass es – selbst wenn dies ein Autor lesen sollte, der es von sich weist, Fantasy zu schreiben – viele Fantasy-Werke gibt, die keines der oben genannten Elemente enthalten, aber dennoch etwas an sich haben, wodurch wir einfach erkennen, dass wir es mit Fantasy zu tun haben (man nehme z. B. Mervyn Peakes

    GORMENGHAST

    -Trilogie oder die Fernsehserie Lost).

    Wir (das »Wir« ist ein Hinweis darauf, dass dieses Buch zwei Autoren hat, die sich für sehr unterschiedliche Arten von Fantasy interessieren) werden uns an dieser Stelle nicht mit den Argumenten der Hochkultur befassen, die die Fantasy nach wie vor beiseiteschieben, auch wenn wir darlegen werden, wo sie ihren Ursprung haben. In diesem Buch befassen wir uns in erster Linie mit Autoren, die stolz darauf sind, Fantasy zu schreiben, und mit Büchern, die inzwischen den Kanon der Fantasy-Literatur bilden. Dieses Buch wird viele verschiedene Spielarten der Phantastik abdecken, darunter Horror und Geistergeschichten sowie Fantasy, die für Kinder und Jugendliche geschrieben wurde. Zwar behandeln wir in erster Linie die schriftliche Form, werden jedoch auch phantastische Werke anderer Medien miteinbeziehen, von Gemälden über Comics bis hin zu Film und Fernsehen, obschon wir aus Platzgründen sehr wählerisch sein mussten und es uns – vielleicht paradoxerweise – umso weniger möglich war, dieses Interesse hier abzubilden, je größer das Interesse an der Phantastik in einem bestimmten Medium wurde. So beschäftigen sich zum Beispiel die ersten Kapitel mehr mit bildender Kunst als die späteren, da in den behandelten Epochen viele Protagonisten Künstler und Schriftsteller in Personalunion waren, während die Fantasy-Kunst in den späteren Kapiteln, nachdem sie sich zu einem eigenen Zweig entwickelt hatte, weniger Beachtung findet. Wir hoffen jedoch, dass unsere Liste bedeutender Künstler am Ende des Buches diese Ungleichbehandlung bis zu einem gewissen Grad kompensiert.

    Am klarsten kann man die Fantasy anhand der Präsenz des Unmöglichen und Unerklärlichen in Literatur und Kunst definieren. Damit lässt sich auch ein Großteil der Science Fiction (SF) ausklammern, die sich zwar mit dem Unmöglichen befasst, jedoch alles als erklärbar ansieht, während bei dieser Deutung das Genre Horror zum Großteil enthalten bleibt, da es beide Kriterien erfüllt. Darüber hinaus ist diese Deutung kulturspezifisch: Viele Texte lassen sich als Fantasy lesen, so sie denn für eine Leserschaft publiziert werden, die eine Lektüre über etwas »Unwirkliches« erwartet; manchmal entspringen diese Texte jedoch einem Denken, das die Grenze zwischen dem »Wirklichen« und dem »Phantastischen« an anderer Stelle setzt. John Clute, der bei Weitem bedeutendste Genrekritiker, hat für Texte, die immer noch als Bezugspunkte der Fantasy dienen, den Begriff der »Pfahlwurzel« (taproot) erfunden. Damit kann man zum Beispiel Die Pilgerreise zur seligen Ewigkeit als »Pfahlwurzeltext« für die moderne Fantasy verstehen, während er für seinen Verfasser die Vermittlung einer göttlich inspirierten Vision darstellte – und damit nicht im Geringsten phantastisch war. Viele Texte des latein- und südamerikanischen Magischen Realismus lesen sich für ein Fantasy-Publikum wie Fantasy, wurden aber mit einem handfesten Sinn für eine übernatürliche Welt verfasst, die tatsächlich existiert und mit der natürlichen Welt verknüpft ist.

    Eine zweite Möglichkeit, sich einer Definition der Fantasy anzunähern, ist der historische Ansatz. Kritiker wie Brian Stableford oder Adam Roberts vertreten die Auffassung, dass das Phantastische in der Kunst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts bewusst als Stoff verwendet wurde. Der Aufstieg der phantastischen Literatur und Kunst seit dem späten 18. Jahrhundert ist demnach eine Reaktion auf die Aufklärung und den gleichzeitigen Aufstieg der literarischen und künstlerischen Mimesis. Wir können keinen künstlerischen Ausdruck für das Unmögliche finden, bevor wir nicht eine klare Vorstellung der Grenzen des wissenschaftlich Möglichen haben. Aber vielleicht unterliegen wir, was die Behandlung des Phantastischen in früheren Zeiten angeht, auch einem Missverständnis. Eine äußerst gelungene Macbeth-Inszenierung hat uns kürzlich bewusst gemacht, dass in diesem Stück des frühen 17. Jahrhunderts nichts Übernatürliches jemals erwiesenermaßen stattfindet. Spiegelt der Text (und auch der des Wintermärchens) die Gutgläubigkeit des Verfassers und des Publikums? Oder lädt hier ein skeptischer Autor sein rationalistisches Publikum dazu ein, sich über einen König (Jakob VI. von Schottland und I. von England) lustig zu machen, der dafür bekannt ist, an Hexerei und das Übernatürliche zu glauben? Wenn Letzteres zutrifft, müssen wir den bewussten Einsatz des Phantastischen um mindestens zwei Jahrhunderte in die Vergangenheit verschieben.

    Eine dritte Annäherung an die Fantasy setzt bei den Theorien der Gelehrten an, die sich selbst auf diesem Gebiet betätigt haben. Trotz ihrer Beliebtheit ist die Fantasy von der universitären Forschung ziemlich vernachlässigt worden, und es gibt nur eine gute Handvoll wichtiger Theoretiker in diesem Bereich. Kathryn Hume begreift Fantasy als psychologische und ästhetische Erwiderung auf die Mimesis. Tzvetan Todorovs Konzept der Phantastik schränkt das Gebiet auf ein sehr kleines Segment ein, da für ihn nur jene Texte phantastisch sind, in denen eine »Unschlüssigkeit« aufrechterhalten wird. Der berühmteste davon ist Henry James’ The Turn of the Screw (1898, dt. u. a. unter dem Titel Das Durchdrehen der Schraube), bei dem der Leser selbst entscheiden muss, ob das Phantastische »echt« ist oder nicht. Rosemary Jackson begreift die Fantasy als eine »Literatur des Begehrens«, ein Ausdruck, der von jenen aufgegriffen wurde, die sich für die Psychologie des Phantastischen interessieren. Jackson vertritt auch die Auffassung, dass Fantasy immanent subversiv ist, da sie Alternativen zu und eine Flucht aus der »echten Welt« bietet. Colin Manlove betrachtet die Fantasy als eine Form der Allegorie, und seine Textauswahl ist davon stark eingefärbt.

    Unser Buch geht von der Annahme aus, dass Sie, falls Sie sich für Literaturwissenschaft und ihre Definition von Fantasy interessieren, diese Autoren selbst zur Hand nehmen und lesen (am Schluss des Buches findet sich eine Liste mit Leseempfehlungen). Das vorliegende Buch wurde von vier Theoretikern inspiriert: erstens Michael Moorcock, dessen Wizardry and Wild Romance die Fantasy in der Sprache verortet, durch die sie ausgestaltet wird; zweitens Brian Attebery, der in Strategies of Fantasy das Genre als eine »unscharfe Einheit« betrachtet, die aus einem Kern und einer sogar noch schwerer bestimmbaren Korona von Texten besteht; drittens John Clute, dessen Grammatik der Fantasy in The Encyclopedia of Fantasy vier Stufen aufweist: Falschheit, Schwinden, Erkenntnis und Heilung (wobei Clute in jüngster Zeit den Begriff »Heilung« durch »Wiederkehr« ersetzt hat);[2] schließlich Farah Mendlesohn, Mitautorin dieses Buches, die in ihrem Buch Rhetorics of Fantasy die Fantasy als eine Reihe von unscharfen Einheiten betrachtet, die sich anhand der Art und Weise voneinander unterscheiden lassen, in der das Phantastische in den Text eintritt.

    Alle vier Theoretiker haben gemeinsam, dass sie die Fantasy als einen Austausch zwischen Autoren und Lesern verstehen, der beim Schreiben selbst stattfindet. Die beste kritische Auseinandersetzung mit Fantasy-Literatur findet durch Fantasy-Autoren selbst statt, sowohl in einem auch formal als theoretisch erkennbaren Kontext (die Essays von C. S. Lewis, J. R. R. Tolkien, M. John Harrison und Diana Wynne Jones sind einige der bekanntesten Beispiele) als auch in ihren Geschichten. Bei vielen Fantasy-Werken handelt es sich um unmittelbar kritische Auseinandersetzungen mit dem Genre, und wir werden versuchen, diese Tatsache zu berücksichtigen.

    Schließlich gibt es außerdem noch das, was Verlage und Buchhandlungen als Fantasy präsentieren und verkaufen. Viele Leute glauben, dass man Fantasy an ihren Titelbildern erkennen kann. Ein Drache oder Zauberer ist für gewöhnlich ein brauchbares Indiz; aber genauso ein halbnackter, das Schwert schwingender Barbar (ob nun männlich oder weiblich). Zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte dieser Stil, als man in einem der Paläste von Saddam Hussein Originale von Rowena A. Morrill fand.

    Die Ursprünge der Fantasy-Kunst liegen jedoch in den Werken des visionären Künstlers William Blake, der Maler der Schauerromantik wie Johann Heinrich Füssli und der präraffaelitischen Bruderschaft wie zum Beispiel Edward Burne-Jones; und viele Cover lassen sich weniger durch den eigentlichen Bildinhalt zuordnen als vielmehr durch die Schattierungen von Hell und Dunkel und den üppigen Einsatz von Farbe, den die Künstler aus dieser Tradition übernommen haben. In den meisten Buchhandlungen gibt es eine Abteilung namens »Fantasy und Science Fiction«, und man könnte meinen, dass die Bücher dort alle ziemlich ähnlich aussehen. Aber die Fantasy ist flüchtig, und man findet sie ebenso unter »Literatur«, in einer eigenen Abteilung unter dem Etikett »Horror« und seit dem Aufstieg der romantischen Fantasy sogar unter den Liebesromanen. Jede dieser Subkategorien hat ihre eigene, genre-spezifische Verpackung.

    Fantasy, die heute das beliebteste der phantastischen Genres ist, war früher ein vernachlässigter Vetter von SF und Horror. Irgendwann in den 1980ern verlagerte sich der Schwerpunkt, und geschätzte zwei Drittel aller Bücher, die derzeit im Bereich »Fantasy und Science Fiction« verkauft werden, gehören inzwischen zur Fantasy (siehe hierzu die jährlichen Abrisse, die in der Zeitschrift

    LOCUS

    veröffentlicht werden). Nach einer aktuellen Leser-Umfrage unter knapp 1000 Science-Fiction-Fans lesen die beiden jüngsten Altersgruppen mehr Fantasy als Science Fiction.[3] Dagegen ließen ein flüchtiger Blick auf die Horror-Regale und die Zahlen, die

    LOCUS

    in den 1990ern veröffentlichte, einen Markt erkennen, der sich im Niedergang befand: Zwar hat sich dieser Trend am Anfang des Jahrtausends umgekehrt, doch wird Horror oft unter »Fantasy« eingeordnet, was nahelegt, dass sich dieses Genre besser vermarkten lässt.

    Dieses Buch soll eine Lücke schließen. Zwar gab es vielfache Bestrebungen, die Fantasy zu definieren, und sie wurde von John Clute, John Grant und ihren Mitarbeitern katalogisiert, doch es gibt keine kurze Geschichte der Fantasy. Dieses Buch wird sich zunächst mit dem Aufkommen des Phantastischen als literarische Form im 18. Jahrhundert auseinandersetzen und einen Blick zurück auf seine verschiedenen Vorläufer werfen: das Epos, den höfischen Roman, das Märchen. Wir werden dann weitergehen, um die rasche Entwicklung verschiedener Zweige der Fantasy zu betrachten. Während die Kapitel 2 und 3 etwa 150 bzw. 50 Jahre abdecken und Kapitel 5 sich mit dem gewaltigen (wenn auch verspäteten) Einfluss zweier Schriftsteller aus der Mitte des 20. Jahrhunderts (Tolkien und Lewis) befasst, wird das Buch ansonsten im Großen und Ganzen Jahrzehnt für Jahrzehnt voranschreiten, von den Fünfzigern bis zur ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, und dabei sowohl vorherrschende Trends als auch den Austausch an den Rändern darlegen. In Kapitel 10 halten wir jedoch inne und betrachten das Werk dreier weiterer Autoren – Rowling, Pullman und Pratchett, deren Einfluss in den 1990ern und 2000ern ebenso groß war wie der von Tolkien und Lewis in den 1950ern und bis in die 1970er Jahre hinein.

    Auch wenn einige nicht-englischsprachige Werke erörtert werden, liegt der Schwerpunkt auf der Fantasy-Literatur in englischer Sprache. Zugegebenermaßen wird dadurch das eigenartige Gefühl vermittelt, dass die englischsprachige Fantasy die Welt dominiert, aber in reinen Zahlen gemessen entspricht das vermutlich den Tatsachen. Aus diversen kulturellen und wirtschaftlichen Gründen gelangt sehr wenig Fantasy-Literatur in Übersetzung auf den anglo-amerikanischen Markt. Dagegen gibt es nicht nur eine große Anzahl von Übersetzungen aus dem Englischen in andere Sprachen, sondern zumindest in Europa auch viele (nicht muttersprachliche) Fans, die Fantasy in englischer Sprache lesen. Wo solche fremdsprachigen Werke jedoch den anglo-ameikanischen Markt erreicht haben, ob sie nun von E. T. A. Hoffmann, Jorge Luis Borges, Isabel Allende, Astrid Lindgren oder Michael Ende stammen, stehen sie auch zur Diskussion.

    Dieses Buch soll den Austausch unter den Fantasy-Autoren nachvollziehen, die das Genre erschließen und weiterentwickeln. Es wird nur selten auf Kritiker Bezug nehmen, doch dem Leser wird eine lange Leseliste an die Hand gegeben.


    [1] Margaret Doody, The True History of the Novel (New Brunswick: Rutgers University Press, 1997), S. 470.

    [2] In »Fantastika in the World Storm« (2007): http://www.johnclute.co.uk/word/?p=15; dt. »Phantastik und der Weltensturm« in: Wolfgang Jeschke & Sascha Mamczak (Hrsg.), Das Science Fiction Jahr 2008 (München: Heyne, 2008).

    [3] Siehe Mendlesohn: The Inter-Galactic Playground (Jefferson, North Carolina: McFarland Press, 2009).

    2 | Vom Mythos zur Magie

    In der Dichtung (und Kunst) des Westens war die längste Zeit Phantastik der gängige Modus, nicht Realismus. Die Fantasy als Genre entwickelt sich allerdings wohl erst als Reaktion auf die Idee einer mimetischen Literatur (und zur gleichen Zeit wie diese): Nur wenn das Konzept eines gewollten Realismus existiert, so der Gedankengang, kann es ein Konzept der gewollten Phantastik geben. Dennoch nutzen der antike griechische und römische Roman, der mittelalterliche höfische Roman und die Lyrik- und Prosatexte der frühen Moderne allesamt Elemente, die wir als Tropen der Fantasy betrachten: magische Verwandlungen, merkwürdige Ungeheuer, Zauberer und Drachen und die Existenz einer übernatürlichen Welt.

    Bei den frühesten Ausprägungen schriftlicher Dichtung, die uns aus der antiken Welt überliefert sind, handelt es sich um Werke, die man als Phantastik ansehen könnte und die viele moderne Fantasy-Autoren beeinflusst haben: Geschichten über Götter und Helden, wie etwa das Gilgamesch-Epos und die Werke von Homer. Seine Odyssee, ein Epos über die Reisen eines Helden durch eine von Riesen, Zauberern und Ungeheuern bevölkerte Welt, die den Launen übernatürlicher Mächte ausgeliefert ist, stellt einen Vorläufer späterer Fantasy-Literatur dar.

    Für die meisten alten Griechen gehörten die Göttergeschichten natürlich zu ihrem Glaubensgefüge, aber Dichter oder Dramatiker konnten sie ausschmücken, und einige Zeitgenossen bezeichneten sie sogar als »die Lügen der Dichter«. Epen über Götter und Helden wurden manchmal zu offensichtlich politischen Zwecken eingesetzt, etwa Vergils Aeneis.

    Die heroische Überlieferung der Griechen und Römer war westlichen Erzählern während des ganzen Mittelalters (und auch später) wohlbekannt. Die ägyptischen Geschichten von Göttern und der Unterwelt hingegen hatten bis ins 19. Jahrhundert kaum einen Einfluss auf die westliche Tradition; danach wurden sie zu einer Goldmine für beunruhigende Konzepte vom Tod, von Ritualen und von einer zyklischen Welt.

    Am Anfang des ersten Jahrtausends nach Christus besaßen die verschiedenen »Barbaren«-Völker (also alle Nicht-Römer) ihre eigenen Überlieferungen von Göttern und Helden, und vermutlich auch ihre Geschichten und Gedichte darüber. Sie wurden jedoch erst sehr viel später aufgezeichnet, oder wenn sie denn aufgezeichnet wurden, haben die Manuskripte nicht überdauert. Das epische Gedicht Beowulf mit seiner dreiteiligen Geschichte, in der der Held das Ungeheuer, die Mutter des Ungeheuers und den Drachen bekämpft, ist beinahe alles, was von der heroischen Überlieferung des vornormannischen England erhalten ist. Das Wenige, was wir über die altenglischen Götter wissen können, muss hingegen aus der Lektüre von Snorri Sturlusons Prosa-Edda rekonstruiert werden, die im 13. Jahrhundert in Island niedergeschrieben wurde. Snorri Sturluson könnte auch der Verfasser einiger der vielen erhaltenen Isländersagas sein: Sie berichten zum Großteil von den Fährnissen der Bauern im neu besiedelten Island und beschäftigen sich dabei auf dieselbe nüchterne Art und Weise mit Geistern und Visionen, wie sie auch Fehden und Familienpolitik erörtern. Durch Übersetzungen von William Morris und anderen sind die Isländersagas im 19. Jahrhundert einem breiteren Publikum zugänglich gemacht worden; sie lieferten einen wichtigen neuen Strang für die Entwicklung der englischsprachigen Fantasy und haben viele Fantasy-Autoren beeinflusst, die wir hier erwähnen werden, ganz besonders Morris selbst, J. R. R. Tolkien, Diana Wynne Jones, Alan Garner und Neil Gaiman.

    In der keltischsprachigen Welt wurde viel mehr aufgeschrieben, unter anderem die vielen Geschichten über irische Helden wie Cúchulainn und eine Sammlung walisischer Legenden unter dem Namen Das Mabinogion. Diese Überlieferungen waren jedoch größtenteils wenig verbreitet und der europäischen Tradition bis zu den Anfängen der im 19. Jahrhundert aufkeimenden nationalistischen Bewegungen nicht geläufig. Der keltische Stoff war so wenig bekannt, dass man im 18. Jahrhundert, als der schottische Dichter James McPherson behauptete, die alten irischen Mythen des Dichters Ossian übersetzt zu haben, seine Fälschung für echt hielt und sie in die damalige Begeisterung für Neugotisches und Mittelalterliches integrierte. Im späteren 19. Jahrhundert wurde die walisische und irische Literatur des Mittelalters veröffentlicht und erforscht, und in ganz Europa bis weit ins 20. Jahrhundert hinein sollte die Elite künftig Volkstümliches sammeln und (manchmal auf sehr naive Weise) die übernatürliche Gedankenwelt der europäischen Bauern rekonstruieren. »Keltische« Fantasy, die lose auf diese Überlieferungen zurückgeht, ist immer noch ein wichtiges Element der modernen nordamerikanischen Fantasy, da Autoren wie Evangeline Walton, Charles de Lint, Lloyd Alexander, Katherine Kerr und Emma Bull diese Tradition weiterentwickelten.

    Während Mythen, Legenden und Sagas viel zur modernen Fantasy beigetragen haben, wurde der Einfluss der antiken Romane erst in letzter Zeit gewürdigt. Größtenteils handelt es sich um melodramatische Geschichten von Schiffsunglücken und Abenteuern, aber einige davon weisen starke Fantasy-Elemente auf. Am weitesten verbreitet war während des Mittelalters vermutlich der Alexanderroman, dessen älteste Version bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgt werden kann: Achtzig mittelalterliche Versionen in vierundzwanzig Sprachen sind erhalten geblieben. Der Alexanderroman erzählt viele der Geschichten über Alexander den Großen nach, mit denen wir ansonsten durch mehr oder weniger zeitgenössische Biographien vertraut sind, beschreibt allerdings auch fabelhafte Reiseerlebnisse voller unmöglicher Begegnungen mit sprechenden Bäumen und fünfäugigen Tieren. Es gibt sogar einen Science-Fiction-Moment, in dem Alexander in einer gläsernen Tauchglocke den Meeresboden erkundet. Die berühmteste römische Nachahmung eines griechischen Romans war Der Goldene Esel von Apuleius, der im 16. Jahrhundert zum ersten Mal übersetzt wurde und von den Abenteuern eines Mannes berichtet, der in einen Esel verwandelt wird.

    Die antike Tradition der Wundergeschichten wurde im Mittelalter in der Form des höfischen Romans fortgesetzt. Die bekanntesten darunter beschäftigen sich mit der »Matière de Bretagne«: Geschichten über König Artus und seine Ritter. Die frühesten Verweise auf Artus entstammen einem walisischen Kontext, aber die ersten vollständigen Erzählungen über ihn wurden im normannischen England und Frankreich niedergeschrieben. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts gewannen sie in ganz Europa Beliebtheit. Viele der »französischen Romane« wurden eigentlich in England geschrieben: Hier sprach der Adel nach 1066 Französisch, und die politischen und wirtschaftlichen Geschicke des Landes waren eng mit Frankreich verknüpft. Die früheren Artus-Geschichten können als Teil einer breiteren Tradition höfischer Literatur angesehen werden und kreisen um Liebe und Ehebruch. Später, unter dem Einfluss der Kirche, fließen mehr christliche Themen in die Geschichten ein, verschlüsselt als Suche nach dem Heiligen Gral. Einige der Artus-Überlieferungen, wie etwa die Figur Merlin, scheinen vollständig auf Geoffrey von Monmouth zurückzugehen, dessen fiktive History of the Kings of Britain (1136) man am Ende des 12. Jahrhunderts als authentische Geschichtsschreibung betrachtete und bis zum 16. Jahrhundert nicht infrage stellte. Zur Blüte kam die mittelalterliche Artus-Tradition Englands im 15. Jahrhundert mit Sir Thomas Malorys Le Morte d’ Artur.

    Die höfischen Romane befassten sich außerdem mit der »Matière de France«, Geschichten über Karl den Großen und seine Paladine, die denselben generischen Regeln wie die Artus-Geschichten folgten. Der Artus-Zyklus wurde jedoch ständig revitalisiert, um die englische Monarchie zu stützen, und möglicherweise führte dies in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Wiederaufleben der Artussagen, als Alfred Tennyson und die Präraffaeliten auf der Suche nach Sujets waren. Die bekanntesten Autoren des 20. Jahrhunderts in diesem Bereich sind wohl Rosemary Sutcliff, Mary Stewart, Marion Zimmer Bradley, Peter David und Stephen Lawhead.

    Das Überdauern des Artus-Zyklus lässt sich einerseits nachvollziehen, indem man ihn als Folklore der Elite betrachtet, durch die christliche Ansprüche auf weltliche Macht sowie der höfische Verhaltenskodex untermauert wurden, der dem Adel moralische Autorität verlieh. Daneben existierten jedoch auch alternative Überlieferungen, die der Mittelschicht, den Armen und Enteigneten gehörten. Eine der nachhaltigsten Überlieferungen war die Geschichte von Robin Hood. In der Geschichte der Fantasy spielte sie keine große Rolle, da sie auf mimetischen Grundlagen errichtet ist; allerdings hat sie etliche Fantasy-Versionen des Mittelalters hervorgebracht, von denen die mit Errol Flynn und Richard Greene die bekanntesten sind. In den 1980ern, als in Großbritannien die gesellschaftliche Spaltung so tief wie nie seit fünfzig Jahren war, zeigte ITV eine Serie namens Robin of Sherwood (1984–1986, dt. Robin Hood), die die Robin-Hood-Legende mit dem Widerstand der armen Arbeiter und mit der Geschichte von Herne dem Jäger verband. Die Serie war von keltischer Mythologie durchzogen und wurde mit einem Soundtrack von Clannad unterlegt, einer beliebten Folkband jener Zeit (was die ohnehin schon starke Verbindung zwischen keltischer Musik und Fantasy-Literatur besiegelte, die während der neofolkloristischen Bewegungen der 1880er, 1920er und 1960er Jahre begründet wurde).

    Die Tradition der Feenmärchen hat wahrscheinlich keltische Wurzeln, auch wenn sie sich im Lauf der Jahrhunderte stark gewandelt haben. Die Geschichte von Morgan Le Fay, die aus dem Artus-Zyklus entnommen ist, zählt zu jenem Teil der Feen-Überlieferung, der die wilde und unvorhersehbare Seite dieser Geschöpfe betonte. In dieser Auffassung ist das Feenreich eine separate Welt, die neben der unseren existiert. Sterbliche können von den Feen aus einer Laune heraus entführt, Wechselbälger zurückgelassen sowie Seelen geopfert und der Hölle überantwortet werden. Die Balladen Tam Lin und Thomas the Rhymer (in mehreren Fassungen) spiegeln diese Version des Feenreichs wieder, genauso Shakespeares Sommernachtstraum. Daneben existiert auch eine irische Tradition, in der Feen viel körperlicher in Erscheinung treten, mit eigenen Höfen und eigenen Bräuchen, und nur dann mit den Menschen interagieren, wenn sie dazu gezwungen sind. Beide Arten von Feen treten in der zeitgenössischen Fantasy bei Schriftstellern wie Charles de Lint und Emma Bull auf, aber auch bei jüngeren Autoren wie Marie Brennan, Susanna Clarke, Elizabeth Hand und Hal Duncan. Das Feenmärchen allerdings, wie es sich von Charles Perrault ableitet, ist etwas völlig anderes.

    Gegen Ende des 17. Jahrhunderts machten Charles Perrault und Madame d’ Aulnoy höfische Märchen populär. Diese aufpolierten Versionen der Volksmärchen, die wir auch in den späteren Sammlungen der Brüder Grimm finden, sind sowohl formelhafter (drei Wünsche, drei Aufgaben, drei Brüder) als auch regelloser in ihrer Auslegung des Feenreichs. In diesen Geschichten haben die Feen ein tiefes Interesse an den Menschen und setzen ihre Kräfte häufig willkürlich, aber auch aus moralischen Motiven ein. Perrault und die Grimms waren Sammler und Bearbeiter, die die Geschichten für ihre jeweiligen adligen und bürgerlichen Leser domestizierten, aber im 19. Jahrhundert tauchen nach und nach auch neu verfasste Märchen für den modernen Leser und mit modernen Umgangsformen auf. Baron de la Motte Fouqués Undine (1811) über einen Wassergeist, der als Wechselbalg aufwächst, wurde in Deutschland zum Klassiker, und schnell lag auch eine Übersetzung ins Englische vor. 1814 wurde eine Oper daraus, komponiert von E. T. A. Hoffmann, der selbst etliche Märchen für Erwachsene verfasste, manchmal mit einem Hang zum Makabren. Auch sie wurden in ganz Europa bekannt: »Der Sandmann« (1816/17) gelangte später in Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen auf die Opern- und in Leo Delibes’ Coppelia auf die Ballettbühne, während Der Nussknacker von Tschaikowski als eines der beliebtesten Balletts überhaupt umgesetzt wurde. In Amerika schrieb Nathaniel Hawthorne dezidiert amerikanische Märchen, die nach wie vor eine sehr starke irische Anmutung haben, etwa Die Vogelscheuche, eine Geschichte über eine Holzpuppe, der Leben eingeflößt wird (veröffentlicht in zwei Teilen im Februar und März 1852). Aber der bei Weitem erfolgreichste Märchenautor des 19. Jahrhunderts war Hans Christian Andersen (1805–1875). Andersens Geschichten waren mit dem höfischen Glanz eines Perrault, aber auch mit der düsteren Moral der Brüder Grimm verfasst: Die kleine Meerjungfrau (1837), Die Schneekönigin (1844), Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern (1845) und Die roten Schuhe (1845) sind bittere Geschichten, in denen Richtig und Falsch, Gut und Böse verschleiert werden und die Handlung kein glückliches oder gutes Ende nimmt. Das hässliche Entlein (1844) rückt deutlich die starre und defensive Schicksalsbestimmtheit von Andersens Geschichten ins Licht, in denen der einzige Weg zum Glück darin liegt, den eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden oder hinzunehmen. Diese Haltung ist vielleicht ein Erbe seiner eigenen Vertreibung und schlechten Erfahrungen als Pflegekind und späterer Emporkömmling der dänischen Gesellschaft. So subversiv die Fantasy auch noch werden sollte, Andersens politisches Vermächtnis blieb in den Strukturen vieler Geschichten erhalten.

    Zur selben Zeit, in der Perrault seine Geschichten von Aschenputtel und dem Gestiefelten Kater einem breiteren Publikum zugänglich machte, übersetzte der Orientalist Antoine Galland Tausendundeine Nacht ins Französische. Erst in jüngster Zeit sind werkgetreue Übersetzungen dieser spätmittelalterlichen arabischen Märchen in westlichen Sprachen erschienen. Die Versionen von Galland und anderen frühen Übersetzern waren jedoch äußerst beliebt, und am Ende des 19. Jahrhunderts waren die Geschichten von Sindbad und Aladin Teil der westlichen Überlieferung geworden, am beliebtesten als Gebärdenspiel. Nach wie vor inspirieren diese Geschichten Fantasy-Autoren, insbesondere den Historiker Robert Irwin, dessen Der arabische Nachtmahr oder die Geschichte der 1002. Nacht (1983) eine beeindruckende Neuinterpretation darstellt. Die erste unzensierte Version von Tausendundeine Nacht entstand im Jahr 1885 von Richard Burton und trug, so skandalös sie auch war, zur allgemeinen Begeisterung für alles Orientalische bei. Im 19. Jahrhundert wurden sich die Europäer auch der phantastischen Tradition von China und Japan bewusst. Die japanischen Geistergeschichten von Lafcadio Hearn und die chinesischen Fantasy-Geschichten von Ernest Bramah (um die Jahrhundertwende), die vorgeblich von einem professionellen Geschichtenerzähler namens Kai Lung vorgetragen werden, sind die augenfälligsten Beispiele.

    Ein weiterer Beitrag zum sich stetig verbreiternden Fundament der westlichen Phantastik waren die Schriften der Anthropologen James Frazer und Andrew Lang. Frazers Der goldene Zweig (1890) vertrat unter anderem die Auffassung, bei Mythos und Legende handle es sich um Relikte eines primitiven Glaubens, durch die Pflanz- und

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