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Ace in Space: Der SF-Roman zum Rollenspiel
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eBook592 Seiten8 Stunden

Ace in Space: Der SF-Roman zum Rollenspiel

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Über dieses E-Book

Sag deinen Followern, wer du bist.
Sei, was du im Datanet darstellst.
Und dann: Dare to fly!
Desillusioniert von ihrem Heimatkonzern Hadronic Inc. flieht die Pilotin Danai mitsamt gestohlenem Raumjäger zur Jockey-Gang ihrer Mutter. Marlene "Deardevil" führt die Daredevils an – Fliegerasse, die ihre Stunts und kleinkriminellen Aufträge direkt ins Datanet streamen und von ihren Followern dafür geliebt werden.
Danai hat wenig Lust auf Follower und Social Media, aber Fliegen kann sie wie der Teufel. Der Daredevils-Anwärter Kian braucht ihr Talent für eine Stuntflugshow, die verschleiern soll, dass sie einer unabhängigen Siedlung auf Valoun II gegen die Luftangriffe eines Megakonzerns helfen – genauer gesagt: gegen Hadronic Inc.
Und so navigiert Danai mit vollem Schub in den Konflikt zwischen Anonymität, Ruhm und Zivilcourage, zwischen Kian und seine Ex-Freundin Neval, zwischen die Egos der Daredevil-Jockeys und die Fallstricke ihrer eigenen Persönlichkeit.
Der neue Roman von Judith & Christian Vogt zu ihrem Sci-Fi Rollenspiel "Aces in Space"!
SpracheDeutsch
HerausgeberAch je Verlag
Erscheinungsdatum11. März 2021
ISBN9783958694828
Ace in Space: Der SF-Roman zum Rollenspiel

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    Buchvorschau

    Ace in Space - Christian Vogt

    Princess and Prophet

    //LOGGTUBE

    KoCoCo – KobeniCorpCombat – Wähle deinen Lieblingscorp!

    Drei schnittige Abfangjäger mit Rekrutinnen am Steuerknüppel fliegen eine Formation in der Atmosphäre. Am höchsten Punkt kippt ein Jäger um die eigene Querachse und zerschießt eine der Kameradrohnen. Die Pilotin fliegt dabei rückwärts und verlangt den Triebwerken das Äußerste ab, die Likes schnellen nur so in die Höhe, als sie sich im letzten Moment vor einem unvermeidlichen Absturz fängt und wieder in Formation begibt.

    SCHNITT

    Ein Ausbilder schreit sich an einer jungen Pilotin heiser. Dieses Manöver in der Atmosphäre beschädigt Konzerneigentum. Er faltet sie zusammen, beleidigt sie und verdonnert sie zu Strafübungen. Bevor sie sich abwendet, entgegnet sie ruhig: »Sir, im Handbuch wird auf Seite fünfundsechzig vom Manöver abgeraten, jedoch explizit darauf hingewiesen, dass es mit Maschinen wie der Slipstream grundsätzlich möglich ist, Sir!«

    Beliebteste Kommentare:

    Gramstar999: Haha, der Snack ist LITTTT! Schande, dass sie in der ganzen Show nur einmal gezeigt wurde.

    Probro77: Die Slipstream hat zusätzlich Motivatorbooster! Was für Kackb00ns Hadronic beim Militär hat, dass sie die Kleine dafür ankacken, eh, ich lole so laut!

    Die Triebwerke starteten mit einem tiefen, markerschütternden Wummern. Hände in Fingerhandschuhen um Griffe. Ernste Gesichter hinter Visieren. Die Jockeys sahen dem Highway entgegen. Dann katapultierte das Magnetfeld die Maschinen nach vorn, Stahl raste unter ihnen dahin, Markierungen verschwammen, und dann zischten ein, zwei, drei Jäger aus der Transitstation.

    Die Triebwerke starteten mit einem tiefen, markerschütternden Wummern. Hände in Fingerhandschuhen um Griffe. Ernste Gesichter hinter Visieren. Die Jockeys sahen dem Highway entgegen. Dann katapultierte das Magnetfeld die Maschinen nach vorn, Stahl raste unter ihnen dahin, Markierungen verschwammen, und dann zischten ein, zwei, drei Jäger aus der Transitstation.

    Es ging um den Highway, jede Sekunde zählte! Ein Ring aus Raumbojen markierte den Eintrittspunkt ins Wurmloch. In unmittelbarer Nähe dieser Highwayauffahrt hing die Transitstation im All. Aus dem Highway war eine Jägerstaffel geschossen und machte sich wie ein Rudel Wölfe über die Highwaystation her, Kian sah ihre Leuchtspurmunition selbst ohne Zoom.

    Highwaystationen beschießen war nicht die feine Art. Er schnaubte.

    Die Jäger von Crashdummy, Firebird und Blink mussten diese Bandits zu Klump schießen, bevor die die Highwayauffahrt in ihre Gewalt brachten.

    »Smashsmashsmash!«, murmelte Kian, seine Linke begann über Tasten zu huschen. »Was für miese Lowbros attackieren eine Highwaystation?«

    Die Gang der Intentionals und ihre Schützlinge in dieser Region des Freeturfs brauchten die Station, um zu überleben.

    Das hier durfte nicht in die Hose gehen.

    »Okay, Leute«, ertönte Firebirds Stimme in Kians Kopfhörern. Das Bild aus dem Cockpit heraus ins All verschwand und wurde durch Nneka Firebirds Gesicht hinter dem eckigen, durchsichtigen Visier ersetzt. Die tätowierten leuchtenden Punkte in ihren Augenbrauen – zwei links, vier rechts – glommen Kian geradezu hypnotisch entgegen, ebenso die phosphoreszierenden blauen Strähnen ihrer widerspenstigen, weißgrau gefärbten Mähne. »Wir brauchen eure Hilfe. Wir haben keine Ahnung, wer diese Bandits sind, aber falls sie streamen, könnt ihr sie finden. Durchsucht eure Abos, eure Channels, eure Feeds, und wenn ihr sie habt, haut mich an, Leute, es ist ernst. Wir müssen wissen, wie viele es sind, wer sie sind, wie gut sie bewaffnet sind – was sie draufhaben und vor allem: was sie vorhaben. Wir sitzen sonst hier abso-smashin’-lutely auf dem Trockenen!«

    Firebird klang cool und beherrscht, wie immer, aber Kian hörte ihrer Stimme die Anspannung an. Er war einer dieser Leute, an die sie sich wandte – ein Zuschauer vor dem Bildschirm, gebannt von dem sich anbahnenden Raumkampf viele Highwayauffahrten entfernt.

    Rasch sah er sich nach rechts und links um. In der rohen Betonhöhle des Loco Hana sah ihn niemand prokrastinieren, obwohl der Raum brechend voll war. Alle waren mit sich selbst, ihren Tablets oder ihren Bros beschäftigt. Aber was er hier tat, war nicht bloßes Zeit-Totschlagen! Firebird hatte ihn und all ihre Fans um Hilfe gebeten.

    Die drei Cockpitkanäle der Intentionals schrumpften zu kleinen Fenstern in der oberen rechten Ecke, als Kian mit Schnellstartgesten auf dem aufgestellten Tabletbildschirm Loggtube, Pixxor und Yologram aufrief. Als sich die Fenster öffneten, überlagerten sie gnädig das Projekt, an dem Kian eigentlich gerade hätte arbeiten sollen – das Promotionvid, zu dem Marlene ihn verdonnert hatte.

    Kians Finger huschten über die auf den etwas schmierigen Tisch projizierten Tasten – gleichzeitig behielt er die Streams im Auge. Wenn ausgerechnet ihm etwas auffallen würde, was niemandem von Nnekas Followern auffiele, dann …

    Dann was?

    Er war selbst nicht einfach irgendwer, er war kein Planetside-Kid, das sich nach einem Like von einer der größten Gramstar-Pilotinnen des Free-Turf sehnte. Er war eher Nnekas Kollege als ihr Follower, Tatsache! Er war nicht mehr der gelangweilte Navigationstrainee aus dem vorletzten Jahr, oder der halb obdachlose Typ aus dem letzten Jahr, der sich mit magerem Loggtube-Money über Wasser hielt, indem er die Videos erfolgreicherer Leute neu zusammenschnitt und auf seinen eigenen Account hochlud.

    Das war letztes, vorletztes Jahr gewesen, es schien ihm ein halbes Leben her. Das war ein kurzes Tief gewesen, einfach eine Zeit, durch die er sich hatte durchbeißen müssen. Mittlerweile flog er wieder, und zwar als Jockey, nicht wie vorher als Navig-Copilot auf einem Frachter. Kian war Teil der Daredevils-Staffel, und auch wenn die noch keine von den ganz großen Nummern im Kobeni-Gürtel war, hatte er doch einen Riecher dafür, dass sich das bald ändern würde.

    Okay, zugegeben: Er war bisher lediglich Anwärter – auf der Rückseite seiner Jacke leuchtete auf Schulterhöhe über dem Gang-Logo das Wort PROSPECT. In leuchtenden Großbuchstaben.

    Es würde jedoch nicht mehr allzu lange dauern, dann würde Marlene ihn in die Ränge ihrer vollwertigen Jockeys aufnehmen – und dann konnte Nean, dieser N00b, die verdammten Promo-Vids zusammenschneiden, denn Kian – Kian war gekommen, um zu bleiben.

    Diese Jacke – tiefschwarzes, beinahe lichtschluckendes Kunstleder mit Protektoren, Insignien der Daredevils und leuchtenden Großbuchstaben auf dem Rücken – war unbemerkt von der Rückenlehne seines Stuhls gerutscht, während er den Livestream der Intentionals verfolgt hatte. Die Hintertür vom Loco Hana, in deren Nähe er sich mit dem Tablet breitgemacht hatte, öffnete sich mit Schwung, zwei Personen stapften in die Stammkneipe, und bevor Kian erfassen konnte, um wen es sich handelte, traf ein Fuß in abgenutztem Stiefel auf seiner Jacke auf. Knirschend brach etwas in der Elektronik der Leuchtbuchstaben.

    Doch statt sich zu beschweren oder der Person in dem Stiefel auf die Nase zu hauen, begriff Kian genau in diesem Moment und genau bei dem Gedanken an den Stiefel, wer die Transitstation der Intentionals angriff und fuhr wieder zum Bildschirm herum. Der Stiefel war nur die Kleinigkeit, die eine Kettenreaktion in Gang setzte: Was Kian da auf dem Bildschirm sah, war ein lupenreines Bootkick-Manöver! Einer der feindlichen Jäger übernahm für die ganze Banditgang die Defensivmaßnahmen. Als Firebird und ihre beiden Wingpals Raketen abfeuerten, zerstörte dieser eine, wendige, aber unauffällige Jäger jede einzelne mit einer Flakkanone oder lenkte sie mit zielgenau abgefeuerten Streukörpern aus der Bahn. Dieses Bootkick-Manöver war nur mit KI-unterstützten Systemen möglich. Das Reaper-Virus, ursprünglich geschaffen, um das Entstehen künstlicher Intelligenzen zu verhindern, war in fast allen Computersystemen der Menschheit fest eingenistet. Dieser Chopper wandelte auf einem schmalen Grat: seine Abwehrsysteme waren schlau genug, aber nicht so schlau, dass sie vom Virus lahmgelegt wurden.

    Auch alle anderen Attribute, die Kian von hier aus erkennen konnte, passten zu diesem großkotzigen Arschloch Nerva Riz von der VantaVortex-Gang. Riz streamte nie, aber sein Wingpal Cloudburst sendete sogar Vids, wenn er sich splitternackt in einer shady Asteroidensauna herumtrieb.

    Kian suchte mit fliegenden Fingern Cloudbursts Flygram-Account und ignorierte die Stiefel, die auf dem Weg in die Bar kleine Splitter des Schriftzugs hinterließen.

    Offline! Der Hund war schon seit einundfünfzig Stunden offline, wie konnte das sein, er war niemals offline!

    Kian klickte durch die letzten Vids. Tatsächlich war der Zwischenfall in der Asteroidensauna das jüngste – es brach mittendrin ab und seitdem war Cloudburst off. Das Vid wies Tausende Kommentare auf, ganze Geschichten entspannen sich darunter, die Gerüchteküche im Netz kochte hoch. Das Letzte, was bekannt war: alte Bekannte hatten Cloudburst aufgelauert, und das Ganze war hässlich geworden.

    Irgendetwas musste da drin passiert sein, was Cloudburst unter Druck setzte. Keine Gang mit einem Funken Anstand zerstörte eine Transitstation an einem Wurmloch, das war eine boots Arschlochaktion!

    Aber die Sache mit der Asteroidensauna war groß in den Medien gewesen, am Schluss war da eine Menge explodiert, und Vloggerix Gingko hatte ein Vid gepostet, in dem xier dargelegt hatte, dass es wahrscheinlich war, dass die ganze Provokation auf Mittelsmänner der Gater zurückging. Kian hatte nicht länger drüber nachgedacht, denn wenn es nach Gingko ging, war alles, was im Gürtel so geschah, eine Intrige der Gater.

    Aber Tatsache war: Irgendwer hatte Cloudbursts und Riz’ Staffel in der Hand, hatte einen Gefallen eingefordert, unmoralisch viel bezahlt oder sie schlichtweg gezwungen. Nun führten sie den Willen dieser dritten Partei aus – offline und im Dunkeln, damit sie keine Follower verloren.

    Es war alles völlig logisch.

    Kians Finger zuckten zur Tastatur.

    Und jetzt?

    Ihm blieben nur Sekundenbruchteile für das kurze moralische Dilemma: Er wollte die VantaVortex-Staffel nicht von den Intentionals geschreddert sehen. Aber umgekehrt konnte er auch nicht mitansehen, wie die Vantas die Station in die Luft jagten.

    Er markierte Riz’ und Cloudbursts Chopper in einem Screenshot.

    Das sind Riz und Cloudburst von VantaVortex, schrieb er in die Kommentare unter Firebirds Livestream. Er packte den Screenshot dazu. Möglich, dass sie gezwungen werden.

    »Marauder!«, hörte er hinter sich.

    »Ja, ja!«

    »Wenn ich sage alle, dann meine ich alle!«

    Kian fuhr herum. Der Gedanke an das Schicksal der Intentionals machte es ihm schwer, aber Marlenes Stimme hatte Befehlsgewalt. Und ziemlich viel hing davon ab, welche Meinung sie von ihm hatte.

    »Was macht das Vid, Marauder?«, bellte sie von der Theke, wo sie passend dazu den Cyborgköter – fünfundvierzig Prozent Fell, fünfundvierzig Prozent Chrom und zehn Prozent Sabber – kraulte. Bulldoxx, der Hauptsponsor der Daredevils, hatte ihr das Viech zukommen lassen. Kian schnappte sich das Tablet mit beiden Händen, faltete es zusammen und brach schließlich die Oberflächenspannung, sodass es sich wie ein Armband um sein Handgelenk legte.

    CybeVee-Tab X07, heißer Scheiß.

    Er bückte sich rasch nach seiner Jacke. Er wusste, dass Marlene wusste, dass das Vid gar nichts machte – nicht, wenn der, der es zusammenschneiden sollte, anderes im Kopf hatte.

    Der Stiefel auf seiner Jacke hatte dort einen staubigen Abdruck hinterlassen. Zwei Buchstaben blinkten nur noch kläglich, was aus dem Schriftzug PRO PE T machte.

    Yokai hatte sich am Tisch herumgedreht, an dem sie mit ihrer Schwester Kami ein knallbuntes Hologame gezockt hatte, und lachte laut los, als sie die Jacke samt Schriftzug erblickte. »Was steht da auf deiner Jacke? Propet? Bist du jetzt unter die Propheten gegangen, Kian? Hast du ein neues Callsign?«

    Er zuckte mit den Schultern und hängte sich die Jacke über. Die Daredevils bildeten nun einen lockeren Halbkreis zur Theke, hinter der Purple stand und gerade Woqqa für alle einschenkte. Kurz wurde es so leise, dass Kian das Gluckern in der Flasche hören konnte, nur unterbrochen vom lockenden Gedudel des VR-Spielautomaten in der Ecke.

    Bacon hatte sich auf einen Tisch gesetzt und so weit zurückgelehnt, dass er sich auf die muskelbepackten Unterarme stützen konnte. Die Tischbeine ächzten unter dem Gewicht des bärbeißigen Kerls mit dem zottigen Salz-und-Pfeffer-Bart, der eine hässliche Lederkappe über seine von Leberflecken übersäte Halbglatze gezogen hatte. Die letzten fettigen Haarsträhnen ragten darunter hervor. Rechts von ihm hatte Eyegle xiesen Stuhl zurückgezogen, vermutlich, um nicht im Falle des Falles vom zusammenbrechenden Tisch verletzt zu werden. Xier hatte die grün glimmenden, kybernetisch verstärkten Linsen auf Marlene und den Neuankömmling gerichtet, und auch die beiden Zwillingsschwestern Kami und Yokai sahen nach vorn. Neben den beiden saßen Nean und Tabs und sahen gerade von ihren Tablets auf. Beide waren wie Kian Prospects, aber das war auch schon das einzige, was sie gemeinsam hatten. Das, und das Bestreben, diesen Status vor den zwei anderen loszuwerden.

    Kian setzte sich dazu.

    Im schummrigen Licht des Hinterzimmers vom Loco Hana, der Stammkneipe der Daredevils, war die Gestalt hinter Marlene beinahe unsichtbar gewesen.

    Sie war alles, was Marlene nicht war, und umgekehrt.

    Sie war die Besitzerin des Stiefels.

    Marlene, Callsign »Deardevil«, trug heute eine grauenhafte pinke Schirmmütze mit der Aufschrift QUEEN auf ihren lila gefärbten und teils etwas unmotiviert herabhängenden Locken. Marlene war weiß, ihr Gesicht faltig und um die Augen herum in einem nicht ganz treffsicheren Lilaton geschminkt. Ihre Lippen waren mit dem Alter schmal geworden, der rosa Lippenstift in den kleinen Fältchen darum geronnen. An einer Seite hing ihr Mundwinkel ein wenig, als spüre er noch dem Gewicht der Zigarette nach, die sie normalerweise darin zu tragen pflegte. Ihre Jacke zierte dieselbe Aufschrift wie die Kappe, und an einer goldenen Kette hing um ihren Hals ein weiterer Hinweis auf ihre Position innerhalb der Daredevils.

    Marlene war nun einmal die Queen, die Staffelführerin im All und President der Gang auf festem Boden. Marlene war am ganzen Körper tätowiert, die Tattoos (einige davon stellten Königinnen der irdischen Vergangenheit dar), ragten aus ihrem tiefen Ausschnitt heraus und erstreckten sich bis auf die Finger, die in klassischen Fingerhandschuhen steckten. Ein kleiner Dolch war neben den rechten Augenwinkel tätowiert, ein Andenken an die Drunken Daggers, bei denen sie ihre Karriere begonnen hatte. An Marlenes Armgelenken klimperten Armreife und verzierte Lederbänder, an ihren Ohren baumelten zwei schwere goldene Totenköpfe und zogen ihre Ohrläppchen lang.

    »Bros, ich will euch wen vorstellen«, raspelte ihre Stimme, und sie setzte den Chromköter, der auf den Namen MacGuffin hörte, ab. »Jeder von euch Schätzen kriegt ein Glas, aber pronto. Prospects, verteilen!«

    Als Kian gehorchte, nach vorn ging und nach den von Purple gefüllten Woqqa-Gläsern griff, warf er einen Blick auf die Person neben Marlene. Sie war ein wenig kleiner und wirkte, als wolle sie unauffällig im Hintergrund bleiben, obwohl sie schon wusste, dass es ihr nicht gelingen würde.

    Kurzer, schwarzer Afro. Kein Schmuck, keine Kybernetik – doch, halt: Als Kian sich zur Theke vorbeugte, sah er ein schwaches Glimmen im Kragen ihrer insignienlosen, schlichten Lederjacke. Reflexmodder in der Wirbelsäule, und sie war eitel und reich genug (gewesen?), um die beleuchtete Version zu nehmen, die durch die dunkle Haut schimmerte. Kian merkte sich das. Handelte es sich bei dem Neuankömmling um ein Corp-Turf-Kid?

    Er drückte ihr ein Glas in die Hand. Sie lächelte nicht, nahm es aber an. Ihre Augen musterten ihn, die Lippen verzogen sich leicht. Sie war vielleicht Ende zwanzig, nicht viel älter als er, wenn überhaupt.

    Als alle mit Gläsern ausgestattet waren, hob Marlene ihres vor ihr Gesicht.

    »So, jetzt. Ich will euch meine Tochter vorstellen. Danai. Das hier ist meine Kleine, und ich bin sehr froh, dass sie uns … ich würde sagen, für längere Zeit besucht.«

    Absolute Stille im Hinterzimmer. Die Türen waren so gedämmt, dass normalerweise kein Laut von draußen hereinkam und die Daredevils von außen nicht abgehört werden konnten, doch Kian konnte schwören, dass es so leise wurde, dass er von draußen angetrunkenes Lachen vernehmen konnte.

    »Das ist deine Tochter?«, platzte Bacon schließlich mit einer Frage in die Stille, die sonst niemand zu fragen wagte. »Ich mein, no yolo, aber sie sieht besser aus, als du je ausgesehen hast, dear!«

    »Ihr Vater ist ein Snack von einem Mann, Bacon, und jetzt lass deinen SSW-Laber, oder du siehst, was du davon hast. Ich bin stolz, dass Danai in meine Fußstapfen getreten ist und Pilotin geworden ist. Wir hatten eine Weile keinen … besonders innigen Kontakt, aber jetzt ist sie hier, und ihr werdet alle boots nett zu ihr sein, capice?«

    »Corp-Pilotin ist deine Kleine geworden, was? Das ist ja eine lustige Berufswahl für das Kind der berüchtigten Deardevil«, ließ Yokai mit zuckersüßem Lächeln hören. »So sieht doch keine Free-Turf-Jockey aus, oder, Snack-Häschen?«

    Beide Kommentare ließen Danais Miene gefrieren, aber sie sagte keinen Ton und reagierte auch sonst nicht nennenswert.

    »Danai wird bei uns mitfliegen, und Yokai, du wirst noch froh sein, wenn sie dir den Arsch rettet, Schätzchen«, sagte Marlene eisig, und alles daran, ihre Stimme, ihre Mimik, ihr Blick, brachten Kami sofort zum Schweigen. Die fuhr sich nervös über die rasierte Seite ihres Sidecuts.

    »Also, wie schon gesagt«, fuhr Marlene fort, »Danai fliegt bei uns mit, sie ist ab jetzt vollwertiges Mitglied, und ihr werdet hübsch und boots nett zu ihr sein, sie ist nämlich meine Tochter.«

    Bei den Worten »vollwertiges Mitglied« schoss Kians Blick zu Nean, der ihn erwiderte. Da tauchte die Braut aus dem Nichts auf und musste sich nicht einmal von der Prospect zum Vollmitglied hochdienen? Als Tochter der Queen war sie automatisch eine Prinzessin? Nean verzog ebenfalls den Mund.

    »Ist sie stumm?«, fragte Eyegle und deutete auf xiese Ohren und xiesen Mund. Kian wusste, dass die Frage nicht spöttisch gemeint war, Eyegle beherrschte die im Kobeni-Gürtel übliche Gebärdensprache, weil eines xieser Kinder gehörlos war. Danai wusste das nicht und verengte zornig die Augen.

    »Bin ich nicht«, sagte sie, doch es klang, als müsse sie die Worte hervorzwingen.

    »Noch eine Sache. Meine Kleine hat ein bisschen was angestellt, ihr werdet sie nicht filmen und ihr Gesicht nicht streamen, und sie wird auf keinem eurer smashwit Yologram- und Pixxor- und Wasweißich-Accounts auftauchen. Nur mit Helm oder in ihrer Maschine, also zügelt euren Durst nach Likes, Hundo P? Macht es ein bisschen mysteriös, so was mögen die Follis. So, jetzt trinken wir auf dich, Liebes«, sagte Deardevil, Queen und President, und alle hoben unter dem strengen Blick ihrer Anführerin die Gläser. »Auf meine Tochter, Danai, auf ihre Aufnahme in die Daredevils, darauf, dass sie eine von uns wird. Darauf, dass wir da draußen und hier drinnen auf ihre Sechs achten und ihre Wingpals sind.«

    Sie sah Danai auffordernd an. Kian fragte sich, ob sie wusste, was von ihr erwartet wurde. Die beiden waren zusammen über seine Jacke gelatscht, Marlene hatte ihre Kleine sicher draußen schon gebrieft, wie sie sich zu verhalten hatte. Trotzdem zögerte Danai.

    »Auf … auf die Daredevils«, stieß sie schließlich ein wenig verkrampft hervor und stotterte beim ersten Wort. Dann legte sie den Kopf in den Nacken und kippte den Woqqa, dieses Teufelszeug aus den Mecha-Werkstätten, das einem die Schleimhaut wegätzte. Kian erwartete, dass sie husten würde, während er seinen Schnaps in drei kleineren Schlucken trank, doch sie beherrschte sich und starrte ins geleerte Glas, als wolle sie allen Blicken ausweichen.

    Ist sie schüchtern?, fragte sich Kian. Oder hält sie uns einfach nur für Abschaum?

    Wenn Letzteres der Fall war, dann musste sie einigen Dreck am Stecken haben, um von ihrem vermutlich sicheren Corp-Turf und ihrem offenkundig gut bezahlten Job hierher unter die Jetflügel ihrer Mutter zu flüchten. Kian juckte es in den Fingern – vielleicht würde das Netz ihm etwas über eine desertierte Pilotin verraten.

    Turf-Rock-Gitarrenklänge erfüllten das Loco Hana und vermischten sich mit dem Stimmengewirr, dem Geruch nach Leder, Maschinenöl, Ozon, Schweiß und Bier zur schäbigen Atmosphäre einer Jockey-Bar des Kobeni-Gürtels.

    Danai fühlte sich wie in einer schlechten Webshow: Die Leute redeten hier wirklich so, gaben sich knallhart, tranken zu viel und lachten zu laut miteinander. Sie steckten die Köpfe zusammen, um die neusten Vids anzusehen, stritten sich über Ausrüstung, Tuning und Kompetenz und ahmten mit ihren Händen besonders spektakuläre Chopper-Manöver nach, die sie vermutlich beobachtet und wohl kaum selbst gewagt hatten. Leder, Tattoos, Cyberware und Druckanzüge waren allgegenwärtig. Gleich ob Jockey, Enforcer oder Mecha – im Loco Hana entspannten sie sich zwischen den Runs.

    Allerdings fühlte sich der Raum seltsam falsch an. Die Art, wie sich die Menschen bewegten und wie verschüttete Flüssigkeit über Tischplatten rann – es lag vermutlich nur an der Methode, wie die Gravitation auf diesem Gesteinsbrocken erzeugt wurde. Nicht allein mittels Manipulation von Gravitonen-Feldern, nicht ausschließlich durch die eiernde Rotation des Asteroiden, in dem sich die Bar befand, sondern aus einer Kombination dieser beiden Techniken. Auch das trug zu Danais Eindruck bei, sich in einer Show und nicht in einer skurrilen Episode ihres echten Lebens zu befinden.

    Die meiste Aufmerksamkeit zogen gerade zwei knutschende Typen an einem der Tische auf sich, die so heftig zur Sache kamen, dass sie von einer dabeistehenden Frau im Mecha-Overall johlend gefilmt und wahrscheinlich live gestreamt wurden. Sie hielt ihr zusammengefaltetes Tablet als Aufnahmegerät in der einen Hand, in der anderen eine Bierflasche, und sie schwankte sichtbar.

    Wer tat sich so einen Scheiß im Datanet an? Danai musste sich konzentrieren, um nicht unwillkürlich mit den Augen zu rollen.

    Mama drängte sich an ihr vorbei, in eine Diskussion mit einer Frau um die vierzig verstrickt, die durch ihre langen Dreads und das riesige Tattoo eines Dämons auffiel, das vorn und hinten aus dem Ausschnitt ihres schmuddeligen Tanktops lugte. Danai tippte, dass es sich um ein Viech aus der irdisch-indonesischen Mythologie handelte. Mama hatte ihr vorhin gesagt, dass ihre Vice-President Garuda hieß, und der unmissverständlich missmutige Blick, den sie Deardevil zuwarf, ließ darauf schließen, dass es sich um das angekündigte Streitgespräch handelte. Mama hatte prophezeit, dass sie ein solches würde ausfechten müssen, wenn sie einfach aus dem Nichts ihre Tochter mit ins Loco Hana brachte.

    Es war schließlich nicht Bring-dein-Kind-mit-zur-Arbeit-Tag.

    Danai nippte an ihrem Bier. Sie hatte sich an einen kleinen Tisch in einer Ecke des Raums zurückgezogen – natürlich saß sie allein. Smalltalk schied in einer solchen Umgebung für sie aus. Selbst wenn das alles ihr vorkam wie eine Soap-Show im Netz: Sie musste es ernst nehmen und durfte es sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Einer der Gründe, aus denen sie bei genau einem Glas bleiben würde. Sich hier mit diesem wahrscheinlich selbstgebrannten Woqqa-Fusel abzuschießen wäre wohl ihre schlechteste Idee, seit sie aus dem Corp-Turf abgehauen war. Immerhin schmeckte das lokale Zeug erstaunlich gut, viel besser als das charakterlose Gesöff aus der Offiziersmesse.

    Aber das tröstete sie kaum über die fremde Umgebung, die unbekannten Leute, die ungewohnten Sitten und diese sexuell aufgeladene und gleichzeitig irgendwie unkalkulierbar gewaltbereite Atmosphäre hinweg. Nicht, dass sie diese toxische Proll-Attitüde nicht von der Akademie kannte, aber damals waren sie wenigstens alle Neulinge gewesen, und die Regeln wurden ihnen von den Ausbildenden ständig ins Hirn geschrien.

    Zu allem Überfluss hatte Mama sie bei ihrer Vorstellung zu einer vollwertigen Jockey befördert. Danai zweifelte keine Sekunde daran, dass sie das fliegerisch verdient hatte. Sie hatte es nun mal drauf, und das wusste selbst Mama. Aber diese retardierte Bande von likesüchtigen Alkis, die sich Daredevils nannte, wusste es nicht. Eigentlich mussten Anwärterinnen eine Phase der Demütigung und Selbstbehauptung durchstehen – einer Grundausbildung nicht unähnlich, kam ihr in den Sinn – und sie hatte das einfach übersprungen. Das würde man ihr nicht so leicht verzeihen.

    Danai hatte Schutz gesucht, ja, ein verdammtes, neues Zuhause, nachdem sie Hadronic hinter sich gelassen hatte. Dass sie aber gleich mit fliegenden Fahnen in die Gang aufgenommen wurde, war nicht abgesprochen gewesen. Jetzt konnte Danai allerdings auch nicht zurückstecken. Weder konnte sie es mit ihrem Ego vereinbaren, sich selbst zum Prospect zu erklären, noch würde eine solche Bescheidenheit ihr Standing hier verbessern. Es wäre genau das Zeichen von Schwäche, auf das diese Raubtiere lauerten.

    Sie wurde schon die ganze Zeit beobachtet, und es war nur eine Frage der Zeit bis … ja, da kam sie auch schon, die Quittung für die Anmaßung, die Mama ihr eingebrockt hatte: Die drei Prospects der Gang steuerten, nach einer Druckbetankung sichtlich angetrunken, von der Bar aus auf sie zu. Drei gekränkte Halbstarke, das bedeutete Ärger.

    Danai blieben nur wenige Optionen. Sie konnte ihr kaum geleertes Bierglas stehenlassen und sich ins Quartier verkrümeln, das Mama ihr schon im ehemaligen Arbeiterkomplex des Minenasteroiden zugewiesen hatte. Aber jetzt einfach zu verschwinden würde die Konfrontation nur hinauszögern. Sie sah sich um. Von der President keine Spur. Letztlich war das gleichgültig. Wenn Danai jetzt nach ihrer Mama rief, wäre sie endgültig unten durch.

    »Da ist es ja, unser neues Vollmitglied«, spottete die junge Frau in der Mitte des Trios. Ihre kleine Gestalt und die zarten Gesichtszüge standen im Kontrast zu ihrer Glatze und dem Tank-Top, das den Blick auf ihre kräftigen Arme frei ließ. Subkutane Stränge unter dunkler Haut verstärkten ihre Oberarmmuskeln und vermittelten zusammen mit Schlangentattoos den Eindruck eines wimmelnden Gewirrs auf ihrer Haut. Callsign »Tabs«, erinnerte sich Danai.

    Zu Danais Linken beugte sich ein schmächtiger, weißer Kerl mit langer, platinblonder Haarmatte zu ihr herab und grinste herausfordernd. Eine neurologische Schnittstelle war seitlich an seinem Hals angebracht und in seine nackte Hühnerbrust waren zahlreiche Zierblättchen implantiert.

    Dean, oder so? Nein, Nean. Noch ohne Callsign.

    Ganz rechts und etwas abseits stand der dritte, auf dessen Jacke sie beim Eintreten gelatscht war, weil ihr Blick so angespannt von Gesicht zu Gesicht gewandert war. Mit verschränkten Armen und düsterem Blick musterte er sie. Er war stämmig und muskulös, bartlos, das lange Haar zu einem Dutt gebunden. Er war Navig oder wollte zumindest den Anschein erwecken, denn ein Geflecht von dunklen und dennoch fluoreszierenden Linien bedeckte Arme, Hände, Finger und Hals. Es breitete sich sogar im Gesicht übers Kinn und wie zwei stilisierte Flügel über die Stirn aus. Die Tätowierungen wirkten wie irgendetwas zwischen Datenleitungen und Beschwörungssymbolen einer vergessenen Religion. Kian, Callsign »Marauder«, oder war es »Prophet«? Zu viele neue Namen …

    Die drei trugen, wie beinahe alle hier im Raum, ärmellose Kutten mit Projektionen des Ganglogos auf dem Rücken: dem Teufelsgesicht mit der Retro-Fliegerbrille. Alkoholgeschwängerter Atem schlug ihr entgegen.

    Danai lehnte sich in ihre kunstlederbezogene Sitzbank zurück und gab sich Mühe, ganz entspannt zu wirken.

    »Andere müssen hier hart arbeiten. Aber mit einer Mum, die zufällig Queen und President ist, erspart man sich jede Menge Drecksarbeit. Nicht wahr, Prinzessin?«, fragte Tabs, als befänden sie sich gerade bereits mitten im Gespräch.

    Nean lachte dreckig, als hätte die Glatzentussi etwas besonders Schlagfertiges gesagt. »Ha! Genau – Prinzessin!«

    »Leck mich«, antworte Danai nur und nahm demonstrativ gleichgültig einen Schluck Bier.

    »Oh«, spottete Tabs und deutete eine fahrige Verbeugung an, »verzeiht, Eure Hoheit, dass das Fußvolk Eure Kreise stört. Dann lasst doch die Hose runter, damit ich der durchlauchtigsten Anweisung den königlichen Arsch betreffend besser nachkommen kommen!«

    Nean überschlug sich vor Lachen und hämmerte mit der Faust auf den Tisch, immer noch nach vorn gebeugt. Er schien nicht die hellste Diode in der Konsole zu sein, wohingegen Tabs sich übertrieben gewählt ausdrücken konnte.

    »Was denkst du dir, Frischling?«, hakte Kian ein. »Kommst hier ins Loco Hana, kriegst von deiner Mami ’ne boots Extrawurst gebraten, und anstatt uns ein Bier auszugeben wie ein Ehrenbro, kriegen wir von dir nur ein ›Leck mich‹? Aus welchem Grund hältst du dich für was Besseres, du Corp-Frakster?«

    Danai beugte sich nach vorne, um zu antworten. Wie immer in Situationen dieser Art kämpfte sie darum, die passenden Worte aus ihrem Mund zu pressen und suchte nach alternativen Wegen: Wörter, die nicht mit Vokalen begannen. ›Arschloch‹, ›aber‹ und ›albern‹ fielen damit weg.

    Wie sollte das für sie in dieser verdammt lächerlichen Jockey-Soap-Show funktionieren? Wäre sie in der Lage, einen coolen Spruch zu droppen, hätte sie dem Trio damit vielleicht schon den Treibstoff aus den Triebwerken nehmen können, aber dieser Pfad stand ihr wie üblich nicht offen. Natürlich war sie nervös, wenn drei mit Wut und Alkohol vollgetankte Free-Turfler vor ihr standen – wie es jeder andere Mensch, egal wie hart drauf, in dieser Situation auch wäre. Aber ihr Stottern versaute ihr jeden lässigen Spruch, und wenn das Stottern ihn nicht versaute, dann das Nachdenken darüber, ob das Stottern ihn versauen würde. Dieses Drecksstottern gesellte sich zu ohnehin schon vorhandener sozialer Anspannung wie die Follower zu einem Gramstar. Und die Hyänen vor ihr würden ihre Sprechweise als nackte Angst auslegen, was den Jagdtrieb nur noch mehr anstacheln würde.

    »I–, nein, will keinen Stress, nur in Ruhe mein Bier trinken.« Alle Corp-Strategien, die sie kannte, um flüssig zu sprechen, waren vergessen. Andererseits hätte es hier auch kaum geholfen, wenn sie den Satz gesungen hätte. Also stotterte sie ihn.

    Und so sicher wie das Prost in der Bar lachte Nean sie aus.

    »Ru-ru-ru-ru«, äffte Tabs sie zeitgleich nach. »Jetzt hast du die Prinzessinnenhosen voll, was?«

    Danai hasste nichts im Leben so sehr wie dieses Nachäffen. Für sie war es nicht einfach Spott, wie er eben unter Jockeys, unter Pilotinnen, unter Angetrunkenen üblich war; für sie war es wie das Aufstoßen einer Tür zu all den vergangenen Schmähungen, und schlimmer noch: zum Ärger über sich selbst, nicht einfach normal sprechen zu können, zur Frage, ob sie es nicht einfach genug wollen musste, damit es doch klappte. Irgendwo musste dieser Zorn jetzt hin. Pech für die erbärmlichen Prospects. Leider blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als diesen drei Affen die Fressen blutig zu schlagen. Tabs, auf die sich ihre Wut fokussierte, war allerdings außer Reichweite. Sie nahm das zweitbeste Ziel: den vorgebeugten Nean und sein fieses Lachen. Ihre Faust traf ihn voll; ohne auszuholen ließ sie die Rechte vorschnellen und pflanzte sie seitlich in seine Fratze, wie einen brutalen Kuss direkt auf den Wagenknochen. Die Wucht des Hakens riss den Kerl von den Beinen. Er knallte am Tischrand auf und glitt dann unkoordiniert mit den Armen rudernd zu Boden.

    Noch in der Schlagbewegung war Danai aufgesprungen, aber Tabs hatte auch keine Sekunde gezögert. Sie packte Danai am gefütterten Kragen ihrer Fliegerjacke. Zum Glück verließ sich die Prospect dabei vor allem auf ihre verstärkten Cybermuskeln. Danai stieß einmal mit dem Kopf nach hinten, um den Reflexmodder einzuschalten und spürte dann das rauschartige Gefühl, als ihre körperlichen Reaktionen übermenschlich beschleunigten.

    Dazu kam ihr Training im Hadrona, der bei Hadronic Inc. favorisierten und für alle Mitglieder der Streitkräfte obligatorischen Kampfkunst. Sie drehte sich seitlich und schlug in einer raschen Bewegung mit dem Ellbogen von oben auf die sie greifenden Arme. Schon war sie dabei um den Tisch, bekam Tabs’ Kopf zu fassen und drückte fest zu, ein Griff wie in einem Schraubstock. Danai fühlte die aus Schmerz und Orientierungslosigkeit geborene Panik ihrer Gegnerin. Die Frau tastete wild herum, griff sich eine Flasche und zerschmetterte sie auf der Tischplatte.

    »Stopp!«, schrie Kian. Tatsächlich atmete Danai einmal tief ein und ließ von Tabs ab, bevor das hier in einer blutigen Sauerei für eine von ihnen beiden gipfeln würde.

    Tabs hielt den Flaschenhals, der in messerscharfe Glassplitter auslief, in der rechten Hand, und rieb sich mit der anderen den Kopf. Nean hievte sich mühsam hoch, setzte sich auf den Tisch und hielt sich den Kiefer. Eine Menge Augenpaare aus dem Raum richteten sich auf das Geschehen. Marlene schlug einer Frau im Mecha-Overall das vermutlich immer noch filmende Tablet aus der Hand.

    Keine Pics von ihrer Tochter.

    Während Danai noch für einen Wimpernschlag dankbar für diese rasche Reaktion war, stellte sich Kian zwischen Tabs und Danai, hielt beide Kontrahentinnen mit den Armen auf Abstand.

    »Stopp!«, wiederholte er. »Regt euch mal ab! Wenn ihr euch die Fressen einschlagt, wissen wir am Ende doch immer noch nicht, ob unser Prinzesschen den Jockeyposten verdient hat oder nicht. Wir klären das HOTAS, im Cockpit.«

    Danai nickte, zufrieden mit der Entwicklung. » Ich gegen euch drei Witzfiguren.«

    Tabs spuckte aus. »Lern du erstmal, ›Witzfiguren‹ graderaus zu sagen, Missy!«

    Danai spürte den Zorn wieder in sich aufsteigen, diesmal aber kälter, geduldiger, berechnender. Kian funkelte seine Bro an. »Gegen uns drei gleichzeitig?«, wandte er sich dann an Danai. »Vielleicht besser, wenn du früh merkst, dass du nicht unbesiegbar bist. Wenn du die Abreibung unbedingt auf diese Weise kassieren willst, sind wir dir ergeben zu Diensten und verpassen sie dir morgen nach dem Frühstück. Wir treffen uns auf dem Flugdeck.«

    Danai nickte. »Null Neunhundert

    Kian pfiff verächtlich. »Corps-Gelaber. Ja, ungefähr. Kann auch was später werden, ich schlaf gern aus.«

    »Wir werden sehen, Prophet«, sagte sie.

    »Mein Callsign ist Marauder!«

    »Schon klar, Prophet.« Jockeys konnten natürlich versuchen, ein Callsign für sich zu etablieren. Aber wenn sich eine Staffel einmal auf einen Rufnamen eingeschossen hatte, wurde man den nicht los, und Danai hatte ein Gespür dafür, wann ein Callsign dabei war, sich einzuschleifen. Kian wandte sich zum Gehen. Nean war schon verschwunden, vermutlich auf der Suche nach einem Beutel Eis, während Tabs immer noch unschlüssig herumstand. Die zerbrochene Flasche hatte sie zu Danais Erleichterung wieder auf den Tisch gelegt. Kian drehte sich um und richtete sich noch einmal an sie: »Apropos Callsign: ich will wissen, wen ich morgen in meiner Zieloptik haben werde, Frischling. Um Null Neunhundert. Epsilon-17, oder wie immer ihr euch in der Konzernfliegerei so nennt, is‘ hier nicht. Wie nennen wir dich unter Daredevils im Cockpit?«

    Sie hatte sich bereits Gedanken dazu gemacht. Natürlich: Ein Callsign war essenziell in der Jockeykultur, sie kannte die Klischees.

    Bisher war ihr nichts eingefallen.

    Icarus, die mit brennenden Flügeln mit ihrer Flugkunst zwischen Sonne und Meer bestehen musste? So hatte ihre erste Freundin auf der Flugakademie sie genannt. Nein. Keine Worte mit I am Anfang.

    Proton? Sie schüttelte den Kopf, das erinnerte zu sehr an ihre Hadronic-Vergangenheit.

    Hummingbird, passend zu einigen ihrer besseren Manöver? Zu platt.

    Vortex, die die Falschen in den Abgrund zieht? Nein, keine Lust auf ständige Gewissenbisse. Sie hatte nur Befehle befolgt.

    Sie entschied sich spontan für etwas anderes – etwas, das die Staffel sicher problemlos akzeptieren würde.

    »Princess«, antwortete sie. Sie sprach es aus, ohne zu stottern. Vielleicht ein gutes Omen. »Mein Callsign ist Princess.«

    »Ernsthaft? Wie passend«, sagte Kian. »Den Rest klären wir morgen – im All!«

    Dare to fly

    //Wizzler

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    Gramstar999: Geile Stunts da draußen! Hast du jemals im blassen Mondlicht mit einem Daredevil getanzt? Dass es die Neue so drauf hat wie @GarudaDD bezweifle ich aber!

    Tox-O-Meter: Ich habe gehört, jede Minute im Orbit um ein schwarzes Loch macht dich ein Jahr jünger. @Deardevil sollte das vielleicht mal versuchen, wenn sie weiter mithalten will.

    Drei Maschinen jagten mit Vollschub auf Danai zu. Eine gegen drei – die armen Schweine hatten keine Chance.

    Danai widerstand dem Impuls, beizudrehen, sich vorerst aus dem Staub zu machen und eine Gelegenheit zu suchen, bei der sie aus einem günstigeren Winkel würde angreifen können, der es ihnen nicht erlauben würde, sofort zurückzuschießen. Nein, durch Weglaufen machte man sich in einem Kurvenkampf nur zum Opfer. Sie war keins. Also drehte sie die Nase ihrer I-9 Slipstream den Kontrahenten entgegen und drückte den Schubhebel bis zum Anschlag nach vorn.

    Sie grinste: Zum Glück saß sie im Cockpit! Anders als in der schmierigen Jockeybar wusste sie hier, was von ihr erwartet wurde, wie sie eine Auseinandersetzung überstehen konnte, ohne das Gesicht zu verlieren. Sie genoss die vertraute Beschleunigung, die sie in den Sitz presste, das Adrenalin, das der nahende Raumkampf durch ihre Adern jagte, genoss es, wie ihre Aufmerksamkeit sich wie durch das Drehen eines Reglers, der sich nur im Cockpit drehen ließ, aufs Äußerste steigerte. Danai, nein, Princess nickte mit dem Kopf nach hinten und spürte das Kribbeln im Nacken, ein Zeichen dafür, dass ihre Cyberware erwachte, um ihre Nerven wie Drahtseile zu spannen. Sie bildete sich ein, die Wärme der elektrischen Impulse zu spüren, die ihre Wirbelsäule entlangliefen und sich als wohlige Euphorie in ihrem Körper breitmachten, um ihren Reflexen diesen zusätzlichen Kick zu verleihen.

    Mit einer Beschleunigung von mehreren tausend Metern pro Sekundenquadrat auf drei waffenstarrende Chopper zuzurasen war sicher nichts, was die meisten Menschen unter Spaß verstanden, zumindest dann nicht, wenn sie so etwas nicht lediglich mit VR-Brille konsumierten. Danai stand drauf. Bereits nach wenigen Sekunden waren die drei gegnerischen Daredevils auf Waffenreichweite heran und eröffneten das Feuer.

    Ein Hagel aus Leuchtspurgeschossen sirrte an ihrem Chopper vorbei. Dieses Sperrfeuer musste den Munitionszähler der Prospects wie einen Kreisel gen Null drehen lassen.

    Diese N00bs!

    Schließlich betätigte auch Danai den Auslöser an ihrem Steuerknüppel. Kurze, fiese Feuerstöße. Ein Wirkungstreffer war unwahrscheinlich, da sie selbst ständig kleine Ausweichkorrekturen fliegen musste. Aber das war auch nicht nötig, sie wollte die drei bei diesem Tanz nur ein wenig aus der Ruhe bringen.

    Die Raumjäger auf null Uhr – ihre Silhouetten erinnerten sie an Adler, groß und kraftvoll – waren schwerer gepanzert und spuckten ihre Verachtung für Danai aus einer größeren Anzahl Mündungsrohre. Ihre Slipstream war dagegen ein Falke. Sie war nur mit den Zwillingsläufen im Bug bewaffnet, aber sie konnte die geringere träge Masse ihres Abfangjägers agiler ausrichten. Außerdem verfügte sie über die Reflexe, Konstitution und Erfahrung, um auch bei abrupten Richtungswechseln ein Ziel anvisieren und treffen zu können.

    Und genau das tat sie. Während die drei Chopper an ihr vorbeirasten und bereits in zu weiten Kurven zu einem zweiten Anlauf ansetzten, ließ sie ihren Slipstream-Abfangjäger mit kurzen Stößen aus den Manöverdüsen waagerecht um die Mittelachse rotieren und feuerte eine Salve in den leeren Raum – direkt in die erhoffte Flugbahn eines dieser Möchtegern-Jockeys.

    Ihre Erwartung wurde nicht enttäuscht: Volltreffer! Der Chopper kreuzte die Bahn der Geschosse, die als blaue Mikro-Blitze über seine chromglänzende Oberfläche tanzten. Das Leuchten seiner Triebwerke erstarb, und er trudelte hilflos im All. In einem echten Gefecht wäre er bei einem solchen direkten Treffer aus nächster Nähe in Stücke gerissen worden – Panzerung hin oder her. In diesem Fall aber registrierten die Hüllensensoren der Maschine die elektrische Ladung der Übungsmunition, und eine Bordsoftware nahm Neans Maschine im Trainingsmodus für den Rest des Tanzes aus dem Spiel, indem sie alle nicht-lebenswichtigen Systeme herunterfuhr.

    Dann waren es nur noch zwei – Tabs und Prophet.

    Diese beiden hatten sich schnell vom Schreck erholt und die wenigen Sekunden genutzt, die Danai benötigte, um sich nach dem Manöver zu orientieren und sich von den Beschleunigungskräften, die der Trägheitsdämpfer nicht völlig hatte kompensieren können, zu erholen. Die beiden Jäger hefteten sich an ihr Heck und feuerten erneut aus allen Rohren. Danai flog ständig abrupte Kurswechsel, um einem Treffer zu entgehen, aber so würde sie sie nicht abschütteln.

    Ein Aufblinken der Comm-Anzeige verriet ihr, dass sie gerufen wurde, aber Danai hatte keine Lust auf die Sprüche, Angebereien und Drohungen ihrer Verfolger. Sie ließ die Anlage stummgeschaltet. Sie war nun Princess, und Princess fühlte sich geradezu lächerlich selbstsicher – selbst mit zwei gegnerischen Schiffen am Heck. Sie wusste, dass Können von unten wie Arroganz aussah, aber sie war nun einmal gut. Verdammt gut. Vielleicht einfach die Beste.

    Und dennoch: Auch im Trainingsmodus konnte diese arrogante Tollkühnheit sie das Leben kosten, warnte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Das unkontrollierte Manöver hätte auch in einer katastrophalen Kollision enden können, und das alles nur für einen Fake-Abschuss, um zu klären, wer die dickeren Eier in Stock oder Hose hatte. Dennoch erlaubte sie sich ein kurzes Lächeln. Dieses archao-anarchische Umfeld ihrer lange ignorierten Mutter, die ebenso ungeschriebenen wie ihr unbekannten neuen Regeln, all das war hier und jetzt vergessen.

    Zum Glück war ihre Konkurrenz entweder geil darauf, sie fertigzumachen, oder Danai hatte sie mit Neans schnellem Abschuss aufgestachelt: Sie konzentrierten sich jetzt ganz auf die Jagd und verschwendeten keinen Gedanken an Staffeltaktik. Einer der beiden hätte sie ablenken, sich als Ziel präsentieren oder sie in eine Serie von Scherenmanöver verwickeln können, während die andere ihre Maschine in Ruhe ins Visier nahm: ein klassisches Sandwich. Da sie das nicht taten, hatten sie zwar beide eine starke Position, aber damit konnten sie Danai weder überraschen noch aus der Reserve locken. Trotzdem durfte sie jetzt nicht zulassen, dass es sich die beiden Prospects dort hinten gemütlich machten. Früher oder später würden sie sich auf sie einschießen.

    Wie, um das zu bezeugen, sah sie blaue Funkenentladungen auf der langgezogenen Nase ihrer Slipstream aufflackern. Nicht genug, dass das System sie als zerstört verbuchte, aber genügend Motivation, diese Sache rasch zu beenden. Sie setzte zu einer Fassrolle an: Während sie den Schubregler zu sich zog und am Steuerknüppel riss, feuerte sie die Bremstriebwerke und die Manöverdüsen. Die beiden Prospects versuchten, ihr zu folgen, aber sie gingen nicht so weit wie Danai, setzten ihre Körper nicht der Belastung eines derart heftigen Richtungswechsels aus. Die G-Kräfte, die trotz Kompensator zu ihr durchkamen, zogen an ihr, pressten die Luft aus ihren Lungen und das Blut aus ihrem Hirn. Die Welt wurde erst in ein blasses, dann ein tiefes Rot getaucht, Danai fühlte den Rand einer Ohnmacht locken und grinste: Keine große Sache, nichts, was sie nicht schon hunderte Male geübt hätte. Wenn sie ehrlich mit sich war, liebte sie diesen Moment, in dem sie den Grenzen ihres eigenen Körpers nah kam, er war etwas ganz und gar Außergewöhnliches – ihr Sichtfeld zog sich so weit zusammen, dass sie kurz davor war, sich selbst im All zu verlieren. Dann ließ der Druck in ihrem Schädel schlagartig nach. Sie sog die Luft ein, Euphorie und die Lust an der Angst vor dem Kontrollverlust fluteten ihre Adern. Und der Einsatz lohnte sich. Während sich die beiden Prospects noch in der Rolle befanden, setzte sich Danai hinter sie. Einer der beiden Chopper tauchte direkt im Fadenkreuz ihres Zielsystems auf.

    Feuer.

    Treffer!

    Ziel zerstört.

    Sie erlaubte sich ein erneutes Grinsen.

    ***

    »Tabs? Melden, Tabs!« Das Comm schwieg ihn an. Tabs war raus.

    Was für eine verdammte Killerpilotin! Wie konnte es sein, dass die ganze Sache noch keine Minute dauerte, in der sie bereits seine beiden Wingpals erledigt hatte? So etwas hatte Kian noch nie erlebt. Princess würde heute den Tag ihres Lebens haben, nachdem sie ihnen diese Abreibung verpasst hatte. Drei gegen eine – was bei allen verglühenden Sonnen war hier gerade passiert?

    »Verdammte fick-smash Kackscheiße! Diese verfluchte Frakster!«, verbalisierte er seinen Frust ins Comm. Keine Antwort. Sowohl seine deaktivierten Flügelbros als auch seine Gegnerin schwiegen. Das war überhaupt das Schlimmste daran: Princess führte sie hier vor, schoss sie ab wie blutige Laien, vermieste ihnen die Aufnahme als Vollmitglied – und noch

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