Früher war ich jünger: 41 Geschichten aus dem Leben eines einfachen Mannes
Von Herr KOFLER
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Buchvorschau
Früher war ich jünger - Herr KOFLER
Armin Assinger
gibt alles
Ende der Neunzigerjahre. Ich arbeitete bei der Kleinen Zeitung, als der Chefredakteur eine Frage an die versammelte Redaktion stellte: „Wer will mit Armin Assinger in einer Saab 105 fliegen? Keiner meldete sich. Ob das an Assinger, dem einstigen Schisportler, der später als „Millionenshow
-Moderator zum Star wurde, oder am alten Militär-Jet lag, weiß ich nicht.
Zwei Stunden später fand ich mich in der „VIP-Schaukel wieder. So nannte man beim Heer die viersitzige Saab, eine Sonderanfertigung, ursprünglich zu Ausbildungszwecken konstruiert, die zusätzlich verwendet wurde, um Promis den Himmel zu zeigen. Assinger hatte den Flug zum Geburtstag geschenkt bekommen. Und weil der Platz neben ihm frei geblieben wäre, hatte das Heer die größte Zeitung Kärntens eingeladen. „Ihr werdet 15 bis 20 Minuten in der Luft sein, nicht länger
zwinkerte uns der Presseoffizier zu. Assinger und ich, beide in kurzen Hosen (es war Hochsommer), lachten souverän. Es sollte das letzte Lachen an diesem Tag sein. Als die Saab über die Klagenfurter Rollbahn hinausdonnerte und abhob, war uns augenblicklich klar: Das wird bitter. Sehr bitter. Der Flug sollte, entgegen der Ankündigung, fast eine Stunde dauern. Die – zum damaligen Zeitpunkt – längste Stunde meines Lebens. Wir flogen vom Großglockner bis zum Murtal, kreuz und quer. Als Feinddarsteller in einer Heeres-Übung, wie uns der Pilot erst nach einiger Zeit erklärte.
Es war schrecklich. Wenn man das Fliegen in einem Jet nicht gewöhnt ist, hat der Körper massive Probleme mit Tempo und Fliehkraft. Ich war schweißgebadet, mir war übel, ich wollte raus. Egal, in welcher Höhe. Gerne auch ohne Fallschirm. Ich war bereit, vor den Herrn zu treten.
Doch Assinger ging es noch viel dreckiger als mir. Nach etwa 20 Minuten knickte er ein – und griff erstmals zu den Speibsackerln,die sich an der Rückenlehne der Pilotensitze befanden. Sie waren überraschenderweise von der Lufthansa. Assinger füllte unter lautem Würgen das erste Sackerl. Dann das zweite. Die Geräuschkulisse und der säuerliche Geruch, der sich im Cockpit verbreitete, machte es auch für mich nicht leichter. Wir mussten ein erbärmliches Bild abgegeben haben: Der große Sportler erbrach sich unentwegt, der kleine Reporter daneben schwitzend, pressatmend, den Blick starr geradeaus.
Dass ich es fast 30 Minuten lang schaffte, dem Co-Piloten nicht ins Kreuz zu kotzen, betrachte ich bis heute als eine meiner stärksten Willensleistungen. Assinger war deutlich weniger zurückhaltend: Bis zum Ende des Fluges hatte er alle verfügbaren Behälter in der Saab angefüllt. Er hatte sprichwörtlich das Letzte aus sich herausgeholt.
Nach gefühlten drei Tagen setzt die Saab endlich zur Landung an. Blöderweise hatte der Presseoffizier, der den Flug organisiert hatte, Rundfunk und Zeitungen informiert. Und so waren eine ORF-und mehrere Fotokameras auf uns gerichtet, als wir, durchnässt wie nach einem Dampfbadbesuch und aufeinander gestützt wie Kriegsverletzte, über die mobile Treppe aus dem Jet zum Asphalt hinunter taumelten. Himmelhunde auf dem Weg aus der Hölle.
Assinger gab keine Interviews. Wie hätte er auch sollen? Er konnte nicht mehr sprechen. Die Komantschen hatten ausgepfiffen. Die Presse verzichtete anständigerweise darauf, am nächsten Tag Fotos von uns abzudrucken.
Entscheidungsschlacht
an der Kot d‘Azur
Als meine Tochter zwei Jahre alt wurde, machten wir den ersten Familienurlaub. Das Geld war zwar knapp, doch Menschen, die in Villach leben, bleibt immer noch Lignano. Diese Perle der oberen Adria, mit ihren höchstens 100.000 identen Sonnenschirmen und Meerwasser in bester Kläranlagenqualität.
Die Stunden am Strand waren zäh: heiß, überbevölkert, laut. Solche Umstände wären wohl für viele Menschen mühsam gewesen, aber für mich, der ich am liebsten alleine mit dem Motorrad durch die USA fuhr, war es die Hölle.
Trost spendete meine Tochter. Von meiner Frau unter fünf Zentimeter Sonnencreme konserviert, stakste das bezauberndste Mädchen der Welt nackt bis auf ein mit Blumen verziertes Häubchen im Sand herum. Ganz vorne am Strand, dort, wo die Wellen ans Ufer kotzten.
Hannah trug eine Plastikschaufel in der linken, einen Kübel in der rechten Hand. So viel Neues, so viel zu entdecken, es waren aufregende Stunden für sie. Ich lag im seichten Wasser, dort, wo die anderen Kinder mit Vorliebe ihre Blase entleerten, und ließ mich von den sanften Wellen schaukeln.
Dann hatte Hannah etwas entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit nachhaltig erregte. Zwei italienische Buben, vielleicht fünf, sechs Jahre alt, hatten eine beachtliche Sandburg gebaut, nur wenige Meter von jener Stelle entfernt, an der ich den gestrandeten Wal gab. Die Burg war rund einen Meter hoch, vielleicht zwei Quadratmeter groß und von einem exakt gezogenen Graben umgeben, der mit Meerwasser gefüllt war.
Hannah hatte beschlossen, an den Bauarbeiten teilzunehmen. Die Buben hatten beschlossen, dies nicht zu dulden. Hannah näherte sich. Die Buben stießen sie weg. Hannah näherte sich. Die Buben stießen sie weg. Immer und immer wieder. Hannah war zäh. Das gefiel mir. Was mir weniger gefiel: die zunehmend grobe Art der beiden Fratzen. Die Zeichen standen auf Eskalation. Noch einmal, dachte ich, noch ein einziges Mal stoßt ihr mein Kind um und ich werde es rächen.
Während ich mir noch überlegte, ob es effizienter wäre, die beiden Dolme mit dem Schädel voraus in ihre Burg zu stecken oder ob ich sie doch besser in der Adria versenken sollte, fand Hannah einen eigenen Weg, ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen (und der Begriff „Ausdruck" passt hier ganz besonders gut).
Breitbeinig stellte sie sich über den Burggraben, einen Fuß in der Burg, einen draußen. Und dann, liebe Leute, dann schiss mein großartiges Kind einen imposanten Haufen und setzte ihn treffsicher mitten in das Wasser
„Pflog" machte es – und das Essen vom Vortag trieb als übel riechendes Zeichen des Protests im Burggraben. Eine Art Shitstorm, lange bevor es diesen Begriff gab.
Hannah blieb ruhig. Sie hatte das Letzte aus sich herausgeholt. Ich bin mir bis heute sicher, dass sie in diesem Augenblick ganz genau wusst hat: Spiel, Satz und Sieg. Die Buben hingegen, die hatten verloren – den Kampf um die Burg und ihre Contenance: „Wäh, was für eine Sau", riefen sie und ergriffen angewidert die Flucht. Es war ein beeindruckender Sieg meiner Tochter. Ich war sehr stolz auf sie.
Seither nenne ich die Obere Adria liebevoll Kot d‘Azur.
Das mieseste
Foul der Welt
Mit 16 Jahren schaffte ich den Sprung in die Kampfmannschaft meines Fußballvereins. Super eigentlich. Kleine Einschränkung: Dies war weniger auf mein Talent zurückzuführen als auf den wirtschaftlich desaströsen Zustand meines Klubs, der die Verpflichtung guter Kicker einfach nicht mehr zuließ.
In Summe kickte ich rund 20 Mal bei den Großen mit, meist kam ich als Einwechselspieler in der zweiten Halbzeit zum Einsatz. So auch bei jenem Stadtderby, in dem mein Verein, der Magdalener Sportclub, gegen Treffen spielte, ein anderes Team aus der Villacher Peripherie. Beide Vereine brauchten dringend Punkte, das Match stand auf des Messers Schneide – und wurde darob härter. Gelbe Karten fast im Minutentakt.
In der 60. Minute war es soweit: Unser Trainer entschied, die Defensive zu verstärken. Warum er dabei ausgerechnet an mich dachte? Man weiß es nicht. „Geh. An Den. Mann!, brüllte er mich an: „Der Gegner muss dich spüren!
Dabei schüttelte er mich kräftig durch. Am liebsten hätte er mir wohl einen als Motivation gedachten Kinnhaken verpasst.
So war er halt, der Trainer. Ein knapp zwei Meter großer Holzhacker mit den tief liegenden blauen Augen eines Serienmörders auf der Flucht. Ein Mann, der ein gutes Slide tackle stets höher einschätzte als einen raffinierten Doppelpass. Als Verteidiger müsse man, so lautete sein Credo, einen Stürmer vom Rasen auf die Aschenbahn jenseits des Spielfeldrandes hinausgrätschen. Mindestens.
Aber immerhin: Der Mann hatte ein paar Bundesligamatches in den Beinen, für uns Spitzkicker aus der Vorstadt war er Gott. Und an Gottes Wort zweifelt man nicht. Mit wild verzerrtem Gesicht und Schaum vor dem Mund stand ich, aufgepeitscht, übermotiviert und zu allem bereit, an der Outlinie, um eingewechselt zu werden.
Kaum, dass ich im Spiel war, nahm das Unglück seinen Lauf. Meine Mannschaft war zu weit in den Angriff aufgerückt – und plötzlich Konter. Der einzige, der den auf unser Tor zustürmenden Treffner noch stoppen konnte, war ich. „Der Gegner muss mich spüren, hämmerte es in meinem Kopf: „Muss. Mich. Spüren!
Ich rannte, so schnell ich konnte, seitlich auf den Stürmer zu. Wir kamen einander immer näher. Ich war auf Kollisionskurs, Titanic nichts dagegen.
Rückblickend muss ich sagen: ja, freilich, es hätte