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Fremde Schicksale, fernes Land: Ruanda 1994
Fremde Schicksale, fernes Land: Ruanda 1994
Fremde Schicksale, fernes Land: Ruanda 1994
eBook181 Seiten1 Stunde

Fremde Schicksale, fernes Land: Ruanda 1994

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Über dieses E-Book

Dr. med. Paul Wieland hat sich entschlossen, an einem humanitären Einsatz in Ruanda teilzunehmen, als die dortigen massakerartigen Kämpfe sich dem Ende nähern.
Die zu erwartende Konfrontation mit Elend, Not und Grausamkeit verändert seine Einstellung zu Beruf und Partnerschaft und führt ihn schließlich in eine persönliche Krise, deren Überwindung offen bleibt.
Um dem Leser die Möglichkeit zu geben, zwischen den einzelnen, zum Teil beunruhigenden Episoden Abstand zu gewinnen, sind zahlreiche kleine Szenen aus seiner Heimat, dem Hegau, wie kleine Fenster eingestreut, durch die er in eine heil anmutende Welt schauen kann.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Feb. 2021
ISBN9783347228719
Fremde Schicksale, fernes Land: Ruanda 1994

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    Buchvorschau

    Fremde Schicksale, fernes Land - Andreas O. Müller

    Prolog

    „Warum ich nach Afrika will?" Paul mußte nicht lange überlegen, wenn er mit dieser stets erstaunten Frage konfrontiert wurde, von Freunden und Kollegen, besonders auch von seiner Frau.

    „Weil dort Menschen in großer Not sind, und wir die Verpflichtung haben, zu helfen!" Das war seine stereotype Antwort gewesen. Aber es ging doch tiefer, mehr vielleicht, als er sich klarzumachen bereit war. Es war nicht auszuschließen, daß verborgen schwelende Unstimmigkeiten in seiner Partnerschaft mit im Spiel waren. Auch Schuldgefühle, deren Ursache er nicht kannte, mochten mitbestimmend gewesen sein.

    Was der wahre oder dominierende Grund für eine Entscheidung ist, weiß man doch eher nicht, dachte er. Das immerhin war ihm klar. Aber darüber wollte er mit niemandem reden. Das war zu persönlich, zu intim, als daß er es hätte teilen mögen, nicht einmal mit Jasmina, die ihm näher stand als irgend ein Mensch sonst. Eine vollkommene Offenheit bis in den letzten Winkel seiner Psyche konnte sich Paul nicht vorstellen, ganz abgesehen davon, daß er sich dort selbst nicht auskannte. Eine kleine Nische hatte doch jeder für sich alleine bewahrt, einen inneren Ort, ein innerstes Geheimnis, das unteilbar blieb. So jedenfalls sah es Paul, und so verhielt er sich seiner Umwelt gegenüber. Es war eine letzte Zuflucht, wenn alles andere zusammenbrach. Hier hatte er eine sichere Bleibe, auch im schlimmsten Augenblick. So sah er das.

    Jedenfalls blieb es eine mehrdimensionale Angelegenheit, in die er da geraten war. Damit beendete er seine zwischenmenschlichen Überlegungen.

    Das pelzige Tier mit dem borstigen Schnurrbart, den kleinen, schwarzen Augen und dem breiten Schwanz, der an das Blatt eines Paddels erinnerte, war zu Anfang des letzten Jahrhunderts zum letzten mal in dieser Gegend gesehen und gejagt worden. Seither erinnerte nur der Bach, der das Tal durchquerte, mit seinem Namen an diesen kleinen, fleißigen Holzfäller, der kunstvolle Dämme baute und das Wasser aufstaute, sodaß die umliegenden Fluren überschwemmt wurden und für die Landwirtschaft unbrauchbar waren. Damit hatte sich das tüchtige Nagetier in der ländlichen Region keine Freunde gemacht. Die Bauern ließen sich seine eigenmächtig errichteten Bauten nicht gefallen und rotteten den Übeltäter aus. Es war das Recht des Stärkeren, das da zur Anwendung kam, Naturgesetze, argumentierten sie, seien für alle Lebewesen da, und in diesem Falle seien sie, die Bauern und Jäger, die Gewinner. Es blieb der plätschernde Bach zwischen den Wiesen und Feldern, die jetzt Jahr für Jahr bestellt werden konnten. Und es blieb der Name des Gewässers, der auf Pauls Karte mit „Biber" angegeben war und so wenigstens die Erinnerung an eine ausgerottet Gattung aufrecht erhielt.

    Die langgezogene Senke, durch die er sich schlängelte, hatte seltsamerweise keinen Namen, es hieß weder „Bibergrund noch „Biberdamm Es schien, als wolle man nicht daran erinnert werden, daß aus Eigennutz einfach eine Tierart ausgerottet worden war. Paul nannte es das „Bibertal", wobei nicht sicher war, ob er damit den Bach oder das Tier ehren wollte. Vom Frühling bis in den späten Herbst kam er unzählige Male hierher, sofern das Wetter eine Motorradtour erlaubte.

    Die Anreise

    Mittwoch,10. August.

    Ich bestieg den Zug früh morgens um sechs Uhr, und ehe ich es richtig gewahr wurde, hatte ein Taxi mich, meinen dick gefüllten Seesack und einen Karton voller Medikamente zur Air-Base gefahren. Die Antibiotika hatte eine Pharma-Firma gespendet. Das Haltbarkeitsdatum würde im Dezember des Jahres ablaufen. Soviel zum Thema Arzneimittel - Entsorgung und humanitäres Engagement.

    Erstaunlich unkompliziert wurde ich mit einigen weiteren Passagieren durch mehrere Gebäude direkt an den Rand einer Landebahn eskortiert und traute meinen Augen nicht. Frachtflugzeug An - 124 - 100: eine alte, vierstrahlige Antonov. Sie sollte das Transportmittel sein für mich, weitere Kolleginnen, Kollegen und Krankenschwestern aus ganz Deutschland, die wir hier wie zusammengewürfelt aufeinander trafen und sprachlos das uralt erscheinende Ungetüm anstarrten, dem wir uns für einen mehr als 6000 Kilometer langen Flug ins Herz von Afrika anvertrauen sollten. Aus welchem vergessenen Hangar hatte man diese Antiquität nur herausgezogen?

    Beim Anblick des Monsters rutschte mir zum ersten Mal das Herz in die Hosentasche, und es sollte nicht das letzte Mal sein auf dieser Reise ins Unbekannte. Ich erinnere mich, dass die Gesichter meiner Schicksalsgenossen ebenfalls blasse Ratlosigkeit zeigten.Eine Antonov 124, nicht gerade vertrauenerweckend, aber es war zu spät für einen Protest.

    Später erfuhr ich, dass seit ihrer Inbetriebnahme vier Maschinen dieses Typs als Totalverlust abgeschrieben werden mussten, in allen Fällen handelte es sich um tödliche Zwischenfälle, bei denen insgesamt 97 Menschen ums Leben kamen. Die allgegenwärtige Informationsflut des Internets war nicht besonders hilfreich, schon garnicht tröstlich.

    6500 km lagen vor uns. Nach einem immerhin problemlosen Start nahm der Flug kein Ende. Einen Service gab es nicht, die einzige Stewardess sprach nur russisch, sie stammte aus Tschernihiw nördlich von Kiew. War sie eine Zugabe der Ukraine beim Kauf der AN 120 gewesen? Sie hatte kein Interesse an ihren Passagieren und ließ sich selten sehen. Wozu auch.

    Viel an Lebensmitteln hatte ich nicht mitgenommen, da ich mit einer Verpflegung an Bord gerechnet hatte. Das war äußerst naiv gewesen, wie sich nun herausstellte.

    Die Stunden vergingen zäh, das Brummen der Motoren war nicht wirklich einschläfernd, und so drehte ich mich in meinem Sitz hin und her, starrte auf die riesige Menge an Sitzreihen und zählte die Stahlspanten des Innenraumes, die sich in großen Bögen über uns erstreckten. Eine Innenverkleidung war nicht vorhanden, saßen wir doch alle in einem militärischen Transportflugzeug, um die dreißig Ärztinnen, Ärzte und Krankenschwestern, zusammengekommen aus ganz Deutschland, jeder zunächst mit sich selbst beschäftigt. Gespräche und Kontakt ergaben sich erst zögernd nach einigen Stunden.

    Irgendwann musste doch eingenickt sein, denn plötzlich hörte ich die herbe, polternde Stimme der Stewardess. Ich verstand kein Wort, aber ihrer Gestik konnte ich entnehmen, daß wir uns anschnallen sollten.

    Da die Motoren doch eher vertrauenerweckend rund liefen und ich keine Schlingerbewegungen bemerkte, ließ der erste Schrecken schnell nach, und ich konnte feststellen, dass das Flugzeug in einen Sinkflug übergegangen war.

    Wie lange waren wir unterwegs? Es mussten etwa sieben Stunden gewesen sein. „Unglaublich schnell für den alten, behäbigen Vogel", dachte ich und versuchte durch das trübe, zerkratzte Fenster etwas zu erkennen. Nur blaues Wasser war zu sehen. Das konnte unser Zielflughafen also nicht sein. Der Victoria-See war zwar nicht weit von Goma entfernt, aber der konnte es nicht sein. Seine Wasserfläche war für das, was ich da unter uns sah, viel zu gering, denn ich blickte auf ein endlos weites Meer.

    Wo waren wir? Stewardess fragen? Sinnlos! Also was war da los? Zweifellos setzte der Flieger zur Landung an. Niemand wusste etwas. Eine halbe Stunde musste ich mich gedulden, dann war alles klar. Wir waren in Ägypten, auf dem Flughafen von Kairo gelandet.

    Erstmals meldete sich der Flugkapitän über den Bordlautsprecher :

    „We landed in Cairo International Airport to refuel, then we will continue to Goma." Ach so. Wie gut, daß es den Piloten tatsächlich gab. Es hätte mich nicht wirklich gewundert, wenn die Stewardess den Steuerknüppel bedient hätte.

    Aussteigen war nicht erlaubt, also auch kein Lebensmittel shopping möglich. Wir Passagiere teilten untereinander, was jeder noch hatte, und so überbrückten wir die sich endlos hinziehende Wartezeit auf dem verödeten Flugfeld.

    Währenddessen schluckte die alte Antonov Kerosin. Wir konnten die Pumpen arbeiten hören. Sonst war Stille. Auf dem Flugplatz starteten und landeten wenige Flugzeuge, obwohl es doch Nachmittag war und Sommer- Reisezeit.

    Gegen drei Uhr nachmittags brachte der Pilot seine schwerfällige Maschine wieder in die Luft. Erst die Hälfte der Strecke war geschafft, und alle trösteten wir uns mit der Aussicht auf ein wenn auch nicht üppiges, so doch wenigstens exotisches, leckeres afrikanisches Abendessen im Basiscamp von Goma. Im Geiste hörte ich fremde, verlockende Musik, Trommeln und die klagende Melodie eines Saiteninstrumentes. Mit diesen Erwartungen schlief ich erneut ein und erwachte erst wider, als die strenge Stewardess mich an der Schulter rüttelte. Ich verstand sofort: Anschnallen.

    In der Stille der frühen Stunde legte sich der monotone, raue Gesang des Viertaktmotors wie verzerrte, gerinnende Musik auf das notdürftig geflickte Asphaltband, das sich bogenförmig an den Hängen des Talgrabens entlangzog. Das Dorf in der Senke erwachte unter steigendem Dunst. In einem Vorgarten kniete bereits ein Mann und schnitt die letzten Rosenblüten des Spätsommers. Sein kleiner Junge saß neben ihm auf der Erde und spielte mit einem Windrad. Die Luft war mild und weich wie an einem Frühlingsmorgen. Bald würde die Sonne das Dorf erreichen. Das Tal, das Paul in jenem Jahr viele Male aufsuchte, erstreckte sich in seiner ganzen Länge zwischen Westen und Osten, was bedeutete, daß dort immer die Sonne schien, von morgens bis abends, vorausgesetzt natürlich, daß der Himmel sich nicht hinter Wolken versteckte. Es war anfangs ungewohnt und schmerzlich für ihn gewesen, dort alleine zu sein, die zahlreichen Besonderheiten und Schönheiten der Natur nicht mit jemandem teilen zu können, sein Empfinden nicht in jemandem wiederzufinden, der ihm nahe war, der seinen Gedanken folgen konnte, und dessen Regungen er ohne Worte erfaßte. So trat er mit der stetig sich wandelnden Landschaft unmittelbar in Kontakt und bemerkte, daß ihm vieles bisher verborgen geblieben war, daß man immer noch mehr entdecken konnte, wenn man genauer hinsah, wenn man länger beobachtete, als das üblicherweise geschah.

    Ankunft in Goma

    Mittwoch, 10. August.

    Kurz darauf sah ich durch das Seitenfenster Palmenwälder am Rande des Rollfeldes, deren fächerförmige Blätter sich bewegten. Hellbraune Lehmhütten flogen unter uns vorbei, und schon bald stand die Maschine auf der Landebahn still. Unglaublich,

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