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Krupps Katastrophe: Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten
Krupps Katastrophe: Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten
Krupps Katastrophe: Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten
eBook286 Seiten3 Stunden

Krupps Katastrophe: Capri/Ruhrgebiets-Krimi mit Rezepten

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Über dieses E-Book

"Majestät, es existiert eine Fotografie, die meinen Mann in unmissverständlicher Pose im Kreise graziöser Jünglinge zeigt!" Herbst 1902, Margarethe Krupp spricht beim Kaiser höchstpersönlich vor, um die Entmündigung ihres Gatten zu erwirken. Doch da ist der Skandal längst eskaliert. Im sozialdemokratischen "Vorwärts" steht zu lesen, dass der "reichste Mann Deutschlands mit den jungen Männern der Insel Capri dem homosexuellen Verkehr" fröne und anrüchige Festivitäten ausrichte. Eine Woche später ist Friedrich Alfred Krupp tot. Gemäß offizieller Lesart: Opfer eines plötzlichen Hirnschlags. Seine Leiche wurde jedoch nie einer Autopsie unterzogen. Und so halten sich die Gerüchte hartnäckig, der deutsche Stahl-Tycoon sei über den § 175 in den Selbstmord gestolpert. Während Kaiser Wilhelm es sich nicht nehmen lässt, den Nachruf auf einen ehrenwerten Mann zu halten, der auf der Streckbank sozialistischer Nestbeschmutzer hingerichtet worden sei. - Aber was ist aus dem Foto geworden, das viele fürchten und niemand kennt? Ein historisch angelehnter Roman um das bis heute nicht befriedigend geklärte Ende des letzten Krupp im Jahr 1902. Im Anhang finden sich - wie in der Reihe "Mord und Nachschlag" gewohnt - zahlreiche Rezepte, die ein wunderbares kulinarisches Abbild der gesellschaftlichen Realität im Kaiserdeutschland bieten.
SpracheDeutsch
HerausgeberOktober Verlag
Erscheinungsdatum22. Feb. 2013
ISBN9783941895997
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    Buchvorschau

    Krupps Katastrophe - Ulrich Land

    Krupp

    1

    Wenn ich’s dir doch sage! Ich weiß auch nicht, wie das alles zustande kam. Jedenfalls nicht genau. Das geb ich von vornerein zu. – Aber dabei war ich! Augenzeuge von der ersten Sekunde an. Sicher, ich hätt mir auch was Schönres vorstellen können, aber war nun mal mein Auftrag. Und das Ganze war im Übrigen ja alles andre als eine Allerweltsgeschichte. Besiegelt durch eine Meldung immerhin des Deutschen Allgemeinen Telegraphenbureaus! Ich weiß den Wortlaut nicht genau, weil mich persönlich, war ja klar, mich hat natürlich keiner bedacht, mich erreichte kein Telegramm, den ganzen Tag nicht. Aber dass eins überall in der Weltgeschichte rumgefunkt wurde und landesweit sämtliche Nachrichtenagenturen, Tratschbörsen und Redaktionsstuben erreichte, das ist so sicher wie das Amen in der Villa Hügel. Also ich nehme mal an, der Text hat in etwa so gelautet: »22. november 1902 – stop – friedrich alfred krupp, 48-jährig, soeben verstorben – stop – nach auskunft seiner ärzte an den folgen eines plötzlichen gehirnschlags – stop.«

    Was weiß ich, so oder so ähnlich.

    Und damit, dachte ich, wäre die Geschichte zu Ende und ich raus aus der Nummer. Aber weit gefehlt.

    Fahrenhorst sein Name. Julius Fahrenhorst. Seines Zeichens Detektiv und Fotograf, damals noch jung an Jahren. Er erlebte das Jahresende 1902 völlig mittellos, nicht ein einziges Tröpfchen Champagner konnte er an Silvester die Kehle hinabrinnen lassen, kein aufwändiges Mahl mit erlesenen Köstlichkeiten war ihm vergönnt, nicht einmal ein warmes Linsensüppchen, noch befand er sich in vornehmer oder doch zum wenigsten ausgelassener Gesellschaft. Vielmehr hatte er sich mit einem Kanten hartes Brot in die Dachkemenate zurückgezogen, in den einzigen noch einigermaßen intakten Raum des Häuschens seiner Großeltern, Gott hab sie selig. »Intakt« indes grenzt an Hochstapelei. Der einzige Raum, der noch leidlich funktionstüchtig war! Sieht man mal ab von den angekohlten Sparren, die in der hinteren rechten Ecke die Zimmerdecke vertraten. In dieser angeschlagenen Dachkammer also saß Fahrenhorst, nach Art des armen Poeten in Decken gehüllt, den Rücken so nah am Kanonenöfchen als irgend möglich, und versuchte seine Erinnerungen an die letzten paar Wochen auf einen seidenen Faden zu fädeln.

    Also pass auf: Es gibt im Grunde drei Theorien. Die erste, die offizielle Lesart, die Friedrich Alfred Krupp einen betrüblichen, aber alles andre als unüblichen Schicksalsschlag attestiert und einen plötzlichen, auf alle Fälle jedoch natürlichen Tod glauben machen will. Was den Herrschaften, versteht sich, keiner abnimmt. Ich jedenfalls nicht. Ist kaum was Unwahrscheinlicheres denkbar, wenn man Krupp, die Vorgeschichte und die Umstände seines Todes auch nur ansatzweise kennt. Dann die zweite These: Suizid. Ein Gerücht, das – scheint’s – nicht aus der Welt zu bringen ist. Zumal als bekannt wurde, dass Krupps Ärzte in wissenschaftlich durch nichts zu rechtfertigender Großzügigkeit von einer Autopsie seiner Leiche absahen und ruckzuck den Sarg zunagelten. Und eben die dritte Variante – aber die nur unterm Siegel der Verschwiegenheit!

    Also jedenfalls: Irgendwiewas musste Krupps Frau ein paar Wochen vorher, was weiß ich, zwei Monate vor seinem Tod vielleicht, irgendwas musste sie derart verunsichert haben, dass sie mich anheuerte, um für sie auf Capri mal nach dem Rechten zu sehen. Spesen extra, versteht sich. Das roch nach einem fetten Braten! Wie du dir vorstellen kannst, überlegte ich nicht lange, packte spornstreichs meine sieben Sachen, schnappte mir die bleischweren Holzkoffer mit Kamera, Stativ, Fotoplatten und was nicht allem und machte mich auf die Socken.

    Was den historischen Wahrheitsgehalt seiner Erkenntnisse anlangt, so sind diese weder in jedem Detail plausibel noch gar zwingend logisch, und den Maßstäben objektiver Überprüfbarkeit genügen sie schon gar nicht. Ja, wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass in weiten Teilen ein hohes Maß an Spekulation am Werke war. An Stellen, wo Lücken in der Nachvollziehbarkeit der Tragödie klafften und sich weder durch schlüssige Aussagenverknüpfung noch durch direkte Links zwischen den Beteiligten schließen ließen, da verlegte Fahrenhorst sich offenbar ohne weiteres Federlesen und mit dem Gestus des virtuosen Ränkeschmieds aufs Flechten abenteuerlicher Assoziationsstränge. Wobei er sich dabei augenscheinlich weder um die schlüssige Verifizierung der Indizien scherte, wie gesagt, noch um die Basics der Political Correctness.

    Das Schiff steuerte mit der für italienische Verhältnisse gradezu fantastisch geringfügigen Verspätung von 44 Minuten den Hafen an. »Marina Grande«. Schon der Name: ein wunderbarer Empfang! Ich hatte mich grade vom Anblick des mit jeder Seemeile tiefer sinkenden Vesuvs im Nordosten getrennt und umgedreht. Blickrichtung volle Kraft voraus: Faszinierend, wie dieses Eiland mit seiner eigenwilligen Mischung aus schroffen Steilküsten und weichen Hügeln als Sahnehäubchen oben drauf näher und näher kam! Und diese winzigen, bunten Häuschen, die den Hafen säumten! Über die geschlängelten Wege da musste man raufkommen zur legendären Piazzetta, wo Künstler, Denker, Schreiber, wo die Hautevolee – oder was sich dafür hält – die mehr oder minder dicken Portemonnaies auf den Ladentischen umstülpen, um sich schließlich ein Capreser Kleinod an den Hut stecken zu können. Aber da oben auf der Piazzetta wär ich noch längst nicht drüben in der schwülen Grotte, von der mir mein Informant, dessen Identität hier nichts zur Sache tut, überschäumend vorgeschwärmt hatte. Ohne dass ich mit einem einzigen Schein gewunken hätte, sprudelte er los wie angestochen und zwitscherte hinter vorgehaltener Hand ein Loblied auf das goldbrokatbesetzte, bordeauxrotsamtige Interieur jener Grotte – oder sollte ich besser sagen: Lasterhöhle? –, die, wie ich heute weiß, Krupp zum Verhängnis werden sollte.

    Aber erst mal hatte mich kurz vor der Hafeneinfahrt noch der Blick nach Westen erwischt: tatsächlich diese viel besungene fantastische Sonne, die tiefrot ins Meer taucht und das Wasser in Blut verwandelt!

    Bis ich meine Kisten, Kästen, Koffer zusammengerafft und von Bord geschleppt hatte – so eine photographische Ausrüstung hat’s eben in sich; und eins war ja klar: dass ich nach dieser Anreise im Schweiße meiner Füße und meiner Achselhöhlen auf jeden Fall eine vollständige frische Garderobe brauchte, wenn ich Krupp meine Aufwartung machen wollte, mithin war der Koffer auch nicht grade ein Fliegengewicht –, also jedenfalls bis ich mich nach vorn zur Gangway durchgeschlagen hatte und die klapprigen Stiegen runtergepoltert war, da war weit und breit kein Träger mehr zu sehn. Keiner jedenfalls, der nicht bereits von irgendeinem Stiesel oder einer affigen Stöckelschrulle in Dienst gestellt worden war und sich mit andrer Leute Riesenkoffer abzuplacken hatte. Geschweige denn, dass irgendwo ein Mulitreiber zu finden gewesen wäre. Was blieb mir andres, als mich auf Schusters Rappen auf den beschwerlichen und – egal wie groß oder wie klein die Insel auch immer sein mag – viel zu langen Weg zu machen!

    Es mochte eine halbe Ewigkeit vergangen sein. Wahre Sturzbäche von Schweiß waren meinen geplagten Rücken runtergeschossen. Du weißt ja, wie ich schwitzen kann. Mein Hemd war längst nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzigen weiteren Tropfen aufzusaugen, die in die Griffe der sperrigen Kofferkisten verkeilten Hände drohten mir von den Armen zu fallen, die Knie windelweich – aber als ich endlich oben auf dem Scheitelpunkt des Inselbuckels angekommen war: der traumhafte Ausblick von der Südküste aufs offene Meer! Ein Ausblick, der mich mehr als entschädigte. Ich latschte – von meiner Ledernackenzähigkeit selbst überrascht – weiter und weiter, bis ich schließlich einen Blick die Klippen runter in die dramatisch steile Bucht da unten werfen konnte: die »Marina Piccola«. Wo sich der weiße Strand mit der kleinen Anlegestelle zwischen hohen, schroffen Kalkfelsen verkrümelt. Jetzt erst blieb ich stehn, atmete durch und, und stand und stand und wartete. Wartete, bis die ersten Abendrotspuren ins Himmelsblau stiegen. Ich nahm mir felsenfest vor, mich nach Erledigung, na ja, vielleicht der Hälfte meines Auftrages mal für ein paar gute Stündchen abzusetzen und hier oben die Kamera in Anschlag zu bringen. Wenn mir in drei Teufels Namen das man gelungen wär! Mich wenigstens für ein halbes Stündchen zu absentieren. Stattdessen: ständig im Einsatz. Aber langsam, langsam. Der Reihe nach!

    Folgen wir Fahrenhorsts Erzählungen – und sie seien hier im genauen Wortlaut wiedergegeben, der mir weitestgehend in der Erinnerung haften geblieben ist, da ich mich als Jungspund über Wochen und Monate in ihren Bann hatte schlagen lassen –, so stand er an jenem Abend also ahnungslos auf dem oberen Ausläufer jener Straße, die auf der Südseite Capris in schwindelerregenden Serpentinen steil nach unten zur Marina Piccola führt: die Via Krupp. Benannt nach Friedrich Alfred Krupp, der die Straße um 1900 stiftete. Dieser hatte die Straße so anlegen lassen, dass sie von dem kleinen Hafen aus in mehreren Haarnadelkurven die Augustus-Gärten und endlich die Straßen und Gassen von Capri-Stadt erreicht. Unterwegs aber, in einer der Serpentinen, zweigt ein schmaler Felsenpfad ab, über den man seinerzeit zu einer Höhle namens »Grotta di Fra Felice« gelangte. Dieser »Bruder Glücklich«, ein früherer Einsiedler, wie es heißt, wird die auf etwa 100 Meter Höhe in den Steilabfall gehauene Höhle nicht zuletzt deshalb als seine Eremitage auserkoren haben, weil sie sich Richtung Süden zum Meer öffnet und ein wahrhaft atemberaubendes Panorama bietet.

    Mit Krupp wurde ich ohne langes Federlesen handelseinig. Hatte ich mir erheblich schwieriger vorgestellt. Ein ausgesprochen umgänglicher Zeitgenosse. Als ich ihm meine fotografische Ausrüstung zeigte, war er augenblicklich davon überzeugt, dass er’s nicht mit einem Scharlatan zu tun hatte, sondern wie die Jungfrau zum Kinde gekommen beziehungsweise an einen Mann vom Fach geraten war. Auf alle Fälle fand er meine Absicht, ihn hier auf Capri, in seinem so geliebten Refugium fotografisch zu porträtieren, offenbar so berückend, dass er sofort bereit war, meine Dienste mit einem ansehnlichen Salär zu entlohnen. Ohne natürlich zu ahnen, dass diese ja bereits von anderer Seite, und zwar auch nicht grade knausrig honoriert wurden – indirekt ebenfalls aus seiner Schatulle. Aber dazu später. Für mich jedenfalls bot sich die, versteht sich, durchaus verlockende Aussicht, für dieselbe Leistung doppelt einzustreichen. Außerdem hatte mich der Gedanke immer schon fasziniert, mal ein niederträchtiges, ein hundsgemein zweigleisiges Spiel spielen zu können. »Fahrenhorst, der begnadete Doppelagent!«, musste sich doch fantastisch auf der Visitenkarte ausnehmen! Wenn du verstehst, was ich meine.

    Diese Perspektive beflügelte mich derart, dass ich die Arbeit sofort aufnahm und den guten Krupp im letzten Licht des Abends noch schnell zwei-, dreimal ablichtete. Zikadenzirpen erfüllte die von der Tageshitze noch nachglühende Luft, und von unten drang das Rauschen der Brandung herauf, die gegen die Steilküste schlug. Wahrhaftig ein grandioses Idyll! Empfindlich gestört jedoch von diesem neugierigen Gimpel, der mir immer wieder unangenehm nah auf den Pelz rückte und Tuchfühlung aufnahm. Tapste die ganze Zeit mit seiner weibisch weichen Hand auf meiner Schulter rum. Brauche ich dir ja nicht zu sagen, wie sehr mir so was gegen den Strich geht. Augenscheinlich jedenfalls war dieses lange, dürre Gestell von keinem anderen Wunsch beseelt, als von Krupp eingeladen zu werden, sich zu ihm zu stellen und also mit auf Platte bannen zu lassen. Krupp aber würdigte ihn keines Blickes und stellte ihn mir beiläufig als einen seiner leitenden Ingenieure vor. Worauf dieser sich nicht entblödete, mit verschnörkeltem Lächeln darauf zu insistieren, dass das hier nichts zur Sache tue und ich ihn doch beim Vornamen nennen möge: Gernot.

    »Angenehm, Fahrenhorst mein Name.«

    Als aber das Dämmerlicht so schwach geworden war, dass ich auch hier draußen Fotoleuchten hätte einsetzen müssen und also die Kamera vom Stativ schraubte, um sie in die Grotte selbst zu manövrieren, da kamen, lustig vor sich hin pfeifend, die ersten Gäste des Abends über die Via Krupp hinaufgestiegen, nachdem sie unten in der Marina Piccola ihre Boote festgemacht hatten, die, wie man unschwer sah, ihre Besitzer als Fischer auswiesen. Obwohl sie sich jetzt, offenbar aus Anlass der bevorstehenden Lustbarkeiten, in weiße, im letzten Abendlicht hell leuchtende Hosen und seidig wallende Hemden geschmissen hatten. Die Jungs waren eben in der Serpentine angekommen, von wo der Pfad hier rauf zur Bruder-Glücklich-Grotte abzweigt, als unten ein weiteres Fischerboot anlegte. Und auch das warf eine illustre Schar junger Männer von, wie ich neidlos zugeben muss, erlesener Schönheit und mit auffallend weichen Gesichtszügen an Land. Außerdem einen behäbigen, so wohlbeleibten wie wohlgelaunten Kerl, der auf den ersten Blick als Herr von ausgesprochen teutscher Herkunft auszumachen war. Mitten in der Schar ausgelassener Fischerburschen astete er mit immer kürzer werdendem Atem den Berg hinauf. Ein Schauspiel, das ich mit stillem Staunen beobachtete, bis endlich der Teutone schweißtriefend und abgeschlagen als Letzter die in den Fels gehauene Lustlaube hier oben erreicht hatte.

    Nach einschlägigen, nicht nur Fahrenhorstschen Überlieferungen hatte Krupp die ›Grotta di Fra Felice‹ im Stil einer mittelalterlichen Einsiedelei mit allerlei gotischem Zierrat und mit einem Komfort, der weit über die nötigsten Bequemlichkeiten hinausging, ausstatten lassen, um dort Bankette und gesellige Zusammenkünfte auszurichten. Die wenigen, aber ausnahmslos auf gepflegte Eleganz bedachten Besucher aus dem fernen Deutschland legten Frack und Vatermörder ab und hüllten sich in wallende Kutten. Während die handverlesenen Capreser, die zu den Festivitäten geladen wurden, jungfräulich weiß, nach Gigoloart gewandet aufliefen. Krupp, der in Essen zwischen dem neobarocken Luxus der Villa Hügel und dem trotz Renovierung immer rußpatinierten Verwaltungstrakt seines vor Produktionseifer und Profitraten glühenden Fabrikgeländes lebte, hatte sich in diesem Felsenloch unter der Sonne Capris einen exklusiven Fluchtpunkt geschaffen, das Vestibül seiner azurblauen Wonnewelten.

    Es mochte inzwischen Mitternacht gewesen sein. Ich hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber damit nicht: Krupps Grotte vibrierte! Männer, alles bloß Männer. Weit ausladende Fummel übergeworfen. Sofern sie überhaupt noch was anhatten. Der steinreiche König der Kanonen, musst du dir vorstellen, treibt auf der blütenweißen Insel neckische Spielchen mit einheimischen Fischern! Gut, ich meine, im Grunde hättest du bloß einen Blick in sein rundes, weiches Gesicht werfen müssen, um auf den Gedanken zu kommen, dass, nun ja, dass er dergleichen, sagen wir: extraordinären Sinnenfreuden zugetan sein mochte.

    Die Lustbarkeit jedenfalls nahm ruckzuck den Charakter eines weinseligen Gelages an. Aus einer der hinteren Felsnischen kämpften vergeblich hauchdünne Gitarren- und Mandolinenklänge gegen den Wirrwarr aus Stimmen emsig pokulierender Männer an, gegen fliegende Sektkorken und prostende Gläser. Ich musste mich regelrecht am Riemen reißen, um nicht ebenfalls den Verlockungen dieser mediterranen Ausgelassenheit zu erliegen und meinen Auftrag schlicht zu vergessen. War schließlich nicht zum Vergnügen hier. Du weißt ja, ich bin relativ hart im Nehmen, aber als die schlüpfrig hautfarbenen Auswüchse überhandzunehmen drohten, wurde mir das rauschende Halligallispektakel denn doch zunehmend unheimlich. Wenn die gute Frau Krupp geahnt hätte, wie richtig sie mit den übelsten ihrer Befürchtungen lag, wie sehr die bösen Hinterzimmergerüchte, die ihr wie auch immer zu Ohren gekommen waren, der Wahrheit entsprachen! Mehr, um mich selbst an meinen Auftrag zu erinnern, als dass ich ernstlich eine, na ja, künstlerisch wertvolle oder doch wenigstens aussagekräftige Fotoausbeute im Visier gehabt hätte, hielt ich noch mal mitten aufs bunte Treiben. Wartete, bis die Flamme an der Blitzlichtpulver-Lunte hochgekrochen war, und drückte genau in dem Moment ab, als die schunkelnde Lall- und Lasterhöhle für einen winzigen Augenblick taghell erstrahlte.

    »Hehe, wenn das Foto nur halb so scharf wird wie dein Fest, Friedrich!«, grinste dieser Lackaffe namens Gernot. »Das muss auf jeden Fall einen prominenten Platz kriegen: Einen Abzug hängen wir hier drüben mitten auf die Wand deines prachtvollen Samtkabinetts, und einen stellen wir in der glitzerndsten Galerie im ganzen Reich aus!«

    Womit unser warmblütiges Kasperle weiß Gott nicht unrecht hatte. Zumindest dem Ambiente dieses Austragungsortes von Krupps Spektakelferkelfesten hätte mein Foto wahrlich nicht schlecht zu Gesichte gestanden. Trotzdem: Dass er sich mit diesem Gernot nach allen Regeln der Kunst ein Kuckucksei ins Nest legen würde, das hätte einem Krupp verdammt noch mal klar sein müssen. Diesen Blässling aus der Essener Wirklichkeit mit hierherzuschleppen, das grenzte nun wirklich an ausgemachte Dämlichkeit.

    »Gott bewahre!«, fuhr Krupp seinem Günstling denn auch mit einer Schnelligkeit übers Maul, die ich seiner weinschweren Zunge längst nicht mehr zugetraut hatte. »Von wegen ›glitzerndste Galerie im ganzen Reich‹! Schraube locker, wie? Das Foto landet hier in meiner Schatulle. Und sonst nirgendwo.«

    Aber noch gab Krupps Ingenieur nicht auf: »Die alten Griechen haben sich doch auch stets im Kreise galanter Jünglinge verewigen lassen. – So eine wunderbar lustvolle Pose: Das gehört raus ans Licht, raus aus der verschworenen Gemeinschaft hier, das muss an die breite Öffentlichkeit!«

    »Gernot, du bist nicht bei Trost!« Krupp zwirbelte sich mit flattrigen Fingern den Schnäuzer. Das linke Augenlid stellte sich schief und legte ein komisch zwinkerndes Zucken an den Tag, das sich, obwohl er fahrig mit dem Zeigefinger darauf herumdrückte, partout nicht beruhigen lassen wollte. Wie du sehn wirst, nicht ganz zu Unrecht.

    »Die Gelegenheit, Friedrich, mein Liebster, Farbe zu bekennen«, antwortete Gernot mit fiebrig rotem Kopf, »aufzutreten als der große deutsche Krupp, als der bedeutendste Industrielle des Reichs und eine Kampagne vom Zaun zu brechen, die sich gewaschen hat. Zur Abschaffung dieses verdammten Paragraphen!«

    Sein Chef verfiel in gackerndes Hohngelächter. »Und der ›große deutsche Krupp‹ ist ruiniert. Samt Firma.« Um dann knochentrocken und nüchtern, als hätte er seit Wochen keinen Tropfen angerührt, hinzuzusetzen: »Wie du wissen dürftest, hab ich einen Ruf als ergebener Diener des Kaisers von untadeliger Gesetzes- und Vaterlandstreue zu verlieren. Nein, Gernot, nicht mit mir. Mach du dein Stürmchen auf die Bastille der Sittenwächter, aber lass mich aus dem Spiel! Der Einsatz ist mir zu hoch.«

    »Und ich dachte, du bist ein ganzer Mann, ein Kerl aus Eisen und Stahl – wie deine Panzerplatten.«

    »Wenn du in den Federn auch nur annähernd so heiß wärst wie bei deinen Kampagnen!«, kam es zurück.

    »Friedrich, das hast du nicht umsonst ...«

    Aber Krupp, wieder ganz der Großmogul, fiel Gernot unter dröhnendem Lachen ins Wort: »Guck sie dir an, diese athletisch gebauten, blutjungen Caprijungs hier! Die gereichen einem Krupp zur Ehre. Nicht so ’n müdes Gestell, so ’n dürrer Preußenkörper wie du!«

    Dieser Anwurf gab einem weiteren Akteur Oberwasser. Ein schwarzgelockter Narziss italienischen Zungenschlags, der sich Giovanni nannte, trat plötzlich aus dem Hintergrund: »Siehst du? Nix du! Io. Ich bin Liebeling dem Capitano. Primo amante. Du kriegen kein’ hoch!«, gluckste er glück- und weinselig.

    »Halt dich geschlossen, Giovanni! Satansbraten!« Aufbrausend, soweit es ihm sein dünnes Stimmchen erlaubte, ging Gernot auf die Palme.

    Was ihm eine nun wieder völlig ungezwungen lallende und lachende Quittung seitens seines Meisters eintrug: »Ruhig, Gernot, langes Elend, ganz ruhig. Pass mal auf, wir werden dir jetzt mal stahlhart zeigen, was dein § 175 uns so alles vermasselt, was für ...«

    »Danke, da brauch ich weiß Gott keine Belehrung. – Friedrich, he, wenn du deine Barbaren hier nicht zurückhältst, ich ...«

    Und schon war das schönste Handgemenge im Gange. Zahllose Hände, die’s ansonsten gewohnt waren, schwere, mehr oder minder prall gefüllte Netze an Bord zu ziehen, verkrallten sich in Gernots weißwallendem Gewand.

    »Bleibt mir von der Wäsche!«, schrie er mit dem Mut der Verzweiflung ins Rund der grölenden Kerle. Was einen von ihnen dazu veranlasste, ihn in den Schwitzkasten zu

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