Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
Von Mario Covi
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Über dieses E-Book
"Der Autor", so die Meinung eines Lesers, "hat den Mut zu einer ehrlichen Darstellung der Seefahrt, besonders hinter den Kulissen, gefunden. Alle Härten auf See, aber auch die Schönheiten der Welt sind in ausgezeichneter Weise dargestellt…"
In den letzten Jahren hat sich die Seefahrt rasant gewandelt, fast so dramatisch wie einst, als die Großsegler von den Dampfschiffen, die Stückgutfrachter von den Containerschiffen abgelöst wurden. Eindrucksvoll vermittelt der Autor diesen Wandel, und er berichtet vom Niedergang der deutschen Handelsflotte, von den Seeleuten als frühen Opfern der Globalisierung, die uns mittlerweile alle eingeholt hat.
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Rezensionen für Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1
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Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 1 - Mario Covi
1. VOM SALZGESCHMACK DER FERNE
chapter1Image1.jpegWir lagen vor Madagaskar…
Seefahrt... Na? Geht es da nicht gleich los mit den Klischees? Den blauen Jungs und den Mädels in jedem Hafen? Den tätowierten, Shantys singenden braungebrannten Matrosen in ihren blauweißen Ringelhemden? Ist es da nicht höchste Zeit, dass endlich einer aus dem maritimen Nähkästchen plaudert? Aus der übervollen Seemannskiste Döntjes, Schnacks und Anekdoten auspackt? Aus dem salzwasserverkrusteten Seesack die boshafte Bordkatze herauslässt?
Die folgenden Episoden, Storys, Gespräche, Lieder und Fotos über die christliche Seefahrt passen nicht ganz in das Bild, das uns die marineblaue und traditionsbeflissene Ahoi-Literatur weiszumachen versucht. Seefahrt als Abenteuer oder Beruf wird meistens von Nicht-Seeleuten geschildert. Lothar-Günther Buchheim sagt in seinem Buch 'Der Luxus-Liner' „... Wenn mehr Seeleute über ihren Beruf schrieben, müssten höchst interessante Geschichten zutage kommen. Sie tun es nicht. Wahrscheinlich hindert sie daran das Gefühl, so etwas schicke sich nicht ..."
Vergessen wir die Schicklichkeit. Wir leben längst in einer Gesellschaft, in der Tabubrüche fast langweilig geworden sind. Also werde ich offen vom kolumbianischen Sündenpfuhl Schanker Hill
oder über die bizarre Liebesbeziehung eines Seemanns zu seiner Sexpuppe berichten. Auch über wüste Besäufnisse, rassistisches Gelaber, oder die ärgerliche Unaufrichtigkeit manch imagegeilen Kapitäns will ich keine zurückhaltende Verschwiegenheit mehr gelten lassen. Allerdings muss ich dann auch ehrlich das Schweigen über die eigene Unzulänglichkeit brechen. Ehrlichkeit tut immer irgendjemandem weh!
Vermutlich werde ich manches Klischee bedienen. Ich hoffe aber auch, dass einige schablonenhafte Vorstellungen und Bilder über die Seefahrt zurechtgerückt werden. Deshalb habe ich an Bord Gespräche mit Fahrensleuten auf Tonband aufgezeichnet, habe Geschichten und Schnacks aus vielen Seefahrtjahren gesammelt und niedergeschrieben. Manches ist derb, mag unbeholfen sein. Auch die Unfähigkeit, sich auszudrücken, kann beredt sein.
Subjektiv ist diese Schreibe, mitunter zornig, vielleicht sogar wehleidig. Vor allem dann, wenn ich Aufzeichnungen aus alten Tagebüchern so übernehme, wie ich sie vor vielen Jahren niedergeschrieben habe. Viele Namen von Personen habe ich deshalb geändert. Die Namen der Schiffe und Reedereien allerdings unverändert gelassen. Es gab eine Zeit, da schwiegen wir auf See lieber, um den Mächtigen der Handelsschifffahrt nicht auf die elitären Schlipse zu treten. Denjenigen, die als Reeder und Kaufleute, als gestrenge Inspektoren und Kapitäne ein gewichtigeres Wort in diesem Metier mitzureden hatten. Doch welcher dieser Sesselfurzer, welche Landratte interessierte sich damals eigentlich wirklich, wie es Hein Seemann dort draußen auf See erging? Klar, unser Verhalten weit hinterm Horizont an fremden Küsten war für die Daheimgebliebenen auch nicht immer nachvollziehbar...
Mittlerweile bin auch ich eine Landratte. In meinem Beruf als Schiffsfunker könnte ich nur noch als maritimes Museumsstück ausgestellt werden. Funker gibt es längst nicht mehr. Die Satelliten, Handy, Smartphone u. Co. haben übernommen. Gleichwohl scheinen die Zeiten von einst gerade erst gestern gewesen zu sein. 28 Jahre Seefahrtzeit, von 1962 bis 1990, lassen sich nicht einfach so wegheften!
Vom Salzgeschmack der Ferne will ich erzählen. Von der Weite unseres vom Meerwasser umflossenen Planeten... Ich weiß, Sie meinen, die Welt sei klein geworden. Irgendwie stimmt das sogar. Im Internet lässt sich fast jedes Abenteuer aus dem Katalog bestellen. Jeder, der es sich leisten will, kann sich dort auf der Suche nach Extravaganz den absolut ober-geilen ultimativen Kick andrehen lassen. Doch, macht Massentourismus die Welt wirklich kleiner? Er verwässert nur den Reiz des Fremden, wenn man am anderen Ende der Welt ausschließlich auf andere Urlauber – und nicht auf die erwartete fremde Kultur stößt.
Zugegeben, manchmal bin ich ein arrogantes Lästermaul. Natürlich ist das Reisen kein Privileg der Seeleute! Aber ich bin überzeugt, auch Sie können sie nicht sonderlich leiden, diese Last-Minute-Lemminge, die unsere aufregende Erde breittreten, Exotik konsumieren wie Cola Light, nicht viel begreifen von der Faszination der Fremdartigkeit, und hinterher behaupten, es sei eigentlich überall wie auf 'Malle' gewesen. Das Reisen sollte ein Akt des Entdeckens sein, und nicht nur des Konsumierens. Oder ist das eine längst überholte Weltanschauung?
Ich erinnere mich an eine Zeitungsnotiz. Da beklagte das Corps Touristique, dass durch die Vermarktung der Tourismusindustrie die kulturelle Identität vieler Urlaubsländer bedroht sei. Den großen Konzernen gehe es darum, einzelne Länder in Marken zu verwandeln, die jede Eigenständigkeit einfach platt walzen
. Wenn sich die Länder erst ähnelten, könnten die Touristen ihren Urlaub ebenso gut unter der Käseglocke eines Freizeitparks
verbringen, kritisierte der Verband.
Also, bevor unser Globus zu einem Freizeitpark verkommt, fahren Sie mit, kommen Sie an Bord, vergessen Sie den dämlichen Schnack, dass die Welt klein geworden sei! Lassen Sie sich vom Salzgeschmack der Ferne erzählen. Von Ländern, die uns jungem Seemannsvolk noch abenteuerlich fremd und aufregend erschienen, die wir noch selbst entdecken wollten. Auch wenn viele Seeleute es nicht zugeben, die meisten von uns wären gerne Kolumbus gewesen. Lassen Sie sich von Traumtrips erzählen, die jeder Seemann irgendwann erlebte. Aber auch von Rattendampfern, von vergeblichen Träumen und der Einsamkeit, die uns dort draußen zu schaffen machte. Von den Verführungen, denen wir ausgesetzt waren, von den freizügigen Mädchen, vom Teufel Alkohol, vom Schmuggel und manch bösem Erwachen.
Und stellvertretend für die Fahrensleute von einst – wir waren schließlich einmal 70.000 - möchte ich die Frage stellen, ob es die Jahre wert waren, auf so allerlei im Leben verzichtet zu haben. Für die Illusion, ein kerniger Macker zu sein? Für ein bisschen Abenteuer? Oder war es doch das großartige Gefühl der Freiheit, die wir dort hinterm Horizont suchten?
chapter1Image2.jpegVor der Pazifikküste Mittelamerikas
2. DAS WAREN NOCH SCHIFFE!
Anfang Februar 1981 musterte ich auf einem Schiff an, das erst zwei Jahre alt war. Ein ziemlich neuer Kahn, die Bernhard-S
. 5215 Bruttoregistertonnen, 117 Meter lang, rund 18 Meter breit, Maximalgeschwindigkeit 17,2 Knoten, was etwa 32 km/h entspricht. Eine beachtliche Geschwindigkeit für ein Frachtschiff.
Das war’s dann aber! Jeglicher weiterer Fortschritt, der dem Menschen hätte zugutekommen können, war dem eisernen Sparwillen der Reederei zum Opfer gefallen. Man sparte an allem, nicht nur an der Besatzung. Unterbesetzt zu fahren war längst gang und gäbe! Nein, man sparte an peinlichen Lächerlichkeiten. Der Reeder weigerte sich beispielsweise Handtücher zu stellen. Es gab nur zehn Stück – für 15 Mann Besatzung!
In solchen Augenblicken erinnerte man sich gerne der alten Schiffe. Jener gemächlichen Pötte, die gerade 8 oder 10 Knoten schafften, auf denen aber noch Stewards fuhren, die einen vollen Wäscheschapp verwalteten. Kähne mit Messingbullaugen, robusten Steuerrädern, qualmenden Schornsteinen und richtigen Holzdecks. Ach ja, wann hatte ich das letzte Holzdeck gesehen!
graphics4M/S 'Griesheim' Baujahr 1928
Da war die alte Griesheim
, ein Oldtimer mit geradem Steven und Tausenden von Nieten am Schiffsrumpf. Sie war 1928 in Norwegen gebaut worden, hatte einst, weiß gemalt und stolz, als Zuckerfahrer kubanisch-karibische Wogen durchpflügt. Sie war bereits 37 Jahre alt, als ich 1965 ihre weißgescheuerten Holzdecks betrat. Ein nostalgischer Zossen, vernarbt und rostzerfressen, gut genug für die dreckige Schwefelkiesfahrt zwischen Südspanien und Rotterdam. Die Decksbesatzung glich eher Kohlenpottkumpels als frischluftverwöhnten Marineros.
Eine fröhliche 'Teatime'-Runde auf M/S Griesheim, wo nach staubigem Schwefelkiesladen in Huelva Rotwein statt Tee getrunken wurde.
Die Fenster der oberen Aufbauten bestanden aus Holzrahmen, die sich zum Öffnen an einem Lederriemen versenken ließen, wie weiland die Fenster der Deutschen Reichsbahn. Staub, Wind und Spritzwasser fanden da ungehindert Durchlass. Als beim ersten schlechten Wetter Wasser in meinen Schapps (Seemannsprache für Schrank) schwappte, erklärte mir der Bootsmann: „Was meinste wohl, was da unter der Farbe ist? Rundherum Leukoplast und Isolierband. Überall dort, wo du mit dem Finger durch Rost stoßen kannst. Und dann halt ‘n Schlag Farbe drauf. Mit einem Kran könntest du den ganzen Aufbau abheben!"
Oder die Schürbek
, ein spartanischer Dampfer aus den Nachkriegsjahren. Die Kolbendampfmaschine war allerdings eine Sehenswürdigkeit. Da blinkte Messing und Kupfer, und wenn sie lief, sah man, dass sich etwas bewegte. Eine Maschine, die lebte, pulsierte, stieß, drehte, verhalten zischte und stampfte.
Dampfer 'Schürbek'
Das waren noch Schiffe, möchte man erinnerungstrunken aufseufzen. Wie immer verblassen beim Rückblick die negativen Dinge. Hundsmiserable sanitäre Einrichtungen zum Beispiel, wo der einzige erfrischende Wasserstrahl nur eine Salzwasserdusche war. Ein älterer Steuermann beschrieb mir einmal in plastischen Worten den immer höher werdenden Fäkalienberg im Mannschaftsabort eines Kümos – eines Küstenmotorschiffes. „Dat war ‘n einziger Turmbau zu Babel, knochenhart gefroren in der Eisfahrt da oben in der Ostsee. Und einer schiss auf die Kupferbolzen des anderen, bis keiner mehr sitzen konnte... Und ich als Moses musste dann immer den verdammten Dreck auftauen!"
Dagegen hatte ich es regelrecht komfortabel auf dem M/S Griesheim
. Um zur einzigen gemeinsamen Dusche und Toilette für die Offiziere zu gelangen, musste ich, von ganz oben, wo die Funker üblicherweise hausten, zwei Decks hinunter aufs Hauptdeck. Dort waren die Zugänge in die Aufbauten. Ein Treppenhaus, Niedergänge im Schiff, gab es nicht. Das bedeutete, dass ich mich nach dem Duschen wieder durch Wind, Wetter, und Dunkelheit in die Funkbude hoch hangeln musste. Bei eisigem Wintersturm war das keine Freude!
Heutzutage haben fast alle eine eigene Dusche mit WC, so dass lästige Spaziergänge durchs Schiff der Vergangenheit angehören. Damals konnte es vorkommen, dass in irgendeinem Hafen die Gattin eines Schiffsoffiziers just in dem Augenblick zum WC huschte, als dieses von einer Dame verlassen wurde, die in der Seemannsfrau die falsche Kollegin vermutete und jovial auf den Busch klopfte: „Sag mal, was nimmst du denn hier für ‘ne Nachtschicht?" Pech, wenn die Seemannsfrau daraufhin erhobenen Hauptes dem sündigen Schiff den Rücken kehrte. Ein schlauer Seemann klärt sein geliebtes Weib rechtzeitig über derlei dumme Zufälle auf.
graphics8Kaffeeladen mit 'Columbus-Geschirr'
Dennoch neigen Seeleute dazu, den alten Schiffen nachzutrauern. Klar, da gab es viele Minuspunkte. Angefangen beim Columbus-Geschirr
, jener traditionellen Lade- und Löschvorrichtung, die aus Mast, Ladebaum, Winde, Geien, Hanger und Runner bestand, bis hin zu den fehlenden Klimaanlagen, Waschmaschinen, Schwimmbecken oder Fernseh- und Videogeräten. Doch das Columbus-Geschirr war einfacher zu reparieren als die modernen elektronikverpäppelten Kräne. Und seit es Klimaanlagen gab, waren Erkältungskrankheiten weitaus häufiger und die Kammertüren ungastlich geschlossen. Außerdem, wer kannte das nicht: die Waschmaschine war dauernd out of order
, die Glotze lieferte wegen defekter Antennenanlage nur Bildrauschen und das Schwimmbecken musste als Rumpelkammer für Tauwerk oder Grillgerätschaften herhalten, da es, mit Wasser gefüllt, die Stabilität des Schiffes beeinträchtigt hätte!
Also, doch nostalgischer Rückblick auf die Oldtimer? Auf diese rostzerfressenen, unrentablen, sich von einer Reparatur in die nächste quälenden Kästen, Eimer, Pötte, Zossen, Zarochels und Schlorrens? Diese schwimmenden Särge mit ihrer leicht entflammbaren Holzvertäfelung und romantischem Edelholzmobiliar? Diese schrottreifen Seelenverkäufer, durch deren malerische Bullaugen im Notfall höchstens die eklige Schoßhundtöle des Alten entkommen konnte?
graphics9Nun, gemütlicher waren sie. Auch sahen sie wirkliche noch wie Schiffe aus, nicht wie ins Wasser gefallene Riesenbügeleisen oder albtraumhafte Fabrikanlagen. Wie hingeklotzte und in die See gerotzte Ungetüme und schwimmende Abschreibungsobjekte, deren Anblick einer echten Teerjacke das Herz zu einem Schäkel erstarren ließ! Monster moderner Seetransportsysteme, auf die Kosenamen wie Pott, Kahn oder Zossen nicht mehr passten. Sie existierten nur noch als Kürzel, als aküsprachliche Blabla-Schrumpfungen: Ro-Ro, Lash, Lo-Lo, Con-Ro, Ro-Lo, Baco, Ro-Lo-Flow, VLCC, ULCC und so weiter und so fort... Tja, man hätte nur unter griechischer, liberianischer oder zypriotischer Billigflagge fahren müssen, denn dorthin wurden sie schließlich verscherbelt und ausgeflaggt, die alten Pötte...
Ich gebe es ja zu, was war das oft für ‘n Schiet und Dreck auf diesen Rattendampfern! Auf der Schürbek
hieß es zweimal täglich: „Rohre blasen!" Dann quoll aus dem Schornstein eine fette schwarze Rußwolke. Heizerflöhe rieselten über Deck, in die Aufbauten, wo man auch hin fasste, die Hände wurden schwarz. Der Zossen qualmte normalerweise schon so erbärmlich, dass die Crew, die achtern hauste, regelrecht geräuchert wurde.
Einmal fiel die Dampfdruck-Ruderanlage aus, und der Schlitten musste mit dem Notruder über den Atlantik gesteuert werden. Dieses aber stand auf der Poop, dem erhöhten Achterdeck. Und dort durfte der Rudergänger an dem rustikalen Speichenrad drehen, umweht von Qualm und Ruß, das Rauschen von Palmen und südamerikanischen Mädchenröcken noch im Ohr. Ganz im Sinne eiserner Traditionalisten, die mit der Erfindung des Ruderhauses den endgültigen Untergang der Seefahrt heraufdämmern sahen. Gemäß dem Lehrsatz von den hölzernen Schiffen und den eisernen Seeleuten. Aber die Zeiten, da Jan und Hein noch nach Tang und Teer rochen, sind vorbei. Heute muffeln sie eher nach Maschinenöl, nach Verdünnung und Schweiß und, landfein gemacht, nach all den zollfreien Duftwässerchen aus dem Kantinen-Store.
graphics11Zurück zum M/S Bernhard-S
. Die Kammern waren hübsch eingerichtet, sogar mit ausziehbarer Koje. Jedenfalls bei den Offizieren. Das war im Allgemeinen immer noch die Ausnahme. Es schien nicht möglich zu sein, Kajüten so zu gestalten, dass bei einer Mitreise von Frauen und Kindern das Wohnen nicht zum Camping wurde. Mit improvisierten Feldlagern auf dem Boden und Kinderbetten aus zusammengeschobenen Stühlen. Die Skandinavier hatten uns da einiges voraus!
Manchmal kam es mir so vor, als sprächen Schiffskonstrukteure und Werften den Seeleuten jegliches Bedürfnis nach Lebensqualität von vornherein ab. Wenn Kajüten und Kojen auf kleinen Schiffen zwangsläufig schmal waren, musste man damit klarkommen. Yachtähnliche Enge konnte urgemütlich und voller Seefahrtsromantik sein. Auf einem kleinen Hochseeschlepper hatte ich eine Kajüte von vier Quadratmetern mit dem Dritten Offizier geteilt, ohne unglücklich zu sein. Unsere Kammer war derart eng, dass man nicht nebeneinander stehen konnte. Auf geräumigen Frachtern von 10 000 BRT indes standen mir manchmal nicht viel größere Kabinen zur Verfügung. Kajüten mit getrenntem Schlafraum gab es nur für die heiligen drei Könige
, den Alten, den Chief (Leitender Ingenieur) und den Ersten Offizier. Als ob die heilige Tradition der Bordhierarchie in den Konstruktionsbüros der Schiffswerften hätte verteidigt werden müssen. Wenn die Seeleute schon keine Uniformen mehr trugen und sich gleichmacherische Denkweise breit zu machen drohte, musste der Dienstgrad wenigstens an der Kojenbreite abzulesen sein: 120 Zentimeter für Kapitän, Chief und Ersten, 90 Zentimeter für die übrigen Schiffsoffiziere und 80 Zentimeter für die Mannschaft!
Klar, da gab es soziale Schutzgesetze und ein Sammelsurium von Verordnungen, das wäre doch gelacht! Oft waren sie uralt, stammten aus den Zeiten der Tiefwassersegler und hatten erst in den 1970-er Jahren einen zeitgemäßen Beschnitt erhalten. Etwa das löbliche Versprechen einer Wohnraumverordnung, demzufolge jedem Besatzungsmitglied vierzehntäglich frische Bettwäsche und wöchentlich mindestens zwei frische Handtücher zur Verfügung zu stellen war. Und Matratzen durften nicht mehr mit Stroh gefüllt sein!
Natürlich blieb die Bedeutung dieser längst fälligen Verordnungen ungeschmälert, man denke nur an die hunderttausend zu berücksichtigenden Dinge auf einem Schiff. Aber es blieben auch die Fragen vieler Seeleute, wo denn wirkliche Verbesserungen spürbar geworden waren und warum nicht nachdrücklicher kontrolliert wurde.
Ein Kapitän erzählte mir von einem Kühlschiff, dessen Vibrationen so enorm waren, dass man an manchen Stellen an Deck nach einer gewissen Zeit einfach ohnmächtig wurde. „Wenn man diese Ecken genau kannte, konnte man als Erster Offizier widerspenstige Matrosen leicht zähmen", bemerkte er grinsend.
Auf einem sechs Monate alten Containerschiff schwollen einem Besatzungsmitglied die Hoden derart an, dass er an ein bösartiges Souvenir vom Karneval auf Trinidad glaubte, wo das Schiff zehn Tage gelegen hatte. Erst nach langwierigen Untersuchungen in Deutschland stellte man fest, dass rein platonische Vibrationen die Ursache gewesen war. Das wäre auf der alten Schürbek
nicht passiert. Die Dampfmaschine drehte so sacht und langsam, dass man das Auslaufen leicht verschlafen konnte.
Einer wusste über seine Zeit auf einem dreiundzwanzig Knoten schnellen Bananenjäger zu berichten, auf dem Vibrationen den Alltag bestimmten: „Auf der Brücke konnte man kein Schiffstagebuch schreiben, in der Kammer konntest du keine Flasche Bier auf den Tisch stellen, im Aufenthaltsraum Mühle, Dame oder Schach zu spielen, alles unmöglich! Bei Schlechtwetter holte der Dampfer 35 oder 40 Grad über, bei einer Rollperiode von sieben Sekunden! Da klatschte dem Funker die Funkstation so von der Wand. In der Kammer versperrte dir losgerissenes Mobiliar den Weg, in der Dusche lösten sich die Fliesen und an Deck riss die Ersatzschiffsschraube aus ihrer Verankerung und rutsche über die Kante..."
Eigentlich müssten Schiffbauer und Reeder zwischendurch ein Pflichtjahr auf so einem Schiff abdienen, um das mal selber zu erleben, war unser Resümee nach diesem Gespräch.
Doch was soll’s, auch die miesen Zeiten auf See gehörten zum Abenteuer Leben! Wir wollten ja unbedingt hinaus, hinter den Horizont, irgendeiner unsäglichen Freiheit nachjagen. Und was schon hätte uns letztendlich wirklich davon abgehalten, zur See zu fahren? Wahrscheinlich die heutige Situation, die einem Ende der Handelsmarine unter deutscher Flagge gleichkommt. Nun ja, damals, auf den alten Pötten, schrieb man Seeschifffahrt noch mit zwei F!
3. LAGOS REEDE
Ende Februar 1981 lag die Bernhard-S
vor Alexandria. Zirka 50 bis 55 Schiffe dümpelten mit ihr am Schlickhaken. Alex
, Ägyptens größter Hafen, war völlig verstopft, seine Kapazität dem Ladungsaufgebot nicht mehr gewachsen. Das war und ist in vielen Häfen dieser Welt so, überall dort, wo ein riesiges Hinterland über ein viel zu enges Einfallstor versorgt werden muss. Zum Beispiel Djidda in Saudi-Arabien oder Lagos in Nigeria. Letzterer Hafen war jahrelang ein Albtraum für Seeleute.
Vor Lagos hatten zeitweise mehr als 250 Schiffe geankert und nicht nur Tage oder Wochen gewartet. Sie lagen dort drei Monate, sechs Monate, zwölf Monate. Es gab sogar still vor sich hin gammelnde Rattendampfer, die es auf ganze zwei Jahre Wartezeit brachten. Ein paar von diesen Seelenverkäufern endeten als heimlich verlassene Wracks, deren Ladung längst unbrauchbar geworden war. Ich entsinne mich an einen auf Grund gesetzten Frachter von dem nur noch die Masten und der Schornstein aus dem Wasser schauten.
Nigeria hatte in seinem Petrodollarrausch Zement in derart größenwahnsinnigen Mengen bestellt, dass eine Entladung der Frachter-Armada in absehbarer Zeit nicht in Aussicht stand. Man erzählte sich haarsträubende Halsabschneider-Döntjes über kaltschnäuzige Geschäftemacher. Diese, meist levantinisch-griechischer Provenienz, kauften