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Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .
eBook311 Seiten3 Stunden

Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .

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Über dieses E-Book

Die Faszination der Seefahrt… Erinnerungen an exotische Gestade, an Zeiten, da es hinaus ging auf See mit einem zusammengewürfelten Haufen ziemlich zügelloser Kerle, die sich zu einer funktionierenden Gemeinschaft zusammenraufen mussten. Der Schiffsfunker Mario Covi erzählt über seine Seefahrtzeit von 1962 bis 1990, als er auf Tramp- und Linienschiffen, auf Hochseeschleppern und Tankern die Weltmeere befuhr. Er berichtet über ein Leben zwischen Abenteuer und Beruf, vom wilden Leben in den Häfen und von gefahrvollen und einsamen Momenten auf See. Er erzählt von blinden Passagieren, vom Schmuggel, von Unfällen, von Seenot und dem steten Traum vom Traumtrip. Und von den zärtlichen Momenten eines komplizierten Familienlebens, auf das auch ein Seemann einen berechtigten Anspruch hat.
"Der Autor", so die Meinung eines Lesers, "hat den Mut zu einer ehrlichen Darstellung der Seefahrt, besonders hinter den Kulissen, gefunden. Alle Härten auf See, aber auch die Schönheiten der Welt sind in ausgezeichneter Weise dargestellt…"
In den letzten Jahren hat sich die Seefahrt rasant gewandelt, fast so dramatisch wie einst, als die Großsegler von den Dampfschiffen, die Stückgutfrachter von den Containerschiffen abgelöst wurden. Eindrucksvoll vermittelt der Autor diesen Wandel, und er berichtet vom Niedergang der deutschen Handelsflotte, von den Seeleuten als frühen Opfern der Globalisierung, die uns mittlerweile alle eingeholt hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Apr. 2014
ISBN9783847681298
Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2: Von Traumtrips, Rattendampfern, wilder Lebenslust und schmerzvollem Abschiednehmen . . .

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    Buchvorschau

    Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 2 - Mario Covi

    1. WILLIAMSON-TURN UND PORTERHOUSE-STEAKS

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    Am 12. Juli 1981 machte das M/S Bernhard-S wieder in Baltimore fest. Mit dem türkischen Schlüsselmatrosen und dem neuen Leichtmatrosen Wilfried (alle Personennamen geändert) fuhr ich zum Inner Harbor, wo ein Greek Festival stattfand, ein griechisches Volksfest. Es herrschte ein toller Betrieb. Familien flanierten im typisch anmutenden Yankee-Look: Daddy in karierter Flatterhose, mit Baseballmütze auf dem Kopf und ausgelatschten Joggingschuhen, während Mama ihren prallen Hintern reißfesten rosa Shorts anvertraute. Amerika ist für Hinternfetischisten ein Erlebnis! Es hat wohl auch etwas mit freier Meinungsäußerung und Selbstbewusstsein zu tun, aber in keinem Land der Erde werden fettere Ärsche so selbstverständlich in enge Shorts und Jeans gezwängt und mit softeisschleckender Selbstverständlichkeit durch die Welt geschaukelt, wie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten!

    Die Schwarzen schienen zu dominieren. Elegante Dandys und gertenschlanke Gazellen, deren erotisierende Schönheit jeder weißen Rassenüberheblichkeit hohnlachte. Natürlich wimmelte es von Amerikanern, die allesamt stolz zu sein schienen, aus dem Land des Aristoteles, des Sirtaki und des Ouzo zu stammen. Vor allem die beiden letzten Merkmale hellenischer Lebensart wurden, zur Freude des Ohrs und Wonne der Kehle, in luftigen Zeltpavillons feilgeboten. Es gab noch vielerlei andere folkloristische Lustbarkeiten. Amerikaner, sind sie erst mal Bürger dieses Landes, entwickeln ein Faible für das Volksgut ihrer Väter. So waren die griechischstämmigen Amerikaner des Festivals mit Hingabe Hellenen, wie andernorts die Bierzeltbesucher irgendeines Präriedörfchens deutscher sind als die Durchschnittsgermanen in der alten Heimat. Selbst ein Achtelindianer weist mit Stolz auf seine roten Vorfahren hin, was er, wäre er Halbindianer, am liebsten verheimlichte. Im Falle eines schwarzen Vorfahren sieht es noch verlogener aus, denn da beginnen die politischen und gesellschaftlichen Behinderungen.

    Umgekehrt sind Neueinwanderer oft amerikanischer als die Nordamerikaner. Das konnte man besonders während der Sechzigerjahre in den USA und Kanada beobachten. Manche Neuankömmlinge sprachen schon nach vierzehn Tagen kein Wort Deutsch mehr. Oder sie baten an Bord radebrechend um German black-bread und mimten herum: „Tell me, wie heißen Swarzbrot auf Deutsch? Hein Seemann zitierte in solchen Situationen gerne die alte Beschwörungsformel: „Gott schütze uns vor Sturm und Wind – und Deutschen, die im Ausland sind!

    Drei Tage später machten wir in aller Frühe in Charleston, South Carolina, fest. Mit dem Koch und dem Leichtmatrosen Wilfried fuhr ich in die Stadt, wo wir in einem Supermarkt riesige Porterhouse-Steaks einkauften. Klodeckelgroße Apparate von einem Pfund Gewicht. Das amerikanische Pfund, also 453 Gramm, für vier Dollars und siebzig Cents! Bezahlt wurde der Spaß aus der sogenannten Sportkasse, eine Einrichtung auf vielen Schiffen, die ursprünglich zur Finanzierung von Fußballzubehör oder Tischtennisgerätschaften gedacht war. Meist musste diese Sportkasse für gemeinsame Freizeitausgaben herhalten. Dafür bezahlte jedes Besatzungsmitglied monatlich einen freiwilligen Beitrag, etwa fünf Mark.

    Zehn Stunden nach Einlaufen waren wir bereits wieder auf dem Weg nach Europa. Das Wetter war sonnig und warm, und der Alte erinnerte uns am nächsten Tag daran, dass ein Schiff keine Bremsen habe. „Na und? mag da die eine oder andere hartgesottene Landratte nachhaken: „Dann stoppt ihr halt die Maschine und gebt volle Kraft zurück! - Richtig, aber so ein eiserner Kahn braucht oft mehrere Kilometer, bis er steht. Für ein Mann-über-Bord-Manöver ein viel zu langer Bremsweg, den das Schiff anschließend auch noch zurückfahren müsste, um an die Unglückstelle zurückzukehren.

    Es war also ein Mann-über-Bord-Manöver angesagt, und Kapitän Arnold fuhr einen Williamson-Turn, für dessen fachmännische Durchführung unser Kommandant bekannt war. Bei diesem Williamson-Turn wird durch ein Hartrudermanöver zunächst rund 60 Grad Kursänderung erzwungen. Hierauf wird Gegenruder gegeben, so dass das Schiff auf ziemlich genauen Gegenkurs zu liegen kommt, und in das eigene Kielwasser – die Spur des Schiffes – einschwenkt. Von oben sähe es etwa so aus, als zeichnete das Schiff die Linie einer großen Schlinge.

    Wir übten dieses Manöver mit einem Rettungsring. Vom Außenbordwerfen des Ringes, über das Auslösen des Generalalarms, das Einleiten des Williamson-Turns, Erreichen der Unfallstelle, Aussetzen des Rettungsbootes bis zum Auffischen des Rettungsringes vergingen rund zwölf Minuten. Nach zwanzig Minuten hing das Rettungsboot wieder in den Davits. Ein beachtlich schnell abgewickeltes Mann-über-Bord-Manöver!

    Sollte man einmal über die Kante gehen, so war es beruhigend zu wissen, dass ein zielstrebig ausgeführter Williamson-Turn baldige Rettung versprach – sofern jemand den Unfall beobachtete. Ich glaube, dass jedem Seemann schon einmal die schreckliche Frage in den Sinn kam: „Was ist, wenn ich jetzt unbemerkt ins Meer falle?" Mich quälten solche Gedanken gerne, wenn ich nachts über Deck ging und auch mal lange dem vorbeiziehenden unheimlichen Ozeangewoge nachträumte.

    Am eindrucksvollsten ist in diesem Zusammenhang die Geschichte eines Seemannes, der mitten im Atlantik von einem deutschen Frachter ins Wasser gefallen war und – soweit ich mich entsinne – nach etwa anderthalb Tagen endlich gefunden worden war. Was musste der Mann durchgemacht haben, als des Nachts, nachdem erst Stunden später seine Nichtanwesenheit aufgefallen war, das hell erleuchtete Schiff mit Gegenkurs dicht an ihm vorbeituckerte – und nach ergebnisloser Suche wiederum, ohne seine Hilfeschreie zu hören, im Dunkeln der atlantischen Nacht entschwand! Der im Wasser treibende Seemann hatte daraufhin versucht, seine Pulsadern durchzubeißen, um seinem hoffnungslosen Zustand ein rasches Ende zu bereiten. Es war ihm aber nicht gelungen. Irgendwann hatte er begonnen, nur noch apathisch schwimmend dahinzudämmern, von einem nicht zu kontrollierenden Lebenswillen am Sterben gehindert. Der grausamen Nacht war ein endloser Tag der Verzweiflung gefolgt. Und nach über dreißig Stunden, just in dem Moment, in dem die Suche bei Sonnenuntergang als ergebnislos abgebrochen werden sollte, entdeckte der Matrose eines amerikanischen Küstenwachtbootes den verlorenen Seemann.

    Am Tag nach unserem Mann-über-Bord-Manöver briste es auf und es begann zu regnen. Typisch, denn es war Samstag und abends sollte gegrillt werden. Wir ließen uns dennoch, achtern zwischen Pollern und Winschen vor dem Regen einigermaßen geschützt, die klodeckelgroßen Steaks schmatzend und grunzend schmecken!

    Grillpartys an Bord waren ziemlich die einzigen kleinen gesellschaftlichen Ereignisse während eines langen Seetörns, abgesehen von gelegentlichen Geburtstagsbesäufnissen oder der traditionellen Weihnachtsprügelei, um mal ganz bitterböse und verallgemeinernd das Kind mit dem Bade auszuschütten. Bei renommierten Reedereien gingen diese Fressfeierlichkeiten zu Lasten der Firma, da so ein Barbecue im Freien schließlich eine normale Mahlzeit ersetzte. Das war einmal! Hier mussten derartige kleine Freuden selbst finanziert werden. Der Proviantsatz, die heilige Kuh vieler Kapitäne und Reedereien, hätte ja um einige Pfennige steigen können!

    Am Proviantsatz, den durchschnittlichen Verpflegungskosten pro Tag und Kopf, wurde das Können von Kapitänen gemessen. So schien es jedenfalls, denn gar zu häufig spielten Reeder oder zuständige Inspektoren die Schiffsführer gegeneinander aus. Sie etikettierten und ordneten sie in die billigsten und die teuersten Proviantsatzfahrer!

    Bei vielen Schifffahrtslinien machte der Funkoffizier die Verwaltung, und oft auch die Proviantabrechnung. Bei anderen Kompanien, wie der unseren, führte das der Kapitän aus. Eine Proviantabrechnung war mit einigen Mühen verbunden, ließ sich aber meist locker erledigen. Sie konnte allerdings auch zum kleinkarierten Kommastellenkampf von Pfennigfuchsern werden, als könne nur so der drohende Niedergang der Reederei abgewendet werden!

    Bei einer Reederei kam folgendes Rundschreiben an Bord: „Wie uns zu Ohren kam, werden sonntags zum Nachtisch zwei Scheiben Ananas gereicht. Wir sind der Ansicht, dass auch eine Scheibe genügt." - Im Rundschreiben einer anderen Kompanie wurde die Konsequenz des Ausflaggens angedeutet, sollte nicht sparsamer verpflegt werden!

    Die Bordverpflegung auf deutschen Schiffen war in der Regel üppig bis ausgezeichnet. Je nach Können des Chefs natürlich. Doch dazwischen lag stets der Schiffshändler, und war dieser ein halsabschneiderischer Bandit, hatte der Koch einen schlechten Stand. Denn nicht selten wurde regelrechter Schrott geliefert! Ich erinnere mich an ranzige Butter, an Hähnchen, die den Beinamen Fliegende Fische erhielten, weil sie mit Fischmehl gemästet so kräftig nach Fisch schmeckten, an Konserven, Quarkspeisen oder Joghurt mit längst abgelaufenen Haltbarkeitsdaten. Nicht selten wirtschafteten Köche und Kapitäne hemmungslos in die eigene Tasche, indem sie eingesparten Proviant verscherbelten, oder bei Proviantbestellungen dem Schiffshändler den Zuschlag erteilten, der die höchste Schmiergeldsumme zahlte. So reichte der Schiffshändler den Schwarzen Peter an die Besatzung weiter, und lieferte billigsten Proviant, der nicht selten ungegessen über die Kante geworfen wurde. Mehr Qualität wäre auf Kosten der Quantität billiger gewesen!

    Allerdings gab es auch Schiffe, Kapitäne und Reedereien, denen mit den geschilderten Zuständen Unrecht getan würde. Ich habe Schiffe erlebt, auf denen das Essen mit jeder gutbürgerlichen Küche konkurrieren konnte oder streckenweise ein kulinarischer Sinnenrausch war, dank ausgezeichneter Köche, die guten Proviant zur Verfügung hatten und keinen pfennigfuchsenden Speckschneider fürchten mussten.

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    Wir saßen also an Deck und genossen die Grillsteaks. Nachgespült wurde mit einer Bowle, obwohl einigen ein Bier oder einfacher Wein passender erschienen wäre. Doch der Stoff war süffig und heizte die Stimmung an. Dass die Bowle ein Schlitzohrengesöff war, dämmerte uns erst allmählich. Der Alte hatte sich nämlich vierzehn Flaschen Wein mit einem Hunderter aus der Gemeinschaftskasse vergüten lassen. Der Tischwein war allerdings eine geschenkte Probe der Weinladung, die wir von Italien in die USA gebracht hatten.

    So hatte der Alte wieder ein bauernschlaues Geschäftchen gemacht. Was uns ärgerte, war nicht der lächerliche Geldbetrag, den er uns aus den Taschen zog, sondern die dreiste Selbstherrlichkeit, die ihn keinen Gedanken daran verschwenden ließ, wir könnten sein schäbiges Spielchen durchschauen. Wir fanden seine Handlungsweise einfach kleinlich und unkameradschaftlich!

    Als der Erste die Sache durchschaute, sagte er: „Mensch, und ich hab noch den ganzen Kühlschrank voll von dem Stoff. Den hätte ich gerne auf den Markt geschmissen!"

    2. EIN RÄTSEL

    Wir näherten uns wieder der Alten Welt und steuerten dieses Mal die Azoreninsel Santa Maria an. Sie ist das südöstlichste Eiland des Archipels. Das Seehandbuch verriet mir, dass sie neun Seemeilen lang, fünf Seemeilen breit, von 12.000 Menschen bewohnt und ihre höchste Erhebung der 590 Meter hohe Doppelgipfel Pico Alto sei.

    Am Vormittag des 23. Juli 1981 tuckerten wir dann ziemlich dicht an Santa Maria vorbei, sahen Terrassenfelder, bewaldete Berggipfel, die jähen Ufer. Wir schauten wieder einmal Land, das Grün der Felder, das Weiß der Häuser. Wir blickten auf eine kleine Welt, die rasch vorbeizog, deren Farben verliefen, matt wurden, im Weißblau der Kimm zu Schatten unter einem Wolkenturm schrumpften, zu einer Schmuddelstelle an der blankgeputzten, leeren Linie des Horizonts: ferner Hauch, eine Ahnung, schließlich nichts mehr...

    Während ich dem entschwindenden Eiland nachsann, fiel mir ein Ereignis ein, das sich hier vor fast genau vierzehn Jahren ereignet hatte. Ich war einige Zeit mit ein paar Seeleuten gefahren, die mir davon erzählten, wie sie die Explosion eines Chemikalientankers wie durch ein Wunder unbeschadet überlebt hatten.

    Es war am 2. Juni 1967, da fuhren diese jungen Männer als Teil einer 46-köpfigen Besatzung auf diesem Spezialschiff. Der fast 13.000 BRT große Tanker war sehr kostspielig aufgerüstet worden und konnte, wenn ich mich richtig entsinne, an die zwanzig verschiedene Chemikalien transportieren. Man hatte besonders darauf geachtet, dass eine hochkarätige Isolation aller Tankgruppen voneinander gewährleistet wurde. Die Schotten und Tankwände waren mit extrem säurebeständigen Schutzbezügen versehen. Vier Jahre lang war auf dem Schiff alles in Ordnung und bestens gelaufen. Bis zu jenem 2. Juni 1967.

    Damals befand sich die Essberger Chemist irgendwo südwestlich der Inselgruppe. Die Matrosen hatten an Deck ihre Arbeit unterbrochen, um während der Tea-Time ein kühles Bierchen zu schnasseln, wie das häufig so üblich war. In sommerlicher Azorenhochlaune meinte der Bootsmann: „Ach, einen können wir noch!" – Und er überzog die Vormittagspause großzügig um einige Minuten und ließ das Bier zischen – als es zweimal donnerte. Und zwar so gewaltig, dass dort, wo die Männer inzwischen hätten arbeiten müssen, ein riesiges Loch klaffte. Der Tanker war explodiert!

    Es war wirklich ein Wunder, dass keiner an Bord ernsthaft verletzt worden war. Das Schiff sah aus wie eine Heringsbüchse, die ein Grizzlybär in die gierigen Klauen bekommen hatte. Das Deck klaffte zerfetzt, Eisenplatten waren zerknüllt worden wie Papier, Spanten, Decksbalken, Verstrebungen, der gesamte Querverband verbogen und zerrissen. Leitungen und Rohe quollen hervor wie Gedärm. Der Chemikalientanker war zu einem Wrack zerschlagen, aus zwei nur noch lose aneinanderhängenden Teilen bestehend!

    Angst und Entsetzen zunächst. Die grauenhafte Vorstellung: gleich kracht es erneut und der Kasten steht in hellen Flammen. Oder die Fetzen fliegen donnergrollend mit All Hands gen Himmel und dann ab in die Hölle! Doch dann siegte die Einsicht, rasch zu handeln. Die Rettungsboote konnten ausgesetzt werden, dem Funker gelang noch ein SOS-Ruf, der Erste holte seine Filmkamera und der Dritte Offizier flitzte in seiner Pfiffigkeit in die Kajüte des Alten und packte den Kühlschrankinhalt in eine Isoliertasche. Dann aber nichts wie weg vom Dampfer, bevor es sich der Glücksgott anders überlegte.

    In der Zwischenzeit hatte der Seenotruf Wirkung gezeigt und ein Flugzeug war von den Azoren zur Position der Katastrophe gestartet. Leider entsinne ich mich nicht mehr, ob es sich um eine amerikanische Coast-Guard-Maschine oder einen portugiesischen Marineflieger gehandelt hatte. Jedenfalls musste der zerrissene Tanker von oben einen derart schockierenden Eindruck gemacht haben, dass ein für Katastrophenfälle geschulter Mann sofort mit signalfarben leuchtendem Fallschirm über den Rettungsbooten absprang. Er hatte befürchtet, Tote und Schwerverletzte vorzufinden, Wunden nähen, Gliedmaßen schienen, vermutlich Amputationen vornehmen zu müssen.

    So war auch die erste Frage des Fallschirmspringers, als er sich patschnass über das Dollbord auf die Duchten wälzte: „Wie viele Verletzte sind zu versorgen? - Der pfiffige Dritte aber winkte mit den anderen beschwichtigend ab und fragte stattdessen: „Was darf ich Ihnen anbieten? Bier, Whisky-Soda, Gin-Tonic, Bacardi-Coke...?

    Der Retter war so verdutzt, dass er prompt antwortete: „Whisky-Soda!" – Wahrscheinlich nahm er an, die Schiffbrüchigen würden zum Abreagieren des Schocks einen dummen Spaß riskieren. Er staunte allerdings nicht schlecht, als ihm das Gewünschte tatsächlich gereicht wurde. Natürlich trank er auf das unfassbare Glück der Tankerfahrer.

    Mittlerweile war ein griechischer Bergungsschlepper zur Unglückstelle geeilt. Von den beiden Teilen des Tankers war eigentlich nur noch das Achterschiff mit der Maschinenanlage und den Wohneinrichtungen als Bergungsbeute interessant. Zunächst aber ging ein gemeinsames Kommando der Schlepper- und Tankerbesatzung auf den vorderen Teil des Tankers mit seiner nach wie vor äußerst gefährlichen Ladung. Sie legten Sprengladungen, doch alles was knallte, waren die Sprengsätze selbst. Das Vorschiff trieb weiterhin mit 1.700 Tonnen hochaggressiver Chemikalien als bizarres Wrack im Nordatlantik und bedrohte die übrige Schifffahrt.

    Es war grotesk, aber das Wrack wollte sich nicht versenken lassen. Man sprengte, man ballerte, man bombardierte. Schließlich musste die britische Fregatte Salisbury her, die volles Rohr auf den zähen Tanker feuerte. Das reichte aber nicht aus, denn das britische Atom-U-Boot Dreadnought setzte noch einige Torpedos in die Chemikalien-Kiste, die es irgendwann satt hatte, den Blaujacken als Zielscheibe zu dienen – und für immer im Atlantik verschwand!

    Die Schiffbrüchigen wurden nach Ponta Delgada, der Hauptstadt des Azorenarchipels gebracht, dorthin, wo auch das Achterschiff, nun im Besitz der Bergungsfirma, geschleppt worden war. Und den Jungs blieb genügend Zeit, um ihre Wiedergeburt in diesem gastlichen Hafen zünftig zu feiern.

    Hochbrisant muss die Mischung der diversen Gifte gewesen sein, als das Schiff noch fuhr. Da hatte scheinbar ein Fliegenfurz ausgereicht, um den Pott zur Hölle fahren zu lassen. Weshalb der Zarochel mit seinem komplizierten Pumpen- und Tanksystem explodierte, war auch während einer späteren Seeamtsverhandlung nicht zu ermitteln. Einer der Augenzeugen, der auch alles mit seiner Super-8-Filmkamera festgehalten hatte, erzählte, dass Experten vor den chemischen Formeln der Spezialbrühen kapitulierten. Was letztendlich ein vielleicht nur für Sekunden existierendes hochexplosives Gasgemisch der diversen Tankinhalte zündete, irgendein Zusammentreffen unvorstellbarer Begleitumstände, wird bleiben, was es von Anfang an war: Ein Rätsel!

    Filmmaterial und Bilder zu dieser Katastrophe finden sie im Internet unter folgenden links:

    http://www.criticalpast.com/video/65675042822_German-Essberger-Chemist_British-Dreadnought-submarine_torpedoes-hit_smoke-rises

    http://dal-jte-sammlung.de/index.php?page=JTE/nach1945/wilhelmine

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    Sturmhimmel

    3. ALARMZEICHEN UND NOTRUFE

    24. Juli 1981. Es war 11.04 Uhr GMT, mittlere Greenwichzeit, die im Augenblick unserer Bordzeit entsprach, als ich auf der Notfrequenz 500 kHz das Alarmzeichen hörte. Dieses sollte nach Möglichkeit vor einem SOS-Ruf oder einer XXX-Dringlichkeitsmeldung ausgestrahlt werden. Es bestand aus mindestens vier Strichen – also langen Morsetönen – von jeweils vier Sekunden Länge mit einer Sekunde Zwischenpause. Alle Küstenfunk- und Seefunkstationen, die dieses Zeichen empfingen, reagierten sofort mit einem akustischen und optischen Alarm, der vom Autoalarmgerät ausgelöst wurde. Auf den Schiffen schrillte dann in der Funkstation, auf der Brücke und in der Kabine des Funkers eine Alarmklingel. Man wusste also sofort, da ist irgendetwas passiert und machte sich bereit, einen Hilferuf oder eine Warnung zu empfangen.

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    Das Alarmzeichen wurde gerne mit dem Notzeichen SOS in einen Topf geworfen, so dass der Eindruck entstand, das SOS-Zeichen hätte bereits genügt, um das Autoalarmgerät zu aktivieren. Ärgerlich war allerdings, wenn in tropischem Fahrtgebiet atmosphärische Störungen in nervenaufreibender Häufigkeit Fehlalarme auslösten!

    Da ich Wache hatte, hörte ich das Alarmzeichen. Es folgte eine Notmeldung von EAC, der spanischen Küstenfunkstelle Tarifa-Radio. Eine Funkstelle also, die nicht selbst in Not war und daher dem SOS ein ddd voranstellte: „ddd SOS ddd = following received from m/t moncloa/efzn = in position 36.00n 05.42w collision between tanker moncloa and cargoship camino/ediv stop motorship camino is sinking ..."

    Tarifa, an der Straße von Gibraltar, meldete die Kollision zwischen dem Tanker Moncloa und dem Frachter Camino. Unsere vorausberechnete Mittagsposition war 36.29 Nord 17.40 West, wir waren also gut zwei Tage westlich der Seenotposition. Bereits um 11.25 Uhr GMT informierte Tarifa-Radio all ships, dass keine weitere Hilfe mehr nötig sei. Der Tanker habe alle Schiffbrüchigen übernommen. Die Camino habe ein Leck im Maschinenraum, sinke aber nicht mehr und werde mit starker Backbordschlagseite vom Tanker nach Algeciras geschleppt.

    Ein Routinefall fürs Funktagebuch, eine kleine Katastrophe am Rande, wie sie in manchen Fahrtgebieten oder zu manchen Jahreszeiten fast täglich im Äther zu verfolgen war. Völlig uninteressant für die Öffentlichkeit. Ein einsames, von den Medien unbeobachtetes, ungefilmtes, zuweilen erbärmliches Verrecken irgendwo da draußen.

    Im Laufe der Jahre hatten sich lapidare Notizen angesammelt, schlichte Funker-Kürzel und Q-Gruppen, mit denen ich den einen oder anderen Not- oder Dringlichkeitsfall notierte. Düstere Erinnerungen an Unfälle und Hilferufe, von denen ich willkürlich ein paar herausfische:

    „5. Juni 1963. SOS Japaner Kokoku Maru QTH

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