Monastery: - Die toten Mönche von Manoppello -
Von Gerard Carpenter
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Bruno Santo versucht die unheimlichen Todesfälle aufzuklären und wird dabei selbst immer tiefer in die dunklen Geheimnisse des Klosters hineingerissen.
Ein Wettlauf gegen einen mystischen Feind beginnt…
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Monastery - Gerard Carpenter
Erster Teil
Manoppello, Italien, Anno Domini 1505
Scharf hing der Geruch in den Straßen des kleinen Ortes. Fäkalien, Müll, und Tod
nebelten die Luft zum Atmen ein. Der Tod war allgegenwärtig zu jener Zeit. Jedes
Dorf wurde von ihm heimgesucht. Wie ein mächtiger schwarzer Reiter aus uralten
Zeiten, der niemanden verschonen wollte. Keine Gnade für Kinder, Frauen, junge
Männer, weise Menschen. Der Tod schaffte sich seinen Weg in jedes Haus, in
jede Familie. Er brachte Elend. Dunkelheit. Angst. Jedes Haus in dem kleinen Dorf
hatte ein großes schwarzes Kreuz an der Tür bepinselt, als Zeichen des Verlustes
eines geliebten Menschen im Haus. Ein bedrückendes Gefühl, durch die engen
Gassen an den Häusern vorbei zu gehen. Tote Menschen mit großen
aufgeschnittenen blutigen Beulen, die man vergeblich versucht hatte zu retten,
pflasterten die Gassen. Sie wurden nach ihrem qualvollen Tod schnell vor die Tür
gelegt. Anschließend sperrten sich die verbarrikadierten sich die Lebenden
wieder. Es schien kein lebender sich mehr rauszutrauen. Klagelieder und Gebete
füllten neben dem Gestank, die Luft mit schweren Klängen. Ich ritt langsam durch
die schmalen Gassen. Ich hatte schon viele Städte gesehen auf meinen Reisen,
aber diese schien mir die düsterste von allen zu sein. Der Tag war noch jung,
dennoch war es dunkel, als würde die Welt Trauer tragen. Kutscher zogen durch
den schwarzen matschigen Boden beschwerlich ihre Karren, um die Toden
aufzusammeln. Nur die Augen der Kutscher waren zu erkennen, ihre Gesichter
waren komplett mit Tüchern umwickelt. An ihren großen Stöcken, die sie fest in
ihren Händen hielten stand geschrieben: „Dio, perdona." Gott vergib uns. Mit ihren
Stöcken, verscheuchten sie umher streunende Hunde, Katzen, Vögel, die sich an
den leblosen Körpern satt fressen wollten.
Ich war durchnässt und müde von meiner Reise, aber so trostlos dort alles war, so
anders muss ich auf die Menschen gewirkt haben. Ich zog meine Kapuze noch ein
wenig weiter in mein Gesicht, um den Blicken der Gestalten zu entgehen, während
ich die Hauptstraße hinauf ritt. Langsam, denn durch teils lehmigen Weg, teils
glatten Kopfsteinpflaster hatte mein Pferd keinen guten Halt. Der vor mir reitende
Kutscher war auch nicht viel schneller. Auch sein Pferd kämpfte mit dem
Untergrund. Mir schien, als drücke er alles den Berg wieder hinauf, was versuchte
herunterzukommen. Ich beobachtete das Gespann vor mir. Es waren zwei
Männer. Der kleinere trieb das Tier an, der ungleich größere, massivere lief neben
dem Wagen her, teils im Voraus. Er sammelte die Reglosen von der Straße auf.
Gekonnt warf er sie auf die Pritsche des Wagens, bevor er wieder und wieder vor
lief, um den Nächsten aufzuheben.
Es wurde langsam heller; wahrscheinlich stand die Sonne schon recht hoch am
Himmel, doch man sah sie nicht. Die dicken schwarzen Wolken dämpften das
Licht und tauchten den ganzen Tag in eine seltsame, wie in eine von Kerzenruß
dumpf erleuchtete Atmosphäre. Als die Beiden vor mir abbogen, sah ich es
endlich vor mir. Den Grund meiner Reise. Diese Stadt beherbergte etwas
Sonderbares. Etwas, was man nicht überall hatte; etwas, dass den meisten
Menschen mehr Nachteile, als Vorteile verschaffte. Dennoch zog es viele an.
Diese Stadt war der Bischofssitz. Mir brachte dieser Umstand eher Vorteile, als
Nachteile, denn in diesen düsteren Zeiten wurde ich zu manch ausweglos
erscheinenden Situation gerufen. Es war die Zeit, in der die Menschen den
Glauben zu verlieren schienen. Sie riefen mich, wenn sie nicht mehr auf ihren
Glauben bauen konnten, wenn das Leid größer war. Wenn sie den Glauben in die
Kirche mit ihren ewigen Erklärungsversuchen für das ein oder andere Übel leid
waren. Wenn sie glaubten mit diesem heimsuchendem Elend von Gott bestraft zu
werden.
Dieses Mal allerdings war es anders. Kein Hilferuf aus normalem Haus hatte mich
erreicht; nein, dieses Mal war es der Bischof selbst.
Düster dampfend baute sich das gewaltige Kloster langsam vor mir auf, während
ich mich näherte. Die Stadt reichte bis an die Grundmauern des festungsähnlichen
Gemäuers. Es waren keine Fenster oder ähnliche Einlasse zu erkennen, nur die
schwere Holztür, vor der zwei Wächter standen, als würden sie eine andere, eine
heile Welt im Inneren des Gebäudes vor dem Verderben draußen schützen. Es ist
lange her, dass ich zuletzt hier war.
Ich glaubte nicht, dass man sich wirklich an mich erinnern würde, ich war
schließlich damals noch ein Kind gewesen. Der Eindruck aber, den ich damals
bekam, hatte sich in meinen Kopf eingebrannt. Langsam ritt ich immer näher auf
die Tür zu. An den Mauern versuchten einige Bauern ihre Produkte anzubieten,
ohne Erfolg allerdings, wie mir schien. Die zwei Wächter standen regungslos da,
als bemerkten sie mich gar nicht; ich war allerdings sicher, dass sie es taten, alle
anderen taten es jedenfalls. Ich ritt dicht an sie heran. Vor ihnen blieb ich stehen.
Es war eine seltsame Situation. Sie beachteten mich immer noch nicht.
Wahrscheinlich waren sie es nicht gewohnt, dass einzelne Reiter hier um Einlass
baten. Der Regen schien noch stärker zu werden, ich fühlte mich schwach und
müde. Ohne abzusteigen beugte ich mich zu einem der Männer herunter. Beide
trugen eine dunkelrote Uniform, die in dieser Umgebung fast lächerlich wirkte, und
hatten zur Verteidigung eine Art Speer mit Säbelspitze.
Misstrauisch beäugte mich der Mann. Ich sah in sein Gesicht, das nicht wie die
anderen Gesichter in der Stadt durch Armut, Hunger und Leid gezeichnet war. Ich
sagte ihm leise meinen Namen.
Er sah mich noch einmal misstrauisch an. Offensichtlich war mein Name bekannt.
Schließlich erwartete man mich, ich war mir allerdings nicht sicher, ob die Wächter
mich so erwartet hatten. Er drehte sich schließlich um und klopfte an die schwere
Holztür. Dumpf hallten die Töne in den Innenhof, doch der Regen schien einen
Großteil von ihnen zu verschlucken.
„Signore Santo ist angekommen", schrie der Wächter in den Regen.
Dann passierte eine Weile lang gar nichts. Der Wächter drehte sich wieder um
und würdigte mich keines Blickes mehr. Es schien, als sei die Zeit stehen
geblieben, als wir so dort vor der Holztür standen und warteten. Der Regen
hämmerte unaufhörlich auf uns ein, als wolle er uns ertränken. Es dauerte eine
Ewigkeit, bis sich die Tür schwer in Bewegung versetzte. Als sie geöffnet wurde,
eröffnete sich eine andere Welt. Langsam trabte ich auf meinem Pferd in den
Innenhof. Hinter mir schloss sich rasch die Holztür. Ich hörte hinter mir großes
Geschrei. Die Bauern hatten versucht, sich ebenfalls einen Weg in das Innere der
Gemäuer zu verschaffen, wurden aber gewaltsam von den Wächtern
zurückgetrieben. Im Inneren lag eine gewaltige Ruhe. Es war, als würde man ins
pure Nichts eintreten. Ich sah einige Menschen, hauptsächlich Wärter, manche
standen hoch oben auf der Befestigungsmauer. Offensichtlich konnte man durch
die Türme, die in kurzer Entfernung zueinander standen, auf die Mauer gelangen.
Vor mir lag ein leer gefegter Platz, an dessen linken Ende ein unfreundlicher Weg,
von einer Wiese umringt, hinauf zum Haupthaus führte.
Schnell kam ein weiterer Uniformierter zu mir herüber. Mir fiel auf, dass er erst
kam, nachdem das Tor verschlossen war.
Er begrüßte mich und reichte mir freundlich die Hand zum Absteigen, doch ich
benötigte sie nicht. Ein weiterer Wärter kam hinzu.
„Ich werde mich persönlich um Ihr Pferd kümmern", sagte er während ich abstieg.
Ich sah ihm an, dass er es ehrlich meinte. Schon hatte er es am Zügel und zog es
zu den Stallungen herüber, wo offensichtlich noch andere Pferde Unterschlupf
fanden. Ich war froh angekommen zu sein. Die beiden Wärter grenzten sich zu
den Menschen draußen gewaltig ab; der schwarze Tod schien keinen Weg in
diese Gemäuer gefunden zu haben – dass er nur in einer anderen Form hier war,
wusste ich noch nicht. Überhaupt hatte die Nachricht des Bischofs mich über
meinen Auftrag eher im Dunklen gelassen, aber die Dringlichkeit war nicht zu
überhören gewesen. Außerdem war ich gespannt, in welcher Weise ich wohl den
Vertretern Gottes helfen konnte.
Der erste Wärter deutete auf den Weg vor uns. Dahinter baute sich das Kloster
dunkel auf. Es bestand im Wesentlichen aus einem schmucklosen grauen
Steinbau, vielleicht drei Etagen hoch. An der Vorderseite waren keine Fenster, nur
die unheimliche Masse der grauen Wand. Die einzigen Verzierungen, die ich sah,
waren um die oben spitz zulaufende Tür angebracht.
„Bitte sehr, Signore Santo. Hier entlang. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme
Reise."
Ich blickte ihn unter meiner Kapuze heraus an.
„Ich freue mich jedenfalls hier zu sein"
„Ich verstehe", sagte der Mann. „Dann zeige ich Ihnen mal, wo Sie sich etwas
frisch ausruhen können."
Gemeinsam gingen wir den doch recht langen Weg zum Haupthaus hinauf. Der
Wächter wirkte auffallend kühl, aber ich ignorierte es. Das Gelände war groß; ich
erahnte hinter dem Haupthaus die Kapelle, und ich konnte mich erinnern, dass
dahinter noch ein großer Garten mit den Gebäuden für die Wächter auf der
anderen Seite war. Die Treppe zur Haupttür war schlicht und auch die Tür selbst
stellte nichts Besonderes dar. In dunklem Holz wirkte sie zwar außerordentlich
massiv, aber dennoch schmucklos. Einzig der steinerne Rahmen darum war reich
mit seltsamen Figuren verziert. Ich konnte mich erinnern, dass sie mir bereits als
Kind aufgefallen waren, mir aber niemand wirklich sagen konnte, was sie
darstellten.
Der Wächter, der mich begleitete klopfte dreimal gegen die Tür. Dumpf hallten die
Schläge in den Raum dahinter und es verging eine Weile, bis die schwere Tür sich
langsam und quälend in Bewegung setzte. Die Dunkelheit des Raumes schlug mir
entgegen, obwohl es draußen nicht besonders hell war. Man konnte nicht sehen,
wer die Tür geöffnet hatte; fast, als wäre sie von Geisterhand geöffnet worden.
Der Wächter kannte das vermutlich schon. Er ging gezielt hindurch in den dunklen
Raum. Ich folgte ihm. Im inneren des Gebäudes brannten nur ein paar Fackeln an
den kalten Wänden. Man hörte sie knistern, aber sonst hörte man nichts außer
den schweren Tritten des Wächters in der Stille. Laut schlug plötzlich hinter mir die
Tür zu. Mit einem Mal wurde es noch dunkler in dem Raum. Ich erschrak und
drehte mich um, während der Wächter sich nicht beirren ließ und seinen Weg wie
zuvor weiterging. Als ich nach hinten blickte, sah ich die Umrisse eines Mannes in
der Dunkelheit verschwinden. Ich drehte mich wieder um und ging weiter, um den
Wächter nicht aus den Augen zu verlieren. Ich fragte mich, ob ich wohl von außen
Fenster gesehen hatte. Ich hatte nicht darauf geachtet, aber es müssen wohl
welche da gewesen sein. In meiner Erinnerung war das Gebäude hell gewesen.
Jetzt wirkte es eher wie eine Grabkammer. Wie zutreffend meine Ansicht doch
war, würde ich allerdings erst später erfahren.
Wir gingen eine ganze Weile, bis wir am anderen Ende der Halle wieder eine Tür
erreichten. Diese musste allerdings nicht von innen geöffnet werden, denn der
Wächter hatte einen Schlüssel. Ziemlich gut geschützt für ein Kloster, dachte ich
mir im Stillen, während er den großen Schlüssel lautstark im Zylinder drehte. Auch
der nächste Raum wirkte nicht einladender, als der erste; er bestand praktisch nur
aus Steinwänden und dem Steinboden, aber wenigstens waren ein paar mehr
Fackeln an der Wand. Unsere Schritte hallten laut durch den Raum, und obwohl
ich die ganze Zeit durch den Regen geritten war, wurde mir erst in diesen Räumen
richtig kalt. Am anderen Ende des schmalen Korridors konnte ich eine weitere Tür
erkennen, und etwa in der Mitte ging eine Treppe nach oben. Wortlos führte mich
der Wächter die Treppe hinauf. Auffällig wurde inzwischen, dass im gesamten
Gebäude absolute Stille herrschte. Keine Menschenseele zu sehen. Auch der
Wärter hatte es offensichtlich eilig durch die Gänge zu kommen, jedenfalls legte er
ein ordentliches Tempo vor. Im ersten Stock waren einige massive Türen, hinter
denen sich wohl Zimmer befanden. Man hörte nichts, keine Stimmen, gar nichts.
Wir erreichten mein Zimmer. Der Wärter schloss die ebenfalls massiv aussehende
Tür auf und drückte mir den Schlüssel in die Hand. Dann blickte er mir direkt in die
Augen.
„Machen Sie sich ein bisschen frisch. Sie finden alles was Sie brauchen im
Zimmer. Ich werde Sie später abholen."
Seine Art zu sprechen hatte etwas Angst einflößendes. Ein Schauer lief eiskalt
meinen Rücken herunter, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Er
schaute mich noch eine Zeitlang an, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort
um und ging weg. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Sie war einer
undefinierbaren Angespanntheit gewichen. Ich wusste nicht warum, aber hätte mir
der Mann nicht den Schlüssel gegeben, wäre ich sicher gewesen, ein Gefangener
zu sein.
Ich betrat das Zimmer unbewusst mit großer Vorsicht. Mein Herz pochte, aber ich
wusste nicht warum. Wahrscheinlich spielte mir mein Körper nach der langen
Reise einen Streich. Das Zimmer war nicht in dem dunklen Stil der anderen
Räume gehalten. Hier brannten diverse Fackeln und Kerzen, man hatte es
offenbar für mich vorbereitet. Es gab zwei recht große Räume, mit einem Bett in
dem einen und einem Schreibtisch mit Sitzgelegenheit für vier Personen in dem
anderen. An der langen Wand war ein großer Kamin. An der anderen Seite eine
verschlossene Tür und der Eingang ins Schlafzimmer. Die Schlagläden vor dem
Fenster auf der anderen Seite des Raumes waren geschlossen. Ich beschloss sie
zu öffnen, aber musste, als ich mich daran begab, feststellen, dass sie sich nicht
bewegen ließen. Man hatte sie offensichtlich auf irgendeine Weise befestigt. Ich
wollte nicht anfangen an ihnen herumzuwerkeln, also ließ ich von ihnen ab und
wandte mich der noch verschlossen Türe zu. Hinter ihr war das schön
eingerichtete Badezimmer versteckt. Es hatte sogar eine Badewanne, und ich
fragte mich sofort, wer wohl das Wasser dafür herbrachte. Jedenfalls stand auf
einem glänzenden kleinen Schrank bereits eine große Schüssel mit dampfendem
Wasser, das wohl für mich gedacht war. Es duftete herrlich und verbreitete ein
Klima, wie ich es hier nicht erwartet hätte. Langsam legte sich meine Nervosität.
Ich ging zurück ins erste Zimmer. Meine Sachen waren völlig durchnässt. Um sie
zu trocknen, zündete ich in dem gewaltigen Kamin ein Feuer an. Holz dafür lag
schon im Kamin und daneben war noch ein weiterer Stapel Holz. Das Holz
brannte schnell. Sofort strömte die Wärme aus. Ich zog mich aus und hing meine
Sachen über zwei Stühle, die ich vor den Kamin stellte. Dann ging ich ins
Badezimmer, um mich ausgiebig zu waschen. Man hatte mir zahlreiche weiche
Handtücher zurechtgelegt. In eines davon hüllte ich meinen Körper und ging wieder
hinaus ins Wohnzimmer. Es war schon herrlich warm geworden. Von meinem
Gefühl her hätte es schon spät am Abend sein können. Ich hätte nichts dagegen
gehabt mich ins Bett fallen zu lassen und zu schlafen, doch es war Vormittag. Mein
Gefühl rührte wohl daher, dass kein Tageslicht in den Raum kam. Also ließ ich mich
stattdessen in einen der zwei schweren Sessel fallen, die vor dem Kamin standen.
Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich bemerkte, war ein
Rascheln vor meiner Tür. Es klang wie ein Kratzen an Holz, ich konnte es nicht
identifizieren. Ich sprang auf, weil ich dachte, der Wärter würde mich abholen.
Immer noch in das Handtuch gewickelt ging ich zur Tür und öffnete diese, aber es
war niemand da. Der ganze Korridor war leer. So leer, dass es fast unheimlich war.
Und trüb. Man konnte den gesamten Raum bis zur Treppe sehen, aber irgendetwas
machte die Sicht undeutlich. Ich schloss die Tür wieder. Das Feuer im Kamin war
schon deutlich kleiner geworden. Ich fühlte meine Kleider. Sie waren trocken und
warm. Schnell zog ich mich an. Mir wurde klar, dass ich recht lange geschlafen
haben musste. Meine Sachen fühlten sich wunderbar an. Die Wärme auf der Haut
zu spüren, ließ mich den dämmerigen Gang wieder vergessen. Ich hatte gerade
meinen zweiten Stiefel angezogen, als es dreimal laut an der Tür klopfte. Das
musste der Wärter sein. Wieder war ich schnell bei der Tür. Tatsächlich stand ein
Wärter dort. Nicht der gleiche von zuvor, aber auch er wirkte reserviert. Er sagte
nichts, blickte mich nur still an.
Er hatte die Erscheinung eines Kampfhundes, sein kurzes schwarzes Haar wirkte
wie Schleifpapier auf seinen kantigen Kopf. Seine Uniform war aufwendig
gearbeitet.
„Ich bin fertig, sagte ich, „wir können gehen
Stumm drehte er sich um und setzte sich lautstark in Richtung Treppe in
Bewegung.
„Ach, Entschuldigung", rief ich ihm hinterher
Er blieb stehen und drehte sich zu mir um.
„Mein Name ist Santo, Bruno Santo. Ich hoffe, ich habe nichts getan, um Sie zu
verärgern."
Der kleine Mann zog eine seiner scharf gezeichneten Augenbrauen hoch und
fixierte mich eine Weile.
„Mich nennt man hier Carlos."
Er wirkte so kühl, dass die Luft um ihn herum zu Eis zu erstarren drohte. Ich fragte
mich, ob ich wohl bei meiner Ankunft unhöflich zu ihm gewesen war, aber ich
konnte mich nicht erinnern. Er drehte sich wieder um und ging weiter. Wir gingen
die Treppe wieder hinunter. Wir traten durch einige Türen, vorbei an groß- und
kleinflächigen Gemälden. Von einem steinernen Korridor gelangten wir in den
nächsten. Und immer noch wirkte dort alles, wie in einem endlosen Alptraum. Als
seien alle Menschen von einem tausendjährigen Schlaf befallen worden, und nur
Carlos und ich konnten uns ihm widersetzen.
Nach einer Weile blieb Carlos vor einer Tür stehen. Man sah ihr schon an, dass
hinter ihr etwas Besonderes war, denn hier standen nun endlich noch zwei
Menschen. Wachen von Carlos Schlag. Darüber hinaus war die Tür etwas größer
als die anderen und mit Ornamenten reichhaltig verziert.
„Warten Sie hier", sagte er leise, aber in seinem Tonfall konnte man den Befehl
hören. Er öffnete die Tür und ging hinein, nicht ohne sie sofort von innen zu
schließen. Um mich herum war wieder nur Stille. Wo gerade eben noch das laute
Geräusch unserer Schuhe zu hören war, hörte man jetzt rein gar nichts.
Niemanden. Es war wie ein Geisterschloss. Noch nicht einmal die beiden Wärter
bewegten sich. Sie waren regungslos und starrten fixierend auf die
gegenüberliegende Wand. Die Stille drückte so sehr auf mir, dass ich drauf und
dran war, die Tür zu öffnen, doch ich widerstand der Versuchung. Schließlich ging
sie auf und Carlos stand wieder vor mir. Ich war erstaunlich erfreut ihn zu sehen,
und ich glaube, er bemerkte ein Lächeln in meinem Gesicht, aber er starrte mich
noch immer kalt und ausdruckslos an.
„Seine Eminenz empfängt euch jetzt", sagte er knapp und tat einen Schritt zurück
in den Raum. Er hielt mir die Türe auf, während ich hineinging. Sofort schlug mir
ein eigenartig strenger Geruch in die Nase. War das Parfüm? Ich konnte es
irgendwie nicht einordnen. Carlos ging wieder hinaus und schloss die Tür; dann
sah ich die Silhouette eines Mannes vor mir, den ich aus meiner Kindheit noch
kannte, und der sich kaum verändert hatte. Fröhlich lachend kam er auf mich zu.
„Bruno!", rief er mich mit meinem Vornamen „Ich bin so froh, dass du kommen
konntest."
Auch ich machte einen Schritt auf ihn zu. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite,
Eminenz", sagte ich und reichte ihm die Hand zum Gruß.
Er lachte und schnappte sich meine Hand. Sein Händedruck war fest für einen
Geistlichen. Hätte ich es nicht gewusst, hätte ich ihn eher für den Händedruck
eines Dorfbauern gehalten. Er zog mich mit der Hand an sich und umarmte mich.
„Ach Bruno, sei nicht so förmlich. Hat du denn vergessen, wer ich bin?"
Nein, wahrlich, das hatte ich nicht. Er war so dick wie damals, nur seine Haut
verriet sein Alter, sein Gesicht aber war von gesunder rötlicher Farbe und seine
Augen funkelten wild. Haare hatte er noch nie, jedenfalls nicht, soweit ich mich
erinnern konnte. Sein kahler Kopf bildete eine gleichmäßige Fläche ohne Dellen
oder Erhebungen.
„Weißt du nicht mehr, wie wir damals gespielt haben, hier auf den Gängen?"
„Natürlich weiß ich das noch. Du hast mich nie besiegt."
Er lachte laut auf und brach damit die Spannung, auch ich lachte mit.
„Bruno, mein alter Freund. Mein Gott, was bist du groß geworden. Aber nenn mich
doch bitte Ernesto, so wie früher."
„Ernesto. Aber jetzt erzähl doch mal, was so dringend ist. Dein Brief war kryptisch
unheimlich geschrieben. Außerdem wäre ich auch gekommen, wenn du mir kein
Geld geschickt hättest."
„Das weiß ich, aber die Situation ist anders, als du es dir vorstellen kannst. Aber
erzähl erst einmal, wie es dir ergangen ist, Bruno."
„Nun ja, da gibt es nicht viel zu erzählen." Natürlich gab es da zwar einiges, ich
hatte schon seit längerem den Ruf eines Mannes, der in der Lage war, ganz
spezielle Probleme lösen zu können. Probleme, die andere Leute wohl als
übernatürlich bezeichnen würden, die sich aber meistens relativ leicht erklären
ließen. Nach seinem Brief, den der Bote mir gegeben hatte, zu urteilen, wusste
Ernesto aber über meine Fähigkeiten Bescheid.
Wir gingen hinüber zu dem Tisch, an dem schon zwei Stühle standen.
„Mir ist aufgefallen, dass hier alles recht trostlos wirkt. Ich habe außer Carlos und
deinen zwei Wachen keinen Menschen gesehen." Mit Blick auf sein Fenster, bei
dem ebenfalls die Schlagläden zu waren, ergänzte ich. „Außerdem scheint ihr das
Tageslicht nicht mehr zu mögen."
Der alte Mann ließ sich schwer auf seinen Stuhl sacken. Wie auf ein Kommando
war die Freude in seinen Gesichtszügen einer beklemmenden Angespanntheit
gewichen. Er saß ungemütlich gerade da und legte seine Hände auf seine
Oberschenkel.
„Bruno", sagte er nach einer Weile, in der ich das Gefühl hatte, dass er
angestrengt nachdachte, „Bruno, die Menschen hier haben Angst."
Er hielt kurz inne: „Sie haben Angst zu sterben"
Er ging langsam zu dem großen Vorhang, der an der Wand angebracht war.
Schwer und rot hing er herunter und deckte alles ab, was hinter ihm lag Er
machte eine kleine Pause und fixierte mich. „Ich hatte gehofft, dass du mir sagen
könntest, wovor wir hier Angst haben."
Mit den Worten ging er zu dem Vorhang und öffnete ihn. Ich erschrak unwillkürlich,
denn so direkt seine Sprache auch war, sie wurde von dem, was er mir zeigte,
übertroffen. Hinter dem Vorhang war ein Durchgang in einen weiteren Raum und
in diesem Raum, fein säuberlich, stand ein Tisch, auf dem ein Mensch lag. Das
hatte ich nicht erwartet, aber wenigstens wusste ich jetzt, wo der Geruch herkam,
der sich hier überall ausbreitete. Ernestos Versuche den Geruch zu überdecken,
waren wenig erfolgreich gewesen. Ich näherte mich langsam dem Tisch, an
Ernesto vorbei. Der Mann auf dem Tisch war offensichtlich tot, die Leichenstarre
hatte seinen Arm in einem unnatürlichen Winkel nach oben stehen gelassen. Es
war ein junger Mann, wohl einer der Klosterbewohner hier, ein junger Mönch,
denn er hatte eine Kutte an. Äußerlich sah er auf den ersten Blick unversehrt aus,
aber je näher ich ihm kam, desto klarer wurde mir, was die Ursache für seinen Tod
war. Es war sein Gesicht, sein ganzer Kopf. Die Augen waren weit aufgerissen,
sein Mund ebenfalls, sein Kopf stand in einer unnatürlichen Stellung zu seinem
Körper, er war fast bis zu seinem Rücken gedreht. Sein ganzer Körper schien sich
zu krümmen. Man sah es dem Mann ganz deutlich an. Er hatte ein schreckliches
Ende gehabt. Man konnte es förmlich in seinen toten Augen sehen. Ungläubig
drehte ich mich wieder zu Ernesto um. Er stand nur da, immer noch den Vorhang
in der Hand.
„Verstehst du jetzt, was ich meine?"
„Mein Gott. Wie ist das passiert?"
Ernesto schüttelte stumm den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er hat die eine oder andere
kleine Verletzung, Kampfspuren vielleicht. Nach seinem Kopf zu urteilen ist er an
einem Genickbruch gestorben, aber sicher bin ich mir nicht." Ernestos Auftreten
war imposant, aber in dieser Situation konnte man erkennen, dass er eine gewisse
Hilflosigkeit