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Peregrinus
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eBook443 Seiten6 Stunden

Peregrinus

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Über dieses E-Book

September 1269: Ritter Erkenbert ist auf dem Weg ins Heilige Land. Als demütiger Pilger möchte er am Grabe Jesu für die Vergebung seiner Sünden beten. Während die Reisekameraden auf das Auslaufen des Schiffskonvois warten, sucht er in Bologna seinen alten Studienfreund Guido – der aber ist spurlos verschwunden. Erkenbert verpasst den Aufbruch des Konvois und verliert seine Habseligkeiten. Wie kommt er nun über das Mittelmeer? Zähneknirschend verpflichtet er sich dem Deutschen Orden als „Bruder auf Zeit“ und wird auf einer Sklavengaleere mitgenommen.
Im Heiligen Land erwarten ihn kriegerische Auseinandersetzungen, die ihn ins Hospital von Akkon führen. Eine der Beginen kommt ihm bekannt vor. Ist es tatsächlich seine Jugendliebe, die in diesem weit entfernten Land lebt?
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum10. Feb. 2024
ISBN9783911115117
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    Buchvorschau

    Peregrinus - Christiane Radimsky

    Kapitel 1

    September, im Jahre des Herrn 1269

    „Das größte Laster ist die Verzagtheit."

    Franziskus von Assisi

    Orientierungslos irrte ich durch die engen Gassen. Diese endete jählings an einem Kanal, dessen brackiges Wasser in Wellenbewegungen auf die Gosse schwappte. Ich drehte um und bog in eine breitere Gasse ein. Auf halber Strecke bedeckte vermoderndes Stroh den gesamten Weg vor mir. Es war wohl von dem windschiefen Dach darüber heruntergefallen. Ich raffte den langen Mantel hoch und stieg vorsichtig darüber, als unversehens eine Ratte mit räudigen Ohren unter dem Stroh hervorsprang und mir über die Füße lief. „Pfui Teufel!" Angeekelt sah ich zu, wie sie sich mit weiten Sätzen entfernte.

    Erneut änderte ich die Richtung und entschied mich für eine befestigte Straße, die nicht so verschmutzt war. Ich hoffte, dass sie mich aus dem Armenviertel herausbrachte, aber sie führte mich immer tiefer hinein. Kleinhändler tummelten sich auf einem sonnendurchfluteten Platz und priesen ihre armseligen Waren lautstark an. Ärmlich gekleidete Weiber, die dieselbigen in Augenschein nahmen, versperrten den Weg und machten sich nicht die Mühe, mich durchzulassen. Schließlich nahm ich meine Ellenbogen zu Hilfe, um mich durch die Menge zu wühlen. „Dannatio!", schrie ein eingeschrumpeltes Wesen mit schriller Stimme. Es beschützte mit ausgebreiteten Armen töpferne Waren, die sich direkt vor meinen Füßen auf dem Boden stapelten. Ich hob begütigend die Hände und stieg vorsichtig über die Töpfe hinweg.

    Missmutig lief ich weiter. Es fiel mir schwer, mich zu orientieren, da fast alle Straßen und Gassen entlang von Kanälen zu führen schienen, die wiederum alle gleich aussahen. Eine Tür vor mir stieß plötzlich auf, und ich trat eilig beiseite. Saurer Bierdunst strömte heraus, eine schwankende Gestalt stolperte hinterher und rempelte mich dabei unsanft um. Anstatt sich zu entschuldigen, rülpste sie laut und tor-kelte dann grölend weiter. „Du räudiger Hund sollst in der Hölle schmoren!", schrie ich dem Mann hinterher und rappelte mich wieder auf. Dabei übersah ich einen Haufen Fäkalien, in den ich prompt hineintrat. Mit einem schmatzenden Geräusch zog ich meinen linken Stiefel heraus. Auch das noch! Vor mich hinfluchend rieb ich den abgewetzten Stiefel an einem Büschel Gras ab, das am Kanalrand wuchs, aber sauber wurde er nicht.

    Meine Laune war auf dem Tiefpunkt angekommen. Ich irrte in einer fremden Stadt herum, war durstig und schwitzte, und wurde dazu von Einheimischen angerempelt und beschimpft. Wenn ich das richtige Stadtviertel nicht fand, musste ich meinen Plan aufgeben und zurück zur Deutschordenskommende. Das wollte ich auf keinen Fall.

    Endlich konnte ich die belebte Straße auf einer wackligen Holzbohlenbrücke überqueren, die den Kanal überspannte. Die Wohnstätten auf dieser Seite waren aus Ziegelsteinen erbaut und sahen gepflegter aus. Ein Bürgersweib mittleren Alters trat aus einem Haus, schaute nach rechts und links und lief zielstrebig los. Ich folgte ihr, und wie ich gehofft hatte, führte ihr Weg zu einer gepflasterten Straße. Sie flankierte einen Kanal, an dessen Ende eine gedrungene Backsteinkirche zu sehen war. Hoffnungsvoll ging ich hinein. Der Geistliche, den ich fragen wollte, wo sich die Kirche San Marcuola befand, war aber nicht im Kirchengebäude und die Anwohner verstanden mich nicht. Immerhin stand ein öffentlicher Brunnen auf dem Kirchplatz. Ich zog am Seil einen Eimer mit Wasser herauf, trank durstig aus der hohlen Hand und füllte meinen leeren Wasserschlauch auf. Nach kurzem Zögern wusch ich mir das erhitzte Gesicht, den Hals und die Oberarme mit dem erfrischend kühlen Wasser. Verflixt! Es konnte doch nicht so schwer sein, die besagte Kirche zu finden, zu deren Pfarrbezirk das Haus der Familie Vendramin gehörte. Ich hockte mich auf eine Stufe der nächsten Brücke und nahm den breitkrempigen Hut ab, um mir damit Luft zuzufächeln.

    Mhm, was sollte ich tun, wenn ich das Haus fand, aber die Familie sich weigerte, mich zu empfangen? Ich kam ins Grübeln. Was, wenn Guidos Schwester nicht wusste, wo er jetzt lebte? Ich hätte doch gleich nach Bologna aufbrechen sollen. Hätte, hätte, jetzt war es zu spät dafür.

    Ein junges Weib mit einem Kleinkind an der einen und einem großen Weidenkorb in der anderen Hand beanspruchte die ganze Breite der Treppe und beschimpfte mich lautstark. Verstehen konnte ich sie nicht, aber ihr streitlustiger Gesichtsausdruck war eindeutig. Daheim hätte ich den Bürgern unmissverständlich klargemacht, wer der Herr war und was ich von frechen Weibsleuten hielt. Hier war ich nur ein armer Pilger ohne Bürgerrechte. Übellaunig gewährte ich ihr Durchlass. Ich schleppte mich weiter, bis eine weitere Kirche in Sicht kam. Mittlerweile hatte ich zwei Dutzend Kirchen und Kapellen gezählt, an denen ich vorbeigegangen war. Auch diesmal erwartete ich nicht, dass der Geistliche mich verstand, aber ich hatte Glück.

    „Et cum spiritu tuo, erwiderte der ältliche Priester im braunen Habit der Franziskaner meinen Gruß. Ich fragte ihn auf Lateinisch, ob er vielleicht die Familie Vendramin kenne. Der Franziskaner riss die Augen auf. „Was willst du von der Familie, Peregrinus? Willst du etwa Handel mit ihnen treiben? Er musterte mich abfällig.

    „Nein, ich bin ein guter Freund von Frau Cecilias Bruder. Ich bin mit Deutschordensrittern über die Alpen gezogen und möchte sie zuerst besuchen, bevor ich weiterreise."

    „Du bist mit den reichen Deutschrittern gereist, hast du gesagt?"

    „Der Konvoi ist gestern Abend in der Stadt angelangt."

    Der Franziskaner nickte zustimmend. „Ja, das hat sich herumgesprochen. Wenn du in den Stadtteil Cannaregio gelangen willst, musst du dich am nächsten Abzweig rechts halten, am Kanal wieder links, über die gebogene Brücke, dann geradeaus, bis ... Seine Erklärungen zogen sich in die Länge und ich bat ihn mehrmals, langsamer zu reden, um mir alles merken zu können. Er hielt schließlich inne. „Du bist noch nie in unserer Stadt gewesen, oder? Ich schüttelte verneinend den Kopf. „Ich denke, ich gebe dir besser eine Begleitung mit, überlegte er. „Dir ist hoffentlich klar, dass die Familie Vendramin eine alteingesessene und wohlhabende Kaufmannsfamilie ist?

    Er musste mich für einen einfachen Pilger oder Ministerialen halten, sonst würde er mich nicht duzen. Die beengte Deutschordenskommende, die alle Marburger Brüder willkommen geheißen hatte, besaß nur zwei Badezuber, die zunächst für die Deutschordensritter vorbehalten waren. Da die Bütten auch heute Morgen von den Reisekameraden besetzt waren, war ich wohl oder übel verdreckt und unrasiert aufgebrochen, ohne mein Schwert, das mich als Mitglied des Adels zu erkennen gab.

    Erfreut stimmte ich dem Angebot des Ordenspriesters zu, der daraufhin in einem nahen Haus verschwand. Kurze Zeit später stolperte eine junge Magd heraus und wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab. Der Franziskaner hatte sie wohl direkt aus der Küche geholt. Unwillig vor sich hinmaulend stürmte sie über enge Brücken, breite Straßen und an einer prächtigen Kirche vorbei, sodass ich kaum mit ihr Schritt halten konnte. Nach kürzester Zeit standen wir vor einem beeindruckenden Gebäude mit Balkonen im zweiten und dritten Geschoss und bunten Schnitzereien an den Fensterrahmen. Sie klopfte mit dem Handknöchel gegen das Portal und streckte mir dann auffordernd die offene Handfläche hin. Natürlich, sie wollte bezahlt werden. Ich kramte in meinem Beutel und suchte eine kleine Münze heraus. Zum Glück hatte ich gestern Abend, bevor ich mich auf dem zerfledderten Strohsack niedergelassen hatte, daran gedacht, einen Teil meiner Hersfelder Silberpfennige in die lokale Währung eintauschen und mir deren Wert erklären zu lassen. Die Magd sah mich verächtlich an, stopfte sich die Münze in die Tasche und eilte davon.

    Ich hatte es geschafft und stand vor dem Haus von Guidos Schwester Cecilia! Nervös schüttelte ich den Staub aus dem Pilgermantel und rubbelte etliche hässliche Flecken vom Saum. Meine Stiefel waren komplett verdreckt, da war nichts mehr zu machen. Der breitkrempige Pilgerhut war ebenso staubig. Ich klopfte ihn aus, drückte meine an der Schläfe abstehenden Haare fest an den Schädel und stülpte den Hut wieder auf. Da nichts geschah, hatte die Magd offensichtlich nicht kräftig genug geklopft. Ich versuchte es erneut, aber diesmal lauter. Die Tür öffnete sich mit einem Ruck. Ein pockennarbiger, kahlköpfiger Mann füllte die Türschwelle aus und sah mich fragend an. „Si?"

    Ich hüstelte nervös. „Ich möchte Frau Cecilia sprechen, ich bin ein Freund ihres Bruders Guido Guinizelli. Gedankenlos hatte ich im Bologneser Dialekt gesprochen. Der Mann musterte mich erstaunt von oben bis unten und schüttelte dann den Kopf. „Donna Cecilia ist schon lange tot.

    Er sprach den breiten Dialekt der Bologneser Bürger, welch ein Glück. Was hatte er gesagt, Guidos Schwester war tot? Daran hatte ich nicht gedacht, dass seine jüngere Schwester gestorben sein könnte. Unschlüssig kratzte ich mich am Kopf. Der Kahlköpfige war im Begriff, die Türe wieder zu schließen, als ich zur Besinnung kam. „Warte einen Moment. Ich suche meinen Freund Guido Guinizelli, mit dem ich vor Jahren in Bologna an der Universität studiert habe. Weißt du, wo er lebt?"

    „Was willst du von Don Guido? Er ist von adliger Abkunft und kennt sicherlich keine abgerissenen Pilger wie dich. Schleich dich davon, oder ich lasse die Hunde auf dich hetzen."

    „Ich bin Ritter Erkenbert von Buchenau und gestern mit den Marburger Deutschordensbrüdern angekommen. Als reumütiger Pilger bin ich auf dem Weg ins Heilige Land. So hochmütig, wie ich es in meiner jämmerlichen Aufmachung vermochte, baute ich mich vor dem Pockennarbigen auf. Er veränderte seine Haltung und neigte seinen grindigen Kopf. „Seid gegrüßt, Miles Erkenbert. Wenn Ihr möchtet, frage ich Donna Matilda, die Tochter meines Herrn, ob Sie Euch empfängt. Don Roberto ist momentan auf Reisen.

    Don, Donna? So sprach man hier wohl die Männer und Frauen gehobenen Standes an. „Ich danke dir, aber ich habe es eilig. Bevor ich mit den Deutschordensrittern nach Akkon weiterreise, möchte ich meinen alten Freund Guido besuchen. Kannst du Donna Matilda fragen, wo ihr Onkel jetzt lebt?"

    Der Kahlköpfige überlegte und nickte dann zustimmend. Die Eichentür schloss sich lautlos hinter ihm. Einige Zeit verging, während die Sonne gnadenlos vom Himmel brannte. Erhitzt suchte ich Schutz unter einer nahen Brücke, während ich die Tür des Palazzos fest im Blick hielt.

    Viel Zeit blieb nicht, um meinen Freund Guido zu suchen. Ritterbruder Albrecht hatte mir unterwegs erzählt, dass seine venezianischen Mitbrüder schon vor Monaten die Hälfte des Schiffsraums einer großen Galeere ersteigert hatten. Die Galeere startete in sechs Tagen von heute an gerechnet, als Teil eines bewaffneten Schiffskonvois nach Akkon. Wenn ich den Zeitpunkt verpasste, war es um meine Pilgerfahrt ins Heilige Land geschehen.

    Die Tür öffnete sich. Anstatt des pockennarbigen Knechts stand eine junge Frau auf der Schwelle. Ich trat näher und nahm meinen Hut ab. Himmelblaue, mit dichten Wimpern umrahmte Augen blickten mich erstaunt an, und tiefschwarze Locken ringelten sich um ein liebliches Gesicht. Sie hatte die gleichen Ringellocken wie mein Freund Guido. Die junge Schönheit verzog missbilligend ihren Mund. „Verzeih, dass ich dich belästige, Donna Matilda. Ich bin ein Pilger auf dem Weg ins Heilige Land. Vor Jahren habe ich mit deinem Onkel Guido in Bologna studiert und möchte ihn gerne besuchen, bevor ich weiterreise. Weißt du, wo er sich momentan aufhält?"

    Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Wir haben seit dem Tod meiner lieben Frau Mutter nur noch wenig Kontakt zu ihrer Familie. Es sind Ghibellinen, musst du wissen, mit denen haben wir Guelfen nichts zu schaffen. Vermutlich lebt Onkel Guido immer noch in Bologna. Er ist dort Richter."

    Ich dankte ihr mit höflichen Worten und verneigte mich elegant vor ihr. Sie kicherte und verschwand ohne ein weiteres Wort. Guido war Richter geworden? Das hatte er während unserer Studienzeit immer abgelehnt, da er Dichter werden wollte. Ich hätte es mir denken können, dass sein Vater sich durchgesetzt hatte. Entschlossen lief ich los, blieb aber gleich wieder stehen. Wie kam ich nun wieder zur Kommende der Deutschritter? Ich hatte nichts, an dem ich mich orientieren konnte. Venedig war groß, viel größer als Bologna. Ich lief aufs Geratewohl los.

    Die neunwöchige Reise von Marburg nach Venedig war anstrengend gewesen. Als achtzehnjähriger Schildknappe war ich mit dem Deutschordensritter Friedrich von Marburg aus nach Bologna gereist, um drei Studenten an der dortigen Universität abzuliefern, und war dann selbst zum Studium geblieben. Diesmal hatten wir eine andere Wegstrecke über die Stadt Augsburg nach Innsbruck und über den sogenannten Brennerpass genommen. Auf beiden Reisen hatten wir des Öfteren absteigen müssen, da die Wege zu eng und zu steil zum Reiten waren. Als jungem Mann hatten mir die Beschwernisse der Reise und das schlechte Wetter am Alpenpass aber wenig ausgemacht, auch nicht die kalten Nächte auf nassem Boden.

    Es war die richtige Entscheidung gewesen, mich auf die Pilgerreise zu begeben. Nachdem ich am Grabe Jesu um die Vergebung meiner Sünden gebetet hatte, würde ich wieder zu meiner vormaligen Lebensfreude und meiner körperlichen Stärke zurückfinden, davon war ich fest überzeugt. Die letzten Jahre war ich nur noch ein Schatten meiner selbst gewesen. Meine Ehe mit Gertrude war unglücklich und meine Aufgaben als Vogt führte ich mehr aus Pflichtgefühl aus. Ich kannte kaum noch das Gefühl der Freude. So hatte ich nicht weiterleben wollen.

    Zweifelnd blieb ich stehen, denn diesen Kanal hatte ich erst vor Kurzem überquert, ich erkannte die geschwungene backsteinerne Brücke darüber. Ein junger Handwerksgeselle schlenderte vorbei und starrte mich neugierig an. Ich kramte eilig eine Münze aus dem Beutel und hielt sie ihm hin. „Willst du dir eine Münze verdienen, guter Freund? Er bemerkte das Glitzern der Kupfermünze und blieb stehen. „Medaglia tedesco, deutscher Orden?, fragte ich ihn.

    „Tedesco?", er rieb sich den Schädel. In kürzester Zeit standen wir vor der kleinen Basilika, der Kirche der Deutschordensritter. Er hielt mir die Handfläche hin und ich drückte ihm eine kleine Münze hinein. Grunzend verschwand er in der Menschenmenge.

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    Sauber und in frische Kleidung gewandet machte ich mich wenig später auf den Weg zu den Stallungen. Sauber, aber stinkwütend. „Diese Hornochsen! In alles stecken sie ihre langen Nasen. Warum kümmern sie sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten", schimpfte ich. Bruder Albrecht und Vater Robert hatten darauf bestanden, dass ich ihnen nach dem Baden beim Beladen der Galeere half. Darauf hatte ich ihnen vorgehalten, dass davon nichts in meinem Pilgervertrag stand, und beinahe wären wir handgreiflich geworden.

    Ich riss die Stalltür auf und suchte mein Ross unter den Pferden und Maultieren der Deutschordensbrüder. Wegen des Streits mit den Deutschbrüdern hatte ich nichts mehr essen können und mein Magen knurrte schon seit Stunden. Es mochte ja sein, dass es eng für mich wurde, aber dafür konnte ich ja nichts. Dass wir eine Woche verspätet in Venedig angekommen waren, war dem schlechten Wetter zu schulden. Dadurch hatten wir das Schiff verpasst, das uns vom Festland durch die Lagune in die Stadt bringen sollte. Bis wir genügend Boote aufgetrieben hatten, die uns mitsamt den Karren und Pferden, den Fässern und Kisten in die Stadt brachten, dauerte es bis zum späten Abend. Ich wollte auf jeden Fall versuchen, meinen Freund Guido zu sehen. Dies war einer der Gründe, warum ich mich auf die Pilgerreise begeben hatte. Wenn ich es jetzt nicht versuchte, würde ich meinen Freund niemals wiedersehen. Warum nur konnten Bruder Albrecht und Vater Robert das nicht verstehen? Verärgert sattelte ich Blitz und ritt zu einem belebten Anlegeplatz nahe am großen Kanal. Zu meinem Glück fand ich einen Gondoliere, der mich für vier kleine Münzen durch die Lagune ans Festland übersetzen wollte. Ich erklärte ihm mit Händen und Füßen, dass ich auf dem Weg nach Bologna war. Vorsichtig bestieg ich das wacklige Boot, während ich Blitz am Zaumzeug hielt. Das Boot schaukelte dabei heftig hin und her. Mit zitternden Händen ertastete ich eine Querplanke hinter mir und setzte mich darauf. Mein treues Ross schnaubte gelassen. Er war see-tauglicher als ich, das hatte ich gestern auf der Überfahrt schon gemerkt. Allmählich entspannte ich mich. Ich erkannte den großen Platz, an dem wir gestern Abend vorbeigefahren waren. Eine beeindruckende Kathedrale mit drei geschwungenen Bögen und in Gold ausgemalten Fresken stand an ihrem Ende. Bei der Einfahrt in die Lagune hatte ich keine Zeit gehabt, mir die Sehenswürdigkeiten anzusehen, da mir immer wieder übel geworden war.

    „Palazzo Ducale, guarda! Der Gondoliere deutete mit seinem ausgestreckten Finger auf einen prächtigen Palast. Ah, der Dogenpalast, von dem hatte mir Guido einmal berichtet, der schon öfter in Venedig gewesen war. „Arsenal, rief der Gondoliere. Wir fuhren an langgestreckten Gebäuden vorbei, aus denen Hammerschläge erklangen. Arsenal, das Wort kannte ich. Vater Robert hatte mir erzählt, dass dies die Schiffswerft war, in der die berühmte venezianische Flotte gebaut wurde. Das Boot umrundete eine langgestreckte Insel mit weißen Sandstränden. An einem ähnlich schönen Strand hatte ich damals, während der Semesterferien, mit meinem Freund Guido gelegen und gebadet. Ich erhoffte mir nichts sehnlicher, als meinen Freund wiederzusehen, auch wenn es nur für wenige Stunden sein sollte.

    Der Kanal wurde immer breiter, bis die Marmorsäulen in Sicht kamen, die den Lagunenausgang markierten. Der Gondoliere stach mit seiner langen Stange ins flache Wasser und die Gondel kam neben etlichen Fischerbooten zum Stehen. Zwei große Segelschiffe und etliche Galeeren vor uns warteten ebenso darauf, hinausfahren zu können. Erst verließen die schwerfälligen Segelschiffe, die von Ruderbooten gezogen wurden, den Hafen, danach ruderten die Galeeren an uns vorbei. Der Wellengang verstärkte sich und das Boot schaukelte heftig hin und her. Ich hielt mich krampfhaft am Bootsrand fest, während mein leerer Magen energisch rebellierte. Endlich kamen die kleineren Schifferboote und die Gondeln an die Reihe. Schwankend bewegte sich das kleine Boot im aufgewühlten Fahrwasser. Der Gondoliere benutzte nun zwei Ruder anstatt der langen Stange und ruderte das Boot an der Küste entlang, bis wir an einer befestigten kleinen Stadt ankamen. Dort setzte er die Gondel auf den langen Sandstrand und hielt mir die Hand hin. Erleichtert seufzte ich auf; ich war nicht ins Wasser gefallen und hatte mich nicht übergeben müssen. Mit schweißnassen Händen suchte ich vier kleine Münzen heraus und reichte sie ihm.

    „Chioggia, meinte er gutmütig. Was bedeutete das wohl? Er bemerkte meinen fragenden Gesichtsausdruck und deutete auf das Städtchen. „Chioggia, wiederholte er. Ah, der Name der Stadt. Höflich dankte ich ihm und saß mit zitternden Knien auf.

    Ich konnte mich erinnern, dass Guido einmal erwähnt hatte, dass das letzte Stück der Wegstrecke von Bologna nach Venedig einem Flusslauf folgte. Eine befestigte Straße verlief parallel zu dem dahinfließenden Fluss. Da die Sonne schon im Sinken war, setzte ich zum Galopp an, um Zeit aufzuholen. Nach kurzer Zeit war es stockdunkel, ich suchte mir einen nicht einsehbaren Platz in einer Mulde abseits der Straße, hob die Satteltaschen herunter und zäumte mein treues Reittier ab. Kaum hatte ich den Kopf auf den weichen Wiesenboden gelegt, war ich auch schon eingeschlafen.

    Polternde Geräusche weckten mich. Obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte schon Betrieb auf der Straße. Hochbeladene Ochsenkarren rumpelten in beide Richtun-gen und verursachten einen Heidenlärm. Bauern trieben Schafherden an, und Weiber stapften mit hohen Kiepen auf dem Rücken in Richtung der großen Stadt. Immer wieder patrouillierten Berittene mit dem Emblem der Republik Venedig die Straße entlang. Dieses zeigte einen geflügelten goldenen Löwen auf rotem Grund. Es sah prächtig aus und musste die Stadtregierung eine Menge Geld kosten. Vater Robert hatte mir während der Reise viel über die mächtige und einflussreiche Republik Venedig erzählt, und wie sicher das Reisen hier war. Hier hatten Wegelagerer keine Erfolgs-aussichten wie bei uns zu Hause. Am frühen Nachmittag gabelte sich der Weg. Wohin nun? Ich wusste, dass ich die Stadt Ferrara passieren musste, denn dort war ich einmal mit Guido und seinem Vater gewesen. Sicherheitshalber ritt ich zu einem nahegelegenen Weiler und fragte einen Bauern, der gerade aus dem Haus trat: „Ferrara, quale direzione – welche Richtung?"

    Der Bauer deutete mit dem Finger nach links und ich dankte ihm mit einem Kopfnicken. Offensichtlich gab es hier auch keine Zollstationen, denn bisher hatte mich niemand angehalten, um Zoll von mir zu fordern. Vergnügt ritt ich weiter. Bestimmt freute sich Guido, mich zu sehen. Er war also Richter geworden, so wie sein Vater. Ich fragte mich, ob er es geschafft hatte, seine angebetete Beatrice zu erobern. Ob er immer noch dichtete? Ich hatte so viele Fragen.

    Wie am Vortag suchte ich mir nach Sonnenuntergang einen geschützten Platz, um dort zu lagern. Obwohl die Nacht still war, schlief ich doch unruhig und wachte immer wieder auf, da ich erwartete, im nächsten Moment angegriffen und ausgeraubt zu werden. Zuhause konnte man nicht ohne den Schutz von mehreren bewaffneten Knechten reisen. In meiner Heimat Buchonia und auch in den hessischen Landen um Marburg und Kassel ging es rau zu, denn jeder misstraute jedem. Der Landfrieden galt schon lange nicht mehr. Ständig verwüsteten adlige Landplacker und verarmte Bauern die Gegend, und der Handel kam dadurch fast zum Erliegen. Ich war dankbar, davon eine Zeit lang verschont zu sein.

    Noch bevor die Sonne aufging, brach ich auf. Die Stadt Ferrara kam gegen Mittag in Sicht, aber ich ließ sie links liegen. Eigentlich müsste ich gegen Abend in Bologna ankommen. Mein Herz schlug schneller in Vorfreude darauf, meinen besten Freund wiederzusehen. Wie sehr hatte ich mich in den letzten Monaten nach Bologna gesehnt, nach Guidos Großmutter Frau Francesca und all den guten Freunden, die ich dort gefunden hatte.

    Tatsächlich erreichte ich die Stadt, bevor die Tore für die Nacht schlossen. Ich bemerkte mit Erstaunen, dass ich genau vor jenem Stadttor stand, an dem ich damals mit den Reisegefährten von der aufgebrachten Menge hinausgetrieben worden war. Ghibelline, so waren wir beschimpft worden.

    Donna Matilda hatte erwähnt, dass ihre Familie nichts mit den Ghibellinen, den Kaisertreuen zu tun haben wollte. Offensichtlich waren die Ghibellinen noch immer unbeliebt in der Stadt. Ich als Adliger gehörte genau wie Guido und seine adlige Familie dazu. Unruhig rutschte ich auf dem nassgeschwitzten Sattel hin und her. Die Hauptsache war, dass ich nicht als Ghibelline angesehen wurde.

    „Wer bist du und wohin willst du? Die Stadtwächter hielten mich an, wie ich es befürchtet hatte. „Mein Name ist Vogt Erkenbert. Ich bin ein Pilger auf dem Weg nach Jerusalem und möchte vorher alte Freunde aus der Studienzeit besuchen. Angespannt wartete ich, bis sich die Wächter einig waren, dass ich keine Gefahr war. „Sei gegrüßt Pilger, und Gottes Segen für deine Pilgerreise."

    Erleichtert ritt ich durch das Tor in die Stadt hinein. In den Gassen und auf den Plätzen war es so quirlig und lärmend, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich konnte mich an die speziellen Gerüche der Märkte erinnern und atmete den vertrauten Duft begierig ein. Vor dem Haus von Frau Francesca saß ich ab und pochte mit klopfendem Herzen gegen die Tür. Einige Zeit geschah nichts, dann wurde der Spion, das Guckloch im oberen Teil der Tür, geöffnet. Ein mir unbekanntes Gesicht schaute heraus. Ich stellte mich vor und fragte den Türsteher, ob ich Richter Guido Guinizelli sprechen könne. Seine Augen weiteten sich und er beeilte sich, die Tür zu entriegeln, um mich einzulassen. „Gottes Gruß, Miles Erkanbert. Euren Namen nennt man in diesem Hause mit Respekt. Der ehrwürdige Richter Guido hat oft von Euch erzählt." Ich schluckte. Ein Kloß saß in meinen Hals, sodass ich ihm nicht antworten konnte. Der Türsteher rief laut nach einem Pferdeknecht. Es war der gleiche wie damals! Er ging nun gebeugt, aber ich erkannte ihn an seinen langen Schneidezähnen und den tiefschwarzen Augen.

    „Miles Erkanbert, Ihr seid zurück in Bologna! Eilfertig nahm er Blitz am Zügel und führte ihn zu den Stallungen. Ich bemerkte, dass der Innenhof vernachlässigt aussah, einige Ziegel auf der Außenmauer fehlten und Gras wuchs zwischen den Steinplatten im Hof. Dies hätte Frau Francesca niemals geduldet, aber sie war damals schon alt gewesen und musste längst gestorben sein. Zwei Mägde und ein weiterer Knecht eilten herbei und starrten mich an. Eine ältliche Magd knickste und reichte mir einen Becher Wein. Verlegen nahm ich ihr den Becher ab. Es war Magd Ludovika, mit der ich als junger Student einige Male das Lager geteilt hatte. Auch sie schien sich daran zu erinnern, denn sie musterte mich unverhohlen von Kopf bis Fuß und lächelte dann breit. Ludovika, nicht wahr? Es ist schön, dich so wohl zu sehen. Kannst du mich zu Richter Guido führen?"

    Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Ja, wisst Ihr es denn nicht? Unser Herr, der edle Richter Guido, ist seit zwei Jahren nicht mehr in Bologna gewesen."

    Ich meinte, nicht richtig gehört zu haben. „Wo lebt er jetzt?"

    Der Türsteher trat näher und schob Ludovika zur Seite. „Die Familie von Richter Guido musste die Stadt verlassen, das weiß doch jeder."

    Das Blut stieg mir ins Gesicht, was dachte er denn, wie ich das hätte erfahren können. „Nun rede schon, Mann. Wo lebt Richter Guido nun?"

    Er hüstelte und wandte den Blick ab. „Das weiß niemand von uns."

    „Ihr könnt doch seinen Bruder, Messere Stefano fragen, er wohnt immer noch an der Piazza Maggiore", rief Ludovika.

    Verdammt, ich hatte keine Zeit mehr, Guido zu suchen! Jetzt hatte ich die beschwerliche Reise über die Alpen hinter mich gebracht, war im Haus seiner Großmutter angekommen und niemand hatte Kenntnis davon, wo er lebte? Das konnte doch nicht wahr sein! Die getreuen Diener wichen erschrocken zurück und ich versuchte, mich zu beruhigen.

    „Wer wohnt nun hier in diesem Haus?"

    Ludovika nahm mir den leeren Becher ab. „Seit dem vorletzten Weihnachtsfest, als Richter Guido mit seiner Familie aus der Stadt vertrieben wurde, leben nur wir Diener hier. Unser Herr hat gesagt, bleibt, also bleiben wir hier. Bestimmt kommt er bald wieder zurück."

    Das nützte mir gar nichts. Bevor ich nach Blitz rufen ließ, fiel mir noch etwas ein. „Wann ist Frau Francesca gestorben?"

    Jetzt redeten alle durcheinander. „Die gnädige Frau ist vor vier Jahren gestorben, unsere Herrin ist sehr alt geworden."

    „Jeder kann sich daran erinnern, dass sie Euch zwei ihrer kostbaren Halsbandsittiche geschenkt hat."

    „Leben sie noch, wie geht es ihnen?"

    Ich schluckte meinen Ärger hinunter und beantwortete ihre Fragen. Die Knechte und Mägde freuten sich sehr, dass es den beiden Vögeln gutging und sie nun unsere Wappentiere waren. Sie verabschiedeten sich sehr herzlich und lautstark von mir. Wie wohl hatte ich mich damals im Hause von Frau Francesca gefühlt, ich hatte fast zur Familie gehört. Schweren Herzens ritt ich weiter.

    Auf dem großen Marktplatz, auf dem jeder Tag Markttag war, wimmelte es nur so von Bürgern und Bauern. Trotzdem fand ich den Wohnturm von Messere Stefano auf Anhieb. Auch hier erinnerte sich der Türsteher an meinen Namen und gewährte mir sofort Einlass. Messere Stefano tätige ein wichtiges Geschäft und sei unabkömmlich, seine Hausfrau wolle mich aber gerne empfangen, ließ er ausrichten. Er führte mich zu einem schattigen Plätzchen, und sogleich trat eine Magd heran, die mir einen Becher mit Fruchtsaft anbot. Der gekühlte süße Saft schmeckte wunderbar. Erfrischt sah ich mich um. Der Innenhof war eng, aber gemütlich. Bunte Blumen rankten von den Mauersimsen, ein Wasserbecken in der Mitte des Hofs spendete angenehme Kühle, und zwei Käfige standen in offenen Fenstern. Erstaunt erkannte ich vier Halsbandsittiche darin. Die Zucht der schönen grünen Vögel ging also weiter. Eine ältere korpulente Frau eilte herbei, gekleidet in ein kostbar besticktes Seidenkleid und einen Schleier, der hochgetürmt über ihrem Kopf thronte.

    „Du bist es wirklich, Miles Erkanbert! Ich habe es kaum glauben können, als man dich ankündigte. Willkommen in unserem Haus." Ohne weitere Vorwarnung zog Frau Sofia mich in ihre Arme, wobei ich in ihrem üppigen Busen versank.

    „Wie oft hat Schwager Guido von dir erzählt und von den lustigen Zeiten, die ihr damals hattet. Du bist groß und stark geworden." Fröhlich schwatzend geleitete sie mich in den Wohnturm und drückte mich in einen Lehnstuhl. Heißhungrig fiel ich über die guten Speisen her, die sie auftischen ließ, und aß, bis ich mir beide Hände auf den vollen Magen hielt. Ihre Gastfreundschaft war überwältigend.

    „Hat es dir geschmeckt? Ich kann mich erinnern, dass du gerne Pasta gegessen hast. Sofia erzählte mir bei Käse und Weintrauben, dass Guido der Gesprächsstoff der ganzen Stadt gewesen war. „Stell dir vor: vier Jahre lang hat Schwager Guido auf Beatrice warten müssen, dann ist ihr Gatte unerwartet gestorben. Man hat ja so einiges gemunkelt, aber Schwager Guido war zu der Zeit nicht in der Stadt und schließlich hat sich das Gerede wieder gelegt. Frau Sofia kicherte leise. „Sie haben einen prächtigen Sohn bekommen, trotz des fortgeschrittenen Alters meiner Schwägerin. Wie glücklich die beiden miteinander sind." Sie sah mich neugierig von der Seite an. Meine Ehe mit Gertrude war nicht glücklich, aber das behielt ich wohlweislich für mich, erwähnte nur, dass ich vier gesunde Kinder hatte.

    „Stell dir vor, Miles Erkanbert, letzten Oktober hat es der unselige Karl von Anjou gewagt, unseren König Konradin enthaupten zu lassen. Diese Schandtat wurde öffentlich auf dem Marktplatz von Neapel vollzogen. Ist das nicht ungeheuerlich? Einen gekrönten König tötet man nicht. Dieser französische Karl ist zudem ein Thronräuber. Er hat dem armen König Konradin sein Königreich Sizilien weggenommen und sich die Krone selbst auf den Kopf gesetzt. Nun gibt es keinen Thronerben mehr aus dem deutschen Hause der Staufer."

    Entsetzt hielt ich die Hände vor den Mund. „Welch eine Ungeheuerlichkeit, wie kann der französische Prinz es wagen!"

    „Ja, nicht wahr? Seitdem müssen wir auf der Hut sein. Wir Ghibellinen sind mittlerweile in der Unterzahl in Bologna und werden ständig angegriffen. Es ist noch schlimmer als damals, als du hier studiert hast. Schwager Guido hat seit der Ermordung König Konradins etliche Morddrohungen erhalten. Seine arme Frau wurde ganz krank und ihren Sohn Guidiccio haben sie mehrmals auf offener Straße verprügelt. Guido ist dann mit seiner Familie auf und davon. Keiner weiß, wohin."

    Betroffen hörte ich Sofia zu. „Weiß wirklich niemand, wo er jetzt lebt?"

    Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, er hat es selbst uns nicht verraten, zu unserem eigenen Schutz, wie er gesagt hat."

    Das waren schlimme Nachrichten.

    Langsam dämmerte es mir, dass ich meinen Freund niemals wiedersehen würde. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Es schmerzte wie damals, als ich gegen die Flammen gekämpft hatte, die die heimatliche Burg vernichten wollten. Frau Sofia streichelte mir mitfühlend über den Arm. „Wir können ja Boten aussenden. Vielleicht bekommen sie heraus, wo Schwager Guido jetzt lebt."

    „So viel Zeit habe ich nicht, ich muss in drei Tagen zurück in Venedig sein. Ich bin zusammen mit den Deutschordensbrüdern als Pilger auf dem Weg nach Jerusalem."

    Sofia schlug die Hände zusammen. „Ein Jerusalempilger in unserem Haus! Natürlich bleibst du heute Nacht hier. Mein Gemahl ist vor Jahren als Pilger im Heiligen Land gewesen und will bestimmt mit dir darüber plaudern."

    Widerstand war zwecklos. Die gute Frau ließ ein Bett richten, und rief nach mehr Essen und Wein. Erst spät abends kam Guidos Bruder Stefano und anstatt zu schlafen, redeten wir die ganze Nacht miteinander. Das Herz wurde mir immer schwerer. Wie gerne wäre ich geblieben und hätte mit Hilfe von Messere Stefano meinen Freund gesucht.

    Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zurück nach Venedig. Ich erreichte das Städtchen Chioggia unbeschadet am späten Nachmittag des zweiten Tages und erwartete, einen Gondoliere zu finden, der mich nach Venedig ruderte, aber zu meiner Bestürzung war keiner dazu bereit. Es sei zu spät, die Kette sei schon vorgelegt und niemand käme mehr hinein in die Lagune, übersetzte mir der eilig herbeigerufene Geistliche. Was für eine Kette? Erschöpft gab ich es schließlich auf und suchte mir einen ruhigen Platz unter einem Kastanienbaum.

    Bei Morgengrauen rüttelte mich ein ältlicher Gondoliere am Arm und bot an, mich für sechs kleine Münzen nach Venedig zu rudern. Ungeduldig stand ich am Bug des kleinen Bootes und hielt Ausschau nach dem Laguneneingang. Hoffentlich war der Konvoi noch nicht ausge-laufen. Meine Erregung nahm immer mehr zu. Der Gondoliere sah meine Ungeduld und legte sich in die Riemen. Bald kamen die beiden Säulen in Sicht, die die Einfahrt in die Lagune markierten. Keine größeren Schiffe befanden sich vor dem Eingang, nur ein halbes Dutzend Fischerboote. Gott sei es gedankt! Der Konvoi hatte wohl noch nicht abgelegt. Ich schüttelte meine verkrampfte Hand aus. Der Gondoliere rief mir etwas zu, aber leider verstand ich ihn nicht. Er deutete mit dem ausgestreckten Arm aufs offene Meer und eine große Gruppe von Galeeren. Das konnte doch sicherlich nicht mein Konvoi sein, es war doch noch so früh am Morgen. Die frommen Deutschordensbrüder wollten nach der Laudes abreisen, dem Morgenlob, welches bei Sonnenaufgang gebetet wurde.

    Verdammt, die Sonne war längst aufgegangen!

    Mir wurde ganz kalt vor Angst. Mit schlotternden Knien hielt ich mich am Bootsrand fest und starrte nach vorne. Der Konvoi entfernte sich am Horizont und bald war nichts mehr zu sehen. Meine Unruhe nahm zu, aber es dauerte eine Ewigkeit, bis das kleine Boot endlich an der Anlegestelle der Deutschritter anhielt. Mit zitternden Händen zählte ich dem Gondoliere die Münzen hin und fiel vor Aufregung beinahe ins Wasser, als ich an Land stieg. Ich ließ Blitz einfach an der Mole stehen und rannte zum Eingang der Komturei. Die Tür öffnete sich, als ich dagegen klopfen wollte.

    „Wo sind die Marburger Brüder, ist der Konvoi noch da?", meine Stimme überschlug sich.

    Ein Sarjantbruder starrte mich entgeistert an. „Ja, um Herrgottswillen, wo kommt Ihr denn her? Alle haben Euch gesucht! Der Schiffskonvoi ist schon vor Sonnenaufgang ausgelaufen."

    Ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht sackte. Plötzlich drehte sich alles vor den Augen und kalter Schweiß stand auf meiner Stirn. Ich kam zur Besinnung, als zwei starke Arme mich stützten. „Herr Erkenbert,

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