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Bella und Paul
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eBook222 Seiten2 Stunden

Bella und Paul

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Über dieses E-Book

»Und während er sich langsam auf den einzigen Stuhl im Zimmer setzte, begrub er ein weiteres Stück seines banalen Lebens.«
In 17 Erzählungen sehnen sich Menschen nach Liebe und Geborgenheit und suchen ihren Platz in der Welt. Atmosphärisch dicht und mit großem Verständnis für unsere Schwächen zeichnet Uwe Kirst Bilder von modernen Helden, die ziellos irren, aufbrechen und ankommen. Als immer Reisende in Geschichten, die bitter und traurig enden oder mit Freude überraschen. Da sind aber auch Liebende, die sich wie »Bella und Paul« trotz aller Erfahrungen auf den Weg machen, um sich selbst und einander neu zu begegnen.
SpracheDeutsch
Herausgeberadakia Verlag
Erscheinungsdatum18. Dez. 2020
ISBN9783941935839
Bella und Paul
Autor

Uwe Kirst

Dr. Uwe Kirst ist einem großen Publikum als Redner und Berater bekannt. Er gilt als »Gründerpapst« und hat unzählige Unternehmer auf dem Weg in die Selbständigkeit oder bei Wachstums- und Veränderungsschritten begleitet. Daneben ist der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und gelernte Schriftsetzer immer seiner inneren Leidenschaft treu geblieben. Neben der Herausgeber- und Autorenschaft des Standardwerks »Der Gründerpapst – Selbständig mit Erfolg!« schreibt er seit Jahren Prosa und ist mit Kurzgeschichten in diversen Anthologien vertreten. »Bella und Paul« ist der erste Band mit Erzählungen des Autors. Ein Roman ist in Vorbereitung.

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    Buchvorschau

    Bella und Paul - Uwe Kirst

    Uwe Kirst

    Bella und Paul

    Erzählungen

    adakia Verlag UG (haftungsbeschränkt)

    Richard-Wagner-Platz 1, 04109 Leipzig

    www.adakia-shop.de

    Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über die Homepage http://www.dnb.de abrufbar.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.

    Gesamtherstellung: adakia Verlag, Leipzig

    Covergestaltung: Sophia Ferstl, Schober – Büro für Gestaltung

    E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2020

    1. Auflage, Dezember 2020

    ISBN 978-3-941935-69-3 (Print)

    ISBN 978-3-941935-82-2 (MOBI)

    ISBN 978-3-941935-83-9 (EPUB)

    Für Henrike

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Die Kathedrale

    Kreisel

    Bella und Paul

    Feierabend

    Fait accompli

    Das Mal

    Das Fenster

    Über Land

    Der Heimweg

    Der Augenblick

    Die Tür

    Die Reise

    Ausschank

    Aus der Zeit

    Willkommen daheim!

    Quattro Stagioni

    Mittwoch

    Dank

    Die Kathedrale

    Das Zentrum der riesengroßen Stadt war quirlig, voller Lärm und Staub, mit stetig wachsendem Verkehr, der rasant und unerbittlich das Überqueren einer Straße zum Abenteuer geraten ließ. Die heiße Sonne prallte auf die Dächer, unter denen die Vergangenheit brütete. Fassaden, schmutzig gelb, verschnörkelt oft, die Häuser, hoch, verschachtelt, kaum frische Farbe, aber dadurch Illustration einer vergehenden Ära. Herrschaftliches, dem auf Jahrzehnte die Macht entzogen war, fand sich neben Plattem, zweckhaft Modernem, berichtend von gebrochener Geschichte.

    »Da drüben, diese prachtvolle Kathedrale, wurde vom gleichen Architekten geplant, der das GUM in Moskau entworfen hat, sie wurde aber erst Anfang des letzten Jahrhunderts fertig und ist die zweitgrößte orthodoxe Kirche auf dem Balkan.«

    Der Respekt meiner Erklärerin war sichtbar. Eine verlockende Frau, die tief ruhte in der Größe der Vergangenheit ihres Volkes und die stolz darauf war, zu denen zu gehören, die die Schriftzeichen der neuen Zeit schwungvoll zu schreiben begonnen hatten.

    Sie war Unternehmerin, gekleidet im Businesslook, wie er vor Jahren der Mode entsprochen hatte, aber hier herausstach aus dem Grau einheitlicher Alltagskleidung. Sie wirkte elegant, nichts störte die Harmonie und ein edel wirkender Hut zierte ihren Kopf. Niemand sonst trug einen, am helllichten Tag, in dieser Stadt.

    Sie war ein Mensch, wie mir viele begegnet waren in diesen Jahren nach dem Fall eiserner Mauern in Europa. Intelligent, gebildet, aktiv und erfüllt von unbändiger Energie, endlich das umzusetzen, was die eigenen Gedanken hervorgebrachthatten. Im Rausch einer Freiheit, die es in späteren Jahren so nicht mehr geben würde, weil die aus den Trümmern alter Ideologien entstandene Bürokratie, sich zu neuer Macht aufschwingen würde, intriganter und einflussreicher als je zuvor.

    Doch heute gehörte sie zu den Siegerinnen, den Vorreitern einer neuen, vernunftbegabten Zeit, die kühn in das Vakuum der Macht vorstießen und in die Hand nahmen, was zu gestalten sie sich vorgenommen hatten.

    Ich fand sie imponierend und voller Charme und freute mich, an ihrer Seite eine Welt zu entdecken, die mir vorher verschlossen war und die sich so gravierend unterschied, von dem, was Deutschland, Italien, Österreich oder Portugal ausmachte, und rein gar nichts zu tun hatte mit Staatsgebilden wie Großbritannien sowie der immer noch neuen Welt in Übersee.

    Wir überquerten die Straße und den weitläufigen Platz, auf dem damals kaum ein Auto parkte und schritten über einige Stufen zum Eingang, durch drei imposante steinerne Bögen, in der Mitte von zwei Säulen gestützt. Das Bild der Dreierbögen tauchte am ganzen Bauwerk immer wieder auf, zwischen kupfergrünen und goldenen Kuppeln – neobyzantinische Gewalt, eindrucksvoll und doch verspielt.

    Drinnen, eine Welt aus Säulen, Nischen, Schreinen mit Gemälden, Ikonen, riesigen Lüstern und direkt unter der riesenhaften Hauptkuppel, in der Mitte des Bodens aus kreisförmig angeordneten, quadratischen, wechselfarbigen Fliesen, ein großer Stern.

    »Stellen Sie sich auf diesen Platz!«, sagte meine Begleiterin, »aber halten Sie sich an mir fest.«

    Verwundert schaute ich sie an und tat, wie mir geheißen, indem ich ihre Hand ergriff und mit einem Schritt in die Mitte des Sterns trat.

    Da stand ich mit geschlossenen Füßen inmitten dieser Kathedrale, genau im Lot der Kuppel und bevor mir das bewusst wurde, nahm ich einen Sog wahr, der mich fast taumeln ließ. Erschrocken drückte ich die Hand, die ich hielt und hatte das Gefühl, in einem Fahrstuhl zu stehen, nein, einer zu sein, ohne mich aber nach oben oder unten zu bewegen. Etwas verstört trat ich aus dem Zentrum des Sterns wieder an ihre Seite.

    »Was war das?«, fragte ich verblüfft.

    Sie lächelte: »Die alten Baumeister wussten um die besonderen Plätze und Mancher kann es sehr deutlich spüren. Sie gehören offenbar dazu.«

    Eine schlüssige Erklärung war das nicht, doch sie wies schon auf die übrigen Kirchenschiffe, mit bekannten Gemälden und Glasmalereien und dann, in der Krypta, die berühmte Poganow-Ikone aus dem 14. Jahrhundert. Gruppen von Schülern hörten ihren Lehrern zu, touristisch anmutende Personen vertieften sich in die Kunstwerke und auf dem Gestühl unter der Kanzel saß eine alte Frau, die betete.

    Ich war beeindruckt, aber nicht völlig bei der Sache; in mir summte die Energie, die mich zum Wanken gebracht hatte. Mein Schritt war unstabil. Da fiel mir auf, dass ich ihre Hand hielt, sie nicht losgelassen hatte, nach dem Ereignis unter der großen Kuppel; sie hatte sie mir nicht entzogen. Ich empfand in dieser Berührung eine Nähe, die sich nicht erklärte, zu einer Fremden, die mir doch von meinen Universitätskollegen erst empfohlen worden war: »Gehen Sie zum Denkmal. Dort wartet Maria auf Sie. Sie hat bei uns studiert und ist sehr vielseitig; sie wird Ihnen die Stadt zeigen, bevor wir morgen mit der Arbeit beginnen.«

    Auf dem Weg nach draußen schien mir die übliche Distanz verschwunden, die es zwischen Menschen gibt, die sich eben erst begegnet sind. Es herrschte ein Vertrautsein, das mich wunderte, denn ich war vorsichtig bei neuen Kontakten, in Ländern, die mir fremd waren. Ich erzählte meist wenig von mir, hörte lieber zu und war auf Distanz bedacht: Herzlich, aber höflich und genau beobachtend. Fehler sind schnell geschehen und der Weg zum Verstehen anderer Lebenswelten ist mit Missverständnissen förmlich gepflastert.

    »Sind Sie Maria?«, sprach ich sie an, am Nachmittag, auf dem Platz, der mir genannt worden war. Sie hatte mich kurz gemustert und dann genickt. Das war keine zwei Stunden her, doch nahm ich sie schon jetzt anders wahr, mit einer präsenten Wärme; einem Vertrautsein ohne Grund.

    »Ich lade Sie zum Essen ein«, lächelte sie mich an. »Oder machen Sie eine Diät? Das ist doch in Deutschland große Mode, habe ich gelesen, oder?«

    »Bestimmt nicht, das würde man mir ansehen«, antwortete ich und eine Mitarbeiterin fiel mir ein, die mit ihrer Trennkost seit ein paar Wochen den halben Betrieb in Atem hielt.

    »Ich möchte Ihnen ein Restaurant zeigen, ein privates, das zwei junge Männer gerade erst gegründet haben. Dort wird traditionell gekocht. Das gefällt Ihnen sicher. Es ist nicht weit.«

    Das bedeutete hierzulande nicht selten einen Fußmarsch von zwanzig Minuten und länger, aber Maria hatte ein Auto, einen kleinen deutschen Wagen, der mehr als Worte davon kündete, dass ihr Geschäft kein Hirngespinst war und etwas abwarf. Kredite gab es nicht und sobald jemand ein Fahrzeug besaß, war das meist bar bezahlt.

    Sie fuhr schnell und wenn mir der hier übliche Fahrstil nicht schon vertraut gewesen wäre, hätte mich das beunruhigt. Doch sie reagierte präzise und hielt den Blick auf der Straße, was mir Gelegenheit gab, sie von der Seite zu mustern. Die Nase war zierlich, die Lippen fein geformt, die Brauen perfekt, ein Hauch von Schminke auf der Haut und an den Ohren bildete ihr schwarzes, dichtes Haar kleine Halbkreise. Der kurze, enge Rock endete über den Knien, ein wenig hochgerutscht durch die Bewegungen beim Kuppeln und Bremsen, schlanke Beine, trotz der Sommerhitze feinbestrumpft.

    Ihr Lächeln zeigte mir, dass sie meine Blicke bemerkte. So schaute ich besser wieder nach vorn und sah jetzt, dass wir in einem anderen Stadtviertel unterwegs waren. Es wirkte sauberer, gepflegt, mit kleineren Häusern, dafür mit weniger frischer Farbe.

    Ich war erstaunt, dass ein solches Lokal fernab vom Touristentrubel in einer eher Wohngegend zu finden war und sagte ihr das. Es war nicht das erste Mal, dass mir Standortentscheidungen für Gastronomiebetriebe und Handelsgeschäfte unverständlich waren und ich rätselte dann, woher denn die Gäste in ausreichender Anzahl und Frequenz kommen sollten, um diese aufwendige Küche wirtschaftlich zu ermöglichen.

    »Hier essen vor allem die, die in dieser Gegend wohnen; zunehmend Geschäftsleute. Ein Geheimtipp.«

    Es war ein langgezogener Raum, erhellt von Wandleuchten. Kleine Tische, mit zwei gegenüber angeordneten Stühlen, reihten sich an den Wänden und erinnerten an die versteckten Pariser Restaurants, wo der Tisch jedes Mal vorgezogen werden musste, für denjenigen, der mit dem Rücken zur Wand saß. Weißes Tuch mit schwerem Besteck, aber elegant, Kristallgläser, hier traditioneller Ausdruck für gehobenen Standard und Festlichkeit.

    Eine Speisekarte mit schlichtem Druck auf dickem Papier und Gerichte, die mir wie eine Mischung aus geheimnisvollem Orient und federleichter, australischer Küche vorkamen.

    Kardamom und Limonen, Honig und Fisch. Der Wein war aus einer Spitzenlage des Landes, bestens beleumdet bei Kennern europäischer Gewächse.

    Unser Gespräch schwebte zwischen den Welten, berührte Literatur wie Geschichte, Religion wie kühne Reden politischer Protagonisten. Das, was wir aßen, bildete den Kontrapunkt.

    »Ich wohne auch nicht weit von hier. Wir können gerne den Kaffee bei mir trinken. Es würde mir Freude machen, Sie dazu einzuladen!« Sie ließ mich nicht zahlen und als ich zum Auto steuerte, lächelte sie: »Es sind nur ein paar Schritte.«

    Nach wenigen Minuten wanderten wir durch Gänge und über Treppen bis zu einer Tür auf einem langen Flur mit vielen solcher Türen. Ich sah kein Namensschild, aber das war hier nicht ungewöhnlich; es erinnerte mich an England, wo meist nur Wohnungsnummern zu sehen waren oder die Häuser klangvolle Namen hatten. Ein Flur mit wenigen Möbeln, hell, mit Bildern an den Wänden, modern, keine Drucke. Sie führte mich in ein Zimmer, das größer als erwartet, freundlich wirkte und warm, wie der Flur nicht überladen, eine Mischung aus Bequemlichkeit und Stil. Ich nahm den Platz, den sie anbot, und kam mir nicht fremd vor.

    Den Kaffee bereitete sie in einer dieser Metallkonstrukte, die man direkt auf die Flamme oder Kochplatte setzte und die eine Art Espresso hervorbrachten, der meist nicht übel war. Zucker stand in einer Schale neben den Tassen, einen kleinen Krug mit klarem, kühlen Wasser stellte sie dazu. Wir saßen an einem viereckigen Tisch aus dunklem, poliertem Holz, auf dem eine Spitzendecke lag. Die Tassen waren klassisch geformt, die zierlichen Löffel wirkten verspielt. In dem sonst modern gestalteten Raum bot dieser Platz, zusammen mit einem garantiert ebenso alten Glasschrank, einen deutlichen Kontrast.

    »Das ist schon lange im Besitz meiner Familie.« Sie hatte die Blicke bemerkt. »Früher gehörte dazu noch ein selbstgemachter Likör. Möchten Sie vielleicht ein Glas probieren?«

    Die Dämmerung war zwar schon in Dunkelheit übergegangen, aber es gab keinen Grund, schnell zu meiner Unterkunft zu kommen, die, sauber und freundlich, doch recht spartanisch eingerichtet war. Außer ein paar Seiten in meinem Buch, in dem ich las, wartete dort nichts auf mich.

    Ich nickte und sie trat zur Vitrine, nahm Gläser mit schlankem Stiel und eine dunkle Flasche ohne Etikett heraus, löste den Korken und goss beide halbvoll. Es war eine dunkelrote, schwere Flüssigkeit und ich war gespannt, was das alte Hausrezept hervorgebracht haben mochte. Sie stand mit dem Rücken zur Vitrine, in jeder Hand ein Glas und lächelte mir zu, so dass ich automatisch aufstand und die zwei Schritte zu ihr ging.

    Sie gab mir eines davon und hob das ihre: »Lassen Sie uns anstoßen und etwas sagen. Es bringt Unglück bei uns, wenn man trinkt und nichts dazu sagt.«

    Ich schaute sie erwartungsvoll an, denn sie war die Gastgeberin. Ihr voller Blick traf meine Augen, da ergriff mich das gleiche Gefühl, wie in der Kathedrale: Ein leichter Schwindel und eine merkwürdige Wärme, die in mir aufstieg.

    »Wenn Menschen sich begegnen, berühren sich immer auch ihre Herzen.«

    Das Kristall klang aneinander und ich nahm einen Schluck. Der bittersüße Geschmack des schweren Likörs erreichte augenblicklich alle Geschmacksknospen. Unsere Blicke lösten sich voneinander, mein Mund wurde trocken; ein inneres Vibrieren kam auf. Ein Lichtreflex, gebrochen durch den tiefroten Inhalt des Glases, zeichnete purpurne Muster auf die helle Haut ihres Dekolletés. Rubin auf Samt. Ihre Lippen schimmerten, benetzt vom Likör; und als sie meinen Mund berührten, atmete ich ihr Parfum.

    Ich erwachte von einem Streicheln. Es war dunkel, das Straßenlicht warf ein rechteckiges Muster auf das Parkett. Sie strich mir über mein Gesicht: »Ich bringe dich zurück.«

    Ich fand die Kleider verteilt um das breite Bett inmitten eines Raumes, an den ich mich nicht erinnerte. Sie stand in einem leichten Mantel wartend im Flur. Wir gingen erneut über Treppen und Gänge bis zu ihrem Auto; die Straßenbeleuchtung war erloschen, ich wusste nicht, warum.

    Sie fuhr konzentriert, wir sprachen nicht, ich atmete Nähe, innere Ruhe. Ihr Geschmack war auf meinen Lippen.

    Wir kamen an und sie stieg mit mir aus, trat vor mich hin und legte mir beide Hände auf die Schultern. In ihren Augen sah ich ein Licht. Ihre Fingerspitzen berührten mein Gesicht, einer Umarmung wich sie aus, stieg in ihren Wagen, setzte den Motor in Gang und fuhr davon.

    In meinem Zimmer angekommen, lag ich lange wach und im Kopf lösten sanft bewegte Bilder einander ab, bis ich einschlief.

    Meine Kollegen begrüßten mich am nächsten Morgen: »Haben Sie den Abend gut verbracht? Unsere Kollegin Maria haben Sie ja leider verpasst, sie hat gestern angerufen, dass sie eine Zeit gewartet hätte, dann aber gehen musste. Das macht aber nichts – dann zeige ich Ihnen in den nächsten Tagen selbst, was sehenswert ist.«

    In mir strahlte das Bild von Maria, das Schimmern ihrer Haut, ihre berührende Stimme, der Laut, der uns entrückte.

    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« Er klang besorgt.

    »Ja, ja«, beeilte ich mich zu sagen. »Natürlich. Danke, alles gut.« Ich erhob mich, ordnete meine Unterlagen und suchte nach dem Zettel, auf dem ihre Adresse notiert war. Ich fand ihn nicht.

    Kreisel

    Der Rückspiegel machte ihn wahnsinnig. Sein leichtes Vibrieren ließ das, was er sehen wollte, so verschwimmen, dass kaum zu erkennen war, ob sich ein oder zwei Fahrzeuge von hinten näherten. Das alles bei Linksverkehr, der ihm zwar vertraut war, aber in den ersten Stunden nach seiner Ankunft Konzentration forderte.

    »Ja, ich freue mich.« Sein Lächeln, das niemand sah, hätte trotzdem jeden für ihn eingenommen. »Eine schöne Aufgabe in meinem England!«

    Er schmunzelte über diese Vereinnahmung all dessen, was wir irgendwann und irgendwo einmal erlebt oder nur wahrgenommen hatten. Was wem in der Welt alles gehören würde, gäbe es eine diesbezügliche Software, die das erfasste. Lange würde es nicht dauern, bis biomechanische Rechner im Nanobereich am Körper befestigt oder gar integriert waren. Sie lieferten das dann als nette Zusatzinfo. Und garantiert nicht nur dem Träger des digitalen Kunstwerks. Allein London gehörte so, laut dieser Statistik, fast der halben Welt. Der Halbwelt war es ja schon heute zugefallen, so wirkte es inzwischen zumindest auf ihn.

    Diese Fahrt war seit langem wieder die erste auf den Britischen Inseln. Hierher eingeladen zu sein – ein Auftrag, der ihn im Herzen freute. Samt der Besonderheiten hiesiger Usancen im Verkehr. Die Kreisel vor allem – der erste kam sicher bald – und da war er schon. Rechts einordnen, rechts blinken, dann links in ihn einbiegen, sich dabei aber erneut rechts halten, um

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