Jakob Wolff - Der Alchemist: 1733
Von Lucian Caligo
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Buchvorschau
Jakob Wolff - Der Alchemist - Lucian Caligo
www.lucian-caligo.de
24. August 1733
Mein Name ist Jakob Wolff und ich bin verflucht. Wenngleich mein Leben davon gezeichnet und bestimmt ist, wandle ich länger als die meisten Menschen über diese Erde. Jedes Jahr streckt der Teufel erneut seine Klauen nach mir aus und versucht mich in die Feuer der Hölle zu reißen. Wenn meine Seele auch an ihn gebunden ist, so trage ich keine Schuld an dem, was mir widerfahren ist. Deshalb kommt es nicht in Frage, sie ihm kampflos zu überlassen. Um dieses Schicksal von mir zu wenden ist nicht viel mehr notwendig, als ein Elixier und eine Zauberformel, zum richtigen Zeitpunkt gesprochen. Ach ja, und jemand der meinen Platz einnimmt. Diesen zu finden war noch nie besonders schwer, schlechte Menschen gab es viele. Obwohl es bereits Routine geworden war mein Leben zu bewahren, war es dennoch mein sehnlichster Wunsch, den Fluch von mir zu nehmen.
Lilo - meine treue Gefährtin durch die Jahrhunderte - meinte, sie habe von einem Arzt gehört, der diesen Fluch brechen könnte. Das Jahr ist fast um und die Zeit drängte, aber nicht nur deshalb klammerte ich mich an jeden noch so dünnen Strohhalm. Denn was wäre ich ohne die Hoffnung auf ein normales Leben?
»Heh da!«, wurde ich aus meinen trüben Gedanken gerissen. »Aus dem Weg! Glaubst wohl, die Straße gehört dir ganz …«, der Ruf wurde vom Wiehern gezügelter Pferde unterbrochen.
Ich stolperte zum Straßenrand. Die beiden Gäule scheuten und der Kutscher hatte seine liebe Not, sie wieder in den Griff zu bekommen.
»Ihr feinen Herren glaubt wohl, ihr könnt euch alles erlauben?«, plusterte sich der Kutscher auf. Die Zornesröte erstreckte sich angefangen vom Kinn bis über sein aufgedunsenes Gesicht. Selbst seine Glatze glänzte wie eine Kirsche in der Sonne. Von der rechten bis zur linken Wange spannte sich über die Nase eine martialisch aussehende Narbe. Ganz so, als habe man ihm einst mit einer Axt den Schädel gespalten. Ein Wunder, solch eine Verletzung überlebt zu haben. Sein fetter Bauch bebte bei jeder Silbe.
»Tut mir leid, ich war in Gedanken«, lenkte ich ein und trat zur Seite. Mein Blick blieb auf die Peitsche gerichtet, die wie eine Schlange auf des Kutschers Knien ruhte. Er hielt mich offenkundig für einen Mann von Stand, gegen die er aus Prinzip etwas zu haben schien. Auf der verlassenen Straße war ich für seine Wut ein dankbares Ziel.
Der Kutscher musterte mich argwöhnisch. Für einen Moment blieb sein Blick auf meiner Umhängetasche hängen. In dieser ruhte, in Wachstuch eingeschlagen, der Hexenhammer. Ein Werk voller Grausamkeiten gegen meine Art, aber auch voller nützlichem Wissen, wenn man imstande war, es den Seiten zu entlocken.
»Seid Ihr ein Gelehrter?«, fragte der Kutscher und kniff die Augen zusammen.
»Arzt«, verbesserte ich. »Sagt guter Mann, ist dies die Straße nach Eberstadt?«, fragte ich, mehr um ihn von meiner Person abzulenken.
Er blickte mich irritiert an, als hätte ich ihn aus einer weitschweifigen Überlegung gerissen.
»Ja, noch ein gutes Stück die Straße lang. Liegt im Schatten der Burg.«
Ich trat neben den Kutschbock und sog prüfend die Luft ein. Der süßliche Geruch von Verwesung stieg mir in die Nase.
»Für ein paar Münzen nehme ich Euch mit«, bot er an.
»Danke, aber nein«, lehnte ich ab. »Was habt Ihr geladen? Nicht, dass es mich etwas anginge«, nahm ich meinen Worten die Schärfe.
»Baumaterial«, brummte er und ließ versonnen seinen Blick über die Plane schweifen, die über das Fuhrwerk gespannt war. »Eberstadt gehen die Steine und Balken aus, ein lohnendes Geschäft.«
Er wirkte ehrlich, deshalb erwog ich für einen Moment, ob der Gestank vielleicht aus dem Gebüsch am Wegesrand drang. Doch es gab keinen Zweifel, der Verwesungsgeruch stammt vom Wagen und kam mit Sicherheit nicht aus des Kutschers Achselhöhlen. Es roch nach Morast, faulem Fleisch und altem Blut.
»Ich möchte Euch nicht weiter aufhalten«, verabschiedete ich mich und reckte ihm zum Abschied die Hand entgegen. Dies diente weniger der Höflichkeit, ich wollte vielmehr einen Blick in seine Gefühlswelt tun, um zu überprüfen, ob er log. Meine Hexerkräfte erlaubten es mir, durch bloßen Hautkontakt den Gesundheitszustand und das Gefühlsleben meines Gegenübers zu erschließen. Auf das Letztere kam es mir an. Natürlich vermochte ich keine Lüge zu spüren. Wer jedoch die Unwahrheit sagte oder etwas verheimlichte, verspürte immer eine gewisse Aufregung. Selbst wenn er sie gut verbarg, so entging sie nicht meinen Fähigkeiten.
Der Kutscher blickte mich verwirrt an. Zögerlich ergriff er meine Hand.
»Ich hoffe, Ihr macht mit Eurer Fracht gute Geschäfte«, lenkte ich seine Gedanken auf die Ladung. Aber da war nichts. Ich spürte nicht mehr als das arglose Gemüt eines einfachen Mannes, der sich über mein Gebaren wunderte. Ich ließ ihn los.
»Ja danke«, sprach der Kutscher und fischte nach den Zügeln. Mit einem letzten Blick auf mich und leichtem Kopfschütteln setzte er seinen Karren in Bewegung.
Das Fuhrwerk rumpelte an mir vorbei. Für einen Moment erwog ich ihm nachzulaufen, aufzuspringen und einen Blick unter die Plane zu werfen. Doch bei solchen Kapriolen hätte meine Kleidung Schaden genommen. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Wahrscheinlich hatten die Steine nur zu lange im Morast gelegen und sonderten deshalb den Geruch ab, den ich mit modernder Verwesung verband. Meinen Kräften konnte ich diesbezüglich vertrauen.
Mich rechts am Straßenrand haltend setzte ich meinen Weg fort. Es wurde Mittag, was ich an dem Grummeln in meiner Magengegend erkannte. Um mich abzulenken, zog ich den Brief von Lilo aus meiner Tasche und faltete ihn auf. Den Blick auf die Zeilen gerichtet setzte ich meinen Weg fort:
Jakob, lautete die Anrede. Nicht: geschätzter Jakob, oder verehrter oder gar geliebter, sondern einfach nur Jakob. Allein das machte mich bereits skeptisch, aber es handelte sich eindeutig um Lilos Handschrift. Der Text barg auch keine der geheimen Zeichen, die wir vereinbart hatten um einander mitzuteilen, dass sich der andere in Gefahr oder in widrigen Umständen befand.
Meine Suche hat Interessantes zu Tage gefördert. Bitte komm so schnell wie möglich nach Eberstadt. Hier gibt es einen Arzt, der uns helfen kann. Die Zeit drängt. Aber wer wüsste das besser als du.
Diese Spitze war nicht ungewöhnlich. Es kam immer darauf an, welchen Gefühlshengst Lilo gerade ritt. Mal saß sie im Sattel der Selbstvorwürfe – schließlich war sie nicht ganz unschuldig an meinem Fluch – ein anderes Mal bemühte sie einen abweisenden Ton, gelegentlich auch jenen der Anklage.
Das Wort Arzt war hingegen wirklich eine verborgene Botschaft. Schließlich hatte ich kein medizinisches Problem. Wo würde es auch einen Arzt geben, der mir helfen konnte? Nein, es musste sich dabei um einen Okkultisten handeln, der über Wissen verfügte, welches ich nicht besaß.
Gezeichnet Liselotte.
Das war ebenfalls eigenartig; sie schrieb ihren Namen nur selten aus. Das nahm den Zeilen die letzte persönliche Note. Und wenn mir das noch nicht genügte, so kam der Umstand dazu, dass ich den Boten zahlen musste, der den Brief überbracht hatte. Der Jungspund hatte sich nur zu der Reise überreden lassen, indem Lilo ihm einen fürstlichen Lohn versprochen hatte, den natürlich ich entrichten durfte.
Der Brief knitterte unwillkürlich in meiner Hand. Zugegeben, ich war darüber etwas aufgebracht. Vielleicht war da aber auch noch