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Kiez, Koks & Kaiserschnitt
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eBook475 Seiten6 Stunden

Kiez, Koks & Kaiserschnitt

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Über dieses E-Book

Eine Aufarbeitung der Erlebnisse von 6 Jahren im Hamburger Rotlichtmilieu
Eine Autobiografie eines braven Jungen aus gutem Hause, der auszog, das Abenteuer zu suchen und bedingt durch eine Millionen-Erbschaft alle schlechten und auch manche guten Erfahrungen machte, die der Abteilungsleiter Frank aus der Bankfiliale nie erleben wird.
Ein Porträt des Hamburger Kiez´ und den Leuten die dort leben und arbeiten
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum12. Okt. 2016
ISBN9783847621805
Kiez, Koks & Kaiserschnitt

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    Buchvorschau

    Kiez, Koks & Kaiserschnitt - Christian U. Märschel

    VORWORT: Guten Morgen, Paradies!

    Es ist tiefschwarze, rote Nacht, die Sterne über dem ausgetrockneten Flussbett der ehemaligen Süderelbe leuchten rötlich bis lila. Zwischen den Punkten der Sterne heben sich mehrere Punkte ab, schneller größer werdend. Sie sind aufgereiht wie auf einer Perlenkette, blinken, mal schneller, mal langsamer und kommen in rasendem Tempo über das trockene Flussbett geschossen. Sie werden langsamer, die Perlenkette dreht sich um sich selbst, Rauch steigt darunter auf, dann landet die Kette langsam. Einige der Lichter erlöschen, andere blinken weiter, es zischt.

    Niemand nimmt Notiz davon.

    Es ist niemand da.

    Staub wirbelt auf, trockener Staub, es hat seit Ewigkeiten nicht mehr geregnet. Aus dem Nebel tauchen kleine runzelige Gestalten auf in weißen Anzügen. Sie haben altmodische Geräte dabei, die gar nicht in diese Zeit passen: Schaufeln, Spitzhacken, Pinsel und Besen. Sie fangen an zu graben, dort, wo einmal die Elbbrücken standen, damals, als die Süderelbe hier noch floss. Die Schaufeln graben sich in den Boden, jeder Einstich macht ein kratzendes Geräusch, dass durch das Echo vermehrfacht wird. Jeder sorgfältige, vorsichtige Strich mit dem Besen oder dem Pinsel macht ein lautes Echo, das aus dem Nichts widerhallt.

    Die Schaufel stößt auf Beton.

    Vorsichtig graben die Gestalten weiter, wollen nichts beschädigen, was geschichtsträchtig und historisch –prähistorisch vielleicht- sein könnte. In dem rötlichen Nebel, der über dem staubigen Flussbett hängt, ist nicht alles deutlich zu sehen.

    Jetzt graben sie etwas aus. Eine Mumie, konserviert im letzten Rest eines Betonpfeilers der Elbbrücke. Seit Ewigkeiten eingeschlossen, ohne dass Luft sie hätte zersetzen können. Damals nicht. Und heute auch nicht. Heute gibt es keine Luft mehr.

    Und keine Elbe.

    Wie von Ferne sehe ich, wie die Marsmännchen-ähnlichen Wesen die letzten Betonbröckchen von mir abkratzen und mich wegtragen, auf einer Art futuristischer Tragbahre, die von selber schwebt, durch die rote, staubige, nebelige Umgebung. Endlich raus aus dem Pfeiler, endlich, nach dreitausend Jahren. Das hässliche Loch in meinem Kopf tut schon seit fast zweieinhalb Jahrtausenden nicht mehr weh. Zum Glück haben mich die Luden damals erst erschossen, bevor sie mich einzementierten. So manch einer hat das ohne die erlösende Kugel miterleben dürfen…

    Im Nebel und im aufwirbelnden, roten Staub hebt das Ufo ab und verschwindet mit mir irgendwo zwischen den rot leuchtenden Sternen.

    Ich wache auf.

    Es ist Tag, die Sonne scheint rot durch die roten Vorhänge auf den roten Teppichboden und erleuchtet die roten Tapeten. Nur die schneeweißen Möbel leuchten mich aufdringlich grell an. Es kratzt und klopft und hallt immer noch. Anscheinend haben sie endlich begonnen, die leerstehende Nachbarwohnung umzubauen. Ein ganz gewöhnlicher Morgen im ‚Paradies’ in der Danziger Strasse, Hamburg St.-Georg. Nur dass der Morgen hier immer erst mittags beginnt.

    Zum Glück ist noch etwas Weißes Glück da, ich mache mir auf dem Tisch mit der riesigen Glasplatte, die von einer splitternackten Meerjungfrau gestützt wird, erstmal eine Nase fertig.

    Die Line wird schnell kleiner unter dem darüber fahrenden Röhrchen aus goldfarbenem Metall, dass einen Miniatur-Staubsauger, dessen Vorlage wohl ein Hoover war, darstellt.

    Jetzt seh’ ich klarer. Aber hören tue ich jetzt nichts mehr.

    Der Krach aus der Nachbarwohnung ist auf einmal verstummt.

    Vor­wort - zum bes­se­ren Ver­ständ­nis         

    Die­ses Buch ist kein Ro­man.

    Es ist ein Rück­blick auf ei­nen wich­ti­gen Zeit­ab­schnitt in mei­nem Le­ben, der sich wirk­lich so­ zu­ge­tra­gen hat.    

    Es ist nichts ver­än­dert, nichts be­schö­nigt und nichts hin­zu­ge­fügt.          

    Un­we­sent­li­ches ha­be ich al­ler­dings weg­ge­las­sen, weil es Dich wohl nicht in­ter­es­sie­ren wür­de.

    Man­che Per­so­nen oder Hand­lun­gen ha­be ich sehr de­tail­liert be­schrie­ben.        Den ei­nen oder an­de­ren mag das lang­wei­len. Ich ha­be es als wich­tig emp­fun­den, be­son­ders die Per­so­nen, die für die Ent­wick­lung der Din­ge wich­tig wa­ren, so gut und ge­nau wie mög­lich zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Vielleicht hilft es Dir, mein Leben im so genannten Rotlichtmilieu, das sich einfach so von selbst entwickelt hat und in das ich mich ganz bewusst habe reinziehen lassen, zu verstehen.

    Ich beschreibe in den meisten Kapiteln Dinge, Vorgänge und Erlebnisse, die für jemanden, der diese besondere Welt nicht kennt, vielleicht schwer verständlich oder sogar unverständlich sind. Ich kann nicht davon ausgehen, dass gewissen Vorgänge bekannt sind: „Ich habe mein Auto gewaschen, du weißt schon, wie das geht…" Darum versuche ich, alles so genau wie möglich zu beschreiben. Nicht als Bastelanleitung für ein verpfuschtes Leben, sondern um den wirklichen Eindruck und auch das Verständnis der Situation zu ermöglichen. 

    Konju ist ein sehr lieber und warmherziger Mensch, der aber schon durch seine Aussprache seine ausländische Abstammung verrät: „Ab’rr Dick’rr, solltest Du’ss mal sehen, wie ich das wiedder gemacht habbe…" Konju kann einfach nicht sagen: „Aber Dicker, du hättest mal sehen sollen, wie ich das wieder gemacht habe…" Darum ist das Buch an manchen Stellen vielleicht schwieriger zu lesen. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, kann man in den einzelnen Personen und Passagen aufgehen. Und vielleicht verstehen, warum ich damals so war wie ich war.

    Die er­schei­nen­den Na­men sind in­ der Re­gel die wirk­li­chen Na­men der Per­so­nen, die ich be­schrei­be. Jedenfalls deren Vornamen. So könnte die von mir beschriebene Ela vielleicht die Ela sein, die bei Dir um die Ecke wohnt, in dem schmucken Reihenhäuschen!? Na­men von Leu­ten, die durch de­ren Nen­nung auch jetzt noch -Jahre danach- Schwie­rig­kei­ten be­kom­men könn­ten, ha­be ich ver­än­dert. Es wird Dir nicht auffallen, Du kennst die Leute wahrscheinlich eh’ nicht. Das än­dert aber nichts an der Au­then­ti­zi­tät der Hand­lung.

    In vie­len Ab­schnit­ten be­schrei­be ich Stim­mun­gen.        Das sind die Stim­mun­gen, die ich wäh­rend des Schrei­bens hat­te. So kommt es, das man­che Stücke de­pres­siv und selbst­kri­tisch ge­schrie­ben sind, an­de­re wie­der op­ti­mi­stisch.

    Es ist meine Verarbeitung der Erlebnisse, die ich einfach nicht verarbeiten kann.

    Für je­den Men­schen ist sein in­di­vi­duel­les Schick­sal das be­deu­tend­ste.            

    Was man im Le­ben er­lebt oder wie man sich von Schick­sal be­ein­flus­sen lässt, hängt von je­dem selbst ab. Ins­ge­samt ge­se­hen ha­be ich be­stimmt nicht das schlech­te­ste Los ge­zo­gen.            

    Aber ich glau­be, dass ich Din­ge ge­se­hen und er­lebt ha­be, die nicht je­der er­lebt.          

    Wen die Halb­welt, das Halb­sei­de­ne in­ter­es­siert oder fas­zi­niert –oder gerade auch nicht!- , für den sol­len mei­ne nie­der­ge­schrie­be­nen Er­leb­nis­se in­for­ma­tiv sein, aber auch war­nend.

    Je­der muss für sich selbst her­aus­fin­den, wo sei­ne Gren­zen sind und was er sich zu­traut.

    Ich ha­be mir sehr viel zu­ge­traut und da­durch viel er­lebt.          

    Ich ha­be mir zu­viel zu­ge­traut und bin dar­an ge­schei­tert.           

    Ma­te­riell wie psy­chisch. Denn ich habe alles verloren.

    Aber ich ha­be ei­nes nicht ver­lo­ren.      

    Mein Ge­dächt­nis und al­le Er­in­ne­rungen.          

    Aber manch­mal ha­be ich Angst, mein Ge­dächt­nis zu ver­lie­ren. Ir­gend­wann muss die Spei­cher­plat­te doch mal voll sein, die äl­te­ste Spei­che­rung wird ge­löscht.       

    Tilt.

    De­tails wer­den ver­ges­sen oder falsch wie­der­ge­ge­ben.

    Da­vor ha­be ich Angst. Des­halb schrei­be ich al­les auf.

    Und weil es mich ent­la­stet.      

    Je­den Tag, an dem ich schrei­be, füh­le ich mich da­nach er­leich­tert. Je­den Tag ein Stück Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, Ver­ar­bei­tung von al­lem, was ich in fast sechs Jah­ren in­ Ham­burg, der - von vie­len so­ be­zeich­net - schön­sten Stadt Deutsch­lands, und in­ zwei Jah­ren des stän­di­gen, täglichen Dro­gen­kon­sums und des rei­chen Geld­se­gens ver­drängt ha­be.

    Ich glau­be an das Schick­sal, den vor­be­stimm­ten Weg.            

    Da­von las­se ich mich auch heu­te noch len­ken. Ich bin nicht religiös und glaube nicht an Gott oder eine ähnliche, übergeordnete Macht. 

    Das Schick­sal hat ge­wollt, das ich noch lebe.  

    Da­mit so etwas nicht wie­der ge­schieht, muss ich das Erlebte erst ein­mal be­wäl­ti­gen, ehe ich mir ei­ne neue Zu­kunft auf­bau­en kann.

    Ei­ne Zu­kunft aus dem Nichts, aus ein paar Hab­se­lig­kei­ten, die ei­nem einst rei­chen Mann, der so gern ein Großer sein woll­te auf dem Ham­bur­ger Kiez - dem schön­sten Fleck­chen Er­de, das ich bis­her ken­nen­ge­lernt ha­be -, ge­blie­ben sind.

    Kaiserschnitt-Kinder

    Ich wurde 1964 geboren, ein einer Stadt, die damals schon eine Großstadt war. Haufenweise wurden alle umliegenden Orte eingemeindet, dieser –meiner-

    Stadt angegliedert. Immer seltener sah man in dieser Zeit auch die Autokennzeichen KK, WES, GV, und MO. Alles wurde KR. Es war toll, in einer

    Großstadt zu leben, fand ich damals. Es musste wohl die größte Stadt der Welt sein, denn alle Ortschaften, in die ich damals in meinem zarten Alter kam,

    waren kleiner.

    Das wusste mein Vater immer zu berichten. Er wusste alles, wie das bei Vätern nun eben mal so ist. Er musste es auch schliesslich wissen, denn er war ja

    bei der Polizei! Leider kam er zum täglichen Mittagessen im Familienkreise nie mit einem Auto mit Blaulicht drauf, lange habe ich nicht verstanden, warum.

    Wenn man bei der Polizei ist, gibts doch auch ein Blaulicht.

    Mein Vater war bei der Kriminalpolizei.

    Als er starb, war ich vierzehn.

    Sein letzter Dienstgrad war Erster Polizeihauptkommissar, das war wohl nur ein paar Stufen unter dem Polizeipräsidenten. Ich weiß nicht viel über ihn.

    Er hatte gefehlt in der entscheidenden Phase, die für die Erwachsenwerdung eines Menschen so wichtig ist, in der Pubertät. Da war er schon tot.

    Ich wurde per Kaiserschnitt geboren.

    Ich weiß nicht, ob der danach folgende Verlauf meines Lebens wirklich hiermit zu tun hat? Die Meinungen gehen auseinander, was die Vor- und Nachteile

    des Kaiserschnitts anbetrifft. Einige Meinungen habe ich bei meiner Suche nach den Ursachen für mein Anderssein im Internet und in schlauen Büchern gefunden.

    Die Gegner des Kaiserschnitts warnen vor einem verpassten Geburtserlebnis, sowohl für die Mutter als auch für das Kind, vor einer geschmälerten

    Mutter-Kind-Bindung und vor Babys, die bereits durch die Geburt einen psychischen Knacks haben.

    Und den habe ich bestimmt, ob es nun am Kaiserschnitt liegt oder nicht.

    Ich analysiere gern alles und jeden, besonders mich. Und mindestens hundert Knackse habe ich schon bei mir feststellen können. Es heißt, Kaiserschnittkinder

    würden sich im weiteren Leben häufiger vor Entscheidungen drücken und seien weniger durchsetzungsfähig.

    Genau das trifft auf mich zu.

    Ich schiebe Entscheidungen so lange vor mir her, bis sie auf der anderen Seite der Weltscheibe endlich herunterfallen. Aber ich kann mich durchsetzen! Das

    klappt gut, wenn man sich eine Umgebung mit Menschen aussucht, die schwächer sind als man selbst, vielleicht auch nicht ganz so schlau, und gerne jünger.

    Leider kann man seine Umgebung nicht immer selbst gestalten. Dann klappt das mit dem Durchsetzen auf einmal auch nicht mehr.

    Manche Menschen, so habe ich herausgefunden, sind kategorisch gegen einen Kaiserschnitt. Er würde die Entwicklung eines Kindes behindern. Das Fehlen

    der natürlichen Geburtserfahrung könne die Mutter-Kind-Bindung schwächen. Beim Kaiserschnitt werden der Mutter prägende Glückserlebnisse nach dem

    schmerzhaften Geburtsvorgang vorenthalten.

    Obwohl dies auf meine Mutter nicht zutraf. Sie war bis in mein fortgeschrittenes Alter, ja bis zu ihrem Tode eigentlich, eine Glucke, im liebsten Sinne des Wortes.

    Kaiserschnittkinder stehen unter dem Verdacht, ängstlicher und unruhiger zu sein, weil sie nicht den struggle for life durchgemacht haben.

    Ich habe Angst vor allem. Besonders vor dem Leben und dessen unkalkulierbaren Risiken.

    Weiterhin sagt man, dass Kaiserschnittkinder auch oft Anpassungsstörungen haben, weil man sie einfach so ohne Vorwarnung (Wehen) aus ihrer sicheren

    Gebärmutterhöhle reißt. Und ich bin der unangepassteste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich versuche es auch gar nicht. Das zeigt sich zum Beispiel

    an der Tatsache, dass ich hier in Amsterdam seit beinahe sieben Jahren lebe, ohne auch nur einen Freund, guten Bekannten oder gar eine Freundin/Lebenspartnerin

    gefunden zu haben. Ich suche auch nicht danach. Weil ich mich dann anpassen müsste. Kompromisse schließen müsste. Und das will ich nicht. Kann ich auch nicht.

    Man sagt, Kaiserschnittgeborenen fehle die Massage durch den Geburtskanal, die zuständig ist für die Vermittlung von Gefühlen wie Anschmiegsamkeit,

    Liebesbedürftigkeit und dem Verlangen nach Zärtlichkeit.

    Stimmt. Fehlt mir alles.

    Ich suche Entschuldigungen dafür, warum ich so bin, wie ich bin. Oder Erklärungen. Oder beides. Ich bin nie schuld. Immer andere. Jetzt eben der Kaiserschnitt.

    Ich habe nie Ideale gehabt oder Idole.

    Die Sache mit den Boy- oder Girlie-Groups, die heutzutage als solche dienen können, war damals noch nicht erfunden. Was man gerade erst erfunden hatte, war

    der Kassettenrecorder. Völlig abgefahren, das Teil (ich glaube, so sprach man damals auch noch nicht…), aus schwarzem Kunststoff, abgesetzt mit braunem

    Holzimitat. Den Tragegriff konnte man aus dem Gerät herausziehen und ihn, wenn man es nicht tragen wollte, auch wieder hineinschieben. Nein, er spielte nicht

    automatisch beide Bandseiten ab, man musste die Kassette schon noch von Hand herumdrehen. Wenns eine Automatik hierfür schon gegeben haben sollte,

    dann wäre meiner Mutter das zu teuer gewesen.

    „Das braucht man doch nicht, die Cassette kannst du doch wohl eben noch selber rumdrehen, das ist doch ein schönes Gerät, da kannst du doch diese

    neumodische Musik drauf abspielen. Und das ist eine gute Marke, der war teuer!"

    Ich weiß nicht, ob sie es so gesagt hatte, aber das wäre zumindest ihre Art gewesen, so etwas zu sagen.

    Meine Mutter war immer sehr sparsam. Nicht geizig. Sparsam. Aber wenn sie etwas kaufte, dann musste das auch gut sein, lang halten.

    Ich wusste damals, als ich klein war, auch schon was ein Kilometer ist. Für Kinder gar nicht so einfach, eine solch weite Strecke einschätzen zu können.

    Ein Kilometer, dass ist so abstrakt! Mein Vater, der alles wusste, sagte einmal, es sei so weit wie vom Hauptbahnhof unserer Stadt bis zum Polizeipräsidium.

    Das war dort wo er arbeitete. Das konnte ich mir fortan merken und auf andere Längen anwenden, die es zu bemessen galt. Später einmal fand ich heraus, das

    der Ostwall in Wirklichkeit viel länger ist als ein Kilometer. Aber es stimmte halt so ungefähr.

    Eine auch ungefähr so lange Strasse ist die Reeperbahn.

    Ganz weit weg für mich damals und noch völlig unbekannt. Die Reeperbahn ist auch in einer Grossstadt. Aber in einer viel größeren und schöneren als Krefeld,

    der Stadt in der ich aufwuchs, die aber leider nie mein Leben prägte.

    Ich kannte mich toll aus in Krefeld. Es gab kaum keine Strasse, die ich nicht beim Namen kannte und wenige, von denen ich nicht wusste, über welche Strassen,

    deren Namen ich natürlich auch wusste, man dorthin gelangt. Ich habe mir das immer genau gemerkt, bei meinen vielen Fahrradtouren durch meine Heimatstadt.

    Ich bin meistens alleine rumgegurkt.

    Die anderen Kinder aus der gepflegten, gutbürgerlichen Siedlung, aus der ich stamme, waren damals noch zu klein, um mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren zu

    dürfen. Sie waren im schnitt 2 – 4 Jahre jünger als ich. Ich war früher immer mit Jüngeren zusammen. Vorteil: alles hört auf dein Kommando. Nachteil: lernen von

    den Grossen tuste hierbei nichts.

    Es war buchstäblich niemand da, an dem ich mich hätte orientieren können, selbst wenn ich damals schon erkannt hätte, das so was später vielleicht mal nützlich

    sein könnte.

    Mein Mutter war froh, dass sie nach dem Tod meines Vaters ihren Sohn nicht unkontrolliert verlor an Leute, von denen sie oft sagte: „Halt dich von denen mal

    lieber fern, das ist kein guter Umgang für dich, der Vater ist nur ein einfacher Arbeiter".

    So oder ähnlich hörte ich es oft und lange, noch als ich schon größer war, gerade bei den Leuten, die ich grad neu kennengelernt hatte und interessant fand.

    Familienleben und Jugend in den 70gern waren geprägt von Schubladen, Urteilen und Vorurteilen und von Äusserungen wie: „ Was sollen bloss die Nachbarn

    denken?!" Jedenfalls war das bei mir so.

    Von der „Sündigen Meile" hörte ich zum ersten mal, als ich mit meiner Mutter abends in trauter Zweisamkeit vor dem häuslichen Fernseher sass. Es kam irgendein Bericht, in dem in loser Reihenfolge Worte vorkamen wie Reeperbahn, St. Pauli, Hamburg. Ich wollte wissen was die Worte bedeuteten, die mir, in Kombination mit schummrig-roten Fernsehbildern von leicht bekleideten Frauen, die an Tischen mit Gläsern und Champangnerflaschen saßen, zum ersten Male begegneten. Die vorbeschriebenen Umstände jener Zeit liessen nicht zu, dass meine Mutter mir das genauer erklärte. Aber das Interesse war geweckt! Ich war damals so vierzehn oder fünfzehn.

    Kurz nachdem mein Vater gestorben war, sprach meine Mutter mit mir auf einmal über viele Dinge, über die sie früher nie mit mir geredet hätte. Weil ich da ja

    noch ein Kind war. Ich habe damals nie an häuslichen Problemdiskussionen teilgenommen, falls es die überhaupt gegeben hatte. Ich kann mich nicht daran

    erinnern. Aber nun meinte sie, dass ich jetzt alt genug dazu sei und obendrein der einzig verbliebene Mann im Haus. Sie übertrug mir ein bislang nicht gekanntes Verantwortungsgefühl durch diese neuerliche Offenheit von ihr. Ich war erwachsen!

    Es gab damals für Teenies (die so auch noch gar nicht hiessen!) noch keine nach Musikrichtungen sortierten Klamotten im Techno-, Hip-Hop- oder

    Gabba-Look. „Junge Heranwachsende", wie das damals hiess, trugen auch junge Mode. Das war das Oberhemd, wie es auch der Vater hatte, nur eine Nummer

    kleiner und mit anderem Muster. Die „Jeanshosen", wie ich die Jeans jetzt noch alt-gewohnter Weise nenne, kamen gerade richtig in Mode.

    Ich jedoch, beladen mit einer neuen, schweren Verantwortung, der des „Mannes-im-Hause", entschied mich damals: wenn erwachsen, dann richtig! Während

    meine Schulkameraden in lässigem Outfit mit T-Shirt-Aufschriften wie AC/DC (laut meinem damaligen Langenscheidt-Englisch-Lexikon waren sie also scheint’s

    Fans von Elektroinstallateuren), Uriah Heep oder einer Rolling-Stones-Zunge in den Klassenraum schlurften, kam ich eines Tages, neu eingekleidet, wesentlich

    seriöser daher! Ich trug eine hellbraune Cordhose, ein gemustertes Oberhemd und einen langen schwarzen Trenchcoat, so einen, wie Derrick damals immer anhatte.

    Ich war immer schon jähzornig.

    Vielleicht lag das ursächlich unter anderem daran, dass ich, je älter ich wurde, merkte, dass meine Mutter ständig versuchte, mich zu kontrollieren. Ich „entglitt" ihr,

    wie sie oft sagte. Ich nannte es „entwickeln" und so nenne ich es auch heute noch. Aus der liebevollen Glucke wurde eine Mutter, die alles und jedes an mir

    kontrollieren wollte.

    „Nein, mach das mal besser so und so, glaub mir, ich meine es nur gut mit dir...!" Sie spielte dann die Beleidigte, wenn ich es nicht so tat, wie von ihr

    geheissen. Sie spielte sie nur, denn in Wirklichkeit war sie sauer, weil sie ihr Ziel nicht erreicht hatte. In extremeren Fällen sprach sie dann nicht mehr mit mir, das

    konnte zum Teil Tage dauern.

    Irgendwann ersann sie dann eine „Belohnungs-Strategie".

    „Wenn du das und das von mir willst, musst du mir aber auch einen Gefallen tun – mach dies und das bitte nicht mehr, geh nicht mehr mit diesen oder jenen Leuten um, die sind nicht gut fur dich, warum triffst du dich denn nicht mehr mit deinen Freunden Dirk oder Holger, das sind doch nette Junges!"

    Ja, nette Jungs, aber auch kleine Jungs. Jungs, die alle auf ihre Mütter hörten, jünger als ich. Ich hatte andere Freunde gefunden, die waren zum Teil älter, reifer,

    oder einfach nie „liebe" Jungs gewesen.

    Meine Mutter versuchte immer Gründe zu finden, auf die sie meine „unerklärliche" Entwicklung schieben konnte. „Ich kann dich in letzter Zeit gar nicht mehr

    erreichen, du entfremdest dich so sehr von mir... sagte sie öfters, und mit „erreichen meinte sie nicht die telefonische Erreichbarkeit, denn Handys gab es damals noch nicht, „... du entgleitest mir ganz und gar!"

    Unser Verhältnis wurde immer gespannter und ich erinnere mich gut daran, dass meine Mutter immer noch einen oben drauf setzen konnte, mich regelrecht fertig

    machte, wenn sie merkte, dass sie mich endlich etwas in die Knie gezungen hatte. Ein verzweifelter Versuch, wieder Einfluss auf mich ausüben zu können.

    „Du warst so ein lieber Junge, als du klein warst! Ja, alle kleinen Jungen sind lieb, aber sie werden auch mal älter, Mutter, sehen nicht nur das in der Welt, was ihre Mütter zulassen sondern fangen eigenständig an zu sehen, mit eigenen Augen und eigenem Urteilsvermögen, dass meine Mutter mir immer absprach. Nach der Belohnungs-Strategie kam die „Enttäuscht-Strategie und Schuldzuweisungen, die sie eigentlich nie offen aussprach.

    „Ach, ich habe schlecht geschlafen heute nacht!"

    „Warum?"

    „Hach ja, ich muss so viel nachdenken."

    „Worüber denn?"

    „Ach so allgemein. Es ist ja alles nicht so einfach im Moment. Du machst es mir ja auch nicht gerade leicht! Du solltest schon mehr auf deine Mutter hören, ich

    meine es ja nur gut mit dir. Du machst mir viele Sorgen!"

    Meine Mutter musste zuletzt oft ins Krankenhaus, Krebs war früher nicht rechtzeitig zu erkennen, und so hatte meine Mutter Lymphdrüsenkrebs und Brustkrebs.

    „Die Ärzte sagen, das kommt auch oft durch viel Ärger und Aufregung."

    Ich weiss nicht ob es richtig ist, in einem Kind solche Schuldgefühle zu erwecken.

    In einem Fernsehbericht hörte ich einmal von einem Buch von Joseph Kirschner „Manipulieren – aber richtig". Ich glaube nicht, dass ich damals, im Alter von

    vierzehn oder fünfzehn Jahren schon wusste, dass meine Mutter mich fortwährend manipulierte oder zumndest wusste ich nicht, dass dieses Wort das richtige war

    um das, was sie mit mir tat, zu beschreiben. Jedenfalls kaufte ich mir dieses Buch schon Tage später.

    Meine Mutter fand das Buch in meinem Zimmer, als ich in der Schule war, las es auszugsweise und sie bezog es natürlich auf sich – ich wolle sie manipulieren und mir aus diesem Buch die Anleitung hierfür holen.

    Kauf dir das Buch einmal, es ist sehr interessant, aber es geht in keinem Falle darum, wie man seine manipulierende Mutter manipuliert.

    Ich konnte mir danach endlose Monologe anhören, was denn aus mir geworden sei, und warum ich so zu meiner eigenen Mutter wäre. Bis zu ihrem Tode konnte

    ich mir in –nach ihrer Ansicht hierzu geeigneten Situationen- anhören, wie schlecht dieses Buch für mich gewesen wäre und wie es mein – und damit auch ihr- Leben verändert hätte – zum Nachteil natürlich.

    Nun hatte sie die Quelle allen Übels gefunden – das Buch hatte einen immer bleibenden Keil zwischen uns getrieben. Dies hielt sie mir sogar auf dem Totenbett noch einmal vor.

    Ich erinnere mich an einen Tag, an dem sie mir mal wieder richtig zugesetzt hatte.

    Was ich mit dieser Aktion bezweckte, weiss ich heute nicht mehr so genau, auch nicht, was der Anlass für den Streit eigentlich gewesen war. Ich konnte nicht mehr.

    Immer gegen meine Mtter ankämpfen zu müssen, nichts, was ich tat war gut oder richtig, ständig diese unterschwelligen Bemerkungen, dieses „vom eigenen Sohn

    enttäuscht zu sein", diese gespielte (oder auch tatsächliche) Niedergeschlagenheit „...ach sich hab es ja so schwer mit dir, ich komme gar nicht mehr gegen sich an,

    du liebst deine Mutter nicht..." schürte den Hass und Jähzorn in mir.

    Als Paradebeispiel eines Traumsohnes wurde mir immer Hans-Jürjens (rheinischer Dialekt) , der Sohn einer befreundeten Nachbarin, vorgehalten. Nicht offiziell, nein, ganz subliem, ganz unterschwellig! Der war drei Jahre älter als ich, in meinen Augen und auch rückblickend auf die Zeit damals ein grosssprecherisches Mama-Söhnchen, das immer tat, was die Eltern sagten und vor allem was die Oma sagte. Was meiner Mutter nie auffiel war wohl, das hier Hans-Jürjens die ganze Familie manipulierte, besonders zuvor erwähnte Oma, die mit reichlich Geld ausgestattet war, dass sie dem lieben Hans-Jürjens in rauhen Mengen zukommen liess, so dass der sich alles kaufen konnte, was er wollte.

    „Siehst du, sagte meine Mutter oft, „der Hans-Jürjens hat so viele neue Sachen, der versteht sich gut mit seiner Familie und bekommt viele schöne Sachen.

    Ja, der ach so liebe Hans-Jürjens war auch drei Jahre älter als ich kleiner Rotzbengel und hatte schon begriffen, wie das mit dem manipulieren ging!

    An einem Tage, von dem ich nicht mehr weiss als die Erinnerung an diese Situaton, rannte ich wutschnaubend in den Keller, dorthin, wo das Werkzeug meines

    verstorbenen Vaters aufbewahrt war und holte eine Axt, wie meine Mutter später sagte, es war vielmehr ein Beil glaube ich, hervor, rannte mit diesem in der Hand die Treppe wieder herauf und stellte es demonstrativ in mein Zimmer vor mein Bett. Ich weiss nicht mehr ob es meine Mutter dort gesehen hatte oder bereits, als ich damit die Kellertrepe wieder herauf gekommen war. Sie musste sich wohl sehr daruber erschrocken haben.

    Nach dem Tod meiner Mutter habe ich noch oft an diese Situation gedacht und darüber nachgedacht, was ich damals mit dem Beil wollte. Heute wie früher schon

    weiss ich, dass ich sie damit nicht angreifen, geschweige denn töten wollte, auch wenn es sich für meine Mutter so dargestelt haben könnte. Heute erst weiss ich,

    dass ich damals nur diesen Menschen in ihr töten wollte, den ich so verabscheute, den Menschen, der mich zu seinem Ebenbild, einer Kopie seiner selbst machen

    wollte, und alles daran setzte, dies durchzusetzen, mit aller Macht und mit aller Kraft, die sie dafür nur aufbringen konnte. Mir kam es oft vor, als wenn es ihr Lebensinhalt war, mich so zu machen, wie sie mich wollte.

    Heute verstehe ich auch ein wenig, dass sie dies wahrscheinlich tat, weil sie einsam war. Weil ihr Mann gestorben war, der einzige Vertraute, Nahestehende, Freund, Kamerad, den sie hatte – ausser ihrem Sohn, dem sie diesen Platz nun zuweisen wollte.

    Aber ein Kind ist ein eigenständiger Mensch, oder zumindest entwickelt es sich zu so einem. Je mehr Macht man über ein Kind ausübt, desto mehr beschleunigt man den Vorgang, dass es sich von einem abwendet und in die völlig konträre Richtung entwickelt.

    Aber das hat meine Mutter damals wohl nicht gewusst.

    Ich schreibe ihr auch heute noch die Schuld daran zu, dass ich misstrauisch jedem gegenüber bin, den ich kennenlerne und der nett zu mir ist.

    Das ich bindungsunfähig bin.

    Dass ich Frauen, die sich um mich und meine Problemen kümmern wollen, wie damals zum Beispiel Silvie und später noch einige andere – Frauen, die also gut für

    mich gewesen wären- verstosse und mit Füssen trete.

    Die Sache mit dem Beil hatte damals kein besonders erwähnenswertes Ende.

    Irgendwann habe ich es wieder in den Keller an seinen Platz gebracht, wohl hat es ein paar Tage lang in meinem Zimmer gestanden, bis meine Wut verraucht war und ich wohl auch ein schlechtes Gewissen bekommen hatte.

    Meine Mutter hat lange Zeit nicht mit mir gesprochen, aber wir haben auch nie wieder über diese Situation gesprochen. Ich hätte auch nicht darüber sprechen wollen.Nicht aus Verlegenheit oder Scham oder Reue, sondern weil ich einfach nicht über Gefühlsausbrüche reden kann und will, schon gar nicht mit einer Mutter, die jede Aussage auch gegen mich verwenden könnte. Trotzdem kam die Sache mit dem Beil später noch ein einziges Mal auf den Tisch.

    Kleine Triumphe

    Irgendwann hatte ich mir zum Derrick-Outfit statt der doch recht liederlich aussehenden Bundeswehr-Kampftasche in natoolivgrün, die total angesagt war (ebenfalls mit markigen Sprüchen aus dem Edding-Stift verziert), einen geschäftleitungstauglichen Kunststoff-Aktenkoffer als Schultasche zugelegt.

    Nach der nächsten Pause lag derselbe –ausgekippt- unter meiner Schulbank!

    Schweine!

    Lasst mich in Ruhe.

    Ich bin so wie ich bin.

    Ich will auch gar nicht wie ihr sein.

    Als ich an dem selben Tag nach Hause kam, habe ich brav zu Mittag gegessen mit Mama, und danach wie ein geölter Blitz in den Bastelkeller, den mein Vater

    schon von meinem Opa und ich dann von meinem Vater übernommen hatte. Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule hatte der Koffer ein Schloss und –

    eine Alarmanlage!! Selbst gebaut!

    Die erste Stunde an diesem Morgen war Physik bei Frau Lohmann, einer kleinen, drahtigen und energischen Frau mt kurzen, rötlichen Haaren und

    Sommersprossen um die Nase. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, ich war in der kleinen Pause noch mit irgendeinem Schuldienst beschäftigt und

    kam dadurch etwas später in den Physikraum. Schon von weitem und durch die geschlossenen Türen hörte ich – die Alarmanlage des Koffers! Da hatte doch

    tatsächlich jemand versucht, ihn trotz meinem Schloss und der wichtigen Aufschrift „ALARMANLAGE!" zu öffnen! Das Gejaule dröhnte durch die stillen

    Schulflure. Mein Gang beschleunigte sich, ich rannte fast. Dann riß ich die Tür des Physiksaals auf, besorgt, ob der Koffer trotz alledem schon wieder

    ausgekippt worden sei, zugleich aber auch stolz über das Funktionieren der Alarmanlage! Gelächter der unbeteiligten Schulkameraden, rote Köpfe bei den

    Tätern, die mich in der Pause danach mal wieder in die Mangel nahmen, – aber: physikalische Anerkennung von Frau Lohmann, der Physiklehrerin! Ich musste

    den Koffer –und insbesondere die ausgetüftelte Alarminstallation- der Klasse und der erstaunten Lehrerin vorführen, von der ich den Eintrag „Zwei Plus" in den

    zeugnisrelevanten, roten Lehrerkalender bekam für diese technische Höchstleistung.

    Wie gesagt, die grosse Pause stand mir noch bevor….

    Ich wollte einfach schon immer von anderen in Ruhe gelassen werden! Ich liess andere ja auch in Ruhe! Auch wenn sie anders waren als ich!

    Und meistens stärker…

    Ich war als braver Junge aufgewachsen und immer vor allem Unheil behütet worden. Ich wollte auch jetzt als braver Junge meine Realschule machen, aber es

    war niemand da, der mich behütete. Ich beschloss, als Märtyrer zu sterben.

    Meine Außenseiter-Linie zog ich durch bis zum Ende der Schulzeit.

    Falsch - eigentlich bis heute!

    Ich bin damals gehänselt, verspottet und gedemütigt worden. Im Vergleich zu dem, was wohl heutzutage an Schulen vorgeht, war das damals –rückblickend

    gesehen- allerdings gar nichts.

    Ich – über mich

    Ich war schon im­mer der miss­ra­te­ne Sohn. Für Onkel und Tante, für die Nachbarn, und still und leise –ohne dass sie es je so ausdrückte- auch für meine Mutter.

    Sie hätte sich einen anderen Sohn gewünscht. Einen der so ist wie zum Beispiel Hans-Jürjens, wie man das in Krefeld am Niederrhein ausspricht, der Sohn einer

    befreundeten Nachbarin. Leider war gerade der für mich immer genau das, was aus mir nicht werden sollte. Ich war immer schon ein Opportunist, einer der immer das Gegenteil wollte, egal, worum es ging.

    Ich grü­ble viel und über­le­ge, wa­rum ich so ge­wor­den bin, wie ich bin. Von mei­nen El­tern ha­be ich das nicht. Mei­ne Mut­ter war ei­ne lie­be, ar­ti­ge Haus­frau und

    gu­te Mut­ter. Mein Va­ter ein hoher Po­li­zei­be­am­ter, ge­nau wie mein On­kel, mein Opa war in der Hei­mat, in Rü­gen­wal­de in­ Pom­mern, damals vor dem Krieg,

    ir­gend­wie im Stad­trat.                                                                 

    Da muss aus dem Jun­gen doch was or­dent­li­ches wer­den!

    Ich war so im Mit­tel-Al­ter, da­mals in un­se­rer Sied­lung. Mit den äl­te­ren Kin­dern woll­te ich nicht spie­len, weil ich mir nichts sa­gen las­sen woll­te. Die Gleich­al­tri­gen

    woll­ten nicht mit mir spie­len. Viel­leicht, weil ich Fußballspielen nicht lei­den konn­te. Es wa­ren auch nicht so sehr vie­le Gleich­al­tri­ge. Al­so spiel­te ich mit Jün­ge­ren.

    Da war ich der Äl­te­ste, konn­te den Ton an­ge­ben, wur­de im­mer um Hil­fe und Rat ge­fragt. Da­her rührt wahr­schein­lich mei­ne Men­ta­li­tät, al­lem auf den Grund

    ge­hen zu wol­len.                                                                            

    Viel­leicht hät­te ich lie­ber De­tek­tiv, Schnüff­ler, wer­den sol­len.                                                                   

    Denn wenn ich nicht blöd da ste­hen woll­te, vor den Jün­ge­ren, dann muss­te ich Ant­wor­ten ha­ben auf ih­re Fra­gen. Und so ha­be ich mich ei­gent­lich im­mer schon

    für al­les und je­des in­ter­es­siert. Was ich nicht wuss­te, ha­be ich mei­ne El­tern ge­fragt. Die wuss­ten al­les.                               

    El­tern wis­sen im­mer al­les. Sie sind ja auch schon groß.

    In der Pu­ber­tät ent­deck­te ich mei­ne tech­ni­schen Fer­tig­kei­ten und ei­ne große Lie­be zu Mo­tor­rä­dern. Mit reich­lich Fan­ta­sie von der Na­tur aus­ge­stat­tet, aber lei­der

    nicht mit ei­nem Mo­tor­rad, mach­te ich kurz­er­hand mei­ne Fahr­rä­der zu heißen Feu­er­stüh­len.                                               

    Ei­ne Wind­schutz-Schei­be von ei­nem Po­li­zei­mo­tor­rad, die mein Va­ter selig ir­gend­wann ein­mal mit­brach­te, muss­te dar­an, ein Ha­lo­gen-Fern­schein­wer­fer von

    un­se­rem al­ten Au­di 80, den ich im Kel­ler fand, Kunst­stoff-Pack­ta­schen, die ei­gent­lich Mo­fa-Zu­be­hör wa­ren und ähn­li­ches mehr, Haupt­sa­che auf­fäl­lig.

    Das ich geltungssüchtig bin, war mir damals noch nicht bewusst.

    Jedenfalls habe ich dadurch Schrauben

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