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New Dodge
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eBook416 Seiten5 Stunden

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Über dieses E-Book

Willkommen auf New Dodge, Reisende!
Was führt euch her? Illegale oder legale Geschäfte? Wobei, das interessiert eh niemanden. Ihr solltet wissen: Recht hat hier, wer als Erstes schießt. Oder wen die Syndikate riechen mögen.
Seid ihr etwa Kopfgeldjäger? Dann findet ihr sicher einen Job. Und zum Feierabend geht es in einen unserer zahlreichen Saloons. Dort finden einsame Herzen alles, wonach sie sich sehnen. Unsere Wüstenblumen sind die schönsten, aber auch die kratzigsten. Warnen muss ich jedoch vor den Pokertischen, denn hier ist jeder für sein Blatt selbst verantwortlich.
Dann mal los – hinein ins Abenteuer! Und keine Sorge, unser Bestatter hat eure Maße schon von mir bekommen. Und sagt nicht, man hätte euch nicht gewarnt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Apr. 2023
ISBN9783945230671
New Dodge

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    Buchvorschau

    New Dodge - Torsten Scheib

    Vorwort

    Eigentlich mag ich Vorworte.

    Ziemlich sogar.

    Bis man mich zwang, ein Vorwort für dieses Buch zu verfassen.

    Seitdem hat die Beziehung leichte Risse bekommen. Bisschen wie die Stelle in Marriage Story, als sich Kylo Ren und Black Widow zoffen. Mit der Ausnahme, dass Adam Driver die Wand tatsächlich einschlug und ich nicht in der Notaufnahme landete. Hatte wohl in dem Moment an Der Aufstieg Skywalkers denken müssen, der Gute. Wahrscheinlich hätte er in dem Moment sogar Stahl eingedellt.

    Ähm … wo waren wir stehen geblieben?

    Ach, ja. Vorwort. Für das Buch hier. Mitsamt einem schlüssigen Einstieg.

    Ich erwähnte bereits meine seit heute bestehende Antipathie gegenüber dem Schreiben von Vorworten?

    Schlüssiger Einstieg also.

    Okay.

    Was fällt mir so Schlüssiges ein?

    Melancholie.

    Jetzt bleiben Sie doch hier! Das ist kein Band mit gegenwartsliterarischen Essays voller Grübeleien, Verzweiflung und warum sich Katzen den Genitalbereich lecken können und wir nicht.

    Melancholie also.

    Schwermut.

    Den Blues haben.

    Blues? Nie von gehört? Wie in der Musikform Blues, den Cardiff Blues, dem staatlichen Messnetz für Luftschadstoffe in Bremen, den Blues bei Perry Rhodan, dem Bluescreen, den Blues Brothers, dem Blues Trio von den Angry Birds, dem italienischen Triebzug, dem Hendrix-Album …

    O! Der Verleger meint, ich solle Schluss machen, bevor das Vorwort auf 80.000 Zeichen anschwillt.

    Als ob ich so etwas je machen würde.

    Okay. Schwerm… HIERGEBLIEBEN!

    Schwermut also.

    Dieser Zustand im Zentrum jener schwerelosen Zone zwischen Sehnsucht, Tristesse und Freude. Orientierungslos umherirrend wie jene, denen einzig Erinnerungen verblieben sind. (Oder wie jemand, der ein Vorwort schreiben muss – IST JA GUT! NEIN, DU BIST KEIN VERLEGER, DU BIST EIN TYRANN!) Wie jener unumstößliche Fakt, dass man sich viel zu geschwind wieder mit der herbstlich-kühlen Realität auseinandersetzen muss. Egal, ob man es mag oder nicht. Beispielsweise nach einem einzigartigen Konzert. Dem lang verschobenen Treffen mit Freunden. Nach der überwältigenden Stimmung einer Convention. Dem Zuschlagen eines lieb gewonnenen Buches.

    Oder bei der Gewissheit, dass nach der finalen Folge einer ins Herz geschlossenen Serie nichts nachfolgen wird.[Fußnote 1]

    Okay, vielleicht noch ein Spielfilm.[Fußnote 2]

    Und ein paar Comics.[Fußnote 3]

    Und Romane.[Fußnote 4]

    Dies war im Grunde die Geburtsstunde dieser Anthologie. Denn da war (fast) nichts, was meinen Jieper auf Weltraum-Cowboys, Bösewichte mit blauen Handschuhen, lustige Strickmützen, Gewehre mit Frauennamen, Raumschiffe die wie Glühwürmchen ausschauten[Fußnote 5], tolle Dialoge, lieb gewonnene Charaktere und nahezu unendlicher Coolness stillen konnte. Und ihr wisst doch: Kommt der Berg nicht zum Propheten …

    Lange, ziemlich lange bin ich mit der Idee einer Space-Western-Anthologie schwanger gegangen. (Das ist eine Redewendung, Herrgott!) Und es waren Tanja Kummer und ihr Göttergatte – das muss ich so schreiben, er zwingt mich dazu – Marc Hamacher, die quasi die Geburtshelfer spielten. (Okay, an den Metaphern arbeiten wir noch.) Mehr noch. Von mir kam ja im Grunde nur die Idee – das Fundament. Aber ohne Marcs eigene Einfälle und Konzepte wäre dieses Buch höchstwahrscheinlich immer noch nur ein Traum. Teufel, die beiden besuchten mich sogar in meiner Heimatstadt und wer Ludwigshafen kennt, der weiß, wie mutig man dafür sein muss.

    Jedenfalls: Da wären wir. Was es geworden ist? Junge oder Mädchen? Aus tiefster Überzeugung kann ich darauf antworten: Großartig.

    Jede einzelne Geschichte hat mich umgehauen. Wofür ich sämtlichen Beteiligten unendlich dankbar bin. Denn was Sie hier in Händen halten, ist nicht bloß eine Sammlung von Weltraumwestern, sondern der Beweis, wie einfallsreich, aufregend, originell, ja außergewöhnlich die hiesige Fantastikszene ist. Sie werden lachen, staunen, sich wundern, traurig sein, mitfiebern …

    Und mit einem Anflug von Melancholie dieses Buch nach Beendigung zuklappen. Davon bin ich mehr als überzeugt.

    Viel Vergnügen wünscht,

    Torsten Scheib

    Limburgerhof, im Januar 2023

    New Dodge

    Aus der Galaktipedia, der größten unabhängigen, ungeprüften und tendenziösen Datenbank des Universums:

    Wortart: Eigenname

    Synonyme: Drecksloch, Weltraumkartoffel

    Aussprache: Nju Dottsch

    New Dodge ist ein unbedeutender, wenn auch famos großer Asteroid im interstellaren Leerraum. Rau, zerklüftet – ein riesiges, unförmiges Nugget aus verklumptem Katzenstreu.

    Geschichte:

    Von ihren ursprünglichen Erbauern als paradiesische Urlaubswelt konzipiert, verfügt das Habitat über eine Kunstsonne, Schwerkraftregulierung und Klimasteuerung. Und früher über farbenfrohe Parkanlagen, üppige Wälder, Seen und Flüsse. Die Luft war sauber und die Cocktails erschwinglich. Auf der anderen Seite des Asteroiden entstand ein topmoderner Raumhafen, der viel Platz für die Raumschiffe der Erholungsbedürftigen bot. Und mit bequemen und schnellen Aufzügen kamen die Urlauber vom Raumhafen ins Paradies.

    Doch dann erschienen die Menschen[Fußnote 6] auf der Bildfläche, beziehungsweise auf dem Asteroiden.

    Als die Terraner[Fußnote 7] auf dem Asteroiden ankamen, bewunderten sie seine Wildheit und Schönheit und staunten über seine technische Genialität. In guter alter Tradition erklärten sie ihn zu ihrem Eigentum. Dass es dort noch anderes intelligentes Leben gab, stellte dabei das geringste Problem dar: Die Urlauber wurden kurzerhand vor die Tür gesetzt, die friedfertigen Erbauer des Paradieses zusammengetrieben und umgesiedelt.

    Die Menschen lernten den rudimentären Umgang mit der sagenhaft überlegenen Technik ihrer Vorgänger, aber sie verstanden nie wirklich, was sie da taten. Sie erhöhten irreversibel die Leistung der Kunstsonne, rodeten die Wälder, bedienten sich hemmungslos aus den Frischwasserkavernen und erlegten jedes Tier, das ihnen vor die Flinte lief. In kürzester Zeit ruinierten sie das ausgefeilte Ökosystem und verwandelten das fruchtbare Habitat in eine ausgetrocknete Steppe, in der es tagsüber ekelerregend heiß und nachts ungemütlich kalt wurde.

    Bis die galaktische Zentralverwaltung mitbekam, welches Drama sich hier abspielte, war alles schon zu spät. Der Asteroid wurde seinem Schicksal überlassen. Auch die meisten Terraner verließen ihn wieder, nachdem es dort nichts mehr zu holen gab außer Staub und Sonnenbrand. Wer blieb, gehörte zum härtesten und verschlagensten Abschaum der Galaxis. Meist Menschen, aber auch hart gesottene Angehörige anderer Völker.

    Wirtschaft:

    Clans und Syndikate rissen die Macht an sich. Der dreckige, heruntergekommene Felsen wurde zu einem Treffpunkt von Outlaws. Verbrechen, Glücksspiel und vor allem der illegale Handel florierte. Hier gibt es inzwischen alles. Wirklich alles!

    Judikative:

    Recht hat, wer zuerst den Abzug drückt oder das meiste Schmiermittel locker machen kann.

    Persönlichkeiten/Kultur:

    Zu den schillerndsten Persönlichkeiten der terranischen Zeitrechnung gehörte der geniale Superschurke Mad Shyb, der von uralten Filmen, darunter sogenannte Western, besessen war. Unter seiner Federführung wurde der Asteroid in eine Kulisse umgestaltet, die einem besonders öden und deprimierenden Teil seines Heimatplaneten nachempfunden war, welchen seine Vorfahren den Wilden Westen nannten. Um die Illusion perfekt zu machen, führte er sogar Tiere und Pflanzen von Terra ein: Klapperschlangen, Kojoten, Mustangs, Kakteen und Präriegras. Es gab aber nur eine weiße Katze, die behielt er für sich.

    New Dodge City:

    Eine Stadt entstand, welche zunächst überwiegend aus Holzhäusern und unbefestigten Straßen bestand. Seine Saloons und Casinos lockten die Besucher in Scharen an, und eine rekordverdächtig hohe Anzahl an Sheriffs versuchte, zumindest für einen Anschein von Recht und Gesetz zu sorgen.

    Die kürzeste Amtszeit beträgt derzeit 15 Sekunden.

    Auszeichnungen:

    Keine.

    Wissenswertes:

    Kein Ort in der Galaxis ist wie New Dodge. Hier ist alles anders, und niemand weiß, was hinter dem nächsten Felsen, der nächsten Farm oder einem herumrollenden Tumbleweed lauert.

    Aus der Galaktipedia:

    Thomas Heidemann

    Berüchtigter Terraner von zweifelhafter Zurechnungsfähigkeit. Treibt sich auf seinem verlotterten Heimatpaneten die meiste Zeit in der Nähe eines weitgehend unbekannten Provinzkaffs namens Göttingen herum. Er lebt von den hoffnungslosen Versuchen, in den matschigen Freilufthabitaten seiner Artgenossen Pflanzen wachsen zu lassen. Daneben stößt er als Trapper wagemutig in die heimische Wildnis vor, wo er aus unerfindlichen Gründen jeden Stein umdreht und jedes Blümchen fotografiert.

    Sollte er nicht auf der Erde anzutreffen sein, hat er sich wieder einmal in irgendeine unwahrscheinliche Parallelwelt versetzt, um die Verhaltensstörungen derer Bewohner samt den daraus resultierenden Konflikten und Peinlichkeiten zu dokumentieren. Seine Aufzeichnungen jubelt er Verlagen als Schöpfungen der eigenen Fantasie unter, was erstaunlicherweise zehn Jahre lang niemand durchschaut hat. Ein Ergebnis dieser frechen Täuschungen sind die sogenannten FEUERSTURM-Chroniken, für die er jahrelang das Raumschiff FE ERSTUR verfolgt und dessen Datenbanken angezapft hat.

    Für seine Ergreifung hat die zentralgalaktische Verlegergewerkschaft ein saftiges Kopfgeld ausgesetzt. Aber Vorsicht: Heidemann ist mit drei neurotischen Katern bewaffnet und versetzt sich regelmäßig mit einem doppelten Cappuccino in kreative Raserei.

    High Noon am Outlook Rock

    Salty Virginia, fünf Jahre zuvor.

    »Ich habe Zweifel.«

    Der Pilot zuckte zusammen, als die monotone und geschlechtslose Stimme aus den Kopfhörern seines Helms drang. »Wer sind Sie? Wie haben Sie meine Frequenz gekapert?«

    »Ich bin, was ihr Menschen die Bluebox nennt. Ich bin deine Fracht.«

    Der Pilot fing sich rasch wieder. Er hatte in diesem Krieg schon genug erlebt, um gegen die meisten Schrecken abgestumpft zu sein. Er war ein Veteran, längst in den Rang eines Colonels aufgestiegen. In seinem Alter hätte er keinen Risikoeinsatz fliegen müssen. Er tat es, weil er glaubte, dass es keinen Besseren für diesen Job gab. Seine Mission bestand darin, mit einem Ghostjet, einem für den Radar unsichtbaren Spionageflugzeug, das Hauptquartier der Konföderierten in einer Höhe von maximal 266 Metern zu überfliegen und unentdeckt wieder zu verschwinden. Die eigentliche Arbeit – den Hauptrechner der Admiralität infiltrieren und die planetare Verteidigung von Salty Virginia kollabieren lassen – sollte die Bluebox erledigen. Diese war in einer provisorischen Halterung über den Armaturen angebracht – ein tiefblauer flacher Kasten mit abgerundeten Ecken, ungefähr so groß wie zwei Flachmänner.

    Gerüchteweise hatte niemand es geschafft, ihr Gehäuse zu öffnen oder auch nur zu durchleuchten. Es hieß, sie stelle ein Artfakt einer untergegangenen, hochtechnisierten Zivilisation dar, und dass die talentiertesten Robotiker der Union mit ihr kommuniziert und sie zur Kollaboration bewogen hätten.

    »Wie kann eine Maschine Zweifel haben?«, fragte der Pilot. Dabei blickte er auf die Anzeigen. Noch zweieinhalb Minuten bis zum Zielgebiet. Unter dem Jet wechselten in rascher Folge felsige Hügelketten, Salzseen, karge Felder, Industriegebiete und Kleinstädte. In der Ferne flimmerte die Skyline einer Großstadt in der heißen Luft.

    »Ich habe die Kommunikation und den Datenpool der Konföderierten analysiert«, sagte die Box. »Sie sind keine Monster, wie die militärische Führung der Union es dargestellt hat, sondern lediglich eine Fraktion mit abweichender politischer Auffassung. Ich habe meine Kooperation auf der Basis fehlerhafter Informationen zugesagt.«

    »Die Union hat das Recht, gegen Separatisten vorzugehen!« Der Colonel spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Wir stehen auf der richtigen Seite.«

    »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es keine richtige Seite gibt. Um ein unauflösbares Dilemma zu vermeiden, sehe ich mich gezwungen, Konsequenzen zu ziehen.«

    Die Cockpitanzeigen meldeten ein ausgehendes Funksignal auf allen von den Konföderierten genutzten Frequenzen.

    »Was tust du?«, schrie der Colonel.

    »Ich habe uns angemeldet.« Die Antenne des Ghostjets pulste das Signal im Zehntelsekundentakt in den Äther. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, da keine menschliche Hand die Funktaste gedrückt hielt.

    »Sie werden uns abschießen!«

    »Ja. Es ist besser, ich nehme mich in diesem Konflikt aus der Gleichung.«

    »Dann werde ich auch sterben!«

    »Das ist einkalkuliert.«

    »Es muss eine bessere Lösung geben.«

    »Ich bin grundsätzlich aufgeschlossen, Mensch. Sprich!«

    Die Gedanken des Colonels rasten. Wie sollte er die abtrünnige KI davon überzeugen, dass die Unionisten die Guten waren? Ein unerfreulicher Gedanke schlich sich in seine Überlegungen: Was, wenn sie recht hatte?

    Auf dem Monitor erschienen drei rot blinkende Dreiecke. Abfangraketen! Die Systeme meldeten dreißig Sekunden bis zum Kontakt, falls er den Kurs beibehielt.

    Neunundzwanzig.

    Achtundzwanzig.

    Als das Tracking-Signal des Colonels erlosch, ging ein kollektives, entsetztes Aufstöhnen durch die Zentrale des Flaggschiffs der Union. Der Ghostjet war zerstört worden.

    Major Liv Ancliff, die diensthabende Ortungsoffizierin, schlug die Hände vors Gesicht. Nicht, weil der Einsatz missglückt war und ein Angriff auf Salty Virginia unter diesen Umständen sinnlos war. Sondern weil sie einen Freund verloren hatte. Colonel Bron Charleston, unter dem sie bereits als Infanteristin gedient hatte, war im feindlichen Feuer atomisiert worden.

    Und mit ihm die Bluebox.

    New Dodge, vier Jahre zuvor.

    »Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Es gibt einige Gründe, warum die alte Farm auf dem Outlook Rock seit Jahrzehnten verfällt. Das Felsplateau hat den Ruf, bei der nächstbesten Erschütterung des Asteroiden abzubrechen und selbst zu einem Asteroiden zu werden. Der Boden ist so verdammt unfruchtbar, dass Sie für jedes einzelne Saatkorn einen eigenen Agribot bräuchten, der es 24 Stunden am Tag umhegt und bemuttert. Und natürlich kommt alle paar Wochen das Gerücht auf, es würde hier spuken. Nicht mal als Touristenattraktion taugt der Ort – er liegt viel zu weit von New Dodge City entfernt. Direkt am Rand des Asteroiden. Oder, wie manche sagen: Er hängt mit dem Arsch halb im Weltraum.« Nachdem der Makler all dies mit hoffnungsloser Stimme vorgetragen hatte, zuckte er entschuldigend mit den Schultern. »Tja, Sie wollten es ja mit eigenen Augen sehen …« Er wandte sich wieder seinem Prallfeldgleiter zu, um der staubigen Tristesse zu entfliehen. So lief es nämlich immer: Spätestens an diesem Punkt verlangte jeder Interessent, noch einmal über die zuvor besichtigten, ungleich teureren Immobilien zu sprechen.

    »Wo kann ich unterschreiben?«

    Der Makler drehte sich zu seinem Klienten um, einem Granitquader von einem Mann, den er aufgrund des drahtigen grauen Haars und der Falten um die Augen auf weit über sechzig Lebensjahre schätzte. »Wie bitte?«

    »Die Farm ist perfekt. Ich kaufe sie.«

    In Windeseile holte der Makler die Verträge aus dem Gleiter, bevor der Klient seinen offensichtlichen Irrtum erkannte oder, was er für wahrscheinlicher hielt, die Wirkung der Medikamente nachließ, die offensichtlich seine Wahrnehmung trübten. Kaum hatte er den Kaufvertrag unterschrieben, gab der frischgebackene Besitzer des Outlook Rock seinem eigenen Gleiter einen Wink. Das Gefährt reagierte, indem es eine Rampe ausfuhr. Ein Roboter rumpelte auf Raupenketten aus dem Frachtraum ins Freie.

    Der Makler hob eine Braue. Die klobige Maschine, an deren Rumpf vier Werkzeugarme befestigt waren, blieb einen halben Meter vor ihm stehen. Ihr Kopf erinnerte ihn an eine verschmitzt lächelnde Gottesanbeterin. Nur dass darauf anstelle zweier Fühler eine einzelne Antenne vor und zurück federte, störte dieses Bild ein wenig.

    »Ich grüße Sie, Mensch«, sagte der Roboter mit angenehm modulierter Männerstimme.

    »Ein sprechender Agribot?«

    »Sonst habe ich ja niemanden zum Reden«, sagte der alte Mann. »Dredg ist eher ein Universal-Roboter. Sein Vorbesitzer hat ihn nach und nach aufgerüstet.«

    »Farmer, Goldsucher, Hausmeister, Wachhund und Schachpartner«, sagte Dredg, während er eine Sonde in den Boden bohrte. »Ach herrje. Nun ja, für Tumbleweed wird es reichen.«

    »Er hat einen Scherz gemacht, oder?«, fragte der Makler, an seinen Klienten gewandt. »Sie wollen nicht wirklich Tumbleweed anbauen.«

    Der Käufer zuckte mit den Schultern. »Scheint mir eine vielversprechende Marktlücke zu sein.«

    Der Ausdruck völliger Humorlosigkeit im Gesicht seines Gegenübers ließ den Makler unwillkürlich einen Schritt zurücktreten. »Tja, wenn ich noch was für Sie tun kann …«

    »Nur eines.« Die dunklen Augen unter den buschigen Brauen des Alten verengten sich zu Schlitzen. »Falls jemand sich nach mir erkundigt: Sie haben mich nie gesehen.«

    New Dodge, heute.

    Eine Reiterin näherte sich dem Outlook Rock.

    Ein langer schwarzer Ledermantel verschleierte ihre Proportionen, doch selbst im Sitzen verriet ihre Haltung Selbstvertrauen und einen trainierten Körper. Vor dem Stacheldrahtzaun zügelte sie ihren klapperdürren schwarzen Gaul und lehnte sich vor, um ein handbeschriebenes Holzschild zu betrachten:

    ACHTUNG!!!

    Bissiges Tumbleweed!

    Draußen bleiben

    Sie lachte leise – das raue Lachen einer nicht mehr ganz jungen Frau – und legte den Kopf in den Nacken. Ein steiniger Pfad schlängelte sich den steilen Hang zum Plateau hinauf. Von dort näherte sich eine breitschultrige Gestalt mit geschultertem Gewehr.

    Die Frau wartete geduldig, den Blick auf den Boden gerichtet, wodurch die Krempe ihres Huts ihr Gesicht verdeckte. Ein trockenes Tumbleweed-Büschel rollte raschelnd hinter dem Zaun entlang, obwohl sich kein Lufthauch regte.

    Erst als sie wenige Schritte vor sich das Knirschen von Kieseln unter Stiefelsohlen hörte, hob sie das Kinn.

    »Na, wenn das mal nicht Colonel Charleston ist.«

    »Na, wenn das mal nicht Major Liv Ancliff ist.«

    »Ich bin keine Majorin mehr.«

    »Und ich kein Colonel. Aber das weißt du ja.«

    Sie musterten einander stumm für einige zähe Sekunden. Schließlich hakte Bron den Draht aus, und Liv glitt aus dem Sattel und führte ihr Pferd am Zügel durch die Öffnung.

    »Hast dich gut gehalten, Mädchen.«

    »Siehst immer noch aus, als würdest du jeden Tag ein Klafter Holz spalten. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass du tot bist.«

    Der Alte brummte etwas Unverständliches in den grauen Schnauzbart, der seine Oberlippe verdeckte, dann nickte er in Richtung der Ranch. »Ich hab Whiskey da.«

    Bron schritt vor Liv den Weg hinauf. Das Gewehr ruhte mit dem Lauf auf seiner Schulter, und Liv überlegte, ob sie die Sache nicht hier und jetzt durch einen sauberen, wenn auch unfairen Schuss in seinen Rücken beenden sollte. Aber dann müsste sie auf der Farm jeden Stein umdrehen, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Und außerdem war Bron …

    … ein verdammter Verräter! Reiß dich zusammen, Liv!

    Sie erreichten das Plateau und das darauf gelegene Farmhaus, ohne ein weiteres Wort gewechselt zu haben. Liv band ihr Pferd an einem Pfosten der Veranda fest und blickte sich um. Neben dem Gebäude stand ein Gleiter, der aussah, als würde er sich nie wieder vom Boden erheben. Ein Wassertank, ein zum Geräteschuppen umgewidmeter Frachtcontainer und ein Gewächshaus vervollständigten das trostlose Ensemble.

    In einiger Entfernung trieb ein Agribot einen Bohrer ins Gestein, versenkte einen stachligen Setzling in dem Loch und besprenkelte ihn aus einem Tank auf seinem Fahrgestell.

    Das Ergebnis dieser verzweifelt anmutenden Bemühungen waren offenbar die kniehohen Büsche, die sich in verschiedenen Stadien des Dürretods in den Boden krallten. In einer Gitterbox neben dem Container lagerten sogar einige zu Stroh verdorrte Exemplare, als hätte Bron vor, sie demnächst in New Dodge City feilzubieten.

    »Was soll das mit dem Tumbleweed, Col… Bron?«

    Der Alte drehte sich zu ihr um und zwinkerte. »Dachte, ich sattle auf Gärtner um.«

    »Hier? Bist du irre?«

    »Es muss auch irre Gärtner geben. Im Übrigen findet unsere Ernte reißenden Absatz. Du glaubst gar nicht, wie viel von dem Kraut wir schon verkauft haben.«

    »Wir?«

    »Ich und Dredg – mein Agribot. Es war übrigens seine Idee, Mikrogebläse einzubauen, damit sie von selbst rollen.«

    Liv schüttelte ungläubig den Kopf. »Völlig irre, ich sag’s ja.«

    Das Haus roch alt und staubig. Die Möbel schienen von den Vorbesitzern zurückgelassen worden zu sein. Bron wies auf einen Tisch, an dem zwei Stühle standen. Eine Flasche und zwei Tumbler-Gläser standen dort bereit.

    »Hast du mich erwartet?«

    »Man sieht ziemlich weit von hier oben.« Bron deutete auf ein Fenster, das eine grandiose Aussicht auf die Ebene unterhalb des Outlook Rocks gewährte. Durch das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite sah Liv das Flackern des Energieschirms, der diese Seite des Asteroiden überspannte.

    Sie setzte sich, die Linke auf der rauen Tischplatte, die Rechte auf dem Oberschenkel, nahe beim Holster. Der Alte legte das Gewehr auf den Tisch und setzte sich ebenfalls. Sie beäugten einander wie zwei Kojoten, die um einen Kadaver schlichen.

    Bron füllt die Gläser und schob eines auf ihre Seite. »Auf die gute alte Zeit?«

    »Wenn sie denn gut war.«

    Sie hoben die Gläser und tranken. Liv leerte ihren Whiskey in einem Zug, während Bron ihn genießerisch im Mund kreisen ließ. Ein Tumbleweed rollte durch die offene Tür herein und verfing sich am Holzstapel neben dem Kamin.

    »Wie hältst du das hier aus, Bron?«

    »Besser als weiter gegen die Konföderierten zu kämpfen.«

    »Dieser verdammte Hinterweltler-Abschaum.«

    »Verdammter Abschaum, du sagst es.«

    »Dabei hätte der Krieg vor fünf Jahren vorbei sein können.« Livs Stimme hatte beim letzten Satz einen lauernden Unterton angenommen.

    »Oder vor zehn. Oder vor fünfzehn.« Der ehemalige General zuckte mit den Schultern. »Wie oft hat eine Seite schon geglaubt, die überragende Strategie, das entscheidende Bündnis, die ultimative Waffe gefunden zu haben?«

    »Wo wir von der ultimativen Waffe sprechen …« Liv beugte sich leicht vor. »Was für ein Jammer, dass damals auf Salty Virginia die Bluebox zerstört wurde. Und wir unseren besten Colonel verloren haben.«

    »Irgendwann lässt jeden das Glück im Stich.«

    »Dich anscheinend nicht. Du hast überlebt.«

    Bron nickte bedächtig. »Wie hast du mich gefunden?«

    »Ich habe mich immer gefragt, wie die Kons es geschafft haben, deinen Ghostjet zu orten.«

    »Und zu welchem Schluss bist du gekommen?«

    »Entweder die Bluebox wollte es so. Oder du.«

    »Wenn du es sagst.« Bron schenkte ihr Whiskey nach.

    »Naheliegender Gedanke, dass ihr unter einer Decke gesteckt habt. Einen Colonel Charleston schießt man nicht so einfach aus dem Himmel.« Sie nahm das Glas und trank. »Seitdem habe ich dich gesucht. Auf allen Welten und Stationen, die es mit den Einreiseformalitäten nicht so genau nehmen. Tja, und hier traf ich diesen Makler, dessen Erinnerung beim Anblick eines Stapels Credits schlagartig aufgefrischt wurde.«

    »Was willst du, Liv? Mich der Union ausliefern?«

    »Ich will die Bluebox.«

    »Ich hätte mir denken können, dass du nicht aus nostalgischen Gründen hier bist.«

    Brons Hände bewegten sich so schnell, dass Liv seine Rechte gleichzeitig am Whiskeyglas und am Kolben des Gewehrs sah; der Zeigefinger fuhr in den Abzugsbügel, bevor das Glas auf dem Holz zerschellte. Liv ließ ihr Knie von unten gegen die Tischplatte krachen und hob sie weit genug an, um den Lauf des Gewehrs zur Seite abzulenken. Im Aufspringen zog sie den Revolver, entsicherte und richtete ihn auf Bron, der ihre Bewegungen in derselben fließenden Eleganz nachvollzog, als wäre er ihr Spiegelbild. Beide Läufe bildeten eine Linie, entlang derer sie einander anblickten.

    Liv knirschte mit den Zähnen. »Du hast nichts verlernt, Alter.«

    »Aber du scheinst etwas Sand in die Gelenke bekommen zu haben«, erwiderte Bron unbekümmert.

    Das Rumpeln eines Kettenantriebs und das Knarren von Bodendielen zwang die beiden, den Blick voneinander zu lösen. Die Silhouette von Brons Agribot füllte den Türrahmen des Eingangs aus. »Ach herrje«, sagte der Roboter.

    Liv brauchte einen Moment, um das surreale Gefühl zu unterdrücken, bei etwas Verbotenem ertappt worden zu sein. Das ist ein gottverdammter Roboter, schalt sie sich. Aber ein Roboter, der mit einem Bergbau-Desintegrator auf sie zielte. Bei drei Meter Abstand würde die Streuung auch Bron die Haut von den Knochen rieseln lassen. »Sag mal, gelten für deinen rostigen Freund keine Robotergesetze?«

    »Dredg hat ein Eigenbewusstsein. Für ihn gelten die Gesetze von New Dodge City.« Bron ließ das Gewehr sinken. »Alles in Ordnung, Dredg. Liv und ich kennen uns schon ewig. Wir machen nur Spaß.«

    Liv atmete tief durch, steckte den Revolver ins Holster zurück und zeigte Dredg die leeren Handflächen. »Siehst du? Wir sind Freunde.«

    Der Roboter senkte zögernd den Arm, der das mörderische Gerät hielt. Sein wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck geformter Kopf drehte sich von Liv zu Bron und wieder zurück, wobei die Antenne leicht zitterte. »Ein Freundschaftsnachweis ist erforderlich.«

    »Freunde geben sich die Hände«, schlug Liv vor.

    »So ist es«, bestätigte Bron und hielt ihr die Rechte hin. »Warum haben wir das nicht gleich getan?«

    »Weil du ein misstrauischer alter Sack bist.« Sie ergriff seine Hand, lächelte ihm ins Gesicht – und brachte ein weiteres Mal ihr Knie zum Einsatz. Bron krümmte sich stöhnend zusammen und ließ das Gewehr fallen. Liv beförderte es mit einem Tritt außer Reichweite, dann drehte sie ihrem ehemaligen Kampfgefährten den Arm auf den Rücken und presste ihm dem Revolver gegen die Schläfe. »Zu Recht, möchte ich anmerken. Sag deinem Roboter, er soll sich zurückhalten.«

    Bron stöhnte unterdrückt. »Dredg, du hast die Dame gehört. Mach, was sie sagt.«

    »Nur unter Protest.«

    »Sehr vernünftig, Dredg«, sagte Liv mit ihrer Gute-Laune-Stimme. »Und jetzt möchte ich eine Vermutung überprüfen. Mein guter Freund hier hat etwas versteckt, was ihm nicht gehört. Und du hast einen Desintegrator, perfekt, um schöne tiefe Löcher in den Fels zu fräsen. Ich denke, wir könnten draußen auf dem Plateau was Interessantes finden.« Sie gab dem Roboter einen Wink Richtung Tür.

    Dredg drehte seinen Rumpf um 180 Grad und rollte über eine Rampe von der Veranda herunter. Bron folgte ihm nach einem aufmunternden Schlag mit dem Revolver gegen seinen Schädel.

    »Vorwärts!«, befahl Liv, als Dredg langsamer wurde. »Führ mich zum Versteck!«

    »Diese Aufforderung ergibt keinen Sinn«, klagte der Agribot, während er in Schrittgeschwindigkeit über den felsigen Boden rollte. »Ich benötige weitere Parameter.«

    »Die kannst du haben: ein tiefblauer Quader, so groß wie drei aufeinandergelegte Scheiben Schwarzbrot, aus einem unbekannten Material außerirdischer Herkunft. Keine Anschlüsse, keine Möglichkeit, das Gehäuse zu öffnen. Enthält eine hoch entwickelte künstliche Intelligenz, die zu jeder Art Rechner eine drahtlose Schnittstelle herstellen und diesen korrumpieren kann.«

    Dredg wandte ihr sein insektoides Gesicht zu, wodurch er plötzlich rückwärts zu rollen schien. »Und du vermutest, dass dieses Artefakt sich hier befindet?«

    »Ich weiß es«, sagte Liv.

    »Ach herrje.« Die grauen Kameralinsen des Roboters trübten sich für einen Moment ein und begannen, in einem unheilvollen Rot zu glimmen. Liv blinzelte verwirrt.

    »Ich übernehme keine Verantwortung für meine folgenden Handlungen.« Etwas Kaltes, Fremdes hatte sich in die Stimme des Roboters geschlichen.

    »Welche folg…?«

    Hätte Bron sie nicht zu Seite gestoßen und wäre in die entgegengesetzte Richtung abgetaucht, wären beide im Strahl des Desintegrators bis zu den Hüften pulverisiert worden.

    »Verdammt!« Liv verwandelte ihr Torkeln in einen Sprint, der sie in Richtung des Wassertanks führte. Ein Blick über die Schulter: Dredg rumpelte hinter ihr her und zielte dabei auf sie. Auf seinem Raupenantrieb war er langsamer als ein rennender Mensch, ein Umstand, der Liv das Leben rettete. Sie spürte ein Kribbeln im Nacken. Der Desintegratorstrahl hatte sie erfasst, war aber auf die Entfernung zu schwach, um mehr Schaden anzurichten, als ihre Haarspitzen spröde zu machen. Sie ging hinter dem Tank in Deckung, hielt den Revolver ruhig mit beiden Händen und wartete darauf, ihren Verfolger ins Visier zu nehmen.

    Dredg ließ sich nicht blicken. Dafür hörte sie hinter sich ein Rascheln. Sie fuhr herum.

    Ein Tumbleweed rollte auf sie zu. Ein zweites näherte sich von der Plantage, ein drittes aus dem Gerätecontainer.

    »Was soll das werden?«

    Das erste Büschel explodierte zwei Meter vor Liv. Die Druckwelle schleuderte sie gegen den Tank. Den anschließenden Aufprall im Staub spürte sie kaum. In ihren Ohren summte es. Weil ihre Augen noch nicht begriffen hatten, dass sie auf der Seite lag, erschien der Boden um neunzig Grad gekippt. Ebenso wie der Agribot, der mit rot glühenden Augen und auf sie gerichtetem Desintegrator auf sie zu rollte.

    »Ich versichere«, sagte Dredg, »dass ich es keinesfalls gutheiße, dieses Werkzeug missbräuchlich gegen Menschen einzusetzen.«

    Was ihn nicht davon abhielt, genau das zu tun.

    Der materiezersetzende Strahl strich nur deshalb knapp über Liv hinweg, weil

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