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Der Verzauberer (Projekt Stellar Buch 2): LitRPG-Serie
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eBook513 Seiten6 Stunden

Der Verzauberer (Projekt Stellar Buch 2): LitRPG-Serie

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Über dieses E-Book

Worum geht es in diesem Buch?Es geht um die uralten Mysterien der Erde, auf die es geheimnisvolle Wesen von jenseits des Randes abgesehen haben. Es geht um den Schwarzen Mond, der über der letzten verbliebenen Stadt steht, und um deren Legion, die einst von den Inkarnatoren gegründet wurde. Es geht um die Besessenen, die von der Macht der urtümlichen Dunkelheit verändert wurden. Es geht um die Krieger, Verzauberer und Technomanten, die sich vor langer Zeit erhoben haben, um die Menschheit vor dem uralten Bösen zu beschützen.Und es geht um einen Mann, der im Körper eines jungen Legionärstributs feststeckt und seine Reise durch die Welt fortsetzt, um das Geheimnis um seine Vergangenheit zu lüften und erneut herauszufinden, welche Aufgabe er zu erfüllen hat. Doch damit ihm das gelingen kann, muss er die Reise erst einmal überleben.
SpracheDeutsch
HerausgeberMagic Dome Books
Erscheinungsdatum30. Mai 2022
ISBN9788076193482
Der Verzauberer (Projekt Stellar Buch 2): LitRPG-Serie

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    Buchvorschau

    Der Verzauberer (Projekt Stellar Buch 2) - Roman Prokofiev

    Prolog

    AKTIVIERUNG Nr. …

    »HALLO … Engel.«

    Nach und nach lichtete sich der blutige Nebel vor meinen Augen und ich konnte die beiden menschlichen Gestalten vor mir ausmachen.

    Die eine war ein Mann, die andere eine Frau in einem verschlissenen dunkelblauen Umhang, eine Hand auf dem Hals eines riesigen Cyberwargs.

    »Wie ich sehe, kannst du mich hören«, sagte der Mann süffisant.

    Es fiel mir schwer, die Lippen zu bewegen. Ein Klumpen blutigen Speichels hatte sich in meinem Mund gebildet. Mein Körper schmerzte höllisch, und mein Herzschlag hallte in meinen Schläfen wider. Der vorherige Sturz vom Himmel hatte mir eine Menge abverlangt. Es ging mir offenbar nicht gut – meinen genauen Zustand würde ich erst herausfinden müssen.

    Miko gab keinen Ton von sich, was nichts Gutes bedeuten konnte. Mein Interface funktionierte nicht mehr. Ohne kam mir die Welt um mich herum ungewöhnlich leer und trostlos vor.

    Der Mann betrachtete mich wie gebannt. Sein Körper war in den Falten seines langen, dunkelblauen Gewands verborgen. Sein ruhiger, unheilvoller Blick ließ mir eiskalte Schauder über den Rücken laufen.

    Jetzt fiel mir auch wieder ein, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. Er gehörte zu der Gruppe in der Vox-Aufnahme, auf der die Verhandlungen zwischen den Abtrünnigen und dem Rattenkönig zu sehen gewesen war. Was nur bedeuten konnte …

    »Ich glaube nicht, dass das Engel ist«, erklärte die Frau. Ihre Stimme klang tief und heiser und war von verstörenden Untertönen begleitet, die an Knurren erinnerten. »Er sieht nicht aus wie er, Eis. Entweder ist es jemand anderes, oder die Animafikation hat gerade erst angefangen. Demzufolge …«

    »Das war ein Scherz«, fiel der Mann ihr ins Wort. Er bohrte die eisigen Finger in mein Kinn und drehte meinen Kopf hin und her. »Er kann es nicht sein, oder? Da bin ich mir sicher. Was sagt der Gehirnscan, Evyl?«

    »Mein Interferometer zeigt keine Anzeichen für symbiotische Aktivität. Seine Reaktionszeiten liegen innerhalb der Norm, ebenso wie seine magnetische Aura. Sein Gehirn wurde nicht manipuliert. In seinem Körper wurden keine neuen Organe oder Azur-Mutationen gefunden.«

    »Das ist seltsam«, murmelte der Mann – der Feind –, dessen Name offenbar Eis lautete. »Dann hat er entweder sowohl seinen Cogitor als auch sein Interface deaktiviert – was an Selbstmord grenzen würde – oder … oder er ist kein Inka? Was denkst du?«

    »Ich konnte keine Spuren genetischer Modifikationen finden«, erwiderte die Frau. »Das ist nur ein stinknormaler Mensch. Mehr nicht. Oder er hat sich einen brandneuen Körper zugelegt. Du weißt, dass sich genetische Modifikationen, die vor der ersten Evolution eines Subjekts durchgeführt wurden, nicht manifestieren. Ohne vollständigen DNA-Test lassen sie sich nicht entdecken.«

    »Mag sein. Eins steht jedoch fest: Dieser Mensch hier ist nicht so stinknormal, wie wir glauben, Süße.«

    Die Klinge von Fang erschien vor meinem Gesicht. Unbeirrt hielt der Fremde den Erbdolch des Clans in den bloßen Händen und musterte die Gravierung auf dem blauen Stahl. Danach legte er den Dolch neben sich auf einen Tisch, auf dem sich bereits mein Cryptor, mein Ausweis und meine anderen Habseligkeiten befanden.

    »Blauer Stahl, markiert mit Fenrirs Zeichen«, meinte er nachdenklich. »Und ausgerechnet hier. Wie kommt das wohl?«

    »Er hat das Wolfstattoo, ihren Dolch und ihren Cryptor, Eis«, erwiderte die Frau.

    »Hältst du mich für blind? Ich hatte recht, nicht wahr? Er ist nicht Engel. Er kommt nicht einmal aus dem Fort. Ein Fenrir-Junges! Ihr Genotyp ist überdeutlich zu erkennen. Spürst du die unglaubliche Macht seiner Quelle? Ich bin überrascht, dass man sie bei Menschen überhaupt noch finden kann.«

    »Sieh nur, Eis! Er hat auch die Markierung der Stadt im Gesicht! Das ist einer dieser Kriecher aus den Sieben Städten. Wie nennt man sie doch gleich?«

    Der Mann nickte. »Tribute. Leere Körper, die die Legion für falsche Inkarnatoren benutzt. Jetzt ist mir auch klar, wie es ihm gelungen ist, den Flügelanzug zu reaktivieren. Das ist Teil ihres Trainings, dass sie bionische Exoanzüge steuern können. Aber wie ist er hier gelandet? Das muss eine verdammt interessante Geschichte sein. Hey, du! Hast du Lust, sie uns zu erzählen?«

    Ein Blick zu dem Mann ließ sämtliche Alarmsirenen in mir losgehen. Seine Augen … Sie waren nicht menschlich, auch wenn sie vollkommen normal aussahen. Ich hatte so etwas schon einmal gesehen. Diese fremdartige Dunkelheit, die tief in den Pupillen einiger Menschen lauerte, der Substanz, die mich in der A-Zone gejagt und die sich der Leichen der beiden toten Legionäre bemächtigt hat.

    »Wer seid … ihr?« Ich brachte ein kaum hörbares heiseres Flüstern zustande.

    »Wer, ich?« Sein Grinsen schwang in seiner Stimme mit. »Ich habe sehr viele Namen, Junge. Aber du kannst mich Eisberg nennen.«

    Eisberg? Ich erinnerte mich an die alten Geschichten, die Tara mir erzählt hatte. Die Funkfrequenzkennungen auf den Implantaten der toten Abtrünnigen waren mit Eisbergs Symbol gekennzeichnet gewesen. Was hatte der alte Verzauberer doch gleich gesagt, wie der Kerl jetzt hieß? »Er heißt Gnarl. Eisberg ist tot.«

    Es schien also so, als stünde mir einer der Besessenen gegenüber – und zwar genau der, der hinter dem Angriff der Abtrünnigen auf Fort Angelo steckte. Er war unser geheimnisvoller Feind. Der Feind, an dessen Händen Tara Jessica Lees Blut klebte. Sie war seinetwegen gestorben, ebenso wie unzählige anderer guter, ehrlicher Menschen.

    Wut stieg in mir auf und unterdrückte sämtliche anderen Gefühle.

    Ich spuckte ihm das Blut ins Gesicht und strengte jeden Muskel an, um mich aus meinen Fesseln zu befreien. Vergeblich. Damit erreichte ich bloß, dass mir erneut ein stechender Schmerz durch den Körper fuhr.

    Gnarl wich dem Speichel so blitzschnell aus, dass er zu verschwimmen schien. Im nächsten Augenblick schlug er mich auch schon und hieb mir die Fäuste in den Leib. Es fühlte sich an, als würde er mich bei lebendigem Leib ausweiden. Ich hörte das widerliche Geräusch brechender Knochen. Mein Körper zuckte, als mich unerträglicher Schmerz durchflutete. Erschaudernd zuckte ich in meinen Fesseln, und meine krampfende Brust schaffte es nicht, die Luft, die er aus mir rausgeprügelt hatte, erneut einzuatmen.

    »Hey, hey, hey! Ganz ruhig! Du bringst ihn noch um!«, zischte die Frau in seinem Rücken.

    »Das macht doch auch nichts mehr aus«, stellte der Technomant fest und starrte mich mit verengten Augen an. »Er ist doch sowieso so gut wie tot. Nach allem, was diese Rotznase angestellt hat …«

    Auf einmal spürte ich den Zorn, der von ihm ausging. Er fühlte sich zwar eiskalt an, war jedoch nicht weniger beängstigend. Trotzdem empfand ich keine Furcht – da war nur die zufriedenstellende Gewissheit, dass mein Feind auf der falschen Spur war. Sie hatten den Inkarnator in mir also nicht erkannt? Sie glaubten, ich wäre nur ein Legionstribut mit von Natur aus starker Quelle! Auch gut.

    »Du bist echt gut darin, hilflose Gefangene zusammenzuschlagen.« Ich spuckte Blut und hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. »Löse meine Fesseln. Dann können wir uns unterhalten.«

    »Mann gegen Mann? Das wäre vielleicht sogar ganz unterhaltsam«, murmelte er, als würde er tatsächlich darüber nachdenken. Auf seinem Gesicht – dem Gesicht des ersten Inkarnators, der mir begegnete, seitdem ich losgezogen war – erschien ein raubtierhaftes Lächeln. »In Ordnung. So bekommen wir die Gelegenheit, meine Theorie auf die Probe zu stellen. Lasst ihn frei.«

    Es traten andere Leute näher. Sie drehten mir die Arme auf den Rücken und führten mich ins Freie. Die purpurroten Strahlen der untergehenden Sonne fielen mir ins Gesicht. Wir befanden uns mitten im Lager der Abtrünnigen und waren von allen möglichen Fahrzeugen, Zelten und Unterständen zwischen den Wagen umgeben. Die bärtigen, braunhäutigen Techno-Nomaden saßen mit grimmigen Mienen an Lagerfeuern. Einige waren verwundet und trugen Verbände an ihren tätowierten Körpern. Viele der schweren Fahrzeuge rauchten noch, und in ihren Karosserien klafften zahlreiche Löcher.

    Hatte ich das alles bewirkt? In diesem Fall musste Engels letzter Flug ihren ambitionierten Plänen vorerst Einhalt geboten haben. Es war ihnen offenbar nicht gelungen, das Fort einzunehmen, denn sonst würden sie mich wohl kaum hier befragen, sondern hätten mich ins Fort gebracht, wahrscheinlich zur Engelsstatue auf dem Hauptplatz.

    Zahlreiche neugierige Schaulustige folgten uns, bis man mich zwang, neben einem großen gepanzerten Fahrzeug stehen zu bleiben – einer Eigenentwicklung der Abtrünnigen, die an eine Mischung aus einer Schildkröte und einem wandelnden Panzer erinnerte.

    Auf den verrosteten Panzerplatten standen mehrere Kreuze, an denen Menschen hingen. Man hatte ihnen die Haut abgezogen, sodass sie an rote Fleischklumpen erinnerten, und das Entsetzlichste war, dass ich den Eindruck hatte, sie wären noch am Leben.

    Harte Finger drehten meinen Kopf in diese Richtung.

    »Siehst du das?«, flüsterte Gnarl. »So bringen diese Leute ihre Feinde um. Zuerst pumpen sie sie mit Schnupftabak voll, bis sie weggetreten sind, dann ziehen sie ihnen das Fell ab und nageln sie ans Kreuz. Nach ein paar Stunden lässt die Wirkung der Droge nach … Lasst ihn los!«

    Sobald ich frei war, richtete ich mich mühsam auf und beäugte die Menge, die sich um uns versammelt hatte. Ich humpelte. Jede schnelle Bewegung hallte in meiner Wirbelsäule und meinen Eingeweiden wider. Trotzdem schienen mir meine Arme und Beine noch zu gehorchen. Mit jeder verstreichenden Sekunde erlangte ich mehr Kontrolle über meinen Körper. Was bedeutete, dass ich vermutlich keine tödlichen Verletzungen erlitten hatte, wahrscheinlich dank meiner ersten Knochengewebeverbesserung.

    Ich knetete meine tauben Handgelenke und beobachtete den anderen Inkarnator misstrauisch. Er machte einen Schritt nach hinten und warf mir mein blaues Messer vor die Füße.

    »Okay, Fenrir-Junges, heb deinen Fang auf«, schnaubte Gnarl und breitete die Arme aus. »Ich bin unbewaffnet. Zeig mir, was man euch heutzutage in der Legion beibringt. Wenn es dir gelingt, mich zu besiegen, bleibst du am Leben. Falls du verlierst, landest du auch da oben.« Er deutete auf die Menschen, die wie blutende Blüten an den Kreuzen hingen.

    Ein Duell? Er wollte eine Art Gladiatorenkampf zur Unterhaltung der Massen veranstalten? Eine Weigerung wäre sinnlos. Stattdessen sollte ich versuchen, ihn zu töten.

    Der raue Messergriff in meiner Hand schenkte mir unverhofft Kraft und füllte meine Energiereserven. Ich hatte blauen Stahl auf meiner Seite, mit dem ich selbst eine Azur-Kreatur zu töten vermochte. Meine Chancen standen gar nicht mal so schlecht, schließlich hatte er keine Ahnung, wozu ich fähig war. Außerdem hatte ich für den Notfall noch meinen Teufel.

    Nach den ersten 20 Sekunden stand der Ausgang des Kampfes jedoch so gut wie fest. Ich hatte mich gewaltig geirrt und war chancenlos. Mir blieb nicht die geringste Hoffnung. Es war, als hätte man einen neugeborenen Welpen gegen einen erfahrenen Kampfhund antreten lassen. Und das lag nicht einmal nur an meinem schlechten körperlichen Zustand. Auch wenn ich nicht mal ansatzweise wusste, wie viele Upgrades und Evolutionen dieser Technomant hinter sich hatte, war er mir in dem Maße überlegen wie ich einem normalen Menschen. Er bewegte sich so schnell, dass ich es kaum verfolgen konnte. Obwohl ich mich bewegen und wirklich schnell zuschlagen konnte, machte das keinen Unterschied.

    Mein nächster Messerschwung ging ins Leere. Gnarl packte mein Handgelenk und verdrehte es, bis die Knochen brachen. Ein unfassbarer Schmerz schoss mir durch den Arm. Bei dem Versuch, mich zu befreien, schlug ich ihn zweimal, zuerst mit der Faust und danach mit dem Ellbogen. Beide Schläge trafen und waren hart genug, um einen gewöhnlichen Menschen auszuschalten, aber diesmal fühlte es sich an, als würde ich gegen ein Steinmonster kämpfen. Er zeigte keinerlei Reaktion. Meine zertrümmerten Knöchel hingegen schmerzten entsetzlich.

    Fast schon lässig schleuderte Gnarl mich zur Seite. Meine Nase pflügte durch den grauen Staub, der nach Blut stank.

    Ich hatte einfach nicht genug Reserven. Um es mit einem solchen Gegner aufzunehmen, musste man wenigstens eine Evolution durchlaufen haben, um die Grenzen eines normalen Menschenkörpers überschreiten zu können. Alternativ wären auch Azur-Fähigkeiten von Nutzen gewesen, aber mein verdammtes Interface war deaktiviert!

    Mir blieb nur noch der Teufel. Ich musste die Azur-Kreatur freilassen, die in meinem Messer gefangen war. Mit blieb keine andere Option. Im Augenblick spielte Gnarl nur mit mir, als wäre er eine gut genährte Katze und ich eine Babymaus, dennoch konnte jeder seiner Schläge mein Ende bedeuten.

    Ich zog mir das Messer über die Handfläche und benetzte die Klinge mit Blut. Der alte Verzauberer Rico hatte in Bezug auf die Eigenschaften recht behalten.

    Von Fenrirs Siegel stiegen blaue Funken auf. Ein leuchtend roter Punkt entstand auf der Messerklinge und verwandelte sich augenblicklich in einem feurigen Wolf.

    Das Phantom stand zwischen mir und Gnarl und sah sich langsam um. Die Abtrünnigen wichen zurück und schienen von diesem Erscheinen einer Azur-Kreatur eingeschüchtert zu sein.

    Gnarl hatte sich jedoch nicht nach hinten bewegt, sondern machte sogar einen Schritt nach vorn. Sein schmaler Umriss verschwamm in einem blasslilafarbenen Leuchten. Schon entstand das bereits bekannte Energielasso in seiner Hand, das er herumwirbelte.

    »Blöde Idee.« Die Stimme meines Gegners troff vor Abscheu. »Er erkennt mich.«

    Mein Wolf schreckte zurück, stellte das Nackenfell auf und wurde sichtlich kleiner. So etwas hatte ich noch nie gesehen! Der Teufel schien sich vor dem reglosen Fremden zu fürchten, der ihn anstarrte. Knurrend und funkensprühend rannte er zum Messer zurück und verwandelte sich in einen lodernden Funken, der in der blauen Klinge verschwand.

    Er hatte es mit der Angst zu tun bekommen und sich in Sicherheit gebracht.

    Ich sah mich verzweifelt nach etwas Hilfreichem um, konnte jedoch nichts entdecken. Inzwischen gehorchte mir meine rechte Hand nicht länger. Es kostete mich meine gesamte Willenskraft, den lähmenden Schmerz zu ignorieren, als ich Fang in die linke Hand nahm.

    Mit dem Mut der Verzweiflung stürzte ich mich auf Gnarl. Er verpasste mir einen kraftvollen Hieb auf den Schädel, sodass ich schillernde Kreise sah. Eine Sekunde lang war ich wie weggetreten, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Rücken.

    »Nicht schlecht für einen imitierten Inkarnator«, erklärte eine höhnische Stimme über mir. »Stehst du jetzt auf, oder was?«

    Mühsam kam ich wieder auf die Beine. In meinem Kopf drehte es sich. Wo war mein Messer? Vor meinen Augen verschwamm alles.

    »Okay, dann wollen wir diese Show mal beenden«, sagte Gnarl gelangweilt.

    Seine Stimme hörte sich an, als würden wir uns unter Wasser befinden. Mir wurde bewusst, dass ich taumelte. Die Welt drehte sich rasend schnell um mich herum, und der reglose Gnarl und die verzerrten Gesichter der jubelnden Abtrünnigen rasten wie ein verrückter Kreisel an mir vorbei.

    Gnarl kam näher. Sein nächster Schlag war so heftig, dass der entsetzliche Schmerz in meinen Beinen mich im wahrsten Sinne des Wortes blendete. Ich ging schreiend zu Boden, krümmte mich und brüllte die Schmerzen heraus. Jetzt würde ich nicht mehr aufstehen können.

    »Ich weiß, dass das wehtut«, meinte Gnarl. »Ich habe dir das Knie gebrochen. Du bist eine Enttäuschung. Mit einer derart mächtigen Quelle hättest du zu mehr in der Lage sein müssen, als bloß dein Messer zu zücken. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Mach’s gut, du jämmerliche Imitation eines Verzauberers. Richte Fenrir Eisbergs Grüße aus!«

    Ein lilafarbenes Leuchten entstand um seine erhobene Faust, und mir war klar, dass er mir den Todesstoß versetzen würde.

    1

    »WARTE, Eis.«

    Die Frau in dem blauen Cape trat furchtlos zwischen uns. Sie packte Gnarls Handgelenk und hielt ihn vom Zuschlagen ab. Riesige dunkle Schatten von Cyberwargen umgaben ihre kleine Gestalt.

    »Halt dich da raus, Evelynn!«, zischte Gnarl und entriss ihr seine Hand. »Und bring deine Köter weg!«

    »Aber wir haben ihn noch gar nicht richtig verhört! Wenn du ihn jetzt umbringst, werden wir nie erfahren, welche Rolle die Stadt in all dem spielt! Und sein Körper … Denkst du nicht, dass wir noch etwas damit anfangen können?«

    Sie stieß die letzten Worte sehr leise aus, und da sie icht vor Gnarl stand, würde auch kein anderer sie verstehen können.

    Gnarl stand einen Moment lang schweigend da und schien zu zweifeln. Dann erlosch das Leuchten um seine Faust und er ließ die Hand sinken.

    »Gutes Argument. Da haben mich wohl meine Gefühle übermannt«, gab er zu. »Ich habe mich in etwas reingesteigert und hätte dieser Rotznase beinahe einen leichten Tod vergönnt. Nimm ihn mit, wenn du willst, und versuche, ihn auszupressen.«

    Sein nächster Schlag fühlte sich an, als hätte er mir den Kopf von den Schultern gerissen, der nun über den Boden rollte. Bevor die Bewusstlosigkeit mich übermannte, hörte ich noch seine unverbindliche Stimme.

    »Sobald du mit ihm fertig bist, machen wir aus ihm eine ›rote Blume‹ und nageln ihn vor den Toren des Forts an ein Kreuz. Sollen sie ihren Engel doch ausgiebig bewundern.«

    * * *

    Nach einer Weile kam ich wieder zu mir. Ich hatte keine Ahnung, wie oft ich aufgewacht und wieder ohnmächtig geworden war, und konnte mich nur an das blutrote Aufblitzen erinnern.

    Ich fühlte mich hundeelend. Meine geschwollene Zunge schien kaum noch in meinen Mund zu passen, und ich spürte die Überreste der letzten mir verbliebenen Zahnstümpfe. Mir war speiübel, mein Kopf schien kurz vor dem Zerbersten zu sein, und mein Knie tat höllisch weh. Wann immer ich atmete, fühlten sich meine Rippen an, als würde jemand heiße Nadeln hineinstechen. Es musste mehrere Minuten gedauert haben, bis ich ganz bei Bewusstsein war und diesen benebelten Zustand hinter mir gelassen hatte.

    Das Erste, was mir ins Auge fiel, als ich endlich wieder etwas sehen konnte, war eine geriffelte Decke, von der grelles weißes Licht auf mich herabfiel. Um mich herum war alles ruhig. Ich hörte nichts als das leise Brummen eines Motors irgendwo weiter unten.

    Man hatte mich ausgestreckt auf einen Operationstisch gelegt und daran festgebunden. Ein Roboterarm schwebte über mir, und der Zweck der diversen medizinischen Instrumente daran war mir ein Rätsel. Vermutlich handelte es sich um einen Autochirurgen oder etwas in der Art.

    Mein erster Versuch, mich zu bewegen, sorgte dafür, dass mir ein stechender Schmerz durch den Körper jagte, der mich blendete und in meinem Bein, meiner Wirbelsäule und meinem Schädel widerhallte.

    Ich stieß ein leises Stöhnen aus, das sich nicht unterdrücken ließ. Nach und nach fiel mir alles wieder ein: der Flug, der Absturz, der Kampf gegen Gnarl … und dieser unerwartete Aufschub meines Todesurteils.

    Unter Mühen sah ich mich um. Ich befand mich in einem großen, rechteckigen Raum mit Stahlwänden. Er schaukelte hin und wieder, als würden wir uns über eine schlechte Straße bewegen. Es machte den Anschein, als hätten sie mich in einen der großen Anhänger gebracht, die ich bei meiner letzten Runde über dem Lager der Abtrünnigen bemerkt hatte. Gewaltige Monster, lang und silberweiß lackiert, die in der zweiten Verteidigungslinie aufgestellt gewesen waren und sich stark von dem üblichen Wirrwarr an zusammengeschusterten Fahrzeugen unterschieden. Jammerschade, dass ich sie nicht in tausend Stücke zerschmettert hatte, als ich noch dazu in der Lage gewesen war.

    Dieser besondere Anhänger war in eine Art Hightech-Labor verwandelt worden. Rings um mich herum befanden sich Steuerkonsolen und virtuelle Bildschirme sowie Tische und Regale voller geheimnisvoller Gegenstände. Alles war makellos sauber, und die glänzenden Instrumente hatte man gut sortiert in den Regalen verstaut. An einer Wand stand der weiße Sarkophag eines Medipods. An einer anderen reihten sich hohe Glassäulen, die an riesige Reagenzgläser erinnerten und mit dickem, gelbgrünem Rauch gefüllt waren, der etwas herumwirbelte, was auf eine Bewegung darin schließen ließ.

    Engels Flügelanzug war ebenfalls hier. Er lag in einer Ecke, die Flügel waren offenbar zerbrochen und die silbrigen Panzerplatten angesengt und deformiert. Auf einem Regal daneben entdeckte ich meine Sachen in einem durchsichtigen Behälter: meinen Fuchsanzug, der vollkommen zerfetzt war, meinen Dolch und meinen Cryptor.

    An der hinteren Wand waren mehrere Käfige zu sehen, einige leer, andere mit schlafenden Garmen. Meine Binokularsicht ermöglichte es mir, weitere Details zu erkennen. Fast alle dieser monströsen Wildhunde trugen an den Stellen Verbände, an denen der Stahl ihrer frisch transplantierten Cyberverstärkungen mit dem Fleisch verschmolzen worden war.

    Der größte Käfig stand auf einem kleinen Podest etwas abseits der anderen und war mit dickem Stoff abgedeckt. Kabelbündel schlängelten sich über den Boden und verschwanden darunter.

    Augenblick mal. Meine Binokularsicht schien zu funktionieren, was bedeutete, dass die Fähigkeiten, die ich dank des Ptar-Genoms erhalten hatte, aktiv waren. Was stimmte dann nicht mit meinem Interface?

    In dem Augenblick, in dem ich das dachte, erschienen die vertrauten kleinen VR-Symbole vor mir.

    Der Transformations-Tab blinkte, und zahllose rote Punkte zeigten meine vielen Verletzungen an. Gebrochene Kniescheibe, mittelschwere Gehirnerschütterung, gebrochenes Handgelenk, diverse Knochenbrüche im Gesicht, angeknackste dritte Rippe, und dazu die unzähligen Prellungen, Schürfwunden und Gewebeschäden. Nicht gerade die beste Diagnose meines kurzen Lebens. Es war zweifelhaft, dass ich ohne Hilfe wieder auf die Beine kommen würde.

    Der Schmerz ließ kurz nach, nur um noch heftiger zurückzukommen, anscheinend wollte er nicht von meinem gebrochenen Körper ablassen.

    Status … Transformation … Fähigkeiten … Aber wo steckte Miko?

    Ich öffnete ihren Tab und sah den grauen Umriss eines generischen Kopfes, über dem ein dickes rotes Kreuz prangte.

    Ihr Cogitor wurde zwangsweise deaktiviert.

    Wach auf, Miko. Ich hauchte das Passwort, ohne die Lippen zu bewegen, und gab es in die Aktivierungsbox ein. Na los, mach schon!

    Nach einem kurzen Lag erschien mein neurales Netzwerk, hielt sich eine Hand an die Kehle und hustete stark. Ihr niedliches virtuelles Gesicht war zu einer dramatischen Leidensmiene verzogen.

    »Miko?«

    »Ä-hem, ähem! Hallo, Inkarnator …«

    »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«

    »Wir wurden von der Peitsche der Leere angegriffen, Grey! Einer Azur-Fähigkeit der Gold-Klasse! Ein solcher Schlag könnte selbst einen Inkarnator töten. Dein Flügelanzug hat dir das Leben gerettet und den Großteil des Schadens absorbiert. Aber wir haben trotzdem eine Menge abbekommen. Deine Quelle wurde vorübergehend deaktiviert. Du hast das Bewusstsein verloren. Deine Feinde kamen immer näher. Dank der Daten, die ich aus den Stellar-Archiven heruntergeladen habe, konnte ich sie als Besessene identifizieren. Eine schnelle Hochrechnung hat ergeben, dass sie uns vernichten, sobald sie in dir einen Inkarnator erkennen. Daher traf ich die Entscheidung, das Interface temporär zu deaktivieren und mich in den Schlafmodus zu versetzen. Das war unsere einzige geringe Chance, die Sache zu überleben. Soweit ich es erkennen kann, lag ich mit meiner Prognose richtig.«

    »Aber … Wieso haben sie es nicht bemerkt?«

    »Was? Dass du ein Inkarnator bist? Tja, den Besessenen ist der Zugriff aufs Stellar-Netzwerk verwehrt, nicht wahr? Ihr Interface wurde deaktiviert. Dein Körper ist im Augenblick von dem eines normalen Menschen praktisch nicht zu unterscheiden. Sie können dich nur durch indirekte Beweise wie deine Fähigkeit zur Reinkarnation, deine Genomods und deine Superkräfte identifizieren. Ein Gehirnscan hätte das Vorhandensein eines aktiven Cogitors aufgezeigt, ebenso ein vollständiger DNA-Test mit einer kompletten DNA-Analyse.«

    »Aber ich konnte Engels Anzug aktivieren. Ich dachte, nur Inkarnatoren …?«

    »Nicht unbedingt. In der Theorie kann jeder A-Mensch mit vollständig ausgebildeter Quelle bionische Geräte bedienen. Das Ausmaß der Synchronisation wäre selbstverständlich nicht dasselbe. Aber das ist jetzt nicht wichtig! Für so was haben wir keine Zeit! Wo sind wir? Erinnere dich an so viel wie möglich. Ich brauche Informationen, damit ich die Lage analysieren kann.«

    Natürlich. Sie wusste nichts über das, was nach ihrer Deaktivierung passiert war.

    Ich konzentrierte mich und dachte an das, was ich in der Zwischenzeit erlebt hatte. Gnarl … unser Duell … die Gekreuzigten … die letzten Worte der Frau in Blau …

    »Das reicht, Inkarnator. Wir hatten Glück. Die Chancen, dass wir das überleben, standen verschwindend gering. Trotzdem hatten wir keine anderen Optionen. Dies war der einzige Weg. Sie haben dich nur noch nicht getötet, weil sie dich für einen Stadttribut halten.«

    Da hatte sie recht. Aus diesem Grund war ich noch am Leben. Und weil sie sich von mir Informationen erhofften. Die Besessenen hätten nur zu gern gewusst, wie der Erbe von Fenrir in Fort Angelo gelandet war und ob das etwas damit zu tun hatte, dass die Stadt irgendwelche Pläne schmiedete, um etwas gegen sie zu unternehmen. Sie wollten wissen, wie es mir gelungen war, Engels uralten Flügelanzug zu aktivieren, und noch viele andere Dinge in Erfahrung bringen. Und sobald sie mich »ausgepresst« hatten, wie Gnarl sich so schön ausgedrückt hatte, würden sie mir einen langen, qualvollen Tod bescheren.

    Schwache Azur-Strahlungsquelle entdeckt.

    Momentane Absorptionsrate: 1 Azur pro Minute

    Gesamt-Azur: 7.840/14.300

    »Warnung! Pass auf, Inkarnator! Ich werde …«

    Schon verschwand ihr Symbol, und sie hatte sich abermals deaktiviert und in den Schlafmodus versetzt, sodass ich auf mich allein gestellt war.

    Mit leisem Quietschen ging die Tür auf, und herein kam die Frau mit dem blauen Umhang. Wie war ihr Name doch gleich? Ach ja, Evelynn. Sie hatte Gnarl dazu überredet, mich vorerst am Leben zu lassen.

    Ein riesiger Cyberwarg trottete hinter ihr her, ein erfahrenes Tier mit langer, verfilzter Mähne. Wie ein loyaler Leibwächter folgte er ihr auf Schritt und Tritt und ließ seine Herrin nie aus den Augen. Auf ihren Wink hin legte er sich am Eingang auf den Boden und zeigte seinen Artgenossen die gebleckten Zähne, die bei seinem Anblick zu winseln anfingen. Seine Fangzähne waren so lang wie meine Finger und selbst der kleinste Zahn hatte etwa die Größe des Fingerglieds eines erwachsenen Mannes.

    Die Frau nahm ihren Umhang ab, hängte ihn neben die Tür und schlüpfte in einen eng anliegenden Schutzanzug. Dabei drehte sie sich halb zu mir um.

    Bei ihrem Anblick erschauderte ich.

    Sie war kein Mensch mehr.

    Ihr langes, dreieckiges Gesicht ließ sie wie eine Wölfin aussehen. Die gelben Augen einer wilden Bestie. Das dunkle, strähnige Haar und die spitzen Ohren, die daraus hervorragten und mit goldenen Ringen geschmückt waren.

    Ihre Haut war dunkelgrau und von den bekannten blassblauen Venen des Azur-Netzmusters überzogen. Es ähnelte dem, das ich auf dem Fragment des Schwarzen Mondes gesehen hatte. Und auch dem Muster auf Flecktors Panzer.

    Ihr Overall hatte Schlitze an den Schultern, den Ellbogen und den Knien, durch die seltsame schwarze Wucherungen zu sehen waren. Nein, keine Wucherungen. Wenn meine Augen mich nicht trogen, hatte sie sich mehrere Fragmente des Schwarzen Mondes implantiert und sie mit ihrem Fleisch verschmolzen. Auf diese Weise war auch das leuchtende Muster auf ihrer Haut entstanden. Sie war ein wandelnder Azur-Generator, eine Mini-A-Zone. Wie viel A-Energie hatte sie wohl absorbiert? Wie viele Evolutionen durchlaufen? Welche Fähigkeiten besaß sie?

    Gleichzeitig musste ich eingestehen, dass sie sich mit großer Anmut bewegte. Trotz all der schrecklichen Modifikationen hatte sie ihre feminine Gestalt behalten, die meinen Blick anzog.

    Für mich überraschend umrandete mein Interface die Frau in Rot und bot mir eine Beschreibung:

    Evelynn »Evyl« Mail.

    Herkunft der Daten: Stellar-Archive, 91,7%ige Übereinstimmung.

    A-Frau

    Inkarnator

    Besessene

    Hinweis auf Infektion gefunden. Fortschritt: unbekannt

    Hinweis auf nicht identifizierte genetische, myoelektrische und Azur-Modifikationen entdeckt.

    Quelle: unbekannt

    Warnstufe: rot (tödlich)

    Auf einmal dämmerte es mir, dass mein Interface den Feind nur aus dem Grund identifizieren konnte, weil die neugierige Miko so hartnäckig darauf bestanden hatte, die Stellar-Archive im Monolithen herunterzuladen.

    Die eingesperrten Garme sprangen auf die Füße, winselten erbärmlich und steckten die bandagierten Köpfe zwischen die Gitterstäbe. Evyl hockte sich neben die Käfige und sprach mit leiser, sanfter Stimme zu den Tieren. Ich wollte meinen Augen kaum trauen, als ich mit ansah, welchen Einfluss die Besessene auf diese bösartigen, mutierten Bestien hatte. Sie bellten glücklich und klammerten sich an ihre geliebte Herrin.

    Nachdem sie sie gefüttert hatte, ging Evyl zu dem großen Käfig, der etwas abseits stand, und hob den Stoff vorsichtig an einer Ecke hoch.

    Darin kauerte eine junge Frau. Sie war vollkommen nackt, und nur ihr langes blondes Haar verbarg einen Teil ihres Körpers. Mit kräftigen, gebräunten Armen umklammerte sie ihre Knie. So etwas wie ihre großen, leuchtend grünen Augen hatte ich noch bei keinem Menschen gesehen.

    Das Mädchen schob die Unterlippe wie eine wilde Bestie vor und knurrte leise, um zwei Reihen perfekter weißer Zähne zu blecken.

    Evyl stellte sich dicht vor die Gitterstäbe, musterte die junge Frau und lachte kehlig auf.

    »Na, meine Süße?«, fragte sie und zog ein dünnes Stahlrohr hervor. »Möchtest du deinen Schatz mit uns teilen?«

    Das Teleskoprohr wurde ausgefahren, und am Ende erschien eine spitze Sonde, die an eine dicke, vorn abgeschrägte Nadel erinnerte. Vorsichtig schob Evyl sie zwischen den Gitterstäben hindurch.

    »Ganz ruhig, Kleines, ganz ruhig«, säuselte Evyl und führte die Sonde immer näher an die Frau heran. »Sch, sch. Sei schön brav, Süße … Ich bin ein kleines Kätzchen, und du bist ein kleines Füchslein …«

    Das leise Knurren des Mädchens wurde zu einem warnenden Fauchen und ging schließlich in das wilde Knurren eines verwundeten Tieres über. Das Rohr flog zur Seite und wurde Evyl aus den Händen gerissen. Im Käfig befand sich keine Frau mehr, sondern ein wildes, tobendes Tier. Es sah aus wie eine Großkatze – vielleicht ein Luchs, es hätte aber auch ein Fuchs sein können.

    Doch da endeten die Ähnlichkeiten auch schon. Diese Art von felinen Füchsen existierte nicht – nicht mit dieser Fellzeichnung und erst recht nicht mit solchen Fangzähnen und Krallen. Das war ein Morph der Bina-Klasse, ein terranisches Tier, das vom Azur verändert worden war. Mein Interface identifizierte es als »Allys, quasi-feliner A-Morph. Warnstufe: Gelb.«

    Oh ja, ich erkannte das Katzenmädchen wieder. Das war die Werbestie, die die Rattlinge an die Abtrünnigen verkauft hatten. Wollten die Besessenen mit ihr etwa Experimente durchführen? Was hatten sie mit ihr vor? Was erhoffte sich Evyl von ihr?

    Nach der Verwandlung in eine Katze war die Frau so riesig, dass sie nicht mehr in den Käfig passte. Die Gitterstäbe mussten unter Strom stehen, da jedes Mal, wenn sie dagegen stieß, blaue Funken aufstoben. Die Werbestie jaulte und zuckte und versuchte, die Stäbe nicht zu berühren, was jedoch aussichtslos war, denn einer ihrer Körperteile kam immer dagegen.

    Evyl schnaubte. Sie machte einen Schritt nach hinten und beäugte den Käfig mit in die Hüften gestemmten Händen. Zwischen den beiden schien eine flüchtige Ähnlichkeit hinsichtlich ihrer tierischen und gleichzeitig femininen Anmut zu bestehen.

    »Das hättest du nicht tun sollen, Süße«, tadelte Evyl sie sanft. »Was wolltest du denn damit erreichen? Warum bist du so ein Dickkopf? Denk doch mal mit, kleine Füchsin: Noch ein paar Transformationen, und dann? Du weißt es nicht einmal. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich könnte dir helfen – ebenso wie du uns.«

    Ihre Antwort bestand in einem bösartigen Fauchen. Die Frau hatte bereits wieder Menschengestalt angenommen und kauerte zuckend vor Schmerzen mitten im Käfig. Ihr bräunlicher Körper war von Striemen und hässlichen roten Flecken übersät, als wäre sie eben ausgepeitscht worden.

    Evyl griff nach der Sonde. Mit einem missbilligenden Kopfschütteln versuchte sie es erneut. Ich hatte keine Ahnung, was sie beabsichtigte – doch die Zerbrechlichkeit der Werbestie stellte sich als List heraus.

    Ihre Bewegungen waren so schnell, dass ich sie nicht einmal sah. Es gelang der Kreatur, das Ende der Stange zu packen. Nach kurzem Gerangel fiel die Sonde auseinander und die Werbestie hatte nur noch einige spitze Teile in den Händen. Diese nutzte sie sofort. Ich konnte gerade mal verschwommen ausmachen, wie sie damit nach Evyl warf.

    Die unfassbare Kraft und Schnelligkeit der Kreatur waren erschreckend. Das wurde mir erst bewusst, als eines der Teile über mir in der Wand landete und eine beeindruckende Delle im Metall hinterließ. Allerdings gelang es ihr nicht, Evyl zu schaden, da die Geschosse von ihrem hemisphärischen Energieschild abprallten, der um sie herum erschien und sie vor dem Angriff schützte. So etwas Ähnliches hatte ich in Engels Flügelanzug auch gehabt.

    Sie war eine Technomantin, nicht wahr? Ihre Fähigkeit, technische Geräte zu steuern, ging offenbar weit über die eines gewöhnlichen Menschen hinaus. Man konnte sie nicht auf dem falschen Fuß erwischen oder mit derart primitiven Mitteln töten.

    Trotzdem war Evyl stinksauer.

    »Böse kleine Füchsin! Böser Fuchs!«, knurrte sie mit tiefer Stimme und legte an einem an den Käfig angeschlossenen Gerät einen Schalter um.

    Weitere blaue Funken stoben von den Gitterstäben auf und verwandelten sich in kleine Blitze, die auf die Allys-Kreatur einprasselten. Sie jaulte vor Schmerzen und verwandelte sich abermals in diese riesige Gestaltwandlerbestie, um ihre Form in schneller Folge zu verändern. Nach einigen Augenblicken kreischte sie eher, als dass sie jaulte, und wand sich vor Qualen. Der Gestank nach verbranntem Fleisch hing in der Luft.

    Die Bestrafung dauerte mehrere Minuten. Erst, als sich die Frau nicht mehr bewegte und ihr Körper von den Verbrennungen schwarz und rot war, schien Evyl mit dem Resultat zufrieden zu sein.

    Die Kreatur konnte nicht mehr schreien. Zuerst dachte ich, sie hätte die Folter nicht überlebt, doch ihr Körper zitterte weiterhin und sie keuchte und rang nach Luft. Das Lebenspotenzial dieses Wesens war unglaublich. Ein normaler Mensch wäre schon längst gestorben.

    Mit genervtem Achselzucken beendete Evyl die Bestrafung. Sie griff nach einer neuen Sonde, führte sie in die zusammengekauerte Gestalt der Kreatur ein und stieß diesmal nicht auf Widerstand. Die Werfüchsin zuckte vor Schmerzen, als Evyl seltsame Manipulationen durchführte.

    Endlich leuchtete ein grünes Licht am anderen Ende der Sonde auf.

    »Das war’s, Süße«, verkündete Evyl zufrieden. »War doch gar nicht so schlimm, oder? Glaubst du, es würde mir Spaß machen, dir wehzutun? Das tut es nicht. Du musst dich benehmen, Liebes, dann wird auch alles gut.« Sie drehte sich um und kam mit anmutigem Gang auf mich zu.

    Bei ihrem grausamen Blick und ihrem haiartigen Grinsen lief es mir kalt den Rücken hinunter.

    »Wie ich sehe, ist unser Held wach.« Sie schniefte. »Und, wie sieht es aus, Schätzchen? Sollen wir anfangen?«

    2

    »KANNST DU mich hören?«

    Ich antwortete nicht und nahm sie genau in Augenschein.

    A-Frau. Klasse: Besessene. Glyphe: Inkarnator.

    Als Rekrut hatte ich keinen Zugriff auf die anderen Tabs mit ihren detaillierten Werten und ihrer Biografie. Eine Sache fiel mir jedoch unangenehm auf: »Inkarnator« war bloß eine Glyphe und Stellar betrachtete uns nicht als menschliche Wesen. Vielmehr stufte man uns in die gleiche Gruppe wie A-Morphs und Azur-Wesen von jenseits des Randes ein.

    Diese Erkenntnis löste eine Reihe unfreundlicher Spekulationen aus. Aber dies war nicht der richtige Augenblick, dass ich mich damit befassen könnte.

    Hinweis auf Infektion entdeckt.

    Was genau bedeutete das? Diese schwarze Substanz, die ich gesehen hatte – Dunkelheit, nicht wahr? Laut Miko handelte es sich um eine Art Xenovirus vom Schwarzen Mond. Hatten sich die Besessenen da oben damit angesteckt? Allerdings sahen Gnarl und Evyl durchaus menschlich aus und nicht so wie die beiden armen Schlucker, die die Dunkelheit von den Toten zurückgeholt hatte, nachdem sie aus dem schwarzen Sarkophag gequollen war.

    Evyl trat näher. Ihr kalter, desinteressierter Blick war mir unangenehm. So begutachtete man eine Ratte, die man gleich vivisezieren wollte. In

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