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Es war einmal im Dunklen Wald
Es war einmal im Dunklen Wald
Es war einmal im Dunklen Wald
eBook429 Seiten5 Stunden

Es war einmal im Dunklen Wald

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Über dieses E-Book

Nach einer Begegnung mit einem Wolf wurde Jäger zur erfolgreichsten Bestienjägerin des Landes. Was niemand wissen soll: Menschen fürchtet sie mehr als Bestien. Doch ausgerechnet sie muss eine Gruppe von Soldaten tief hinein in den Dunklen Wald begleiten. Dort schläft, verborgen in einem Turm, eine Magierin, die einzige Hoffnung gegen den Vormarsch der Bestien. Dabei ist Jäger die Rettung der Welt eigentlich herzlich egal.

Als eine Truppe für den Dunklen Wald zusammengestellt wird, ist Leutnant Crop der Erste, der sich freiwillig meldet. Denn er hat einen ganz persönlichen Grund, die Magierin zu wecken: Seine innere Bestie, von der niemand erfahren darf und gegen die er sich Hilfe von der Magierin erhofft.

Gezwungenermaßen ziehen Jäger und Crop Seite an Seite in den Dunklen Wald. Doch wenn sie überleben wollen, müssen sie auch lernen, gemeinsam zu kämpfen und einander zu vertrauen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. März 2023
ISBN9783959915861
Es war einmal im Dunklen Wald
Autor

Anne Danck

Anne Danck, geboren 1991 und aufgewachsen in Berlin, war von jeher von zwei Dingen fasziniert: vom Schreiben und von der Biologie. Letzteres führte sie zum Studium aus Berlin fort und anschließend zurück, um als begeisterte Verhaltensbiologin zu promovieren. Das Schreiben wiederum ist die tägliche Therapie, die ihr beim Sortieren der Gedanken hilft.

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    Buchvorschau

    Es war einmal im Dunklen Wald - Anne Danck

    Kapitel 1

    Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf,Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war,

    und fürchtete sich nicht vor ihm.

    Rotkäppchen

    Sie preschten die staubige Straße entlang und hielten auf den hohen Palisadenzaun von Kol zu, dessen Tor offen stand. Der einzelne Wachmann warf nur einen Blick auf die Abzeichen an ihrer Brust und ließ sie passieren. Crop gab seinen Männern ein Zeichen, abzusitzen und die Pferde anzubinden. Er wählte ein paar seiner Soldaten zur Begleitung aus, während er die anderen instruierte, bei den Pferden zu warten. Bei der Armut dieser Gegend musste er damit rechnen, dass man andernfalls versuchen würde, sie zu stehlen.

    Zu sechst gingen sie die Dorfstraße entlang. Überall, wo sie vorbeikamen, wandten die Leute verstohlen die Köpfe zu ihnen, nur um augenblicklich wieder fortzusehen. Vermutlich fragten sie sich, was die Soldaten hier wollten. Niemand begab sich freiwillig so nah an den Dunklen Wald.

    Pittaras hielt die erste Passantin an, die ihnen entgegenkam. »Der Jäger. Wo können wir ihn finden?«

    Der Rock der Dorfbewohnerin war löchrig am Saum, die Füße schuhlos. Sie musterte hastig seine Gruppe: ihre Lederrüstungen, noch dunkler als das Braun der Haut, ihre abgehärteten Körper, die Schwerter. »Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht, Herr.«

    »Ein Bestienjäger«, spezifizierte der Soldat. »Der beste des ganzen Landes, wenn man den Gerüchten glauben kann.«

    Die Frau zog ihre Stirn in Falten. »Keine Ahnung, Herr.«

    »Aber er treibt sich immer hier in der Nähe herum. Du musst doch –«

    »Lass gut sein, Pittaras.« Crop trat neben ihn. Er hatte furchtlose Männer gewollt, solche, die mal selbst nachdachten und nicht nur stumpf auf Befehle hörten. Aber dieser hier schien regelmäßig mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, statt sich nach einer Tür umzusehen. Kol war ein Dorf in einem meilenweiten Umfeld von Nichts. Keine Felder, keine Bauern, keine Viehzucht. Bloß endlose, leere Steppe. Laut Crops Informationen konnte zwar niemand den Wanderjäger leiden – sie nannten ihn nicht einmal beim Vornamen, er war stets nur Jäger –, aber angewiesen waren sie dennoch auf ihn. »Wir sind nicht hier, um ihn zu verhaften.«

    Sie musterte ihn kritisch. »Wer garantiert uns das?«

    »Du kennst ihn also doch!«, entfuhr es Pittaras.

    »Pittaras«, knurrte Kripschnik kaum hörbar.

    Crop wählte den kürzeren Weg. Er hielt der Frau eine Goldmünze hin. »Wo finden wir ihn?«

    Sie ließ die Münze schneller verschwinden, als er blinzeln konnte. Vermutlich hatte er sie damit zur reichsten Person des Dorfes gemacht. »Auf dem Markt. Ist gerade zurück. Ihr solltet Euch allerdings beeilen, wenn Ihr was von der Beute haben wollt, Herr. Ist immer alles sofort weg.«

    »Danke.« Crop nickte der Informantin zu, dann gingen sie weiter die Hauptstraße hinauf, in Richtung Dorfmittelpunkt.

    Die Blicke der vereinzelten Leute folgten ihnen, als würden ihre Schritte unsichtbare Wellen schlagen und deren Ausläufer das alltägliche Leben zum Erliegen bringen. Die hell- und dunkelbraunen Gesichter drehten sich ihnen zu, sie waren abgehärmt und von Dreck verschmutzt. Selbst die wenigen Kinder, die sie hinter den Rockschößen ihrer Mütter hervor beobachteten, wirkten bereits so still und sorgenvoll wie die Erwachsenen. Crop wusste selbst nicht, was er erwartet hatte. Kol existierte nur, weil es hier schwarzes Holz aus dem Boden zu holen gab. Wer in diesem Dorf aufwuchs, kannte vermutlich nichts als ärmliche Verhältnisse und die allgegenwärtige Bedrohung des Dunklen Waldes. Es gab kein Spielen außerhalb des großen Zauns. Keinen Tag ohne Angst vor einem Angriff. Trotzdem war es eine Sache, dieses Wissen im Vorhinein zu haben, und eine ganze andere, die Realität mit eigenen Augen zu sehen.

    Der Marktplatz, überragt von einem windschiefen Glockenturm, umfasste lediglich drei Stände, aber selbst die waren verlassen. Käufer – und offensichtlich auch Verkäufer – scharten sich alle laut diskutierend um etwas, das aussah wie ein Karren, auf den Pelzberge gestapelt waren.

    Nein, erkannte Crop, als sie näher kamen. Nicht mehrere Pelze. Es war nur ein einziges Tier, aber dieses war so groß, dass die rauchgrauen Tatzen und der gescheckte Rücken weit über die Planken des Karrens hinausragten. Wie viele Männer mochten nötig sein, um so eine Bestie zu erlegen?

    Das aufgeregte Geschrei erstarb jäh, als eine schlanke Gestalt auf eine freie Ecke des Karrens sprang. »Das reicht jetzt!«, erklang der barsche Befehl. Auf dem kleinen Markt wurde es totenstill.

    Etwas an der Stimme … Sie klang nicht so tief, wie er erwartet hatte. Jünger, wesentlich jünger, wie ein Junge im Stimmbruch. Crop konnte das dazugehörige Gesicht nicht sehen, sondern nur den kurz geschorenen Hinterkopf. Stiefel, Wams und Hose waren ein Teppich aus den verschiedensten Lederflicken, unzählige tiefe Kratzer an der Wade verrieten bereits die nächste Stoffstelle, die überdeckt werden würde. Erde und Blätter klebten an der Kleidung, lediglich der auf den Rücken geschnallte Köcher war sauber, aber ebenso abgenutzt.

    »Ich habe gesagt, ich will nichts damit zu tun haben, und das meine ich auch so, verstanden?«, knurrte Jäger die Umstehenden an. »Jeremy bekommt das verdammte Vieh und Schluss! Wenn ihr es auf eurem Tisch haben wollt, dann müsst ihr es ihm eben abkaufen.«

    Niemand sah zu ihm auf, niemand erwiderte seinen Blick. Sie alle starrten nur begierig auf das zentnerschwere Fleisch zu seinen Füßen.

    »Und jetzt: Trollt euch!«, fügte er hinzu und machte Bewegungen, als wollte er Gänse verscheuchen.

    Einer der Männer spuckte aus. Die Umstehenden brummten Flüche. Doch einer nach dem anderen verdrückte sich.

    »Na also.« Jäger sprang vom Karren vor einen stiernackigen, glatzköpfigen Mann und verhandelte mit ihm über den Preis. Crop entging dabei weder, dass der Mann – vermutlich Jeremy – seinem Gegenüber nicht ein einziges Mal ins Gesicht sah, noch dass der Preis, auf den sie sich einigten, viel zu gering war – selbst für normale Verhältnisse. Hier, wo sämtliches Vieh sofort von den Bestien gerissen wurde, hätte es ein Vermögen einbringen können. Anscheinend hatte der Handel für Jäger noch einen anderen Wert. Vielleicht als Tribut, damit er geduldet wurde, obwohl sie ihn nicht leiden konnten.

    »Aber dass du mir ja meinen Karren wiederbringst, hörst du?«, rief Jäger dem Fleischer hinterher. »Sonst bist du der Nächste, der auf ihm landet!«

    »’türlich«, knurrte der Mann, ohne sich umzudrehen.

    Das Grinsen noch auf dem Gesicht, wandte sich Jäger zu ihnen um. »Ihr habt wirklich brav gewartet. Ihr gehört zu den wohlerzogenen Schoßhündchen. Was wollt ihr?«

    Crop hörte, wie Kripschnik beim Anblick des Gesichts die Luft durch die Zähne einsog.

    Er stockte ebenfalls. Anscheinend hatte Crops Informant sich einen Scherz erlaubt und ihn absichtlich glauben lassen, bei Jäger handele sich um einen Mann. Oder hatte er es selbst automatisch angenommen? Jedenfalls war das vor ihm eine Frau – noch dazu eine, die er kannte.

    Ihre Haare waren so raspelkurz wie die eines Jungen, bei dem Läuse entdeckt worden waren. Die Augen, dunkel umschattet und tief liegend, besaßen einen unheimlichen Glanz, der Crop an Fieberwahn erinnerte. Und quer von einer Schläfe bis hinunter zum Kinn verlief eine dicke, schartige Narbe, die sich beinahe schwarz von ihrer dunkelbraunen Haut abhob und einen ihrer Mundwinkel permanent nach unten zog – trotz ihres gehässigen Grinsens. Es kostete Crop all seine Selbstbeherrschung, keine Miene zu verziehen und den Blick nicht abzuwenden.

    »Elisabeth … Elisabeth Sreiner?«, fragte er verblüfft.

    Ihre Belustigung erlosch, als hätte er sie ausgetreten. »Diesen Namen habe ich abgelegt. Jäger ist es jetzt.«

    Ihre Stimme war so rau, als hätte sie in ihrem Leben schon zu viel geschrien. Hätte er es nicht gewusst, hätte er nicht geglaubt, dass sie erst knapp über zwanzig Jahre alt war. Aber er wusste es. Er kannte ihr Alter genauso gut wie das Haus, in dem sie aufgewachsen war, und die Spiele, die sie mit den anderen Kindern gespielt hatte.

    Das hier war einer der seltenen Momente, in denen er froh war, so viel Übung darin zu haben, den eigenen inneren Aufruhr zu unterdrücken. Er zwang sich, ihr weiterhin ins Gesicht zu sehen, als gäbe es dort nichts, was ihn irritieren könnte. Als hätte sie die Narbe schon immer besessen.

    Sie schien es nicht gewohnt zu sein, dass ihr jemand offen ins Gesicht sah. Mehrfach flackerte ihr Blick fort und dann wieder zu ihm zurück, bevor sie kaum merklich die Schultern versteifte und ihn musterte.

    »Dich kenne ich doch«, stellte sie fest. »Bist du nicht der Welpe von diesem … Crop? Der ach so wichtige General, der sich nur alle paar Monate mal hat blicken lassen, um nach seinen Söhnen zu sehen? Theodemus, oder?«

    Crop gab den Soldaten ein Zeichen. Augenblicklich formierten sie sich rings um die ledergewandete Gestalt. Die Männer waren immerhin professionell genug, um sie anzusehen – zumindest ihre Körperhaltung zu beobachten, von der die potenzielle Bedrohung ausging. Doch auch sie vermieden es, ihr direkt ins Gesicht zu sehen.

    »Seine Majestät, der König, hat einen Auftrag für dich.«

    »Und den unterbreitet man, indem man die Beauftragte umstellt wie eine Gefangene?«

    »Solltest du ihn ablehnen, wirst du festgenommen wegen unerlaubter Wilderei in den Wäldern des Königs.«

    Sie besaß genug Humor, um zu lachen. Doch es klang hämisch, freudlos. »So dankt er es einem also, wenn man die Bestien von seinem Volk fernhält.«

    »Der Wald ist Eigentum der Krone. Entwendung von Besitz aus –«

    »Ach, es sind seine Bestien? Kommen sie zu ihm, wenn er pfeift?«

    »– kann mit Zwangsarbeit in den Minen bestraft werden. Mit dem Tod, wenn du dich uns widersetzt.«

    »Wirklich sehr charmant.« Sie verengte die Augen und musterte Crop. »Dein Vater ist doch so ein hohes Tier, vermutlich kennst du unseren Beruhigungsmittel-abhängigen König Calaith den Zweiten sogar persönlich. Droht er immer, bevor er bittet?«

    Sie stolperte nach vorn, als Pittaras’ Hieb sie in den Rücken traf. »Mehr Respekt –«

    Sie war schneller zu ihm herumgewirbelt, als Crop es für möglich gehalten hätte, mit einem Dolch in der Hand. »Red du nicht von Respekt!«, fauchte sie. »Macht es dir Spaß, Frauen zu schlagen?«

    »Eine Frau?« Pittaras schaffte es irgendwie, sie zu verhöhnen, ohne ihr einen direkten Blick zuzuwerfen. »Was an dir ist denn überhaupt noch weiblich? Sieh dich doch mal an: keine Haare und in Hosen. Das, was du bist, ist widernatürlich!«

    »Pittaras, halt den Mund.« Crops Tonfall war ruhig genug, bedrohlich genug, um Pittaras augenblicklich in seine Soldatenrolle zurückkehren zu lassen. Seine Haltung wurde steif, auch wenn seine Miene weiterhin Verachtung ausdrückte. Crop machte sich eine mentale Notiz. Pittaras würde die Gruppe verlassen müssen. Er brauchte eine perfekt funktionierende Einheit, keinen Kindergarten.

    Jäger pfiff durch die Zähne. »Wirklich erstaunlich gut dressierte Schoßhündchen«, bemerkte sie und steckte den Dolch weg, die Beleidigung anscheinend schon wieder vergessen. »Also, spuck’s aus, großer Anführer. Um was für einen Auftrag geht’s?« Sie wandte sich wieder zu Crop um.

    Erneut traf ihn der Anblick dieser grauenhaften, fleischigen Narbe unvorbereitet. Vor einem halben Leben hatten sie zusammen in einem Dorf gelebt, viele Tagesreisen von hier entfernt, an den Ausläufern eines anderen, harmloseren Waldgebietes, des Grauen Waldes. Damals hatten sie alle für ein hübsches, bezauberndes Mädchen gehalten. Mit nach allen Seiten abstehenden dichten Locken, die bei jedem Schritt fröhlich wippten, wenn sie rannte. Mit kleinen, zarten Händen, die für das Finden von seltenen Heilkräutern bekannt waren. Und einem Lieblingskleid, das so rot gewesen war, dass es in den Augen brannte, und man gar nicht anders konnte, als ihr hinterherzustarren.

    Irgendwann einmal.

    Jetzt starrten die Leute nicht mehr. Jetzt sahen sie ihr überhaupt nicht mehr ins Gesicht, wenn sie ihr das Fleisch abkauften, das sie so bitter benötigten. Jetzt brachten die heilenden Hände den Tod.

    »Es wurde eine Truppe zusammengestellt, um die schlafende Prinzessin im Dunklen Wald zu wecken. Du sollst Teil dieser Truppe werden.«

    »Ah. Die schlafende Prinzessin in ihrem Turm, das große Mysterium. Welche armen Schlucker werden denn auf diese Todesmission geschickt?«

    »Sie werden als Helden in die Geschichte eingehen. Sie könnten die Rettung bringen.« Worte, die fahl auf seiner Zunge schmeckten, weil er sie schon zu oft gesagt hatte.

    »Gegen die Bestien? Sie werden die ersehnte Rettung nie erreichen, weil sie selbst auf dem Weg dorthin draufgehen werden. Es geht in das Herz des Dunklen Waldes!«

    »Es nehmen nur die besten Soldaten mit besonderer Kampfausbildung teil.«

    Sie lachte. »An was für Bestien wurden sie ausgebildet, dass sie dann immer noch leben und freiwillig in den Wald ziehen?«

    Das Abstoßende an ihrem Gesicht war nicht unbedingt die Narbe, befand Crop. Es war mehr ihre Ausstrahlung, die Art, mit der sie die Narbe wie eine kostbare Trophäe zur Schau stellte. Und sicherlich hatte sie sich nicht aus Langeweile die Haare abrasiert und den Rock gegen Hosen getauscht. Nein, das alles war Teil einer bewussten Abschreckung, einer Warnung. Ein Blick in ihr Gesicht war, als würde sie einen anspucken: Ich halte mich nicht an Regeln. Bleib weg.

    »Wie viele Soldaten?«

    »Fünfundzwanzig.«

    »Mehr würde ich auch nicht schicken, wenn ich davon ausgehen muss, dass niemand zurückkehrt.«

    »Es soll eine unauffällige Mission bleiben. Wenn eine ganze Armee in den Wald marschiert, würde das auffallen.«

    »Du meinst, es soll niemand wissen, wie verzweifelt die Lage ist, dass man die Hoffnung jetzt schon auf vage Legenden setzen muss«, korrigierte sie ihn. »Ich nehme an, ich soll mich sowohl um sämtliche Bestien als auch um den Drachen kümmern, der die liebliche Prinzessin bewacht?«

    »Man sagt, du hättest Erfahrung mit Drachen.«

    »Nicht nur mit den menschlichen, ja.«

    »Du kommst mit und tötest ihn und die Bestien. Das sind deine einzigen Aufgaben, aus allem anderen hältst du dich heraus.«

    »Fürchtet der Thronhocker etwa, ich könnte die Prinzessin mit einem Kuss erwecken wollen?«

    »Wenn du den Auftrag wie abgemacht erfüllst, wirst du im Anschluss eine offizielle Genehmigung fürs Jagen erhalten.«

    Er konnte sich genau an den Tag erinnern, an dem sie vollkommen aufgelöst aus dem Grauen Wald zurückgekommen war, wo sie den zerfetzten Körper ihrer Schwester Claire gefunden hatte. Später berichteten ihr Vater und ihr älterer Bruder, dass sie ab dem Tag der Wahnsinn überkommen hätte. Sie redete nur noch von einem Wolf mit gefährlichen Zähnen und hungrigem Atem, der sie und ihre Schwester angefallen hatte – obwohl alle wussten, dass sich ein einzelner Wolf selten an so große Beute wagte und es keine Wolfsspuren in der Nähe des Dorfes gab. Und dann war sie von einem Tag auf den anderen verschwunden und man munkelte, sie hätte nichts als ein Küchenmesser mitgenommen.

    Dieser Wahnsinn funkelte auch jetzt noch in ihren Augen. »Dein König kann mich mal.«

    »Was?«

    Sie lächelte, doch es sah schmerzhaft aus. »Dein König ist ein Arschloch. Du weißt das. Und dennoch lässt du zu, dass er dich ebenfalls zu einem macht.«

    Mehrere Hände wanderten an die Schwertgriffe. »Das ist Hochver–«

    »Keiner zieht seine Waffen!«, befahl Crop. So weit würde es noch kommen, dass sie sich aufspießen ließ, bevor die Mission überhaupt begonnen hatte! »Du solltest besser lernen, deine Zunge zu hüten«, fügte er an Jäger gewandt hinzu.

    »Oder ihr, weniger empfindlich zu sein! Dieser dumme Drachenkampf wird mich möglicherweise ohnehin das Leben kosten – wenn nicht schon die Reise dorthin, verdammt! Und was aus den Leuten hier in Kol oder den Nachbardörfern wird, wie die sich ernähren sollen, ist wohl auch scheißegal! Soll ich da etwa in Lobeshymnen auf diesen königlichen Spinner ausbrechen?«

    »Also nimmst du den Auftrag an?«

    »Ich habe nicht herausgehört, dass ich eine Wahl hätte!«, stieß sie hervor und marschierte, ohne zu zögern, aus dem Ring der Soldaten heraus, an Crop vorbei.

    Er wusste nicht, was ihn dazu bewog, nach ihrem Arm zu greifen. Ebenso wenig, wie sie es schaffte, derartig schnell zu ihm herumzuwirbeln und ihm eine Dolchklinge an den Hals zu drücken. Falls er noch einen Beweis gebraucht hatte, dass sie wusste, was sie tat, war es dieser: Der Dolch presste sich genau gegen seine Halsschlagader.

    »Fass mich nicht an!« Die Worte waren so gepresst, dass sie kaum verständlich waren. »Niemals!«

    Ihre grausame Narbe war ihm unangenehm nah. Ebenso wie ihre Augen, die in den Schatten wie kleine Kohlestücke glommen.

    Er ließ ihr Handgelenk los. Im gleichen Moment, in dem eine Faust ihre Schläfe traf und sie zu Boden warf. Der Dolch schlitterte aus ihrer Hand, doch sie kam sofort wieder auf die Knie, fluchend und kampfbereit. Die Männer umstellten sie, schienen ebenso gewillt, die Situation ausarten zu lassen. Einer von ihnen fischte provozierend langsam ihren Dolch vom Boden.

    »Zurück!«, befahl Crop der Truppe. »Rührt sie nicht an! Wir brauchen sie.« Er konnte kaum sagen, auf wen er wütender war: auf diesen unfähigen Haufen oder auf sich selbst, weil er nicht hatte verhindern können, dass sie ihm eine Klinge an die Kehle gedrückt hatte.

    Nur konnte er sich den aufwallenden Zorn nicht leisten. Er erstickte ihn sofort wieder, bevor dieser es mit ihm tun konnte.

    Stattdessen trat er vor, streckte Jäger die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. »Tut mir leid. Ich entschuldige mich für mich und meine Männer.«

    Doch sie spuckte lediglich rotes Blut in den Staub und ignorierte seine Hand. Lieber kam sie allein auf die Füße.

    Natürlich. Fass mich nicht an, hatte sie gesagt.

    Unwillkürlich fragte sich Crop, was sie wirklich fürchtete. Ob es überhaupt ein Wolf gewesen war, der sie damals im Wald angefallen hatte.

    Kapitel 2

    Als sie sich abends wieder zum Essen niedersetzte, hörte sie ein Brüllen wie von einem wilden Tier, und sie zitterte, als das Biest erschien.

    Die Schöne und das Biest

    Diese verdammten Dummköpfe! Mit zusammengepressten Lippen sah Jäger den Männern zu, wie sie den Weinschlauch von einem zum anderen weiterreichten und das Fleisch aßen, das über dem Feuer briet. Zu laut, zu hell, zu geruchsintensiv. Es hätte kaum etwas Besseres geben können, um die Bestien aus der Nacht zu locken. Nur weil es einen Abend gut gegangen war, hieß das nicht, dass es das einen zweiten würde. Oder einen dritten.

    Dummköpfe. Je weiter sie in den Dunklen Wald vordrangen, desto gefährlicher wurde es.

    »Ich soll meiner Tochter eine der legendären Rosen rund um den Turm mitbringen.« Gallan, das Gesicht schmal und lang wie der Rest seines Körpers, reichte den Weinschlauch an den Mann rechts von ihm weiter. Kripschnik. Er war kleiner als Gallan – wie eigentlich jeder – und hatte die dichten Brauen immer zu einem düsteren Runzeln zusammengezogen. Natürlich auch jetzt.

    »Frauen«, kommentierte er lediglich.

    »Ja, nicht wahr?«

    »Sie scheinen zu glauben, wir wären zum Vergnügen hier und nicht auf einer gefährlichen Geheimmission.«

    »Hey – immerhin geht es um eine wunderschöne schlafende Prinzessin, die nur darauf wartet, durch einen Kuss erlöst zu werden! Was macht da schon der Drache, der sie bewacht?«

    »Meine Frau hat gesagt, ich soll ihr eine Schuppe von ihm mitbringen«, brummte Bragg in seinen Bart. »Sie will sie als Brosche tragen. Als hätte ich nichts Besseres zu tun, wenn ich diesem Biest gegenüberstehe!«

    »Wirklich? Das wollte meine Amelie auch!«

    »Na toll. Und am Ende trägt sie keine von beiden, weil sie ja unmöglich das Gleiche tragen können!«

    Alle lachten.

    Als würden sie auch nur einen Finger gegen den Drachen krümmen. Als wäre das nicht der Grund, warum Jäger überhaupt zur Teilnahme gezwungen war. Die einzige Frau unter vierundzwanzig Männern. Die einzige unter diesen Dummköpfen mit einer Ahnung, was auf dem Spiel stand.

    »Mindestens jeder zweite von euch wird nicht zurückkehren«, entfuhr es ihr. »Vielleicht solltet ihr lieber absprechen, was die Überlebenden von euren Leichen als Andenken mitnehmen sollen.«

    Die Blicke schnellten zu ihr – und zuckten augenblicklich zurück. Wichen vor ihrem Aussehen zurück, schafften es nicht, sie länger als einen Herzschlag lang zu fixieren.

    »Vielleicht solltest du uns sagen, was wir von dir mit zurückbringen sollen«, spottete Olver beiläufig, während er sich die dicht gelockten Haare zurückband. Von seinem Handrücken zog sich eine dicke, schimmernde Narbe den Arm hinauf, sein kleiner Finger schien steif zu sein. »Jeder Einzelne von uns hat in mehr Schlachten gekämpft, als du Jahre zählst!«

    »Und wie viele davon gegen Bestien?«

    »Aber du, ja?« Kripschnik spuckte aus. »Was willst du denn dem Drachen entgegensetzen? Dein Gesicht und hoffen, dass er vor Schock tot umfällt, oder was?«

    »Etwa so, wie es dir jedes Mal bei meinem Anblick ergeht, du Held?«

    »Wenn ich ein Gesicht hätte wie du, würde ich mich nicht einmal mehr auf die Straße wagen – geschweige denn, es noch zur Schau stellen!«

    »Wenn ich einen Verstand hätte wie du, würde es mich wundern, wenn ich überhaupt die Straße fände!«

    Mit wilden Flüchen sprangen fünf von ihnen auf. Griffen nach den Schwertern an ihren Gürteln und zogen sie doch nicht. Stattdessen wanderten ihre Blicke unruhig zum Zelt ihres Leutnants und dann zurück zu Jäger – beziehungsweise zu einem Punkt auf Höhe ihres Kragens.

    »Ruhig Blut, Männer«, brummte Bragg. Er war der Einzige, der weiterhin unbeeindruckt an seinem Fleisch kaute. »Ihr wisst, was der Leutnant gesagt hat. Sie ist vom König selbst für diese Mission ausgewählt – oder besser gesagt: an die Kette gelegt. Lasst sie einfach fauchen, sie tut keinem was. Aber sobald wir Hand an das Raubkätzchen legen, sind wir es, die bestraft werden. Denkt an Pittaras.«

    Sie hasste ihn für diesen Kommentar. Inbrünstig. So sehr, dass sie versucht war, zu Crops provisorischem Zelt jenseits des Feuerscheins hinüberzustapfen und ihn aus seinem friedlichen Schlaf zu reißen. Er glaubte also, sie bräuchte diese Art von Fürsprache, ja? Verdammt sollte er sein! Sie brauchte niemandes Hilfe!

    Jäger konnte nichts tun, als hilflos zuzusehen, wie sie sich alle einer nach dem anderen wieder setzten. Verdammt. So bekam sie sie nicht genug gereizt – nicht so wie diesen Pittaras, den Crop noch vor Beginn der Mission aus der Gruppe geworfen hatte – und erhielt nicht den Kampf, die Warnung, die Zurschaustellung ihrer Fähigkeiten, die sie so dringend brauchte, um sie wirklich, wahrhaftig auf Abstand halten zu können.

    Genervt bückte sie sich nach ihrem Köcher, streifte ihn sich über den Kopf und den Bogen über die Schulter und stand auf. Wandte dem Feuer den Rücken und dem nachtverhüllten Wald das Gesicht zu.

    »Ey, was hast du vor?« Gallans Stimme.

    »Das Raubkätzchen verabschiedet sich für ein paar Stunden zu einem Spaziergang.«

    »Der Leutnant hat gesagt, wir dürfen uns unter keinen Umständen vom Lager entfernen.«

    »Höre ich da etwa Panik? Ihr werdet doch wohl ohne mich zurechtkommen, so kampferprobte Leute wie ihr.« Sie zerrte das dünne Seil aus ihrer Hosentasche, befestigte es an der dafür vorgesehenen Schlaufe an ihrer Hüfte und kontrollierte die Klingen in ihren Stiefeln, ihren Ärmeln, an ihrem Gürtel. Dann, ohne auf eine Antwort zu warten, trat sie zwischen die hohen Bäume, wo das Zikadenorchester sie empfing und sich die Dunkelheit wie ein Mantel auf ihre Haut legte. Sie begann zu rennen.

    Sie rannte, bis das Blut in ihren Adern prickelte und sie den kräftigen Herzschlag spürte. Rannte, bis sich ihre Füße vom Boden lösten und ihr Verstand mit dem Wald verschmolz. Rannte, bis sie nichts als die Herausforderung auf der Zunge schmeckte. Bis sich ihre Leere mit dem Rhythmus des Jagens füllte.

    Dann erst wurde sie langsamer, passte ihren lauten Atem wieder dem Wispern der Blätter und den Geräuschen der Wildnis an. Hielt Ausschau nach einer von ihnen. Einer Bestie.

    Die erste, die sie fand, hatte Maul und Vorderhuf in einen schmalen Bach getaucht. Gigantische Hörner wölbten sich aus ihrem Schädel, der Rücken war ungestalt, bucklig, zu mächtig für die Hinterbeine. Die meisten hatten Ähnlichkeit mit gewöhnlichen Tieren, doch irgendetwas an ihnen sah immer falsch aus, war zu viel oder schien zu einer anderen Tierart zu gehören. Früher, als die Ausbreitung der Bestien gerade begonnen hatte, hatte man versucht, sie in Kategorien zu sortieren und ihnen Namen zu geben. Ein Unterfangen, das man längst aufgegeben hatte. Es gab zu viele von ihnen und zu wenige Menschen, die eine Begegnung überlebten. Was zählte, war die Unterteilung in Fleisch- und Pflanzenfresser – und die würde Jäger erst treffen können, wenn sie einen Blick auf das Gebiss geworfen hatte.

    Lautlos streifte Jäger Köcher und Bogen ab und hängte sie über den nächstbesten Ast. Nur das Seil, das Biest und sie. Für diese Nacht ging es nicht ums Töten, es ging nur um den Kampf, ums Siegen. Ja, es war gefährlich, Jäger hatte aufgehört zu zählen, wie oft ihr Leben schon am seidenen Faden gehangen hatte, sie hatte so ziemlich alles einmal durchgemacht. Gebrochene Knochen, eitrige Wunden, Gift, das sie tagelang im Delirium hielt. Lediglich die Unruhe hatte sie bisher verschont. Diese Krankheit, die manchmal bei einem Bestienangriff übertragen wurde und einen selbst vorübergehend zur Bestie mutieren ließ – zur Wer-Bestie –, wann immer einen heftige Emotionen überkamen. Dabei wusste Jäger nicht einmal, wie die Unruhe übertragen wurde, wie sie sich dagegen hätte schützen – oder es provozieren – können. O ja, jede Begegnung mit solch einer Kreatur war ein Spiel mit dem Feuer, ein Tanz mit dem Tod.

    Und das Einzige, was Jäger am Leben hielt.

    Sie prüfte die Windrichtung, bevor sie sich an das Biest heranpirschte, eins mit der Nacht und den Schatten. Moos und Farne gaben unter ihren Sohlen nach. Sorgsam achtete sie darauf, sich durch kein Geräusch zu verraten, nicht die tief hängenden Zweige zu streifen. Ein Schritt, noch einer. Vorsichtig bewegte sie sich die leicht abfallende Böschung hinab, hinunter zu dem träge fließenden Bach. Ein falsches Aufsetzen und sie würde abrutschen, sich verraten. Jäger machte sich kleiner, duckte sich, sodass der massige Körper des Ungeheuers sie vor seinem Sichtfeld abschirmte. Noch immer hatte es den Kopf zum Trinken gesenkt. Es würde gar nicht wissen, wie ihm geschah, bevor Jäger sich auf seinen Rücken geschwungen hatte und das Seil –

    Das gigantische Biest hob den Kopf und lauschte. Auch Jäger erstarrte. Sie hatte es ebenfalls gehört. Ein Knacken, das nicht von ihr stammte. Ein Bereich hinter ihr, in dem der Zikadenchor verstummte.

    Mit einem panischen Schnauben stob der Koloss vor ihr durch das flache Bachbett davon, verteilte Wasser in alle Richtungen. Instinktiv ließ sich Jäger flach auf den Boden fallen. Spürte den Aufprall vor Schreck kaum, denn nur einen Herzschlag später flogen scharfkrallige Pfoten über sie hinweg.

    Davor war die andere Bestie also geflohen.

    Sie war kaum rechtzeitig auf den Füßen, bevor der Angreifer zu ihr herumfuhr. Fuchsartige, große Ohren, zwei buschige Ruten und ein für die Größe widersinnig schlanker, filigraner Körper waren alles, was Jäger erfassen konnte, ehe sie erneut einem Sprung ausweichen musste und sich zur Seite warf. Nicht einmal ein Knurren, keine Vorwarnung! Zähne schnappten nach ihren Beinen. Sie rollte sich weg, rappelte sich auf, zog einen Dolch aus dem Stiefel – und die Pfotenkrallen schlitzten ihr die Seite auf.

    Jäger schrie. Sie hieb mit dem Dolch nach dem Biest, erwischte es jedoch nicht und musste stattdessen den schnappenden Kiefern ausweichen. Keuchend krabbelte sie rückwärts, trat nach allem, was sie erreichen konnte. Vergeblich. Ein weiterer Satz und die Bestie war über ihr. Speichel tropfte Jäger ins Gesicht. Blind trieb sie den Dolch nach oben, versenkte ihn irgendwo zwischen Hals und Schulter.

    Eine Sekunde. Mehr brachte es ihr nicht. Eine Sekunde, in der der Schmerz die Bestie zum Innehalten brachte – lautlos, auch jetzt noch. Jäger stieß sie mit aller Kraft von sich. Gleichzeitig rappelten sie sich auf, prallten erneut gegeneinander. Sie rollten über den Boden. Wurzeln und Äste schabten über Jägers Haut, bis sie endlich in seinen Rücken gelangte, den Arm um den Hals ihres tierischen Gegners schlang und mit den Fingern seine Kehle umklammerte. Er warf sich herum und Jäger stöhnte auf, als sie unter seinem Gewicht zu liegen kam. Doch sie ließ nicht los. Drückte. Und die Bestie kämpfte sich auf die Füße, versuchte sie abzuschleudern, sie zwischen sich und einem Baum zu zerquetschen. Jäger schnaufte. Bohrte auch noch die Finger der anderen Hand in das dichte Fell. Schaffte es, ein Bein über den Rücken zu bekommen.

    Und dann saß sie, saß auf der Bestie. Sosehr diese sich auch wand und nach ihr schnappte, sie bekam sie nicht zu fassen.

    Der Triumph, die Erleichterung trieb Jäger das Lachen auf die Lippen. Die lautlosen Raubtiere waren immer die gefährlichsten. Und doch hatte sie es geschafft. Hatte gesiegt.

    Mit der einen Hand tastete sie umständlich nach dem Seil an ihrem Gürtel, löste es und schüttelte es aus, bis sie die vorgefertigte Schlaufe fand. Sie warf sie der Bestie um den Hals, während ihr Herzschlag ihr in den Ohren hämmerte und sie daran erinnerte, dass sie am Leben war. Immer noch.

    Sie zog die Schlaufe fester und verharrte mehr liegend als sitzend auf der Bestie, lauschte deren heftigen Atem. Langsam, ganz langsam kam das Tier zur Ruhe, akzeptierte seinen vorübergehenden Reiter.

    Mit einem Ruck zog sie den Pfeil aus dem Hals der letzten gedrungenen, affenartigen Bestie und starrte in die Schatten zwischen den hohen Bäumen. Dort, wohin die Mittagssonne nicht vordrang und wo noch immer das Echo des letzten panischen Wieherns festhing.

    Jetzt war es still, gespenstisch still. Und sie hatten zwei Pferde weniger.

    »Jäger?«

    Crop stand neben ihr. Die anderen Männer hatten sich in einiger Entfernung zusammengeballt, diskutierten wild und warfen immer wieder wütende Blicke in Jägers Richtung. Die natürliche Reaktion auf einen Schock, auf die Ohnmacht gegenüber dem plötzlichen Angriff – die Erkenntnis, dass Jäger doch recht hatte und sie nicht.

    »Das muss aufhören.« Die Wunde über dem Schlüsselbein, die Crop seit ein paar Tagen hatte, war wieder aufgegangen. Das Blut durchnässte sein Hemd, glitzerte bedrohlich rot. Trotzdem wirkte er im Gegensatz zu seiner Truppe ruhig und gefasst, als wäre lediglich ein stärkerer Luftzug über sie hinweggefegt.

    »Es ist nicht meine Schuld, dass wir zwei Pferde verloren haben. Ich hatte euch gewarnt.«

    »Das ist mir klar.«

    »Ach.« Jäger wandte sich zu ihm um und grinste kalt, zeigte ihm die Zähne, wie es ein Raubtier getan hätte. »Und was zieht ihr für Konsequenzen daraus? Auch jetzt seid ihr wieder zu laut, zu nachlässig! Wer außer mir beobachtet die Umgebung? Wer sorgt dafür, dass wir möglichst schnell weiterkommen, bevor sie zurückkehren und sich Nachschub holen? Oder die Kadaver der Bestien noch andere, größere Bestien anlocken? Ich meine – schön, mein Problem ist es nicht. Wenn ihr alle draufgegangen seid, kann ich diese verdammte Mission wenigstens abbrechen und wieder zurückkehren.«

    Wortlos drehte sich Crop um und gab den anderen Männern nacheinander mehrere Handzeichen: sammeln, weiterreiten. Sofort.

    »Besser?«

    »Wie wäre es mit einem Danke?«, schlug sie vor und wischte den blutigen Pfeil am Fell der Affen-Bestie ab. Während sie ihn zurück in den Köcher schob, ließ sie erneut den Blick über die Schatten zwischen den Bäumen streifen. Keine Spur von einer Bestie. Auch nicht von dem übergroßen fuchs- oder mähnenwolfähnlichem Exemplar, das sie seit dieser einen Nacht häufiger gesehen hatte.

    »Wie wäre es mit weniger Arroganz? Ich bin dein

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