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Die Fraktionen - Naturale
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eBook311 Seiten3 Stunden

Die Fraktionen - Naturale

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Über dieses E-Book

Anira und Tamon gehen ihren Leben aus unterschiedlichen Gründen aus dem Weg. Anira hat gelernt, sich aus Angst vor ihren Gaben zu verstecken. Tamon hat von den Regeln seiner Fraktion, den Naturalen, die Nase voll und meidet sie. Sie entdecken eine Bedrohung, die weit über das Leben eines Einzelnen hinausgeht. Um den Splitter, ihre Heimat, zu retten, müssen sie sich nicht nur ihren Ängsten stellen, sondern auch den Gefahren tief in der Wildnis begegnen.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum15. Mai 2022
ISBN9783969370919
Die Fraktionen - Naturale

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    Buchvorschau

    Die Fraktionen - Naturale - LiSa U. Fantasy

    LiSa U. Fantasy

    E-Book, Originalausgabe, erschienen 2022

    1. Auflage

    ISBN: 978-3-96937-091-9

    Copyright © 2022 LEGIONARION Verlag, Steina

    www.legionarion.de

    Text © LiSa U. Fantasy

    Coverdesign: © Marta Jakubowska, LEGIONARION Verlag

    Umschlagmotiv: © shutterstock 599571695

    Landkarte: © Sabine Wolf Art

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

    Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

    detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten dieses Buchs sind frei erfunden.

    Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv, nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

    ©LEGIONARION Verlag, Steina

    Alle Rechte vorbehalten

    http://www.legionarion.de

    Der LEGIONARION Verlag ist ein Imprint der Invicticon GmbH

    E-Book Distribution: XinXii

     www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Das Buch

    Anira und Tamon gehen ihren Leben aus unterschiedlichen Gründen aus dem Weg. Anira hat gelernt, sich aus Angst vor ihren Gaben zu verstecken. Tamon hat von den Regeln seiner Fraktion, den Naturalen, die Nase voll und meidet sie. Sie entdecken eine Bedrohung, die weit über das Leben eines Einzelnen hinaus geht. Um den Splitter, ihre Heimat, zu retten müssen sie sich nicht nur ihren Ängsten stellen, sondern auch den Gefahren tief in der Wildnis begegnen.

    Inhalt

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36

    Kapitel 37

    Kapitel 38

    Kapitel 39

    Kapitel 40

    Kapitel 41

    EPILOG

    Kapitel 1

    Das Dröhnen der Menge klang im Inneren des Gebäudes wie das nie enden wollende Gebrüll einer riesigen Kreatur. Durch das Fenster sah ich die Akteure draußen, wie winzige Ameisen über die Bühne des Forums laufen. Die großen Langhäuser der Vigiér standen zu weit weg, um sie wirklich gut zu sehen. Sie wurden zu Schankräumen umfunktioniert, wenn die Spiele stattfanden. Die Splitterspiele waren für alle eine willkommene Abwechslung zu der alltäglichen Arbeit auf den Feldern. Außerdem schmeckte das Bier besser als in den Tagelöhnerblocks. Die Vigiér wahrten das Gleichgewicht in den Splittern, jene Siedlungen der Menschen, die den stabilsten Lebensraum darstellten. Sie sorgen dafür, dass die Wildnis sich keine Gemeinschaft einverleibte. Und sie organisierten die Spiele. Eigentlich der Grund, warum ich eher selten hierherkam. Ich zeichnete mit meinen Fingern die Furchen im Holztisch nach und beobachtete die anderen Gäste. Dort wurde laut über die aktuelle Bestenliste diskutiert.

    »Die Rothaarige, die wird es schaffen. Glaub mir, Ende des Jahres wird die aufgenommen.«

    »Aber nur, wenn sie Glück hat. Ich wette meinen besten Schnaps auf den Starken.«

    »Du unterschätzt die Rothaarige. So leichtsinnig hätte ich meinen Besten nicht verschenkt, aber ich bin dabei!«

    »Ihr habt doch beide keine Ahnung. Der Drahtige, der wird am Ende an Euren Favoriten vorbeiziehen und gewinnen.«

    Die vier Fraktionen leiteten die Splitter und hatten in ihnen das Sagen. Die meisten Freien träumten insgeheim davon, bei einer von ihnen aufgenommen zu werden, nur würde das niemand zugeben. Es war der Traum vieler, etwas Besonderes sein zu wollen. Ich hatte daran nie Interesse gezeigt, im Gegenteil. Mein ganzes Leben lang machte ich einen großen Bogen um sie. Ich war eine Laune der Natur und somit eine Gefahr für jede Gemeinschaft. Ich galt als Unglücksbringerin. Ein Omen, dass ein Splitter bald von der Wildnis verschlungen würde. Da half es auch nicht, dass ich schon seit vier Jahrzehnten versteckt hier lebte. Sie würden mich, ohne zu zögern, verjagen oder töten. Ich verstand die Menschen im Splitter sogar, da ich mit derselben Angst großgezogen worden war. Um nicht aufzufallen, nahm ich nie an den Gabentrainings teil.

    Jeder Freie sollte damit die Möglichkeit erhalten, seine Gaben auszuloten und neue Ausprägungen zu finden. Außerdem wechselte ich regelmäßig die Tagelöhnerblocks, jene Wohngemeinschaften in den Splittern, die keiner Fraktion direkt angeschlossen waren. Tagelöhner waren eine kleine eingeschworene Gemeinschaft, wie es die Blocks der Freien in den Bereichen der Fraktionen ebenso waren. Es gab wenig Berührungspunkte miteinander. Ich schloss keine festen Freundschaften und blieb immer allein. Und jetzt, nachdem ich alt geworden war, fragte ich mich, wofür das Ganze. Wofür hatte ich die letzten sechzig Jahre gelebt? Im Grunde saß ich schon seit Jahren meine Zeit ab und wartete auf das Sterben. Hier im Trubel hing ich meinen trüben Gedanken nach und betäubte sie mit Alkohol.

    »Ist der Platz noch frei?«

    Eine angenehm tiefe Stimme riss mich aus dem Grübeln. Vor mir stand ein Hüne, mindestens einen Kopf größer als alle anderen im Raum. Er war schlank, eher drahtig und besaß ein kantiges Gesicht. Mit einer Narbe über der rechten Gesichtshälfte wirkte er bedrohlich. Seine glasklaren blauen Augen sahen mich weiter an. Er wirkte wie ein Tagelöhner. Gestaltwandler. Ich wusste Dinge, die ich nicht wissen konnte. Das war schon immer so. Doch was suchte ein Natural hier? Die Gestalt zu verändern, war ihre Gabe. Es gab keine Gestaltwandler unter den Freien.

    »Und?«

    Ich senkte instinktiv den Blick und nickte nur stumm, während er sich niederließ.

    »Tamon.«

    Ich benötigte einen Moment, bis ich verstand, dass er sich mir vorgestellt hatte.

    »Miriam.«

    Ein kurzes Lächeln und er starrte aus dem Fenster auf den Platz dort unten. Alles an ihm wirkte angespannt. Seine Kieferknochen standen hervor und seine Hände hielten den Krug derart fest, dass ich das Weiß der Knöchel sah. Trotzdem konnte ich nicht wegsehen. Warum mischte sich ein Natural unter die Tagelöhner? Und setzte sich zu mir? Mein Herz schlug heftiger und ich betrachtete die Menschen hier im Raum. Alle schienen in Gespräche vertieft, trotzdem fühlte ich mich beobachtet. War ich nach all den Jahren aufgeflogen und der Natural kam, um mich zu holen? Aber warum beunruhigte mich das noch so? Zum Weglaufen war ich zu alt und zu müde.

    »Was für eine Herabwürdigung der Gaben, die diese Menschen bekommen haben.«

    Überrascht sah ich wieder in die Richtung des Natural. Sprach er mit mir?

    »Wie bitte?«

    »Nichts. Hab nicht mit dir geredet, Alte.«

    »Und mit wem dann? Für laute Selbstgespräche ist es hier ein wenig voll, Jungchen.«

    Ich sprach, ohne darüber nachzudenken, und nun fixierte mich mein Gegenüber. Als er zu lächeln begann, verlor er seine Bedrohlichkeit. Er wirkte sympathisch, aber ich ließ mich nicht einlullen. Er war ein Natural und das bedeutete Ärger, wenn er meinetwegen hier war.

    »Du hast Recht, entschuldige. Ich sollte leiser mit mir selbst reden.«

    »Das machen nur Alte und Schwachsinnige. Du siehst nicht so aus. Muss aber nichts heißen«, erwiderte ich bissig. Warum hielt ich nicht einfach meinen Mund? Um mich nicht weiter in Schwierigkeiten zu bringen, trank ich einen großen Schluck und starrte demonstrativ zur Bühne. Ich sollte lieber gehen, damit der Natural mich vergaß. Mit zwei weiteren Zügen leerte ich meinen Krug und stand schwankend auf. Erst jetzt spürte ich die Wirkung des Alkohols.

    »Alles in Ordnung?«

    »Passt schon. Zu viele Krüge. Man sollte erwarten, dass einen das Alter klüger macht. Tut es aber nicht.«

    Ich winkte ab, als der Natural mir seine Hilfe anbot, zog meinen Mantel an, schnappte mir meinen Rucksack und schwankte zur Tür. Einfach nur raus hier und weg von allem. Um in die Wildnis außerhalb der Splitter zu gehen, war ich zu feige, also begnügte ich mich damit, nach draußen zu torkeln, um frische Luft zu schnappen.

    ~ * ~

    Früher hatte mich die Wildnis nicht geschreckt – im Gegenteil. Ich hatte eine Weile in ihr gelebt und es war eine gute Zeit gewesen. Doch das war Ewigkeiten her und mit dem Alter fehlte mir der Mut. Als ich das Langhaus verließ, brandete das Geschrei der Menge auf mich ein. Von hier draußen hatte ich keinen bessern Blick auf die Bühne, aber die halbkreisförmigen Stufen, die in die Tiefe führten, waren gut besetzt. Ich wankte an der Fensterfront vorbei, um auf die Rückseite des Hauses zu gelangen. Dort schirmte mich das Gebäude vor der Lautstärke ab und ich schnappte nach Luft. Ich hatte eindeutig zu viel getrunken.

    ~ * ~

    Mein Magen beruhigte sich gerade, als mich eine unsichtbare Faust traf. Ich stolperte gegen die Hauswand, überrascht von dem Angriff und dem Schmerz. Irritiert huschte mein Blick umher, doch hier war niemand. Mühsam richtete ich mich wieder auf, als die nächsten Schläge in mich einschlugen. Die Treffer trieben mich in die Knie und nahmen mir die Luft zum Atmen. Mit jedem Schlag blitzten Bilder auf. Ein grobschlächtiger Typ, der auf jemand einschlug. Ich hörte noch immer das Geschrei der Menschenmenge und spürte die Erde unter meinen Händen und doch war ein Teil von mir woanders.

    Alfonso! Meine erste große Liebe, vor der ich geflohen war, aus Angst, dass er hinter mein Geheimnis kam. Er wurde angegriffen! Dieser Kerl war gerade bei ihm und schlug ihn zusammen! Ich musste dorthin und ihm helfen. Mühsam stemmte ich mich nach oben, doch der nächste Schlag warf mich an die Wand, während ich spürte, wie Alfonsos Rippen brachen. Meine Qualen waren die gleichen. Das Atmen wurde schwerer und erzeugte bei jedem Luftholen mehr Schmerz. Nein, nein, nein! Das Leben floss langsam aus Alfonso, während der brutale Typ weiter und weiter auf ihn einschlug. Er durfte nicht sterben. Nicht so, zusammengeschlagen wie ein Tier. Die Schmerzen explodierten in meinem Kopf, bis mein Körper nachgab und ich in mich zusammensackte. Starb ich ebenfalls? Darauf wartete ich schon seit Jahren. Tränen liefen über mein Gesicht und zwischen keuchenden Atemzügen, zitterte mein ganzer Körper. Fühlte sich so der Tod an? Ich hieß ihn willkommen, denn mein ganzes Leben war ein täglicher kleiner Tod. Nun wäre es endlich vorbei.

    ~ * ~

    Da hörte ich den Klang einer Stimme, aber ich verstand die Worte nicht. Jemand oder etwas berührte mich und meine Wahrnehmung kehrte zum Teil zurück.

    »Geh weg!«

    Die Person blieb. Ich spürte, wie mir aufgeholfen wurde, doch mein Fokus lag auf Alfonso. Die Schläge hatten aufgehört und er lag blutend auf dem Boden. Die Schmerzen waren einem dumpfen Pochen gewichen und er verlor langsam das Gefühl für seinen Körper. Es war gleich vorbei und ich konnte nichts dagegen tun. Als sein Brustkorb sich ein letztes Mal hob, wurde etwas aus mir herausgerissen und der Schmerz ebbte ab. Der feste Griff der Person trat wieder hervor und ich begriff, dass ich noch lebte. Wut durchflutete mich. Wut, dass ich Alfonso auf diesem Weg nicht begleiten durfte. Das mir selbst das Sterben mit ihm verwehrt war. Der Wut folgte ein Kribbeln, dass sich durch meinen ganzen Körper zog. Nein, das war keine Wut. Die Gaben, welche ich immer unterdrückt und mir versagt hatte, drangen jetzt aus mir hervor. Ohne Alfonso konnte ich sie nicht in Schach halten. Er war mein Anker, der mir half, meine Gaben hinter einem festen Damm in meinem Inneren wegzusperren – auch wenn er selbst nichts davon gewusst hatte.

    »Komm, ich helf dir auf! Ich bring dich nach drinnen, da kann dir jemand helfen.«

    Der Natural! Nein, nicht hier und jetzt. Niemand durfte diesen Ausbruch mitbekommen! Ich musste weg von ihm, von allen!

    Der Wind frischte auf und wehte mir die Kapuze meines Mantels vom Kopf.

    »Nein. Lass mich.«

    Meine Stimme glich einem Flüstern und ich war mir nicht sicher, ob der Natural sie hörte. Spürte er denn nicht, was passierte? Staub fegte in kleinen Kreisen über den Platz. Der Wind wurde stärker und wehte mir meine langen grauen Haare ins Gesicht. Die Gaben in mir schwollen an und ich spürte, wie der Damm, hinter dem sie versteckt waren, anfing zu bröckeln. Mir wurde kalt und ich zitterte. Ich kam nicht mehr weg. Die Gaben würden aus mir herausbrechen und ich würde hier und jetzt kippen, die Kontrolle verlieren und alles mitreißen. Sie mein ganzes Leben zu verstecken, war umsonst und der Splitter würde dafür zahlen.

    »Keine Angst, alles wird gut. Du bist nicht allein.«

    Sachte strich der Natural meine Haare aus dem Gesicht. Er sah mich an und sein Blick hielt mich.

    Dann brach der Damm.

    Kapitel 2

    Was für ein Scheißtag. Vorgestern war Vollmond und ich versuchte, unbemerkt zu verschwinden und mich zu verwandeln. Es war nicht unauffällig genug. Heute früh überreichte mir der Verwalter des Tagelöhnerblocks ein Brief meiner Fraktion, dass mich der Alpha erwartete und ich meine Sachen packen musste. Tagelöhnerblocks waren nicht für Naturale gedacht und obwohl der Verwalter mich mochte, hatte ich zu gehen. Morgen hatte ich mich beim Alpha des Splitters vorzustellen. Was nichts anderes bedeutete, als das ich mich wieder auf Wanderschaft begab. Naturale waren eine der vier Fraktionen, welche die Splitter anführten und hierarchisch organisiert. Der Stärkste leitete die Gemeinschaft. Jeder Neuankömmling musste sich ihm vorstellen und ihn als Alpha anerkennen – oder ihn herausfordern und um seine Position kämpfen. Ich wollte beides nicht, aber so tickte meine Fraktion nun mal. Größe galt bereits als eine Herausforderung, denn sie wurde mit Stärke gleichgesetzt. Und Alphas sahen sich ständig bedroht. Zumindest war das meine Erfahrung.

    Meine Laune war im Keller und ich war, entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten, zu den Splitterspielen gegangen, um mich zu betrinken und abzulenken. Aus allen Teilen des Splitters waren die Leute hergekommen. Das Loch, welches die Vigiér Terrassenplatz nannten, bestand aus drei Seiten mit jeweils zwölf Ebenen. Hinter der Bühne war das riesige Langhaus der Vigiér, während die Langhäuser hier oben hauptsächlich zum Arbeiten und für die Übernachtungswilligen aus dem ganzen Splitter angedacht waren. Wie alle Langhäuser in den Gemeinschaften, hatte es drei Stockwerke, aber die Häuser der Vigiér waren länger. Sie rahmten das Loch von drei Seiten ein. Aus zweien war ich bereits rausgeworfen worden. Meine Laune vergraulte die Leute und ich konnte die Wirte verstehen, dass sie so jemanden wie mich nicht dahaben wollten. Wüssten sie jedoch, zu welcher Fraktion ich gehörte, würde mich niemand rauswerfen. Ein Freier würde sich nicht mit einer Fraktion anlegen. Selbst wenn er im Recht war. Ich fand das zum Kotzen und deswegen zog ich lieber als Tagelöhner durch die Splitter und ließ mich wegschicken, wenn ich so schlecht gelaunt war wie heute. Mir war es lieber so. Ich zog mit meinem Rucksack in das letzte Langhaus, um noch mehr zu trinken. Als Natural war es schwer, betrunken zu werden. Zu schnell verbrannte mein Körper den Alkohol. Trotzdem würde ich es auch dort versuchen.

    Wie erwartet, war der Schankraum gut gefüllt, obwohl man hier oben wenig von den Spielen sah. Die Räume waren zu hoch gelegen. Die Zuschauer auf den Terrassen hatten einen deutlich besseren Blick auf die Bühne. Nachdem ich mir beim Wirt einen großen Krug besorgt hatte, suchte ich einen Sitzplatz am Fenster. Es interessierte mich nicht wirklich, aber ich mochte den Blick in die Weite. In Räumen fühlte ich mich sonst schnell eingeengt.

    Mein Blick glitt suchend durch den Raum. Ein kleiner Tisch direkt an einem der bodentiefen Fenster hatte noch Stühle frei. Nur eine alte Frau saß dort und blickte in ihr Glas. Sie schien ebenso wenig an den Spielen interessiert wie ich. Das war gut, denn ich hatte kein Interesse über die Spiele zu diskutieren. Ich steuerte auf sie zu, doch sie hob nicht einmal den Kopf. Nachdem sie mich nicht zu bemerken schien, wurde ich direkter.

    »Ist der Platz noch frei?«

    Erst jetzt schien mich die Alte zu bemerken und blickte mich mit wässrigen blauen Augen an. Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich auf mich reagiert hatte, denn sie starrte mich nur an, ohne etwas zu sagen.

    »Und?«

    Ich versuchte, höflich zu sein, doch der erschrockene Gesichtsausdruck sagte mir, dass es schief gegangen war. Sie nickte nur stumm und blickte wieder ihr Glas an. Ich ließ mich auf dem Stuhl zum Fenster nieder. Es war einfach Teil der Naturale, dass es um Dominanz ging und die Menschen reagierten ganz unbewusst darauf. Ich mochte es aber nicht.

    »Tamon.«

    Sie blickte mich geistesabwesend an, bevor sie antwortete.

    »Miriam.«

    Ich lächelte kurz. Um sie nicht weiter einzuschüchtern, starrte ich auf die Bühne in der Tiefe. Wie Ameisen rannten die Akteure dort unten umher und warfen kleine Gegenstände durch die Luft. Naturale waren den anderen Fraktionen körperlich überlegen und wer Teil davon werden wollte, musste in den Splitterspielen Kraft und Ausdauer beweisen. Ich fand es erniedrigend, das erwachsene Menschen sich so zur Schau stellten.

    »Was für eine Herabwürdigung der Gaben, die diese Menschen bekommen haben.«

    »Wie bitte?«

    »Nichts. Hab nicht mit dir geredet, Alte.«

    »Und mit wem dann? Für laute Selbstgespräche ist es hier ein wenig voll, Jungchen.«

    Recht hatte sie. Ich musste lächeln, denn ich mochte es, wenn Menschen keine Angst hatten, ihre Meinung zu sagen.

    »Du hast Recht, entschuldige. Ich sollte leiser mit mir selbst reden.«

    »Das machen nur Alte und Schwachsinnige. Du siehst nicht wie eines davon aus. Muss aber nichts heißen.«

    Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Krug und blickte wieder zur Bühne. Ich glaubte nicht, dass sie dort unten etwas erkannte, aber ich verstand, dass sie keine weitere Unterhaltung wollte. Schon kurz darauf leerte sie den Krug und stand schwankend auf.

    »Alles in Ordnung?«

    »Passt schon. Zu viele Krüge. Man sollte erwarten, dass einen das Alter klüger macht. Tut es aber nicht.«

    Ich bot ihr meine Hilfe an, doch sie winkte ab. Auch gut. Ich hob meinen Krug zum Trinken an, aber er war bereits leer. Ich starrte ihn einige Augenblicke verwundert an, weil ich es nicht einmal bemerkt hatte. Es war eine schlechte Idee, weiter zu trinken. Besser war es, zu gehen, bevor ich hier ebenfalls rausgeworfen wurde. Um den Kopf freizubekommen, ging ich nach draußen. Die frische Luft und ein wenig Bewegung taten gut. Die Ameisen dort unten zu betrachten, kam nicht in Frage. Also umrundete ich das Langhaus, um von dem Treiben wegzukommen. Hier war es kühler und die Geräusche blieben hinter dem Gebäude zurück. Eine Runde laufen sollte ausreichen. Ich machte die ersten Schritte, als ich ein Keuchen hörte. Im Halbdunkeln sah ich eine gekrümmte Gestalt, die an der Hauswand kauerte. Helfen oder Hilfe holen?

    Der Rabun in mir, ein starker, wolfsähnlicher Jäger, reagierte darauf. Er ließ mich zu ihr laufen, noch bevor ich darüber nachdachte. War das nicht die Alte von eben? Ein weiteres schmerzhaftes Keuchen und ich kniete neben ihr nieder.

    »Hey, was ist los? Kann ich dir irgendwie helfen?«

    »Geh weg!«

    Die Stimme wirkte fahrig und schwach. Ich konnte sie hier nicht einfach liegen lassen. Sie schien starke Schmerzen zu haben. Ihr Körper glühte und als der Wind zunahm und ihr die Kapuze vom Kopf wehte, blickte ich

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