Die Tote am Denkmal: Österreich Krimi
Von Eric Manz
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Über dieses E-Book
Im Mödlinger Kurpark wird beim Denkmal für Elsa Brandström die Leiche einer alten Dame gefunden, die sich bei näherer Betrachtung als junge Frau entpuppt: Eine Schauspielerin, die im nahen Kursalon für ein Theaterstück probt. Der Mann, der die Tote entdeckt, beauftragt den Privatdetektiv Sopic, den Mörder zu finden. Ein schwieriges Unterfangen, auch die Polizei tappt im Dunkeln. Viele Verdächtige werden von Manfred Sopic befragt, aber es gibt nirgends Anhaltspunkte, geschweige denn Augenzeugen. Oberdrein gerät Sopic bei der Polizei selbst unter Verdacht und sein Auftraggeber will ihm wegen Erfolglosigkeit den Fall entziehen. Aber dann trifft er während eines Spaziergangs mit seinem Hund doch noch unverhofft einen Zeugen der Tat.
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Eingemauert: Österreich Krimi: Mödling-Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSpaziergang in den Tod: Österreich Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
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Buchvorschau
Die Tote am Denkmal - Eric Manz
Seibt
Prolog
Es war präzise acht Uhr dreißig, er hatte es extra mit einem Blick auf die Standuhr im Empirestil und einem zweiten auf den Taschenchronometer kontrolliert, als sich Meinhard Belser von seinem Schreibtisch erhob. Sein Arzt hatte ihm eindringlich mit harten, nichts beschönigenden Worten geraten, jeden Tag einen Spaziergang zu machen. Das Herz und die Lungen gehörten gestärkt. Diesen Rat gedachte er einzuhalten, und dafür hatte er in seinem Tagesplan exakt dreißig Minuten vorgesehen.
Belser hasste es, gewohnte Routine umzustellen, aber er wollte seinen Arzt nicht enttäuschen, und sich selbst musste er eingestehen, dass es ihm guttat.
Meinhard Belser war sechzig Jahre alt, schlank und mit kurz geschnittenem weißen Haar. Seine hellblauen Augen blickten wach, aber ohne erkennbare Emotion auf seine Umwelt. Seine Eltern hatten ihm gelehrt, dass nur Genauigkeit und Einhaltung von Routine das Chaos der ihn umgebenden Welt von ihm abhalten konnten. Danach lebte er.
Nur einmal durchbrach er diese ehernen Regeln. Er lernte eine Frau kennen. Wie es dazu kam, konnte er sich bis heute nicht erklären. Sie war um viele Jahre jünger als er, spontan und lebenslustig. Er versuchte, so zu sein wie sie, was schmählich misslang. Diese Beziehung hielt also nicht lange, was er später als wahren Glücksfall ansah. Dunkel erinnerte er sich, sie noch einige Male in Begleitung eines Herrn in seinem Alter gesehen zu haben, einen Mann, den er sogar zu kennen glaubte. Er jedenfalls kehrte zu seiner ihm vertrauten Lebensweise zurück, mit dem Entschluss, sich nie mehr auf anderes einzulassen.
Wie meistens wählte er zum Gehen den Kurpark. Der befand sich nicht weit von seiner Wohnung und bot frische Luft, angenehme Bänke und trotz Nähe zur Straße nicht zu laute Verkehrsgeräusche. Belser kontrollierte nochmals die Uhrzeit und machte sich auf den Weg.
Irgendwo, so dachte er, als er mitten im Park stand und den Vogelstimmen lauschte, manchmal übertönt vom Kinderlachen auf dem kleinen Spielplatz, von mahnenden Worten der Mütter und dumpfem Motorengeräusch der nahen Straße, irgendwo sollte doch ein Gedenkstein stehen. Er erinnerte sich genau, kürzlich einen Artikel darüber gelesen zu haben. »Elsa Brandström«, der Name stand deutlich vor seinen Augen.
Er blickte sich um. Bildete er es sich nur ein, oder hatte er wirklich ein Foto im Gedächtnis, das den Standplatz dieses Steines zeigte? Nach seinem Dafürhalten musste genau hier das Denkmal stehen.
Er musterte die Thujen vor sich, deren Äste tief herabhingen. Neugierig trat er näher und schob die Zweige ein wenig zur Seite. Ein Stück Stein wurde sichtbar. Er war am richtigen Ort, das fühlte er.
Ein bisher unbekanntes Empfinden durchströmte ihn. Er versuchte, es zu analysieren. War es ein bis jetzt nicht erkannter Trieb der Neugier oder schlicht die Tatsache, dass etwas, von dem man wusste, dass es existierte, auch sichtbar bleiben sollte? Er lächelte, als ihm bewusst wurde, dass es ihm schlichtweg gleichgültig war.
Ungeduldig bog er einen Ast so weit zur Seite, dass dieser brach, und starrte in ein Gesicht mit toten, leblosen Augen. Belser sprang zurück und ließ den Ast fallen, was den Leichnam wieder verdeckte. Schuldbewusst blickte er sich um. Hatte ihn jemand beobachtet? Sein Herz schlug mit dumpfem Dröhnen gegen seine Rippen. Am besten, er verließ so rasch als möglich diesen Ort, bevor jemand auf ihn aufmerksam wurde. Das erste Mal verfluchte er seinen Arzt, der ihn gewissermaßen gezwungen hatte, solche Abenteuer auf sich zu nehmen. Zu Hause war er sicher, da lagen keine Leichen herum, höchstens eine tote Fliege, die man ungestraft entsorgen durfte.
Doch unerklärliche Neugierde, ein Trieb, von dem er bis jetzt nicht gewusst hatte, dass er ihn besaß, hielt ihn davon ab, die Flucht zu ergreifen. Vorsichtig hob er den Ast wieder hoch. Der Leichnam war unzweifelhaft eine Frau. Ein altes Gesicht, von tiefen Furchen durchzogen, die Haare streng zurückgekämmt und zu einem Knoten verschlungen, das schwarze Kleid hochgeschlossen und am Hals mit ehemals weißen Spitzen versehen.
So, dachte er, konnte Elsa Brandström ausgesehen haben, streng und doch auf gewisse Weise fürsorglich. Er hatte keine Ahnung, wo sie begraben lag, er wusste so gut wie nichts über sie, außer dem, was hier auf dem etwas verwitterten Stein zu entziffern war.
Der Engel von Sibirien
Dr. h. c. Elsa Brandström
Schwester des Schwedischen Roten Kreuzes
brachte Trost, Kraft und Hilfe
in den schweren Zeiten
1914 – 1920
Eine Schande, dachte er, kaum sind einige Jahre vergangen, schon weiß man nichts mehr, was einer Generation früher wert war, in Stein gemeißelt zu werden.
Ein Gedanke, der in seinem streng reglementierten Leben nichts zu suchen hatte, überfiel ihn. War es möglich, dass dies ihr Leichnam war? Angenommen, sie war auf dem Mödlinger Friedhof bestattet worden? Weshalb hätte man sonst hier ein Denkmal errichten und, wie ihm jetzt einfiel, auch eine Gasse nach ihr benennen sollen?
Doch wie kam sie jetzt hierher? Und warum?
Von Seelenwanderung hatte er mit gewissen Amüsement gelesen, doch dass sich eine Leiche auf den Weg machte, um bei einem Stein zu sein, auf dem ihre Verdienste eingraviert waren, konnte er nicht glauben. Der Friedhof war schließlich ein beträchtliches Stück entfernt, am anderen Ende der Stadt. Obwohl – er erinnerte sich an ein geflügeltes Wort – es gab Dinge zwischen Himmel und Erde, die der Verstand nicht begreifen konnte.
Ein Schauer rann über seinen Rücken. Ein Gefühl, das er lange nicht mehr gespürt hatte. Er stand da, mit dem abgebrochenen Ast in der Hand, steif mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper, die Zeit vergessend, als sich die rationale Gehirnhälfte bemerkbar machte. Tote gehen nicht zu Fuß, sie fliegen auch nicht durch die Gegend, also hat jemand eine Leiche hier abgelegt, hier versteckt, wahrscheinlich ohne zu wissen, dass auch ein Gedenkstein hinter diesem Baum verborgen ist. Es musste etwas geschehen. Er konnte doch nicht den Rest des Tages hier reglos verharren, starr und steif wie Lots Eheweib. Trotz des grausigen Erlebnisses musste er schmunzeln, als er an die Stelle des Alten Testaments dachte, in die schon so viel hineingeheimnisst worden war. Dann grübelte er über die mehr als unangenehmen Folgen, die eine Meldung bei der zuständigen Behörde nach sich ziehen könnte. Die stundenlangen Befragungen, die möglichen Verdächtigungen, vielleicht sogar Verhöre. Nein, dachte er, ich werde es so halten wie die bekannten drei Affen. Nichts sehen, nichts hören, nichts reden. Es genügt, dass der heutige Tag total aus dem Ruder gelaufen ist, dass ich nicht weiß, wie ich die festgelegten Punkte meiner heutigen Pflichten noch unterbringen soll. Ein Tag, an dem alles durcheinandergeht, genügt. Man sollte das Risiko minimieren und so schnell als möglich nach Hause zurückkehren.
Er legte den Ast sorgfältig auf die Leiche, rückte ihn noch ein wenig zurecht, blickte prüfend um sich und verließ schnell die ungastliche und unheimliche Stätte. Um etwaige Beobachter in die Irre zu führen, wandte er sich Richtung Neuweg, entgegengesetzt seiner Wohnung, betrat dann den oberen Weg und eilte zurück. Immer wieder blickte er auf die Thujen bei dem Denkmal und zu dem Kinderspielplatz, doch niemand schien sich um ihn zu kümmern. Erleichtert ging er am Kursalon vorbei, den Heimweg einschlagend.
Er war noch nicht sehr weit gekommen, als sich ein unangenehmes Gefühl in seinem Rücken einstellte. Er fühlte sich beobachtet. Irritiert blieb er stehen und drehte sich um. Dieses Auge – riesig und starr –, es war ihm noch nie aufgefallen. Ohne zu blinzeln, blickte es ihn an und verursachte ein schlechtes Gewissen. Man soll nicht so schluderig mit Toten, die sich nicht wehren können, umgehen, schien es zu sagen. Er seufzte und ging die paar Schritte zurück. »Wondern Sie sich nicht!« stand unterhalb und »1. Mödlinger Detektei«.
Daneben prangte noch ein Schild: »Wenn Sie Sorgen haben, schauen Sie rein, wir erledigen alles für Sie«.
Vielleicht sollte er wirklich – zögernd stand er da. Die Detektei befand sich schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite.
Kapitel 1
Ich brütete über einem Sudoku-Rätsel. Für diese gilt an sich das Gleiche wie für Kreuzworträtsel, man braucht Wissen, Kombinationsgabe und etwas Wagemut. Also genau das Richtige für einen unterbeschäftigten Detektiv, um seine Gehirnwindungen zu trainieren, zu ölen und so weit zu beschäftigen, dass die Synapsen nicht einschliefen. Mit Stolz kann ich behaupten, dass ich es zu einer gewissen Fertigkeit brachte. Entgegen der Warnung verschiedenster Menschen, die behaupteten, meine Freunde zu sein, benutzte ich einen Kugelschreiber statt eines Bleistifts. So sahen die Ergebnisse auch manchmal aus, verwirrend, die Zahlen kaum mehr zu erkennen. Ich hatte schon überlegt, einen roten Filzstift zu kaufen, um die richtigen Zahlen endgültig festlegen zu können, aber das sah aus wie die Verbesserung einer Schulaufgabe – nicht sehr erhebend. Wenn alles nichts half, gab es ja noch die Auflösungen am Ende des Heftes, aber die versuchte ich nicht über Gebühr zu strapazieren.
Die Standuhr schlug zehn dunkle Töne. Zehn Uhr. Ich seufzte. Bald konnte ich das Büro hinter mir lassen und mittagessen gehen, respektive einen oder mehrere Kaffee trinken. Ein Detektiv sollte zwar vierundzwanzig Stunden präsent sein, das Verbrechen hielt sich ja auch nicht an die normalen Arbeitszeiten, aber es war bedeutend entspannter, in der FUZO in einem Café oder im »Stehseidel« auf keine Kunden zu warten.
Vom vorderen Teil des großen Raumes – dem Sekretariat ‒ hörte ich kratzende Geräusche. Auf der Suche nach einer eigenen Intimsphäre trennte ich den riesigen Raum mit einer hölzernen Wand ab und saß nun da, umringt von einem Haufen juristischer Bücher, jeder Menge Kriminalromane, einer komfortablen Sitzgruppe und einem offenen Kamin. Fräulein Barbara Stein behandelte also wieder ihre Fingernägel. Die Nagelfeile war das Werkzeug, das sie öfter in der Hand hatte als einen Kugelschreiber, was sehr viel über das Arbeitspensum aussagte, das sie täglich bewältigte.
Dann hörte das Kratzen auf, wich einem dunklen Gemurmel. War Wastl schon aus Wien zurück?
Sebastian »Wastl« Kerbl, mein Freund und Bezirksinspektor auf der Mödlinger Polizeiinspektion, hatte angeblich heute einen Schulungskurs zu absolvieren. Er und Barbara Stein waren miteinander verbandelt. Genaueres weiß ich nicht, es war mir auch vollkommen egal. Wastl war alt genug, dass er wusste, worauf er sich einließ.
An sich wollte ja Vera die Sekretärin in meiner Detektei werden. Sie hatte in der Redaktion in Wien gekündigt, überlegte es sich aber wieder anders und meinte, jemand müsse ja Geld verdienen, da anfangs die Detektei kaum etwas abwerfe. Ich sprach zwar dagegen, von meinem Vorgänger Wonder wurde mir doch sein Kundenstamm hinterlassen, aber wie das immer so ist, sie hatte recht.
Wie das Leben so spielt, stand sie dann eines Tages mit hochrotem Kopf bei mir im Büro und erklärte, nie wieder nach Wien fahren zu wollen. Meine Frage »Weshalb?« beantwortete sie nur sehr unzulänglich. Ich setzte ihr nicht sehr zu, freute mich, sie in meiner Nähe zu haben. Leider ging das Geschäft weiterhin miserabel, das heißt, es ging überhaupt nicht. Die Muße, die man dabei empfindet, weicht sehr schnell frustrierender Langeweile. Ich kam ja damit einigermaßen zurecht, aber Vera hielt das Warten nicht aus. Zu ihrem Glück suchte die Mödlinger Rundschau gerade eine Redakteurin. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie sie dort war, sich bewarb und den Posten bekam.
Nun saß ich wieder alleine im Büro, ging zwischendurch mit Hanna, meiner Hündin, spazieren und begann, meine eingerosteten Gehirnwindungen mit Sudoku zu beleben.
Eines Tages läutete es, die Dame, die ich auf dem Monitor erblickte, sah nach einer Kundin aus. Die Blondine, die hereinschwebte, war nicht schlank, aber wohlgeformt und hatte einen sensationellen Hüftschwung.
Sie brauche meine Hilfe, meinte sie, ihr ehemaliger Freund, ein abscheulicher Trunkenbold, ließe sie nicht in Ruhe.
»Geld habe ich keines«, sagte sie, »aber ich kann es abarbeiten.« Um mich zu überzeugen, gewährte sie mir einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté.
»Meine liebe Frau«, stotterte ich. »Wie stellen Sie sich das vor? Ich bin verlobt, beinahe schon verheiratet.«
Sie kicherte verschämt, während sie erklärte, dass sie dabei an einen Bürojob dachte. Ein Detektiv bräuche eine Sekretärin, das würde sie aus Hunderten Kriminalromanen kennen und sie wäre die richtige Frau dafür. Sie verlor kein Wort über Bezahlung und Arbeitszeit. Da ich mich dann mehr um Hanna kümmern konnte, die in den letzten Wochen ohnehin zu kurz gekommen war, stellte ich sie probehalber an. Seitdem ist Barbara Stein ein nicht mehr wegzudenkender Faktor der Detektei Sopic, vormals Wonder.
Ein kurzes Klopfen, dann steckte Babsi den Kopf herein. Sie grinste so verzückt, als ob Brad Pitt oder George Clooney händeringend um einen Termin gebeten hätten.
»Jemand will Sie sprechen, Chef.«
Mein Herz erhöhte die Schlagzahl. Ein Kunde? Das Einzige, das mir dazu einfiel, war zugleich das Dümmste, was ich seit Langem gedacht hatte. Jetzt, wo ich auf einen Kaffee gehen wollte?
Ich nahm schnell einen alten Akt, schlug ihn auf und legte ihn auf das Sudoku. Der Kunde sollte den richtigen Eindruck von einem überaus beschäftigten Detektiv bekommen.
Ein älterer Herr wurde von Barbara hereingeführt. Sie rückte den Sessel vor meinem Schreibtisch zurecht und versuchte, ihren Busen ins rechte Licht zu setzen. Eine Unart, die sie nicht lassen konnte. Nicht jeder liebt solche Riesenbrüste vor seiner Nase. Dem Herrn schienen sie zu gefallen, versonnen stierte er in Babsis Ausschnitt.
Er war sehr korrekt gekleidet, einige Zentimeter größer als ich, schlank, mit leicht eingefallenen Wangen, die mit ihrer bläulichen Färbung auf starken Bartwuchs hindeuteten. Das silbrige Haar war auf der linken Seite penibel gescheitelt. Auf mich machte er den Eindruck eines Oberlehrers, streng, keinen Fehler verzeihend. Deshalb überraschte mich die Frage, die er an mich stellte.
»Ihre Freundin?«, murmelte er und wies mit seinem Kinn auf Barbara, die gerade mit gekonntem Hüftschwung das Zimmer verließ. Ich wartete, bis sie die Türe hinter sich geschlossen hatte.
»Gott bewahre, nein«, sagte ich und stieß die aufgestaute Luft aus.
»Entschuldigen Sie die respektlose Frage«, meinte er. »Sie erinnert mich irgendwie an meine Mutter.«
»Ja!«, nickte ich. »Fräulein Stein