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Verborgen hinter Schleiern
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eBook324 Seiten4 Stunden

Verborgen hinter Schleiern

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Über dieses E-Book

Plötzlich steht das Leben in Adanwe Kopf.
Voland, ein tot geglaubter Verbrecher, erscheint als Kan Hayat in der Anderwelt. An seiner Seite – seine Seelengefährtin Arabienne, die Tochter einer der angesehensten Familien Adanwes.
Begleitet werden beide unter anderem von Julius.
Julius ist nicht nur einer der wenigen Menschen, die vom Volk der Salwidizer wissen, sondern er ist mit einigen von ihnen befreundet.
Es kommt zu einer Anhörung, in der Julius zum einem Kan Hayat verteidigt und zum anderen die Politik, die Traditionen und die Werte der Salwidizer hinterfragt.
Dabei gelangen erschreckende Wahrheiten, die hinter einem Schleier in der Zeit verborgen worden waren, ans Tageslicht.
Wird Julius weiterhin ein Freund der Salwidizer sein?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Okt. 2020
ISBN9783752916621
Verborgen hinter Schleiern
Autor

A. B. Schuetze

Ich wurde 1958 im Sternzeichen Schütze geboren. Daher auch mein Pseudonym A.B. Schuetze. Die Buchstaben A.B. sind echt. Sie stehen für meinen Vornamen Antje und ... Ich lebe in Berlin, bin verheiratet und habe drei ganz tolle bereits erwachsene Kinder. Seit 2012 widme ich mich ausschließlich meinem Hobby, dem Lesen und in meine eigenen Fantasien eintauchen., bis ich dann 2014 beschlossen habe, zum Schreiben kann man niemals zu alt sein und haue seitdem selbst in die Tasten.

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    Buchvorschau

    Verborgen hinter Schleiern - A. B. Schuetze

    Organigramm

    graphics1

    Vorwort

    Er war zu früh. Viel zu früh. Aber die Anspannung, die seit der Ankündigung des Treffens in der Vita von ihm Besitz ergriffen hatte, war unerträglich geworden. Ein Spaziergang, der seine Gedanken in eine andere Richtung lenken und damit seine Nerven beruhigen sollte, hatte ihn auf irrwitzige Weise direkt in den Omlamo, den Berg der Allwissenden Steine geführt. Genau zu jenem Ort, an dem seine Eltern mit ihm sprechen wollten. Nun, da er schon einmal hier war, blieb ihm nur zu hoffen, auch sie kämen früher.

    Ein ums andere Mal umkreiste er, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, das Palam im Zentrum der Vita. Immer wieder blieb er stehen, um die beeindruckende Versammlungshalle der Salwidizer in Augenschein zu nehmen. Wie viele Male seit seiner Steinweihe … damals war er, gerade dreißigjährig, in die Reihen der Erwachsenen aufgenommen worden … hatte er sich zusammen mit den anderen seines Volkes zu den alljährlichen Treffen hier versammelt. Dennoch war es wie am ersten Tag ein unbeschreibliches Gefühl, die Eindrücke auf sich wirken zu lassen.

    Die Höhle war riesig, das Ausmaß in Höhe und Tiefe nicht einmal zu erahnen. Die Wände bestanden aus Bergkristallen, die aus sich selbst heraus leuchteten und Höhle und Tunnel in ein gleißendes Licht tauchten. Zahlreiche Tunnel im Berg mündeten in einer Galerie, die sich rund um das Palam zog, einem über dem Abgrund schwebenden Hologramm. Es zeigte die bis ins kleinste Detail originalgetreu nachgebildete Erdkugel. Tausende kleine Obsidiane in verschiedenen Farben … schwarz für ungebundene Salwidizer, braun für die Beschützer des Lebens und regenbogenfarben für die Männer, die ihre Seelengefährtin gefunden hatten … und Feueropale für die auserwählten Mädchen und Frauen zeigten auf dieser Erdkugel, wo sich ein jeder aufhielt.

    Nachdenklich betrachtet er die winzigen Edelsteine, die in einem Rot-Orange funkeln. Feueropale. Es sind so wenige. Vielleicht wird es nie genug weibliche Wesen geben, die unseren Anforderungen genügen. Nicht jedem von uns wird das Glück zuteil. Aber wie lange soll ein Salwidizer warten, um zu wissen, ob ihm eine Gefährtin je bestimmt ist? Viele haben schon, in der Hoffnung im nächsten Leben sein Gegenstück zu finden, den großen Abgrund überwunden. Es muss doch irgendeinen Weg geben, der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Was taten denn unsere Forscher und Heiler? Sich dem Schicksal beugen? Ich kann es schon nicht mehr hören … Alles kommt, wie es kommen muss. Seinem Schicksal kann keiner entfliehen.

    „Hallo, Sohn. Hängst du irgendwelchen trüben Gedanken nach?"

    Beim Klang der Stimme seines Vaters drehte er sich um und begrüßte den Mann mit dem traditionellen Schlag der Freundschaft, indem er seine rechte Hand auf die rechte Schulter seines Gegenübers legte. Vor seiner Mutter, die wenige Schritte entfernt stand, verbeugte er sich respektvoll. Ein Funken der Liebe ließ seine sonst so ernsten Gesichtszüge weicher erscheinen.

    „Nun, ich habe gerade darüber nachgedacht, ob unser Volk in absehbarer Zeit seinem Untergang geweiht ist. Es gibt nicht genug Seelengefährtinnen. Wir werden über kurz oder lang aussterben."

    Mit einem leisen Stöhnen und einem schiefen Lächeln, welches seine Augen nicht erreichte, warf er nochmals einen Blick auf das Palam.

    Besorgt musterte er seine Eltern. Solange er sich zurückerinnern konnte, stand sein Vater dem Hohen Rat, dem Tribunal, vor. Tausende Jahre im Kampf, die Traditionen Adanwes mit dem Fortschritt der Welt jenseits der magischen Barriere in Einklang zu bringen. Tausende Jahre im Kampf, den Fortbestand ihrer Spezies zu sichern. Sie sahen beide müde aus. Müde des langen Lebens. Müde der Sorgen um ihr Volk. Und diese Müdigkeit war das, was ihm selbst zu schaffen machte, ihn in wilde Spekulationen über das heutige Treffen stürzte.

    „Ihr wolltet mich sprechen? Was ist so dringlich und vor allem so geheimnisvoll, dass wir uns hier in der Vita treffen?"

    Einen inneren Impuls folgend, schielte er kurz zurück zum großen Abgrund hinter der Brüstung der Galerie. Forschend blickte er seiner Mutter in die Augen, um seine Befürchtung nicht bestätigt zu sehen. Doch alles was er wahrnahm, war ihre unendliche Traurigkeit.

    Sein Vater legte ihm einen Arm um die Schulter und holte mit der anderen etwas aus seiner Hosentasche.

    „Hör zu, Sohn. Du weißt es. Und wir wollen nicht erst groß drumherum reden. Wir haben schon zu lange gelebt. Es wird Zeit für uns zu gehen. … Das hier ist ein Speicherkristall mit Aufzeichnungen aller Art. Angefangen von persönlichen Entscheidungen, die nicht immer richtig waren, bis hin zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, Forschungsarbeiten und dergleichen. Bewahre ihn gut auf. Schaue ihn dir nicht an. Lasse niemanden wissen, dass du ihn besitzt."

    „Aber warum …"

    „Noch nicht, mein Sohn. Du würdest damit zu Menanim gehen, um Klarheit zu erlangen. Aber glaub mir, zur Zeit würden all diese Informationen jeden unseres Volkes überfordern."

    Fragend nahm er den Kristall entgegen. „Ich verstehe nicht. Was …"

    Sein Vater umschloss mit seiner Hand die seine, in der der Kristall verschwand. „Glaub mir, Junge, es ist das Beste für alle. Es wird eine Zeit kommen, da wird euch der Speicherkristall und sein Inhalt von Nutzen sein." Während sein Vater sprach, hatte er sich von ihm entfernt und war mit seiner Frau an den Abgrund getreten.

    „Wann? Wann wird er …"

    „Du wirst es wissen. Leb' wohl … Wir sehen uns im nächsten Leben."

    Den letzten Satz vernahm er nur im Kopf … auf telepathischem Weg. Traurig und gleichzeitig so zuversichtlich. Verwirrt drehte er sich um. Doch da war keiner mehr. Seine Eltern hatten die Reise angetreten, ohne nochmals zurückzublicken. Er starrte auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatten.

    Es war ein Abschied. Ein Abschied auf Zeit. Irgendwann würden sie sich wiedersehen. Alles was ihm geblieben war, hielt er in der Hand. Ein Speicherkristall … das Vermächtnis seines Vaters.

    Er hob den Kristall zwischen Daumen und Zeigefinger hoch und beobachtete, wie sich das Licht im Facettenschliff des Steines in tausend Farben brach.

    Die Antworten auf all unsere Fragen? Sollte es so einfach sein? Ich brauchte nur den Speicher zu öffnen und dann … Ja, was dann? Hatte mein Vater recht mit dem, was er sagte? Wir würden es noch nicht verstehen? Aber wann? Wann wird es soweit sein? Was soll schon passieren, wenn ich mir alles anschaue? Wenn ich es nicht verstehe, schließe ich ihn wieder. Nur … Hm … Mein Vater war ein besonnener und verantwortungsbewusster Mann. Er war Entdecker, Forscher, Gelehrter. Doch in erster Linie war er Mitglied des Hohen Rates. Ja sogar dessen Vorsitzender, und als solcher agierte er stets

    im Interesse und zum Wohle unseres Volkes. War das der Schlüssel zu seinem Handeln?

    Seine Miene nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Er ließ den Stein in seine Hand fallen und schloss ihn fest darin ein. Kurz darauf verließ er, ohne sich noch einmal umzuschauen die Vita, den Berg und Adanwe.

    Bruch zwischen Geschwistern

    „Du hättest ihm gleich die Klinge ins Herz stoßen sollen. Hast du es vergessen?! Er hat mich entführt. Ich wäre damals bei dem Vulkanausbruch beinahe ums Leben gekommen. Ganz davon abgesehen, was er den anderen unseres Volkes … wie Corri, Amaranth, Richard, Gustavo … und den vielen Menschen angetan hat." Wütend drehte sich Judith ihrem Zwillingsbruder zu. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie er sich auf die Seite dieses Mannes stellen und dann so seelenruhig an ihrer Tür klingeln konnte. Julius musste doch wissen, was in ihr vorging, seit sie vom Wiederauftauchen dieses Verrückten erfahren hatte.

    Vor Jahren wurde Voland für seine zahlreichen Verbrechen an Menschen und Salwidizern durch sein eigenes „Portal ins Nirgendwo" wortwörtlich genau dahin verbannt. Keiner hatte damit gerechnet, jemals wieder von ihm zu hören. Doch statt im Nirwana zu verrotten, wurde der einzige Verbrecher aus dem Volk der Salwidizer in die Vergangenheit katapultiert. Ausgerechnet er bekam vom Schicksal eine zweite Chance, ein neues Leben. Und als wäre das nicht Unglück genug, musste ihr eigener Bruder einer von denen sein, die das Monster zurück nach Adanwe brachten.

    Judith war außer sich. Mit den Armen fuchtelnd lief sie im Zimmer auf und ab. Auch als sie plötzlich vor Julius stehen blieb, nahm ihre Stimme an Intensität nicht ab. Sie blickte ihn mit blitzenden Augen an und tippte ihm bei jedem Satz, der folgte, mit dem Zeigefinger auf die Brust, um ihre Aussage zu unterstreichen. „Na und? Dann war er eben vor viertausend Jahren aus der Zeit gefallen. Er wird schon gewusst haben, was es bringt, einen neuen Namen anzunehmen. Was interessiert mich, ob er seinen Meister an Bösartigkeit gefunden hat? Vielleicht war er sein Gefangener. Vielleicht auch nicht. … Er war und bleibt ein Verbrecher. Und genau das wird morgen die Anhörung vor dem Hohen Rat beweisen."

    Der junge Mann hatte damit gerechnet, dass seine Schwester ausflippen würde. Trotzdem oder gerade deshalb sah er es als seine Pflicht an, sie auf die Verhandlung vorzubereiten und sich für sein Verhalten zu rechtfertigen. Also ließ er ihre Tirade über sich ergehen und blickte sie dabei, seinen Kopf nachdenklich zur Seite geneigt, aus sanften, braunen Augen an.

    „Auch schön dich wiederzusehen, Schwesterherz. Keine Umarmung zur Begrüßung? … Ach, komm schon! … Das glaubst du doch nicht im Ernst, was du hier jetzt von dir gibst. Sicher … Du bist wütend, weil du an damals erinnert wirst. Und ich bin es ebenso. Doch Voland wurde für seine Taten vor Jahren von Amaranth, Richard, Helena und all den anderen festgesetzt und der Hohe Rat hat das Urteil gesprochen. Du weißt es. Sie haben ihn mit seiner Welt der Nacht ins Nirgendwo verbannt. Es spielt keine Rolle, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für sein Wiederauftauchen gewesen wäre, rein theoretisch hättet ihr damit rechnen müssen. Es sei denn, ihr habt alle auf seinen Tod gehofft. … Aber könnt ihr das? Könnt ihr derart negative Gedanken hegen? … Egal. Das Schicksal hat es anders gewollt. … Daran sollten wir nicht rühren. Im Grunde büßt er in seinem neuen Leben noch immer für seine als Voland begangenen Taten."

    Judith wollte dazwischenfahren, doch Julius ließ sich nicht unterbrechen.

    Nicht dieses Mal.

    Er packte sie an den Oberarmen und zwang sie, ihm vis-à-vis stehen zu bleiben und zuzuhören.

    „Dieser Mann ist durch die Zeit geflogen und ohne Gedächtnis zum Zeitpunkt von Volands Geburt … oder Roland, wie er damals genannt wurde … auf der Erde aufgeschlagen. Der, der ihn gefunden hat, gab ihm den Namen Kan Hayat. Gemeinsam sind sie durch die Welt gezogen, haben alles Mögliche entdeckt, studiert und erforscht. … Aber das wirst du ja morgen alles erfahren. Er hat sich gegen seinen Freund gewandt, als sie auf Voland stießen und er ihn unterstützen wollte. Und dafür hat Kan seine magischen Fähigkeiten eingebüßt. … Schau, Judith! … Er ist nicht mehr der, den du kanntest. Er hat seine Seelengefährtin gefunden. Arabienne McCullen. Du müsstest die beiden sehen. Nie würdest du auf die Idee kommen, dies sei der Mann von damals. Enne ist über hundert Jahre alt. Was glaubst du, warum hat der Feueropal mit dem genetischen Code Volands nicht zu ihr gefunden? Es muss doch einen gegeben haben. Also warum? Meinst du nicht, dass bei seinem Sturz durch die Zeit irgendetwas geschehen ist, was sein ganzes Wesen verändert hat? Ich bin kein Salwidizer. Ich weiß es nicht. Aber mit Sicherheit kann ich sagen, Arabienne gehört eindeutig zu ihm."

    „Pah! … Schließlich ist sie in Papotene geboren. Und wer weiß, vielleicht konnte der Stein sie in dieser anderen Welt nicht finden. … Oder er war bei den gestohlenen Ketten dabei. Wie auch immer! … Das besagt ja wohl gar nichts. … Und jetzt lass mich endlich los."

    Julius hob die Hände und machte einen Schritt zurück, um ihr den nötigen Freiraum zu geben. So aufgebracht hatte er Judith noch nie gesehen. Selbst damals nicht, als die Salwidizer in das Leben der Geschwister getreten waren, ihre Freundin Corri entführt worden war und Judith sich auf eigene Faust auf die Suche nach ihr gemacht hatte. Dabei war sie in Volands Fänge geraten, was sie beinahe mit dem Leben bezahlt hätte.

    Ratlos beobachtete Julius, wie sie ihren Marsch durch die stilvoll eingerichtete Bibliothek mit deckenhohen Regalen und einer urigen Sitzlandschaft wieder aufnahm. Ich hab ja viel erwartet. Dass sie herumzickt, mir ihre Meinung um die Ohren haut, vielleicht auch körperlich auf mich losgeht, aber doch nicht mit ihren unlogischen, aus der Luft gegriffenen Argumenten. Selbst Voland war in den Zeiten, in denen von seiner Abartigkeit noch nichts bekannt war, als Beschützer des Lebens in Papotene. Die Mütter von Arabienne und Amaranth stammen von dort. Warum sollte dann ausgerechnet Arabiennes Stein sie dort nicht erreicht haben? Schwachsinn. Soll ich ihr das sagen? Dann bringe ich sie vielleicht noch mehr gegen mich auf. Hm … Lieber nicht.

    Ohne zu wissen, wie er seine Schwester überzeugen sollte und ob er damit überhaupt Erfolg haben würde, atmete Julius mehrmals tief durch. Er musste unbedingt ruhig bleiben, um den Stresslevel nicht nach oben zu peitschen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben setzte er sich auf die Armlehne eines Sessels und nickte Judith versöhnlich zu. „Darf ich dich was fragen? Was meinst du, soll aus Arabienne werden, wenn Kan verurteilt wird. Zu was auch immer. Ich weiß, sie hat schon gesagt, dass sie sein Los teilen wird. Aber dennoch … Zum anderen solltet ihr bedenken, sie kann als geborene Salwidizerin eurem Volk Töchter schenken. Wie viele potentielle Gefährtinnen wären wohl darunter?"

    Obwohl Julius seine Fragen leise äußerte, fuhr Judith augenblicklich herum. „Julius! Du begreifst es nicht! Oder? Es geht hier nicht um Arabienne. Es geht um Voland. Wie solltest du auch?! Du sagst es ja selber … Du bist kein Salwidizer."

    Ungläubig riss Julius seine Augen auf. War das noch seine Zwillingsschwester? Sichtbar zerfressen vom Hass auf Voland?

    Judith schnappte irritiert nach Luft. Das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt. Nicht zu meinem Bruder. Oh mein Gott. Ich meinte das doch gar nicht so. Wie konnte es sein, dass ich mich habe hinreißen lassen in meinem Zorn. Bei Menanim! … Zorn! Den dürfte ich doch als Salwidizerin gar nicht verspüren. Oder doch? Ist es mein menschliches Erbe? …

    Julius wischte sich über sein Gesicht. Frustriert schaute er Judith an. „Weißt du, früher hast du dafür gekämpft, dass alle gleich behandelt wurden, Gerechtigkeit wurde bei dir großgeschrieben. Jeder sollte eine Chance haben oder auch mal zwei. Du warst hilfsbereit und immer darum bemüht, Lösungen für alle möglichen Probleme zu finden. Heute jedoch? … Du interessierst dich einen feuchten Scheiß für die Belange anderer. Nur du und deine kleine heile Welt. Ich erkenne dich überhaupt nicht mehr wieder. Liegt es an Omas Kette? An dem Fluch, der an ihr haftet? … So egal dir heute Arabiennes Schicksal ist, so schnuppe ist dir wahrscheinlich auch das Schicksal der Auserwählten, die Hannes' Feueropal einmal bekommen wird. Denn sollte man den Überlieferungen Glauben schenken, bist du es ja nicht. Du bist nicht seine ihm vorherbestimmte Seelengefährtin. Du verdankst dein jetziges Leben diesem verdammten Stein, der angeblich jedem Salwidizer einen Phallus schenkt. Zu deinem Glück hat dich Hannes auch gleich gewandelt und geschwängert. Zufall? Schicksal? Aber wen interessiert das schon. Geht dich ja nichts an, solange keiner an deine Tür klopft und dein kleines Paradies ins Wanken bringt."

    War Judith nach ihren harschen Worten in sich gegangen, fachten diese Sätze der Anklage die Flammen der Wut in ihr wieder an. Sie riss sich die Kette mit dem Feueropal vom Hals und schleuderte sie Julius in den Schoß. „Da hast du sie. Ich brauche sie nicht. Hannes liebt mich auch ohne dieses blöde Ding. Und nur damit du es weißt, seine Kette war unter den gestohlenen. Also wer sagt, ich wäre nicht seine Auserwählte?"

    Julius nahm die Kette und betrachtete sie gleichgültig. „So wird es wohl sein. Es gab nichts mehr zu sagen. Er hatte versagt. Langsam erhob er sich und wandte sich zum Gehen um. Doch dann blieb er stehen und blickte nachdenklich zu Judith zurück. „Und übrigens … Als du damals auf der Insel beinahe ums Leben gekommen bist … Menanim hat den Vulkan ausbrechen lassen und wissentlich deine Rettung damit riskiert. Er hat Volands Gefangenschaft über dein Leben gestellt.

    Entsetzt und ungläubig starrte sie ihren Zwillingsbruder, der ihr im Aussehen so gar nicht ähnlich war, an. Obwohl sie schlank und nicht klein war, überragte sein durchtrainierter Körper sie um fast zwanzig Zentimeter. Und im Gegensatz zu ihrem roten Kurzhaarschnitt trug er sein blondes lockiges Haar mittlerweile schulterlang. Er war in den acht Jahren, in denen sie sich nur selten gesehen hatten, nicht nur ein äußerst attraktiver Mann geworden, sondern auch sehr selbstbewusst und überzeugend.

    „Das … hat … er … nicht!" Nach allem, was sie ihrem Bruder aufbrausend an den Kopf geworfen hatte, klangen nun aus ihrer Stimme begründete Zweifel heraus.

    „Schau mich nicht so an. Ich frage mich, warum euch all das niemals in den Sinn gekommen ist. Menanim weiß doch alles, er, der Geist der Allwissenden Steine. Warum hinterfragt ihr nicht das eine oder andere? … Vielleicht solltet ihr nicht über Kan Hayat nachdenken, sondern über euch selbst. Müde und erschöpft schüttelte Julius den Kopf und verließ augenblicklich die Bibliothek. Auf dem Weg nach draußen konnte er gerade noch im letzten Moment verhindern, dass er Hannes über den Haufen rannte. Doch ohne ein Wort des Grußes oder der Entschuldigung stürzte er an ihm vorbei und verließ das Haus. Das „Warte, Julius! seiner Schwester hörte er schon nicht mehr. Auch nicht ihr Schluchzen, als sie Hannes um den Hals fiel.

    ***

    Mit geschlossenen Augen stand er vor dem Blockhaus, eines von vielen und doch wie all die anderen ein Unikat.

    Ursprünglich wollte er während seiner Zeit in Adanwe bei seiner Schwester und ihrer Familie wohnen. Mit Hannes, ihrem Mann, verband ihn früher eine tiefe Freundschaft. Sie alle gehörten zu einer eingeschworenen Clique. Aber nun?

    Atmen! Du musst atmen! Tief durchatmen! Wie konnte es sein, dass Judith und ich zweiunddreißig Jahre lang ein Herz und eine Seele waren und innerhalb von nicht einmal einer halben Stunde so erbitterte Gegner? Verdammt noch mal! War es wirklich zu viel von ihr verlangt?

    So ruhig Julius gegenüber seiner Schwester geblieben war, so sehr wütete nun in ihm Frust und Resignation über sein Unvermögen. Seine Unfähigkeit, Judith zu überzeugen und auf seine Seite zu ziehen. War es wirklich seine Seite?

    Die letzten Wochen hatten seine Welt total auf den Kopf gestellt. Und nicht nur seine Welt.

    ***

    Eigentlich war Julius mit seinen Freunden zu einer Hochzeit in Schottland unterwegs gewesen. Auf der Reise hatten sie Anna und Larissa kennengelernt, zwei total nette und aufgeweckte junge Frauen, die gerade eine Reisereportage entlang der Küsten Schottlands machten.

    Soweit alles ganz schön und gut. Ein Flirt hier und ein Flirt da.

    Doch plötzlich war die Welt aus den Fugen geraten.

    Über Nacht war Anna spurlos verschwunden und die Polizei ging davon aus, dass sie mit ihrem Verlobten von der Steilküste bei Screbster in den Tod gestürzt war. Ihre Freundin Larissa hatte da eine ganz andere Meinung vertreten. Allerdings … Wer hatte ihr glauben sollen?

    Julius hatte ihr geglaubt. Er wusste, dass diese beiden Frauen etwas ganz Besonderes waren. Wenn eine besondere Gabe, wie Visionen empfangen oder den Wahrheitsgehalt einer Aussage erkennen, und dann eine filigran gearbeitete Kette mit einem walnussgroßen Feueropal als Anhänger im Spiel waren, konnte es sich nur um eine Auserwählte der Salwidizer handeln.

    Er selbst hatte bereits vor acht Jahren seine erste extramundane Begegnung mit dieser Spezies gehabt. Eine Spezies unsterblicher Menschen mit einer eigenen Welt hinter einer magischen Barriere.

    Die Männer waren aufgrund einer Anomalie in ihren Genen darauf angewiesen, ihre Frauen unter den Sterblichen zu suchen. Fraglos verfügten jene über außergewöhnliche Gaben, wie eben die von Anna und Larissa. Dem nicht genug, sie besaßen seit ihrer Geburt auch einen solchen Feueropal. Einen Feueropal, der die DNA eines Salwidizers enthielt und seine Trägerin nicht nur zu ihrer Geburt fand, sondern auch ihre Zukunft bestimmte. Die Chemie zwischen Seelengefährten stimmte immer, denn es gab nur die Eine für ihn.

    Was also war Julius anderes übrig geblieben, als seine Hilfe anzubieten? Außerdem … Zusammentreffen mit diesen Unsterblichen, und eines würde hundertprozentig bald stattfinden, versprachen jedes Mal Spannung, Nervenkitzel, Dramatik … einfach ein Abenteuer. Hätte er sich das wirklich entgehen lassen sollen?

    ***

    Okay, er hätte, wenn ihm die Auswirkungen auf sein Leben und seine Beziehung zu Judith bewusst gewesen wären. Denn letztendlich hatten sie nicht nur Anna, sondern auch Kan Hayat und Arabienne, die beide Gefangene in einem goldenen Käfig waren, gerettet und nach Adanwe gebracht.

    Julius und seine neuen Freunde, die an dieser Mission beteiligt waren, wussten um das Leben und Schicksal des Kan Hayat. Allen anderen in Adanwe war lediglich dessen ehemaliger Name Voland geläufig. Voland, der einzige salwidizische Verbrecher aller Zeiten. Das skrupelloseste Ungeheuer schlechthin. Bekannt durch unmenschliche Foltermethoden, Vergewaltigungen ohne Ende sowie Forschungen und Experimenten an lebenden Menschen.

    Damit ging ein Spalt nicht nur durch das gesamte Volk Adanwes, sondern auch durch Familien- und Freundeskreise. All seine Freunde von damals standen auf der anderen Seite. Und wie es jetzt aussah, war auch die Beziehung zu seiner Schwester vorerst nicht zu kitten.

    Vielleicht sah es morgen nach der Anhörung, Verhandlung oder wie auch immer das Volk Adanwes die Farce nennen mochte, ganz anders aus. Nun galt es erst einmal, eine neue Unterkunft für seinen Aufenthalt in der Anderwelt zu finden.

    Seltsam, dass noch niemand aufgetaucht ist, der mich zu einer neuen Bleibe begleitet. Normalerweise laufen in Adanwe keine Menschen mal eben so durch die Gegend. Und wenn, war immer einer der Wächter zugegen. Nicht dass es alltäglich wäre, solchen wie mir in dieser Welt zu begegnen, doch wenn an den Erzählungen was dran ist, hat sich wohl der eine oder andere schon hierher verirrt. Also … Wo bitte bleibt jetzt meine Eskorte? Vielleicht haben alle die Köpfe voller anderer Probleme, dass man für die Überwachung meiner Wenigkeit einfach keinen Nerv hat. … Okay, gehe ich halt allein zu Fabrice.

    Sich nochmals nach allen Seiten umschauend, steckte er die Hände in die Hosentaschen und schlenderte langsam den schmalen Weg entlang, der die Anwesen der Salwidizer miteinander verband.

    Die Aussicht, die sich ihm bot, war wie immer beeindruckend. Hier schien sich nie etwas zu verändern, denn genauso hatte Julius die Landschaft von seinem ersten und gleichzeitig letztem Besuch in Erinnerung.

    Satte, grüne Wiesen durchzogen von klaren, blauen Bächen und tiefen Bergseen, in denen sich zarte Wolken spiegelten, wurden am Horizont an drei Seiten vom Monsiug-Gebirge begrenzt. Seine Berge funkelten aufgrund des hohen Edelsteinvorkommens in der Sonne und der Schnee auf den Spitzen glitzerte wie Zucker. An der vierten

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