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Die Schlächterin
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eBook358 Seiten4 Stunden

Die Schlächterin

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Über dieses E-Book

"Jetzt entspann dich doch mal", hauchte die Killerin honigsüß, "oder bist du etwa noch nie in den Arsch gefickt worden?" Das unwillkürliche Kopfschütteln des geknebelten Mädchens zauberte ein erregtes Lächeln auf ihr Gesicht. "Dann wird das jetzt eine besondere Erfahrung für dich!", schnurrte sie. "Und zwinge mich nicht, das Messer für deine Rosette zu benutzen!"

Noch vor wenigen Tagen war das Leben der Medizinstudentin Kat Stark perfekt. Denn Jahre nach einer Entführung hat sie endlich das letzte Staatsexamen in der Tasche, die Aussicht auf einen tollen Job und eine prickelnde Affäre. Bis sie an einem Partywochenende Grausiges erfährt. Ihre beiden Freundinnen, Anna und Mary, filmten während eines Amerika-Trips zufällig den Mord an einem Drogenboss. Als Kat das verstörende Video sieht, gerät sie in das Visier einer sadistischen Auftragsmörderin und für die drei Frauen beginnt ein Alptraum aus Gewalt, bizarren Exzessen und einer mörderischen Jagd um die Welt.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Juli 2015
ISBN9783738033151
Die Schlächterin
Autor

J.S. Ranket

J.S. Ranket ist begeisterter Sporttaucher und kam eher zufällig zur Schriftstellerei. Was ursprünglich als spannende Geburtstagsüberraschung für seine Frau geplant war, entwickelte sich schnell zum nervenzerfetzenden Thriller. In seinen Romanen verbindet er äußerst geschickt bizarre Storys mit exotischen Schauplätzen, die er auf seinen zahlreichen Reisen selbst besucht hat.

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    Buchvorschau

    Die Schlächterin - J.S. Ranket

    Für Karina

    Prolog

    Kat hatte Angst, schreckliche Angst und ihr ganzer Körper schmerzte. Am Anfang versuchte sie noch, die Stöße auf der rumpligen Straße abzufangen, doch dazu reichten ihre Kräfte jetzt nicht mehr aus. In unregelmäßigem Rhythmus schlug ihr Kopf auf die feuchte Pappe im Laderaum des Transporters. Die ekelerregenden Düfte, die ihr entgegen schlugen, verursachten einen kaum zu unterdrückenden Würgereiz. Ihre Arme und Beine waren mit Kabelbindern gefesselt und hinter ihrem Rücken zusammengeschnürt, so dass sie sich wie die Beute einer bizarren Menschenjagd fühlte. Die beiden dunklen Gestalten, die neben ihr im Laderaum hockten, trugen Skimasken und blickten mit kalten Augen auf sie herab. Kat fröstelte, Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper und die Zähne klapperten wie nach einem Bad in Eiswasser. Sicher würden sie sie, an einer Stange hängend, stolz ihrer Sippe präsentieren.

    Hier ist das Abendessen!"

    Unfähig zu sprechen, starrte sie ihre Entführer an. Und die beiden starrten zurück. Jetzt allerdings auf ihre harten Nippel, die sich unter dem engen Shirt deutlich abzeichneten. Scham stieg in ihr auf und sie fühlte sich nackt. So nackt, als läge sie unter einem riesigen Mikroskop. Das Gefühl ihrer eigenen Ohnmacht gegen die Kräfte, die sie nicht kontrollieren konnte, wurde übermächtig. Wie ein hilfloses Opfer, das unter den Schneemassen einer Lawine gefangen war, vermochte sie kaum noch zu atmen.

    Dann kamen die Tränen.

    Eigentlich war es eine gute Idee gewesen, zusammen mit Sarah diesen Trip zu unternehmen, denn für Kat würde im Herbst das Medizinstudium beginnen. Doch so konnte sie noch ein paar Abenteuer mit ihrer Freundin erleben, bevor für sie der stressige Alltag an der Uni seinen Anfang nahm. Sie hatten ein Interrail-Ticket in der Tasche und konnten sich so mit der Bahn innerhalb Europas frei bewegen. Ein nicht zu unterschätzender finanzieller Faktor bei der Urlaubsplanung der angehenden Studentin. Und hier in Kroatien gab es alles, was sie brauchten. Das Meer, die Berge und natürlich Jungs.

    Mit einem Prickeln im Bauch dachte sie an Miloš und Serge und ihre kleine Bucht auf der Insel Krk. Sie sprangen nackt von den Klippen in das kristallklare Wasser und ließen sich dann von den beiden jeden Wassertropfen einzeln vom Körper lecken. Natürlich war den zwei Frauen klar, dass sie in der darauffolgenden Woche mit Sicherheit gegen andere ausgetauscht würden. Aber ihren Spaß hatten sie trotzdem. Die zwei jungen Kroaten schütteten sich auch förmlich aus vor Lachen, als sie erfuhren, dass Kat eigentlich Kathrin hieß. Und ihr Spitzname nicht von Katze stammte, sondern von den KitKat-Riegeln, die sie früher in rauen Mengen in sich hineingestopft hatte. Aber das war Schnee von gestern. Denn jetzt waren sie auf einer Trekkingtour zu den Plitwitzer Seen.

    Bis vor Kurzem jedenfalls.

    Nur warum hatte sie nicht auf Sarah gehört? Zumindest ein bisschen. Ihre übervorsichtige Freundin sah hinter jedem Baum Gespenster, jeder Straßenhändler war ein Betrüger und in fast jeder Bar verzichtete sie auf Cocktails, aus Angst der Kellner könnte ihr Drogen in den Drink mixen. Lieber trank sie Bier, obwohl sie das gar nicht richtig mochte. Und auch das ließ sie sich erst am Tisch öffnen.

    Sarah war der Transporter, der in der letzten kleinen Ortschaft unter einer alten Akazie parkte, auf den ersten Blick nicht koscher vorgekommen. Und die Typen, die daneben tief im Schatten standen, passten irgendwie nicht hierher. Als ob Sarah wüsste, wie ein Typ aussieht, der hierher passt. Es war auch völlig logisch, dass die Männer, die neben dem Wagen herumlungerten, glotzten. Auch wenn sie deren Gesichter nicht erkennen konnten, so spürten sie doch die Blicke. Denn alle glotzten!

    Doch da gab es einen gewaltigen Unterschied. Zum einen den Alten-geilen-Sack-Glotzer, meist älter und mit teigigem Gesicht, der sich sabbernd hinter einer Zeitung versteckte und ihnen ewig hinterherstarrte. Und zum anderen den Normalglotzer, vom Jugendlichen bis hinauf ins Rentenalter.

    Ist doch völlig normal. Jemand ohne Führerschein kann doch auch bewundernd einem schnittigen Ferrari hinterherschauen. Und Kat und Sarah mussten sich keinesfalls verstecken. Im Gegenteil. Sie zogen die Blicke auf sich. Nicht wie unnahbare Modelschönheiten, sondern wie das hübsche Mädchen von nebenan, dass man auf einen Kaffee einlud. Und dann für den Abend in eine Bar. Es war zwar nicht so, dass es die beiden ständig darauf angelegt hätten, aber zumindest spielte Kat oft mit ihren Reizen. Der Blick über den Rand ihrer schwarzen Brille – die perfekte Mischung aus Unschuld und Sex. Besonders dann, wenn sie dabei ihre schwarzen Haare zu einem straffen Zopf gebunden hatte.

    Als sie das Schlagen der Türen hörten, bekam Sarah fast einen Herzinfarkt. Erst nachdem der Transporter in die Gegenrichtung davon fuhr, beruhigte sie sich soweit, dass die beiden ihre Tour fortsetzen konnten. Kat dachte auch nicht im Geringsten an eine nahende Gefahr, als der Lieferwagen hinter ihnen langsam die Bergstraße hinaufkroch. Das Fahrzeug war eindeutig untermotorisiert und dem Fahrer gelang es nur mit Mühe einen Gang tiefer zu schalten. Was sollte in so einem Gefährt schon auf sie lauern? Entführer auf Krücken? Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, das musste Kat jetzt einsehen.

    Unwillkürlich war Sarah einen Schritt zurückgewichen, als die beiden Männer aus dem Transporter sprangen und Kat packten. Ihr linker Fuß trat ins Leere und sie kippte nach hinten, bevor auch sie in den Laderaum gezerrt werden konnte. In einer Wolke aus Staub und Geröll schlitterte sie den Abhang neben der Bergstraße hinab. Verzweifelt versuchte sie den Fall zu bremsen und riss sich an Dornenbüschen die Hände blutig. Sie verlor ihren Rucksack und rollte, wilde Saltos schlagend, ins Tal. Plötzlich fühlte sie sich schwerelos wie ein Vogel und spürte den tiefen Fall. Dann hüllte die Dunkelheit sie ein.

    Nach einiger Zeit, die Kat wie eine Ewigkeit vorkam, hielt der Wagen und die zwei Kerle stiegen aus. Nachdem sie eine alte Decke über sie geworfen hatten, setzte der Transporter seine holperige Fahrt fort.

    „Wenigstens übertüncht der leichte Benzingeruch aus der Decke die ekelerregenden Ausdünstungen der alten Pappe. Los komm schon, lass dir was einfallen!"

    Kurz vor dem Moment der völligen Selbstaufgabe glomm in einem weit entfernten Winkel ihres Gehirns doch noch ein Funken Überlebenswille auf. Ein letztes Stückchen Glut, das in einem erlöschenden Feuer nach einem Rest Zunder tastet, bevor es in einer hellen Flamme erneut erstrahlt. Und schließlich gewann der stärkste aller menschlichen Instinkte die Oberhand, der Instinkt nach Überleben.

    „Im Rucksack ist ein Messer, wenn du da rankommst sind die Fesseln kein Problem. Dann springst du einfach aus dem Wagen. Scheiß auf einen verstauchten Knöchel. Und Sarah war ja davongekommen, sie hatte bestimmt schon die Polizei informiert und die suchten jetzt nach ihr. Schließlich wollten die Kroaten in die EU und da war es besser, man fand eine verschwundene Touristin unversehrt. Wo war bloß dieser beschissene Rucksack?"

    Bei dem Versuch ihn zu finden, wälzte sich Kat unter der Decke auf der Ladefläche hin und her. Die Kabelbinder schnitten in ihr Fleisch und sie spürte das warme Blut auf der Haut.

    „Mist verdammt noch mal, jetzt wird die Karre auch noch langsamer!"

    Der Wagen stoppte, während die Geräusche von schweren Riegeln und das Knarzen eines großen Tores an ihr Ohr drangen. Dann rollte er langsam weiter, bis er endgültig anhielt.

    „Bloß keine Panik, denn sie tragen Masken! Das bedeutet, sie wollten nicht erkannt werden und mich demzufolge nicht ermorden. Sondern …"

    Kat wagte nicht, ihren Gedanken weiter zu folgen. Und wieder kamen die Tränen. Doch diesmal waren es nicht die der Verzweiflung und Resignation, sondern die der Wut. Wut auf sich selbst, weil sie es nicht geschafft hatte, sich selbst zu befreien.

    Im selben Moment als der Motor verstummte, öffnete sich die Tür des Transporters, die Decke wurde weggezogen und jemand schnitt ihr die Fesseln von den Füßen. Kat hob mühsam den Kopf. Mit einer Handbewegung forderte der maskierte Mann sie auf, auszusteigen. Nur gelang es ihr nicht. Ihre Beine waren so straff verschnürt worden, dass es ihr jetzt unmöglich war, sie zu bewegen. Als es ihm nicht schnell genug ging, packte er einfach Kats Fuß und zog sie aus dem Wagen. Ihr Körper knallte, ohne dass sie die Möglichkeit hatte den Sturz abzufangen, auf den gepflasterten Hof eines großen Anwesens. Ihr Ellenbogen und die Schulter schmerzten höllisch, bestimmt war etwas gebrochen. Der Mann zerrte sie auf die Füße und sie sah die kalten Augen unter der grob gestrickten Skimaske. Sie durchlief ein eisiger Schauer, denn jemand mit solchen Augen kannte bestimmt keine Gnade.

    Sie versuchte es trotzdem:

    „Bitte, … hören Sie, … meine Eltern haben Geld …"

    Weiter kam sie nicht. Der Maskenmann schlug ihr mit voller Wucht seinen Handrücken in das Gesicht.

    Es war als würde ihr der Kopf abgerissen. Sie taumelte, stürzte wieder auf den Boden und schürfte sich schmerzhaft die Ellenbogen auf. Der Kerl kniete sich über sie und deutete drohend mit dem Finger auf ihr Gesicht.

    „Halts Maul, du Nutte!", zischte er in fast akzentfreiem Deutsch.

    Plötzlich packte er ihr Kinn, drückte ihren Kopf in den Nacken und fuhr dann langsam mit seiner Pranke über den Hals bis zur Schulter. Dann packte er ihre Brüste mit beiden Händen und drückte sie so kräftig, dass ihr wieder die Tränen in die Augen schossen.

    „Wenn du noch einmal ungefragt die Fresse aufmachst, hole ich ein paar ausgehungerte, verschwitzte Naturburschen aus dem Dorf, kündigte er an. „Die werden dich dann die ganze Nacht mit ihren Riesenschwänzen in alle Löcher ficken, fuhr er bedrohlich leise fort.

    Bei der Vorstellung stundenlang vergewaltigt zu werden, spürte Kat sauren Mageninhalt in sich aufsteigen. Sie presste ihre Lippen aufeinander, um nicht losschreien zu müssen. Von dem Feuer der Wut, dass soeben noch in ihr loderte, war nur ein kümmerliches Flämmchen geblieben.

    Der Maskierte zog Kat wieder hoch und schob sie vor sich her zu einer Art Stall. Der Putz bröckelte von den Wänden, dass heißt wenn überhaupt jemals richtiger Putz an dem Gebäude gewesen war. Sie sah die Rechtecke der Fenster, die mit massiven Brettern beschlagen waren und das rote Schindeldach. Das große Tor schwang geräuschlos auf und Kat wurde unsanft hineingeschoben. Sie stolperte einen kurzen Gang entlang, von dem mehrere Türen abzweigten. Vor der letzten blieben sie stehen. Der Maskenmann schloss sie auf und schnitt ihr die Kabelbinder von den Armen. Dann folgte ein Stoß in den Rücken und sie landete auf einer alten fleckigen Matratze. Der Kerl warf noch eine Flasche Wasser in ihr Gefängnis, bevor mit einem lauten Knall die Tür wieder zuflog. Nachdem sich der Schlüssel mehrmals klirrend im Schloss gedreht hatte, lauschte Kat noch eine Weile den langsam verhallenden Schritten.

    Sie rieb sich die schmerzenden Handgelenke und schaute sich prüfend um. Die Sommerhitze war fast unerträglich. Das Wasser würde also nicht allzu lange reichen und dem alten Eimer in der Ecke entströmte ein entsetzlicher Fäkaliengeruch. Offensichtlich war das ihre Toilette. Sie schauderte bei dem Gedanken, ihre Notdurft auf dem verbeulten Ding verrichten zu müssen. Der Eimer und die Matratze waren auch die einzige Einrichtung ihres Gefängnisses. Der Boden bestand aus rotem Backstein und die Wände aus zerbröselnden Ziegeln.

    Jetzt, nachdem die unmittelbare Bedrohung durch den Maskenmann verschwunden war, beruhigte sich ihr Puls langsam und ihr Gehirn war wieder zu strukturierten Denkprozessen fähig. Sie musste die Zeit nutzen, soviel war klar. Sich einfach in ihr Schicksal zu fügen, widersprach ihrem Naturell und sie fluchte über sich selbst, wegen ihrer Schwäche. Und wegen der Angst, die der Kerl ihr eingejagt hatte.

    Sicher, sie konnte es natürlich nicht mit einem körperlich überlegenen Gegner aufnehmen, doch so einfach würde sie sich nicht geschlagen geben. Sollten diese Wichser nur kommen und sie vergewaltigen! Dem Ersten, der sie ohne Gummi vögelte, würde sie danach mit einem grimmigen Lächeln eröffnen, dass sie HIV positiv sei, was natürlich nicht stimmte. Und dann zusehen, wie der sich vor Angst in die Hosen pisste. Und derjenige, der es wagte ihr seinen Schwanz in den Mund zu stecken, konnte sich auf eine tolle Überraschung gefasst machen. Selbst auf die Gefahr hin, dass der ihr hinterher die Zähne ausschlug. Sofern er mit einem abgebissenen Pimmel dazu überhaupt in der Lage wäre.

    Diese Drecksäcke würden das noch bereuen! Sie hatten sich eindeutig die Falsche ausgesucht. Genau wie das Straßenmädchen in Sao Paulo, die über ihr Schicksal ein Buch geschrieben hatte. Auch sie wurde entführt und zur Prostitution gezwungen. Der Zuhälter, der sie für die Kunden einritt bestand darauf, dass sie am ganzen Körper blitzblank ist. Das Mädchen entfernte eine Klinge aus dem Rasierer und fand schließlich eine Möglichkeit, sie in ihrer Vagina zu platzieren, ohne sich selbst zu verletzen. Bei dem Versuch sie zu verfolgen, verblutete das Schwein auf dem Bürgersteig.

    Aber tief im Inneren hoffte Kat eindringlich, nicht zu solchen Mitteln greifen zu müssen. Gedankenspiele sind das eine, die Realität jedoch das andere und so suchte sie nach einer Möglichkeit zur Flucht. Doch die Dachbalken waren für sie unerreichbar und die Tür machte einen sehr massiven Eindruck. Kat ließ ihre Finger über das glatte Holz gleiten und klopfte leicht dagegen. Dem dumpfen Klang nach zu urteilen, mussten es starke Bretter sein. Auch sah sie kein Schlüsselloch oder eine Klinke, nur fugenlos aneinander gereihtes Holz. Scharniere waren genauso wenig zu sehen, sie befanden sich offenbar auf der Seite des Ganges, also genauso unerreichbar wie das Dach. Die Fenster erwiesen sich ebenfalls als eine Enttäuschung. Zwar waren sie grob zusammengezimmert, so dass sie durch einen kleinen Spalt in den Hof sehen konnte. Doch ihr fehlte natürlich das Werkzeug, um sie aufzustemmen.

    Kat tastete in dem Halbdunkel Schritt für Schritt die Wände ab. Ihre Zelle mochte vielleicht fünf mal vier Meter groß sein, und in einer Ecke entdeckte sie plötzlich etwas Interessantes. Eine kleine Eisenklammer, leicht von Rost überzogen, klemmte zwischen den Ziegeln. Bei der Berührung des Metalls schlug ihr Herz höher. Vielleicht hatte sie ja ein Werkzeug gefunden, mit dem sie die Bretter am Fenster aufhebeln konnte.

    Sie wackelte daran, doch das verdammte Ding steckte fest. Vorsichtig bohrte sie ihren Fingernagel in den bröckeligen Putz und puhlte Brocken für Brocken heraus. Bereits nach wenigen Versuchen brach ihr Nagel ab und sie musste notgedrungen mit den anderen weitermachen. Kat arbeitete sich soweit vor, bis der Spalt zwischen den Ziegeln zu schmal für ihre Finger wurde. Prüfend wackelte sie an der Klammer und musste ihren freudigen Aufschrei unterdrücken. Sie bewegte sich!

    „Euch werd ich es zeigen!"

    Kat zwängte ihre Hand zwischen die Klammer und die raue Wand. Sie achtete nicht darauf, dass sie sich dabei ihre Knöchel aufschürfte. Mit aller Kraft zog sie daran, aber die Klammer wackelte nur und ließ sich nicht herausziehen. Doch der anfängliche Erfolg verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Sie stemmte sich mit den Füßen gegen die Wand und versuchte es erneut. Der kleine Ruck in dem Eisen hätte ihr eigentlich Warnung genug seien müssen, denn plötzlich löste sich die Klammer und Kat fiel unsanft auf den Rücken. Zum Glück landete ihr Kopf auf der alten Matratze.

    „Ha …!"

    Wie König Artus sein Schwert Excalibur, so hielt Kat die Klammer triumphierend in die Höhe. Angespannt lauschte sie in den Gang ob vielleicht doch jemand die Geräusche gehört hatte, doch alles blieb still. Dann spähte sie durch den Spalt im Fenster und erstarrte.

    Aus dem ansehnlichen zweigeschossigen Haupthaus trat soeben ein kräftiger Mann. Und auch wenn er keine Skimaske trug, vermochte Kat nicht zu sagen, ob es sich um einen ihrer Entführer handelte. Mit federnden Schritten, die seine körperliche Fitness erahnen ließen, ging er zu dem großen Hoftor und schob die schweren Riegel zurück. Mit dem gleichen knarzenden Geräusch schwangen die großen Flügel auf und eine schwarze Limousine rollte langsam auf den Hof. Knirschend bohrten sich kleine Kiesel unter dem Druck der Reifen in das Pflaster. Dann stieg der Fahrer aus und öffnete seinem elegant gekleideten Fahrgast den Fond des Wagens.

    Das ganze Auftreten der kühlen Dame, die dem Fahrzeug entstieg, ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie es gewohnt war Anweisungen zu erteilen. Mit ihrem offensichtlich maßgeschneiderten Kostüm, passte sie durchaus in die Vorstandsetage eines börsennotierten Unternehmens. Allerdings sähe sie mit einer Reitpeitsche in der Hand völlig anders aus.

    Nach einer kurzen förmlichen Begrüßung folgte sie dem Mann in das Haupthaus. Offensichtlich war er nur das Empfangskomitee, denn er kam sofort wieder heraus und ging zu einem kleinen Nebengebäude, das sich an das Haupthaus schmiegte.

    Kat beobachtete angestrengt die Szene in der hereinbrechenden Dämmerung. Sie presste ihr Gesicht so fest an die groben Holzbretter des Fensters, dass sie feinen Holzsplitter nicht bemerkte, die sich in ihre Wange bohrten. Jetzt trat die aparte Frau wieder aus dem Haupthaus und setzte sich in die Limousine. Die scharf geschnittenen Kanten ihres Haares schwangen dabei wie die Klinge eines Fallbeils. Durch die offene Tür des Wagens erkannte Kat ihren suchenden Blick. Sie wartete sicherlich auf den Kerl, der sie begrüßt hatte.

    Wie auf ein Kommando öffnete sich die Tür des kleinen Nebengebäudes. Der Mann erschien und schob eine junge Frau vor sich her. Er tat dies sehr vorsichtig, denn ihr waren die Augen verbunden. Unsicher tastete sie sich über den Hof, während der Kerl sie fast fürsorglich stützte. Es war das genaue Gegenteil der groben Behandlung, die Kat zuteil geworden war. Trotzdem wollte sie unter keinen Umständen mit ihr tauschen. Soweit sie das durch den Fensterspalt beurteilen konnte, trug die junge Frau ungewöhnlich schicke Kleidung. Eine helle Bluse, einen engen dunklen Rock – nicht zu sexy – und flache Schuhe. Der blonde Pferdeschwanz wippte über der schwarzen Augenbinde und es wirkte schon fast ein bisschen erotisch, wie ihre Finger suchend über den Lack der Limousine glitten.

    Die junge Frau zuckte kurz, als die elegante Dame auf dem Rücksitz ihre Hand erfasste, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Dann schloss sich mit einem satten Klacken die Tür und die Limousine rollte langsam vom Hof.

    Nachdem das Tor wieder geschlossen wurde, kam Kat diese Szene so unwirklich vor wie ein Traum. Was hatte sie da gerade beobachtet? Eine junge Frau mit verbundenen Augen, die schwarze Limousine und die attraktive Dame? Bildete sie sich das nur ein oder war auf deren Gesicht wirklich eine Mischung aus Begehren und Taxieren zu sehen gewesen?

    „Nein, das konnte eigentlich nicht sein! Die Kerle wollten überhaupt kein Lösegeld!"

    Sie war in die Hände von Menschenhändlern geraten, mit der eleganten Lady als Puffmutter – auch wenn sie für sich selbst eine unverfänglichere Bezeichnung gewählt hätte. Wenn das stimmte, dann teilten sicher noch andere Mädchen ihr Schicksal. Vielleicht vier oder fünf, den Türen auf dem Gang nach zu urteilen.

    Fest presste Kat ihr Ohr an die massive Tür, doch kein Laut drang von außen zu ihr. Zaghaft klopfte sie an das starke Holz und lauschte wieder. Nichts! Sie versuchte es etwas lauter. Durch das Rasen ihres eigenen Pulses hindurch, vernahm sie plötzlich ein entferntes Klirren. Rhythmisch und metallisch, nicht zufällig. Ihr Herz schlug bis zum Hals und ein warmer Schauer durchlief ihren Körper. Sie war offensichtlich nicht allein und obwohl die andere Gefangene genauso gut auf dem Mond seien könnte, war das Gefühl doch irgendwie tröstlich.

    „Hey!, rief Kat, „wer bist du?

    Sie hatte ihre Hände wie einen Trichter gegen das schwere Holz gedrückt, in der Hoffnung, dass die andere sie so besser hören konnte. Nun lauschte sie wieder angestrengt auf Antwort, doch die Stimme war zu leise. Aber es war die, einer Frau. Und sie klang jung, viel zu jung. An eine vernünftige Kommunikation war auf diesem Weg nicht zu denken, von einem gemeinsamen Fluchtversuch ganz zu schweigen.

    Nein, Kat musste es allein schaffen und durfte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Die Aussicht, in einem zweifelhaften Etablissement von alten, geilen Säcken begrabscht zu werden, entsprach nicht gerade ihren Vorstellungen von einem Abenteuerurlaub. Sie malte sich aus, wie die jungen Frauen unter Drogen gesetzt werden, um sie willig für alle Arten von Perversitäten zu machen. Manchmal sehr subtil, indem den Mädchen einfach etwas in den Drink gemixt wird.

    „Hier Kleine, trink erst einmal ein Glas Champagner nach der ganzen Aufregung!"

    Oder sie werden einfach brutal festgehalten, während man ihnen die Drogen injiziert und sie sich dabei die Seele aus dem Leib schreien.

    Der Gedanke daran lähmte sie jedoch keineswegs. Im Gegenteil, er spornte sie an. Wild entschlossen fuhr sie mit ihren Vorbereitungen fort, denn jetzt fühlte sie sich auch für das andere Mädchen verantwortlich.

    Vorsichtig schob sie die Klammer zwischen die Bretter am Fenster und bewegte sie hin und her.

    Nichts!

    Sie versuchte es näher an der Mauer. Hier gab plötzlich eines der Bretter einen knarrenden Laut von sich und der Spalt wurde größer. Verbissen arbeitete Kat weiter bis das Brett deutlich wackelte. Den Rest würde sie im Schutz der Dunkelheit erledigen. Immer wieder sah sie durch den Spalt. Hoffentlich bemerkte niemand ihre Fluchtvorbereitungen.

    Der erste Teil war geschafft und Kat sank erschöpft auf die Matratze. Jetzt brauchte sie unbedingt noch einen Alternativplan, falls sich das Fenster doch als Sackgasse erweisen sollte. So leicht ließ sie sich nicht unterkriegen. Keinesfalls würde sie wie die junge Frau in den Wagen steigen. Und in den dämlichen Eimer pinkeln, das ging gar nicht. Grimmig sah sie wieder zum Dach, von innen machte es nicht gerade den vertrauenerweckendsten Eindruck. Vielleicht könnte sie auch dort entkommen. Plötzlich kam ihr ein Gedanke.

    Kat steckte die Klammer an ihren Platz zurück und zog die Matratze zur Wand. Dann stellte sie das fleckige Ding hochkant, stützte sich darauf und rüttelte kräftig. Dadurch wurde die Matratze fest in die Ecke gedrückt und die Oberkante befand sich ungefähr in knapp einem Meter Höhe. Die Klammer steckte kurz darüber zwischen den Ziegeln. Mit einer geschickten Schrittkombination könnte sie sich nach oben katapultieren und vielleicht einen Dachbalken erreichen. Sie sprang kurz auf der Stelle und probte den Anlauf. Einmal. Zweimal. Dann …

    „Erster Versuch Kathrin Stark, Germany. Die Latte liegt auf zwei Meter …!"

    Der Sprung war einfach zu niedrig. Ihre Hände bekamen zwar das raue Holz zu fassen, doch ihre Finger rutschten ab. Kat hatte alle Mühe eine halbwegs ordentliche Landung hinzulegen. Wenn sie sich jetzt ernsthaft verletzte, dann konnte sie ihre Flucht vergessen.

    „Zweiter Versuch Kathrin Stark, sie sollte an ihrer Technik arbeiten …!"

    Kat veränderte nur etwas den Absprungwinkel, dann hatte sie es geschafft. Ihre Hände umfassten das Holz, krallten sich an der Oberkante fest und sie nutzte den Schwung, um sich auf den Balken zu schieben. Sie balancierte zum Rand des Daches und drückte prüfend dagegen. Knirschend löste sich eine Schindel und Putz rieselte in ihre Augen. Sie ruderte hilflos mit den Armen, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Gleichzeitig vollführten die Hüften einen lautlosen Mambo, dann stürzte sie in die Tiefe.

    Kaum spürte sie den Boden unter den Füßen, rollte sie sich zur Seite weg, um die Wucht des Sturzes abzufangen. Doch sie prallte mit dem Kopf gegen die Wand und blieb benommen liegen. Das Muster der Ziegel verschwamm vor ihren Augen und an ihrer Schläfe pochte eine kleine Wunde.

    Langsam rappelte sich Kat auf und lehnte sich schwer atmend mit den Rücken gegen die Tür. Sie wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Stirn und sah nach oben. Im Dach war deutlich das helle Rechteck des fehlenden Ziegels zu erkennen.

    Plötzlich wurde sie sich des Hakens in ihrem Plan bewusst. Wie sollte sie in der Dunkelheit den Dachbalken finden? Sicher, das Fenster war eine Option, aber wenn sie es nicht schaffte eines der Bretter ganz wegzustemmen, sah es schlecht aus.

    Kat überlegte

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