Abenteuer in Alex: Start in ein neues Leben
Von Yennifer Woods
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Buchvorschau
Abenteuer in Alex - Yennifer Woods
Kapitel 1
Es war ein stürmischer Abend im November, als meine Eltern ihre Entscheidung trafen. Es sollte mein größtes Abenteuer werden. Dieser Abend veränderte unser Leben. Heute weiß ich das, doch damals wollte ich es nicht wahrhaben.
Wir wohnten in einer kleinen ruhigen Stadt mitten im Herzen des Ruhrgebiets. Meine kleine Schwester Ellen, meine Eltern und ich. Eigentlich waren wir eine glückliche kleine Familie. Mein Vater war Architekt und meine Mutter Modedesignerin für Hochzeitskleider. Geldsorgen waren uns somit weitestgehend fremd. Deshalb konnte ich auch die Entscheidung, die meine Eltern an jenem schicksalhaften Abend trafen, nicht verstehen. Verzweifelt saß ich auf meinem Bett. Immer wieder hallten mir die Worte meines Vaters in den Ohren: - Wir ziehen nächsten Sommer für immer nach Griechenland. Es ist doch nur zu eurem Besten-.
Wie konnten meine Eltern nur der Auffassung sein, dass sie diese Entscheidung unseretwegen getroffen hatten.
Es fing schon einige Wochen vorher an. Ständig diese Kommentare über das Auswandern. Für immer nach Griechenland ziehen und so, hieß es. Anfangs hielt ich das alles nur für einen schlechten Scherz. Meine Eltern hatten diese „Auswanderungshirngespinste" immer, wenn wir aus dem Urlaub kamen. Wir fuhren jedes Jahr in den Sommerferien nach Griechenland. Das hatte natürlich auch einen Grund. Meine Mutter war gebürtige Griechin. Oma und Opa wohnten in einem kleinen Dorf nahe der türkischen Grenze. Und so ergriffen wir jeden Sommer die Gelegenheit beim Schopf und verbrachten unsere Ferien dort, um dem grauen Stadtalltag für einige Wochen zu entkommen. Es war zwar immer sehr schön dort und wir hatten jede Menge Spaß, doch ich konnte mir einfach nicht vorstellen für immer dort zu leben. Oma und Opa waren die einzigen, die wir dort kannten. All unsere Verwandten und Freunde lebten in Deutschland. Ich war einfach nur fassungslos.
Die kommenden Wochen und Monate schienen nur so an mir vorbeizufliegen. Meine Eltern waren mit tausenden Dingen beschäftigt. Es mussten sämtliche Verträge gekündigt und der Umzug organisiert werden. Ein Lkw musste her, der unsere Möbel transportieren sollte. Dann noch die komplizierten Sachen mit dem Zoll. Damals war Griechenland noch kein EU- Mitgliedstaat und es herrschten strenge Zollvorschriften. Meine Schwester und ich durften das Schuljahr noch beenden und danach sollte es sofort losgehen. Ich erlebte diesen Zeitraum in einer Art Trance. Was war Traum und was war Wirklichkeit? Die Grenzen schienen ineinander zu fließen. Es spielte sich zwar alles direkt vor meinen Augen ab, dennoch war ich fest davon überzeugt, dass das alles einfach nicht der Wirklichkeit entsprach. Während dieses Zeitraums kommunizierten wir kaum miteinander. Meine Eltern waren zu sehr mit dem Umzug beschäftigt und mit meiner kleinen Schwester konnte und wollte ich einfach nicht reden. Noch bis heute haben wir uns nicht über damals unterhalten.
Der Termin der Abreise rückte unaufhaltsam immer näher und ich wurde immer aggressiver. Irgendwann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sagte zu meiner Mutter: »Ich werde nicht mitkommen, ich bleibe hier bei meinen Freunden. Ihr könnt von mir aus alleine dorthin ziehen«. Trotzig sah ich sie an. Meine Mutter blickte verwirrt auf mich herab. Mit so einem Ausbruch hatte sie nicht gerechnet. Es traf sie ganz unvorbereitet. Ich sah, wie sie etwas erwidern wollte. Aber sie tat es nicht. Sie drehte sich um und verließ das Zimmer. Abends saßen sie und mein Vater lange Zeit im Wohnzimmer und unterhielten sich. Irgendwann rief mein Vater nach mir. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend trat ich ein. Mein Vater sah mir direkt in die Augen, als er anfing.
»So, so du möchtest also nicht mitgehen. Mama und ich haben uns etwas überlegt. Wenn du möchtest, schicken wir dich hier in Deutschland auf ein Internat. Du hast eine Woche Zeit, um es dir zu überlegen«. Ich hatte das Gefühl, dass mir jeden Augenblick schwarz vor Augen werden würde. Übelkeit stieg in mir hoch. Ein großer Knoten verschnürte mir die Kehle. Krampfhaft versuchte ich meine Tränen zurückzuhalten. Nein, ich würde mir jetzt nicht die Blöße geben und vor meinen Eltern wie ein kleines Kind anfangen zu weinen. Schließlich fühlte ich mich mit meinen sechzehn Jahren schon zu alt für so etwas. Ich nickte nur und verließ fluchtartig das Wohnzimmer. Es blieb mir nichts anderes übrig als mich unter meiner Bettdecke zu verkriechen. Dort heulte ich mich in den Schlaf. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens. Albträume quälten mich. Wie konnten meine Eltern nur so herzlos sein. Wollten sie mich wirklich in ein Internat abschieben? Ich wälzte mich die ganze Nacht lang hin und her. Als ich morgens erwachte, war mir eines klar. Bevor ich ganz allein auf ein Internat in eine wildfremde Stadt gehen würde, wo ich überhaupt niemanden kannte, zog ich es vor bei meiner Familie zu bleiben. Erst Jahre später wurde mir klar, dass meine Eltern mich niemals allein in ein Internat geschickt hätten. Sie kannten mich einfach zu gut und wussten, wie ich mich entscheiden würde, lange bevor ich es selber wusste.
Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu und das hieß für uns Abschied nehmen. Ich weiß bis heute nicht, wie meine Familie den Abschied von unseren Verwandten und Freunden verkraftet hat, für mich war dies jedenfalls die schwerste Hürde. Meine Klassenkameraden hatten eine kleine Abschiedsparty organisiert die mich zu Tränen rührte. Viele meiner engeren Freundinnen hatten kleine Abschiedsgeschenke mitgebracht. Am meisten freute ich mich jedoch über eine kleine Karte, die von all meinen Mitschülern und meinem Klassenlehrer unterschrieben war. Dann war es soweit. Wir umarmten uns alle ein letztes Mal. Ich machte mich auf den Heimweg. Meine allerbeste Freundin Sandra brachte mich bis nach Hause. Dort angekommen ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Wir umarmten uns einmal, zweimal, dreimal; und wir gaben uns ein Versprechen. Unsere Freundschaft sollte trotz der großen Entfernung bestehen bleiben. Ich versprach, ihr so schnell wie möglich zu schreiben. Dann drehte sie sich um und ging nach Hause. Mit zitternder Hand schloss ich die Haustür auf. In meinem tiefsten Inneren verspürte ich eine Erleichterung. Es war sonderbar, aber ich fühlte mich erleichtert die Hürde des Abschiedsnehmens gemeistert zu haben.
Die letzte Nacht vor unserer Abreise verbrachten wir bei meiner Tante, da unsere Wohnung komplett ausgeräumt war. Ein Lkw hatte tags zuvor unserer ganzes Hab und Gut mitgenommen. Der letzte Morgen brach an und es sollte schon ganz früh losgehen. Unser Auto war fertig beladen. Freunde meiner Eltern und noch einige unserer Verwandten standen auf dem Hof bereit um uns zu verabschieden. Dann endlich fuhren wir los. Ich blickte mich nicht um. Ob ich jemals zurückkehren würde?
Kapitel 2
Die Fahrt war anstrengend, doch das kannten wir ja schon. Schließlich fuhren wir nicht das erste Mal mit dem Auto nach Griechenland. Nach drei Tagen waren wir endlich am Ziel. Ich weiß auch heute noch ganz genau was das erste war, das ich gesehen hatte, als wir die Einfahrt zu Omas Haus runterfuhren; das Gesicht meiner Lieblingscousine Evelyn. Sie erwartete mich schon sehnsüchtig. Wir hatten das gleiche Alter und fühlten uns wie Schwestern. Mit Evelyn konnte man Pferde stehlen. Mir war gleich viel wohler zumute. Die nächsten vier Wochen waren somit gerettet. Denn solange würde Evelyn mit ihrer Familie auch bei Oma Urlaub machen. Bei Oma und Opa war die Freude über das Wiedersehen und die Aussicht, dass wir für immer bleiben würden, natürlich riesengroß. Nach vielen Umarmungen und noch mehr Küssen (Küsschen links, Küsschen rechts ist in Griechenland Gang und Gebe) machten wir uns mit vereinten Kräften daran, unser Auto abzuladen. Oma hatte zum Glück zwei Häuser und so verteilten wir uns und unser Gepäck auf die verschiedenen Zimmer, die Oma für uns frei gehalten hatte. Der Lkw mit unseren Möbeln würde erst einige Tage später kommen, da er wegen der Zollkontrollen länger unterwegs war als ein Pkw. Aber was machte das schon. Wir hatten ja noch keine Wohnung, wo wir unsere Möbel unterstellen konnten. Meine Eltern waren nämlich nach dem Motto: „Es wird sich schon irgendetwas finden" losgefahren. Heute muss ich eingestehen, dass es richtig mutig war, einfach so ins Blaue loszufahren.
An diesem Tag erholten wir uns noch ein wenig von der Anreise. Für meine Eltern hieß es tags darauf losfahren uns sich auf Haussuche begeben. Für Ellen und mich begangen hingegen unsere langersehnten Ferien. Schwimmen fahren, mit den anderen Jugendlichen aus dem Dorf rumhängen und mit Evelyn über Jungs quatschen. Es waren schöne vier Wochen. Irgendwann während dieser Zeit hatten meine Eltern endlich Glück mit ihrer Haussuche. Sie hatten ein Haus mit einem großen Grundstück direkt am Meer gefunden. Sie waren ganz aufgeregt als sie abends wiederkamen. Beide schwärmten von dem erstklassigen Ausblick aufs Meer und dem riesengroßen, von Olivenbäumen durchzogenem Grundstück.
»Es ist wunderschön, genau so wie wir es uns vorgestellt haben«, schwärmte Mami. Ihre Augen glänzten. Ich schaute sie zweifelnd an.
»Habe ich denn dann wenigstens mein eigenes Zimmer«, fragte ich sie.
»Aber natürlich, ihr bekommt jede euer eigenes großes Zimmer mit Blick aufs Meer«, erwiderte sie. >Na immerhin<, dachte ich und malte mir aus, wie ich mein erstes eigenes Zimmer einrichten würde.
Einige Tage später fuhren wir alle gemeinsam los, um unser neues Heim zu begutachten. Evelyn und ihre Familie waren leider schon wieder daheim in Deutschland, aber ich hatte versprochen, ihr alles genau zu beschreiben und Fotos zu schicken. Oma und Opa waren natürlich auch mit von der Partie. Der Weg führte uns erst einmal Richtung Alexandroupolis. Sie war die größte Stadt in dem Präfekt. Auf einem Schild kurz vor der Stadt stand: „Willkommen in Alexandroupolis, der ersten Stadt Richtung Europa. Den Namen verdankte die Stadt Alexander dem Großen. Ich fand diesen Namen wunderschön und Alexander der Große war einer meiner Lieblingshelden aus der griechischen Geschichte. Also nannte ich die Stadt nur noch „Alex
. Das war kurz und kompakt und man brach sich beim Aussprechen des Namens auch nicht die Zunge.
Man hatte zwei Möglichkeiten um die Stadt zu durchqueren. Die eine Strecke führte durch das Zentrum und die andere über die Strandpromenade. Ich mochte die Fahrt über die Strandpromenade lieber, da man direkt am Meer entlang fuhr. Man hatte einen wunderbaren Ausblick. Also bat ich Papi, die Promenade entlang zufahren, was er gerne tat, da es dort keine Ampeln gab. Nachdem wir Alex hinter uns gelassen hatten führte uns unser Weg eine kurvige Küstenstraße entlang. Rings herum gab es fast nur noch Olivenbäume. Der Kontrast der silbrig- grün glänzenden Blätter der Bäume zum tiefblauen Meer war einfach umwerfend. Ab und zu sahen wir kleine Häuser inmitten der Bäume. Ich konnte es kaum noch erwarten unser Haus endlich zu sehen.
Nach ungefähr einer Stunde Autofahrt waren wir am Ziel. »Da sind wir«, sagte Papi aufgeregt. Er sah uns viel versprechend an und wartete gespannt auf unsere Reaktionen. Neugierig schaute ich aus dem Fenster. Was ich dort sah verschlug mir die Sprache. Nie zuvor hatte ich so etwas Schönes gesehen. Inmitten der Olivenbäume lag es vor uns; ein wunderschönes altes Herrenhaus. Meine Hände tasteten aufgeregt nach dem Türgriff. Das musste ich mir aus der Nähe ansehen.
Das Haus erstreckte sich über zwei Stockwerke und hatte eine L- Form. Wilder Efeu rankte an der Ostseite des Hauses und ein Rosenspalier mit roten Rosen umrahmte die große hölzerne Eingangstür. Durch die geschlossenen Fensterläden sah das Haus aus, als schliefe es. Die Einfahrt und der Weg bis zur Haustür waren mit großen alten Steinen gepflastert, zwischen denen das Unkraut wucherte. Mami war gerade dabei die Haustür aufzuschließen.
»Nun kommt endlich oder wollt ihr es euch denn nicht ansehen«, rief sie uns zu. Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und drängten hinein. Wir betraten einen großen Flur, der mehr an eine vornehme Empfangshalle als an einen Flur erinnerte. Auf der linken Seite ging es in die Küche. Sie war geräumig und rustikal eingerichtet. Eine richtige Wohnküche. Ich wusste, Mami hatte schon immer von so einer tollen Küche geträumt. Was mir sehr gut gefiel, war, dass man durch die Küche in den Garten gelangte und von dort aus auf eine riesige Sonnenterasse, welche direkt vor dem Wohnzimmer lag. Der Wohn- und Essbereich erstreckte sich zu unserer rechten Seite. Es war ein einziger Raum und er war einfach nur riesig. Es erinnerte mich mehr an eine Halle als an ein Wohnzimmer. Kein Vergleich zu unserer Wohnung in Deutschland. Beeindruckend war der große steinerne Kamin in einer Ecke des Zimmers. Aber am allerschönsten war der Ausblick, der sich vor uns auftat. Man konnte direkt aufs Meer hinaus sehen, da die ganze Südseite des Wohnzimmers mit einer Fensterfront versehen war. Es waren keine Fenster, sondern Schiebetüren wie sich herausstellte, als Papi anfing daran rumzuzerren, um sie zu öffnen.
»Müssten dringend mal geschmiert werden«, murmelte er. Endlich gab die Schiebetür nach und wir traten hinaus auf die riesige Sonnenterasse. Von hieraus konnte man sehen, dass das Grundstück direkt bis an den Strand reichte. Ich war einfach nur überwältigt.
»Wollt ihr nicht endlich eure Zimmer sehen«, rief Mami uns zu. Daran hatten wir schon fast gar nicht mehr gedacht, so beeindruckt waren wir von der schönen Aussicht. Also liefen wir wieder hinein und machten uns auf in den ersten Stock. Dort gab es vier Schlafzimmer und ein Badezimmer. Zwei der Zimmer hatten Meerblick. Mami und Papi überließen Ellen und mir breitwillig diese Zimmer und nahmen Vorlieb mit dem dritten, was auf die Einfahrt und die Olivenbäume schaute. Das vierte Zimmer wollten wir als Gästezimmer nutzen. Unsere Zimmer waren gleichgroß und auch sonst gab es keinen Unterschied, denn sonst wäre ein Streit zwischen Ellen und mir vorprogrammiert. Also entschieden wir uns jede für eins und sahen uns um. Die Räume waren hell und freundlich und besaßen jeweils einen eigenen Balkon. Ich war begeistert; ein eigener Balkon, ganz für mich allein. Das musste ein Traum sein.
In der zweiten Etage gab es noch zwei kleinere Zimmer. Aus dem einen wollte Mami ihr Atelier machen und das andere sollte Papis Arbeitszimmer werden. Dieses Haus war einfach wie geschaffen für uns. Die Suche hatte sich gelohnt. Was mir persönlich auch besonders gut gefiel war, dass der ganze untere Bereich keine Türen besaß. An Stelle von Türen waren überall Rundbögen eingebaut, was dem Haus natürlich noch mehr Helligkeit und Harmonie schenkte.
Opa stellte die Frage, die mich auch schon beschäftigt hatte.
»Das Haus war doch sicher sehr teuer. Könnt ihr es euch denn leisten? «. Neugierig beobachtete ich Papis Reaktion.
»Wir hatten ziemliches Glück gehabt. Die Besitzerin ist seit kurzer Zeit Witwe und wollte hier nicht mehr alleine wohnen bleiben. Alles erinnert sie an ihren Mann. Da sie keine Kinder hat, entschloss sie sich, es zu verkaufen. Und so weit außerhalb von der Stadt ist es schwer einen Käufer zu finden«, erwiderte er. Dabei schien er etwas nachdenklich zu sein.
Nachdem wir alles abgeschlossen hatten, machten wir uns auf den Heimweg. Schließlich gab es viel zutun. Wir mussten noch einmal einen Lkw finden der unsere Möbel bei Oma abholte und sie in unser neues Heim brachte.
Unser Umzug verlief zum größten Teil problemlos. Da wir keinen großen Lastwagen gefunden hatten, mussten wir einen kleineren mieten, der die Strecke dann zweimal fahren musste um alle Möbel zu transportieren.
Kapitel 3
Am nächsten Tag ging es schon früh morgens los. Oma und Opa waren ein bisschen traurig, als wir uns verabschiedeten um endlich in unser neues Reich zu ziehen. Sie hatten sich schon daran gewöhnt uns um sich zu haben. Aber diesmal war es kein Abschied für ein Jahr. Wir wohnten jetzt schließlich nur ca. einhundert Kilometer auseinander. Wir versprachen, sie so schnell wie möglich zu besuchen. Ellen und ich freuten uns riesig und auch unseren Eltern sah man die Freude an. Endlich fing unser neuer Lebensabschnitt so richtig an. Die Möbel waren schon am Vortag eingetroffen, mussten jedoch noch aufgestellt und montiert werden. Das hatte Papi nicht mehr geschafft. Es war ja auch einfach zu viel, um es an einem Tag schaffen zu können. Nach etwa einer Stunde waren wir am Ziel. Mami stieg aus, um das große schmiedeeiserne Tor zu öffnen. Dann fuhren wir die lange Einfahrt hinunter zum Haus. Das Tor ließen wir vorsorglich offen, denn Mami und Papi warteten noch auf Jianni, einen Freund der in Alex wohnte. Er hatte Papi versprochen beim Möbelaufbau zu helfen.
Kaum hatte Papi die Handbremse angezogen, erteilte er auch schon die ersten Anweisungen.
»Es ist wichtig, dass wir als erstes unsere Schlafplätze herrichten. Alles andere eilt nicht ganz so sehr. Also zack, zack, schnappt euch jede erst mal einen Koffer und dann ab noch oben«. Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen. Voll bepackt mit Gepäckstücken machten wir uns auf den Weg in die erste Etage. Mir fiel ein, dass Ellen und ich ja keine Betten hatten. Unser altes Etagenbett hatte ausgedient und war gar nicht erst aufgeladen worden, sondern auf dem Sperrmüll gelandet.
»Papi sag mal bitte, worauf werden Ellen und ich eigentlich schlafen?«, fragte ich stirnrunzelnd.
»Mach dir mal keine Sorgen, Mami und ich haben noch zwei Klappbetten gekauft. Damit müsste es vorübergehend gehen«, erwiderte Papi. Ich nickte zufrieden. Während Mami anfing in der Küche zu werkeln, gab Papi schon die nächsten Anweisungen.
»Tina, wenn ihr die Koffer abgestellt habt und das Auto soweit leer ist, dann tragt doch bitte mit Ellen erst einmal die Klappbetten nach oben in eure Zimmer, die sind ja nicht so schwer. Ach ja die stehen unten im Wohnzimmer«.
Ellen und ich schleppten wie die Möbelpacker eine Tasche nach der anderen nach oben. Danach schnappten wir uns die Klappbetten, die noch in Folie eingeschweißt waren. Nachdem wir auch diese nach oben getragen und von der Folie befreit hatten, liefen wir nach unten in die Küche. Wir hatten einen Riesendurst. Kein Wunder, es waren ja auch fast fünfunddreißig Grad draußen. Gut, dass der Kühlschrank schon seit dem Vortag eingeschaltet war. Somit war wenigstens für kalte Getränke gesorgt. Und noch besser war, dass wir uns vom Bäcker schon Brötchen und gefüllte Croissants geholt hatten. Darüber fielen wir gleich her, denn so eine Schlepperei machte ganz schön hungrig. Während wir es uns auf den Umzugskartons gemütlich gemacht hatten und unser verspätetes Frühstück genossen, machte Mami eine Entdeckung.
»Herrje, ich glaube wir haben Mäuse. Schau mal Franz, hier ist alles voller Mäusekot«. Papi sah sich die fest eingebauten Küchenschränke von innen an.
»Auweia, ich glaube wir brauchen eine Katze«. Schon sprangen Ellen und ich von unseren Kartons.
»Au ja, wann holst du sie Papi? «, rief ich aufgeregt.
»Na nun mal schön eins nach dem anderen. Erst müssen wir uns mal richtig einquartieren, bevor wir uns ein Tier ins Haus holen. Sonst artet es für uns alle nur in Stress aus«, erwiderte Papi gelassen. Ich ließ nicht locker.
»Papi, dass müssen wir so schnell wie möglich erledigen, sonst knabbern die Mäuse noch unsere ganzen Vorräte an. Und außerdem brauchen wir unbedingt auch einen Wachhund«, sprudelte es aus mir heraus.
«Wir wohnen doch so einsam hier. Da ist es unumgänglich sich einen Hund anzuschaffen«, schlussfolgerte ich und sah ihn mit meinen großen kornblumenblauen Augen flehend an. Papi sah Mami nur an und lachte. Ich sah es an seinem Blick, er freute sich wie ein kleiner Junge.
»Nun mal langsam, Tina. Erst müssen wir ja einen Hund finden, der zu uns passt. Alles Weitere sehen wir dann schon«, sagte er augenzwinkernd.
Also eins musste ich meiner Familie schon lassen, sie waren einfach alle super Tierlieb, genau wie ich. Daher konnte ich Leute, die sich vor Tieren ekeln oder Tiere quälen, einfach nicht ausstehen. In Deutschland hatten wir nie die Möglichkeit gehabt ein Haustier zu halten. Meine Eltern waren beide berufstätig und so war den ganzen Tag niemand zuhause. Und außerdem waren wir alle der Meinung, dass ein Hund in einer kleinen Wohnung ohne Garten einfach nicht glücklich sein konnte. Aber nun gab es die besten Voraussetzungen für Haustiere. Ein großes Haus und ein riesiges Grundstück, welches noch so manche Überraschung verbarg.
Nach unserer verspäteten Mittagspause ging es weiter. Mittlerweile war auch Jianni angekommen und mit Papi dabei, die schweren Schlafzimmermöbel nach oben zu tragen. Ellen und ich halfen Mami beim Sortieren der Kartons. Es waren einfach unendlich viele. Zunächst einmal trennten wir die Kartons mit den Kleidungsstücken von den anderen. Diese wollten wir nach oben tragen sobald Papi und Jianni die Kleiderschränke aufgebaut hatten. Nur gut, dass wir die Kartons alle gut beschriftet hatten. Wir kamen gut voran. Die Kartons mit den Küchenutensilien schleppten wir mit vereinten Kräften in die Küche, wo Mami anfing eine Kiste nach der anderen zu sortieren. Mittlerweile war es früher Nachmittag.
»Habt ihr denn noch keinen Hunger«, fragte Papi von oben. Großartige Idee, dachte ich. Mein Magen knurrte schon seit geraumer Zeit.
»Was gibt es denn? « fragte Ellen neugierig.
»Ich habe gedacht ich fahre ins nächste Dorf und hole uns ein paar Suvlaki (das sind Fleischspieße, echt lecker!) und Pommes«, erwiderte Papi.
»Gute Idee, ich bin am verhungern. Bitte beeil dich«, meldete sich nun auch Mami zu Wort.
Ellen wollte unbedingt mit Papi fahren. So saß ich allein da und hatte für den Moment nichts zutun. Also beschloss ich, mir das Grundstück ein bisschen näher anzusehen.
»Mami, ich schau mich mal draußen ein wenig um«, rief ich ihr zu. Eine Antwort bekam ich nicht, da Mami sich gerade mit Jianni unterhielt. Ich ging durchs Wohnzimmer und öffnete eine der Schiebetüren, die wegen der Mittagshitze geschlossen waren. Dann trat ich auf die riesige Terrasse. So auf den zweiten Blick machte alles einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Kein Wunder, hier hatte ja auch seit einiger Zeit niemand mehr gewohnt. Blumentöpfe mit vertrockneten Pflanzen standen traurig in den Winkeln der Terrasse. Einige Steinplatten mussten dringend ausgewechselt werden, sie waren ziemlich ramponiert. Auch an der Fassade bröckelte es hier und dort. Okay, das Haus war schon sehr alt. Überall auf dem Grundstück wucherte Unkraut. Ich wusste, dass ich mich vor Schlangen in Acht nehmen musste. In dieser Gegend gab es viele Kreuzottern. Angst hatte ich keine. Papi hatte mal erzählt, dass Schlangen viel mehr Angst vor Menschen hatten und dass sie bei lauten Geräuschen schnell das Weite suchten. Von der Terrasse führten drei kleine Treppenstufen hinunter in den Garten. Links herum ging es zur Küche. Ich beschloss jedoch, dass Grundstück zu erkunden, Schlangen hin oder her. Also stieg ich die flachen Treppenstufen hinab. Auch hier standen überall dicht an dicht Olivenbäume. Erst mal wollte ich wissen, ob das Grundstück wirklich bis zum Strand führte. Da unser Haus auf einem Hang lag, war das Grundstück recht abschüssig. Nach einem ganzen Stück kam ich tatsächlich unten am Strand an. Ich traute meinen Augen kaum. Das war ja einfach unglaublich. Ein Strand ganz für uns allein. Es war einfach unbeschreiblich schön. Vor mir erstreckte sich eine kleine Bucht, die ringsherum von roten Felsen eingefasst war. Der Kontrast der roten Felsen zum weißen Strand und zum azurblauen Meer war einfach wunderschön. Das würde mir