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Bergdorf sucht... Lehrerin
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eBook335 Seiten4 Stunden

Bergdorf sucht... Lehrerin

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Über dieses E-Book

Die junge Lehrerin Paula hat gleich mehrere Gründe, ihrer Mainzer Schule den Rücken zu kehren. Einer davon ist ihr jüngerer Bruder Hannes. Somit kommt das Jobangebot eines bayrischen Dörfchens sehr gelegen. Doch die Idylle erweist sich als trügerisch und die skurrilen Bewohner bewahren so manches abgründige Geheimnis. Auch Hannes sorgt für zusätzliche Dramatik. Mit Rat und Tat zur Seite steht ihr Ex-Kollegin Julia. Als dann Daniel, der umstrittene Sohn des alten Bergdoktors auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse.
Teil 1 der Lämmerbachreihe
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Feb. 2022
ISBN9783754186305
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    Buchvorschau

    Bergdorf sucht... Lehrerin - Josie Hallbach

    Prolog

    Josie Hallbach

    Bergdorf sucht… Lehrerin

    Teil 1

    Im Schulhaus von Lämmerbach traf sich der komplette Gemeinde-bzw. Kirchengemeinderat zu einer Sondersitzung. Die fünf Mitglieder waren, wenn man den Pfarrer und den Bürgermeister austauschte, ohnehin identisch und leider selten einer Meinung. Nun teilten sie sich aber notgedrungen die wackeligen Schulbänke.

    Es ging um die Stellenbewerbung einer gewissen Paula Müller, 26 Jahre alt. Sie hatte sich überraschend auf die seit neun Monaten geschaltete Anzeige im „Evangelischen Gemeindeblatt" gemeldet.

    Pfarrer Martin Ebershäuser betonte ein ums andere Mal lautstark, dass dies nur mit einem göttlichen Wunder zu erklären sei. Die Idee mit dem Gemeindeblatt stammte selbstverständlich von ihm.

    Die anderen Teilnehmer zeigten sich diesbezüglich zwar skeptischer, standen aber der unbekannten Bewerberin trotzdem denkbar aufgeschlossen gegenüber.

    Der Bürgermeister sprach sogar hoffnungsvoll von einem entscheidenden Durchbruch in der Geschichte der kleinen Berggemeinde.

    Lieselotte Kistner, Amtsbotin, Leichenwäscherin, Messnerin und Leiterin des Seniorenkreises in einer Person, schwoll das Herz vor Rührung, als sie hörte, dass dieses besagte Fräulein Müller ihren 15-jährigen Bruder mitbringen wolle, für den sie aus nicht näher erläuterten familiären Gründen die Verantwortung trug.

    Der Repräsentant der Almbauern sah diesen Umstand deutlich kritischer, liebäugelte aber damit, den Abend bei einem Maß Bier in der Gastwirtschaft ausklingen zu lassen. Deshalb plädierte er für eine sofortige positive Abstimmung, da diese junge Frau ohnehin die einzige Kandidatin auf unabsehbare Zeit bleiben würde. Die anderen nickten zustimmend.

    Lediglich die Hebamme bekam bei diesem eiligen Vorgehen Bedenken. Ihr Vorschlag, ein Vorstellungsgespräch zum gegenseitigen Kennenlernen anzuberaumen, wurde jedoch von allen Seiten entsetzt abgelehnt. An diesem Punkt waren sich die anderen ausnahmsweise einig: Niemand wollte ein unnötiges Risiko eingehen. Es genügte vollkommen, wenn die zukünftige Lehrerin zum spätestmöglichen Zeitpunkt mit den lokalen Gegebenheiten konfrontiert wurde.

    So setzte man in freudiger Erwartung das Antwortschreiben auf.

    Ein Hinweis für alle Bayern-Fans:

    Der besseren Lesbarkeit wegen wird der bayrische Dialekt nur in geschmälerter Form und ohne jeglichen Anspruch auf Perfektion wiedergegeben.

    Kapitel 1:

    „Das ist nicht dein Ernst", sagte Julia und starrte ihr Gegenüber fassungslos an.

    „Mein völliger Ernst", erwiderte Paula und versuchte so gelassen wie möglich auszusehen. Innerlich machte sie sich allerdings auf ein anstrengendes Gespräch gefasst.

    „Wo um alles in der Welt liegt Lämmerbach?"

    „Irgendwo am Ende von Deutschland." Paulas Stimme klang so betont frisch, dass es bereits verdächtig wirkte. Sie versuchte sogar ein leichtes Grinsen.

    „Du meinst wohl am Ende der Welt. Mensch Mädchen, ich versteh ja, dass du hier wegwillst. Aber schmeiß doch nicht gleich deine ganze Zukunft hin."

    „Ich nehme eine Lehrerstelle in einem netten, kleinen Bergdorf an, das ist alles. Ihr Grinsen wurde auf eine harte Probe gestellt. „Das Klima dort soll sehr gesund sein. Höhenluft.

    „Ich wusste gar nicht, dass du krank bist. Julia fuhr sich ungeduldig durch ihr langes blondes Haar. „Wie bist du überhaupt an diese Stelle gekommen?

    „Sie war im `Evangelischen Gemeindeblatt` ausgeschrieben." Paula hatte einen Hang zur Ehrlichkeit, der ihr im Leben nicht immer nur Pluspunkte einbrachte. Ihr selbst war die Anzeige wie eine Fügung des Himmels erschienen, als sie diese vor einigen Wochen entdeckt hatte. Aber davon konnte sie ihre Kollegin vermutlich schwer überzeugen. Deren Sinn für Religion endete spätestens bei den Weihnachtsgeschenken.

    Paula schaffte es dafür, ihre Gesprächspartnerin zum zweiten Mal aus der Fassung zu bringen. Die Hand blieb im Haar stecken. „Hör mal zu, mein Kind, kam es im besten Erzieherinnenton, „lass uns in Ruhe über alles reden. Eine solche Entscheidung sollte man nicht überstürzen.

    Das angesprochene „Kind" begann es sofort zu bereuen, sich nicht gleich nach Schulende aus dem Staub gemacht zu haben. Das Problem war, dass ihre Freundin ja irgendwie Recht hatte. Paula merkte selbst, wie überstürzt ihre Entscheidung wirkte, doch der Wunsch hier wegzukommen, war übermächtig. Jeder Tag fühlte sich wie Spießrutenlaufen an. Alle wussten Bescheid oder hatten zumindest einen Teil der Gerüchte mitbekommen. Wenn sie Jörg bloß sah, wäre sie am liebsten abwechselnd im Boden versunken oder hätte sich wutentbrannt auf ihn gestürzt. Sie verstand inzwischen selbst nicht mehr, wie sie sich in dieses aufgeblasene Ekelpaket hatte verlieben können. Warum sie ihm dermaßen auf den Leim gegangen war, ohne die Spur eines Misstrauens.

    Lediglich Julias Eingreifen war es zu verdanken gewesen, dass sie bei der sich anbahnenden Katastrophe nicht völlig den Boden unter den Füßen verloren hatte. Seither fühlte sich die ältere Kollegin für sie verantwortlich.

    „Setz dich! Unsanft wurde Paula auf einen Stuhl gedrückt und dann ging es zur Sache. „Erzähl mir von der Ausschreibung.

    Diese wagte nicht zu widersprechen. „Es ist ein kleines Bergdorf unweit der Österreichischen Grenze. Sie suchen eine Lehrerin oder einen Lehrer, der die wichtigsten Fächer bis zur mittleren Reifeprüfung unterrichten kann."

    „Aha! Ihre Gesprächspartnerin blickte keineswegs begeistert drein, so dass sie rasch ergänzte: „Bezahlung nach Tarif und flexible Arbeitszeiten. Es ist eben eine ländliche Gegend. Dafür wird einem sogar eine möblierte Wohnung zur Verfügung gestellt.

    „Aber Kühe musst du keine melken können, oder? Meine liebe Paula, wer bitte schön schreibt eine Lehrerstelle im ´Evangelischen Gemeindeblatt` aus? Wann warst du beim Vorstellungsgespräch?"

    „Es gab kein Vorstellungsgespräch. Ich habe meine Bewerbung geschickt und gestern bekam ich die Zusage. Sie erwarten mich Ende August."

    Julia war inzwischen der Verzweiflung sichtbar nahe. Eine Hand lag auf Paulas Schulter während die andere sich aus dem Haar befreit hatte und nun wenige Zentimeter vor ihrem Kopf herumfuchtelte, wie ein Scheibenwischer im Wolkenbruchmodus. Auf der sonst so ebenmäßigen Stirn begannen sich steile Falten zu bilden. „Du musst völlig übergeschnappt sein, Herzchen. Heutzutage nimmt keiner eine Lehrkraft ohne Vorstellungsgespräch, außer... Sie ließ den Satz unvollendet. Dafür tippte ihr Zeigefinger an den Kopf der Freundin, „denk mal drüber nach. Macht dich das nicht misstrauisch? So naiv und weltfremd kannst selbst du nicht sein. Die ganze Sache stinkt doch kilometerweit gegen den Wind.

    Natürlich hatte Paula bereits darüber nachgedacht und wenn ihre Lage nicht so verzweifelt wäre… und nicht nur ihre… Auch ihr Bruder musste dringend von hier fort, je schneller und weiter desto besser. Alles, was sie in den letzten Monaten von ihm zu sehen bekommen hatte, war ziemlich unerquicklich gewesen. Nicht nur, dass er mit dieser entsetzlichen Clique herumhing, neulich war sogar die Polizei vor ihrer Tür aufgetaucht, weil er angeblich bei einem gescheiterten Einbruch beteiligt gewesen sein sollte, wenn auch nur zum Schmiere stehen. Man hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass Jugendliche bereits ab zwölf Jahren strafmündig wären und lediglich ihr Versprechen, den Bruder in Zukunft unter straffer Kontrolle zu halten, die Polizei davon überzeugen könne, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Die ganze Geschichte hatte ihr einen Mordsschrecken eingejagt.

    Das fällige Gespräch mit Hannes am Abend darauf war dann leider zum Monolog ihrerseits geraten. Sie kam nicht an ihn ran, und manchmal fragte sich Paula in solchen Momenten, ob sie überhaupt jemals ein halbwegs intaktes Verhältnis zu ihm gehabt hatte.

    Vielleicht war sie deshalb so offen für die Sympathiebeteuerungen ihres älteren Kollegen gewesen? Jörg Markhoffs Aufmerksamkeiten fielen auf empfangsbereiten Boden. Hinzu kam, dass sich ihre seitherigen Erfahrungen mit Männern auf ihren selten vorhandenen Vater, mit dem sie ohnehin kein herzliches Verhältnis verband, romantische Fernsehfilme und entsprechend einseitige Literatur beliefen.

    Kurzzeitig fühlte sie sich wie das hässliche Entlein, das sich zur eigenen Verblüffung in einen akzeptablen Schwan verwandelt. Dieses Hochgefühl hielt allerdings nur bis zu jenem Abend, als Jörg Markhoff urplötzlich vom Märchenprinzen zum Frosch mutierte.

    Hinterher erfuhr sie von Julia, dass es im Kollegenkreis bereits Wetten gegeben habe, wie lange er wohl brauchen würde, um sie flach zu legen. Der Einsatz hatte fünfzig Euro betragen und die pessimistischste Prognose auf zwei Wochen gelautet.

    Paula verspürte nach dem fälligen Schock den Wunsch, möglichst viele Kilometer zwischen sich und diese Schule zu bringen. Der Zeitpunkt für eine Versetzung war aber für alle Seiten ungünstig und deshalb bemühte sich der Direktor im Gegensatz zu ihr auch nicht sonderlich darum. Er musste sich schließlich nicht dem Gespött oder Mitleid der Kollegen aussetzen. Das eine war für sie so unangenehm wie das andere. Natürlich würde mit der Zeit Gras über die Sache wachsen, sie war ja noch jung und wenn jemand gehen sollte, wäre das doch eher Jörg. Außerdem gäbe es genug andere Männer, die nicht….

    Paula hatte das Gerede der Leute um sich herum so satt, dass sie sich Einsamkeit, Ruhe und keine weiteren guten Ratschläge zu wünschen begann. Sie sehnte sich nach einem Platz, an dem niemand sie kannte und wo sie noch mal ganz von vorne anfangen konnte, und das mit gerade mal 26 Jahren. Gleichzeitig wusste sie, dass ihre Haltung niemand verstehen würde und sie somit auch mit keiner Unterstützung rechnen konnte, zumindest mit keiner menschlichen.

    Doch spätestens zu diesem Zeitpunkt kam ihre Religiosität ins Spiel. Dank drei Jahren Kinderkirche und einem christlichen Gospelchor, den sie in sporadischen Abständen besucht hatte, war immerhin so viel Glaube bei ihr hängen geblieben, dass sie vor schwierigen Entscheidungen normalerweise ihr Heil im Gebet suchte. Sie glaubte, dass es einen Gott gibt und dieser bei Bedarf in das Leben einzelner Menschen eingreift. Sie erinnerte sich an diese Möglichkeit und betete intensiv für eine neue Stelle. Zwei Tage später entdeckte sie die Anzeige im „Evangelischen Gemeindeblatt" und stand staunend davor. War das nicht die Antwort auf ihr Gebet? Die Bedingungen klangen nahezu perfekt und schienen genau auf ihre Situation zu passen. In ländlicher Idylle und mangels einschlägiger Zivilisation und Ablenkung konnte sie vielleicht sogar ihren Bruder unter Kontrolle bekommen und zum Lernen bewegen, so dass er die Mittlere Reife schaffte.

    Das alles waren Argumente, die Lämmerbach zur ersten und sowieso einzigen Wahl machten. Die sofortige Zusage, die sie auf ihre Bewerbung erhielt, tat seinen Teil dazu.

    „Mein Entschluss steht fest, sagte Paula, aus ihren Gedanken auftauchend. „Ich habe es vorhin dem Direktor mitgeteilt. Zum Schuljahresende wechsle ich.

    Julia nickte grimmig. „Na gut. Du willst es wohl nicht anders. Aber behaupte hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."

    „Du bist hiermit von sämtlichen Verpflichtungen entbunden." Es sollte ironisch klingen. Doch ihre Stimme klang lange nicht mehr so sicher wie zu Beginn des Gesprächs.

    Sie stand bereits an der Tür, als die Freundin ihren letzten Trumpf ausspielte: „Was hält denn Hannes von deiner Idee?"

    „Er weiß noch nichts davon. Der nervöse Unterton war nun unüberhörbar, „aber ich werde es ihm gleich heute Abend mitteilen.

    „Na dann, viel Spaß."

    Kapitel 2:

    Das Gespräch mit ihrem Bruder übertraf alle bangen Erwartungen.

    Mit einigem Aufwand brachte Paula ihn erst mal soweit, dass er ihr beim Abendessen überhaupt zuhörte und sich nicht sofort in sein Zimmer oder nach draußen verflüchtigte.

    Dann sagte er ganze zehn Minuten lang kein Wort, sondern stocherte nur lustlos in seinen Spaghetti herum, während sie sich über den Ort in den Bergen und dessen Möglichkeiten und Vorteile fast den Mund fusselig redete.

    „Ich finde, Lämmerbach klingt ganz hübsch, findest du nicht? So nach Schafen." Langsam ging ihr der Stoff aus. Bisher hätte sie mit dem gleichen Erfolg ihre Mühe an eine Parkuhr verschwenden können.

    „Es klingt nach völlig belämmert und passt somit hundert Prozent zu dir, sagte Hannes endlich. „Falls du tatsächlich glaubst, ich würde da mitgehen, musst du wirklich total irre sein.

    „Du hast keine Wahl. Ich habe das Sorgerecht für dich." Paula kratzte alles, was sie an Autorität besaß zusammen und warf es in die Waagschale.

    Hannes lachte, allerdings klang es keineswegs froh. „Jetzt fällt dir wohl nichts mehr ein. Vergiss es einfach! Es ist eine Sch...Idee. Was kann ich dafür, dass du es nicht mal schaffst, irgendwelche ältere Kollegen bei der Stange zu halten?"

    Der Hieb war gut platziert. Er hatte also genug von Jörg mitbekommen, um ihre Hauptbeweggründe zu erahnen. Dabei hatte sie seither gedacht, Hannes würde in einer anderen Welt leben und sie als Schwester bestenfalls durch einen dunstigen Schleier wahrnehmen.

    „Und wie hast du dir deine Zukunft denn vorgestellt?", fragte Paula, weil ihr nichts Besseres mehr einfiel und sie vorrangig damit beschäftigt war, ihre seelischen Wunden zu lecken.

    „Ich komm bei einem meiner Kumpels unter. In letzter Not gehe ich zu Paps nach Portugal. Das ist immer noch besser als mit dir irgendwo hin. Glaub nicht, irgendjemand, am allerwenigsten du, wird es schaffen, mich an diesen bescheuerten Ort zu bringen. Wo liegt dieses Belämmertbach überhaupt?"

    Das wusste Paula selbst nicht so genau, war aber bereit, auf der Karte nachzuschauen.

    „Gib dir keine Mühe. Wahrscheinlich findest du diesen Ort nicht mal bei Google Earth. Die letzten, nicht registrierten Quadratkilometer in Deutschland. Ich habe ja nichts dagegen, wenn du in die Wildnis gehen möchtest. Aber lass mich dabei aus dem Spiel."

    „Du weißt genau, dass das nicht geht. Paps Frau wird dich nicht aufnehmen, das hat sie deutlich genug erklärt."

    „Und wenn schon. Irgendeine Unterkunft werde ich auftreiben. Nur weil du meinst, alles hinschmeißen zu müssen, muss ich nicht das gleiche tun. Ich bleib bei meinen Freunden."

    „Schöne Freunde, was man so mitbekommt."

    „Du kennst sie ja überhaupt nicht. Hast du dich je für sie interessiert? Komm mir also nicht mit deinem Psycho-Lehrer-Geschwätz." Damit verschwand er Tür knallend in seinem Zimmer.

    Zurück blieb eine ratlose Paula. Machte sie denn alles falsch? Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen und geheult. Aber außer Kopfschmerzen brachte das nichts, das wusste sie aus bitterer Erfahrung. Wenn sie eins begriffen hatte, dann, dass niemand sie aus einer verfahrenen Lage retten würde, weder ihr Vater noch sonst irgendein Mensch. Sie musste ihr Leben selbst in die Hand nehmen und dummerweise das ihres Bruders gleich mit.

    In diesem Augenblick klingelte es.

    Zwei von Hannes’ Kumpels standen draußen. Alle wirkten gleichermaßen cool und finster mit ihren gestylten Haaren, den weiten Hosen, Piercings und Tattoos an den unmöglichsten Stellen; dazu den obligatorischen MP3-Player lässig im Ohr. Sie hatte sich tatsächlich nie die Mühe gemacht, sie auseinander zu halten.

    „Er ist in seinem Zimmer", sagte Paula und trat einen Schritt zur Seite. Die Besucher ließen sich nicht zweimal bitten.

    Während sie die Küche aufräumte, ging es gut zur Sache. Die Stereoanlage lief auf Hochtouren und es klang, als würden man Kleinholz aus den Möbeln machen.

    Irgendwann hatte Paula genug. „Könnt ihr nicht wenigstens ein bisschen leiser sein. Der Vermieter…" weiter kam sie nicht. Das Zimmer wirkte, als hätte ein Orkan darin gewütet. Ein umgeworfenes Bücherregal, Kleider hingen aus dem Schrank und lagen auf dem Boden verstreut, der Schreibtisch stand offen und der Inhalt der Schubladen verteilte sich über den Rest des Raums. Nicht, dass Hannes je sonderlich viel Sinn für Ordnung besessen hätte, aber das überstieg selbst seine Grenze.

    Er lag auf dem Boden und einer seiner Kumpels kniete neben ihm, während der andere ihn festhielt. Falls Paula bis zu diesem Zeitpunkt noch Zweifel an der Absicht der beiden Besucher gehabt hätte, wäre das Messer in der Hand des einen durchaus geeignet gewesen, sie zu überzeugen.

    „Hey, was soll das?, fragte sie und schnappte sich ohne zu zögern den nächstbesten, schweren Gegenstand, in diesem Fall den Schirmständer aus Metall. Ihre Schwäche für Miss Marple–Krimis zahlte sich endlich aus. „Wenn ihr nicht sofort verschwindet, hole ich die Polizei.

    „Das glaube ich kaum, erwiderte der Festhalter. „Du wirst deinen Bruder doch nicht im Knast besuchen wollen.

    „Halt dich da raus, Paula, ächzte Hannes. „Das geht dich nichts an.

    „Wer weiß, sagte der andere Kumpel, „vielleicht hat sie ja die Knete.

    Der mit dem Messer bewachte Hannes weiterhin, während der andere sich mit betont boshaftem Gesichtsausdruck vor Paula aufbaute. Er überragte sie um mindestens einen Kopf und hatte die Statur eines Ringers. „Na Schnecke, wie sieht’s mit uns beiden aus? Du magst es doch sicher, wenn ich mich ein bisschen um dich kümmere? Wir könnten eine flotte Nummer schieben, vielleicht wird dein Bruder anschließend etwas freigiebiger…" Er grinste anzüglich und machte eine eindeutige Geste.

    „Wag es nicht, mich anzufassen", keuchte Paula vor Empörung und brachte den Schirmständer in Verteidigungsposition.

    Ihr Kontrahent kicherte anerkennend. „Wow, du gehst ja richtig ab. Normalerweise stehe ich nicht auf ältere Tussis, aber bei dir würde ich glatt eine Ausnahme machen."

    „Lass sie in Ruhe", kam es heldenmütig von Hannes.

    „F… dich…Ich glaube nicht, dass du momentan in der Lage bist, Bedingungen zu stellen."

    „Um was geht es hier überhaupt?" Seltsamerweise fühlte sie zwar ihren Puls hämmern, doch die Angst hielt sich in Grenzen. Sie war sich nahezu sicher, dass der Ringertyp nur bluffte.

    „Um Kohle, mein Täubchen. Dein verf…Bruder schuldet uns zwei Riesen."

    Paula glaubte sich verhört zu haben. „2000! Stimmt das, Hannes?"

    „Ja, aber es ist nicht so, wie es sich anhört", gab dieser mit gequetschter Stimme zu bedenken. Gequetscht deshalb, weil sein Hals immer noch von einer kriminellen Pranke umklammert wurde.

    „Wir warten nicht mehr länger, merk dir das, du H…. Du kannst uns nicht verarschen. Entweder du zahlst oder Freddy kommt persönlich vorbei und der wird nicht so zart mit dir umspringt."

    Diese Drohung zeigte endlich Wirkung und Hannes gestand: „Ich habe gerade keinen einzigen Cent."

    Der Würger stieß ein paar Ausdrücke aus, die Paula nicht in ihrem aktiven Wortschatz führte, deren Sinn sie aber ohne Probleme erahnen konnte. „Dann also zu dir, Mutti. Zahlst du für deinen lausigen Bruder oder sollen wir uns intensiv mit dir beschäftigen? Mein Freund ist schon ganz wild darauf."

    Paula dachte praktisch. „Ihr könnt 500 Euro haben. Die habe ich heute von der Bank geholt."

    „Dann schaff sie her, aber fix. Fe, du begleitest sie, damit sie keine Dummheiten macht."

    „Tu es nicht, Paula!", rief Hannes tapfer dazwischen, wurde aber durch einen Fußtritt, kombiniert mit ein paar Flüchen, ruhiggestellt.

    Paula holte unter dem wachsamen Blick von Felix, dem wandelnden Kleiderschrank, das Geld aus ihrer Kasse. Man konnte unschwer erkennen, dass diese anschließend leer war.

    Außer weiteren anzüglichen Bemerkungen wagte er zum Glück nicht, in näheren Kontakt mit ihr zu treten, obwohl sie inzwischen den Schirmständer abgestellt hatte. Er hätte sich ohnehin nur als Filmrequisite geeignet.

    „Besser als nichts. Den Laptop und die Stereoanlage nehmen wir als Anzahlung mit." Die Gestalt neben Hannes, der wohl als Anführer der Beiden fungierte, ließ von ihm ab und steckte das Geld ein. Felix machte sich parallel an den Abbau der Technik.

    „Hey, das könnt ihr nicht. Da sind meine ganzen Programme und Spiele drauf", wagte Hannes lauthals und mit neu gewonnenem Mut zu protestieren. Der Laptop war das großzügige Geburtstagsgeschenk seines Vaters gewesen.

    „Dein Problem. Hättest halt rechtzeitig deine Schulden bezahlt. Nächste Woche holen wir den Rest, und wehe du hast nicht alles beisammen."

    „Das schaffe ich niemals bis dahin, aber ich jobbe während der Sommerferien. Wenn die Schule wieder anfängt, habe ich das Geld, versprochen."

    Die zwei schauten sich abwägend an. Dann sagte Felix: „Also gut, am ersten Schultag sind wir da und wenn ein einziger Cent fehlt, fürchte ich, können wir Freddy nicht mehr zurückhalten. Und das gilt für euch beide."

    Fünf Minuten später endete der Spuk und die dunklen Gestalten waren mit Paulas Geld, Hannes’ Laptop und seiner Stereoanlage verschwunden.

    Paula ließ sich aufs Sofa fallen und holte das fällige Zittern nach. Als sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte, knöpfte sie sich ihren Bruder vor. Dieser wirkte gespenstisch kleinlaut und überraschend mitteilsam. Allerdings war die Geschichte, die herauskam, wenig erbaulich.

    Hannes zog, seit er bei Paula wohnte, mit einer Gang von Jugendlichen um die Häuser, deren Anführer Freddy hieß: Ein Erwachsener, der mit Drogen dealte und noch so einiges andere am Laufen hatte. Natürlich durfte Hannes probieren. Freddy und die anderen aus der Clique hatten sich erstaunlich großzügig gezeigt, wenn es um Alkohol, Gras oder irgendwelche Tabletten ging; bis vor zwei Monaten. Da verlangte Freddy plötzlich, dass Hannes seine Schulden begleichen solle und setzte ihm eine Frist von einer Woche.

    Das mit dem Einbruch, den er mit zwei anderen aus der Gang übernommen hatte, um an Geld zu kommen, war gründlich in die Hose gegangen und seither hatte Hannes mit Verzögerungstaktik und Ausreden agiert und sich ansonsten so dünn wie möglich gemacht. Als er drei Wochen lang nichts von Freddy und seinen Bodyguards zu sehen bekam, glaubte er, die ganze Sache wäre erledigt. Bis heute Abend eben.

    Paula wollte alles im Nachhinein der Polizei melden. Schließlich waren sie bedroht und ausgeraubt worden, man hatte ihr Eigentum beschädigt und dieser Freddy dealte anscheinend ganz offen mit Drogen. Wenn das nicht genug Gründe waren, wusste sie auch nicht.

    Aber Hannes redete mit einer solchen Sprachgewandtheit auf sie ein, dass ihr Entschluss von Minute zu Minute mehr ins Wanken geriet. Es war wohl nicht allzu sinnvoll, die Polizei weiter auf ihn aufmerksam zu machen, besonders nach der Geschichte mit dem Ladendiebstahl. So viel verstand Paula ziemlich schnell. Denn unter Umständen gäbe es da noch die eine oder andere unklare Sache, mit der er eventuell in Zusammenhang gebracht werden könne. Es existiere sowieso bereits eine Polizeiakte über ihn und er stünde somit auf einer Art schwarzen Liste. Sie wolle doch bestimmt keinen Bruder, der vorbestraft wäre.

    Paula besaß nicht den Mut, näher nachzufragen, sondern starrte ihn nur entsetzt an.

    Aber eigentlich sei alles gar nicht so schlimm, erklärte Hannes. Den Laptop müsse er zwar abschreiben, aber das würde er wohl oder übel verschmerzen. Der Prozessor war ohnehin nicht mehr auf dem neuesten Stand. Und um die Stereoanlage sei es auch nicht schade.

    Paula schüttelte ärgerlich den Kopf. „Ich versteh nicht, wie du glauben konntest, sie würden dir das Zeug schenken. Ohnehin dachte ich, du wüsstest, wie gefährlich Drogen sind." Ein bisschen Erziehung konnte sie sich nicht verkneifen. Schließlich war sie nicht umsonst Lehrerin geworden.

    „Diese Pillen sind völlig harmlos. Die bekommst du überall. Und von

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