Wir und Es
Von Larissa Schwarz
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Über dieses E-Book
Wann werden wir zu dem, was wir sind? Und wodurch?
In den Neunzigern beginnt für fünf Freunde die Suche nach der eigenen Identität. Umwege, Abwege und Unwägbarkeiten führen sie in ein selbstbestimmtes Leben. Finden sie alle ihre Bestimmung?
Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind ... hoffen wir. Als Kind, als Heranwachsender. Sogar als Erwachsener manchmal noch. Und alles ändert sich tatsächlich.
Auch wenn die Fäden der Freundschaft zerfasern, laufen sie irgendwann wieder zusammen. Dann werden sie unser Rettungsseil. Oder strangulieren uns.
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Buchvorschau
Wir und Es - Larissa Schwarz
Larissa Schwarz
Wir und Es
Erzählung
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
Texte: © Larissa Schwarz
Umschlaggestaltung: © Larissa Schwarz
Verlag:
Edition Eschberg – Larissa Schwarz
Heisterbusch 1
46539 Dinslaken
larissa@larissaschwarz.de
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Ketchupkopf – Ketchup fürs Volk
Schon als ich klein war wusste ich, dass ich hässlich bin. Die anderen Mädchen im Kindergarten hatten längere Haare, ein hübscheres Lächeln, waren sportlicher und beliebter. Das änderte sich auch in der Grundschule nicht.
Ich war immer das Kind, das als Erstes ins Haus musste und selten bis nie länger aufbleiben durfte. Nicht einmal im Sommer, wenn die Sonne bis spätabends die Straßen und Gassen des Dorfes erhellte. Während alle anderen noch draußen Verstecken spielten, musste ich ins Bett und konnte nur aus der Ferne ihr Kichern und Reden hören. Was sie erzählten, konnte ich mir nur ausmalen.
Statt den Tag erst mit dem Sonnenuntergang zu beenden, lag ich in meinem abgedunkelten Zimmer und durfte noch ein paar Seiten lesen. Die Bücher entschädigten mich für das, was ich draußen verpasste. Von den anderen abgetrennt, öffneten sich mir Welten. Ferne und fremde, spannende und traurige, besondere und alltägliche. Es war mehr als ein Film in meinem Kopf. Ich tauchte in die Geschichten ein, suchte, rannte, erschrak und verliebte mich. Erlebte Wunder und Trauer, Freude und Vielfalt. Es war, als sei ich Teil dieser Welten, und je mehr ich las, desto klarer wurde für mich, dass ich ebenso Welten erschaffen wollte. Eine, in der ich mit den anderen auch so lange am Lagerfeuer sitzen durfte, bis ich vor Müdigkeit umkippte. Eine, in der ich einen zahmen Tiger als Haustier hatte. Eine, in der ich ich sein durfte und trotzdem von anderen gemocht wurde.
Den Kindern, die noch um die Häuser zogen und die wildesten Abenteuer erlebten, war nämlich egal, dass ich nicht mehr da war. Sie hatten ja sich. Es war ihnen gleichgültig, ob einer weniger beim Versteckspiel zu suchen war. Einer weniger, mit dem man die selbstgepflückten Kirschen teilen musste? Umso besser. Einer weniger, der das Abenteuer durch seine Zögerlichkeit in Gefahr brachte? Perfekt.
Tag für Tag rückte meine Kindheit ein wenig von der der anderen ab.
Ich war ein sonderbares Mädchen. Eigen. Stur. Eingebildet. Arrogant. Affektiert. Schlau. Nervig. Ängstlich. Langweilig. Und natürlich hässlich. So ein Mädchen konnte ja gar nichts anderes sein.
Ich war das Kind, dessen Brotdose man aus dem Tornister stahl und in den Müll warf. Meine Mitschüler standen herum und lachten, als ich in den Container kletterte, um sie wieder nach Hause zu bringen. Nicht ohne sie vorher gesäubert zu haben, damit die Mutter nichts merkte. Warum ich so fürchterlich aussah und so schmutzig war? Nur so. Nichts passiert. Schulweg eben. Da kommt jeder mal dran.
Der eine wurde häufiger geärgert, der andere weniger oft und wohl immer nur dann, wenn ich nicht dabei war.
Wenigstens hatte ich eine sprachliche Neigung, neben meiner Abneigung für Mathematik. Abends verschlang ich Band um Band der Fünf Freunde von Enid Blyton. Ich fühlte mich als Teil ihrer Gemeinschaft, rätselte mit ihnen und war überzeugt, dass wir gemeinsam diese Abenteuer bestehen würden. Stundenlang starrte ich mit meinen großen Froschaugen in das Buch, spielte mit meiner etwas zu großen Unterlippe, während das zu kurze Haar mir ab und an zu Berge stand. Aber das spielte keine Rolle, es sah ja niemand. Auch nicht Tim, Karl, Klößchen und Gabi, die kurz darauf in meine Bibliothek und in meinen Kopf einzogen.
Nach draußen in den Garten zu den anderen wollte ich gar nicht mehr, es war mir zu anstrengend, in den Ränkespielen und Machtkämpfen mitzuhalten. Mich prügeln und Mutproben bestehen wollte ich auch nicht. Zumindest nicht, wenn Letztere aus kleineren Diebstählen oder größerem Ungehorsam bestanden. Ich wusste, dass mein ständiges Zögern zu Erklärungsnöten führen würde, also ging ich der Konfrontation aus dem Weg. Was mich wiederum zur Zielscheibe machte.
Zwar war die Opferrolle auch nicht das große Los, da man als schlaues und hässliches Kind ja über den Dingen zu stehen und sich nicht so anzustellen hatte, aber für eine Weile ließ es sich damit leben. Ungefähr bis zum ersten Pickel.
Als mich zu dieser Zeit das erste Mal ein Junge als „Schönheit" bezeichnete, war ich überrascht. Und elf. Oder zwölf.
Er war mit seinen Eltern aus dem Kosovo zugezogen und sprach erst wenig Deutsch. Jeden Tag, wenn ich auf dem Heimweg mit dem Rad an ihm vorbeifuhr, rief er: „Hallo, Schönheit!" Ich winkte. Er winkte. Einige Wochen lang.
Als ich meiner einzigen Freundin davon erzählte, lachte sie mich aus und erklärte mir, dass die anderen Kinder ihm das beigebracht hätten und er das nur sagen würde, weil sie ihn sonst nicht in ihrer Bande mitmachen ließen. Meine Freundin kam aus