Wo Ist Die Zeit Geblieben?: Die Autobiografie – Man spricht so schnell von Ewigkeit Und dann war's nur ein Flügelschlag im Wind Was gestern Zukunft war Ist morgen Schnee vom letzten Jahr Wenn die erste Einsamkeit beginnt
Von Willi Meyer
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Buchvorschau
Wo Ist Die Zeit Geblieben? - Willi Meyer
Willi Meyer
Wo ist die Zeit geblieben?
Autobiografie
Impressum
© NIBE Media © Willi Meyer
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Created by NIBE Media
Coverbild: DERDEHMEL
Fotos: Privatarchiv Willi Meyer
NIBE Media
Broicher Straße 130
52146 Würselen
Telefon: +49 (0) 2405 4064447
www.nibe-media.de
E-Mail: info@nibe-media.de
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
Die Kindheit
Siggi, die große Liebe
Konzert mit Champion Jack Dupree
Chez Henry
Maffay und ich
Konzert im Amphi Rouge Paris
Rothschilds Herberge oder so
Punkfestival im Schwarzwald
Stubu Bremen
Jazz & Art Galerie
Konzerte – Stadttheater Duisburg 1979 und 2008
Turm am Rhein
On Tour
Von Jürgen Drews bis zu den Les Humphries Singers
Willi Meyers Galerie
Das Howard Carpendale Abenteuer
Event beim Viehhändler
»… kulturiges …« – mein Herzensobjekt
Schimanski, die Film-, Musikwelt und ich
Helmuts Beerdigung
Der erste echte Crash
BBC-Film – recording Off-Voice Joseph Fiennes
2020 Corona rules the world
Wo ist die Zeit geblieben?
Man spricht so schnell von Ewigkeit
Und dann war’s nur ein Flügelschlag im Wind
Was gestern Zukunft war
Ist morgen Schnee vom letzten Jahr
Wenn die erste Einsamkeit beginnt
Willi_MeyerWilli Meyer
Foto: Urbschat
Einleitung
Als ich vor fast 20 Jahren begann aufzuschreiben, was ich so alles erleben durfte, war mir echt nicht klar, wie zeitintensiv es ist, ein Buch zu schreiben. Zum Glück beherrsche ich aus alten Tagen noch immer einigermaßen das 10-Finger-System auf der Schreibmaschine.
So konnte ich mich durchkämpfen, und es wurden immer mehr Seiten.
Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass ich einfach mal so drauf los geschrieben habe. Als ob ich euch an einem lauen Sommerabend auf der Terrasse etwas aus meinem Leben erzählen würde. So wie ich es früher oft bei meinen kleinen Konzerten in den Clubs gemacht habe.
Jedes Kapitel könnt ihr wie eine Kurzgeschichte auch allein lesen. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, das Buch wie eine LP zu betrachten – ja ja ... aus alten Tagen – aber es gibt sie wieder.
Jeder Song spricht für sich und hier ist es eben jeder Artikel.
Sie greifen manchmal ineinander, überlappen sich, wiederholen sich auch mal, aber dann aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.
Ich konnte natürlich nicht alle wichtigen Menschen erwähnen, die mir in diesen 50 Jahren begegnet sind, doch vergessen habe ich niemanden – ... nur leider oft die Namen. Sorry, meine Freunde kennen diese Schwäche nur zu gut!
Viel Spaß beim Lesen und danke, dass ihr dieses Buch in der Hand haltet.
Euer Willi Meyer
Die Kindheit
»Gotta know«
Es ist ganz still und dunkel. Zum allerersten Mal kann ich sie sehen, – die Milky Way – die Milchstraße. Ein seltsames Gefühl. Die Berge von Randa erscheinen vom Dach wie kleine Hügel, die sie ja auch sind, und nie konnte ich vom Kloster aus, meine Finca sehen, obwohl man von hier aus das Kloster deutlich erkennen konnte.
Heute war ein schöner Tag und die Abendluft total klar. Ich war noch lange im Studio, wie immer, und dann bin ich auf das Dach gegangen. Der Sternenhimmel war wie ein Magnet.
Wenn man so nach oben schaut, glaubt man irgendeine Wölbung zu erkennen. Ich schloss meine Augen und öffnete sie wieder ganz schnell. Es war so, als ob sich die Sterne bewegen würden, und dann ganz plötzlich erkannte ich die Milchstraße, ich war mittendrin. Ich schloss meine Augen und hörte Schreie, plötzlich war ich wieder dort – in dem kleinen Zimmer … der kleine, ängstliche Junge und meine Gedanken zogen mich fort in meine Kindheit.
Es war dunkel und eigentlich ganz leise. Und trotzdem dröhnte es in meinem Kopf. Ich hatte mir beide Ohren mit den Händen fest zugehalten. Zum einen wollte ich nicht hören, was draußen geschah, und zum anderen liebte ich diesen spannenden, seltsamen Sound, der sich ergab, wenn man ganz fest die Hände gegen die Ohren drückte. Ich hatte das entdeckt und niemandem verraten.
Genauso wie das Geheimnis mit den Farbenspielen, die sich ergeben, wenn man ganz fest die Augen zusammendrückt. Auch meinen besten Freunden hatte ich dieses Geheimnis nicht preisgegeben. Seltsamerweise wussten es dann später doch alle.
Ich lag also in meinem Bett und so sehr ich auch auf die Ohren drückte, ich hörte das Geschrei aus dem Wohnzimmer.
Ich hatte Angst und wollte eigentlich weinen, aber es gelang mir nicht. Das letzte Mal hatte ich geweint, als ich bei Nebel zum Kindergarten allein gehen wollte, und plötzlich, als ich mich umdrehte, war unser Haus samt der ganzen schäbigen Siedlung weg, einfach verschwunden.
Ich hätte mich ja freuen können, aber egal wie schlecht es einem dort geht, wo man sein zu Hause vermutet, niemand will es wirklich verlieren. Ich rannte schreiend und weinend in die Richtung zurück, aus der ich gekommen war. Und plötzlich war alles wieder da – das Haus, die Siedlung – grausam und doch schön. Später schrieb ich mal in einem Song: Ganz schön kaputt – und doch ein Teil von mir – ganz schön kaputt – und trotzdem bleib ich hier.
Vielleicht habe ich schon damals so gedacht.
In dem Moment, in dem ich meine Geschichte beginnen will, wollte ich weinen und konnte es nicht. Wollte weg und traute mich nicht. Ich war ohnmächtig, eben ohne Macht. Ein grausames Gefühl.
Ich hörte, wie meine Mutter weinte, mein Vater schrie und Geschirr auf den Boden knallte.
Ich löste mich von meiner Soundwelt und den Farben in meinem Gehirn, indem ich die Hände von den Ohren nahm und die Augen ganz weit öffnete.
»Du blöde Hure, ich habe schon seit drei Tagen nichts mehr gegessen!« Ich wusste nicht genau, was Hure bedeutete, aber ich wusste, dass es meiner Mutter sehr weh tat. Und ich wusste auch, dass wenn Vater dieses Wort in den Mund nahm, es kurz vor dem GAU war.
Meine_Mutter_1955Meine Mutter 1955
Mutter war dann so verletzt, dass sie sich nicht mehr zusammenreißen konnte. Eines hatte Vater wirklich nie gemacht, er hatte sie nie so richtig geschlagen, aber seine verbalen Angriffe, obwohl er nicht gerade ein Meister der Wortkunst war, die saßen. Und wenn es dann mal sein musste, gab es auch den einen oder anderen Tritt und mal ’ne Ohrfeige oder der Besenstiel, mit dem meine Mutter auf ihn einschlagen wollte, wurde ihr entwunden und zerbrach auf ihrem Rücken oder auf den Unterarmen, die sie schützend vor ihr Gesicht hielt. Meine Mutter war eine gute Beschützerin. Sie hatte es all die Jahre ausgehalten. Mit diesem Mann, – unserem Vater, – den ich über alles hasste, dem ich, solange ich denken konnte, den Tod gewünscht hatte. Nur einmal, ich war in so einer Kur für Kinder mit Untergewicht, gesponsert vom Bergbau und der Kirche, hatte ich Heimweh.
Die grausamen Schwestern zwangen mich, Käse zu essen, den ich damals verabscheute. Ich saß noch bis weit nach Sonnenuntergang allein im Speisesaal. Ich versuchte wirklich, den Käse zu essen, aber jeder Bissen kam mir hoch, ich würgte und das empfanden die Nonnen als persönlichen Angriff: »Der tut doch nur so. Bleibt er eben die ganze Nacht sitzen!« Ich litt fürchterlich und sah auch keine Lösung.
Die anderen hatten mitbekommen, dass ich den Käse nicht mochte und deshalb sitzen bleiben musste – es waren wohl Stunden, aber ich blieb hart.
Dann kam eine Putzfrau, glaube ich und nahm den Käse, warf ihn in ihren Abfalleimer und sagte: »Verschwinde!« Die kannte dieses Prozedere und die Nonnen wohl in- und auswendig.
Ich rannte in den Schlafsaal und heulte, – dann schrieb ich einen Brief, – ich sehnte mich nach Hause, – hier war die Hölle, – ich musste Käse essen. Ja, die Hölle wird manchmal auf seltsame Weise definiert.
Auf jeden Fall machte ich alle Liebeserklärungen der Welt an meine Eltern, nur damit sie mich holen sollten oder so – auch an meinen Vater.
Es klappte aber nicht. Ich hatte danach keinen leichten Stand bei den Nonnen, denn die Briefe wurden natürlich gelesen und gottesfürchtig, wie sie nun mal waren, sprachen sie mich darauf an. Sie hätten die Briefe nur gelesen, um mich vor unüberlegten Handlungen und Aussagen zu bewahren.
Na ja, auf jeden Fall haben meine Eltern den Brief bekommen. Besonders mein Vater war beeindruckt und hielt mir bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit vor, dass ich mal an den Brief denken sollte. »Ja, ja, da hast du nach mir geschrien und jetzt bist du wieder bockig!« Ich weiß nicht, warum, ich konnte schon damals nicht mit ihm reden.
Zurück zu den Nonnen. Erst als das Abschlussspiel der Kur eine Theatervorführung vor der Tür stand »Die sieben Schildbürger« oder so – die den Hasen erlegten, – erst als ich darin quasi die Hauptrolle übernahm, weil ich ja so schön singen konnte, wurde ich akzeptiert. Der Aufenthalt dauerte aber nur noch eine Woche und die blieb dann »käselos« für mich. Ich wollte auch nicht mehr nach Hause, – dort wollte ich noch nie sein und nun war ich wieder zurück. Vater drehte heute extrem auf. Das war immer dann so, wenn er bei seiner Familie, einer stadtbekannten wilden Horde, alles echte Meyers war, und sie den kleinen Willi, so nannten sie ihn, aufgehetzt hatten.
Ich glaube nicht, dass sie meine Mutter nicht mochten. Aber sie war ihnen unheimlich. Sie machte immer alles sauber, kochte jeden Tag, ganz egal was, trank nicht, rauchte nicht, vögelte nicht herum und verdiente mit ihrer Näherei sogar mehr als mein Vater, der, oh Wunder, zumindest regelmäßig arbeitete. Auf diese Tatsache wies er auch immer wieder hin, denn er war ja anders als die anderen seiner Familie.
Diese Anderen hatten ihm wohl diesmal wieder so richtig klargemacht, dass ein Mann ein Mann sein muss. Was immer das heißt. Komischerweise dachten auch die Frauen so. Mal ein blaues Auge – egal – die Hauptsache, man hatte einen Mann und zu dem musste man stehen. Der Alkohol spielte hier keine große Rolle. Niemand war davon abhängig, – natürlich nicht.
Die Mutter meines Vaters, also meine Oma, hatte da ihre eigenen Theorien.
Sie nannte es Medizin und trank morgens auch keinen Alkohol, sondern »Underberg«. Eine kleine Flasche in einer echten Flaschenform fast schon wie eine Wein- oder Schnapsflasche. Ich glaube, dass es dieses hochprozentige Kräuterzeug heute noch gibt. Das braune Papier, der Kopf der Papierpackung wurde mit einer professionellen Handbewegung abgedreht und lag dann auf der Kolpingstraße – in den Wohnungen dort fast in jeder Ecke.
Irgendwie sahen sie aus wie später die Weinflaschen, die man als kleines Hallo-Geschenk auf Partys und so mitnahm – nur eben viel kleiner. Darunter wurde dann der rote Drehverschluss sichtbar. Alkohol als Medizin getarnt! Und der half ihnen über den Morgen – aber nicht meinem Vater. Schnaps war für ihn tödlich oder aber für die anderen – es gab von Jahr zu Jahr auffallend weniger Meyer – auffallend!
Es wurde immer lauter. Ich stieg aus dem Bett und öffnete vorsichtig die Tür. Diese Tür, die Vater schon so oft eingetreten hatte, wenn wir uns im »Kinderzimmer« eingeschlossen hatten. Das Kinderzimmer war der kleinste Raum in der sechzig m² Wohnung. Erst viel später gingen die jungen Eltern dazu über, den Kindern das viel größere Schlafzimmer zu überlassen und selbst im sogenannten Kinderzimmer einzuziehen. Unser Kinderzimmer war genau zwei mal vier Meter groß.
Es hatte sich im Laufe der Zeit zu einer Festung entwickelt. Zwar sehr schwach, aber eben doch zu »unserer Festung«. Schon als meine älteren Brüder noch im Haus waren, aber noch stärker, als der Nachkömmling Willi allein zu Hause war. Es war schrecklich, aber Vater respektierte diesen Raum, wenn er durchdrehte. Aus demonstrativen Gründen trat er zwar immer wieder mal die Tür ein, erkannte diesen Raum aber als Hoheitsgebiet an.
Der Türrahmen, – die Tür ging nach innen auf, – sah dementsprechend aus. Immer wieder wurde er notdürftig repariert. So schlecht, dass die Tür nicht mehr zu verschließen war. Es war sogar schon schwierig, sie überhaupt zu schließen. Und trotzdem – einmal zu den Schlüssel umgedreht, schon war man für eine Zeit in Sicherheit.
Es war eine Angst, die mich damals oft lähmte. Sie begann mit wachen Stunden, immer auf Geräusche lauschend, die den besoffenen Vater ankündigten. So manches Gebet habe ich damals gesprochen. Bitte lass’ ihn diesmal nicht besoffen sein.
Wir wussten nämlich genau, wann etwas im Anmarsch war. Er hatte zuletzt fast nur Frühschicht auf der Kokerei – eigentlich war er dann schlecht gelaunt oder vielleicht auch nur traurig, aber wenigstens nüchtern und gegen 14.00 Uhr zu Hause. Wenn es 16 – 17 Uhr wurde und er noch nicht da war, konnten wir uns denken, was passiert war. Er hatte wahrscheinlich auf der Kokerei in der Kantine noch »Einen getrunken«, – so nannten sie es, und das konnte solch hart arbeitenden Männern ja wohl niemand verbieten, oder?
Diese Variante war aber die harmlose. Irgendwie fühlte er sich dabei immer wie »Einer«! Stark, nach hartem Männertalk und eben einer, der macht, was er will. Das kam nach der Kantine dann aber von innen heraus. Kam er aber von der Kolpingstraße, aufgestachelt, das ganze Elend dort im Blickfeld, mit der Erkenntnis, wie sinnlos es war, dort rumzuhängen und zu saufen, kam er gequält von seelischer Pein und brauchte ein Ventil – meine Mutter.
Ich hatte damals keine Angst vor körperlichen Schmerzen. Die harten Rangeleien waren eher seltener. Es war diese giftige Atmosphäre. Mutter, die immer hysterischer wurde und dieser krakeelende Mensch, der keine Grenzen mehr kannte. Er war im Wohnzimmer und brüllte ständig, dass er seit Wochen nichts mehr zu fressen bekommen hätte. Mutter stand vor ihm und sagte: »Nimm das zurück!«
Es ist kaum zu glauben, dieser Mann hatte ihr Leben mehr oder weniger zerstört, ihr fast alles kaputtgemacht, sie erniedrigt, geschlagen. Einmal war sogar ein Küchenmesser in ihrem Unterarm gelandet. Ich war damals noch nicht geboren, sie hatte damals ziemlich schwer verletzt die Wohnung verlassen und war zur Polizei gelaufen. Dort hatte man ihr schnell klargemacht, was es bedeuten würde, wenn sie diese Sache »den kleinen Familienstreit«, an dem eine Frau ja wohl in diesen schwierigen Zeiten nie ganz schuldlos sein konnte, so zu Protokoll geben würde. ER würde in den Knast kommen, die Kinder wohl ins Heim, ja und dann? Man müsste doch einen Mann auch verstehen – ein bisschen Alkohol, der Stress, die Arbeit, die Kinder – könnte sie es verantworten, den Vater ihrer Kinder in den Knast zu bringen?
Meine Mutter nahm die Anzeige zurück und verließ meinen Vater, was ihr später als mutwilliges Verlassen der Familie ausgelegt wurde, ohne den Messerwurf anzuzeigen, den sie ja mutig verschwieg und wurde SCHULDIG geschieden. Das bedeutete, dass ihm die Kinder, meine beiden großen Brüder, acht und zehn Jahre älter als ich, zu der Zeit fünf und drei Jahre alt, überlassen wurde. Eine schuldig Geschiedene, die die Familie verlässt, konnte diese Verantwortung wohl nicht übernehmen und meine Mutter hatte niemanden im Ruhrgebiet. Sie kam als wohlerzogene Mittelstandtochter aus Schlesien über Berlin an meinen Vater. Der erste Sex – geplatzter Pariser, mein Bruder Udo und die Heirat 1943 waren das Resultat. Dann kam zwei Jahre später Manfred auf die Welt, auf eine Welt, die nach dem Ende des 2. Weltkrieges noch schlimmer war als während der letzten Kriegsjahre und Monate.
Nichts mehr war zu bekommen. In dieser Zeit entwickelte sich ihre Ehe ohne Erfolgschancen und mein Vater bekam nichts auf die Reihe, konnte die Zeichen der Zeit nicht nutzen. Dann kamen der Messerstich und die Scheidung.
Zwei Jahre hielt Mutter das aus, dann ging sie, wahrscheinlich auch von den Versprechungen meines Vaters angelockt, zurück. Er wollte sich bessern und nicht mehr trinken. Alles sollte anders werden. Sie heirateten noch einmal und ein paar Jahre später, 1953, wurde ich geboren. Ich müsste lügen, wenn ich das den Beiden wirklich übelnehmen wollte. Sehr schnell vergaß mein Vater seine Versprechungen. Nun stand sie vor ihm und bestand darauf, dass er zurücknehmen sollte, schon seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben.
Wie wichtig!
Sollte er doch seine Lügen einfach hinausschreien!
Meine Mutter war bekannt in der Nachbarschaft, es gab immer etwas zu essen, etwas Warmes, irgendetwas gab es immer und zuerst bekam immer mein Vater etwas … und außerdem sein Bier und die Zigaretten, das sollte ja wohl drin sein!
Ich konnte es einfach nicht verstehen.
»Lass ihn doch in Ruhe!«, brüllte ich. Aber sie rüttelte wie von Sinnen an ihm, als sie mich sahen, riefen beide: »Geh zurück in dein Zimmer.«
Ich zerrte an meiner Mutter und zwang sie quasi ins Kinderzimmer, in unsere Festung. Wenn ich sie auch oft nicht verstehen konnte, sie war meine Nummer eins. Ich liebte ihre künstlerische Ader. Sie konnte wunderbar malen, Kunsthandwerken und hat mir später auch meine erste Gitarre in einem An- und Verkaufsladen gekauft. Für 150 Mark, ihrem gesamten Ersparten von wohl einigen Jahren. Ich hatte immer Angst um sie, aber nicht, dass Vater ihr etwas antun würde, sondern Angst davor, dass sie ihn umbringen würde. Seit damals, als sie mich vollkommen kreideweiß nach oben rief. Ich musste bei ihr bleiben. Er war im Wohnzimmer, beleidigte sie fürchterlich und schlug ein bisschen Geschirr kaputt und wir hatten echt nicht viel davon. In ihrer verkrampften Hand hielt sie die große Zuschneide-Schere, denn nebenbei verdiente sie noch Geld für uns als Schneiderin für die Nachbarschaft – diese große Schere! Ich sollte bei ihr bleiben, damit sie ihm die Schere nicht in die Wampe haut.
Manchmal sprudelte es aus dieser zarten Frau heraus: Sie hatte die ordinären Wörter gelernt und wandte sie immer häufiger an.
Obwohl sie aus ihrem Mund eher lustig klangen, nicht echt, doch im Laufe der Jahre wurden sie immer echter, immer ehrlicher und mit ihren Worten wurde auch sie immer härter.
Ich hatte zwar Angst, war aber auch sauer, weil wir mitten in einem wichtigen Fußballspiel unten auf dem Hof waren, und das konnte man nun knicken. Trotz aller Anstrengung konnte ich die Schere nicht aus ihrer Hand bekommen, also musste ich bleiben. Sie hielt die Schere fest umklammert – ihre Fingerknöchel wurden ganz weiß dabei.
Meine kleine Mutter war so verletzt, so fertig, so entschlossen.
Ich konnte es in ihren Augen sehen, sie hätte ihn kaltgemacht, da war ich ganz sicher und davor hatte ich mehr Angst als vor seinem Gebrüll und den Drohungen.
Schon damals war mir klar, dass ich so schnell wie möglich abhauen würde. Abhauen, was immer das hieß, auf jeden Fall weg aus dieser Atmosphäre.
»I am standing here – my suitcase in my hand – i wonna leave – wonna go into another land – but I am not able to leave my friend.« Das schrieb ich viele Jahre später einmal … mein erster Streetblues.
Den ersten Versuch habe ich dann mit fünfzehn Jahren gestartet und es hat eigentlich auf Anhieb geklappt, im Großen und Ganzen zumindest. Ich bin immer wieder mal nach Hause zurückgekommen. Der Alte wurde immer schneller älter und ruhiger.
Zwischendurch gab es auch nette Zeiten, besonders wenn ich im Fußball von mir reden machte, aber so stellte ich mir das Verhältnis zwischen Vater und Sohn nicht vor.
Einmal kam ich dann mit einer Freundin, ich glaube, es war Vera Czapczyk,