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Begegnungen auf Zypern
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eBook691 Seiten9 Stunden

Begegnungen auf Zypern

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Über dieses E-Book

Im eigenen Ferienhaus hat die Familie Luitpold auf Zypern ihr zweites Zuhause gefunden. Alwine, frisch gebackene Abiturientin, fliegt dieses Mal allein ihren Eltern nach, der Flug geht dank eines jungen Zyprioten, der neben ihr sitzt viel zu schnell herum.
7 Jahre später begegnen sich beide zufällig wieder und werden ein Paar. Doch zusammen bleiben können sie nicht - Leondis Dorossakis muss eine andere heiraten, um die familieneigene Reederei vor dem Ruin zu retten. Zuhause muss Alwine feststellen, dass die Begegnung mit Leondis nicht ohne Folgen blieb - sie erwartet Zwillinge.
Erst fünf Jahre später treffen sie wieder aufeinander - die väterliche Reederei ist längst pleite, Leondis Dorossakis lässt sich scheiden, endlich können sie heiraten. Die Zwillinge und noch eine weitere Tochter sorgen für reichlich Abwechslung im Familienalltag. Die älteste Tochter geht nach Abschluss ihres Studiums nach Namibia und entgeht dort nur knapp einem Anschlag, bei dem sie mit ansehen muss, wie ihr Mann von Wilderern erschossen wird. Das Familienleben gerät in eine ernste Krise und es dauert lange, bis sich die Tochter wieder gefangen hat und sogar erneut heiratet. Als der Zwillingsbruder eine rothaarige Französin heiratet, wird diese zur großen Freundin von Alwines jüngerer Tochter.
Weder vor Unfällen, schwerer Krankheit noch Tod bleibt die Familie verschont, aber sie lernt, mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen, sie anzunehmen, denn letztendlich überwiegt die Freude am Leben.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Mai 2019
ISBN9783748245667
Begegnungen auf Zypern
Autor

Ulf Häusler

Ulf Häusler, 1935 in Nordhessen geboren, studierte nach dem Abitur zunächst Medizin, sattelte dann aber um auf Jura und Volkswirtschaft. Nach bestandenem Diplom als Volkswirt ging er zunächst für ein Jahr in den väterlichen Betrieb. Danach wechselte er in einen großen deutschen Konzern. Er arbeitete dort gut 30 Jahre lang, ab 1992 als Mitglied des Konzernvorstandes, den er altersbedingt Ende 1998 verließ. Nebenberuflich promovierte er 1973 und erhielt 1984 einen Lehrauftrag an einer süddeutschen Universität. 1990 ernannte ihn der zuständige Kultusminister zum Honorarprofessor. Ulf Häusler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt und arbeitet zusammen mit seiner künstlerisch tätigen Ehefrau in einem kleinen Dorf im hessischen Teil des Odenwaldes.

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    Buchvorschau

    Begegnungen auf Zypern - Ulf Häusler

    TEIL I

    1. Kapitel

    Alwine Luitpold ging ganz langsam zu ihrem Vespa-Roller. Hinter ihr lag ihre alte Penne, auf der sie nun ganze neun Jahre lang die Schulbank gedrückt hatte.

    Vor neun Jahren war sie mit ihren Eltern auf das kleine Dorf gezogen, ihre Eltern wollten damals weg aus der Großstadt, sie hatten die Nase voll vom Lärm, der schlechten Luft, der ganzen Hektik. Und da ihr Vater, damals gerade 60 Jahre alt geworden, aus dem Vorstand des riesigen Konzerns, für den er ein Leben lang gearbeitet hatte, ausgeschieden war, meinten die zwei Alten es sich leisten zu können, dem Trubel Frankfurts zu entfliehen. Jahre vorher hatten sie sich in dem Dörfchen im Odenwald ein Grundstück gekauft und ein wirklich tolles Haus darauf gebaut, das zunächst nur an den Wochenenden genutzt wurde.

    Alwine musste ein wenig vor sich hinlächeln, als sie an damals dachte – wie hatte sie den Eltern die Ohren vollgejammert, aufs Land ziehen zu sollen und ihre ganzen Freundinnen zurückzulassen. Dass sie die ohnehin verloren hätte, weil nahezu alle Kinder nach den 4 Jahren Grundschule ganz unterschiedliche Schulen besuchen würden, wollte sie auf gar keinen Fall wahrhaben. Aber alles Heulen, Jammern und Lamentieren hatte nichts genutzt. Die Eltern, gegen die sie sich sonst immer prima mit ihrem hübschen Köpfchen hatte durchsetzen können, waren dieses Mal hart geblieben. Und nach ein paar Monaten hatte sie Frankfurt längst vergessen und sie fand es auf der Gesamtschule in ihrer Gemeinde im Odenwald auf einmal viel schöner. Ihr Vater hatte damals einen Beratervertrag seines Konzerns erhalten und war so 2 – 3-mal in der Woche in die Stadt gefahren, aber sie hatte nur zweimal mitgewollt, danach war das Thema Frankfurt für sie abgehakt.

    Am Montag hatte die Abiturfeier stattgefunden. Insgesamt waren sie fünfundzwanzig, die das Abitur abgelegt hatten – nur zwei hatten es nicht geschafft. Alwine hatte während der neun Jahre auf der höheren Schule nie die geringsten Schwierigkeiten gehabt, nur in der Pubertätszeit war sie ein wenig abgerutscht – ihr Notendurchschnitt war von 1,2 auf 2 gefallen. Dafür hatte sie es damals als völlig uncool empfunden, ihre Eltern mit Mama und Papa anzureden – ab sofort sagte sie Mom und Dad. Dabei war es dann geblieben.

    Die Eltern hatten damals kein bisschen mit ihr geschimpft und die schlechteren Noten brav geschluckt. Vielleicht, weil der Vater ihr am Montag gebeichtet hatte, dass er immer ein miserabler Schüler gewesen war und mit seinem Abi-Durchschnitt heute nicht mal eine Lehrstelle bekommen würde, geschweige denn einen Studienplatz. Und ihre Mutter hatte auch ‚nur‘ eine Zwei im Abi gehabt, sie dagegen hatte es tatsächlich auf einen Schnitt von 1,1 gebracht. Was sie als ganz hilfreich empfand, weil sie doch unbedingt Tiermedizin studieren wollte.

    Jetzt lag alles, was mit Schule zu tun hatte, hinter ihr und sie freute sich schon richtig aufs Studium. Als sie vor ihrer Vespa stand, nahm sie die paar Sportsachen, die sie heute noch geholt hatte und fing an sie zu verstauen. Gerade als sie ihren Helm aufsetzen wollte, kam Jens Kerger angeschlendert, einer ihrer nun ehemaligen Klassenkameraden.

    „Kommste mit auf nen Cappuccino, schöne Queen?"

    „Du die Zeiten mit der Queen sind vorbei. Ist das klar? Ich heiße Alwine, darfst mich aber Ali nennen."

    Sie lächelte ihn dabei richtig süß an.

    Queen hatten die Jungs in ihrer Klasse sie genannt, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass sie mit keinem von denen ‚was anfangen‘ wollte. Und das, was die von ihr wollten, schon mal gar nicht. Klar, auch sie hatte damals mit 15, 16 Jahren ein bisschen herumgeknutscht, aber die ‚Kerle‘ wollten immer mehr – letztlich wollten sie mit ihr ins Bett und das wollte sie auf gar keinen Fall. Und da sie da bei allen Jungs eisern blieb, gleich ob sie aus ihrer Klasse oder auch aus Klassen darüber waren, hatte sie sich den Spitznamen „Queen" eingehandelt. Ob man da Queen Victoria oder Elizabeth vor Augen hatte, war ihr nie klar geworden, aber es hatte sie auch nicht ernsthaft interessiert. Ihrer besten Freundin Irmi war es aus gleichem Grund ähnlich ergangen, nur hatte man sie ‚Bremse‘ genannt.

    Sie war wohl Queen genannt worden, weil sie nicht nur über ein Gardemaß von 1,84 m verfügte, sondern geradezu blendend schön, d.h. mit einer hinreißenden Figur gesegnet war: Obenrum eher zart, unterwärts ein hübsch gerundeter Po, ein flacher Bauch, endlos lange wohlgeformte Beine, die kastanienbraunen, leicht gekräuselten Haare mit ihrem rötlichen Schimmer waren von der Mutter und vom Vater der bräunliche Teint ererbt. Von 365 Tagen im Jahr trug sie die Haare aber nur höchstens zehn Tage lang offen, meist wurden sie in einem Pferdeschwanz gebändigt. Die Nase war eine höchst gelungene Mischung von denen der Eltern, sie war kaum merkbar gebogen und darunter ein Mund, der Männer fast magisch anzog – man wollte ihn nur zu gerne küssen. Unter der hohen Stirn leuchteten ihre dunkelgrünen, manchmal wie Smaragde schimmernden Augen – sie sollten angeblich von ihrem Urgroßvater mütterlicherseits abstammen. Was für sie plausibel war, weil ein altes Ölgemälde von ihm, das im elterlichen Esszimmer hing, tatsächlich einen gut aussehenden Mann mit eben solchen Augen zeigte. Zwar arg dunkelgrün, wie Alwine immer fand, aber das war wohl Dreck – das Gemälde gehörte eigentlich gereinigt.

    „Also kommste nun mit auf nen Cappuccino oder nicht. Und sei nicht gleich wieder sauer, Ali."

    „Bin ja gar nicht sauer, Jens. Und – na ja, bist schon ganz ok soweit. Nur das mit der Queen hör ich eben nicht mehr so gern."

    „Weißt doch aber, warum Du den Spitznamen bekommen hast?"

    „Klar, weiß ich das, bin ja nicht doof. Aber dass nicht einmal Du verstehen kannst, dass ich das damals nicht wollte, was Ihr hormongesteuerten Halbstarken alles mit uns Mädels so vorhattet, versteh ich wirklich nicht."

    „Prima Thema. Ich erklär Dir‘s gleich in der ‚Freiheit‘."

    „Du Jens, so genau will ich das gar nicht wissen."

    In der ‚Freiheit‘ angekommen, wurde Jens begrüßt und Alwine sogar umarmt.

    „Oh wie schön Fräulein Luitpold. Wir gratulieren zum bestandenen Abitur. Und Ihnen darf man auch gratulieren? meinte sie zu Jens gewandt und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr die Wirtin gleich fort: „Und wie geht’s den verehrten Eltern?

    „Prima, die sind schon in den Urlaub vorgefahren und ich fahre nächste Woche hinterher."

    „Was darf’s denn sein?"

    Jens passte das nicht so sehr.

    „Wie schön Fräulein Luitpold" säuselte er der Wirtin nach, als sie bestellt hatten, sodass Alwine laut auflachte.

    „Mensch, sei nicht so empfindlich. Ich kann doch nichts dafür, dass meine Eltern hier oft einkehren und so gut bekannt sind bei der Wirtin."

    „Na ja, Du bist ja auch was Besseres. Der Vater Professor, Doktor und Vorstand von einer AG, die Mami Ex-Apothekerin und Künstlerin, die schöne Tochter mit Einser-Abi. Da kann ich kaum mithalten."

    „Weißt Du, dass Du richtig doof bist gerade und eigentlich nur voll nervst? Mach mal so weiter - noch ein paar Minuten und Du kannst Deinen Cappuccino alleine trinken."

    Als beide ihre Getränke vor sich stehen hatten, Jens einen Cappuccino, Alwine einen doppelten Espresso, raunte sie ihm zu:

    „Komm schon, nun sei mal nicht mehr sauer. Und schließlich kommst Du ja auch aus einem ganz passablen Stall. Oder ist Sparkassenchef in der Kreisstadt etwa nichts? Und Deine Ma – ist die nicht Abteilungsleiterin bei Raiffeisen? Also schämen musst Du Dich nun wirklich nicht."

    „Tu ich ja auch gar nicht, nur bin ich halt nicht gerne fünftes Rad am Wagen. Also Ersatzreifen, der nie gebraucht wird. Und so."

    „Und was ‚und so‘?

    „Ach lass mal. Aber darf ich Dich mal was fragen?"

    „Klar, fragen darfst Du immer. Aber ob Du auch ´ne Antwort kriegst – also das kommt ganz drauf an."

    „Wirst Du nun Model? Ich hab da so was gehört, dass man Dir ein tolles Angebot gemacht hätte. So als eine zweite Claudia Schiffer. Muss aber zugeben – Du wärst nicht nur jünger, sondern auch um den Faktor 10 besser. Und dass Du sehr viel hübscher bist, weißt Du ja ohnehin."

    Also ich fang mal von hinten an mit Deinen erlauchten Ausführungen. Weißt Du, mir ist ja klar, dass man nicht gerade die Augen zumachen muss, wenn man mich sieht. Aber kannst Du Dir auch vorstellen, dass ich das manchmal schlicht zum Kotzen finde? Dass man immer nur das Äußere sieht, dass keiner mich wirklich mal als junge Frau sieht, das bisschen Persönlichkeit wahrnimmt, das ich ja wohl auch schon habe, dass…

    „Ha, ha, Du meintest wohl ‚Fräulein und nicht ‚Frau‘."

    „Blödmann, musst Du schon wieder darauf anspielen, dass ich mit keinem von Euch ins Bett wollte?"

    „Nö. Das sollte keine Anspielung sein, sondern eine Feststellung – dass nämlich das schönste und obendrein auch noch wohl schlaueste Mädchen im Umkreis von ich denke mal wahrscheinlich mehreren 100 km aus eigenem Wollen noch Jungfrau ist."

    „Ach Jens, erstens ginge Dich das nichts an, zweitens – weil Du’s bist – ich will das auch noch bleiben. Und zwar bis ich den Mann finde, den ich so liebe, dass ich ihn heiraten könnte. Und von dem ich dann auch einen ganzen Stall voller Kinder haben möchte. Endlich kapiert? Und nun zur Model-Karriere. Ja, es stimmt, dass man mir ein Angebot gemacht hat. Und aus lauter Neugier bin ich sogar hingegangen. Aber die Karriere fand schon während der Vorstellung ihr Ende. Und ich hatte es auch vorher nur meiner Mutter gesagt. Denn mein alter Herr wäre vermutlich an die Decke gegangen. Meine Mom hat mich in den Arm genommen und gemeint, es wäre ihr lieber, es würde nichts daraus werden. Na ja, und wie gesagt, ich war schneller wieder draußen, als ich drin war."

    „Warum das?"

    „Es war ein sogenanntes Fotoshooting. Der Fotograf war auch ganz angetan. Also eigentlich war er sogar begeistert von mir. Dann sollte ich mich ausziehen. Begründen tat er das damit, dass man als Model auch mal für Unterwäsche gebucht würde. Das hab ich noch gemacht. War mir aber ziemlich unangenehm, weil ich keine BHs mag und auch keinen anhatte. War also ein bisschen verkrampft mit Arme vorhalten und so. Aber als er dann noch verlangte, ich solle auch meinen Slip ausziehen, reichte es mir. Hab ihm gesagt, für Aktfotos sei ich weder geeignet noch zu haben. Er meinte dann nur ganz trocken, so ein wenig fügsam müsste ein angehendes Model schon sein. Und je fügsamer, desto schneller würde man auf dem Cover der Vogue landen. Na ja, das war’s dann. Ich hab mich nämlich wieder angezogen, hab ihn gefragt, ob er denn wisse, wie man Vogue schreibt und als ich ging habe ich ihm noch zugerufen, dass ich ihn für einen Perverser halten würde. Er hat mir dann noch irgendwas von verklemmter Zicke erwidert. Na und da bin ich dann so ein bisschen ausfallend geworden und hab ihm im Rausgehen zugerufen, er könne seinen Schwanz wieder einziehen oder sich’s selbst besorgen. Und das mit Stinkefinger. Schade eigentlich – ich glaube jetzt schickt der mir nicht mal die Probeaufnahmen. So, das war meine Model-Karriere."

    Jens schüttete sich aus vor Lachen.

    „Oh Ali, dem hast Du‘s aber gegeben. Und wahrscheinlich den ganzen Tag versaut."

    „Hoffentlich noch weitere vier Wochen. Anscheinend hat er mit seiner Masche bei den meisten Mädels Erfolg. Und er lebt ja davon, die an Agenturen zu vermitteln. Aber wenn mal vier Wochen lang alle so wie ich reagieren würden, würde dem schnell die Puste ausgehen. Finanziell, meine ich. Und im Übrigen – was heißt hier Vogue – die meisten Karrieren enden in irgendwelchen Modekatalogen – so richtig groß raus kommen nur die Wenigsten. Ich glaube, ich würde da das große Geld eher im Zahlenlotto gewinnen, denn als Model. Weißt Du, ich freu mich viel mehr auf mein Studium."

    „Immer noch Tiermedizin?"

    „Klar doch."

    „Und dann hier bei uns?"

    „Auf jeden Fall lieber hier auf dem Dorf, als in der Stadt, um da Frauchens Fiffi oder Hänschens Kanarienvogel oder das kleine Meerschweinchen zu kurieren, das Klein-Anna mit Schokolade gefüttert hatte."

    „Das klingt gut. Weißt Du, ich hoffe doch immer noch, dass wir Zwei mal zusammenkommen. Klingt jetzt irgendwie doof, aber ich muss es Dir einfach beichten. Ich hatte mich nämlich in Dich verliebt, als ich Dich das erste Mal damals in der 5. Klasse gesehen hatte."

    „Sag nicht so etwas, Jens. Ich mag Dich zwar und ich mag Dich sogar sehr – aber das weißt Du ja. Mindestens, seit wir vor zwei Jahren auf der Klassenfahrt waren und ausgerissen sind und im Silbersee gebadet haben. Und das ohne Badeklamotten. Und als wir danach so ein bisschen rumgeknutscht haben und uns ein wenig gestreichelt haben – ja, das war schon sehr schön. Und ich hab es Dir immer hoch angerechnet, dass Du nie darüber rumgequatscht hast. Aber weißt Du, bei mir war es mehr Neugier, mehr nicht. Und ich wünsche mir, dass wir auch gute Freunde bleiben. Aber lieben tu ich Dich nicht, bitte sei mir nicht böse.

    „Ach Ali, ich kann und werde Dir nie böse sein. Könnte ich gar nicht. Du warst schließlich das erste Mädchen, das mich da am See nur mit ihren Händen soweit gekriegt hatte, dass es bei mir schön wurde. Schade, dass es nicht mehr werden kann mit uns. Aber ich muss es ja akzeptieren. Liebe kann man nicht erzwingen. Aber darf ich Dir noch eine Frage dazu stellen?"

    „Klar, raus damit."

    „Liegt es auch daran, dass wir nur gleich lang geraten sind? Und hast Du deshalb High Heels auf dem Abi-Ball angehabt, um größer zu sein als ich?"

    „Jens Du bist ein Schäfchen, aber ein liebes. Blödmann –damit hat das überhaupt nichts zu tun. Und wenn ich mal Pech habe, verliebe ich mich in einen Mann der einen halben Kopf kleiner ist als ich. Na und?"

    „Klingt blöd, weiß ich ja. Aber irgendwie beruhigt mich das jetzt. Sehen wir uns morgen, wenn wir die letzte Klassenfahrt antreten?"

    „Nein Jens, das wollte ich Dir unbedingt noch sagen. Deshalb bin ich eigentlich nur mit hergekommen. Ich hab keine Lust auf die Fahrt, keine Lust auf das Gequatsche und Getratsche, das dann wieder losgeht und keine Lust auf die Saufereien und dass dann wieder Rumknutschen angesagt ist. Die Zeit ist für mich einfach vorbei. Ich werde morgen meine Siebensachen zusammenpacken und dann meinen Eltern nach Zypern nachfliegen."

    „Ok, ich sag den anderen nur, dass Deine Eltern Dich ‚vorgeladen‘ haben."

    „Bist doch ein lieber Kerl, Jens. Hallo Frau Mertens – ich möchte gern zahlen!"

    Die Wirtin kam sogleich und strahlte dieses Mal nicht nur Alwine, sondern auch Jens richtig an.

    „Heute geht alles aufs Haus. Hab ja nicht alle Tage zwei Muli bei mir zu Gast."

    „Oh vielen Dank, Frau Mertens. Aber was meinen Sie mit ‘Muli‘?"

    „Habt Ihr denn kein Latein gehabt?" fragte sie zurück.

    „Doch, klar. Kommt von Mulus, das heißt Esel. Aber das können Sie doch wohl kaum gemeint haben."

    „Doch, genau das meinte ich. Ist aber keine Beleidigung. Als ich damals Abitur machte, nannte man einen frisch gebackenen Abiturienten ‚Mulus‘, was wohl bedeutete, dass man zwar schon kräftig arbeiten kann, aber sonst noch ziemlich unentwickelt ist und man legte den Status erst mit dem Eintritt ins Berufsleben ab. Aber ich geb’s zu - manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Menschen Esel bleiben."

    Sie mussten alle drei jetzt lachen und als Alwine und Jens die Gaststätte verließen, meinte sie zu ihm:

    „Mach‘s gut kleiner großer Mulus, muss jetzt los. Bis bald mal."

    „Mach‘s besser Ali, grüß Deine Eltern."

    2. Kapitel

    Natürlich war es wieder verdammt knapp geworden, bis sie endlich am Flughafen in Frankfurt ankam. Was eigentlich kein Wunder war, weil sie vor Tau und Tag hatte aufstehen müssen. Alwine wohnte ja nach wie vor bei ihren Eltern im Odenwald und für eine Oberstufenschülerin war das ja eigentlich auch das Normalste von der Welt. Aber Sehnsucht hatte sie schon, bald ihre eigenen vier Wände zu haben. Obwohl – richtig notwendig war das nicht, zumal sie das Hotel Mama als recht angenehm empfand und sie – das musste sie zugeben – tolle Eltern hatte, die ihr (fast) jede Freiheit ließen, die sie sich meinte herausnehmen zu müssen. Als sie vor drei Wochen das Thema angesprochen hatte, schienen die gar nicht so abgeneigt zu sein, ihrem Wunsch zu entsprechen. Auch wenn klar war, dass sie ganz sicher nicht wie die Eltern auf dem Dorf wohnen wollte. Aber sie wollte unbedingt als Studentin mehr als nur eine Bude.

    Doch heute hatte sie andere Sorgen, denn ihre Mom und ihr Dad hatten sich gleich nach der Abi Feier mal wieder ‚dünne‘ gemacht, wie sie es nannte, d.h. sie hatten ihre Koffer gepackt und waren in ihr Ferienhaus nach Zypern geflogen. Und sie wollte nun nachfliegen, schließlich hatte sie sich das nach den stressreichen Wochen vor dem Abi verdient. Das hatte sogar der strenge, aber meistens nur so tuende, Dad gemeint.

    Ihr Dad hatte vor neun Jahren, als er aus dem Vorstand seines Konzerns ausgeschieden war, die schicke Zweitwohnung in einem Vorort Frankfurts aufgegeben – der Einfachheit halber hatte er das 3-Familienhaus seinerzeit einfach gekauft und saniert – jetzt waren alle drei Wohnungen vermietet.

    Mit einer eigenen Wohnung in der Stadt würde sie sich dann endlich ‚abnabeln‘. Andererseits fand sie es zu Hause bei den Eltern aber auch recht schön und auf dem Dorf erst recht.

    Doch heute empfand sie die damalige Entscheidung der Eltern als ausgesprochen doof: Früher fuhren sie 20 Minuten, heute brauchten sie fast eineinhalb Stunden bis zum Airport. Und der Fahrer vom Airport-Shuttle, in den sie in ihrer Gemeinde geklettert war, war nun noch zu allem Überfluss voll in den einsetzenden Berufsverkehr gekommen.

    Als die Eltern ihr Monate vorher den Flug bei Lufthansa gebucht hatten – dass sie ihr Abi bestehen würde stand da schon fest, nur der Notenschnitt schwankte noch zwischen 1,4 und 1,1 – hatten sie um 9 Uhr die Maschine nach München gebucht, dort sollte 2 Stunden später der Anschluss nach Larnaca starten. Da sie aber die Klassenfahrt auf keinen Fall mitmachen wollte, gedachte sie ihre Eltern zu überraschen und hatte den Flug heimlich umgebucht. Und hatte nun ‚den Salat‘: Eine Woche früher gab es die 9-Uhr-Maschine nicht und sie musste wohl oder übel die um 8 Uhr nehmen. Für den vom Vater gebuchten Flug eine Woche später hatte der ihr sogar noch eine kleine Überraschung in Aussicht gestellt, die würde nun wohl ausfallen.

    Statt um 6 Uhr am Flughafen anzukommen, war es 6.30 geworden. Ihren Koffer wurde Alwine zwar schnell los, aber bei der Sicherheitskontrolle staute es sich. Um 7.20 war sie endlich an der Reihe. Und war an einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes geraten, der seinen ersten Diensttag absolvierte und all seine erlernten Vorschriften ganz besonders genau nahm. Alwine durfte ihre Schuhe ausziehen, musste ihren Rucksack auspacken – jedes einzelne Teil wurde aufs sorgfältigste begutachtet, vor allem das Eau de Toilette und ihr Deo-Fläschchen wurden äußerst kritisch beäugt. Man reichte ihr ein Plastiktütchen und es folgte ein etwa 3-minütiger Vortrag – gefühlt waren es mindestens 15 Minuten - dass Flüssigkeiten in eben einem solchen Beutel zu verwahren seien.

    Ihr Flug war inzwischen längst aufgerufen – eigentlich wartete Alwine nur noch darauf, dass sie namentlich per Lautsprecher gebeten würde, sich bitte umgehend zum Abflug an das Gate XYZ zu begeben. ‚Die sind ja meistens nicht so sehr pünktlich‘ sprach sie sich selbst Mut zu.

    Als sie nach etwa 15 Minuten Fußmarsch fast im Schweinsgalopp die endlosen Fußwege im Gebäude absolviert hatte, kam sie gerade noch rechtzeitig, um als Letzte die Gangway ins Flugzeug zu betreten. Und oh Wunder – sie wurde gleich von der Chef-Stewardess abgefangen – weil sie die Letzte war?

    „Fräulein Luitpold?"

    „Ja, was ist?"

    „Wir haben für Sie einen Platz in der Business-Class vorgesehen. Ist Ihnen das recht?"

    „Ja aber…"

    Weiter kam Alwine nicht, denn die Stewardess strahlte Sie an: „Wir haben die Bitte um Upgrade von Dr. Franz, unsern Vorstandsvorsitzenden übermittelt bekommen."

    „Na, dann gerne." antwortete Alwine und dachte sofort folgerichtig, dass das wohl Dads Überraschung war. Aber vielleicht auch nicht? Denn woher sollten die wissen, dass sie jetzt früher flog?

    Nach etwa 45 Minuten setzte die Maschine in München zur Landung an - sie waren überpünktlich. Und da sie jetzt ja 2 Stunden Zeit hatte, beschloss sie, ihre Eltern anzurufen. Auf Zypern war es ja schon nach 10 Uhr, da müssten sie längst aufgestanden sein.

    „Moin, moin Mom – habt Ihr schon ausgeschlafen?" sprach sie in ihr Telefon und ohne die Antwort abzuwarten fuhr sie fort:

    „Rate mal, wo ich bin."

    „Na irgendwo mit Deinen Leutchen unterwegs. Macht’s Spaß?"

    „Nö, ich hatte keine Lust. Bin gerade auf dem Flughafen in München. Und in einer guten Stunde fliege ich weiter. Und weißt Du auch wohin? Zu Euch. Holt Ihr mich um viertel fünf in Larnaca ab? Erzähl Euch dann alles."

    „Klar, Kindchen, ich freu mich ja so, dass Du schon früher kommst. Bis nachher dann. Und pass gut auf Dich auf."

    „Tschüs Mom, drück den Dad. Und wenn er sich wundert, sag ihm, es ist von mir."

    Bevor sie auflegt hört sie ihre Mutter noch lachen.

    Nachdem Alwine sich noch einen Espresso und einen Orangensaft einverleibt hatte, schlenderte sie langsam zum Gate. Leicht genervt wie meistens in fremder Umgebung, weil sie vor allem von den Männern so angestarrt wurde. Am Gate angelangt, nahm sie ihren E-Book-Reader und las den vor wenigen Tagen heruntergeladenen Roman weiter, den sie bereits begonnen hatte. „Der lange Weg" hieß das Ding - sie hatte ihn gekauft, weil er zum Teil in Zypern spielte. Zwar hatte sie nach wenigen Seiten schon gemerkt, dass das Buch wohl keine ‚Literatur‘ war, aber immerhin ganz passable Unterhaltung. Alwine war richtig ‚weggetaucht‘ in ihrem Buch, als sie ziemlich störend einen Aufruf vernahm, natürlich zweisprachig.

    „Frau Luitpold wird gebeten sich umgehend zum Abfluggate H 6 zu begeben. Frau Luitpold bitte."

    ‚Was soll das denn‘ dachte sie und ging vorne zum Schalter, wo eine hübsche LH-Blondine eifrig ihren Computer studierte.

    „Ich wurde gerade aufgerufen. Was ist denn los?"

    „Frau Luitpold?"

    „Ja?"

    „Darf ich ihre Bordkarte sehen?"

    „Wie, ist mit der etwas nicht in Ordnung?" erwiderte Alwine, ihr ihren Boarding-Pass reichend.

    Die junge LH-Bedienstete zerriss vor ihren Augen die Bordkarte und begann dann ihren Computer zu bearbeiten. Alwine stutzte – irgendwie kam ihr das Gesicht bekannt vor.

    Und dann fiel es ihr ein: War das nicht die Helga, ihre Klassenkameradin, die mit der mittleren Reife abgegangen war?

    „Bitte schön Frau Luitpold hier ist Ihre neue Bordkarte."

    Mit einem schnellen Blick hatte Alwine bereits erspäht, dass aus dem ‚M‘ auf ihrer Karte nun ein ‚C‘ geworden war – sie war erneut in die Business-Class upgegraded worden.

    „Helga, Du kannst ruhig ‚Du‘ zu mir sagen. Du bist doch die Helga Hartmann aus dem Odenwald?"

    „Mensch – Alwine Luitpold! Das mir das nicht gleich aufgefallen ist! Aber ich heiße jetzt Keßler – bin inzwischen verheiratet mit einem Ingenieur von Siemens. Und einen kleinen Jungen habe ich auch schon. Ist ja toll, Alwine, dass wir uns hier begegnen. Wie kommst Du denn hierher, was machst Du inzwischen?"

    Alwine erzählte kurz vom Ende ihrer Schulzeit, dass sie Tierärztin werden wolle und auf dem Weg zu ihren Eltern sei. Und Helga sprudelte dann los, dass sie bei der LH eine Ausbildung als Bürokauffrau begonnen hatte - sie musste dazu nach München umsiedeln - dort ihren Mann kennengelernt und sich dann aber zum Bodendienst beworben hatte, weil sie da mehr mit Menschen zusammen kam.

    Natürlich war Helga zwischendurch ziemlich abgelenkt, denn es gab noch eine ganze Reihe von Passagieren, die ihr Fragen stellten, aber ein wenig schwatzen zwischendurch konnten die zwei jungen Frauen schon noch. Sie erkundigte sich noch nach einigen ehemaligen Schulfreundinnen, aber der einzige Junge, nach dem Helga sie fragte, war Jens Kerger. Was Alwine mit einem innerlichen Lächeln zur Kenntnis nahm.

    Und dann war die Zeit schon um, der Einstieg begann. Alwine war als Businessfliegerin mit bei den Ersten.

    Man hatte sie in die erste Reihe ans Fenster platziert, der Zwischenplatz blieb frei und an den Gang setzte sich ein blendend aussehender mindestens 1,90 m lang geratener Zypriot, Alwine schätzte ihn auf etwa 24 bis 25 Jahre. ‚Der könnte glatt ein männliches Star-Model sein.‘ dachte sie, als er sie einerseits sehr freundlich, andererseits auch ein wenig frech und herausfordernd anlächelte. Aber das war sie ja gewöhnt.

    Sie vertiefte sich wieder in ihren E-Book-Reader.

    Zwanzig Minuten später war das Boarding abgeschlossen, sie rollten zur Startbahn und ihr Flieger hob pünktlich ab.

    Alwine schielte ein ganz klein wenig und sehr vorsichtig zu ihrem schönen Nachbarn und musste plötzlich ziemlich grinsen. Der war nämlich, als die Maschine abhob, leichenblass geworden, umkrampfte mit den Händen seine Armlehnen, und zitterte am ganzen Körper – nicht stark, aber doch deutlich sichtbar. Alwine schaute nun ganz aufmerksam zu ihm rüber: ‚Flugangst‘ dachte sie. Und lächelte ihn freundlich an. Aber der arme Kerl war so mit seiner Angst beschäftigt, dass er gar nicht zu ihr rüber schaute. Erst als sie ihre Reiseflughöhe erreicht hatten und die Triebwerke eingefahren waren, fing er sich an zu entspannen. Und lächelte zu ihr hinüber. Sie hatte gar nicht wahrgenommen, dass sie den Mann inzwischen fast schon fixiert hatte. Sie meinte ihr Verhalten irgendwie rechtfertigen zu müssen.

    „Haben Sie Flugangst?" fragte sie ihn und das auch noch auf Deutsch! Sie merkte es aber sofort und wollte gerade auf Englisch ihre Frage wiederholen, als sie feststellen musste, dass sie die Vokabel gar nicht präsent hatte, aber ehe sie anfangen konnte, stotternd eine Umschreibung für das Wort zu suchen, antwortete er schon in fast akzentfreiem Deutsch:

    „Leider ja. Und das nicht zu knapp. Aber ich bekomme sie einfach nicht weg. Aber wenn so ein Flieger erst mal oben ist, geht es einigermaßen."

    „Da gibt es aber angeblich doch Kurse dagegen, habe ich mal gelesen."

    „Hab ich schon versucht, nützt aber nichts. Obwohl man sich mit mir viel Mühe gab."

    „Und wieso nicht?"

    „Weil…" und dann brach er ab.

    „Entschuldigung, ich wollte nicht indiskret sein."

    „Schon gut. Aber wir sehen uns ja eh nie wieder - also mein Bruder ist mit einem Jet beim Start tödlich verunglückt, weil beide Triebwerke ausfielen. Und seitdem hab ich eben bei jedem Start Angst."

    „Oh das tut mir leid. Ich glaube, das würde mir ähnlich gehen."

    „Vielleicht. Es war mein Zwillingsbruder und wir haben uns unheimlich gut verstanden und ergänzt. Aber seit der Zeit ist halt alles ein wenig anders. Leider. Aber, warum erzähl ich Ihnen das eigentlich alles?"

    „Weil ich ein Kapuzinermönch mit einem langen Bart bin und Sie gerade beichten?"

    Alwine hatte es geschafft: Seine Angst war weg und er lachte sie jetzt ziemlich frech und übermütig an.

    „Oh – da würde ich sofort in den Orden eintreten wollen. Wenn Sie dann der Abt des Ordens wären…"

    Sie lachten jetzt beide.

    „Wieso können Sie so gut Deutsch? Ich dachte, Sie seien ein waschechter Zypriot."

    „Bin ich auch. Aber ich studiere in Deutschland."

    „Und was und wo?"

    „Betriebswirtschaft an der Uni in Stuttgart und das mit technischer Orientierung und dann noch aus Spaß an der Freude Landwirtschaft in Stuttgart-Hohenheim."

    „Wow – und das schaffen Sie Beides?"

    „Also den Bachelor in Landwirtschaft habe ich gerade abgeschlossen, den in BWL auch und im nächsten Jahr will ich dann noch den Master in BWL haben."

    „Also alles, um mal richtig Kohle zu machen?"

    „Sie meinen, um ordentlich zu verdienen? Nein. BWL muss ich studieren, weil ich mal das Unternehmen meines Vaters weiterführen soll und Landwirtschaft hab ich gemacht, weil das meine große Leidenschaft ist. Aber was machen Sie denn so?"

    „Ich fahre zu meinen Eltern in den Urlaub."

    „Das kann ja aber wohl schwerlich Ihr Lebensziel sein. Also ich rate mal – Sie machen irgendetwas mit Mode oder mit Design. Oder was in Textilwirtschaft. Oder sind Sie etwa ein Model? Wenn letzteres, bitte ich um Nachsicht – aber für Mode interessiere ich mich eher weniger und so bekomme ich auch Models nie zu sehen."

    „Gar nicht so schlecht geraten, aber doch total daneben. Ein Angebot, Model zu werden hatte ich mal, aber das war mir dann alles doch zu hohl. Ich habe in der letzten Woche mein Abitur gemacht und will Tiermedizin studieren."

    „Sie werden mir immer unheimlicher. Meist sind besonders hübsche und gutaussehende Mädchen und junge Frauen ganz anders orientiert, mehr so in den Tag hinein, wie man das, glaube ich, bei Ihnen nennt."

    „Sehen Sie, so kann man sich täuschen. Aber was mich noch sehr interessiert: Fliegen eigentlich alle zypriotischen Studenten in der Business-Class?"

    Jetzt lachte ihr Nachbar richtig los.

    „Oh je – wohl eher nein. Außer, wenn Papa es bezahlt, weil er reichlich Kleingeld hat. Und Gegenfrage: Fliegen alle deutschen Abiturientinnen Business-Class zu ihren Eltern in den Urlaub?"

    „Da gilt die gleiche Antwort – eher nein, außer wenn Papa es bezahlt, weil er seine unendlich vielen Meilen, die er im Beruf gesammelt hat, zum Teil der Tochter anlässlich des Abiturs schenkt."

    Alwine hatte noch nie einen so schönen Flug erlebt – sie fand ihren Sitznachbarn unheimlich sympathisch, ja liebenswert. Und sie hatte ein ganz klein wenig das Gefühl, dass sie sich in den richtig verlieben könnte. Oder war das schon passiert?

    Auf jeden Fall war der Flug viel zu schnell vergangen. Und als sie sich am Gepäckband verabschiedeten, nahm der Kerl sie doch einfach in die Arme, drückte sie auch noch richtig an sich und küsste sie rechts und links auf die puterrot werdenden Backen.

    „Wissen Sie, schöne Unbekannte, das ist zypriotische Herzlichkeit – schade, dass wir uns nicht wiedersehen werden."

    Alwine war so verdattert, dass sie nur

    „Tschüs schöner Zypriot."

    stammeln konnte und das noch mit hochrotem Kopf, über den sie sich wahnsinnig ärgerte, und ihm noch schnell nachrief:

    „Vielleicht doch!"

    Aber ob er das noch gehört hatte, wusste sie nicht. ‚Wie ein kleines Schulmädchen‘ dachte sie, gar nicht realisierend, dass sie das noch vor eine Woche gewesen war. ‚Und warum hab ich ihn nicht nach seinem Namen gefragt und seiner Telefon-Nummer‘ – das dachte sie auch noch. Und meinte, ganz viel falsch gemacht zu haben.

    Alwine war so in Gedanken vertieft, dass sie auf gar nichts achtete und so auch ihren Vater nicht wahrnahm, als der ihr über die Absperrung hin zuwinkte. Zumal da eine ganze Menge Leute standen und winkten.

    Erst als sie schon ganz nahe am Trennungsgitter stand, bemerkte sie ihn, weil er ihr zurief:

    „Hallo Ali, hallo kleine Mula – wo bist Du den mit Deinen Gedanken?"

    Alwine wachte jetzt quasi auf und lachte ihren Vater an:

    „Wollte mal sehen, ob Du Deine Tochter noch erkennst." Die Erklärung war ihr spontan als Ausrede für ihr absonderliches Verhalten eigefallen.

    „Und das mit der Mula mag ich gar nicht. Noch ein Mal, Dad, und ich spreche Dich mit ‚ehrwürdiger Greis‘ an. Weißt ja, dass Immanuel Kant die Anrede zum 60. Geburtstag zuteilwurde. Und Du bist da schließlich schon drüber. Und da Du in meinen Augen kein bisschen ehrwürdig aussiehst, müsste ich das Attribut weglassen."

    „Oh meine Kleine, dann lassen wir’s mal lieber bei Ali und Dad. Ok? Wie war der Flug?"

    „Prima. Zumal ich beide Male Business reisen durfte. Hast Du da was gedreht?"

    „Na so ein ganz klein wenig. Franz von der LH hat mir geholfen, meine Bonusmeilen etwas zu reduzieren. Hatte schon Sorge, dass es mit der Business-Class nicht klappen würde, weil Du doch umgebucht hast. Aber wenn so ein Name bei denen erst mal drin ist im System, scheint ja doch alles zu funktionieren. Hast Du sehr gelitten?"

    „Bleib mal stehen, Dad."

    Sie umarmte ihn und ergänzte:

    „Ach Dad, Du bist doch der Beste" und drückte ihren nur wenig kleineren Vater innig an sich. Wobei sie gleich hinzufügte:

    „Kommst gleich nach der Mom."

    Sie strahlten sich jetzt beide an.

    „Los komm, Deine Mutter wartet schon. Sie ist nicht mitgekommen, weil sie schon das Abendessen vorbereiten wollte."

    „Hoffentlich nicht so veganes Zeugs? Ich hab nämlich Hunger."

    „Lass Dich überraschen. Schlimmstenfalls – ganz hinten im Kühlschrank liegt noch eine halbe Schleiersbacher Rindersalami."

    3. Kapitel

    Es war leider schon dunkel, als sie in ihrem Haus ankamen. Die Andeutung ihres Vaters hatte sich als richtig erwiesen - für ihre Ali hatte die Mom drei herrliche Buletten mit Zwiebeln und ganz viel Rosmarin gebraten, dazu gab es Kartoffeln und Ratatouille, Alwines Lieblingsgemüse. Die Mutter hatte wie immer auf Fleisch verzichtet, eigentlich war das so für den Vater auch vorgesehen, aber er schaute so sehnsuchtsvoll auf die Pfanne mit den Bouletten, dass Alwine ihm die Hälfte abgab.

    „Schäm Dich Erwin Luitpold, Deiner armen Tochter alles weg zufuttern."

    Der schaute daraufhin pflichtbewusst ein wenig betroffen.

    „Brauchst wirklich nicht Dein Dackelgesicht aufzusetzen – ist doch wahr."

    „Ach lass mal Mom. Schließlich musste er über zwei Stunden wegen mir mit dem Auto unterwegs sein, da hat er sich eine kleine Fleischzulage redlich verdient. Und immer nur Gemüse, also das muss doch nicht sein. Und alle drei Klopse hätte ich sowieso nicht geschafft, einer wäre eh übriggeblieben und so hab ich ihm doch eigentlich nur eine halbe Bulette spendiert."

    „Halt Du man zu Deinem Vater. Der kommt schon nicht zu kurz bei mir."

    Alwine musste jetzt laut lachen, ihr Dad grinste.

    „In puncto fleischlichen Genüssen vielleicht doch, liebe Mom?"

    Jetzt prustete der Vater richtig los.

    „Ja, ja, die Fleischeslust" merkte er immer noch lachend an.

    „Das Thema wäre ausbaufähig."

    „Wisst Ihr zwei Alten eigentlich, dass wir gerade kurz davor stehen, einen Sketsch à la Loriot zu spielen? Allerdings zu dritt. Im Original spielte der aber immer nur zu zweit. Und ihr macht das sonst auch immer unter Euch aus, gelle?"

    Nun musste die Mutter auch lachen.

    „Ach Kindchen –ich bin ja so froh, dass Du bei uns bist und auf die Klassenfahrt verzichtet hast. Wie lange kannst Du denn bleiben?"

    „Bis Ende April schon. Aber dann muss ich spätestens zurück, wegen der Immatrikulation."

    „Na dann haben wir ja noch schön Zeit miteinander."

    Alwine hatte herrlich geschlafen. Um halb zehn war sie ins Bett geklettert, war gleich eingeschlafen, sie hatte wunderbar von einem großen Zyprioten geträumt, und würde wahrscheinlich bis 11 geschlafen haben, wenn die Mutter sie nicht um halb zehn geweckt hätte.

    „Frühstück ist fertig" hatte sie ihr ins Ohr geflüstert, nachdem sie sie ganz zart streichelnd aufgeweckt hatte.

    Alwine liebte das Anwesen der Eltern. Sie hatten es gekauft, als sie noch gar nicht geboren war und solange sie denken konnte, hatten sie hier ihre Ferien verbracht. Und nie war es Alwine langweilig gewesen. Zumal die Eltern früher oft eine Wochenendreise zu den Hauptstädten Europas gemacht hatten, ihre Mom hatte die Reisen immer perfekt vorbereitet gehabt, sodass sie für Alwine eine ideale Reiseführerin gewesen war. Und wenn der Vater öfters weltweit auf Geschäftsreise war, hatte er Frau und Kind häufig mitgenommen – er hatte Alwine immer dafür in der Schule losgeeist und weil sie eine gute Schülerin war, hatte der Direktor nie Probleme gemacht, wenn sie mal eine Woche fort war. Vielleicht auch deshalb, weil beide Rotarier waren. Auf diese Weise hatte sie Paris, Amsterdam, London, Wien, Kopenhagen und in den USA New York, Los Angeles, San Franzisco und San Diego, außerdem den Jemen und in Indien Bombay und Neu Deli kennengelernt. Sie war in Italien, Spanien, Portugal, Schweden und Finnland gewesen, und auch in Ungarn und Rumänien. Aber richtige Ferien gab es für sie nur auf Zypern – es war ihr ein zweites Zuhause.

    Es war ein separat stehendes Häuschen in einer Ferienhaussiedlung, ganz am Rande mit einem herrlichen Blick aufs Meer, der Blick unverbaubar. Die Nachbarn waren fast nur Engländer und Zyprioten – sie waren die einzigen Deutschen. Auf einer der unteren Terrassen gab es noch ein Ehepaar aus Wien, mit dem die Eltern sich sehr gut angefreundet hatten. Die hatten sogar einen eigenen Pool, aber für sich hatte der Vater so etwas immer abgelehnt, er meinte der große Pool, nämlich das Meer, sei genug.

    Das Haus hatte einen großen Garten, es gab zwei Terrassen, keiner konnte das Grundstück einsehen und so war Alwine, immer gut mit Sonnencreme versorgt, als kleiner Nackedei groß geworden. Die Eltern waren beileibe keine FKK-Anhänger geschweige denn Naturisten, aber wenn die Familie ganz für sich war, verzichteten sie alle in dem herrlich warmen Klima nur zu gern auf irgendwelche Kleidungsstücke. Und ihr Vater hasste Badehosen ohnehin, weil er es als ausgesprochen unangenehm empfand, so ein nasses Kleidungsstück an sich herumschlappern zu haben, wenn er aus dem Wasser kam.

    Vor Jahren schon hatten sie in einer Entfernung von etwa 20 Autominuten einen herrlich einsam gelegenen Strand entdeckt, der wohl nur deshalb so einsam blieb, weil die 2 km lange Bucht unter Naturschutz stand – es war ein sogenannter Turtle-Beach - und so gab es keine Tavernen, ja nicht einmal einen Kiosk. Das war sowohl den Zyprioten als auch den Engländern zu spartanisch und daher verirrten sich im allgemeinen an dem Strand höchsten 2 oder 3 Familien, an den Wochenenden wurden es mal 5 oder 6, die sich auf die ganze Bucht verteilten. Bei den Luitpolds hatte es sich daher eingebürgert, Sonne, Sand und Meer in paradiesischem Zustand zu genießen.

    Alwine war also sehr ‚natürlich‘ aufgewachsen und erst in der Pubertät fing sie an, sich ein wenig zu schämen und sonnte sich nur mit ihrem Bikinihöschen. Damit ihr das nicht so bewusst wurde, schloss sich die Mutter ihrer Tochter an und sonnte sich nur ‚oben ohne‘. Der Vater allerdings machte da nicht mit – er begründete es damit, dass sein ‚Rettungsring‘ sonst über den Hosenrand hängen würde und er nicht die Absicht verfolge, sich dem Gespött seiner zwei Frauen auszusetzen. Alwines Phase des Sich-Schämens verging nach ihrem 16. Lebensjahr, seitdem nahm sie ihren Bikini nicht mal mehr mit zum Strand. Vermutlich hing es damit zusammen, dass sie mal mit ihrem Klassenkameraden Jens nackt gebadet hatte, was die Eltern natürlich nicht ahnten. Sie nahmen den Sinneswandel der Tochter schweigend zur Kenntnis. Die Mutter allerdings behielt die Gewohnheit bei, sich nur mit Höschen zu sonnen – sie meinte, sie sehe nicht mehr schön genug aus, um sich vor ihrer Tochter ‚ganz ohne‘ zu präsentieren. Nur beim Schwimmen verzichtete sie darauf. Und wenn sie mit dem Vater allein am Strand war, natürlich auch.

    Das Haus selbst war inzwischen perfekt eingerichtet – ein großes Wohn- und Esszimmer, zwei Schlafzimmer, jedes der Schlafzimmer hatte zwei Betten. Die Eltern schliefen seit Jahren schon getrennt, weil der Vater einen ziemlich lauten Schlaf hatte, d.h. er schnarchte wie ein Mähdrescher. Alwine hatte es nie gestört, deshalb mit der Mutter zusammen zu schlafen, als kleines Kind fand sie das sogar besonders schön, ihrer Mom so nahe zu sein.

    Das einzige Manko in ihrem zypriotischen Haus bestand darin, dass es keinen Geschirrspüler gab – die Mutter kommentierte es so, dass sie für die Ferien einen geheiratet habe und so oblag es dem Herrn des Hauses, dreimal ferientäglich das Geschirr zu spülen, was er klaglos akzeptiert hatte. Aber nur, weil – so hatte er selbst festgestellt – die ‚Hütte‘ für so ein Ding keinen Platz hatte.

    Da es wegen des Ausschlafens von Alwine etwas spät geworden war mit dem Frühstück, spannte ihr Dad einen der drei vorhandenen Sonnenschirme auf – die Familie hatte beschlossen, sich Zeit zu lassen sowohl mit nötigen Einkäufen, als auch mit dem Strandbesuch – Alwine sollte erst mal ‚berichten‘.

    Sie tat es in aller Ausführlichkeit, erzählte von ihren Erlebnissen in der ‚Freiheit‘ und da nicht nur das Erlebte mit der Wirtin, sondern auch über ihre Unterhaltung mit Jens. Versehentlich verplapperte sie sich dabei, sodass sie das Thema Model-Karriere nicht mehr einfangen konnte. Komischerweise runzelte ihr Dad nicht mal die Stirn, fragte aber so gut und zielgerichtet nach, dass sie nichts mehr aussparen konnte. Und als er dann hörte, dass und warum sie da abgesagt hatte und mit welcher Begründung strahlte er richtig:

    „Komm mal her, muss meine vernünftige Tochter mal drücken. Und dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Gut gemacht, Mädchen, bin richtig stolz auf Dich. Und zur Ma gewandt: „Du, wir haben nicht nur eine schöne, sondern auch noch eine kluge, ja sogar lebenskluge Tochter."

    „Das ist mal weder typisch Dein Vater – jetzt, wo Du fast 19 bist, begreift er, was für ein tolles Kind wir haben. alle beide anstrahlend. „Wollen wir endlich los? Aber erst zum Strand und danach einkaufen.

    „Aber sie hat doch noch gar nichts von ihrem Flug erzählt." wendet der Vater ein.

    „Ach Dad, hab ich Dir doch schon auf der Herfahrt erzählt. Und Mom interessiert das sicher nicht so."

    ‚Wieso werde ich jetzt so blöde rot?‘ denkt sie und geht schnell ins Haus.

    Ihre Mom hatte es natürlich bemerkt, beschloss aber nichts zu sagen – ihre Alwine würde schon noch von ganz allein erzählen, wenn es so weit war.

    Das väterliche Auto auf Zypern war für Alwine ein wenig wie Folter ersten Grades. Als kleines Kind fand sie den alten Nissan ganz wunderbar, aber ihr inzwischen erlangtes Gardemaß war sogar auf dem Beifahrersitz schwer unterzubringen – ihre Mom kletterte, wenn sie zu dritt waren, immer freiwillig in den Fonds. Zwar hätte ihr Dad wegen seiner so lang geratenen Tochter schon ganz gern ein größeres Auto gekauft, aber im Grunde genommen liebten die Eltern beide das nunmehr 19 Jahre alte Gefährt, das sie mal gebraucht gekauft hatten. Und somit war alles beim Alten geblieben.

    Sie fanden auf einem Feldweg vor dem Strand einen Schattenplatz für das Auto, Vater Erwin schulterte den Rucksack mit Badeschuhen, Handtüchern, Wasserflasche, einem schon 3 Tage altem Olivebread als Proviant sowie Sonnenschutz mit Faktor 15 und 30, Mutter Hertha und Tochter Alwine trugen die Sonnenmatten. Nach ein paar Schritten durchquerten sie den mit großen Steinquadern gegen Autos gesicherten Zugang zum Strand.

    Die Bucht war leer – nur ganz an einem Ende schienen ein paar Menschen zu sein, ansonsten hatten sie den ganzen Strand für sich allein.

    Dad trottete vor seinen Frauen her, die beiden quasi im Schlepptau.

    Als sie an ihrem Plätzchen angekommen waren, hatte sich Alwine ganz schnell ausgezogen, klaubte ihre Badeschuhe aus dem Rucksack und lief schon pudelnackt ins Wasser, als ihre Mom noch die Steine auf den Matten verteilte, damit der Wind sie nicht fortwehte.

    Erwin hatte sich inzwischen auch schon ausgezogen, gleich darauf auch Hertha und nun zogen die zwei Alten der Tochter nach. Hertha brauchte immer ein Weilchen, bis sie sich an das kühle Nass gewöhnt hatte, Erwin machte es dagegen kurz und schmerzlos – er tauchte erst mal unter und wartete dann auf seine Frau, bis sie auch los schwamm.

    „Schwimm Ali ruhig nach, ich bleib lieber in der Nähe des Ufers."

    Alwine war weit hinausgekrault – sie war eine exzellente Schwimmerin, hatte schon in der Mittelstufenzeit nicht nur den Fahrtenschwimmer, sondern sogar den Schein für Rettungsschwimmer gemacht.

    Sie war bereits wieder auf dem Rückweg.

    Hertha strebte derweil wieder der Badematte zu, Erwin reichte es auch fürs erste. Er kletterte aus dem Wasser und begann seinen Spaziergang am Strand, damit der Wind ihn trocknen sollte. Alwine hatte sich schnell abgerubbelt und war dann ihrem Dad nachgerannt. Sie hatte ihn schnell eingeholt.

    „Rennst Du ein Stück mit?"

    „Nö lass mal. Dein Vater ist schließlich schon fast 70 und muss an sein würdiges Alter denken."

    „Dann jogge ich noch ein Stückchen vor."

    „So ganz ohne Klamotten? Und was sagt Dein Busen dazu?"

    „Ist doch weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Und meinem Busen macht das nichts. Hab ja nicht so viel davon."

    „Na, wenn Du meinst. Gott sei Dank, dass Du obenrum nicht wie ausgestopft aussiehst - sieht doch so zart viel schöner aus."

    „Bist ein Lieber! Bis gleich!" rief sie ihm im Weiterlaufen zu.

    Als Erwin zu Hertha zurückkam, sonnte sie sich, ihr Höschen griffbereit neben sich.

    Wenige Minuten später kam eine leicht keuchende Alwine in ihre Richtung und ging gleich noch ein zweites Mal ins Wasser, dieses Mal aber kam sie schon nach wenigen Minuten zu den Eltern. Hertha schnappte sich ihr Höschen.

    „Du, Mom?"

    „Ja, was ist?"

    „Bis eben warst Du so angezogen, wie der liebe Gott Dich geschaffen hat. Tu mir den Gefallen und bleib so. Du hast so eine tolle Figur und siehst noch so prima aus, also da musst Du nichts verstecken."

    Erwin lächelte Hertha an und meinte, zu Alwine gewandt:

    „Sag ich ihr immer, aber mir glaubt sie’s ja nicht."

    „Mom, da hat Dad absolut recht. Und schau nur mal, wie der Dich gerade ansieht – so schauen mir die Jungs in meinem Alter immer hinterher. Und Du bist ja sonst auch nicht gerade prüde, gelle?"

    „Meint Ihr wirklich?"

    „Meinen wir." Die Antwort kam im Duett.

    Hertha war in der Tat mit ihrer Figur und überhaupt mit ihrem Äußeren sehr zufrieden. Für ihr Alter sah sie wirklich blendend aus und im Allgemeinen wurde sie auf Mitte 50 geschätzt, obwohl sie schon über 64 war. Und die Geburt ihrer Alwine war an ihr fast spurlos vorüber gegangen. Sie war eine sog. Spätgebärende gewesen, eigentlich hatten sie und Ewi die Hoffnung auf ein Kind längst aufgegeben gehabt. Und nun? Sogar ihr Busen saß noch an der alten Stelle, er war klein und fest geblieben, obwohl sie ihr Mädchen damals über 6 Monate gestillt hatte. Weshalb sie es nach wie vor strikt ablehnte, sich einen BH zuzulegen – sie fühlte sich mit so einem Ding wie in einer Zwangsjacke. Zwar hatte sie vor Jahren mal einen gekauft. Aber den trug sie nur, wenn sie mal was tief Ausgeschnittenes anziehen musste.

    Alwine war für sie Beide damals ein wirkliches Wunder gewesen. Als sie ihren Erwin als junge Studentin kennenlernte, hatten sie gleich nach Studienschluss geheiratet. Er hatte Jura und Volkswirtschaft, sie Pharmazie studiert und bald nach ihrer Heirat war sie das erste Mal schwanger geworden, doch im 6. Monat hatte sie eine Fehlgeburt. Es war schlimm für sie Beide gewesen. Ziemlich genau ein Jahr später wurde sie erneut schwanger und wieder wollte das Baby nicht bei ihr bleiben – dieses Mal verlor sie es schon im 5. Monat. Hertha war darüber fast depressiv geworden und erst nachdem sie gemeinsam beschlossen hatten, auf Kinder ganz zu verzichten, ging es ihr wieder besser; wahrscheinlich, weil sie sich nicht mehr unter Druck fühlte. Die Pille hatte sie nie vertragen, aber beide passten immer recht gut auf. Und als bei ihr – sie war inzwischen 44 – die Regel ausblieb, fürchtete sie schon, dass die Wechseljahre nun begonnen hätten. Und weil ihr manchmal morgens auch übel war, ging sie zu ihrer Gynäkologin. Die ihr dann klar machte, dass sie erneut schwanger geworden war, sich in der 11. Woche befinde und alles dafürspräche, dass sie ein gesundes Kind auf die Welt brächte. Erwin hatte sie damals ganz ungläubig angesehen und zu ihrer Überraschung angefangen zu heulen. Was sie an ihm überhaupt nicht kannte. Auch wenn es Freudentränen waren. Er hat dann nochmal geheult – als die Geburt vorüber war und ihre Kleine in der Uni-Klinik nackt und bloß auf ihrem Bauch lag, ein kleines, Grimassen schneidendes Etwas mit pechschwarzen Haaren und das die Händchen und Füßchen so süß krümmte. Auch dieses Mal waren es offensichtlich Freudentränen.

    Alwine war nun fast schon eine junge Dame geworden, obendrein eine strahlende Schönheit, und dann noch blitzgescheit. Äußerlich hatte sie von der Mutter den schönen schmalen Kopf – einen Dickkopf meinte Erwin immer feststellen zu müssen, weil sie ihn immer durchsetzte – hochstehende Backenknochen, leicht einfallende Wangen und eine Nase wie von einer griechischen Statue geerbt, kurzum, sie war noch schöner als die Mutter, die immer gemeint hatte, sie hätte zu dünne Beine. Den hohen Haaransatz und den immer zart braun wirkenden Teint hatte der Vater beigesteuert.

    Beide Eltern waren also überaus glücklich und zufrieden mit ihrer Tochter, allerdings war die Mutter heute ganz leicht beunruhigt – irgendwie hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass auf dem Flug von Frankfurt nach Larnaca sich etwas ereignet haben musste, denn die Tochter war völlig ungewohnt allzu leicht über den Flug hinweggegangen.

    4. Kapitel

    Es war schon fast halb eins, als sie den Strand verließen und ihren

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