Das Leben läuft nicht nach Plan
Von Paloma Olszowka
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Buchvorschau
Das Leben läuft nicht nach Plan - Paloma Olszowka
Mein neues Leben
Als ich am Montag, den 16. Januar 2007, von der Schule nach Hause lief, sollte sich mein ganzes Leben verändern. Ich war 16 Jahre alt, als ich die Straße überquerte und ein Auto so schnell um die Ecke angerast kam, dass ich nicht mehr reagieren konnte. Ich hörte nur quietschende Reifen und wie ich auf dem Asphalt aufschlug. Ich hörte nur Stimmen, die mich fragten ob Alles in Ordnung sei. Aber dann verlor ich das Bewusstsein und wachte erst im Krankenhaus wieder auf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich das Schicksal, querschnittsgelähmt zu sein, annahm. Der heftige Aufprall war mir noch im Kopf geblieben. Auch die Ärzte haben mir mein neues Schicksal bestätigt. Natürlich war diese Nachricht für alle Beteiligten ein Schock - aber ich sagte mir, dass ich das Beste aus der Situation machen würde. Andere querschnittsgelähmte Menschen schaffen es ja auch. Wieso sollte ich es dann nicht auch schaffen?
Zum Glück bin ich in einem Krankenhaus gelandet, das eine gute Abteilung für Unfallopfer hat. Dadurch konnte meine Familie in dieser Zeit Hilfe in Anspruch nehmen. Meine Mutter besucht heute noch eine Psychologin, denn sie verkraftet es immer noch nicht. Mein Vater vertieft sich immer noch in seine Arbeit. Mein Bruder war mit seinen Frauengeschichten beschäftigt und meine kleine Schwester hatte zum Glück die Musik und sang viel im Chor.
Ich lernte mit der Zeit, mit meinem Ungetüm namens Rollstuhl umzugehen. Das war ein hartes Stück Arbeit! Ein Jahr lang hatte ich damit zu kämpfen, meinen Körper und meinen Geist mit Physio- und Psychotherapie wieder in Form zu bringen. Es war eine schwere Zeit für unsere Familie, die wir zusammen durchgestanden haben. Der Arzt hatte vorgeschlagen, eine Familientherapie zu machen und mir eine Einzeltherapie verschrieben.
Natürlich habe ich auch andere Jugendliche kennengelernt, die das gleiche Schicksal hatten wie ich. Einige konnten sich damit aber nicht so gut anfreunden. Meine damalige Zimmernachbarin hat sich sogar geritzt und musste damit schließlich in die Psychiatrie. Sie hieß Mika. ALLES hatte ich versucht, um sie aufzubauen, aber ihr Gehirn hatte schon lange zugemacht. Sie hatte ein Busunglück überlebt, bei dem der Großteil ihrer Freunde verstorben war. Sie hatte als eine der Wenigen überlebt. Bestimmt hätte ich mich auch so entwickelt wie sie, wenn ich nicht meine Familie als Stütze gehabt hätte. Zum Glück war mein Papa in dieser schweren Zeit für meine Mama da. Denn sonst hängt er immer auf seiner Arbeit fest.
Er hatte mir versprochen, dass es sich jetzt ändern würde. Er ist nämlich Architekt. Es macht mich traurig, wenn ich darüber nachdenke, dass ich Mika nicht helfen konnte. Wie es ihr wohl geht in der Psychiatrie? Lebt sie überhaupt noch? Ich sollte all dies noch in Erfahrung bringen.
Während meines Krankenhausaufenthaltes haben sich meine besten Freundinnen nie gemeldet, obwohl ich sie tausende Male anrief. Zu allem Überfluss hat auch mein Freund Basti nichts von sich hören lassen. Das traf mich so bitterlich tief im Herzen. Ich sagte mir: Das kann doch nicht sein! Unsere ganzen Liebesschwüre… Verdammt! Dieser Mistkerl! Nur weil ich jetzt vier Räder unterm Hintern habe, kann doch nicht alles wie weggeblasen sein.
Vor dem schweren Verkehrsunfall waren Lola, Lena und ich die drei besten Freundinnen auf dem ganzen Schulhof. Wir waren alle drei gleich alt. Die beiden hatten einen coolen Kleidungsstil, wie ihn die jungen Mädchen in den Filmen haben - nur pinke glitzernde Klamotten. Lenas pink gefärbten Haare überdeckten ihren aschblonden Naturton - sie wollte schon immer eine schrille Haarfarbe tragen. Lolas rote Mähne mit leichtem Blondstich passte nie zu ihrer pinken Kleidung, aber das störte sie nicht. Damals hatte ich Angst, dass sie mich auch so pink einkleiden wollen würden - zum Glück hatte sie es nicht gemacht!
An den ersten Tag mit den beiden kann ich mich noch gut erinnern: Sie mobbten mich und schmissen meine Schulsachen auf den Boden. Eines Tages aber brauchte Lena dringend meine Hilfe. Ein Junge verprügelte sie auf dem Schulhof und ich ging dazwischen. Ich wunderte mich, warum ein Junge ein Mädchen verprügeln sollte; entweder war etwas Schlimmes passiert oder sie hatten grade einen Beziehungsstreit. Damals wollte Lena jedoch nicht mit mir darüber reden. Unsere Freundschaft war jedenfalls besiegelt.
Allerdings musste ich noch das offizielle Aufnahmeritual in ihre Clique überstehen: den gemeinsamen Überfall auf eine Modeboutique! Ich hatte richtig Bammel vor diesem Tag und meine Knie zitterten wie Espenlaub. Schließlich machte ich doch mit - ich wollte nicht bis zum Ende meines Lebens als Schul-Nerd gelten. An diesem Tag wurde ich das erste Mal in meinem Leben verhaftet. Diese Erfahrung begleitet mich noch bis heute.
Seit ich aus dem Krankenhaus zurückgekommen bin, weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Jetzt soll auf einmal wieder der Alltag losgehen? Das kann doch nicht sein… ich drehe durch. Zum Glück haben meine Mutter und mein Vater mein Schlafzimmer bereits so umgeräumt, dass ich soweit zurechtkomme. Nur der Teppich stört noch - da hilft es mir auch nicht, dass ich bereits das ganze letzte Jahr den Umgang mit meinem Rollstuhl eingeübt habe.
Langsam wie eine Schnecke fahre ich in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Blöderweise komme ich aber nicht mehr an den Geschirrschrank heran. Ich habe auch keine Lust, jemanden zu rufen. Mein Gesicht wird immer heißer, ich drohe zu explodieren. In diesem Moment kommt Papa herein und fragt mich, ob ich Hilfe bräuchte.
„Seh' ich vielleicht so aus?", antworte ich schnippisch und drehe mich um.
Papa ruft hinterher: „Was ist denn los, Franziskachen?"
„Verdammt, Papa! Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst!"
Ich knalle die Tür hinter mir zu. „Ihr habt doch alle keine Ahnung!"
Papa klopft vorsichtig und sagt zögerlich: „Große, auch für uns ist es nicht leicht."
„Ja, ich weiß es doch", schluchze ich.
Nach einer Pause fragt er: „Darf ich nun hereinkommen?"
„Ja, ok"
„Darf ich mich setzen?" Papa fragt mich, warum ich denn so ausgerastet sei.
Ich sage zu ihm: „Lena und Lola haben sich nach dem Unfall nicht gemeldet."
„Ach, komm mal her, Franziskachen! Manche Freundschaften ertragen so einen Schicksalsschlag einfach nicht…, sagt Papa und versucht, mich zu beruhigen. „Das ist ja wirklich fies, dass deine Freundinnen und dein Freund sich einfach nicht melden! Komm - wir gehen jetzt in die Küche und bereiten das Abendbrot vor.
Ich liebe Papa für seine einfühlsame Art. Er hat die richtigen Worte zur richtigen Zeit für mich – wenn er denn mal zu Hause ist. Er hat eine große Statur und braune wuschelige Locken, das muss mein Bruder von ihm geerbt haben. Mit seinen Jeans und seinen Polohemden hat er einen legeren Kleidungsstil. Für sein Alter, Mitte 40, ist er wirklich noch jung geblieben - wenn ich ihn nicht kennen würde, hätte ich ihn wohl zehn Jahre jünger geschätzt. Meine Mutter ist ebenfalls sein Jahrgang. Ich finde, er arbeitet zu viel in seinem Büro, aber irgendwer muss ja das Geld nach Hause bringen.
Mama hat sich einen Traum erfüllt: sie ist Inhaberin eines Buchladens, der Liebesromane, Sachbücher und alles andere führt, was die Bücherwelt sonst noch zu bieten hat. Ich wünsche mir für meine Beziehung, dass mein Freund nicht so viel an seiner Arbeit hängt. Ich verstehe gar nicht, wie Mama ihn lieben kann!
Papas kritischer Blick reißt mich aus meinen Gedanken. „Aber ich KANN doch gar nicht das Abendbrot vorbereiten! Das weißt du doch, Papa! „Klar doch! Vielleicht können wir gemeinsam einiges umräumen, damit du besser drankommst. Ich weiß nämlich nicht, ob dieses Haus einen weiteren deiner Stimmungs-Tornados übersteht - schließlich sind die Wände nur aus Gips!
„Haha! Wie lustig, Papa…"
Papa schiebt mich in die Küche und ich lache entspannt. Wir decken gemeinsam den Tisch.
Dann kommt Mama aus dem Buchladen nach Hause. Man hört den Schlüssel im Schloss und dann, wie ihre hochhackigen Schuhe auf dem Flurboden klacken.
„Hallo Franziska! Hallo Marki, mein Schatz!" Sie gibt Papa einen Kuss auf die Stirn. Ich rolle ihr entgegen, um sie zu begrüßen und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
„Ich habe eine Überraschung für dich, Mama… schau' mal!"
„Was denn für eine?", fragt sie gespannt.
„Verrate ich nicht!, lache ich, „du musst in die Küche kommen!
Dort angekommen, staunt sie nicht schlecht, weil wir schon den Tisch gedeckt hatten.
„Das glaub' ich ja nicht!"
Schließlich rufen wir Francesco, meinen großen Bruder, und meine kleine Schwester Christina zu Tisch.
Die Ruhe vor dem Sturm
Die Tage werden schon langsam wieder kürzer. Es ist spät am Abend, aber ich kann nicht einschlafen und schaue mir durch das Dachfenster über meinem Bett die Sterne an. Wie ich den nächsten Tag überstehen soll, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Es klopft an der Tür. Meine Mama kommt rein, um mir noch eine gute Nacht zu wünschen. Ich erzähle ihr, was mir so durch den Kopf geht: Beim Gedanken an meinen ersten Schultag wird mir ganz mulmig. In meinem Magen brodelt sich etwas zusammen. Morgen würde der erste Schultag nach meinem Unfall sein und ich muss zurück in meine Klasse - oh mein Gott! Ich habe so Angst! Dort sind alle meine alten Freunde. Aber ich weiß nicht, wie sie darauf reagieren und ob sie überhaupt noch meine Freunde sein wollen. Ob sie überhaupt mit meiner Behinderung zurechtkommen?
Meine Mutter sagt zu mir: „Francesco bringt dich morgen in die Klasse und holt dich in der Pause wieder ab. Ich werde noch mit ihm darüber sprechen, wobei er dir helfen soll. Und dann kann nichts schief gehen, glaub' mir - wir sind alle für dich da." Sie gibt mir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Nase und geht zur Tür hinaus.
„Jetzt geht es mir schon ein bisschen besser", sage ich noch zu Mama, als sie an der Tür steht.
„Das freut mich." Ich schaue noch kurz die Sterne an, bevor ich einschlafe.
Am Morgen bekomme ich kaum meine Augen auf, weil ich es einfach nicht mehr gewöhnt bin, so früh aufzustehen. Meine Mutter kommt in mein Zimmer und sagt: „Guten Morgen mein Schatz, hast du gut geschlafen?" Zum Glück habe ich in der Reha gelernt, wie ich mich am besten mit meiner Behinderung selbstständig fertig machen kann. Nur manchmal brauche ich noch ein bisschen Hilfe von Mama.
Zusammen stellen wir mein Outfit für den großen Tag zusammen: Meine Glücks-Jeans mit meinem Glücks-Oberteil. Mit vor Aufregung zitternden Händen fahre ich zum Esstisch. Dort sitzen schon Christina und Francesco und begrüßen mich.
„Hast du gut geschlafen, Franziska?", fragt mein Bruder.
„Geht so…" Ich nehme mir ein Stück Brot und beschmiere es mit Butter und Nutella. Lecker!
Christina nimmt meine Hand: „Du schaffst das schon!"
In zehn Minuten müssten wir zum Bus aufbrechen, mahnt Francesco. Mir wird schwarz vor Augen, weil ich so mega aufgeregt bin. Ich schüttele mich und komme langsam wieder zur Besinnung, sodass ich noch schnell mein Brot aufessen und ein Glas Kakao trinken kann. Dann geht es los. Mama hängt mir meine Schultasche an den Rollstuhl, bevor sie mir einen schönen Schultag wünscht. Francesco schiebt mich zur Tür hinaus und zur Bushaltestelle, wir steigen in den angekommenen Bus ein. Francesco hilft mir mit der Rampe in den Bus einzusteigen.
Zum Glück hat man im Bus einen Extraplatz für Rollstuhlfahrer. Dort fahre ich hin und stelle die Bremsen fest, damit ich mich nicht gleich hinlege. Die Busfahrer sausen manchmal wie die Chaoten durch die Gegend. Ich schaue noch einmal mit meinem Handspiegel, ob alles passt und mein Bruder fragt: „Was machst du da? Du siehst super aus für den ersten Schultag!"
Alte Begegnungen
Mir ist ein bisschen mulmig, als wir in das Schulgebäude fahren. Irgendwie