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Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B.
Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B.
Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B.
eBook233 Seiten3 Stunden

Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B.

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Über dieses E-Book

Gerard B., Jahrgang 1945, wächst ohne Vater auf. Er arbeitet sich hoch, wird ein sehr erfolgreicher Handelsvertreter. Besserwisserisch, ungeduldig und ohne Gefühl für Geld verliert er alles. Ob er am Ende seines Lebens mit seiner relativ kleinen Rente zurechtkommen wird?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Feb. 2021
ISBN9783347254978
Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B.
Autor

Ulf Häusler

Ulf Häusler, 1935 in Nordhessen geboren, studierte nach dem Abitur zunächst Medizin, sattelte dann aber um auf Jura und Volkswirtschaft. Nach bestandenem Diplom als Volkswirt ging er zunächst für ein Jahr in den väterlichen Betrieb. Danach wechselte er in einen großen deutschen Konzern. Er arbeitete dort gut 30 Jahre lang, ab 1992 als Mitglied des Konzernvorstandes, den er altersbedingt Ende 1998 verließ. Nebenberuflich promovierte er 1973 und erhielt 1984 einen Lehrauftrag an einer süddeutschen Universität. 1990 ernannte ihn der zuständige Kultusminister zum Honorarprofessor. Ulf Häusler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt und arbeitet zusammen mit seiner künstlerisch tätigen Ehefrau in einem kleinen Dorf im hessischen Teil des Odenwaldes.

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    Buchvorschau

    Der Aufstieg und unaufhaltsame Abstieg des Gerard B. - Ulf Häusler

    1.Kapitel

    1945/1946

    Es war eine ziemlich schwere Entbindung geworden. Über 24 Stunden hatte sich Angelika Bertram quälen müssen, bis sie ihren Sohn endlich am 7. Juni um 13.45 Uhr auf die Welt gebracht hatte. Sie würde ihn auf den Namen Gerard taufen lassen. Fachkundige Hilfe hatte sie bei der Entbindung nicht erwarten können, denn den alten Dorfarzt hatte man im Februar noch für den Volkssturm aktiviert und die einzige Hebamme, die es auf den Dörfern gab, als Krankenschwester für das Feldlazarett in der Kreisstadt rekrutiert. Zwar war der Krieg nun aus, aber bisher hatten sich weder der Arzt noch die Hebamme wieder blicken lassen.

    Als Angelika meinte, sie würde die Geburt nicht überleben, war ihre Mutter zu den englischen Besatzungssoldaten gelaufen und hatte schließlich wild gestikulierend und laut ‚Doktor, Doktor‘ rufend, immerhin einen Sanitäter herbeigeschafft. Der hatte aber nur gegrinst, eine Menge für die beiden Frauen Unverständliches von sich gegeben und war dann wieder abgerückt, weil ihr Junge inzwischen laut schreiend und offenbar wenig begeistert, dass er den schützenden Bauch der Mutter hatte verlassen müssen, in ihren Armen lag.

    Hans, ihr Mann, hatte neun Monate zuvor noch einmal für eineinhalb Wochen Heimaturlaub bekommen, weil er sich an der Front einen Granatsplitter im rechten Arm ‚eingefangen‘ hatte. Aber kaum, dass die Wunde nach dem Entfernen des Splitters wieder verheilt war und zu vermuten stand, dass er wieder ein Gewehr würde halten können, hatten ihn die ‚Kettenhunde‘ ziemlich blöde lächelnd abgeholt und zu einer Einheit in der Kreisstadt geschickt. Man nannte die stets recht martialisch wirkenden Zweiertrupps in Wehrmachtsuniform so, weil sie mit einem großen Blechschild um den Hals wohl gekennzeichnet dafür da waren, versprengte Soldaten aber auch vermutete Fahnenflüchtige aufzugreifen. Erstere wurden an die Front geschickt, letztere standrechtlich erschossen. In den letzten Wochen aber meistens aufgehängt, weil Munition immer knapper geworden war.

    In der Kreisstadt angekommen, wurde Hans sofort wieder an die Front geschickt, auf dass er an der Elbe heldenhaft für den Endsieg der Nazis das Vaterland verteidige. Seitdem hatte Angelika nichts mehr von ihm gehört. Gerüchten zufolge sollte die ganze Einheit von den Russen gefangen genommen worden sein. Wahrscheinlich war er nun in Richtung Sibirien unterwegs.

    Aber Angelika und ihre Mutter plagten ganz andere Sorgen. Die Tommys hatten begonnen, alle Bewohner des Dorfes aus ihren Häusern rauszuwerfen, um dort für sich Quartier zu machen. Für Angelika und ihre Mutter stand der Rausschmiss gerade an, als ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener den Engländern klar machte, dass eben diese Frauen gute Menschen und keine Nazis seien. Er war deshalb so hilfsbereit, weil Angelika in den letzten Tagen vor Kriegsende und schon hochschwanger noch dienstverpflichtet worden war: Sie musste ab sofort das gegenüberliegende Gefangenenlager bewachen und dessen Insassen jeden Morgen raus auf die Felder zur Arbeit schicken und abends wieder einschließen. Sie hatte den Auftrag als albern empfunden und dem einen Franzosen, weil er ein hübscher junger Mann in ihrem Alter war und außerdem ein paar Brocken deutsch beherrschte, einfach den Schlüssel in die Hand gedrückt und ihn angewiesen, er solle morgens selbst auf- und abends sich und seine Mitgefangenen wieder einschließen.

    „Aber wehe, Ihr haut mir ab. Dann bringen mich diese Sch…-Nazis noch um die Ecke."

    Gerard Lupois war ein charmanter Mann und hatte sie angestrahlt:

    „Madame, wir nicht rennen weg. So schöne junge Mama Angelique dann tot – das nicht gut."

    Dass er Angelika schon seit Langem schöne Augen machte, war nicht zu übersehen. Und dass Angelika dieser Gerard auch verdammt gut gefiel, hatte vor allem ihre Mutter längst bemerkt. Aber ‚mehr‘ war da nicht. Ob aus Tugendhaftigkeit oder wegen Angelikas Schwangerschaft konnte dahingestellt bleiben.

    Es war tatsächlich keiner getürmt, denn allen Gefangenen war klar, dass in ein paar Wochen der Krieg zu Ende sein würde und man dann sehr viel gefahrloser wieder ins heimatliche Frankreich gelangen könne.

    Angelikas Großzügigkeit hatte sich nun ausgezahlt – sie durften wenigstens ein Zimmer im Haus behalten. Und Mutter und Tochter hatten noch ein zweites Mal Glück: Die Engländer richteten auf dem Hof, sowie in der sog. Futterküche und in der Scheune die Küche für ihre Soldaten ein: Seitdem hatten sie genug zu essen, denn die schöne junge Mama mit einem Säugling im Arm weckte durchaus in den Soldaten die Bereitschaft, ein wenig ‚Gentleman‘ zu spielen.

    Trotzdem war Angelikas Mutter stocksauer auf dieses ‚Pack‘, wie sie es nannte, weil die ihre einzige Kuh erschossen hatten, um mehr Fleisch zu haben und auch die beiden Schweine waren konfisziert und geschlachtet worden.

    „Und wo kriegen wir jetzt Milch für Dich und den Gerard her? Und was sollen wir essen, wenn die wieder weg sind? Und Heinrich, Dein Großer, will auch was zwischen die Rippen haben."

    Angelika war von Haus aus sehr viel optimistischer veranlagt als ihre Mutter und so meinte sie nur:

    „Ach Modder."

    Die Nachbarin, die Heinrich zu sich genommen hatte, als bei Angelika die Wehen einsetzten, hatte den 5 Jahre älteren Bruder wieder zu ‚Modder‘ gebracht – mehr als zwei Tage konnte sie keinen weiteren Esser verkraften.

    Modder war etwas irritiert über die Namensgebung des neuen Erdenbürgers. Sie hatte ja ohnehin mit Argusaugen beobachtet, wie dieser Franzose ihrer ‚Deern‘ schöne Augen machte, aber dass Gerard gar nicht Hans‘ Sohn sei, sondern der hübsche Franzose der Vater des zweiten Jungen sei, wies Angelika empört zurück. Übrigens zurecht, denn später hatte Gerard eine geradezu lachhafte Ähnlichkeit mit seinem Vater Hans entwickelt.

    Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis in Reuscha, so hieß ihr Dorf, wieder so etwas wie Normalität einkehrte. Kaum waren im Juli 1945 die Engländer abgerückt, kam der nächste ‚Schwarm‘, wie Timmermann Schultens Dorle es bezeichnete – so wurde Angelikas Mutter vor Ort genannt. Es waren dieses Mal Amerikaner. Nach Mutter Doras Meinung waren es ziemliche Rowdies, sie brausten mit ihren Jeeps die Straßen auf und ab und hatten nur Unfug im Kopf. Aber sie hatten auch ihr Gutes. Einmal hatten sie einen Narren an allen Kindern gefressen, die sie mit reichlich Kaugummi und Schokolade versorgten und obendrein hielten sie die Polen in Schach.

    Im Nachbardorf hatte es ein polnisches Gefangenenlager gegeben und kaum hatten die Polen ihre Freiheit erlangt, fingen sie an, sich an den Deutschen zu rächen. Sie holten alle Jungs über 14 Jahre und alle Männer aus den umliegenden Dörfern ab und sperrten sie in ihrem ehemaligen Lager ein, in der festen Überzeugung, dass es sich samt und sonders um Nazis handeln müsse. Was ja nicht so ganz falsch war, denn die Männer zwischen 20 und 60 Jahren waren tatsächlich allesamt überzeugte Nazis gewesen und hatten sich als Partei-‚Bonzen‘ erfolgreich vor der Vaterlandsverteidigung drücken können. Es war den Polen nun keineswegs genug, ihre ehemaligen Peiniger einzusperren, sondern sie ließen sie im Lagergelände tiefe Gräben ausheben und prügelten nun auf ihre ‚erbeuteten‘ Gefangenen mit langen Knüppeln ein. Zwei hatten sie dabei totgeprügelt, was die Amerikaner nicht wirklich gut fanden. Sie rückten mit einer Kompanie ihrer Army an, nahmen den Polen die Knüppel weg und bedeuteten ihnen, schön brav und friedlich zu bleiben, sonst würden sie selbst wieder eingesperrt.

    Immerhin hatten die Amis einen Sergeanten, der etwas polnisch konnte und der machte den neuen Herren unmissverständlich klar, dass sie von der Prügelstrafe wenig hielten, sondern dafür die Gerichte zuständig wären. So kamen die Ex-Nazis, vor allem aber die halben Kinder unter den geprügelten Männern, halbwegs glimpflich davon.

    Die Amerikaner fingen dann an, die Deutschen zu verhören und hatten sehr bald die echten Alt-Nazis ausgemacht. Sie ließen sie je zu zweit antreten und dann mit erhobenen Händen durchs Dorf marschieren. Vereinzelt bezogen sie da erneut Prügel.

    Nachdem der Spießrutenlauf beendet war, wurden sie auf ein paar Lkw verladen und in ein Lager nach Fallingbostel abtransportiert.

    Vier Wochen später waren die Amis wieder weg – weitere Besatzungs-Soldaten ließen sich nur noch selten blicken und Quartier nahmen sie nie mehr. Weder in Reuscha noch den anderen Dörfern.

    Heinrich Bertram wurde eingeschult. Auf dem Dorf gab es eine Schule mit 2 Klassen. Ursprünglich hatte es für die mal zwei Lehrer gegeben: Der eine war für die Klassen vom 1. bis zum 4. Schuljahr zuständig, der andere unterrichtete die 5. bis 8. Klasse. Aber nun hatte man ein Problem. Der eine Lehrer, Ottokar Busse, war schon über 70 – die Nazis hatten ihn aus dem Ruhestand zurückgeholt, weil sie den sehr viel jüngeren Vorgänger von Busse als Kanonenfutter an die Ostfront geschickt hatten. Der andere Lehrer, von seinen Schülern ‚Steißtrommler‘ genannt, war der größte Nazi im Umkreis von 100 km gewesen. Ihn hatten die Amis nach Fallingbostel verfrachtet. So war die zweite Lehrerstelle vakant. Busse, von seinen Schülern heiß geliebt, hatte kein Problem damit, noch weiter zu unterrichten. So wandten sich die verbliebenen Erwachsenen im Dorf an den Leiter der örtlichen Sparkasse und überredeten ihn - er war schwer krank und hatte deshalb nicht in den Krieg gemusst – die Lehrerstelle anzutreten. Der Großbauer Lotter hatte ihn für diese Tätigkeit dann endgültig gewinnen können:

    „Mensch Haarich, es sollte eigentlich Heinrich heißen, „stell Dick nich so an – schrieven kannste und rechnen ooch. Sogar Dreisatz. Und de Kinner bruken Dick.

    Lotter war an dem Tag ausnahmsweise mal nüchtern gewesen. Normalerweise befand er sich im Vollrausch, hatte sich längst einen Tremor angesoffen und war folglich kriegsdienstuntauglich gewesen. Er war im Grunde genommen eine Seele von Mensch und unheimlich kinderlieb, was sich darin äußerte, dass er im Winter bei Schnee alle Jahre wieder mit seinem Lanz-Bulldog vom Hof fuhr und auf der Landstraße anhielt. Etwa 20 Schlitten mit Kindern darauf an seinen Trecker hängte und dann mit ihnen losfuhr. Der letzte Schlitten war bei den Kindern übrigens der beliebteste Platz, weil man da immer von einer Straßenseite auf die andere schleuderte. Alkohol am Steuer war als Begriff damals unbekannt und Bulldog-Fahren war die einzige Tätigkeit des Bauern, bei der ihn der Tremor nicht allzu sehr schüttelte. Übrigens hatte er 6 Jahre später seinen Hof versoffen, was er aber nicht mehr mitbekam, weil er in einer eiskalten Winternacht nach dem Verlassen der örtlichen Kneipe gestolpert war. Er war dann wohl eingeschlafen und wurde erfroren wieder aufgefunden. Der Ortspolizist berichtete, dass ein glückliches Lächeln sein Gesicht umspielt habe.

    Heinrich ging ganz gern zur Schule. Lesen und schreiben waren zwar nicht gerade seine Leidenschaft, aber Rechnen dafür umso mehr.

    Heinrich und damit auch sein Bruder Gerard wuchsen somit relativ glücklich auf. Heinrich machte es nichts, keinen Vater zu haben, weil fast alle Kinder keinen hatten. Er kannte seinen im Grunde genommen nicht und hatte auch keine Erinnerung an dessen letzten Besuch, als er ihn mit knapp 5 Jahren noch einmal gesehen hatte. Und für den kleinen Gerard war ‚Vater‘ ohnehin ein Fremdwort. Beide Kinder entbehrten insofern also nichts.

    Angelika wusste nicht so recht, ob sie den Ehemann und Vater ihrer beiden Söhne entbehrte. Die ganz große Liebe war er ohnehin nicht gewesen. Sie hatte ihn eigentlich nur geheiratet, weil ihr Vater als Zimmermannsmeister eine kleine Sägerei betrieben hatte und Hans dort als Geselle arbeitete. Ihre Eltern hatten gehofft, dass Hans auch mal seine Meisterprüfung machen würde, aber er war dafür wohl zu faul und vielleicht auch zu dumm. Was sie aber erst hinterher herausfand.

    Dass Hans in puncto Arbeit ein Missgriff war, hatte sie spätestens gemerkt, als ihr Vater Heinrich 1938 gestorben war – Hans war es gewohnt gewesen, dass der Schwiegervater ihm sagte, was er zu tun hatte. Als er tot war, hatte wohl oder übel ihre Mutter den Part des Vaters übernehmen müssen. Der Krieg war dann dazwischen gekommen, Hans hatte man sofort zur Wehrmacht eingezogen, er brachte es dort mit Ach und Weh bis zum Obergefreiten. Und die Mutter war damals sehr still und in sich gekehrt gewesen, denn ohne einen Meister hätte sie das Sägewerk nicht mehr lange halten dürfen.

    Hans war nun fort, sie hatte nichts mehr von ihm gehört, sie wusste nicht, ob er noch lebte, ob er in Gefangenschaft geraten oder gefallen war – er galt als vermisst. Vom Roten Kreuz konnte sie nur erfahren, dass seine Einheit vermutlich ‚aufgerieben‘ worden sei, Gewissheit erlangte sie nie.

    Sie beschloss, nunmehr 36 Jahre alt, sich mit der Ungewissheit abzufinden. Wirklich vermissen tat Angelika ihn nicht, höchstens mal gelegentlich als Handwerker im Haus. Als Mann war ihr Hans ohnehin keiner gewesen, der in ihr besondere Sehnsüchte geweckt hätte und so blickte sie nach vorn – schließlich hatte sie von ihm zwei Söhne, die sie nun allein würde großziehen müssen.

    Als zehn Jahre später im Januar 1956 etwa 2 Millionen deutsche Kriegsgefangene aus den sowjetischen Lagern zurückkamen, war Hans nicht dabei. Erst sehr viel später erfuhr sie, dass 1,3 Millionen in den Lagern gestorben waren oder als vermisst galten.

    Angelika hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Ihre Mutter hatte sie zwei Jahre zuvor zu Grabe tragen müssen, sie hatte die ererbte Sägerei ganz gut verkaufen können und da sie noch eine bescheidene Rente bezog, hatte sie für sich und ihre beiden Jungs genug zum Leben. Ja, es wäre schon schön gewesen, wieder einen Mann an ihrer Seite zu haben, aber sie konnte den Gedanken an ‚so etwas‘ immer ganz gut verdrängen. Und sehr, sehr selten lächelte sie manchmal vor sich hin, wenn sie an den charmanten Franzosen von 1944/45 dachte.

    2.Kapitel

    1955

    Heinrich hatte die 8. Klasse der Schule erfolgreich absolviert. Da er ganz gern rechnete, hatte ihn die Mutter vor die Wahl gestellt: Lehre bei einer Bank oder bei der Raiffeisen-Genossenschaft. Nach 3 ½ Jahren würde er dann entweder Bankkaufmann oder Groß- und Einzelhandelskaufmann sein.

    Viel Lust hatte er zu beidem nicht. Eigentlich wusste er gar nicht, wozu er Lust haben könnte und diskutierte das mit seinen nunmehr ehemaligen Klassenameraden. Aber auch mit einem Jungen, der ein Jahr vor ihm fertig geworden war und der bei der örtlichen Spar- und Darlehnskasse eine Lehre begonnen hatte. Was der ihm voller Begeisterung über sein Tun berichtete, fand Heinrich ganz fürchterlich. Und so entschloss er sich, doch lieber die Lehre in der Genossenschaft zu beginnen, um dereinst ein Groß- und Einzelhandelskaufmann zu werden.

    Angelika war recht froh, dass sie nun eines der Kinder gut untergebracht wusste, sie hatte sogar extra ihr Bankkonto einschließlich dem Sparbuch – viel war nicht darauf - bei der Sparkasse gekündigt und war zur Spar- und Darlehenskasse gewechselt, weil die zum Raiffeisenverbund gehörte. Vorher hatte der Direktor der Genossenschaft sie angesprochen:

    „Hör mol, Angelika, min Deern, det jeiht ja woll nich, Din Jeld bi de Sparkass und Din Jong bi uns. Harich will ja to uns komme, denn mut Din Jeld ok bi uns sin."

    Angelika war sich nicht sicher, ob der schon über 60-jährige Chef von Raiffeisen überhaupt des Hochdeutschen mächtig war, und sie selbst sprach nur selten ‚platt‘. Aber sie hatte sehr wohl verstanden, dass der gute Mann es für notwendig und richtig hielt, dass sie ihr Geld wegen Heinrichs Lehre besser bei der Genossenschaftsbank aufbewahren sollte.

    „Mokt wi, Jens." war ihre Antwort gewesen.

    So wurde der Wechsel der Bank vollzogen und Heinrich startete seine berufliche Karriere bei Raiffeisen.

    Er war stolz wie ein Spanier – er bekam im ersten Lehrjahr 25 Mark im Monat – 10 gab er der Mutter ab, den Rest behielt er für sich. 10 kamen aufs Sparbuch, für die verbleibenden 5 Mark kaufte er sich am Kiosk in der Woche jeden Tag eine Zigarette.

    Gerard war nun schon 10 Jahre alt. Er war ganz anders als sein großer Bruder geraten, hatte sehr viel Unfug im Kopf und machte auch auf der Schule ziemlich Schwierigkeiten. Er war zwar nicht dumm, aber recht faul. Manchmal stibitzte er aus Mutters Portemonnaie ein paar Groschen, rauchte heimlich und hatte zum Ausgleich eine ziemlich große Klappe. Er profilierte sich damit bei den dümmeren Klassenkameraden zum Wortführer und fühlte sich als der Größte. Rein äußerlich war er das auch, denn für sein Alter war er ganz schön hochgeschossen.

    Seine Art war wirklich nicht jedermanns Sache und so war es auch nicht verwunderlich, dass der Lehrer ihn recht bald ‚auf

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