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Bergdorf sucht... Bewohner
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eBook337 Seiten4 Stunden

Bergdorf sucht... Bewohner

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Über dieses E-Book

Das Leben in Lämmerbach hält für Paula weitere Überraschungen bereit. Unter anderem verläuft die Dokumentation über den berühmten Bergkäse keineswegs wie geplant. Außerdem steht ein von Julia arrangiertes Treffen mit ihrem Ex an. Für zusätzliche Dramatik sorgt die Übersiedelung eines Jungen-Internats inklusive neuer Lehrkräfte. Einer dieser Lehrer entpuppt sich dabei als unerwartete Gebetserhörung.
Irgendwann sieht es so aus, als gäbe es für die junge Lehrerin ein romantisches Happy End, aber in der Rechnung befinden sich bis zum Schluss ein paar Unbekannte.
Lämmerbach-Reihe Teil 3
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum28. Feb. 2022
ISBN9783754186381
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    Buchvorschau

    Bergdorf sucht... Bewohner - Josie Hallbach

    Prolog:

    Josie Hallbach

    Bergdorf sucht… Bewohner

    Teil 3

    Drei Männer, jeder mit einer Flasche Bier vor sich, saßen in der baufälligen, ehemaligen Jugendherberge. Der Fußboden wölbte sich unter ihren Füßen, an den Fenstern blätterte die Farbe ab und das Mobiliar zeigte sich im Charme der 70er Jahre, wobei von dem typischen Furnier inzwischen wenig übriggeblieben war.

    Im Hause herrschte ausnahmsweise Ruhe. Allerdings war es fraglich, ob dies als gutes Zeichen gewertet werden konnte.

    Ein Mittvierziger mit Bürstenhaarschnitt und militärischem Auftreten blickte finster vor sich hin. Er war eindeutig der Wortführer dieser Herrengruppe. „Ich weiß nicht, was Herrn Teichmann da geritten hat, aber meine Billigung wird dieses Projekt niemals finden. Erregt klopfte er mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Egal wie es hier aussieht, aber allein der Gedanke, dass irgendwelche Möchtegern-Lehrerinnen unsere Jungs unterrichten wollen… Das kann nur in einer Katastrophe enden.

    Also, Frau Müller machte auf mich einen recht kompetenten Eindruck", wagte Jens Meinert dazwischenzuwerfen. Der Lehrer mit dem Pferdeschwanz und den treu blickenden, grünen Augen versuchte sich als Vermittler. Er war der zukünftigen Kollegin immerhin schon mal begegnet.

    Pah! Was kann man von einer jungen Frau in dem Alter schon erwarten? Gerade Sie müssten unsere Früchtchen ja kennen, Kollege Meinert. Oder soll ich an die chaotischen Zustände in Ihrer letzten Physikstunde erinnern, als wir Sie aus dem Materialraum befreien mussten, während Ihre Klasse sich ins Stadtzentrum abgesetzt hatte? Eine Frau kann sich niemals bei denen durchsetzen, das steht fest."

    In Lämmerbach wird es zum Glück kein Stadtzentrum geben, Oberst. Alles ist klein und überschaubar, nicht wahr Jens?", versuchte Olaf Maus sich und die anderen zu beruhigen. Er mochte keinen Streit. Sein pausbäckiges Gesicht schaute hilfesuchend zu seinem Kollegen hinüber.

    Dieser nickte zustimmend, worauf Herr Maus seufzend seine Brille zurückschob und sich einen weiteren tiefen Schluck Bier genehmigte. Seine rundliche Körpermitte zeugte von einer Vorliebe für dieses Getränk.

    Aber unsere Jungs sind weder klein noch überschaubar, das wissen Sie genauso gut wie ich. Auf dieses beschauliche Örtchen rollt gerade eine Lawine zu und ich finde, man sollte die Leute zumindest vorwarnen."

    Die Bevölkerung hat sich freiwillig für dieses Internat entschieden", gab Herr Maus zu bedenken.

    Ja, weil sie keine Ahnung haben und ihnen das Wasser bis zum Hals steht, wenn ich Herrn Teichmann richtig verstanden habe. Das sind doch alles arme Almbauern, die mehr oder weniger hinterm Mond leben. Und nun hat ihnen die Regierung ein Messer auf die Brust gesetzt. Entweder ihre Dorfschule geht hops oder sie akzeptieren eine Bande männlicher Kleinkrimineller in ihrem Ort."

    Phillip wird schon wissen was er tut", verteidigte Olaf Maus erneut das Projekt. Am liebsten hätte er die Diskussion generell beendet und sich in Ruhe seinem Bier gewidmet, aber wenn Oberst Mölcher einmal in Fahrt war, bremste ihn so schnell nichts und niemand mehr.

    Tut mir leid, wenn ich das hier so direkt sage, aber der ist in vielerlei Hinsicht ebenso idealistisch und naiv. Ihn zum Leiter dieses Internats gemacht zu haben, war ein großer Fehler."

    Vielleicht wird uns der Neue im Team guttun. Er scheint patent zu sein und hat wohl reichlich Erfahrung mit verhaltensauffälligen Jugendlichen", brachte Jens Meinert versöhnend ein.

    Ach, und warum macht man dann so ein Geheimnis um diesen Herrn Steinmann? Wieder etwas, das euer Phillip im Alleingang entschieden hat. Setzt uns einfach einen Kollegen vor die Nase, ohne dass man die Chance hat, ihn unter die Lupe zu nehmen."

    Die bierselige Diskussionsrunde wurde durch wildes Jungengeschrei jäh unterbrochen, was bewies, dass die ihnen anvertrauten Jugendlichen keinesfalls das taten, was sie sollten, nämlich schlafen.

    Seufzend schickte sich Olaf Maus an, seinem Bereitschaftsdienst nachzukommen.

    Was er kurze Zeit später in einem der Zimmer entdeckte, ließ ihn den restlichen Inhalt seiner Bierflasche vergessen…

    Unter Umständen hatte Oberst Mölcher doch nicht ganz Unrecht.

    Und wieder gibt es Bayerisch nur in der „Light-Variante".

    Für die volle Dosis empfehle ich einen entsprechenden Urlaub oder alternativ dazu Bayern-Radio, beziehungsweise den Bayerischen Sender im Fernsehen.

    Kapitel 1:

    In Tannhauers Laden traf man sich zum samstagvormittäglichen Plausch. Der Ladeninhaber hatte, als die Bürgermeistersfrau und Tante Lieselotte nahezu zeitgleich zur Tür hereinströmten, unter einem Vorwand die Flucht ergriffen und das Feld seiner Frau überlassen.

    Während jede der beiden Damen die notwendigen Lebensmittel zusammensuchte, blieb genug Gelegenheit, die wichtigsten Informationen auszutauschen. Deshalb benötigte man in Lämmerbach auch kein Mitteilungsblatt.

    Georg und Josepha verbrachten die Pfingstferien bei Frau Baums Schwester in Innsbruck und würden am Samstag wieder heimkehren. Frau Vollmer war es wegen der nasskalten Witterung ins Kreuz gefahren. Der Büchler Robert hatte seit einer Woche Zahnschmerzen. Pfarrer Ebershäuser dachte über eine Kirchenrenovierung nach und Frau Tannhauer machte sich Sorgen, ob ihre Friedel die Abschlussprüfung schaffen würde, und das obwohl ihre Tochter in den letzten Tagen sogar Nachhilfe von Peter Schaup bekam.

    Dann erörterte man natürlich das wundersame Zusammenfinden von Phillip Teichmann und Anne Martin.

    „Ich freu mich natürlich für die Anne, aber eigentlich hab ich immer denkt, der Herr Teichmann wär was für unser Fräulein Müller, meinte Tante Lieselotte etwas enttäuscht. „So a nettes Mädel sollt net allein bleibn.

    „Jaja, wo die Lieb hinfällt... Aber wer weiß, wenn a paar junge Lehrer mit dem Internat mitkommn. Vielleicht is da einer für sie dabei. Es wär sicher gut, wenn unser Fräulein Lehrerin bald unter die Haub kommn tät. Frau Baum sah das ganze praktischer. „Bsonders nach der Gschichte mit dem Dani.

    „Aber da is doch gar nix passiert", mischte sich Frau Tannhauer ein, die offensichtlich mit dem Zusammenzählen der Preise nicht völlig ausgelastet war.

    „Natürlich net, Elvira", beschwichtigte Tante Lieselotte.

    „Ich hoff halt bloß, dass irgendwann wieder normale Zuständ im Doktorhaus einkehrn. Des mit dene Leipold-Kinder und der Nicole geht auf Dauer net gut. Die Christine kann einem echt leid tun. Erst hat se die Mutter verlorn und jetzt sitzt der Vater im Gfängnis und die Heimat musst se wegn dem Bau vom Internat auch aufgebn." Sie seufzte mitleidig und wischte als Legitimation für die illegale Plauderstunde ein paar Staubflocken von den Regalen.

    „Ja, und dann schwänzelt auch noch der Bruder von der Lehrerin dauernd um se rum. Was die an dem Kerl findet, versteh ein Mensch. Ich könnt euch Gschichtn über den erzähln…" Frau Baum erkannte, dass sie in ihrem Mitteilungsbedürfnis wohl etwas zu weit gegangen war und schlug sich erschrocken mit der flachen Hand auf den Mund.

    Aber da war die Neugier der anderen schon geweckt. Frau Tannhauer hörte abrupt mit dem Wischen auf und Tante Lieselotte stellte ihr neu erworbenes Hörgerät lauter. Dann beugten sich alle vereint über die Verkaufstheke und warteten auf den Bericht der Bürgermeistersfrau. Diese erzählte nach langem Herumdrucksen von der Drogeneskapade beim Herbstfest und dass Hannes sogar ihren Georg da mit reingezogen hätte. 

    Ein kollektiver, entsetzter Aufschrei war die Antwort ihrer Zuhörerinnen.

    „Aber gell, dass ihr mir des ja net weitererzählt. Des muss unter uns bleibn. Mein Edwin wird sonst fuchsteufelswild und des schadet seim ohnehin schon hohn Blutdruck."

    „Von uns erfährt niemand was", beteuerten die anderen wie aus einem Mund, wobei Tante Lieselotte gleichzeitig überlegte, ob sie es nicht vorher als Beichtgeheimnis dem Pfarrer mitteilen sollte. Es war sicher kein Fehler, für die schwarze Seele des jugendlichen Straftäters kompetent beten zu lassen. Und Frau Tannhauer nahm sich vor, ihre Tochter in Zukunft von dem Bruder der Lehrerin fernzuhalten. Sie würde die zwei nie mehr allein im Laden zurücklassen.

    „Vielleicht is des erst der Anfang, murmelte Frau Baum düster, jetzt wo ihr die Aufmerksamkeit der anderen sicher war. „Wenn des Internat kommt, werdn mir alle unser blaues Wunder erlebn.

    Die Ladenbesitzerin strich ihr ohnehin gestrafftes Haar noch etwas glatter an den Kopf, rückte ihr Schürze gerade, nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte: „Nix für ungut, Hilde, aber ich find a bissel mehr Lebn könnt unser Ort ganz gut vertragn. Des sagt mein Helmut auch immer."

    Frau Baum war Widerspruch normalerweise nicht gewohnt, deshalb blickte sie im ersten Moment etwas erstaunt drein, dann schnaubte sie verächtlich. „Du meinst wohl Umsatz für eurn Ladn. Wenn da plötzlich fünfzig Leut mehr einkaufn, kann des euch nur Recht sei."

    „Es kann uns alle Recht sei. Wir müssn an unser Zukunft denkn, schloss sich Tante Lieselotte Frau Tannhauer an. „Unser Doktor Martin hat all die Jahr dafür betet, dass sich was ändert und jetzt wo’s so weit is, solltn ma dankbar sei und net rumstänkern. Den Fortschritt kann ma net aufhaltn. Ich trau Gott auf alle Fälle zu, dass er was Guts draus macht.

    Frau Baum hatte es mit einem Mal eilig nach Hause zu kommen. Ihre offizielle Erklärung lautete, dass ihr Edwin um Punkt Zwölf seinen Braten auf dem Tisch haben müsse.

    Kaum war die Bürgermeistersfrau unter Beobachtung der andern zwei in Richtung „Roter Baum gerauscht, schüttelte Tante Lieselotte nachdenklich den Kopf. „Denkst du, die Hilde weiß mehr als mir?

    „Ach, die macht sich nur gern wichtig. Fraun in de Wechseljahr sind manchmal komisch. Sei froh Lieselotte, dass du des hinter dir hast." Doch eigentlich brannte ihr ein völlig anderes Thema auf der Seele. Elvira Tannhauer überlegte gerade, ob sie ihrer älteren Freundin ein Geheimnis anvertrauen sollte. Außer ihnen beiden war im Laden niemand zugegen und sie hatte seit gestern Abend das dringende Bedürfnis mit jemandem zu reden. Zu sehr hatte sie das unerwartete Telefonat erschüttert. Mehrfach hatte sie zwar Helmut gegenüber angesetzt, aber immer war etwas dazwischengekommen, er hatte etwas Wichtiges tun müssen oder Friedel war urplötzlich auf der Bildfläche erschienen. Sollte sie diese Gelegenheit beim Schopfe packen? Lieselotte war zwar manchmal etwas gesprächig, aber die Krämersfrau hatte ihr dennoch schon öfter das Herz ausgeschüttet.

    Doch dieses Mal lag die Sache schwieriger. Eigentlich durfte sie gar nicht darüber reden. Sie hatte also keine Ahnung, wie andere auf diese Mitteilung reagieren würden. Und trotzdem war es geschehen und sie war sogar insgeheim dankbar dafür. All die Jahre hatte sie es sich immer gewünscht.

    Am Anfang, nachdem sie den Hörer aufgenommen hatte, hatte sie eine ganze Weile gebraucht, um zu begreifen, wer der Anrufer war und was er wollte. „Hallo Mutti, ich bin es, Markus, hatte er in reinstem Hochdeutsch gesagt. „Ich wollte dir nur mitteilen, dass es mir gut geht.

    Der erste Anruf nach zehn Jahren, einfach so ohne Vorwarnung. Wie oft hatte sie an ihn gedacht, für ihn gebetet, sich wegen ihm in den Schlaf geweint. Aber kein Lebenszeichen hatte ihr Leid gemildert. Monate vergingen, Jahre,… Auch Helmut litt, aber anders als sie, männlicher. Er redete nicht gerne darüber. Nur einmal hatte er ihr gesagt, er glaube, Markus wäre nach Australien ausgewandert, zumindest habe er das bei seinen heimlichen Recherchen herausbekommen. Als Krämersfrau, die Zeit ihres Lebens nie weit aus diesem Tal herausgekommen war, stellte Australien das andere Ende einer Galaxie dar, unerreichbar, gefährlich und unvorstellbar.

    Und nun war da plötzlich seine Stimme gewesen, direkt an ihrem Ohr. Sie hatte im ersten Moment gar nicht gewusst, was sie sagen sollte, nur ein trockenes Schluchzen war aus ihrem Mund gekommenen. Da hatte er einfach erzählt. Dass er inzwischen in Frankfurt lebe, einen guten Job und einen Mann fürs Leben gefunden habe, mit dem er nun zusammenwohne.

    An dieser Stelle war Elvira Tannhauer das Zuhören schwergefallen, aber sie hatte trotzdem geschwiegen, obwohl ihr eine Menge Dinge auf der Zunge gelegen hatten. Er war und blieb ihr Junge, daran konnte nichts auf der Welt etwas ändern. Es war egal, was die anderen sagten. Sie hatte seit beinahe dreißig Jahren einen Sohn und dieser lebte.

    Und dann war er mit einem Vorschlag gekommen. Er wünsche sich zum Geburtstag, seine Familie zu sehen und würde sich freuen, wenn sie alle, seine Eltern und Friedel ihn in Frankfurt in den Weihnachtsferien besuchen kämen. Es gäbe genug Platz in der Wohnung und sein Freund Kai würde sich freuen, endlich seine Angehörigen kennenzulernen.

    „Ich weiß net, hatte da Elvira Tannhauer gestammelt. „Ich muss des erst mal mit em Vatter besprechn und…

    „Lass dir Zeit. Ich habe auch Zeit gebraucht, um alles zu verarbeiten, aber nun bin ich da angekommen, wo ich wollte und habe meinen Platz gefunden."

    Dann fragte er, wie es ihnen ginge, ihr, seinem Vater und Friedel. Die anderen Lämmerbacher erwähnte er nicht. Diesen Teil der Geschichte wollten vermutlich alle gern aus der Erinnerung löschen. Zum Schluss hatte er ihr noch seine Telefonnummer und die Adresse gegeben und sie gebeten, doch mal anzurufen oder zu schreiben. Schließlich hatte er aufgelegt. Es war kein langes Telefonat gewesen, aber es hatte sie bis ins Innerste aufgewühlt. Sie war daraufhin die halbe Nacht wach gelegen, während Helmut neben ihr vor sich hingeschnarcht hatte. Aber er wusste ja auch von nichts. Er hatte abends so müde ausgesehen, dass sie ihn lieber zu Bett gehen ließ. Doch wie würde er auf diese Mitteilung reagieren?

    Tante Lieselotte fiel plötzlich ein, dass sie ja vor dem Essen noch unbedingt beim Pfarrer vorbeimüsse, schon wegen der aktuellen Gebetsanliegen und einigen anderen eher praktisch ausgerichteten Dingen. Sie hatte es deshalb eilig mit dem Bezahlen und Elvira Tannhauer beschloss, das Geheimnis noch ein paar Minuten länger für sich zu behalten.

    Wenn in der nächsten halben Stunde niemand mehr kam, konnte sie ohnehin den Laden fürs Wochenende schließen. Irgendwann würde sich eine gute Gelegenheit ergeben, Helmut von der Auferstehung seines Sohnes zu erzählen. Aber die Vorstellung, wie sie ihm beibringen sollte, dass Markus mit einem anderen Mann zusammenlebte und dies als völlig normal empfand, ging momentan über ihre Kraft.

    Vielleicht war es doch besser, die anderen Lämmerbacher glaubten noch ein bisschen länger an die beruhigende Nichtexistenz von Markus Tannhauer.

    Kapitel 2:

    Wenn Paula nur das Geringste von all den Begegnungen der letzten Tage geahnt hätte, wäre ihre Planung für den Samstag sicher anders verlaufen. So aber tappte, beziehungsweise setzte sie sich ahnungslos in eine Falle.

    Sie hatte kurzerhand einen Frühjahrsputz anberaumt. So hoffte sie, die Sache mit Anne und Phillip am besten zu verdauen. Arbeit brachte einen auf andere Gedanken. Den ganzen Samstag lang wurden Fenster gesäubert, Gardinen gewaschen, Schränke ausgeräumt und umsortiert. Auch die Betten mussten abgezogen und die Treppen gewischt werden… Als schließlich das ganze Haus mitsamt des unteren Stockwerkes wie aufpoliert wirkte, sank sie erschöpft in ihr verdientes Schaumbad.

    Aus einer seltsamen Laune heraus hatte sie sich Julias Heimatroman „Der Bergdoktor" vorgenommen. Er war ihr Abschiedsgeschenk von Mainz gewesen und mit dem spöttischen Kommentar überreicht worden, sie müsse unbedingt etwas Lokalkolorit schnuppern und eine derartige Lektüre ersetze gewiss einen hochwertigen Reiseführer. Seither hatte sie stets einen weiten Bogen um dieses Heftchen gemacht, auch wenn es all die Monate verborgen in ihrer Nachttischschublade gelegen hatte. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie ausgerechnet an diesem Abend die Lust überfiel, darin herum zu schmökern. Der aktuelle historische Roman hatte nur bis zwei Uhr morgens gereicht und dazu einen unruhigen Schlaf beschert. Es konnte ihr als Deutschlehrerin eigentlich kaum schaden, einmal einen Ausflug in Richtung Triviallektüre zu machen. Der gutaussehende Bergdoktor, der ihr lächelnd vom Titelbild entgegenblickte, besaß sogar eine entfernte Ähnlichkeit mit Daniel.

    Sie hatte gerade die ersten drei Seiten sprachlicher Verirrung schaudernd durchlitten, neben ihr standen die obligatorischen Kerzen, die für die nötige Stimmung sorgten, als die Tür zum Badezimmer aufging. Herr Tannhauer war es nach Herrn Leipolds nächtlichem Überfall immer noch nicht gelungen, eine neue einzubauen. Hatte sie etwa vergessen, das „Besetzt-Schild" anzubringen?

    „Hey, ich bade gerade!, rief sie über den Rand ihres Buches hinweg. „Geh unten aufs Klo… Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken, denn ausgerechnet der Mann, an den sie beim Lesen heimlich gedacht hatte, stand im Türrahmen. Im Hintergrund sah sie ihren Bruder eine hämische Grimasse ziehen, die vor Schadenfreude nur so strotzte.

    Das Heftchen fiel vor lauter Schreck ins Badewasser.

    Zu ihrem Entsetzen kam Daniel ohne zu zögern näher und Hannes schloss mit einem unübersehbaren Zwinkern die Tür hinter ihm.

    „Was soll das?", fragte sie und versuchte möglichst weniger schockiert auszusehen als sie sich fühlte. Ihr fiel partout keine vernünftige Erklärung ein, was er hier wollte. Ein Handtuch würde er sich wohl kaum ausleihen wollen. Gleichzeitig hoffte sie, dass er wenigstens ihre diffamierende Lektüre übersehen hatte oder sich diese, wenn schon nicht in Luft, dann möglichst unauffällig im Wasser auflösen würde. Zum Glück sparte sie nie an Schaum und das Kerzenlicht reichte zwar zum Lesen, gab aber geringe Einblick-Möglichkeiten in den Wanneninhalt.

    „Dein Buch wird nass, stellte der Besucher taktlos fest und ließ damit diesen Teil ihrer Hoffnungen kläglich zusammenfallen. „Möchtest du es nicht aus dem Wasser nehmen oder soll ich dir beim Suchen helfen?

    Lieber würde sie ertrinken. Bevor er seinen Vorschlag in die Tat umsetzen konnte, und das traute sie ihm zu, fischte sie mit dem letzten verbliebenen Rest an Würde das anrüchige Objekt vom Wannenboden.

    Ohne die Chance auf eine niveauvolle Entsorgung nahm er es in Empfang, wischte den Schaum ab, studierte mit erstauntem Gesichtsausdruck den Einband und legte es dann ohne Kommentar zum Trocknen über die Handtuchstange.

    Paula lagen dutzend Argumente auf der Zunge, aber sie schluckte alle tapfer hinunter. Ihr vorrangiges Ziel war es, diese Situation so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Leider stand sie mit dieser Meinung alleine da.

    Daniel zog sich in aller Ruhe den Badezimmerhocker heran und ließ sich entspannt darauf nieder, die langen Beine weit von sich gestreckt.

    Bei ihr leuchteten gleich mehrere Alarmlampen auf einmal auf. Laut sagte sie: „Was willst du hier?" Bisher hatte sich noch nie ein Mann neben ihre Badewanne gesetzt. Sollte sie einfach ihr Badetuch schnappen und fliehen?

    Selbst im Halbdunkel des Kerzenscheins musste etwas von diesen Überlegungen auf ihrem Gesicht zu erkennen gewesen sein. „Keine Sorge, ich komme in friedlicher Absicht und möchte mich bloß mit dir unterhalten."

    Unterhalten? Das konnte nur ein Witz sein. Ein Badezimmer war ein höchst ungeeigneter Ort für eine Unterhaltung und gleich zweimal, wenn sie gerade in der Wanne saß. „Dies ist ein extrem schlechter Zeitpunkt, wagte sie schließlich zu äußern. „Können wir das Gespräch vielleicht auf später verschieben?

    „Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich finde diesen Zeitpunkt geradezu ideal. Deinen Bergdoktorroman kannst du gerade eh nicht weiterlesen und ansonsten scheinst du nichts Wichtiges vorzuhaben oder täusche ich mich da? Vielleicht hörst du mir deshalb zur Abwechslung einfach mal zu."

    Wie schaffte es ein einzelner Mann, derart unverfroren zu sein? Ihr fehlten sekundenlang die Worte. Da lag sie unter ihren Schaummassen wie in einem Gipsbett begraben, und er nutzte das im wahrsten Sinne des Wortes schamlos aus, um ihr ein Gespräch reinzudrücken. „Ich schätze es nicht im Geringsten, wenn irgendwelche Männer uneingeladen in mein Badezimmer kommen", brachte sie endlich heraus. Und das nicht erst seit Herrn Leipolds Besuch, ergänzte sie in Gedanken. Sie versuchte dabei möglichst energisch auszusehen.

    „Du könntest ja um Hilfe rufen, schlug ihr Besucher unbeeindruckt vor. „Für Hannes kann ich zwar nicht garantieren, denn das mit dem Badezimmer war seine Idee, aber der Bürgermeister oder der Pfarrer kämen bestimmt. Ein Mundwinkel begann verdächtig zu zucken. Sie kannte dies als untrügliches Zeichen dafür, dass er sich heimlich amüsierte. „Oder du könntest aus der Badewanne steigen und gehen. Diese Möglichkeit bestünde ebenfalls. Ich verspreche dir hoch und heilig, dich dabei nicht aufzuhalten." Als Beweis hielt er eine Hand wie zum Schwur nach oben.

    Sehr witzig. Er wusste vermutlich genau, dass sie zu feige war. „Das ist Erpressung."

    „Schon möglich. Aber wie du weißt, bin ich ein rücksichtsloser Mensch. Und ich befinde mich in gewisser Weise in einer Zwangslage."

    Ach ja? Und in was befand sie sich dann? Auf jeden Fall in der deutlich schlechteren Position. Das wurde ihr mit jeder Minute klarer.

    „Um was geht es?", fragte sie schließlich vorsichtig kapitulierend. Einsicht brachte einen manchmal weiter als ein Dickkopf. Wenn sie dieses skurrile Gespräch schon nicht verhindern konnte, dann wollte sie es wenigstens rasch hinter sich bringen. Ihr Besucher wirkte nämlich keineswegs so, als ließe er sich verbal rauswerfen.

    Zu ihrem Schrecken beugte er sich nun ein Stück weit über den Badewannenrand, so dass sein Gesicht beängstigend nahekam und sagte: „Ich bin hier, weil ich dir sagen wollte, dass ich dich liebe und du seit einiger Zeit nicht mehr aus meinem Kopf zu bekommen bist, obwohl ich mir wirklich sehr viel Mühe gegeben habe."

    Ihr klappte vor lauter Überraschung der Mund auf und sie sah nun vermutlich genauso intelligent aus wie ein Fisch im Aquarium. Sie musste sich verhört haben. Das hatte er doch gerade nicht wirklich gesagt? Mit nahezu allem hätte sie gerechnet, aber nicht mit so etwas. Sie konnte ihm direkt in seine Augen schauen. Diese machten allerdings nicht den Eindruck, als würde er sich einen seiner üblichen Scherze mit ihr erlauben. Er hatte sogar sein freches Grinsen eingestellt. Doch konnte man bei ihm je sicher sein?

    „Das ist nicht dein Ernst, stammelte sie schließlich, weil ihr nichts Klügeres einfiel und in ihrem Kopf ohnehin gähnende Leere herrschte. Sie vergaß sogar einen Moment lang, wo sie sich befand. Vermutlich durfte sie sich glücklich schätzen, wenn sie es je wieder schaffte, halbwegs komplette Sätze zu formulieren. „Du kennst mich doch gar nicht. Außerdem dachte ich immer, du würdest…. Ich meine, du hast doch gesagt…

    „Manchmal ändert man seine Meinung eben. Und ich habe selber ziemlich lange gebraucht, um das zu kapieren", gestand er.

    „Also, ich weiß nicht…"

    Er registrierte, dass es sich zumindest um kein klares „Lass mich in Ruhe, „Verschwinde oder „Ich habe nicht das geringste Interesse" drehte und nützte seine Chance. Bevor ihr Verstand wiederkehren konnte, schob er seinen Kopf ein paar weitere Zentimeter vor und küsste sie auf den immer noch halboffen stehenden Mund. Ihr Körper ging automatisch

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