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Mord im Klosterwald
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eBook278 Seiten3 Stunden

Mord im Klosterwald

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Über dieses E-Book

Die 23 Jahre alte Sonja zieht in das kleine niedersächsische Örtchen Bad Rehburg. Im September verschwindet sie spurlos, etwa eine Woche nach ihrem letzten Lebenszeichen wird ihr Leichnam im Klosterwald zu Loccum aufgefunden. Vieles an ihr, ihrer Art zu leben, ihrer Einstellung und ihrem Umfeld erscheint andersartig bis mysteriös und gibt der ermittelnden Mordkommission viele Rätsel auf. Es wird ein langer und steiniger Weg für die Ermittler, die Spurenlage ist schlecht, es passieren Missgeschicke und es ist kaum zu prognostizieren, was sich am Ende tatsächlich zugetragen hat. Immer wieder treten neue Fragen auf, ergeben sich spannende und vielversprechende Hinweise. Doch welche ist die ganz heiße Spur? Es ist ein Fall, den das Leben schrieb, von einem jungen Leben, das plötzlich endet, von düsteren und verirrten Seelen und von einem einfachen Ermittler, der neben dem Beruf noch ein Privatleben führt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum7. Jan. 2020
ISBN9783750269712
Mord im Klosterwald
Autor

Paul Voss

Ich wurde im Jahr 1976 geboren und lebe in Niedersachsen, genauer in dem beschaulichen Ort Steyerberg. 'Mord im Klosterwald', als mein erstes Werk, handelt von einem wahren Verbrechen, an dessen Aufklärung ich noch selbst als Kriminalbeamter mitgearbeitet habe, was bei mir tiefe Spuren hinterlassen hat. Mein früherer Beruf hatte aber auch sehr schöne Seiten, was mich motiviert, in meiner Fantasie immer neue Fälle zu ersinnen. Mit 'Mord am Kiessee' habe ich eine Reihe begonnen, in der der Kriminalpolizist Paul Voss immer wieder neue, spannende und anspruchsvolle Fälle bearbeiten muss, immer wieder auch im Privaten seine Höhen und Tiefen erlebt und neben seinem altbekannten Team auch ab und an neue Kontakte knüpft. Mehr Infos gibt es auf meiner Homepage www.paul-voss-buecher.de.

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    Buchvorschau

    Mord im Klosterwald - Paul Voss

    Für J.T.

    Ich schreibe dieses Buch auch, weil ich den Menschen von Dir erzählen möchte.  Du bist früh gegangen und Du hättest selbst noch viel zu erzählen gehabt.

     Impressum:

    © Paul Voss (2020)

    Postfach 1246

    31587 Stolzenau

    Prolog  

    Unser Leben hat helle und dunkle Seiten, wir alle kennen Schönes und Hässliches. Für einen Kriminalbeamten wie mich, scheint es häufig so, dass das Dunkle und Hässliche die Oberhand gewinnt, weil man laufend dagegen arbeitet. Das Hässliche hält sich oft verborgen und es muss mit viel Arbeit und Mühe an das Tageslicht geholt werden. Auch wenn es  gelingt, das Übel am Schopf zu packen, es aus seinem Sumpf an die Oberfläche zu ziehen, kann man meist nur einen flüchtigen Blick darauf werfen. Meist versinkt es danach wieder und man reißt ihm höchstens ein paar seiner Tentakel aus, mit denen es sich wieder und wieder heimlich am Guten bedient.

    Die Geschichte, die ich hier erzähle, hat sich im Grundsatz tatsächlich ereignet. Mir ist klar, dass ich hier echtes Leiden schildere, auch wenn manches mit meiner Fantasie angereichert, vervollständigt und auch verfälscht wird. Die Namen der Agierenden sind geändert, doch werden sich diejenigen, die mit den Geschehnissen verknüpft waren,  vermutlich wiedererkennen. Sie mögen es mir nachsehen.

    Ich erzähle die Geschichte von Sonja, auch ihren Namen habe ich geändert. Es ist die tragische Geschichte einer jungen Frau, die gerade begonnen hatte, ihren eigenen Weg zu gehen. Es ist eine Geschichte von einfachen Menschen, die ihre Arbeit machen, von anderen Menschen, die nicht in allem den Normen der Mehrheit entsprechen und von überheblichen Menschen, die sich maßlos überschätzen und es wagen, Werte gegeneinander abzuwägen, die sie doch nicht begreifen können.

    Und es ist die Geschichte von etwas, für das ich keinen Namen habe, etwas, was im Denken von manchen den Namen Mensch nicht führen sollte, von etwas, das dennoch eine Schöpfung unserer Welt ist und uns in grausamer Weise einen Spiegel vor das Gesicht hält.

    I.

    Heinz Täkel saß in seinem Zimmer in der geschlossenen Abteilung des Landeskrankenhauses. Seit über einem Jahr schon starrte er jeden Abend auf die kleine Nebenstraße und sah zum Eingang des Nachbarhauses.

    Er beobachtete die Freigänger, die täglich bei der jungen Frau gegenüber ein und aus gingen, die dort im Obergeschoss wohnte. Es waren immer mal wieder andere Typen, die dort klingelten und hineingingen.

    Die Schlampe, dachte er, erst kifft sie mit denen und dann macht sie für die Viecher auch noch die Beine breit.

    Die Pfleger und Therapeuten hatten ihn schon oft gebeten, seine Mitpatienten nicht als Viecher zu bezeichnen. Er hatte sich abgewöhnt, sie so zu nennen. In seinen Gedanken blieben sie Viecher, wert- und nutzloses Getier, hier eingepfercht, um geändert, erzogen oder, wie sie es hier nannten, resozialisiert zu werden. Das alles, um sie der Gesellschaft anzupassen und sie dann wieder in die Welt zu entlassen.

    Er würde sich einfach weiter an die Regeln dieser Idioten hier halten, an den Gesprächen teilnehmen und das Spiel mitspielen. Wenn er sich keine Fehler mehr erlaubte, wäre er vielleicht nächste Woche schon auf der offenen Station und käme das erste Mal in Begleitung raus. Ein wichtiger Schritt.

    Bis dahin würde er sich weiter gedulden, sich das Bild der jungen Frau von gegenüber einprägen und sich nachts vorstellen, wie er ihr die Kehle zudrückte, bis sie die Augen verdrehte.

    Heute war der große Tag. Täkel hatte schlecht geschlafen, hatte nur von seinem nutzlosen Bruder und seiner Mutter geträumt, die in ihrem Spießerhaus oben nahe der Küste ihr Spießerdasein fristeten und sich seiner schämten.

    Nach dem Frühstück war das Einzelgespräch mit Dr. Kurz. 30 endlose Minuten mit diesem aalglatten Psychologen, der allein zu entscheiden hatte, wie es mit ihm weiterging. Heinz Täkel leierte seine Texte herunter, erklärte, dass er sich über Gartenarbeit freuen würde, redete über gute Gespräche mit seinen Mitpatienten und dass es ihm mittlerweile gefallen würde, dass die Jungs ihn Opa nannten. Tief in seinem Inneren kochte er vor Wut bei dem Gedanken daran. Er war 48, hatte 7 Kinder und zu keinem von denen Kontakt. Seine Ex-Schlampen hatten ihm die Blagen angehängt, weil sie Geld haben wollten. Er hatte immer für sie geknechtet, sie hatten sich eingebildet, er würde das ewig so weiter tun.

    Dr. Kurz machte sich wie üblich einige Notizen, stellte die gleichen Fragen wie jedes Mal und klappte dann sein Buch zu. Er sah Täkel freundlich an. "Nun, lieber Herr Täkel, das hört sich für mich so an, als ob Sie einige Dinge wohl verinnerlicht hätten. Ab nächsten Dienstag sehen wir uns auf der Station 2. Sie werden im Gärtnerbetrieb auf dem Gelände einige Aufgaben übernehmen und dann sehen wir uns mal an, wie es mit den begleiteten Spaziergängen klappt.

    Wir werden Sie zu Andi auf das Zimmer verlegen, den kennen Sie ja schon aus den Gruppengesprächen."

    Danke, Dr. Kurz, entgegnete Täkel. Als der Psychologe das Zimmer verlassen hatte, stahl sich ein diabolisches Grinsen auf sein Gesicht.

    Am Dienstagmorgen holte ihn der Pfleger Rolf auf der 1 ab. Das Frühstück gab es schon auf Station 2 und Andi freute sich bereits. Mit einer gewissen Zufriedenheit stellte Täkel fest, dass er von dem neuen Zimmer aus zwar nicht mehr den Eingang zur Wohnung der Schlampe sehen, jetzt aber den kleinen Platz an der Seite des Hauses und den Bürgersteig überblicken konnte.

    II.

    Sonja hatte gute Laune. Endlich konnte sie die miefige Wohnung in Lichtenmoor hinter sich lassen. Zuerst fand sie es dort ja schön, aber leider konnte ihr Kater Migo nicht in den Garten und außerdem war es auch ganz schön weit weg von Mama, Papa und Lisa und Martin, ihren älteren Geschwistern. Die neue Wohnung in Bad Rehburg war sehr gemütlich. Vor allem war sie am Waldrand gelegen und fast direkt hinter ihrem Eingang begann ein Wanderpfad in die alten Buchenwälder der Rehburger Berge. Sonja liebte den Wald und die Bäume. Bäume waren beseelte Wesen, denen eine besondere Kraft, Weisheit und Ruhe innewohnte. Anders als die meisten ihrer Zeitgenossen verbrachte Sonja sehr viel Zeit in den Wäldern und in der Natur. Sie genoss es, immer wieder neue geheimnisvolle Plätze zu entdecken, an denen sie der stressigen Welt entrücken konnte. Noch heute stellte sie sich gerne vor, wie es wäre, als Waldelfe durch die Baumwipfel zu schweben, dem Lied des Windes zu lauschen und lange Unterhaltungen mit den alten Bäumen zu führen. Dass manche sie deswegen nicht richtig ernst nahmen und ihre Ansichten belächelten, störte sie nicht. Auch wenn sie hatte lernen müssen, dass es ihr wohl noch nicht vergönnt war, ganz in der freien Natur zu leben, hatte sie sich entschieden, ihren Beruf genau an dieser Vorstellung zu orientieren. Sie wollte Erzieherin werden, Kindern ihre Wahrnehmungen näher bringen, die kleinen Menschen für die Pflanzen- und Tierwelt begeistern. Schon jetzt konnte sie darüber lange Vorträge halten. Im letzten Jahr hatte sie ein Seminar über Wildnispädagogik besucht, seitdem hatte sie ihr Ziel klar vor Augen.

    Lisa und Papa wollten heute mit ihr den Umzug über die Bühne bringen. Wie üblich waren sie nicht ganz pünktlich, aber um kurz nach 9:00 Uhr rollte Papas Pick-up mit einem Leihanhänger vor das Haus.

    Nach einigen umständlichen Diskussionen, wie man wohl was am besten nach unten tragen konnte, fragte Sonja den Nachbarn, ob er mit anpacken könnte. Der muffelte zwar etwas von einem Termin nach dem Mittag, konnte Sonja ihre charmante Bitte aber letztlich nicht abschlagen. Nach einer knappen Stunde und viel Gepolter im Treppenhaus war ihr gesamter kleiner Hausstand ordentlich verladen und verzurrt und wenige Minuten später fuhr ein kurzer Konvoi, bestehend aus einem schwer beladenen Pick-up mit Anhänger und Sonjas kleinem grünen Lupo in Richtung Bad Rehburg.

    III.

    Mir lief der Schweiß nur so von der Stirn. Die letzten Kilometer mit dem vollgepackten Fahrrad zur Lahnquelle waren ganz schön anstrengend. Das Plätschern der Lahn, die hier nur ein kleines Bächlein war und die malerische Landschaft entschädigten mich allerdings großzügig für die Strapazen. Für einen Septembertag war es erstaunlich warm. Meine beiden Kumpels und ich hatten ein paar sehr tolle Tage verbracht. Wir waren in Koblenz mit den Rädern gestartet, um dort den Rhein zu überqueren und die Lahn bis zur Quelle aufwärts zu fahren. Gefühlt waren wir schon wochenlang unterwegs. So fühlte es sich auf den Radtouren immer an. Es gab für Geist und Seele keine bessere Erholung, schon nach den ersten wenigen Kilometern stellte sich jedes Mal ein Gefühl der inneren Freiheit ein. Es muss wohl daran liegen, dass in uns allen noch rudimentär der Jäger und Sammler lebt, den es immer wieder von der Höhle fortzieht, um sich aus eigener Kraft durch immer neue Gegenden zu bewegen. Auch wenn wir heute nicht hinter dem Wild oder wilden Kräutern hinterherjagen, so ist der gemütliche Gasthof oder der sonnige Biergarten ein hervorragendes Ziel.

     Ich hatte mich schon lange auf die Tour gefreut. Die letzte Mordkommission hatte letztes Jahr im Dezember begonnen und erst im Juni vor wenigen Monaten geendet. Eigentlich hatte ich gehofft, für längere Zeit nur ganz schlichte Fälle zu bearbeiten, wieder regelmäßig Feierabend zu haben und auch mal ein paar Stunden abbauen zu können. Leider hatte mein Vorgesetzter auf der Heimatdienststelle schon andere Pläne.

    Gut, dass du endlich wieder da bist, wir müssen unbedingt an die BTM-Szene ran. Du sollst das Verfahren übernehmen und die TÜ machen!

    Hurra! Übersetzt hieß das, die regionale dörfliche Drogenszene ist mal wieder ein wenig aus dem Ruder gelaufen und die rechtlichen Voraussetzungen und damit auch die gesetzliche Verpflichtung für eine Telefonüberwachung liegen vor.

    Soviel also zur zeitweisen dienstlichen Entschleunigung.Tatsächlich gab es zahlreiche Hinweise, auch Strafanzeigen hatte es schon gegen einige Leute gegeben und so gab es natürlich keine Ausreden.

    Freude kam bei mir nicht auf. Wer sich schon mal mit diesen Dauerkiffern unterhalten hat, weiß, wovon ich spreche. Die schaffen es, 15 Minuten zu telefonieren und dabei 3 Sätze zu sprechen. Oder sie sprechen in ihrer Geheimsprache. Wenn man dann später seine Berichte schreibt, muss man erst mal ausholend erläutern, was mit Weed, Odd, T oder P und so weiter gemeint ist.

    Die findigen Rechtsanwälte, die die meist jungen Herrschaften später vor Gericht vertreten, haben oft ganz andere Vorstellungen von dem am Telefon Gesagten.

     Mein Mandant hat dem Anrufer ein Paar Schuhe angeboten, wie kommen Sie denn darauf, dass es um Drogen geht? Oder: Mein Mandant ist von dem Anrufer kontaktiert worden, das ist richtig. Mein Mandant kennt aber den Anrufer nicht und hat auch gar nicht verstanden was dieser von ihm wollte. In dem Telefonat kam ihm das Ganze unheimlich vor, deshalb ist er auf das Gespräch eingegangen. Diese Wörter kennen doch alle Jugendlichen.

    Solche und andere kreative Ausreden gilt es im Voraus zu erahnen und von vornherein zu unterbinden.

    Wenn man also denkt, das Ganze läuft wie im Fernsehen, ein paar Telefonate anhören, schnell ins Auto springen, Tür auftreten, die Strolche festnehmen und kiloweise Marihuana beschlagnahmen, liegt leider falsch.

    Kurz gesagt, ich fand mich also damit ab. In den folgenden Wochen saß ich vorwiegend in meiner dunklen Bürohöhle, hatte Kopfhörer auf und die Tastatur qualmte.

    Abends musste ich mir politische Diskussionen auf 3Sat oder zeitgenössische Literaturkritiken auf Arte anschauen, um das Gleichgewicht im geistigen und rhetorischen Anspruch meines Verstandes wieder herzustellen. Ganz ehrlich, nach einer Woche Telefonüberwachung im Drogenmilieu ohne entsprechenden geistigen Ausgleich und Du redest selbst wie ein Vollidiot.

    Ey Digger, is Kaffee, soll heißen: Guten Morgen, lieber Kollege, ich habe schon Kaffee aufgesetzt.

    Letztlich kam ich selbstverständlich meinem Dienst- und Treueverhältnis nach. Über die Wochen sammelten sich auch reichlich Informationen an und so gab es schließlich Durchsuchungsbeschlüsse. Eines schönen Septembermorgens flogen also bei mehreren jung-dynamischen, arbeitsscheuen Mitbürgern die Türen auf, die Jungs wurden unfreundlich geweckt und dann wurden die sogenannten Höhlen umgekrempelt. Höhlen ist in Anbetracht der Unordnung, Verschmutzung und Luftverunreinigung der Behausungen eigentlich eine Beleidigung für die Habitate von Bären, Füchsen und Spechten.

    Die einzigen, die in diesen Räumlichkeiten mit Begeisterung vorgehen, sind die Drogenspürhunde.

    Gefunden wurde ziemlich wenig, aber doch genau das, was man üblicherweise bei Kleindealern findet.

    Beschlagnahmt wurde auch alles mögliche, vor allem die Smartphones, Tablets,  und internetfähigen Konsolen. Das Ganze ist ungefähr so, als würde man einem Blinden gleichzeitig den Stock und den Hund wegnehmen.

    Ich habe mich oft gefragt, warum man diese Tage der völligen Hilf- und Orientierungslosigkeit der kleinen Drogenheinis nicht sinnvoll nutzt, indem man sie sofort in den Entzug schickt und danach zu einer Ausbildung zwingt. Aber so einfach ist das eben nicht im modernen Rechtsstaat.

    Übrigens geht die Arbeit nach der Durchsuchung erst richtig los. Alles muss protokolliert, jeder eingesammelte Fussel als Asservat gelistet und gespeichert werden. Danach werden diverse Berichte geschrieben, Fotogalerien, sogenannte Bildberichte, kreiert und gedruckt und unzählige beschlagnahmte Dinge zu Untersuchungsstellen verschickt. Danach heißt es meistens warten, mindestens ein paar Tage, manchmal mehrere Wochen.

    Wenn die Durchsuchungen gelaufen und die Untersuchungsanträge verschickt sind, brauche ich wirklich mal eine Woche frei, hatte ich meinem Vorgesetzten schon vorher erklärt.

    Und in dieser freien Woche befand ich mich jetzt.

    Die Tour näherte sich ihrem Ende, als wir an dem malerischen Gasthof an der Lahnquelle eintrafen. Bevor wir etwas anderes begannen, setzten wir uns an einen Tisch und genossen ein alkoholfreies Weizenbier und bestellten leckere Schnitzel und Pommes, genau das Richtige nach den Anstrengungen.

    Extra große Portionen für hungrige Radler sorgten alsbald für Wohlbefinden und gleichzeitig für ein langsames Einsetzen einer gewissen Müdigkeit.

    Um nicht in Verdauungsstarre zu verfallen, erhoben wir unsere zugegeben etwas schwerfälligen Leiber und suchten draußen die Quelle.

    Die Lahnquelle ist ein kleiner Teich unter Bäumen im Garten des Gasthofes. Über einen schmalen Überlauf aus Feldsteinen ergießt sich die frisch geborene Lahn als Rinnsal über eine sanft abfallende Kuhweide in Richtung der Wälder und Dörfer. Kaum vorstellbar, dass aus diesem Bächlein in nur wenigen hundert Kilometern ein breiter Fluss wird, der sich in vielen Schleifen durch die Mittelgebirge windet, um schließlich in den Rhein zu münden. Für den Abend hatten wir ein Zimmer in einer gemütlichen Pension in einem kleinen Dorf gebucht. Die Gastgeberin, eine sehr freundliche ältere Dame hatte vorausschauend genügend Bier kaltgestellt, sodass wir den Tag sorglos ausklingen lassen konnten.

    Unseren letzten Tag und die Rückreise hatten wir von vornherein nicht konkret geplant. Wir hatten uns das Endziel der Radtour offen gelassen, wollten vielleicht eine Stadt im Sauerland anfahren, um dort für den Rest der Strecke in den Zug zu steigen.

    Als wir am nächsten Tag die Drahtesel beladen und nach einem ausgiebigen Frühstück wieder voller Energie steckten, beschlossen wir, einfach erst mal Richtung Norden durch das Sauerland zu radeln und gegen Mittag zu sehen, wie weit wir bis dahin gekommen sind.

    Es wurde wieder ein toller Tag bei Sonnenschein in den herrlichen Landschaften und beschaulichen Dörfern des Sauerlandes. Dank der teilweise toll ausgebauten Radwege schafften wir schon bis mittags viele Kilometer und beschlossen, zunächst einfach über den Hennesee und Warstein Richtung Heimat zu fahren.

    Am Nachmittag kamen wir in Anröchte an und wurden von einem Regenschauer überrascht. Glücklicherweise fanden wir Unterschlupf in einer Bäckerei, wo es zu unserem Entzücken eine Riesenauswahl an Kuchen und Torten gab. Nach wenigen Minuten hatten wir den Regen vergessen und füllten unsere Kalorienspeicher großzügig auf. Und so beschlossen wir, heute noch mit dem Rad bis zu unseren Endzielen im Münsterland und Bielefeld zurückzufahren.

    Kurz hinter Anröchte trennten sich also unsere Wege und ein Kumpel wandte sich westwärts. Zu zweit radelten wir weiter bis Bielefeld. Wir kamen gegen Mitternacht an, hatten immerhin 160 teils bergige Kilometer hinter uns und waren entsprechend erschöpft. Mein Auto stand bei meinem Kumpel und so kam ich gegen 01:30 Uhr mit schweren Beinen, aber entspanntem Geist, wieder zu Hause an.

    IV.

    Am nächsten Morgen bemerkte ich einen recht ausgeprägten Muskelkater in meinen Beinen. Es war Sonntag, der 20. September 2015. Auf dem Kalender stand nur ein Geburtstag in der Verwandtschaft, es sollte also ein entspannter Tag werden, ein bisschen faulenzen, nachmittags eine gemütliche Familienrunde und danach noch auf die Couch. Ich hatte wohlweislich für den morgigen Montag Spätdienst geplant, um nach der Radtour nicht gleich wieder morgens ganz früh aufstehen zu müssen.

    Über den Tag hemmte mich mein Muskelkater doch sehr und ich war froh, als wir gegen 17:00 Uhr wieder zu Hause waren und mich auf das Sofa fallen lassen konnte.

    Der Gedanke an die zahlreichen Akten auf der Dienststelle wollte mir einen Moment die Stimmung verdunkeln, doch dann entschloss ich mich, die anstehenden Arbeiten in den nächsten Wochen in Ruhe und Sorgfalt nach und nach zu erledigen. Mit dem Ende der Telefonüberwachung und nach den Durchsuchungen endete normalerweise für längere Zeit der Stress und in den anderen Deliktsfeldern sah es vor meinem kurzen Urlaub recht übersichtlich aus. Ich hätte also im Grunde nun endlich die Zeit, die ich mir nach Ende der letzten Mordkommission erhofft hatte, auch wenn Drogensachen nicht unbedingt mein Lieblingsaufgabenfeld darstellten. Wenigstens erst mal ein paar Wochen ohne Stress.

    Dachte ich...

    V.

    Sonja suchte ihr Lieblings-T-Shirt und fand es nicht. Wahrscheinlich war es ausgerechnet in dem letzten Karton mit Klamotten gelandet. Den hatte sie noch nicht ausgepackt, er stand nämlich noch unter denen mit Büchern und den Küchengerätschaften, die sie nicht so oft brauchte.

    Sie kramte den Karton hervor und fand erleichtert das T-Shirt.

    Es war kurz vor 20:00 Uhr, gleich müsste Olli da sein, der Lebensgefährte ihrer Schwester Lisa. Olli hatte zwei Karten für ein Konzert von Mythods, einer Band die sie sehr mochte, die aber nur wenige kannten. Sonja liebte die Musik, eine Mischung aus Gothic Rock und sanften Balladen, ob es dafür auch eine eigenen Bezeichnung gab, wusste sie nicht. Die Texte gingen ihr unter die Haut, sie handelten von der Natur, von mystischen Wesen, von Beziehungen der Lebewesen  und natürlich auch von der Liebe. Die Liebe empfand Sonja als sehr mystisch. Vor allem die vergangenen beiden Jahre hatten sie sehr geprägt, als sie eine dauerhafte, rein virtuelle Fernbeziehung mit Ronny geführt hatte. Ronny war ein sehr gutaussehender Mann, Ende 20, und wohnte auf einem renovierten Resthof bei Karlsruhe. Sie hatten sich über das Internet kennengelernt, Sonja hatte sich sofort in sein Foto verguckt und Ronny entpuppte sich mit allem was er von sich preis gab als ihr Traummann. Er hatte längere blonde Haare, grüne Augen, war schlank und sportlich und lebte seinen Traum von einem Gnadenhof für Tiere eingebettet in die Natur.

    Jede neue E-Mail von ihm, jeder abendliche Anruf, jedes neue Bild, hatte ihr Herz höherschlagen lassen. Sie hatte sich darauf eingelassen, dass sie sich erst persönlich treffen sollten, wenn alles perfekt sei. Er hatte gesagt, sie hätten etwas ganz Besonderes, eine Liebe im Geist, etwas Überirdisches, ohne zeitlichen Druck sich auf körperlicher Ebene zu früh begegnen zu müssen. Sonja hatte das fasziniert, er war so ganz anders, als die Freunde die sie bisher gehabt hatte. Sie hatte sich ganz darauf eingelassen, die nächtlichen Telefonate genossen, sich seinen Worten hingegeben, das Kribbeln der erotischen Fantasien gespürt. Ronny hatte es verstanden, sie auf einer Ebene zu erregen, wie es vor ihm niemandem gelungen war. Niemals hätte sie erwartet, dass sie beim Telefonsex die schönsten Orgasmen erleben könnte, spüren könnte, wie sie sich mit ihm in ihrer Seele vereinigte, mit ihm eins würde. Lange Zeit empfand sie eine Erfüllung, vielleicht getragen von der Fantasie eines bald bevorstehenden gemeinsamen Lebens.

    Doch nach anderthalb Jahren wollte sie nicht mehr warten, nach und nach kam zu der Sehnsucht und der fantasievollen Vorstellung der großen Liebe auch ein Gefühl von Zweifel. Hielt Ronny sie doch nur hin? War er vielleicht verheiratet? Gab es den Hof gar nicht?

    Sie wollte ihn endlich sehen, ihr Geist und ihr Körper sehnten sich nach ihm. Doch als sie vehementer wurde, ihn für sich einfordern wollte, zog er sich zurück. Ihr Misstrauen wuchs, gleichsam eine tiefe Enttäuschung und Traurigkeit.

    Deshalb machte Sonja im Sommer mit Ronny Schluss, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Eine Stimme in ihr sagte ihr, dass etwas nicht richtig war, dass sie es beenden müsse.

    Sie kapselte ihn ab, wollte ihn vergessen oder wenigstens aus ihrem Denken und Fühlen verdrängen. Auch das war mit ein Grund, warum sie sich einen neuen Wohnort gesucht hatte. 

    Sonja hatte nur mit sehr wenigen Mitmenschen über Ronny gesprochen. Weder hatte sie ihre tiefsten Gefühle zu ihm verraten, noch von ihren Erlebnissen mit ihm berichtet. Ein wenig hatte sie sich auch davor gescheut, manchmal verstand sie sich selbst nicht.

    Selbst Denise, ihrer besten Freundin, hatte sie nur

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