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Bergdorf sucht... Arzt
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eBook319 Seiten3 Stunden

Bergdorf sucht... Arzt

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Über dieses E-Book

Die Probleme häufen sich in Lämmerbach, nicht nur was die medizinische Versorgung anbelangt. Mit Paula gibt es zwar wieder eine ordnungsgemäße Lehrkraft, ob das aber der Schulbehörde genügt, um bei der Inspektion Gnade walten zu lassen? Außerdem macht sich ein persönlicher Kleinkrieg zwischen der Lehrerin und dem Aushilfsdoktor ziemlich schlecht. Und sowieso ist es mit der Ruhe im Tal vorbei, als Julia, Paulas ehemalige Kollegin samt Cousin, zur Hilfe eilt.
Teil 2 der Lämmerbach-Reihe
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Feb. 2022
ISBN9783754187067
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    Buchvorschau

    Bergdorf sucht... Arzt - Josie Hallbach

    Prolog:

    Josie Hallbach

    Bergdorf sucht… Arzt

    (Teil 2)

    Julia Werner saß mit ihren Kolleginnen und Kollegen im funktional eingerichteten Konferenzraum der Mainzer Realschule. Man trank, nachdem man endlich das übliche, organisatorische Pflichtprogramm hinter sich gebracht hatte, noch gemütlich eine Tasse Kaffee zusammen und plauderte über die viel zu schnell vergangenen Weihnachtsferien. Begriffe wie St. Moritz, die Malediven, Center Parks oder Teneriffa flogen wild durch die Luft. Lehrern sagt man nicht umsonst nach, dass sie eine reiselustige Berufsgruppe wären. Julia berichtete in diesem Zuge von ihrem spontanen Bergurlaub in Lämmerbach.

    Daraufhin wollten einige, deren Gedächtnis länger als ein halbes Jahr zurückreichte, wissen, wie es denn Paula Müller als Dorfschullehrerin so ergehe.

    Besonders ein Kollege hörte, als dieser Name gefallen war, mit merklichem Interesse zu. Jörg Markhoff unterbrach, sogar kurz vor der Pointe, einen seiner angestaubten Lieblingswitze, den er gerade einer dankbaren Schar von Referendarinnen zum Besten gab.

    Julia bemerkte dies mit stiller Genugtuung. „Ihr werdet es kaum glauben, aber unser Mädchen macht sich als Universallehrerin erstaunlich gut. Die werden keine zehn Pferde mehr an diese Schule zurückbringen, das garantiere ich euch."

    Frau Hillmann, eine ältere Lehrkraft, die kurz vor ihrer Pensionierung stand, als Schrecken der Schülerschaft fungierte und gleichzeitig im Kollegium eine Menge für ihren Ruf als ewige Junggesellin getan hatte, meinte daraufhin, dass dieses Lämmerbach aber doch sehr abgeschieden läge, zumindest wenn man der Landkarte glauben mochte. Und jemand anderes, ebenfalls aus der älteren Fraktion, ergänzte, dass dies sicher nicht das einzige Manko dieser Stelle wäre. Auch um das Schulinventar müsse es schlecht bestellt sein, denn umsonst hätte man kaum im letzten Jahr wochenlang ausgemustertes Material und Schulbücher für diese Dorfschule sammeln müssen. Es ließe tief blicken, dass dies ausgerechnet in Bayern, welches sich so viel auf seine Ergebnisse der Pisa-Studien einbilde, passiere.

    Julia lächelte über diese Einwürfe milde und sagte dann mit betont unschuldigem Augenaufschlag: „Das stimmt. Aber dafür gibt es dort einige attraktive Almbauern, die voll auf einsame Lehrerinnen abfahren. Unsere Paula kann sich vor Verehrern kaum retten." Bei ihrem letzten Satz schweifte ihr Blick eine Sekunde lang wie zufällig zu Kollege Markhoff hinüber.

    Dieser verwechselte anschließend die Schlusspointe seines Witzes mit der eines anderen, nicht minder jungen. Das war ihm noch nie zuvor passiert.

    Eine seiner ihm anvertrauten Lehramtsanwärterinnen lachte dennoch herzhaft und ausgiebig.

    Auch im zweiten Band bitte ich, den wiedergegebenen bayrischen Dialekt der besseren Lesbarkeit wegen mit Nachsicht zu behandeln.

    Kapitel 1:

    Paula war froh, als die Schule nach den Weihnachtsferien wieder startete. Das Unterrichten lenkte wenigstens von der allgemeinen, trüben Grundstimmung ab.

    Nach Doktor Martins Beerdigung schien ein wahrer Alb auf dem Dorf zu lasten. Nur gab es nicht, wie bei einem Traum, am Morgen ein hoffnungsvolles Erwachen, sondern die Tage krochen nahezu end- und trostlos immer weiter. Auch Anne, die ja stets eine ausgesprochene Frohnatur gewesen war, schlich seither wie ein Schatten ihrer selbst durch die Gegend und brach bei jeder passenden Gelegenheit in Tränen aus.

    Selbst das Wetter passte sich an und schlug von einer stabilen Hochdrucklage zu feucht kaltem Nieselregen um, der den Schnee innerhalb kürzester Zeit in Matsch verwandelte und einem die Kälte in die Knochen trieb.

    Nach zwei Wochen Schulalltag und kommunaler Depression fühlte sich Paula ausgepumpt. Sie fror ununterbrochen, die Nase lief und sie quälte sich jeden Morgen einen Tick schwerer aus dem warmen Bett. Am Dienstag versagte auch noch ihre Stimme.

    Fritz Zauner schaute sie mit Kennermiene an und meinte: „Fräulein Müller, Sie ghöret ins Bett. Sie habet die Grippe verwischt."

    Seine Schwester Julia nickte altklug dazu: „Unser Mutter hats in der letztn Woch au ghet. ’s geht grad rum."

    Paula unterrichtete trotzdem im Flüsterton weiter. Schließlich sollten die Kinder den langen Weg von der Alm nicht umsonst gemacht haben. Aber für morgen gab sie ihnen vorsichtshalber frei. Sie quittierten dieses Angebot mit einem wenig schmeichelhaften Jubelgeschrei.

    Nicole Martin bot am Nachmittag, nachdem die Lehrerin mit letzter Kraft Arbeitsblätter und Zusatzaufgaben für die Großen ausgeteilt hatte, großzügig an, ihren Onkel für die Diagnose und Behandlung vorbeizuschicken. Er würde sowieso abends Hausbesuche machen.

    Paula hob daraufhin abwehrend die Hände und krächzte eifrig: „Nicht nötig. Ich komme alleine zurecht. Es ist vermutlich eh nur ein harmloser Virus." Sie merkte an Nicoles Blick, dass ihre ablehnende Haltung etwas zu deutlich rübergekommen war. Die nachfolgenden Erklärungsbemühungen machten ihre Aussage aber keineswegs besser, sondern verschlimmerten die Sache noch.

    „Sagen Sie doch einfach, dass sie meinen Onkel nicht ausstehen können und lieber leiden, als von ihm behandelt zu werden. Kein Problem, ich richte es ihm aus." Nicole verschwand, bevor Paula etwas zu ihrer Ehrenrettung unternehmen konnte.

    Merkte man ihr die Antipathie gegen Daniel Martin etwa derart deutlich an? Hoffentlich nahm es seine Nichte mit dem Ausrichten nicht wortwörtlich. Dessen ungeachtet sollte sie sich aber in Zukunft um mehr Neutralität bemühen. In einem kleinen Dorf machte sich ein persönlicher Kleinkrieg zwischen dem hart erkämpften Aushilfs-Dorfarzt und der Lehrerin nicht gut.

    Dies änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass sie sich in Daniels Gegenwart nach wie vor unbehaglich fühlte. Er war genau genommen der letzte Lämmerbacher, den sie an ihrem Krankenbett zu sehen wünschte und ihrer baldigen Genesung folglich wenig zuträglich. Von dem abgesehen, dass er sich kaum um diesen Job reißen würde. Die Abneigung beruhte nämlich auf Gegenseitigkeit, und sie würde deshalb kaum die Chance haben, zu seiner Lieblingspatientin zu avancieren. Er war in letzter Zeit dazu übergegangen, sie, wo immer es möglich war, zu ignorieren. Nicht, dass sie dies als sonderlich schlimm empfand, man bekam ihn meist ohnehin nur bei den sonntäglichen Gottesdiensten zu Gesicht. Dort saß er dann betont desinteressiert neben seiner Schwester auf der Wandseite der Kirchenbank, ließ unverkennbar seine schlechte Laune raushängen und grüßte bestenfalls knapp. Wenn ein Dialog als Voraussetzung mehr als zwei Worte und mindestens zwei Personen brauchte, lag dieser zwischen ihnen beiden auf jeden Fall auf Eis.

    Paula beschloss auf alle Fälle, um des eigenen Seelenfriedens willen, ihre Grippe allein auszukurieren. Schlimmer als Daniel konnten die Viren gar nicht sein.

    Kapitel 2:

    Diesen Beweis trat er nur allzu gern an.

    Nicole hatte beim Abendessen von Frau Müllers Erkrankung und dem damit verbundenen Schulfrei berichtet und Augen klimpernd hinzugefügt, dass ihre Lehrerin aber auf gar keinen Fall einen Arztbesuch wünsche. Ob Daniel denn eine Ahnung habe, woran das liegen könne?

    Das brachte bei ihrem Onkel das Fass zum Überlaufen. Er sprang so rasch vom Tisch auf, dass die Gläser ins Wanken gerieten und durchquerte mit großen Schritten das Esszimmer. Nicole verzichtete auf ergänzende Kommentare und floh mit einer Entschuldigung aus dem Raum, denn sie kannte diese Stimmung bereits.

    „Da siehst du es, beschwerte sich Daniel anschließend bei seiner großen Schwester, die bis dahin versucht hatte, den Rest ihres Vesperbrotes in Ruhe zu verdauen und nebenher Zeitung zu lesen. „Ich weiß nicht, warum ich hier überhaupt herumsitze. Draußen grassiert die Grippewelle, aber keiner in Lämmerbach braucht einen Arzt. Vermutlich sterben die Leute lieber, als dass sie sich in meine Sprechstunde bemühen oder mich holen lassen. Die einzige Patientin, die diese Woche mit schöner Regelmäßigkeit bei mir im Sprechzimmer saß, war Josepha Baum. Sie scheint einen Narren an mir gefressen zu haben und denkt sich ständig neue abstruse Krankheiten aus, an denen sie angeblich leidet. Dabei ist sie vermutlich der gesündeste Mensch in ganz Lämmerbach.

    Anne gab seufzend den Verdauungswunsch auf und wandte ihre Aufmerksamkeit dem energiegeladenen Bruder zu, der während seines Monologs ununterbrochen herummarschiert war. Irgendwie erinnerte er dabei an einen gereizten Tiger in einem Raubtierkäfig und machte sie allein schon vom Zuschauen nervös. „Sie leidet in erster Linie an einer verspäteten Pubertät und zu wenig männlicher Auswahl. Nächstes Mal schickst du sie zu mir. Ich werde sie kurieren", bot sie besänftigend an. Anne neigte in medizinischen Dingen zur Pragmatik.

    „Vielen Dank, aber ich komme mit ihr klar. Sie ist mein kleinstes Problem."

    „Und was sind dann deine Probleme?"

    „Dass ich heute zum Beispiel feststellen musste, dass sich unser Vater in keiner Weise von seinen Patienten unterschieden hat."

    „Was soll das heißen?"

    „Ich habe Unterlagen gefunden, die belegen, dass Paps um sein Schlaganfallrisiko wusste."

    „Du denkst..."

    „Ich denke nicht, ich weiß. Er blieb ruckartig hinter Annes Stuhl stehen, so dass sie den Kopf verrenken musste, damit sie ihn überhaupt ansehen konnte. „Paps hatte bereits seit geraumer Zeit Symptome, diese richtig gedeutet und sich sogar den Rat eines Kollegen eingeholt. Das Antwortschreiben hat er dann fein säuberlich und fast schon makaber zu seiner Lebensversicherung geheftet und ansonsten nichts unternommen. Der Kollege riet ihm dringend zu weiterer Diagnostik und schnellstens zu einer Operation.

    Anne starrte ihren Bruder entsetzt an und stammelte: „Davon wusste ich nichts, ehrlich."

    „Vielleicht wollte er uns mit seinem Tod einfach überraschen." Daniel war wütend und gleichzeitig enttäuscht.

    Sein Hang zum Zynismus kam bei seiner Schwester aber aktuell nicht gut an. „Wie kannst du dich nur über alles und jeden lustig machen? Tu doch nicht so, als ob dieses Wissen irgendetwas für dich geändert hätte."

    „Willst du etwa damit sagen, dass mir Paps’ Tod egal ist?" Sein Tonfall wurde um weitere Dezibel lauter.

    „Nein, nur dass du dich gewöhnlich wenig um die Interessen und Wünsche anderer Leute scherst."

    „Ach, vielen Dank für deine Einschätzung. Und warum stehe ich dann hier? Ganz bestimmt nicht, weil es mir so enorm viel Spaß macht. Dazu ist meine Anwesenheit an diesem Platz völlig überflüssig. Lämmerbach will mich überhaupt nicht als Arzt."

    Anne merkte, dass sie zu weit gegangen war und versuchte einzulenken: „Übertreib jetzt nicht gleich. Du bist für die meisten Leute eben noch ungewohnt. Vielleicht sollte ich dich öfter bei deinen Krankenbesuchen begleiten."

    „Untersteh dich. Du hast schon viel zu lange Paps’ Job übernommen. Entweder die Leute akzeptieren mich als Arzt oder…" Er ließ den Satz unvollendet und nahm dafür seine ruhelose Wanderung wieder auf.

    „Oder was?", fragte Anne ihm angstvoll hinterherblickend.

    „Oder ich gehe. In zwei Wochen endet ohnehin meine Beurlaubung. Dann muss ich eine Entscheidung treffen und die wird mir gerade zunehmend leichter gemacht. Paps’ Chaos zu sortieren ist ein Lebenswerk und alles andere als befriedigend. Ganz davon abgesehen, dass ihr vermutlich sowieso keinen Nachfolger finden werdet, der seine Praxis übernimmt. Da konzentriere ich mich doch lieber auf meine Doktorarbeit."

    „Du hast Onkel Edwin versprochen bis Sommer…"

    Er baute sich bedrohlich nahe vor ihr auf: „Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Ich habe die Szene deutlich vor Augen. Vielen Dank. Da habt ihr mich schlichtweg überrumpelt. Ist euch aber seither schon mal der Gedanke gekommen, dass nicht alles, was Onkel Edwin, euer weltfremder Pfarrer und du wollen, auch sinnvoll ist? Außerdem scheint der Rest des Dorfes andere Vorstellungen zu haben. Letzte Woche hat mich der Volker zum Beispiel nicht ins Haus gelassen, als ich nach seiner Frau schauen wollte, die mit 40 Grad Fieber im Bett lag. Und wie es mir bei der kleinen Martha Schindhelm erging, erspare ich dir lieber. Denkst du, ich sehe die abweisenden Blicke der Leute nicht? Mir traut hier doch keiner was zu."

    „Unsinn, widersprach Anne, aber es klang merkwürdig schwach und alles andere als überzeugend. „Heute Nachmittag haben sie dich doch zur alten Frau Friedrichs geholt.

    „Ja, im letzten Moment sozusagen, als alle Hausmittel nicht mehr fruchteten. Es würde mich wundern, wenn sie die Nacht überlebt. Ich habe ihr eine Spritze gegen die Schmerzen gegeben. Ansonsten konnte ich nichts mehr für sie tun."

    Seine Schwester schaute ihn überrascht an. „Und dann bist du einfach gegangen?"

    „Natürlich. Warum hätte ich auch bleiben sollen? Soll ich mich etwa an ihr Bett setzen, ihre Hand halten und warten, bis sie den letzten Schnaufer macht? Das können ihre Kinder besser. Ich bin schließlich kein Seelsorger. Außerdem war der Pfarrer schon am Morgen da." Er hatte den Eindruck, sich rechtfertigen zu müssen und ärgerte sich im gleichen Augenblick deswegen.

    Anne schnaubte angewidert: „Paps wäre selbstverständlich dageblieben." Bei ihr schimmerten bereits wieder Tränen.

    „Paps hat dies, Paps hat das. Ich kann es nicht mehr hören. Er scheint alles richtig gemacht zu haben. Aber ich bin nicht er, wann kapierst du das endlich? Diese alte Frau ist für mich eine Fremde."

    „Gut, dann geh’ eben ich rüber, wenn du nicht dazu imstande bist", sagte sie kühl und wischte sich über das Gesicht.

    „Tu was du nicht lassen kannst. Aber erwarte in Zukunft nicht mehr, dass ich dich dabei unterstütze." Er stürmte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

    Als Anne im Hause Friedrich angekommen war, hatte der Sohn ihr längst die Augen zugedrückt und es blieb nur noch, Beileid zu wünschen und Tante Lieselotte zu holen, damit man das Totenbett richten konnte.

    Dafür stand Daniel bei ihrer Heimkehr im Begriff, seine Koffer zu packen.

    „Was soll das?", fragte Anne ungläubig.

    „Nach was sieht es wohl aus?" Er schloss mit einem Schwung die Schnallen.

    „Du kannst nicht einfach verschwinden."

    „So? Wer soll mir das denn verbieten? Du etwa? Außerdem laufe ich nicht weg, sondern suche mir eine sinnvollere Aufgabe. Das ist ein kleiner Unterschied."

    „Wir brauchen dich hier."

    „Sag das mal deinen sturen Bergbewohnern. Ich habe den Eindruck, die kommen ganz gut ohne mich zurecht."

    „Frau Friedrich ist gestorben."

    „Na siehst du, schon wieder eine weniger, sagte er hart und begann seine Nachttischschublade auszuräumen. „Lämmerbach existiert eh nicht mehr lange. Also warum soll ausgerechnet ich mir für euch den Hintern aufreißen?

    „Bitte überleg es dir noch mal. Überstürze jetzt nichts."

    „Ich hab’ mir das bereits viel zu lange überlegt und hätte überhaupt nicht herkommen sollen. Es gibt durchaus attraktivere Möglichkeiten, seinen Urlaub zu verbringen. Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich hier seit sechs Wochen ohne eine einzige hübsche Frau in Reichweite herumhänge. Demnächst habe ich vermutlich vergessen, wie man Sex überhaupt schreibt. Aber damit ist jetzt Schluss. Sucht euch jemand anderen, der euch die Kastanien aus dem Feuer holt. Er zog den Reißverschluss seiner Tasche zu - er klemmte. Wütend zerrte er daran. Als dennoch ein Stück offenblieb, trat er mit dem Fuß dagegen und fluchte. „Soll ich noch den Totenschein unterschreiben? Ich nehme an, Frau Friedrichs Tod müssen wir nicht ebenfalls geheim halten, fügte er mit einem kalten Grinsen hinzu. „Die Todesursache auszufüllen überlasse ich aber dir. Das dürfte dir mit deiner jahrelangen Erfahrung nicht schwerfallen." Er schleppte Koffer und Tasche die Treppe hinunter.

    Seine Schwester folgte ihm auf den Fersen und redete dabei pausenlos beschwichtigend auf ihn ein. Daniel ignorierte sie einfach und belud unbeeindruckt sein Auto. Bevor er jedoch seinen Geländewagen startete, warf er ihr einen unergründlichen Blick zu, der dazu geeignet war, ihren Redefluss jäh auszubremsen. „Du kannst dir jegliche weitere Überzeugungsarbeit für die Zukunft sparen, sagte er zum Abschied. „Und wag es nicht, mich anzurufen. Ich habe das alles für Paps gemacht. Aber es ist nun an der Zeit, einen Schlussstrich drunter zu ziehen. Je eher ihr in der Wirklichkeit ankommt, umso besser.

    Der Geländewagen fuhr mit quietschenden Reifen aus dem Hof.

    Kapitel 3:

    Im „Roten Baum" ging es am Samstagabend gut zur Sache.

    Die Männerriege des Stammtisches war sich zum größten Teil einig. Man diskutierte den plötzlichen Tod der alten Frau Friedrich. Vielleicht lag es daran, dass aufgrund der schlechten Wetterlage mehrere Runden Grog ausgegeben worden waren. Die Stimmung zeigte sich auf alle Fälle merklich aufgepeitscht.

    „Ich finds auffällig, dass er so Hals über Kopf abgreist is", sagte der alte Opa Vollmer gerade.

    „Was heißt hier auffällig. Verdächtig is des bessere Wort", ergänzte ein anderer.

    „Ich sag nur, kaum hat er ihr die Spritz gebn, gings merklich bergab mit meiner Mutter, bestätigte Herr Friedrich zum wiederholten Mal. Er war selbst nicht mehr der Allerjüngste, nahm aber trotzdem den Tod seiner betagten Mutter sehr persönlich. „Ich bin überzeugt, sie könnt heut noch lebn. Sie war immer so a robuste Natur. Ich kann mich net erinnern, dass sie schon jemals länger wie ein Tag im Bett glegn wär.

    „Wer kann auch kontrolliern, was in so ere Spritz drinnen is, meinte der Volker Zauner düster. „Ich weiß scho, warum ich den Daniel net an mei Frau hinlangn hab lassn. Vielleicht wär ich sonst inzwischn Witwer.

    „Oder dir wäret möglicherweis a paar Hörner aufgsetzt wordn, lachte es aus der Ecke. „Dei Elsbeth hat doch früher a Schwäche für…

    Der Ausgelachte brauste auf und fiel dem Sprecher ins Wort: „Du pass fei auf, wasd sagst."

    Bürgermeister Baum holte tief Luft und setzte zu einem Schlichtungsversuch an, aber diesmal war ein anderer schneller.

    „Und ich hab ihn rausgworfn, den feine Herr Doktor, kam es aus der Ecke von Matthias Schindhelm, der bisher nur dumpf vor sich hinbrütend einen Grog nach dem anderen hinuntergeschüttet hatte. „Als ich aus em Stall kommn bin, seh ich den Lackaff doch glatt, wie er mei Martha untersucht. Ich hab net lang gfackelt und der Marie gleich noch zeigt, wo der Bartel sein Most holt. Des kann doch net sei, dass des Weib hinter meim Rückn en Doktor holt, nur weil des Mädel a bissel Fieber hat. Da is noch keu Kind dran gstorbn.

    Die meisten waren da anderer Meinung, hielten damit aber hinter dem Berg. Matthias Schindhelm erfreute sich in dieser Runde keiner großen Beliebtheit. Der kritische Punkt stellte sich bei ihm immer dann ein, wenn er nüchtern genug zum Sprechen war, aber bereits so viel Alkohol in sich hatte, dass er aggressiv wurde.

    Einer der Bauern, der ebenfalls mindestens einen Grog zu viel intus hatte und dann stets dazu neigte, eine dicke Lippe zu riskieren, meinte feixend: „Jaja, so a alte Lieb, die rostet halt net. Und unser Doktor is nunmal a fesches Mannsbild. Da kommt a kranks Kind grad recht."

    Der warnende Blick des Bürgermeisters kam definitiv zu spät. Es brauchte drei Männer, um den Matthias davon abzuhalten, sich auf den vorwitzigen Bauern zu stürzen.

    „Kruzifix, wenn des heut Abend so weiter geht, dann schließ ich ab und ihr könnt daheim weitersaufn", schimpfte der Gastwirt böse, nachdem jeder wieder auf seinem Platz saß.

    „Ma wird ja wohl noch sei Meinung sagen dürfn", brummte einer beleidigt.

    „Und des mit em Martins Daniel ghört endlich amol auf de Tisch. Des is ja wohl keun Zustand net, ergänzte Herr Friedrich. „Lieber gar keun Doktor wie so einer.

    „Genau des habet ihr ja jetzt erreicht, erwiderte Edwin Baum und verschränkte die dicht behaarten Arme vor seiner stämmigen Brust. „Ich hoff, ihr seid nun zufriedn. Der einzige Doktor weit und breit, der uns aus unserm Schlamassel hätt rettn können, habt ihr vergällt. A schöne Sippschaft seid ihr.

    „Tätst du deine Kinder oder dei Frau von so eme unerfahrenen Grünschnabel behandeln lassn?", wandte der mit dem längsten Bart ein.

    „Warum net? Natürlich kann er net alles recht machn. Aber wer kann des schon? Des hat au sein Vater net können. Ich weiß noch, wie ihr am Anfang manchmal gegen den gwettert hobt."

    „Ma sagt nix Schlechtes über en Totn", warf der alte Vollmer ein.

    „Genau. Seit er tot is, wird er langsam zum Heilign. Wenn der mitkriegn tät, wie ihr mit seim Sohn umspringt, der würd euch was erzähln. Ihr werdet schon sehn, wie weit ihr mit eurer Sturheit kommt. Denket an meine Worte, wenn keuner mehr euern Käs kaufn mog."

    „Jetzt aber amol halblang, versuchte Bauer Vollmer seinen aufgebrachten Nachbarn zu beschwichtigen. „Noch is es net soweit.

    „Irgendwann hat alles a End. Und wenn ihr so weitermachet, kommt des schneller als ihr denkt." Der Bürgermeister wirkte an diesem Abend merklich nüchtern und frustriert wie selten zuvor.

    Herr Tannhauer stimmte ihm unerwartet zu. „Manche Leut täts wirklich net schadn, sie würdet a bissel mehr mit de Zeit gehn. Der Daniel hat en gutn Ruf in seim Krankenhaus. Und sei doch ehrlich, Ernst. Dei Mutter häts ohnehin nimmer lang gmacht mit ihre fast neunzig. Sie kann froh sei, dass sie so an friedlichn Tod gfundn hat. Hättet ihr sie denn die nächstn Monate pflegn wolln? Dei Frau jammert eh de ganze Tag wegen ihrm Kreuz."

    Ernst Friedrich stierte bei dieser direkten Ansprache wortlos in seinen Grog und ging allen Blicken aus dem Weg.

    „Magst ernsthaft behauptn, der Daniel hätt dei Mutter auf em Gwissn?", fuhr Helmut Tannhauer fort, die Gunst der Schweigsamkeit nutzend.

    Alle Augen richteten sich auf den angesprochenen Ernst.

    Der schüttelte den Kopf. „Sie wollt ohnehin nimmer lebn. Des hat sie mir an dem Morgn selber gsagt", antwortete er leise.

    „Siehgst. Und wenn die altn Leut erst amol sterbn wolln, dann gehts nimmer

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