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Seite A und Seite B - Patchwork einer Liebesgeschichte
Seite A und Seite B - Patchwork einer Liebesgeschichte
Seite A und Seite B - Patchwork einer Liebesgeschichte
eBook258 Seiten3 Stunden

Seite A und Seite B - Patchwork einer Liebesgeschichte

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Über dieses E-Book

Robert entdeckt die Leidenschaft seines Lebens nachdem Jennifer in das Haus gegenüber zieht. Eine unschuldige Liebesgeschichte entfaltet sich zwischen ihnen, voller Begegnungen, Missverständnissen, Freuden und Trauer. Als die Beziehung des Paares sich endlich zum Guten wendet, ist dann plötzlich doch nicht mehr alles so, wie es scheint, denn jede Geschichte hat nicht nur eine Seite. Dieses Buch von Cesar Costa bringt eine dramatische Handlung mit überraschender Wendung und unerwartetem Ausgang mit sich. Wie weit kann eine bedingungslose Liebe gehen?

 

SpracheDeutsch
HerausgeberCM Books
Erscheinungsdatum19. Juli 2019
ISBN9781393794790
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    Buchvorschau

    Seite A und Seite B - Patchwork einer Liebesgeschichte - César Costa

    1 Auflage

    2019

    CopyRight © 2018 by César Costa

    Alle Rechte vorbehalten

    http://www.cesarcosta.com.br

    Auflage

    César Costa

    Überprüfung

    Sergio Carmach

    Umschlaggestaltung, Satz und Bearbeitung

    César Costa

    Übersetzung vom Original in portugiesischer Sprache

    Kurt Krawall

    Originaltitel

    Lado A e Lado B – Retalhos de Uma História de Amor

    2019

    Ich widme dieses Buch der Erinnerung

    an meinen lieben Freund

    William Schorcht.

    Danksagung

    An die, die an meinen Traum glauben und ihn gemeinsam mit mir träumen.

    An meine Familie für ihre bedingungslose Unterstützung.

    An die Freunde, die mir auf irgendeine Art bei der Entstehung dieses Buches geholfen haben und  sich dafür begeisterten.

    Inhalt

    Seite A – Kapitel 1

    Seite A – Kapitel 2

    Seite A - Kapitel 3

    Seite A - Kapitel 4

    Seite A - Kapitel 5

    Seite A - Kapitel 6

    Seite A - Kapitel 7

    Seite A - Kapitel 8

    Seite A - Kapitel 9

    Seite A - Kapitel 10

    Seite B - Kapitel 1

    Seite B - Kapitel 2

    Seite B - Kapitel 3

    Seite B - Kapitel 4

    Seite B - Kapitel 5

    Seite B - Kapitel 6

    Seite B - Kapitel 7

    Seite B - Kapitel 8

    Seite B - Kapitel 9

    Seite B - Kapitel 10

    Seite A – Kapitel 1

    Ich kann mich nicht über meine Kindheit beklagen. Ich war sicherlich nicht das glücklichste Kind der Welt, aber bei Weitem auch nicht das Traurigste. Wahrscheinlich war ich nie der beste Schüler, aber immer weit vor den Schlechtesten. Von dem, was meine Mutter über mich erzählte, sprach ich meine ersten Worte mit zehn Monaten, und kurz darauf fing ich auch mit dem Laufen an. Als ich aufwuchs, hatte ich nicht alles, was ich wollte, aber damals wollten Kinder auch noch nicht so viel. Ich pflege über diese Zeit zu sagen, dass das Wichtigste mir nicht gefehlt hat. 

    Um genau zu sein habe ich keinerlei schlechte Erinnerung an meine ersten Zehn Lebensjahre. Von dem, woran ich mich erinnere, war ich ein glückliches Kind, auch wenn ich mich nicht an viel erinnere. Die ersten richtigen Erinnerungen habe ich ab dem elften Lebensjahr, wo ich mich schon als Mann betrachtete (als Kind hat man das Bedürfnis, schnell älter werden zu wollen, heute würde ich alles dafür geben, noch einmal in diese Zeit als Kind zurückkehren zu können). Und ab diesem Zeitpunkt lohnt sich das Erzählen meiner Lebensgeschichte.

    Im Sommer meines elften Jahres lernte ich Jennifer kennen. Ihre Eltern waren gerade gegenüber auf der Straße bei uns eingezogen, in einem Vorort einer kleinen, ruhigen Stadt. Das rothaarige Mädchen weckte mein Interesse, seit ich sie das erste Mal sah. Nicht, dass ich damals schon sehr an Mädchen interessiert war, nein, im Gegenteil, in meinem Alter erschienen mir Mädchen noch lästig, eine Verschwendung von Sauerstoff. Um noch direkter zu sein, keinerlei Erregung oder Fleischeslust entflammte mein Herz oder Geiste, aber, dennoch, aus einem Grund, den ich bis heute nicht erklären kann, sah ich die rothaarige Nachbarstocher mit anderen Augen, als bis dahin die anderen Mädchen.

    Ich erinnere mich noch sehr gut an den sonnigen Tag als ein großer blauer Umzugswagen vor dem Haus hielt, wo früher unser Nachbar Mathias gewohnt hatte. Er arbeitete in einem großen, internationalen Konzern für Elektrogeräte aller Art, war befördert wurden und zog mit Frau und Kindern in eine andere Stadt um. Als ich von ihrem Umzug erfuhr, war ich betrübt, denn mit seinen Söhnen, Joao und Pedro, spielte ich immer vor und nach der Schule, sowie an den Wochenenden. Außer den beiden gab es nicht viele andere Kinder, die bei uns in der Nähe wohnten. Demzufolge könnte man sagen, dass die beiden meine besten Freunde waren. Sicherlich hatte ich andere Bekannte aus der Schule, die mich manchmal besuchten, aber die zwei Nachbarskinder waren immer in meiner Nähe. So nahe, dass wir auch an Tagen zusammen spielen konnten, wenn noch andere Verpflichtungen anstanden, die unsere gemeinsame Zeit einschränkten. Trotzdem ich fast meine gesamte freie Zeit in Begleitung der beiden Brüder verbrachte, erinnere ich mich, dass mir einige Verhaltensweisen von Pedrinho, wie wir ihn nannten, oft missfielen. Häufig gab mir sein Benehmen Rätsel auf und ich hielt ihn für weinerlich und verweichlicht. Heute nennt Pedro sich Bianca und lebt mit einem anderen Mann zusammen. Zurückblickend ergibt sein damaliges Benehmen nun einen Sinn. Damals fehlte uns für  solche Sachen das Verständnis, aber was kann man von damals noch unschuldigen Kindern erwarten?

    Aber ich schweife ab. Kehren wir zurück zu dem sonnigen Tag und dem blauen Umzugswagen, der Jennifer und ihre Eltern zu uns brachte. Der Tag war nicht nur sonnig, sondern auch heiß und trocken. Die Temperatur betrug um die 40 Grad Celsius und am Himmel befand sich weder eine Wolke, die ein wenig Schatten spendete, noch spürte man eine Brise in der Luft. Vor dem leeren Nachbarhaus hielt hinter dem Umzugswagen ein Auto. Ein Mann stieg aus, schloß das angerostete kleine Tor des Vorgartens auf und anschließend auch die Haustür. Ein rothaariges Mädchen stieg als nächstes aus dem Auto, wobei sie sich mit einem Hefter Luft zufächelte. Hinter ihr stieg auch eine Frau aus, ich nahm an, dass es die Mutter war. Ich blieb unter unserem Mangobaum sitzen, der einen Großteil unseres Vorgartens einnahm und beobachtete, wie ein schwitzender Herr Machado (den Namen sollte ich später erfahren) dem Fahrer des Umzugswagens dabei half, die Sachen ins Haus zu tragen.

    Da es ein Sonnabend war, hielt mich nichts vom Beobachten ab. Nicht, dass ich innerhalb der Woche so viele andere Sachen zu tun gehabt hätte, meine tägliche Routine beschränkte sich auf: zur Schule gehen, Fernseh gucken, Hausaufgaben machen und ab und zu mit anderen Kindern zu spielen, meistens um Murmeln. Ich fand es interessant, den Umzug zu beobachten, das ständige Raus und Rein von Kisten, Kleidern, Möbeln und noch mehr Kisten. Eine für mich neue Erfahrung, da ich seit meiner Geburt immer nur in demselben Haus gelebt hatte. Das rothaarige Mädchen half nicht wirklich beim Umzug, aber begleitete ihren Vater und den Möbelpackern beim Ausräumen des Lkws. Sie wollte sich alles ganz genau betrachten, solange sie nicht selbst mit Hand anlegen musste. Die Freude auf ihrem Gesicht über den Einzug erinnerte mich an meine Traurigkeit, die ich bei dem Auszug von Joao und Pedro empfunden hatte. Wie konnte dieses Mädchen sich so freuen, wo sie doch ihre Freunde, ihre Schule und ihr Haus zurücklassen musste? Nun, dachte ich, vielleicht hatte sie keine Freunde, mochte ihre alte Schule nicht und wohnte vorher in einem hässlichen, kleinen Haus... Aber das war nur eine Vermutung. Ich wusste nur, dass sie in diesem Augenblick glücklich war, und mich, aus einem mir unbekannten Grund, das freute.

    Ich erinnere mich noch daran, als ob es gestern war, als wir uns das erste Mal gegenüberstanden. Zwei Tage nach dem Umzug beschloss meine Mutter, die neue Familie in der Nachbarschaft willkommen zu heißen und meinte:

    Sie haben eine hübsche Tochter, die so ungefähr in deinem Alter sein sollte. Du könntest dich doch mit ihr anfreunden, du warst in letzter Zeit immer so allein... versuchte sie mich zu überzeugen, mitzukommen.

    Ich schaute sie ein paar Sekunden schweigend an, darauf wartend, dass sie noch eine bessere Erklärung hinzufügte, dann erwiderte ich:

    Mich mit einem Mädchen anfreunden? und verzog das Gesicht.

    Na gut, wenn du nicht willst, dann halt nicht. Aber mitkommen musst du trotzdem.

    Ich trabte laut schnaubend hinter íhr her, um ihr auch zu zeigen, wie ärgerlich ich das alles fand. Aber sie ignorierte es. Als sie auf dem Fußweg vor dem Nachbarhaus stand und auf die Klingel drückte, stellte ich mich mit dem Kuchen in den Händen, der extra als Willkommensgeschenk für unsere Nachbarn gebacken worden war, hinter sie. Ich hielt das Ganze für eine Verschwendung. Für uns hatte sie nämlich keinen Kuchen gebacken. Niemand öffnete. Sie klingelte noch einmal. Als wieder keiner öffnete, rief sie, kaum hörbar:

    Hallo, Nachbarn!

    Ungeduldig holte ich tief Luft und schrie:

    Hey Nachbarn!

    Meine Mutter sah mich etwas schräg an, aber nicht verärgert. In ihrem Gesicht trug sie stets dieses ironische Lächeln, einzigartig auf dieser Welt. Ich lächelte zurück und zuckte mit den Schultern. Immerhin hatte es geholfen, innerhalb von wenigen Sekunden stand die Mutter des rothaarigen Mädchens in der Tür.

    Guten Tag. Wie kann ich helfen? begrüßte sie uns förmlich.

    Auch einen guten Tag! Wir wollten sie nur in unserem Viertel willkommen heißen. Ich bin die Christina, das ist mein Sohn Robert und mein Mann heißt Mario, allerdings ist der im Moment arbeiten.

    Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht unserer Nachbarin. Nun näherte sich auch neugierig das kleine, rothaarige Mädchen. Sie stellte sich hinter ihre Mutter und hielt sich an ihrem Rock fest, während sie uns von oben bis unten musterte.

    Danke  entgegnete die Frau. Ich bin Ruth und diese junge Dame heißt Jennifer. Ihr Vater heißt Otavio, aber er zieht es vor, mit seinem Nachnamen Machado angesprochen zu werden. Er hat sich da in seiner Zeit beim Militär so dran gewöhnt, daher nennen ihn alle so, sogar ich erklärte sie.

    Hoffentlich lässt er sie nicht salutieren wenn er nach Hause kommt, und kontrolliert, ob die Betten ordentlich gemacht sind rutschte es aus mir heraus. Mutters Blick schien mich durchbohren zu wollen. Aber Ruth begann zu lachen, daher stimmten meine Mama und, letztendlich auch ich, mit ein.

    Ein guter Witz. Aber ganz so streng ist er dann doch nicht meinte sie, und, die Verlegenheit meiner Mutter bemerkend, fügte sie hinzu: Wie sagt man so schön? Kindermund ... aber es war wirklich lustig. Meine Mutter nickte unbeholfen und lächelte Jennifer an, die sich noch immer hinter ihrer Mutter versteckte.

    Dieser Kuchen ist ein kleines Willkommensgeschenk. Ich hoffe er schmeckt Ihnen sagte sie freundlich.

    Und falls nicht können Sie ihn gern zurückgeben, ich esse ihn unterbrach ich.

    Ruth lachte wieder laut auf. Meine Mutter warf mir noch einen scharfen Blick zu, wandte sich dann an unsere neue Nachbarin und meinte:

    Bitte entschuldigen Sie meinen vorlauten Sohn.

    Ach, das macht doch nichts. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Möchten Sie vielleicht reinkommen und den Kuchen mit uns zusammen anschneiden?

    Ja! rief ich aus.

    Nein, vielen Dank. Ich kann mir vorstellen, dass Sie noch genug mit dem Umzug zu tun haben meinte meine Mutter, mit einem Seitenblick auf mich, der mir klar machte, dass es die letze Einmischung von mir war, die sie dulden würde.

    Während die beiden Frauen ihr Gespräch noch kurz fortführten, blieb ich still. Ich begann eingehend, meine eigenen Füße zu betrachten, um mir nicht noch mehr Ärger zuzuziehen. Dabei fiel mein Blick auf Jennifers Füße, die in rosa Sandalen steckten, welche dazu noch mit Tieraufklebern verziert waren. Ich fand diese Schuhe viel zu mädchenhaft, aber immerhin war sie ja auch ein Mädchen, daher konnte man da ja wahrscheinlich sowieso nichts anderes erwarten. Nach fünf quälend langen Minuten verabschiedeten wir uns dann endlich.

    Sicherlich war das nicht das Treffen, aber trotz des ungewöhnichen Ablaufes, oder vielleicht gerade deswegen, prägte es mich. Ich wusste es damals noch nicht, aber diese Begegnung im Sommer sollte nur die Erste von vielen weiteren sein. Denn nur ein paar Tage später geschah etwas, das uns unzertrennlich werden lassen sollte.

    Ungefähr elf Tage, nachdem Herr Machado und seine Familie gegenüber bei uns eingezogen waren, fuhr ich mit meinem Fahrrad durch unsere Nachbarschaft, so wie ich es immer tat. Da wir in einem ruhigen Viertel wohnten, ließen uns unsere Eltern alleine draußen spielen, ohne sich um uns zu Sorgen. Ich fuhr gerade stadtauswärts, als ich einen schönen schwarz roten Drachen bemerkte, der sich in den Ästen eines Baumes verfangen hatte. Ich blickte mich um. Niemand zu sehen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Da war der Drache, neu, heile, alleine, verlassen. Er war mein, ich hatte ihn zuerst gesehen, so war die Regel. Fast fand ich es sogar ein bißchen Schade, dass kein anderer Junge zugegen war, nur damit ich sagen konnte Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!

    Ich erklomm den Baum fast bis in die Baumkrone, wo sich der Drache in den Ästen verfangen hatte. Ich streckte mich, bis ich das Objekt meiner Begierde mit den Fingern zu fassen bekam. Ich stellte mir schon vor, wie ich ihn auf dem Weg nach Hause steigen lassen würde, zum Neid meiner Freunde und aller, die es sahen. Ich sah es schon vor mir, als ich ein lautes Knacken hörte, was mich in die Worklichkeit zurückbrachte. Wie in Zeitlupe sah ich den Ast, auf dem ich mich eben noch befunden hatte, durch die Luft nach unten segeln, und ich mit ihm. Mit der Gelenkigkeit einer Katze versuchte ich noch, mich so zu drehen, dass ich einen anderen Ast zu fassen bekam. Schon halb unten hatte ich dann doch noch Glück, sonst wäre das Ganze zu einem bösen Sturz geworden. Allerdings hing ich da nun.

    Ist bei dir alles ok? fragte da eine Stimme von unten.

    Wer ist da? gab ich zurück.

    Ich bin es, Jennifer.

    Nee, alles gut hier, kannst weitergehen. Nichts passiert

    Es sah so aus, als würdest du fallen meinte das Mädchen

    Neeeeiiiiin, alles gut, ich wollte nur den Drachen holen, und dann bin ich absichtlich gesprungen um schneller wieder runterzukommen gab ich so ruhig wie möglich zurück, um die kritische Situation, in der ich mich befand, nicht all zu deutlich werden zu lassen.

    Hmmm, diesen kaputten Drachen da wolltest du dir holen? meinte der Rotschopf keck und zeigte mit dem Finger auf etwas. Instinktiv drehte ich den Kopf und schaute in die Richtung, in die sie zeigte.

    Mein Herz blieb fast stehen. Der schöne Drachen, der der Neid meiner Freunde hätte werden sollen, war kaputt und in der Mitte zerrissen. Da stand ich nun, oder besser, hing ich, mit leeren Händen, gedemütigt vor der Neuen in unserer Nachbarschaft. 

    Ich hatte mich im Fallen an den erstbesten Ast geklammert, den ich mit den Händen erreicht hatte. So hing ich dann auch in einer Position, die mir unmöglich erlaubte, mich anders zu positionieren. Um mich nach oben zu ziehen, fehlten mir mittlerweile die Kräfte. Aber das vor Jennifer zuzugeben oder sie gar um Hilfe zu bitten, stand außer Frage. Mein Stolz verbot mir, ein kleines dünes Mädchen mit braunen Augen und feuerrotem Haar um Hilfe zu bitten. Nach diesen Gedanken holte ich tief Luft und versuchte, mich so unbekümmert wie möglich zu geben:

    Ja, genau den wollte ich. Aber das braucht dich nicht zu kümmern, ich hole ihn und komme dann runter. Lass dich von mir nicht aufhalten.

    Ach, ich hab im Moment sowieso nichts zu tun, ich war nur ein bisschen mit dem Fahrrad unterwegs. Aber ich kann dir helfen, den Drachen zu holen, falls du möchtest.

    Als ob du auf Bäume klettern könntest sagte ich spöttisch.

    Aber sicher kann ich das! antwortete Jennifer und lehnte ihr Fahrrad an den Baum.

    Ich sah ihr dabei zu, wie sie den Baum mit Leichtigkeit emporkletterte, den Drachen erreichte und ihn mit einer Anmut an sich nahm, wie es nur ein Mädchen vermochte. Dann, den Drachen mit den Zähnen festhaltend, kletterte sie wieder nach unten, mit dem gleichen Geschick wie zuvor. Als sie auf meiner Höhe angelangt war, nahm sie den Drachen aus dem Mund, sah mich an und fragte:

    Bist du sicher, dass es dir gut geht?

    Ja sicher antwortete ich aber mein Arm ist eingeschlafen. Sonst wär ich schon längst runter geklettert.

    Ich verstehe. Brauchst nichts weiter zu sagen

    Jennifer lächelte mich an, packte mich am Arm und zog daran. Mit ihrer Hilfe gelang es mir, einen anderen, für mich günstiger gelegenen Ast in der Nähe zu fassen. Ich schaffte es, auf ihn zu klettern. Dadurch saß ich ihr nun Gegenüber, sie auf dem einen, ich auf dem anderen Ast. Wir schauten uns an. Um dieser peinlichen Situation zu entkommen, ließ ich mich auf einen anderen Ast, etwas weiter unter mir, fallen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, mich schon einmal in so einer peinlichen Situation befunden zu haben. Wir kletterten nach unten. Endlich unten angekommen, brachte ich ein leises Danke hervor.

    Jennifer lächelte mich an, und ihr Lächeln machte das Ganze noch peinlicher. Kalter Schweiß lief mir über den Rücken. Im Rückblick auf diese Situation bemerkte ich später, dass dies der Moment gewesen sein musste, in dem ich mich verliebt hatte. Wir nahmen unsere Fahrräder, schwangen uns darauf und fuhren langsam durch die Straßen nach Hause. Am Boden blieb der Rot Schwarze Drache kaputt und zerrissen zurück.

    In den nächsten Tagen verbrachten Jennifer und ich immer mehr Zeit zusammen. Am Morgen nahmen wir unsere Fahrräder und fuhren durch den Park zum Bäcker und zur Eisdiele. Nach dem Mittag (Unsere Schule bot ein differenziertes Bildungsmodell an, man konnte entweder Morgens oder Nachmittags den Unterricht besuchen, wir gingen nachmittags) fuhren wir mit dem Bus zur Schule, wobei wir nebeneinander saßen. So auch in der Schule, denn sie kam in meine Klasse. Selbst die Pausen verbrachten wir zusammen. Meine Schulkameraden ärgerten sich, da ich plötzlich keine Zeit mehr mit ihnen verbrachte und nicht mehr mit ihnen auf dem Schulhof Fußball spielte. Noch mehr ärgerte sie, dass sie mit mir einen ihrer besten Spieler verloren hatten. Bei den Mädchen dagegen fiel Jennifers fehlende Gesellchaft nicht weiter auf. Da Jennifer erst seit kurzem dabei war, hatten sie auch noch keine Zeit gehabt, sich an sie zu gewöhnen.

    Sobald der Unterricht vorbei war, nahm ich Jennifers Rucksack, damit sie ihn nicht alleine tragen musste und wir gingen zur Bushaltestelle um nach Hause zu fahren. Abendbrot aßen wir jeder für sich mit unseren Familien, aber danach fanden wir immer noch etwas Zeit, zusammen zu spielen oder gemeinsam Fernsehen zu gucken.

    Nachdem so ein paar Wochen vergangen waren und unsere Eltern bemerkten, dass wir beide uns sehr gut verstanden, begann auch zwischen ihnen so etwas wie eine Freundschaft zu entstehen. Es dauerte nicht lange, bis unsere Familien Feiertage und Wochenenden zusammen verbrachten. Herr Machado fing an, mit meinem Vater zum Angeln zu gehen und unsere Mütter tauschten Rezepte aus und unterhielten sich, manchmal stundenlang. Durch die Ankunft der Familie Machado hatten sich für mich viele

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