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KAIROS: Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung
KAIROS: Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung
KAIROS: Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung
eBook236 Seiten3 Stunden

KAIROS: Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung

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Über dieses E-Book

Dies ist die schockierende Autobiographie des Kriminellen Gerrit Stanneveld (1963). Aufgewachsen in einem Heerlener Ghetto, wird Gerrit als Kind von seiner Mutter in einem Kinderheim zurückgelassen. Hier werden die Weichen gestellt für ein Leben, das eskaliert in Kriminalität, Gewalt, Schusswaffengebrauch, Alkohol- und Drogensucht, Mord, versuchtem Selbstmord und letztendlich mündet in einer Haftstrafe mit Sicherungsverwahrung. Nach 20 Jahren Knast, größtenteils in Isolierzellen, hat Gerrit nur noch ein Ziel. Er möchte ein eiskalter Killer werden und den Sitz der niederländischen Staatsführung in Den Haag in die Luft sprengen. Inspiriert durch die Samurai, die in der Lage sind, ohne Angst einen Kampf auf Leben und Tod zu führen, beginnt Gerrit mit eiserner Disziplin mit Zen-Meditation. Dies führt allerdings ganz und gar nicht zu dem von ihm gewünschten Resultat. Er findet dabei nicht nur zu sich selber, sondern erfährt eine geistige Freiheit, deren Existenz er in seinen wildesten Träumen nicht vermutet hätte. In diesem Moment beginnen die innerliche Transformation und seine Suche nach Vergebung. Wieder zurück im gesellschaftlichen Leben, hält ihn die Erziehung seines Sohnes Kairos auf den Beinen.

Eine schockierende Lebensgeschichte, die ohne große literarische Ansprüche direkt aus dem Herzen heraus geschrieben ist. Nie zuvor gewährte ein "Lone Wolf" dieses Kalibers, einen so offenherzigen und konfrontierenden Einblick in seine Psyche. Ein fesselndes Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann. Eine Autobiografie, die man nicht so schnell wieder vergisst, vielleicht sogar nie mehr. Ein Buch, wie man es nur selten findet.

Lilian Ferru
Neben ihrer Tätigkeit als Organisator des Spiritueel Café Heerlen schreibt Lilian Ferru (1961) Buchkritiken, Kolumnen und Artikel für verschiedene Zeitschriften. Das Manuskript von Gerrit schlägt bei ihr ein wie eine Bombe.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum3. März 2014
ISBN9783844284607
KAIROS: Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung

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    Buchvorschau

    KAIROS - Gerrit Stanneveld

    Impressum

    Kairos - Alleinerziehender Mörder mit Kind sucht Vergebung

    Gerrit Stanneveld

    Copyright: © 2014 Gerrit Stanneveld

    Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-8460-7

    Originaltitel: Kairos - Alleenstaande moordenaar

    met kind zoekt vergeving

    Fotografie: Norman Post. info@normanpost.nl

    & Onno van Middelkoop. www.ovmfotografie.nl

    Cover: © Gerrit Stanneveld

    Übersetzung: Marion Seuring

    Alle Rechte beim Autor. Nichts aus diesem Werk – auch nicht teilweise – darf mit Hilfe von Druck, Fotokopie, Scan, Mikrofilm oder auf irgendeine andere Weise ohne schriftliche Zustimmung des Autors vervielfältigt oder veröffentlicht werden.

    Enthält Zitate von Karlfried Graf Dürckheim, Laotse, Francis Bacon, Alexander Puschkin, Ludwig Wittgenstein, Jacques Mesrine, Herbert Marcuse.

    Für meinen Sohn KAIROS

    Ich liebe dich von ganzem Herzen! J

    Zum Gedenken an:

    Gregor v/d Brand

    Rene Dohmen

    Johnny Jacht

    Bert Smid

    Graad Terlinde

    Cor van Hout

    Paul De Vries

    Vater, ich bin heimgekehrt.

    Inhalt

    Kapitel I Über Raum und Zeit

    Kapitel II Stille, die transformiert

    Kapitel III Papillon

    Kapitel IV Voulez – vous coucher avec moi

    Kapitel V Karussell-Regime

    Kapitel VI Vaya con dios

    Kapitel VII Die Hölle des Nordens und der Teufel aus dem Süden

    Kapitel VIII Katharsis

    Kapitel IX Harry Slinger

    Kapitel X Tapas und Wein

    Epilog Lilian Ferru

    Interview Gerrit WeekendGezet

    Fragebogen Gerrit

    KAPITEL I

    Über Raum und Zeit

    Ich weiß nicht, ob die Bilder authentisch sind, die vor meinem geistigen Auge erscheinen, wenn ich an die allerfrühesten Erinnerungen meiner Kindheit denke. Vielleicht visualisiert sich auch nur die Geschichte, die mir so oft darüber erzählt wurde. Wie dem auch sei, meiner Ansicht nach war es so. Ich war ungefähr vier und saß warm eingepackt vorne im Auto auf dem Schoß meiner Mutter. Bernie, der jüngste Bruder meiner Mutter, fuhr den Wagen. Das Wetter war unfreundlich und der Wind spielte mit dem großen amerikanischen Wagen, in dem wir fuhren. Die Scheibenwischer konnten die große Menge Regenwasser kaum bewältigen, die mit enormer Gewalt auf die Windschutzscheibe prasselte. Schuf, schuf, schuf, der Anblick faszinierte mich, das Hin und Her hatte etwas Beruhigendes. Bernie verlangsamte die Fahrt und bog rechts ab auf eine lange Auffahrt, die an beiden Seiten mit großen, vom Wind kahl gerupften Eichen gesäumt war. Er hielt vor einem großen Gebäude, und mit Leichtigkeit trug mich meine Mutter aus dem Wagen, hinaus in die Kälte, in Richtung des großen Hauses. Hinter der Tür hing an großen Messingringen eine dicke, lange Gardine gegen die Zugluft, so wie man sie früher in alten Kneipen sah. Einmal drinnen, konnte ich einen großen Saal mit vielen Erwachsenen und noch mehr Kindern überschauen. Alle redeten durcheinander, und die Lautstärke der Kakophonie überwältigte mich. Ich wurde auf eine Tischecke gesetzt, und meine Mutter fing an, mich auszupacken. Rechts von mir saßen Kinder und spielten mit einer Ritterburg. Die Burg war silberfarben und hatte eine Zugbrücke, Ritter und Pferde. Jemand hob mich hinunter und setzte mich auf den Boden. Die nächsten vier Jahre sollte ich zusammen mit meiner Halbschwester Annemiek und meinem Halbbruder Janus hier im Heim bleiben. Ich hatte nicht den gleichen Vater wie die beiden. Mein Nachname ist Stanneveld, und Annemiek und Janus heißen Vroeke mit Nachnamen. Ich war zu jung, um zu verstehen, dass ich nun in einem Kinderheim war, aber schon schnell lernte ich, was es bedeutete, hier zu sein. An den Moment, in dem meine Mutter gegangen ist, kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß nicht, ob es dramatisch war oder ob ich geweint habe, auch nicht, ob ich mich verlassen und einsam gefühlt habe.

    Im Kinderheim gab es Nonnen und in Zivil gekleidete Gruppenleiterinnen. Am Abend, vor dem Zubettgehen gab es für alle einen großen Esslöffel Lebertran. Ich fand es so widerlich, dass ich würgte und mich sofort übergeben habe. „Verdammt nochmal, schrie eine dicke Gruppenleiterin, „und noch einmal… auf den Mund. Wieder musste ich mich übergeben, und alles war raus. Klatsch, klatsch, zwei Schläge mit der flachen Hand direkt in mein Gesicht. „So, und jetzt machst du es richtig! Der Schreck und das Erstaunen über so viel Gewalt ließen den Lebertran dieses Mal nicht wieder hochkommen. Vier Jahre sollte es von nun an so sein, kalt und kühl mit vielen Schlägen. Eine Einrichtung, in der es keinen Platz gab für Liebe und Zuneigung. Einmal wurde Janus Zeuge, als die dicke Gruppenleiterin mir ins Gesicht schlug. Rasend schnell sprang Janus auf, schnappte sich eine Stricknadel, die in einem Korb auf dem Tisch steckte, und stach die Nadel bis zur Hälfte in den Bauch des dicken Weibes. Dort ließ er sie stecken. Es dauerte einen Moment, bis die Dicke realisiert hatte, was geschehen war, doch als sie es dann merkte, sprang sie auf und lief laut schreiend mit der Stricknadel im Bauch los. In seinem ganzen Leben hat Janus nur zwei Dinge getan, für die ich ihm dankbar bin. Die Sache mit der Stricknadel ist eine davon. Nach diesem Vorfall brachte man ihn in ein viel strengeres Heim, eine Art Jugendgefängnis. In den darauffolgenden Jahren sollte ich Janus nicht mehr sehen, alleine blieb ich dort mit meiner Halbschwester zurück. Annemiek, die fünf Jahre älter war, sorgte für mich, soweit ein neunjähriges Mädchen dazu fähig war. Von ihr lernte ich, mir die Schuhe zu binden, sie half mir beim An- und Ausziehen und putzte mir meine Rotznase. Geräuschlos, ohne ein Gefühl für Zeit, gingen die Tage ineinander über. Höhepunkt war der wöchentliche Besuch meiner Mutter. Voller Erwartungen hielten wir sonntags Ausschau, ob wir schon etwas sahen. „Da kommt sie, riefen wir, sobald wir sahen, dass der große rote amerikanische Wagen auf die Auffahrt einbog. Wie ein Filmstar stieg meine Mutter dann aus dem Wagen, gehüllt in eine Wolke Parfüm, das lange blonde Haar hochgesteckt, in einem teuren Chanel-Kostüm mit Nahtstrümpfen und hochhackigen Pumps. Im Sommer blieben wir, solange der Besuch dauerte, draußen. Heimlich schlich ich mich jedes Mal weg in den Schlafsaal, um meinen kleinen Pappkoffer zu packen, in der Hoffnung, dass ich mit ihr gehen durfte. Warum das nicht ging, verstand ich nicht! Und jedes Mal hörte ich nur: „Nein, jetzt noch nicht. – „ Es geht noch nicht. – „Ein anderes Mal." Es schien endlos zu dauern, bis dieses andere Mal kam. Todtraurig blieb ich zurück, und wieder sah ich, wie meine Mutter alleine wegging. Annemiek tröstete mich, obwohl es sie selber auch sehr geschmerzt haben muss. Nie bin ich auf den Gedanken gekommen, nach meinem Vater zu fragen. Ich war ein Kind, das bei Wind und Wetter, egal ob Sommer oder Winter, draußen war. Im Herbst spielte ich auf der Auffahrt, wo ich das Laub auf einen Haufen türmte, um dann hineinzuspringen. Ruhig lag ich dann so da und schaute hinauf… zu den Wolken, die vorbeizogen. Es war, als ob ich intuitiv fühlte, dass dort über Raum und Zeit eine Wirklichkeit lag. Wie lange ich so dalag, weiß ich nicht. Ohne ein Gefühl für Zeit verlor ich mich in diesen Momenten und fand es wunderbar. Ich lebte ganz im Hier und Jetzt, so wie Kinder das halt machen. Das Gefühl von leichtem Regen im Gesicht und den Geruch faulender Blätter in meiner Nase… so muss die Zeit an mir vorübergegangen sein, bis auch diese vier Jahre ein Ende fanden und wir wieder nach Hause durften. Was auch immer das heißen sollte. Ich verstand nur, dass wir hier weggehen würden. Ein Zuhause hatte ich bis jetzt noch nicht gehabt, das Kinderheim war alles, was ich kannte. Die Version meiner Mutter hierüber war immer die gleiche. Meine Mutter hatte einen Mann kennengelernt, Graad Thewis. Zusammen hatten sie einen Plan entworfen, um uns, die Kinder, aus dem Heim zu holen. Um die Erlaubnis zu bekommen, uns mitnehmen zu dürfen, würde man dem Jugendamt eine stabile Familiensituation vorspielen, man würde heiraten, ein Haus mieten und so weiter. Danach sollten sich ihre Wege wieder trennen. Mehr oder weniger ist es dann auch so gelaufen. Im Heerlener Stadtteil Nieuw-Einde hatten die beiden ein Haus gemietet. Es waren große Betonklötze, die wie ein Kuchen in sechs Einfamilienhäuser geteilt waren. Es war Anfang der 70er, als wir dort einzogen, der Vietnamkrieg war in vollem Gange, was ich durch die täglichen Nachrichten mitbekam und nie vergessen habe. Genau wie Flower Power, der Aufbruch in eine Zeit, in der alles erlaubt war. Diese Veränderung war spürbar und hing fast tastbar in der Luft.

    Als wir das erste Mal im neuen Haus ankamen, waren wir überwältigt vom Luxus, ein eigenes Haus zu haben. Alles war wunderschön, und voller Bewunderung strichen wir über die Schränke und die Arbeitsflächen in der Küche. Unserem kindlichen Staunen verliehen wir Ausdruck, indem wir ständig „oooh und „aaah riefen. In welcher Familiensituation ich gelandet war, realisierte ich in diesem Moment nicht. Erst Jahre später als ich, sechzehn Jahre jung, nach einem Raubüberfall auf eine Poststelle in der Isolierzelle eines Gefängnisses saß, fing ich an, mein bisheriges Leben zu inventarisieren.

    Es ist nicht einfach, diese ersten Jahre zusammenzufassen, denn im Gegensatz zu unserem Leben im Kinderheim geschah so viel. Es war ein großes Chaos. Meine Mutter und Graad gingen viel aus, und oft nahmen sie mich mit auf Kneipentour. So kam ich schon in ganz jungen Jahren in Kontakt mit dem Nachtleben, Alkohol, Gewalt und Amoralität. Sehr oft war ich Zeuge, wenn Erwachsen sich mit Wagenhebern, Barhockern und Biergläsern die Köpfe einschlugen. In der Kneipe wurden regelmäßig zwei Stühle zusammengeschoben, ein paar Mäntel und Jacken obendrauf, und fertig war mein Bett für die Nacht. Dort lag ich dann und schlief mit vom Zigarettenrauch brennenden Augen. Nach Lokalschluss merkte ich, wie man mich hochhob und ins Auto legte. Sturzbetrunken fuhren die Erwachsenen dann nach Hause oder manchmal in eine noch offene Nachtbar. Im Unterricht konnte ich einfach nicht mitkommen, denn tagsüber war ich völlig k.o. und lag schlafend auf meiner Schulbank. In der Grundschule wurde ich jedes Jahr versetzt, obwohl ich nie ein Zeugnis bekommen habe. Nach einem Zeugnis, den Hausaufgaben oder der Schule wurde zu Hause nie gefragt. Es war, als ob ich nicht existierte, ich konnte tun und lassen, was ich wollte, keiner nahm Notiz davon. Jahre später, bei einer Untersuchung im Pieter-Bann-Zentrum, wurde diese Periode als „ernste affektive Vernachlässigung" klassifiziert. Das stimmte wohl auch, denn die einzige Zuneigung, die ich in dieser Zeit bekam, erhielt ich von meinem Bruder Janus, dem ich im Alter von neun oder zehn Jahren regelmäßig einen runterholen musste. Janus hatte sich zu einem richtigen Sadisten und Psychopathen entwickelt, und oft machte er mir Angst, indem er mir im Dunkeln blutdurstige Geschichten erzählte, von Mördern, die mit riesigen Messern unter dem Bett lauerten. Mit ihren riesigen Messer würden sie durch die Matratze stechen und mich so komplett aufschlitzen. Gelähmt und in Angstschweiß gebadet lag ich dort und wartete, bis sie zuschlagen würden. Ich traute mich kaum noch zu atmen. Alles, was Janus mir und meiner Schwester antat, gebrauchte er als Druckmittel wieder gegen mich. Konstant hörte ich: „Wenn du nicht dieses oder jenes machst, dann sage ich Mam, dass du und Annemiek fiese Dinge tun." Es grenzte schon fast an Wahnsinn. Er hatte uns in der Hand, und so manipulierte er mich und Annemiek. Und doch verlangte ich nach seiner Aufmerksamkeit, seiner Bestätigung und seinem Lob. Ich wollte so gerne einen Vater haben, einen großen Bruder, jemanden, auf den ich stolz sein konnte, ich wollte irgendwo dazugehören, mich beschützt und geborgen fühlen, aber leider war das nicht möglich. Für Außenstehende war Janus ein verrückter Kerl mit einem flotten Mundwerk, der keine Probleme hatte, soziale Kontakte zu knüpfen. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren hatte er einen großen Kreis von Freunden, von denen nicht einer etwas taugte. Wo er diese Menschen traf, weiß ich nicht. Oft kam er nachts nach Hause und veranstaltete einen riesigen Krach und Lärm, jeder wurde aus dem Bett geholt, und die halbe Nachbarschaft konnte das Spektakel mitgenießen. Dann liefen locker zehn bis fünfzehn sturzbetrunkene Leute durch unser Haus, die sich untereinander oder mit den Nachbarn prügelten. In einer dieser Nächte wurde ich wach vom Lärm und stand auf, um zu sehen, was los ist. Janus und ein paar seiner Freunde waren mit einem großen Messer hinter einer Katze her. Während alle den größten Spaß hatten, lief das arme Tier um sein Leben. In ihrem Todeskampf sprang die Katze die Treppe hinauf, und Janus stach zu. Er erwischte sie im Sprung und stach sie mit dem Messer an der hölzernen Treppe fest, das Blut tropfte von den Stufen herab, während das arme Tier ein letztes Mal zuckte. Weinend rannte ich zurück in mein Zimmer. Ein anderes Mal hatte er sich einen jungen Schäferhund gekauft, der schnüffelnd durch den Garten lief, um sein Geschäft zu verrichten, als er mit einem Luftgewehr auf ihn schoss. Anschließend fuhr er dann zum Tierarzt und ließ den Hund für viel Geld operieren. Manchmal dachte ich wirklich, dass er es gut mit mir meinte. „Komm, sagte er dann, „lass uns zusammen spielen. Er nahm dann eine Streichholzschachtel, holte zwei Streichhölzer heraus, die ich so festhalten sollte, dass die Köpfe unter meinem Daumen und Zeigefinger auf der Streichfläche lagen. Ich war dann eine Brücke, und er tat so, als ob er ein Flugzeug in seiner Hand hatte. „Schau, sagte er, „ich komm angeflogen und versuche, unter deiner Brücke durchzufliegen… „Vrmm, vrmm und dann „oooh, oooh, pruttt, pruttt, kein Benzin mehr, mayday, mayday, wir stürzen ab. Er schlug mit der Hand auf die Streichholzschachtel, die Köpfe der Zündhölzer strichen über die Streichfläche, entzündeten sich und brannten sich in meinen Zeigefinger und Daumen. Laut lachend ließ er mich zurück! In der Nachbarschaft wurde ein altes Wohnviertel abgerissen, und Janus und seine Freunde gingen dort Altmetalle wie Zink, Kupfer und Blei stehlen. Ich wollte mitmachen und folgte ihm in einigem Abstand, damit er mich nicht nach Hause schicken konnte. Ich machte es ihnen nach und kletterte auf ein Dach. Janus stand am anderen Ende des Daches und schrie mich an: „Verdammt noch mal, geh nach Hause. „Nein, ich gehe mit, schrie ich zurück. Janus hob einen Ziegelstein auf und warf ihn in meine Richtung, bang – mitten ins Gesicht. Meine Nase platzte auf, und ich stürzte rückwärts vom Dach. Die nächsten Tage lag ich mit einer Gehirnerschütterung im Bett. „Unsinn, meinte Janus „was man nicht hat, kann man auch nicht erschüttern.

    Sein Freundeskreis war ein wilder Haufen, aber gerne hörte ich voller Spannung ihre Geschichten, wenn sie bis spät in die Nacht Pläne schmiedeten für eine anstehende Europatour. Der harte Kern reiste quer durch Europa, ohne Geld, alles, was man benötigte, wurde unterwegs geklaut. Autos, Benzin, Kleidung, Essen, einfach alles wurde gestohlen. Niemand durfte etwas mitnehmen, das war die Bedingung. So zogen sie dann wochenlang durch alle Länder, Italien, Spanien, überall waren sie gewesen. Oft sah ich monatelang niemanden, manchmal auch deshalb, weil sie wieder einmal irgendwo im Gefängnis gelandet waren. Selbst spielte ich gerne mit Nico, dem Nachbarsjungen, in der, wie wir es nannten, „Heide. Die Heide war ein brachliegendes Gelände, ungefähr 1 km² groß, auf dem wir unterirdische Hütten bauten und spektakuläre Lagerfeuer entzündeten, die manchmal komplett außer Kontrolle gerieten und fast die ganze Heide abfackelten. Toll fanden wir es auch, von einem Baum zum anderen zu gelangen, ohne den Boden zu berühren. Ich war richtig gut darin, und weil wir es so oft spielten, hatte ich eine sehr gute Koordination. Nicos Bruder wollte auch mitspielen und fiel aus dem Baum, direkt auf sein Gesicht. „Ja, du hast den Boden berührt, rief ich, „du bist raus! Auf der weiterführenden Schule verschaffte mir das eine Zwei in Sport. Auf dem Bewegungsparcours war ich unschlagbar; der Sportlehrer hatte sogar den örtlichen Turnverein eingeladen, um ihnen mein Können zu demonstrieren. Mein Talent wurde sofort erkannt, aber Disziplin hatte ich nicht, und auch der Anreiz fehlte. Der Sportlehrer machte mir das Angebot, mich zu Hause abzuholen und mich nach Trainingsende wieder nach Hause zu fahren, aber sein Vorschlag traf bei mir auf taube Ohren. Die Zeit der unschuldigen Spiele mit Nico ging schnell vorbei, und schon bald war ich Mitglied einer sechsköpfigen ‚Gang‘. Pierro und ich waren mit zehn, elf Jahren die Jüngsten, Rob und Rob, die Ältesten, waren siebzehn Jahre alt. Jetzt fing alles an, richtig schiefzulaufen. Ladendiebstähle waren unser Tagesgeschäft, teure Lederjacken, Markenkleidung, alles passend und auf Bestellung. Rob und Rob übernahmen den Verkauf. Nach Sonnenuntergang setzten wir unsere Diebestour fort, indem wir in Häuser, Geschäfte und Firmen einbrachen. Nichts war sicher oder heilig, Fahrräder, Mopeds, alles nahmen wir mit. Viel Geld bekam ich nicht vom Verkauf. Ab und zu steckte Rob mir einen Zehner zu, damit ging ich in die nächste Pommesbude und aß Snacks und fettige Pommes, bis mir übel wurde. Wenn danach noch Geld übrig war, kaufte ich mir vom Rest Wassereis, die doppelten mit den beiden Holzstöckchen, die man in der Mitte brechen kann. Am allerliebsten aß ich die gelben mit Zitronengeschmack. Tja, eine Kinderhand ist leicht gefüllt. Rob und Rob waren in einem Alter, in dem sie schon mit vielen Freundinnen bumsten. Schon bald redete ich in der gleichen Ausdrucksweise, hatte aber inhaltlich keine Ahnung, worüber ich sprach. Wenn ich ein hübsches Mädchen sah, stieß ich Rob an und sagte: „Guck, Rob, da läuft Material. „Ja, lachte Rob dann, „aber das Werkzeug ist noch nicht so weit.

    Weil die elterliche Führung fehlte, trieb ich mich sommers wie winters bis in die frühen Morgenstunden auf der Straße herum. Weihnachten schauten wir durch die Fenster hinein und sahen, wie die ganze Familie gemütlich zusammen um den Baum herumsaß. Das war es, was ich wollte und wonach ich so sehr verlangte. Aus lauter Frust warfen wir Ziegelsteine durch die Scheiben, zielten auf den Weihnachtsbaum, und dann nichts wie weg! Schließlich kamen wir an eine Wegabsperrung, die eine Grube im Boden markierte. Ohne nachzudenken, trat ich einige der Absperrgitter in die Grube. „Hey, hörte ich eine tiefe Stimme, „hol die Absperrgitter da wieder raus. Vor mir stand ein kräftiger, ungefähr fünfzigjähriger Mann, der durch meine Aktion sichtbar genervt war. Ein zweites Mal richtete er das Wort an mich: „Hörst du schlecht, du Rotzlöffel? Hol das Absperrgitter aus der Grube., befahl er mir. „Hol’s doch selber raus, du alter Sack., hörte ich mich sagen. In zwei Schritten stand er vor mir und schlug mir rechts und links aufs Maul, klatsch, klatsch! Sofort zog Rob einen Eisenpfahl aus dem Boden und machte Anstalten, den Kerl zu schlagen. Der Mann öffnete seine Jacke und provozierte Rob: „Hier, komm, schlag doch!" Rob stand da und schnaufte wie ein wilder Stier, er war auf 180. Den Pfahl mit beiden Händen fest umklammert, schlug er so fest, wie er konnte, auf die Rippen. Bang… der Mann klappte in der Mitte zusammen, taumelte und fiel in die Grube, neben die Gitter. Rob schmiss den Pfahl weg, und wir rannten, bis wir uns in Sicherheit wähnten. So waren wir einige Jahre zusammen unterwegs und machten die Gegend unsicher, bis Rob irgendwann eine feste Beziehung hatte und unsere Freundschaft einschlief.

    An einen schönen Sommertag saß ich im Garten und spielte, als quietschende Autoreifen mich

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