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Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe: Autobiografische Schriften über die Melancholie, Philosophie und Religion: Wiederfindung Lew Tolstois
Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe: Autobiografische Schriften über die Melancholie, Philosophie und Religion: Wiederfindung Lew Tolstois
Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe: Autobiografische Schriften über die Melancholie, Philosophie und Religion: Wiederfindung Lew Tolstois
eBook122 Seiten1 Stunde

Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe: Autobiografische Schriften über die Melancholie, Philosophie und Religion: Wiederfindung Lew Tolstois

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Über dieses E-Book

Dieses eBook: "Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen.
Leo Tolstoi (1828 - 1910) war ein russischer Schriftsteller. Seine Hauptwerke Krieg und Frieden und Anna Karenina sind Klassiker des realistischen Romans. Tolstoi wurde also auch als moralischer Denker und sozialer Reformer bekannt. Als Beteiligter an der Volkszählung im Jahr 1882 in Moskau nahm er unter den Arbeitern ein Elend wahr, das jenes der Bauern noch übertraf. Seit 1881 hatte er sich intensiv religiösen Fragen zugewandt. In einer Reihe von Gesprächen mit führenden Geistlichen wie dem Metropoliten von Moskau sowie auf Reisen zu verschiedenen Kirchen und Klöstern entwickelte er eine Abneigung gegenüber der ihm begegnenden rituellen Form der Religiosität. Seit 1882 unterstand er polizeilicher Überwachung. Meine Beichte sowie Worin mein Glaube besteht wurden mit ihrer Veröffentlichung sofort verboten. Tolstoi setzte sich wiederholt und oft erfolgreich für politisch und religiös Verfolgte ein, besuchte wegen Kriegsdienstverweigerung Inhaftierte im Gefängnis und blieb als Autor weiterhin produktiv.
Aus dem Buch:
"…Mein Leben stand still. Ich konnte atmen, essen, trinken, schlafen und war nicht imstande, nicht zu atmen, nicht zu essen, nicht zu trinken, nicht zu schlafen; aber Leben war das nicht, denn es fehlten die Wünsche, deren Befriedigung ich für vernünftig gehalten hätte. Wenn ich einen Wunsch hatte, so wusste ich vorher: Ob ich ihn befriedige oder nicht befriedige, es kommt doch nichts dabei heraus. Wäre mir eine Fee erschienen, bereit, meine Wünsche zu erfüllen, ich hätte nicht gewusst, was ich ihr sagen sollte. Habe ich auch in trunkenen Augenblicken nicht Wünsche, aber doch die Gewohnheit früherer Wünsche, so weiß ich in Augenblicken der Nüchternheit, dass dies nur eine Täuschung ist, dass es nichts zu wünschen gibt…"
SpracheDeutsch
Herausgebere-artnow
Erscheinungsdatum4. Sept. 2014
ISBN9788026822929
Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe: Autobiografische Schriften über die Melancholie, Philosophie und Religion: Wiederfindung Lew Tolstois
Autor

Leo Tolstoi

Leo Tolstoy was born in 1828 in Tula, near Moscow. His parents, who both died when he was young, belonged to the Russian nobility, and to the end of his life Tolstoy remained conscious of his aristocratic status. His novels, ‘War and Peace’ and ‘Anna Karenina’ are literary classics and he is revered as one of the greatest writers of the nineteenth century. He died in 1910 at the age of 82.

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    Buchvorschau

    Meine Beichte (Autobiografie) - Deutsche Ausgabe - Leo Tolstoi

    1

    Inhaltsverzeichnis

    Ich bin im orthodoxen christlichen Glauben getauft und erzogen worden. In diesem Glauben wurde ich von Kindheit an und während meiner Knaben- und Jünglingsjahre unterrichtet. Als ich aber mit achtzehn Jahren nach dem zweiten Kursus die Universität verließ, glaubte ich an nichts mehr von alle dem, was man mich gelehrt hatte.

    Wenn ich nach manchen Erinnerungen urteilen darf, war ich auch nie ernsthaft gläubig gewesen, ich hatte nur Vertrauen zu dem gehabt, was man mich gelehrt hatte, und zu dem, was die Erwachsenen in meiner Gegenwart bekannten; dieses Vertrauen war aber sehr schwankend gewesen.

    Ich erinnere mich, als ich elf Jahre alt war, kam ein Knabe, der nun längst gestorben ist, Wolodja M., ein Gymnasiast, eines Sonntags zu uns und erzählte uns als größte Neuigkeit eine Entdeckung, die am Gymnasium gemacht worden war. Die Entdeckung bestand darin, daß es keinen Gott gebe und daß alles, was man uns lehrt, nichts als leere Erfindung sei. (Das war im Jahre 1838.) Ich erinnere mich, wie meine älteren Brüder sich für die Neuigkeit interessierten und auch mich zur Beratung zuzogen, und wir alle, erinnere ich mich, gerieten in lebhafte Erregung und nahmen diese Mitteilung als etwas höchst Interessantes und durchaus Mögliches auf.

    Ich erinnere mich ferner, daß wir alle, auch die Älteren, als mein älterer Bruder Dmitrij während seiner Universitätsstudien plötzlich mit der ihm eigenen Leidenschaftlichkeit sich dem Glauben hingab, jeden Gottesdienst besuchte, fastete und ein reines und sittliches Leben führte, ihn unaufhörlich verspotteten und ihm den Beinamen „Noah" gaben. Ich erinnere mich, wie Mussin Puschkin, der damals Kurator der Universität von Kasánj war, uns zu einem Balle einlud und meinem Bruder, der absagte, in spöttischer Weise zuredete, da ja auch David vor der Bundeslade getanzt habe. Diese Späße der Älteren hatten damals meinen Beifall, und ich zog aus ihnen den Schluß, daß man den Katechismus lernen und in die Kirche gehen müsse, daß man das alles aber nicht allzu ernst zu nehmen brauche. Ich erinnere mich ferner, daß ich in sehr jungen Jahren Voltaire las und daß mich seine Spöttereien nicht nur nicht empörten, sondern sogar erheiterten.

    Mein Abfall vom Glauben vollzog sich ganz so,3 wie er sich stets bei Leuten von unserer Bildungsschicht vollzogen hat und noch gegenwärtig vollzieht. Er vollzieht sich, wie ich glaube, in der Mehrzahl der Fälle so: man lebt, wie alle leben, und alle leben auf Grund von Prinzipien, die nicht nur nichts mit der Glaubenslehre gemein haben, sondern ihr meistens widersprechen; die Glaubenslehre hat keinen Anteil an unserem Leben; weder in unseren Beziehungen mit anderen Menschen stoßen wir auf sie, noch setzen wir uns selbst in unserem eigenen Leben mit ihr auseinander; zur Glaubenslehre bekennt man sich dort, irgendwo, fern vom Leben und unabhängig von ihm. Stößt man einmal auf sie, so geschieht es nur wie auf eine äußere, mit dem Leben nicht innerlich verbundene Erscheinung.

    An dem Leben des Menschen, an seinen Handlungen kann man jetzt so wenig wie in früheren Zeiten erkennen, ob jemand gläubig ist oder nicht. Giebt es überhaupt einen Unterschied zwischen einem Menschen, der sich offen zum orthodoxen Glauben bekennt, und einem, der ihn leugnet, so ist er nicht zu gunsten des ersteren. Wie in vergangener Zeit, begegnet man auch jetzt der offenen Anerkennung und Bekennung des orthodoxen Glaubens meist bei stumpfen, grausamen Menschen, die sich selbst für höchst bedeutend halten. Verstand aber, Ehrenhaftigkeit, Ge-radheit, Herzensgüte und Sittlichkeit trifft man meist bei Menschen, die sich selbst für ungläubig erklären.

    In den Schulen lehrt man den Katechismus und führt die Schüler in die Kirche; von den Beamten fordert man Zeugnisse über den Besuch des Abendmahls. Aber der Mensch unserer Gesellschaftsklasse, der nicht mehr Schüler ist und kein Amt im Staatsdienst inne hat, kann in der Gegenwart, und konnte mehr noch in der Vergangenheit, Jahrzehnte durchleben, ohne auch nur ein einzigesmal daran zu denken, daß er unter Christen lebt und sich selbst als Bekenner des christlichen orthodoxen Glaubens ansieht.

    So schmilzt jetzt und schmolz ehedem der vertrauensvoll überkommene und durch äußeren Zwang aufrechterhaltene Glaube allmählich unter dem Einfluß der Wissenschaften und der Lebenserfahrungen, die mit der Glaubenslehre im Widerspruch stehen, und der Mensch lebt häufig in der Vorstellung, es sei in ihm die Glaubenslehre, die ihm in der Kindheit übermittelt worden, unversehrt, während er sie längst bis auf die letzte Spur verloren hat.

    Mir hat einmal S., ein kluger und wahrhaftiger Mensch, erzählt, wie er aufgehört hat zu glauben. Er war schon sechsundzwanzig Jahre alt, als er einmal in einem Nachtquartier während einer Jagd nach alter Kindheitsgewohnheit abends zum Gebete niederkniete. Sein älterer Bruder5 der mit ihm auf der Jagd war, lag ausgestreckt auf dem Heu und sah ihm zu. Als S6. fertig war und sich niederlegen wollte, sagte sein Bruder zu ihm: „Du machst also immer noch die Sache?"

    Weiter sprachen sie kein Wort miteinander. Und von diesem Tage an hörte S. auf zu beten und die Kirche zu besuchen. Und nun sind es dreißig Jahre her, daß er nicht betet, nicht das Abendmahl nimmt und nicht die Kirche besucht. Und nicht etwa, weil er die Überzeugung seines Bruders gekannt und sie sich zu eigen gemacht hatte, nicht etwa, weil er in seiner Seele zu einem bestimmten Entschluß gekommen war, sondern nur, weil das Wort, das der Bruder gesprochen, gleichsam wie ein Fingerstoß an eine Wand war, die durch die eigene Schwere zum Fallen geneigt war; das Wort war nur ein Hinweis darauf gewesen, daß dort, wo, nach seiner Meinung, der Glaube in ihm wohnte, schon längst ein leerer Raum gewesen war, und daß daher die Worte, die er flüstert, die Bekreuzigungen, die Kniebeugungen während des Gebets völlig sinnlose Handlungen seien.7 Er hatte ihre Sinnlosigkeit erkannt und konnte sie nun nicht mehr ausüben.

    So ging es, und so geht es, denke ich, der ungeheuren Mehrzahl der Menschen. Ich spreche von Menschen unserer Bildung, von Menschen, die gegen sich selbst aufrichtig sind, und nicht von denen, die aus dem Glauben ein Mittel zur Erreichung irdischer Zwecke machen. (Diese Menschen sind die echten Ungläubigen, denn ist der Glaube für sie ein Mittel zur Erreichung irgendwelcher weltlicher Zwecke, so ist er doch sicherlich kein Glaube.) Diese Menschen unserer Bildung befinden sich in solcher Lage: Das Licht des Wissens und des Lebens hat das künstliche Gebäude schmelzen lassen; die einen haben das schon bemerkt und haben den Platz abgeräumt, andere haben es noch nicht bemerkt.

    Die Glaubenslehre, die mir von Kindheit an überliefert war, entschwand mir ebenso wie anderen, nur mit dem Unterschiede, daß mir die Lossagung von der Glaubenslehre sehr früh zum Bewußtsein kam, weil ich mit fünfzehn Jahren philosophische Schriften zu lesen begann. Ich hörte mit sechzehn Jahren auf, zu beten, und hörte aus eigenem Antriebe auf, die Kirche zu besuchen und mich zum Abendmahl vorzubereiten. Ich glaubte nicht an das, was man mir von Kindheit an überliefert hatte, aber ich glaubte an ein Etwas. An was ich glaubte, hätte ich unmöglich in Worten sagen können. Ich glaubte auch an Gott, oder richtiger, ich leugnete Gott nicht; aber an was für einen Gott ich glaubte, hätte ich nicht sagen können; ich leugnete auch Christus und seine Lehre nicht, aber worin seine Lehre bestand, hätte ich auch nicht sagen können.

    Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdenke, sehe ich klar, daß mein Glaube – das, was neben den animalischen Instinkten mein Leben bewegte – mein einziger wahrer Glaube zu jener Zeit, der Glaube an die Vervollkommnung war. Worin aber die Vervollkommnung bestand und was ihr Ziel war, hätte ich nicht sagen können. Ich bemühte mich, mich geistig zu vervollkommnen – ich lernte alles, was ich konnte und was mir das Leben zuführte; ich bemühte mich, meinen Willen zu vervollkommnen; ich stellte mir Lebensregeln zusammen und bemühte mich, sie zu befolgen; ich vervollkommnete mich körperlich durch allerlei Übungen, indem ich meine Kraft und meine Geschicklichkeit förderte, und mich durch allerlei Entbehrungen zu der Fähigkeit des Ertragens und des Duldens erzog. Und all dies betrachtete ich als Vervollkommnung. Die Grundlage bildete selbstverständlich die sittliche Vervollkommnung. An ihre Stelle trat aber

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