Gaslicht 17: Apostel des Teufels
Von Pamela Francis
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Cristine trat vor den Ankleidespiegel und betrachtete sich. Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Sie fuhr herum und schrie vor Entsetzen auf. Am Fenster zeigte sich eine grauenhafte Gestalt, von der sie aber nicht alle Einzelheiten wahrnahm, weil sie blitzartig wieder verschwand. Das durfte nicht wahr sein. Ihre Nerven spielten ihr einen üblen Streich. Eine Fratze, wie zu sehen sie geglaubt hatte, gab es nicht in Wirklichkeit. Etwas Derartiges existierte nur in der Phantasie leicht erregbarer Naturen. Cristine holte tief Luft. Du hast dich getäuscht, sagte sie sich. Bei der Verfassung, in der du dich augenblicklich befindest, ist es kein Wunder, wenn du Teufelsfratzen siehst. Ja, die Gestalt hatte winzige Hörner besessen. In einer schaurigen Visage hatten drohende Augen gefunkelt…
Cristine Sandgren war sicher, die einsamste Bucht der ganzen Insel entdeckt zu haben. Als eingefleischte Romantikerin sah sie den Trubel auf der Piazza Umberto oder in der Blauen Grotte allenfalls als touristisches Muß an. Wirklich wohl fühlte sie sich nur, wenn sie mit ihren Gedanken allein sein konnte. Dann gestattete sie höchstens einem Märchenprinzen, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie streckte sich auf dem Felsen aus, schloß seufzend die Augen und dachte an ihren Traummann, der leider nie erscheinen würde, um sie auf einem feurigen Hengst zu entführen.
Ach ja, die Story vom Aschenputtel gehörte längst der Vergangenheit an, und die vielen hübschen Geschichten, die ihr dänischer Landsmann Hans Christian Andersen aufgeschrieben hatte, standen ebenfalls nur auf dem Papier.
Cristine besaß fest umrissene Vorstellungen, wie ihr Prinz auszusehen hatte. Dunkelhaarig mußte er selbstverständlich sein.
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Gaslicht 17 - Pamela Francis
Gaslicht
– 17 –
Apostel des Teufels
Pamela Francis
Cristine trat vor den Ankleidespiegel und betrachtete sich. Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Sie fuhr herum und schrie vor Entsetzen auf. Am Fenster zeigte sich eine grauenhafte Gestalt, von der sie aber nicht alle Einzelheiten wahrnahm, weil sie blitzartig wieder verschwand. Das durfte nicht wahr sein. Ihre Nerven spielten ihr einen üblen Streich. Eine Fratze, wie zu sehen sie geglaubt hatte, gab es nicht in Wirklichkeit. Etwas Derartiges existierte nur in der Phantasie leicht erregbarer Naturen. Cristine holte tief Luft. Du hast dich getäuscht, sagte sie sich. Bei der Verfassung, in der du dich augenblicklich befindest, ist es kein Wunder, wenn du Teufelsfratzen siehst. Ja, die Gestalt hatte winzige Hörner besessen. In einer schaurigen Visage hatten drohende Augen gefunkelt…
Cristine Sandgren war sicher, die einsamste Bucht der ganzen Insel entdeckt zu haben. Als eingefleischte Romantikerin sah sie den Trubel auf der Piazza Umberto oder in der Blauen Grotte allenfalls als touristisches Muß an. Wirklich wohl fühlte sie sich nur, wenn sie mit ihren Gedanken allein sein konnte. Dann gestattete sie höchstens einem Märchenprinzen, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie streckte sich auf dem Felsen aus, schloß seufzend die Augen und dachte an ihren Traummann, der leider nie erscheinen würde, um sie auf einem feurigen Hengst zu entführen.
Ach ja, die Story vom Aschenputtel gehörte längst der Vergangenheit an, und die vielen hübschen Geschichten, die ihr dänischer Landsmann Hans Christian Andersen aufgeschrieben hatte, standen ebenfalls nur auf dem Papier.
Cristine besaß fest umrissene Vorstellungen, wie ihr Prinz auszusehen hatte. Dunkelhaarig mußte er selbstverständlich sein. Wahrscheinlich war das der Grund, warum es sie jedes Jahr von neuem in die südlichen Länder trieb. Einmal Griechenland, dann wieder Spanien, und diesmal war ihre Wahl eben auf Capri gefallen. Eine Wahl übrigens, die sie bis zur Stunde noch nicht bereut hatte, wenngleich sie nicht verhehlen konnte, daß ihr das aufdringliche Gebaren der Einheimischen bereits am zweiten Abend auf die Nerven gegangen war.
Nein, unter diesen Burschen würde sie nicht ihren Mann fürs Leben finden. Vielleicht klappte es im nächsten Jahr in Südfrankreich. Für noch wahrscheinlicher hielt sie allerdings, daß sie sich eines Tages von einem blassen Jungen aus Kopenhagen zum Traualtar würde führen lassen. Traummänner angelten sich immer nur die anderen Frauen.
Cristine Sandgren lag auf dem Rücken und hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt. Sie trug einen türkisfarbenen Bikini, den sie in der Heimat kaum anzuziehen gewagt hätte.
Verschlafen blinzelte sie gegen die Sonne. Zu ihren Füßen kräuselte ein leichter Wind die Wasseroberfläche. Hoch über ihr reckten sich stolze Zypressen, die in dichter Reihe den Blick auf eine jener Prachtvillen abschirmten, von denen es einige auf der Insel gab.
Die sechsundzwanzigjährige Dänin kniff die Augen wieder zusammen. Aus der Ferne klang fröhlicher Gesang. Eine neapolitanische Weise, mit der sich wohl die Fischersfrauen ein wenig von ihrer schweren Arbeit ablenkten.
Ja, auch Capri war eben kein reines Paradies. Nicht für jene, die sich mühten, dem Meer seine immer karger werdenden Schätze abzuringen, um sie dann auf den Märkten zu Spottpreisen verkaufen zu müssen.
Fange nicht zu philosophieren an, Cristine, dachte die Frau. Du hast noch fast drei Wochen Urlaub, den du genießen wirst. Daran sollen dich weder weiße Palazzi, noch zerlumpte Fischerkinder hindern.
Sie erhob sich entschlossen und reckte sich. Vom ausgedehnten Sonnenbad war ihr graziler Körper erhitzt und schrie förmlich nach einer prickelnden Erfrischung.
Sie ließ sich vorsichtig von ihrem Fels gleiten und hielt sekundenlang den Atem an. Das Wasser empfand sie als eiskalt. Doch schon bald gewöhnte sie sich an den Temperatursturz und schwamm aus der Bucht hinaus.
Sie war ganz allein. Nur ziemlich weit draußen entdeckte sie eine Gruppe von Surfern, und vor der allgemeinen Badebucht, die sie absichtlich mied, wimmelte es von winzigen Köpfen.
Nach einer Weile kehrte Cristine zu ihrem Platz zurück – und runzelte unwillig die Stirn. Sie hatte Gesellschaft bekommen. Ein Mann stand im Schatten einer Pinie und beobachtete sie offensichtlich.
Niemand sonst befand sich in der Nähe. Cristines Gedanken überschlugen sich.
Wie ein Dieb, der es auf ihre Kleidung oder den Inhalt ihrer Badetasche abgesehen hatte, sah der Fremde nicht aus, sofern man diesen Halunken ihre Absicht überhaupt ansehen konnte. In Kleidung und Haltung unterschied er sich auch von den frechen Burschen, die sie am Abend ungeniert ansprachen und ihr unmißverständliche Angebote unterbreiteten.
Er stand dort wie eine antike Skulptur und hielt seinen Blick aufs offene Meer gerichtet, und genau in seiner Blickrichtung schwamm Cristine.
Sie überlegte, wie sie sich verhalten sollte, und entschied sich dafür, sich durch das ungebetene Auftauchen des Mannes nicht beirren zu lassen und ihr Bad, wie beabsichtigt, zu beenden.
Möglichst unbefangen stieg sie aus dem Wasser und vermied es, den Fremden anzusehen. Sie nahm ihren früheren Platz ein, drehte sich aber so, daß sie dem Mann den Rücken zuwandte. Sie hoffte, daß diese Geste deutlich genug war.
Sie war es nicht.
Schon kurz darauf fiel ein Schatten auf Cristines Schulter, über die ihr langes goldblondes Haar floß. Der Schatten des Unbekannten.
Er sprach sie auf Englisch an und gestand, sie bereits seit einigen Tagen beobachtet zu haben.
»Dann werden Sie ja genug gesehen haben, Signor«, antwortete Cristine auf Italienisch kühl.
»Oh, Sie sprechen unsere Sprache, Signorina? Das hatte ich nicht erwartet.«
Cristine Sandgren seufzte. »Was hatten Sie sonst erwartet? Daß ich aufspringe und Ihnen begeistert um den Hals falle? Da muß ich Sie enttäuschen. Ich verbringe auf Capri meinen wohlverdienten Urlaub. Danach werde ich wieder abreisen. Braungebrannt, hoffentlich leidlich erholt, aber ganz bestimmt ohne Liebeskummer. Und um gleich den üblichen Wissensdurst zu stillen, erkläre ich hiermit, daß mein Blond echt ist, daß längst nicht alle Däninnen nach Italien kommen, weil sie ein flüchtiges Abenteuer suchen, und daß das Meer überraschend ungemütlich ist, wenn man in voller Bekleidung hineinfällt. Sind damit sämtliche Fragen beantwortet?«
»Bei weitem nicht, Signorina Sandgren«, entgegnete der Italiener geduldig.
Cristine hob verwundert den Kopf. »Woher wissen Sie meinen Namen?«
Ihre Überraschung erfuhr eine Wiederholung, als sie den Mann zum erstenmal genauer ansah. Ihr Herz begann schneller zu pochen. Sie schloß die Augen, um sie blitzschnell wieder zu öffnen. Aber es handelte sich um keinen Spuk. Er stand tatsächlich neben ihr – ihr Traummann.
Groß, schwarzhaarig, mit feurigen Augen und sportlich wirkender Figur. Sein Lächeln war unwiderstehlich. Seine blendendweißen Zähne blitzten und bildeten einen atemberaubenden Kontrast zu der gleichmäßig gebräunten Haut.
Er trug einen weißen Leinenanzug und ebensolchen Hut. An seiner linken Hand funkelte ein goldener Ring mit einem blauen Stein. Ein ähnlicher Stein schmückte die Krawattennadel.
Genauso hatte sie sich ihren Wunschprinzen immer vorgestellt. Daß es ihn wirklich gab, brachte sie außer Fassung.
Er lächelte noch immer, als er gestand: »Ich habe mir erlaubt, mich ein wenig über Sie zu informieren. Hoffentlich verzeihen Sie mir diese Kühnheit. Erlauben Sie, daß nun auch ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Roberto Simonetti. Ich bewohne mit meiner Familie die Villa dort auf der Anhöhe.«
Cristine Sandgren verschlug es nun tatsächlich die Sprache. Der Mann sah nicht nur phantastisch aus, auch die übrigen Umstände paßten zu ihren Traumvorstellungen. Sie hatte zweifellos eine der einflußreichsten Persönlichkeiten der Insel vor sich.
»Was sagt Signora Simonetti dazu, daß ihr Gatte in einsamen Buchten wildfremde Frauen anspricht?« erkundigte sie sich verwirrt.
Die Antwort fiel so aus, wie sie sie erhofft hatte. »Es gibt keine Signora Simonetti. Wenn ich von meiner Familie sprach, so meinte ich meinen Vater und meinen Bruder Gaetano. Die einzigen Frauen in der Villa gehören zur Dienerschaft. Aber sie wünschen sieh nichts sehnlicher als eine Herrin.«
Cristine räusperte sich. Es fiel ihr schwer, ihrer Verlegenheit Herr zu werden. Wozu erzählte er ihr diese Dinge?
»Nachdem sie mich bis jetzt nicht ins ungemütliche Meer gestoßen haben«, fuhr Roberto Simonetti mit melodischer Stimme fort, »gehe ich davon aus, daß ich Ihnen weiter Gesellschaft leisten darf.«
»Vermutlich gehört Ihnen sogar diese Bucht«, zog Cristine in Betracht. »Ich habe kaum das Recht, Sie von Ihrem Grund und Boden zu vertreiben.«
»Wollen wir wirklich diesen herrlichen Tag benutzen, um über Rechte zu