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ATLAN X Tamaran 2: Sternenfall der Goldenen
ATLAN X Tamaran 2: Sternenfall der Goldenen
ATLAN X Tamaran 2: Sternenfall der Goldenen
eBook367 Seiten5 Stunden

ATLAN X Tamaran 2: Sternenfall der Goldenen

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Über dieses E-Book

In der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Beginn der christlichen Zeitrechnung ist es wieder einmal soweit: Der Arkonide muss eingreifen, um das sagenhafte Helle Volk aus der Sklaverei zu befreien und es zu einem durch eine Prophezeiung geweissagten mythischen Inselreich zu führen.

Aber der Auszug aus Ägypten ist erst der Anfang. Als Weißer Krieger muss Atlan, Seite an Seite mit Nitetis, die als "Goldene" das Volk regieren soll, seine Schutzbefohlenen zum Meer geleiten. Doch ein geheimnisvoller Mörder macht ihm das Leben schwer ...

Folgende Romane sind Teil der Tamaran-Trilogie:
1. "Die Prophezeiung von Saïs" von Hans Kneifel
2. "Sternenfall der Goldenen" von Christian Montillon
3. "Das Urteil des Drachenbaumes" von Marc A. Herren und Dennis Mathiak
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Dez. 2015
ISBN9783845349640
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    Buchvorschau

    ATLAN X Tamaran 2 - Christian Montillon

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    Zweiter Band der Tamaran-Trilogie

    Sternenfall der Goldenen

    von Christian Montillon

    Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

    Prolog

    Wer zündet die Sterne an?

    Und das helle Volk wird den Weg zu den versprochenen Sieben Königreichen finden, wenn die Sonne im Westen aufgeht. Dorthin müssen der Weiße Krieger und die Goldene es führen, denn nur an diesem Ort ist es geschützt vor den Feinden, die es seiner Bestimmung entziehen wollen.

    So lauten die Worte, die mich in die Wüste führten. Zumindest ungefähr. Ich weiß, dass es angebracht wäre, größere Sorgfalt im Umgang mit alten Überlieferungen walten zu lassen, vor allem, wenn es sich um Prophezeiungen handelt. Ich müsste jedes Wort auf die Waagschale legen, über alle scheinbar noch so unbedeutenden Details sinnieren, nach verborgenen Zwischentönen und alternativen Interpretationsmöglichkeiten suchen.

    Ich müsste.

    Aber mir ist die Lust daran vergangen, denn es kommt mir so vor, als sei das alles nur Unfug. Wie soll die Sonne im Westen aufgehen? Und das ist nur eine von vielen Fragen, die ich mir stelle, wenn ich auf das Heer von Menschen blicke, für das ich die Verantwortung übernommen habe. Noch viel wichtiger ist der nagende Zweifel, wer mir überhaupt die Befugnis verleiht, mich um sie zu kümmern? Brauchen sie mich? Oder maße ich mir etwas an? Mische ich mich in Dinge ein, die mich nichts angehen?

    Als ob es das erste Mal wäre …, lästert der Logiksektor.

    Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich kann nicht widersprechen. Und doch – wenn ich Nitetis ansehe, glaube ich, dass es Vorherbestimmung ist, die mich an ihre Seite und zu dem Hellen Volk geführt hat.

    Aber all diese Überlegungen und alles theoretische Reflektieren verlieren den Sinn, wenn ich in diese weit aufgerissenen Augen schaue, in die Wüstensand geweht wurde. Wir haben die Leiche gefunden, kaum dass der Tag angebrochen ist. Unter den Nägeln schimmert die Haut blau. Zwischen den eingefallenen Lippen blitzen weiße Zähne im Licht der gleißenden Sonne, die heiß auf der Haut brennt. Ein seltsam grünlicher Speichelfaden ist über dem Kinn angetrocknet. Die Haltung des Toten erinnert an die eines Ungeborenen im Mutterleib. Von den Unterschenkel abwärts verschwinden die Beine im Wüstensand, sind vollständig davon bedeckt.

    »Chemira«, sagt Orsat. »Es ist Chemira.« Seine Stimme klingt erstickt.

    Ich habe den dunkelhaarigen Mann am Abend zuvor noch gesehen, wie er sich einer Frau aus dem Hellen Volk näherte und mit ihr sprach. Die kleine Szene ist mir in Erinnerung geblieben, weil …

    Weil die Frau eine echte Schönheit war, kommt der unvermeidliche Kommentar des Extrasinns, und du dich fragtest, was ein hässlicher Kerl wie Chemira mit ihr zu schaffen haben könnte.

    Ich sehe keinen Sinn darin, mich zu rechtfertigen. Schließlich stellte ich mir damit eine berechtigte Frage, ob der Logiksektor das versteht oder nicht. Diskutieren werde ich ein anderes Mal. Nicht im Angesicht dieser mit Sand überzogenen Augen.

    Orsat bückt sich und zieht an der Leiche, ehe ich es verhindern kann. Wahrscheinlich will er nur die Unterschenkel vom Sand befreien; dass er dabei mögliche Spuren beseitigt, scheint ihn nicht zu kümmern. Er denkt nicht wie ich – kein Wunder, denn er ist nicht in der Spurensuche geschult. Er stammt aus einer anderen Zeit, einer anderen Existenz. Ja, er gehört nicht einmal zum selben Volk wie ich, genau wie alle anderen rund um mich – Menschen vom Planeten Erde oder in meiner Sprache Larsaf III. Ich bin ein Arkonide, gestrandet schon vor langer Zeit auf ihrer Welt, wenn sie davon auch nichts ahnen. Niemand von ihnen könnte auf die Idee kommen, dass es Leben außerhalb ihrer Welt gibt. Sie sind naiv und unwissend, haben keine Ahnung von dem Kosmos, der sie umgibt.

    Fast beneide ich sie. Es wäre schön, eine Existenz wie sie zu führen. Einfach und ohne dass sie …

    Neben mir schreit jemand entsetzt auf.

    Mir dreht sich der Magen um.

    Die Unterschenkel stecken keineswegs so tief im Sand, wie ich zunächst glaubte. Stattdessen enden sie eine Handspanne unterhalb der Knie in blutigen Stümpfen. Rote Sandklumpen bröckeln jetzt herab. Einer kullert über den Boden und zerbricht. Ein Käfer wuselt hervor, dessen Chitinpanzer schwarz glänzt. Das Tier vergräbt sich.

    Orsat lässt den Toten fallen und wankt mit vor Schreck geweiteten Augen einen Schritt zurück. Seine Hand fährt zum Mund; er würgt. Der Tote kippt zur Seite. Etwas Grünes schwappt aus seinem Mund.

    Jemand stößt mich an – eine Frau aus dem Hellen Volk. Genauer gesagt, die Frau, die ich am Abend zuvor schon sah. Ihre Unterlippe bebt. »Er stand gestern plötzlich vor mir.« Die Stimme klingt kehlig und rau. Tränen sammeln sich im Augenwinkel. Das Blau der Iriden gleicht einem tiefen Bergsee. »Ich habe nie vorher mit ihm gesprochen, aber er kannte meinen Namen. Aniagua, sagte er, Aniagua, entschuldige, ich weiß, du …«

    »Aniagua, entschuldige, ich weiß, du kennst mich nicht.« Chemira fühlte sich, als müsse er sterben. Und das lag gewiss nicht an der Hitze, die wie in einem letzten Aufbäumen für diesen Tag noch zuzunehmen schien. Die Eiseskälte der Nacht stand bevor. »Ich muss dir sagen etwas … etwas Wichtiges.« Das durfte doch nicht wahr sein! Dümmer hätte er es wirklich nicht anfangen können. Was sollte sie von ihm denken, wenn er nicht einmal einen Satz korrekt aussprechen konnte? Ich muss dir sagen etwas. Er schämte sich, doch es ließ sich nicht mehr ändern. Wahrscheinlich hatte sich nie zuvor ein Mann so töricht verhalten, der sich einer Frau nähern wollte.

    Ganz in der Nähe schnatterten Mastgänse in ihren Käfigen. Der ganze Tross hatte sich vor wenigen Minuten niedergelassen. Ein langer Tag lag hinter ihnen; ein Gewaltmarsch durch glühende Hitze und ein scheinbar endloses Wüstengebiet. So weit das Auge reichte, gab es – vom Lager selbst abgesehen – nichts außer dem ewigen, gleichförmigen Sand. Überall rundum baute man Zelte auf, lud die Traglasten der Esel ab, zündete Feuer an. Ein hohes, schrilles Schnattern brach abrupt ab: Der letzte Schrei einer Gans, die bald über offenen Flammen braten würde. Bei dem Gedanken grummelte es in seinem Magen.

    Am Horizont küsste der gleißend orangerote Sonnenball die Erde. Die Luft davor waberte. Leichter Wind trieb Sandkörner vor sich her. Chemira kaute nervös auf seiner Unterlippe; etwas knirschte zwischen den Zähnen. Seine Knie zitterten ein wenig. Hoffentlich bemerkte Aniagua es nicht. Sie drehte sich um.

    Eine Göttin.

    Von ihren Augen träumte er schon, seit er ein Kind gewesen war. Wieso nur hatte er sich ausgerechnet in diesem Augenblick an sie gewandt? Warum nur hatte er nicht seinen Mund gehalten wie all die Winter und Sommer zuvor? Weshalb hatte er die Herrlichste der Canarii angesprochen? Schließlich war er das glatte Gegenteil von ihr. In dieser Hinsicht gab er sich keinen Illusionen hin: Seine Zähne waren nicht eben, seine Haut unrein, die Arme und Beine dünn wie die Zweige verkrüppelter Büsche. So war es eben. Aber damit konnte er leben.

    Aber nun würde Aniagua ihn auslachen, und das schmerzte mehr, als der Außenseiter unter dem Hellen Volk zu sein. Das zeigte sich schon an seinen braunen Haaren. Von Kindestagen an hatten ihn alle verspottet: Und so etwas will ein Canarii sein? Der gehört eher dem Dunklen Volk an, wie der aussieht.

    Aniagua kaute und schluckte, wischte sich über die Lippen und konnte doch nicht verhindern, dass ein klebriger Krümel zwischen Oberlippe und Nase hängen blieb. Er glänzte wie süßer Goldhonig; aller Wahrscheinlichkeit nach war es auch welcher, denn sie hatte in der Goldhonig-Gewinnung an den Steilen Hügeln gearbeitet. Als treue Diener hatten sie von Aferafers Leute einen kleinen Teil des Abbaus für den Eigengebrauch erhalten. Sicher hatte sie einiges davon mit auf die Reise ins Unbekannte genommen.

    Auch das gehörte seit kurzem der Vergangenheit an, seit dieser Exodus begonnen hatte, der das gesamte Volk zu den Sieben Inseln führen sollte, zum fernen Königreich, von dem Chemira nicht einmal glaubte, dass es existierte. Aber wer hörte schon auf ihn? Jedenfalls würde in der Wüste bald niemand mehr Goldhonig essen können. Und von Sand war noch nie jemand satt geworden.

    Sicher, sie hatten es nicht leicht gehabt im Talkessel, eingepfercht in Höhlen als Sklaven, die nur wegen ihrer hellen Locken von Interesse waren. Aber es war ein Leben gewesen, ohne Ungewissheit, mit Nahrung und Unterkunft – wenn auch rechtlos.

    Er wandte sich ab. So konnte sie wenigstens nicht sehen, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Entschuldige.« Er ging einige Schritte, bis sie sagte: »Warte.« Er blieb stehen, atmete tief durch und drehte sich zu ihr um.

    Der Honigbrösel hing immer noch unter ihrer Nase. Es tat gut, sich darauf zu konzentrieren. Sie war nur eine Frau mit einem Krümel im Gesicht, nicht mehr; ein mürber Brösel, der sicherlich von getrocknetem Gebäck stammte. »Was musst du mir mitteilen?«, fragte sie.

    »Ich … also ich muss … wieso glaubst du, ich wolle dir … oder ich …«

    Sie lächelte; die Sonne ging an diesem Tag zum zweiten Mal auf. »Weil du es gesagt hast.«

    Er nickte. Natürlich. Nun war auch klar, warum er sich wie ein Trottel verhielt – weil er einer war. »Weißt du, wer ich bin?«

    »Ich habe dich schon gesehen, aber nein, tut mir leid. Ich glaube nicht, dass wir jemals miteinander gesprochen haben.«

    Sicher nicht, dachte er. »Das weiß ich nicht genau. Ich heiße Chemira. Mein Vater ist Muldir, der Seildreher – du kennst ihn sicher. Unsere Familien haben nicht weit voneinander entfernt gewohnt …« Er brach ab und tippte sich unwillkürlich an die Oberlippe. Kaum geschehen, würde er sich am liebsten den Finger abhacken. Sie bemerkte seine unbedarfte Geste jedoch nicht. Welch ein Glück. Sonst hätte sie sich wohl endgültig von ihm abgewandt.

    »Natürlich«, sagte sie. »Du bist der Junge mit den …« Sie brach ab.

    »Der Junge mit den …?«, fragte er.

    »Entschuldige. Der mit den dunklen Haaren. So haben die anderen Kinder …« Sie blinzelte kurz, sah dann verlegen zu Boden. »So haben wir dich immer bezeichnet.«

    Seine Unruhe wuchs. Sie konnte sich an ihn erinnern. Was sollte er nur sagen? Sie ist nur eine Frau mit einem Krümel im Gesicht. »Kein Grund, sich zu schämen«, brachte er heraus und wusste selbst nicht, ob er sich oder sie meinte.

    Er war nicht unglücklich, als sich in diesem Moment eine Ablenkung bot. Der Fremde kam auf sie zu – Atlantos von Alashia, der Händler, oder was genau er sein mochte. Chemira war überzeugt, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Ohne ihn hätten die Canarii niemals ihre Heimat verlassen, um die sagenhaften Sieben Inseln zu finden. Ohne ihn könnte er immer noch zusehen, wie Aniagua auf dem Weg zu den Steilen Hügel ihre Höhle verließ.

    Dieser Atlantos trug die Schuld an allem, genau wie Nitetis, das verlorene und zurückgekehrte Kind seines Volkes, das in der Fremde zur Ziehtochter des von Legenden umrankten Pharaonenkönigs geworden war! Er war eine beeindruckende Gestalt, mit schulterlangen weißen Haaren, markanten Gesichtszügen und einem muskulösen Körperbau. All das, was Chemira nicht war.

    Der Fremde ging vorüber, scheinbar ohne sie wahrzunehmen. Er war ins Gespräch vertieft, ausgerechnet mit Nitetis. Chemira schaute sie nur kurz an – eine hochgewachsene junge Frau mit strahlenden Augen, dunkelblau wie der Himmel über der Wüste, in den wenigen erleichternden Momenten des Tages, wenn sich die Abendkühle herabsenkte und noch nicht die Eiseskälte der Nacht brachte. Eine schlanke, biegsame Gestalt, deren sonnengebräunte Haut goldfarben schimmerte. Sah man so aus, wenn man an diesem legendären Hof der Pharaonen lebte, dem »Großen Haus«?

    Nachdenklich blickte Chemira den beiden nach. Schon seit dem Aufbruch der Canarii aus ihrem Felsental vor zehn Tagen beobachtete er sie, und oft schien es, als wären sie einander feindlich gesinnt, die ägyptische Katze und der erfahrene Meereskapitän. Zu anderen Zeiten wirkten sie wie zwei Verliebte, die ein Spiel miteinander trieben und ihre gegenseitige Zuneigung nur unzureichend verbargen. Viele raunten, diese heimgekehrte Tochter ihres Volkes sei die Schönste aller Canarii, und allein deshalb sei es ein Zeichen, dass sie aus dem Exil zurückgekehrt war. Darüber konnte Chemira nur müde lächeln. Es mochte sein, dass Nitetis die Goldene aus dieser alten Prophezeiung war – was ging es ihn an? Doch die Schönste stand direkt vor ihm.

    »Gibt es noch etwas Wichtiges?«, fragte Aniagua, die Göttin. »Wenn nicht, lass uns …«

    »Nein, nein«, haspelte er.

    »Dann lass uns morgen weitersprechen. Es wartet jemand auf mich.« Sie verzog das Gesicht, als müsse sie niesen, fuhr mit der Hand an die Nase und fand den Krümel, den sie achtlos beiseite wischte. »Einverstanden?«

    »Selbstverständlich.« Er wusste, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde.

    Sie wandte sich ab. Das Kleid umschmeichelte ihre Hüften. Die Beine lagen frei, Wüstensand hatte sich in einer Falte des Stoffes versammelt und rieselte zu Boden. Chemira entfernte sich vom Lagerplatz. Er wollte allein sein mit sich und seinen Erinnerungen an die jüngsten Geschehnisse. Er fühlte sich großartig. Ein Pferd wieherte in der Nähe; er entdeckte es als Silhouette vor dem letzten glühenden Wabern, das von der versinkenden Sonne noch geblieben war. Scharrte es mit den Hufen? Ihm war es gleich. Seine Gedanken weilten in anderen Sphären.

    »Bleib hier!«, rief jemand. »Die Nacht wird …«

    »Schon gut!« Chemira drehte sich nicht einmal um. »Ich bin bald zurück. Ich … ich brauche etwas Ruhe.« Er ging weiter. Seine Sandalen gruben sich in den Sand. Der letzte Glutstreifen verschwand am Horizont. Nicht mehr lange, und es würde empfindlich kalt werden. Obwohl er bereits fröstelte und nicht den wärmenden Wollumhang trug, suchte er nicht das Lager auf. Dort wartete nur die übliche Hektik des Abends, all das Gerede, wahrscheinlich eine der ach so ergötzlichen Predigten von Atlantos oder Nitetis, die sich aufspielten, als wären sie die berufenen Lehrer des Hellen Volkes.

    Als er müde wurde und seine Beine zu schmerzen begannen, setzte er sich. Der Sand war noch heiß; er ließ ihn zwischen den Fingern hindurchrieseln. Vollkommene Stille umgab ihn. Der Himmel verdüsterte sich zu einem schwarzen Leichentuch. Interessehalber sah er über die Schulter zurück; dort prasselten als kleine Lichtpunkte etliche Lagerfeuer. Er vermeinte, das grölende Gelächter einiger Männer zu hören. Chemira stützte die Ellenbogen auf die Knie, massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Ein Schauer rann ihm über den Rücken. War es die Kälte oder der Gedanke an Aniagua?

    »Nur eine Frau mit einem Krümel unter der Nase«, flüsterte er und lachte. Es war verrückt, aber was machte es schon? Schließlich war er ganz allein an diesem Ort und weit genug vom Lager entfernt, als dass ihn jemand hätte …

    Das Geräusch hörte er viel zu spät. Etwas zischte durch die Luft.

    Schmerz explodierte in seinem Kopf, gefolgt von einem Knacken. Alles drehte sich. Und Schwärze überflutete ihn.

    »Wer zündet die Sterne an?«

    Chemira vernahm die Worte wie aus weiter Ferne. Die Stimme klang vertraut. Er kannte sie schon lange.

    Er öffnete die Augen. Es war fast genauso dunkel wie vorher. Im Sternenlicht glänzte etwas vor ihm. Worum genau es sich handelte, konnte er nicht erkennen.

    Er versuchte den Kopf zu bewegen, doch der Schmerz war unerträglich. Eine glühende Zange schien sich in seinen Nacken zu pressen.

    »Du bist wach«, sagte die Stimme.

    Etwas berührte seinen Mund, drückte sich zwischen die Zähne, zog die Kiefer auseinander. Flüssigkeit schwappte auf seine Zunge. Er musste würgen, wollte sie ausspucken, doch man hielt ihm den Mund zu. Knochige Finger schoben sich über die Nase, pressten sie zu. Ihm blieb ihm nichts anderes übrig, als zu schlucken. Bitter rann es seine Kehle hinab.

    Chemira drehte den Kopf zur Seite. Es schmerzte so sehr, dass Sterne vor seinen Augen blitzten.

    Sterne?

    Ein Gedanke flammte in ihm auf: Wer zündet die Sterne an?

    Der brutale Griff lockerte sich. »Dunkel ist die Nacht«, sagte sein Peiniger. Chemira sah ihn nur als Schattenriss. Lediglich die Augen waren als matt glänzende, trübe Perlen zu erahnen.

    Er kannte diese Stimme, aber er konnte ihr keinen Namen zuordnen. Wo hatte er sie nur schon gehört? »Was hast du mir …«

    »Sei still!«

    Erneut blitzte etwas im Sternenlicht. Diesmal glaubte er, es zu erkennen. Es war eine Art gezackte Klinge, ein scharfer Gegenstand. Er hatte gehört, dass die Ägypter über Metallsägen verfügten – war dies eine? Während er sich in Krämpfen krümmte und vor Agonie sterben wollte, packte sein Peiniger Chemiras Beine und zog sie in eine ausgestreckte Position.

    Ihm fehlte die Kraft, sich zu wehren. Was ging hier vor? Seine Gedanken glichen trübem Gewässer. Der … die Säge hob sich, und Chemira glaubte, ein gequältes Ächzen zu hören, ehe sie durch die Luft pfiff.

    Er hörte ein Bersten und Knacken, mehrfach, wiederholt, mahlende Bewegungen, und während der Schmerz alles hinwegspülte, begriff er, dass der andere ihm die Beine abgetrennt hatte.

    Das trübe Wasser seiner Gedanken wandelte sich in einen reißenden, gurgelnden Fluss, der in die Tiefe der Dunkelheit und des Todes strömte. Er schrie, bis sich die knochige Hand auf seinen zuckenden Mund legte.

    »Psst«, sagte die Stimme. »Es ist ja bald vorbei.«

    Doch das stimmte nicht. Es dauerte noch lange, bis sich endlich Dunkelheit über Chemiras Bewusstsein senkte, eine schiere Ewigkeit, während sein Verstand einen Anker suchte, die irrsinnigen Schmerzen zu übertünchen. So kam es, dass eine seltsame Frage ihn über die letzte Schwelle in der Tiefe begleitete:

    »Wer zündet die Sterne an?«

    Ich sehe die Leiche und kann es doch kaum glauben. Wer hat diesen Mann verstümmelt und ihn dazu gebracht, grünen Speichel auszuspucken? Und vor allem – warum? Es gab keine Anzeichen eines Überfalls. Weder die Späher noch die Wächter haben am Abend zuvor oder in der Nacht etwas Verdächtiges in der Umgebung bemerkt. Auch mein Robotfalke nicht, der stets über dem Lager kreist, das wir vor wenigen Stunden aufgeschlagen haben, als wir noch nicht ahnten, dass es einen Mörder unter uns gibt.

    Wieso?, frage ich mich. Weshalb müssen immer alle nur denkbaren Schwierigkeiten auftreten?

    Der Zug durch die Wüste mit diesem unerfahrenen, verweichlichten Volk wäre auch so problematisch genug gewesen. Es hätte ohnehin meine gesamte Kraft gekostet, das Helle Volk an sein Ziel zu führen, zu den Sieben Inseln, die ihm – wenn man den Worten der alten Prophezeiung von Saïs Glauben schenken wollte – als Königreich vorherbestimmt waren. Konnte uns da nicht wenigstens ein brutaler Mörder erspart bleiben?

    Offenbar nicht.

    Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, schelte ich den Logiksektor, schweig lieber!

    Diesem Rat folgt er. Immerhin; es hätte anders kommen und sich zu einer ausschweifenden inneren Diskussion entwickeln können.

    Ein weiterer Schwall Blut quillt aus den Beinstümpfen. Doch das ist es nicht, was die Männer rundum zurückweichen lässt. Sofort sehne ich mich danach, es »nur« mit einem Mörder zu tun zu haben … denn dieses neue Blut ist grün.

    Teil 1

    Exodus ins Leben und den Tod

    1.

    Die Botschaft der grünen Leiche

    Am zehnten Tag der Odyssee des Hellen Volkes und zu Beginn der Reise

    Die feingliedrigen, fast an zarte Mädchenhände erinnernden Finger nestelten an einer Schriftrolle. Zweifellos plante Orsat nicht, sie zu öffnen und zu lesen; viel eher bot sie ihm Halt. Etwas Vertrautes. Er wirkte nervös, der Blick der schwarzen Augen huschte fahrig umher und ruhte nur selten auf mir.

    »Sag, Orsat«, fragte ich, »hast du jemals zuvor von Leichen gehört, aus denen grünes Blut rinnt?«

    Der Schriftgelehrte lächelte schmallippig. »Ein Wunder.« Die Worte krochen so langsam und leise über seine Lippen, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Oder ein Fluch? Hat eine Kreatur aus dem Totenfluss von ihm Besitz ergriffen, ehe er starb?« Er saß am Boden, auf einem ebenso ausgefransten wie vom häufigen Gebrauch abgewetzten roten Tuch. Sein Hinterkopf berührte den Stoff der Zeltwand.

    »Das erscheint mir nicht sehr wahrscheinlich«, sagte ich vorsichtig, um nicht rigoros zu betonen, dass ich es für absoluten Unsinn hielt. Orsat war ein Kind seiner Zeit, ein Schriftgelehrter, fest im Glauben an allerlei mythologische Wesen verwurzelt; ich hatte gelernt, ihn auf seine Art zu respektieren. »Ich meine etwas anderes – im Zusammenhang der Prophezeiungen von Saïs ist nie die Rede davon?«

    »Niemals«, sagte er, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. »Ich studiere sie seit Jahren, wie du weißt. Sie fasziniert mich seit jeher. Plötzlich tauchst du auf, ein weißhaariger Fremder, der die Erfüllung der alten Worte in sich trägt … und wie wenig Zeit ist vergangen, bis wir mit der Karawane der Canarii aufgebrochen sind? Die Ereignisse überschlagen sich. Dies sind interessante Zeiten, in denen wir leben. Ein Wendepunkt in der Geschichte nicht nur des Hellen Volkes, wie mir scheint.«

    Ständig schweift er ab, meldete sich der Logiksektor zu Wort. Er ist unruhig. Der Fund der Leiche irritiert ihn.

    Wer wäre davon nicht … irritiert?, gab ich zurück. »Du glaubst, der Mord steht damit im Zusammenhang?«

    »Wenn eine neue Zeit anbricht, gab es schon immer Wehen. Unruhen.« Orsat verlagerte seine Position, streckte den Rücken. Mit einem schleifenden Geräusch strichen die Haare über den Zeltstoff. »Eine neue Epoche löst eine alte nicht ohne Schmerzen ab. Kriege, Opferungen … die Liste ist lang. Das Denken und Fühlen ganzer Völker wird auf die Probe gestellt, vom Glauben ganz abgesehen. Gerade das Letzte sorgte schon oft genug für Schlachten und Tod.«

    Ich war erstaunt über derart große Einsicht. Die Historie meiner eigenen Heimatwelt Arkon hatte mich exakt dasselbe gelehrt. »Und wie passt die Leiche deiner Meinung nach in diesen Zusammenhang? Warum musste Chemira sterben?«

    Sein Gesicht verzog sich, als spiegelte sich der Schrecken dieses Morgens noch einmal darin. Orsats Hände bewegten sich unruhig. »Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Aber eines glaube ich zu wissen.«

    »Und das wäre?«

    Er zögerte kurz, erhob sich und griff nach einem Krug, gefüllt mit schalem, viel zu warmem Wein. Als ich in sein Zelt eingetreten war, hatte er mir ebenfalls davon angeboten.

    »Es wird nicht bei dieser einen Leiche bleiben«, sagte er.

    Eine treffliche Schlussfolgerung, der auch der Extrasinn nicht widersprach. »Kannst du noch einmal die Schriften durcharbeiten, die im Zusammenhang mit der Prophezeiung stehen?«

    »Ich kenne sie alle, Atlantos. Nur wegen dieser Weissagung kam ich nach Men-nefer an den Hof des Pharaos, als ich die Gerüchte über seine Ziehtochter hörte. Man sprach von ihrem Haar, das wie Gold in der Sonne glänzte, von Nitetis, in deren Augen man das Meer glitzern sah, von ihrer märchenhaften Schönheit, die alles andere überstrahlte. Ich ahnte sofort, dass sie die Goldene sein musste, nein, mehr, ich wusste es! Endlich hatte ich die Frau gefunden, der in der Prophezeiung eine Schlüsselrolle zukommt, genau wie dem Weißen Krieger aus der Fremde …« Er zögerte kurz. »Wie dir. Also sag du mir nicht, dass es im Umfeld dieser Schriften Worte über grün blutende Leichen geben könnte.«

    Ich streckte ihm die flache Handfläche entgegen und verneigte mich leicht. »Ich will deine Weisheit nicht anzweifeln, Orsat. Der Pharao selbst nahm dich auf – wer bin ich, dass ich diesem Urteil widersprechen sollte? Aber auch ich verfüge über bescheidene Kenntnisse im Umgang mit Texten, Geschichten und der Historie im Allgemeinen. Ich weiß, dass sich neue Blickwinkel ergeben, wenn man neue Tatsachen erkennt. Wenn man eine andere Position einnimmt, können alte Schriften plötzlich völlig neu zu sprechen beginnen. Und der Fund der Leiche ist so etwas. Stimmst du mir zu?«

    Er bestätigte missmutig. Vielleicht hatten meine Worte ihn nur an Dinge erinnert, die er nicht wahrhaben wollte, weil ihm die bisherige Deutung der Prophezeiung vertraut war und Sicherheit bot; ein Geländer, an dem er sich festhalten konnte und das auch in diesen von ihm so genannten unruhigen Zeiten Stabilität bot.

    »Alte, dunkle Worte erscheinen in einem anderen Licht als zuvor«, fuhr ich fort. »Vielleicht ist nicht direkt von grünem Blut die Rede, sondern von einem Fluss in dieser Farbe oder …«

    »Ich habe verstanden.« Orsat leerte seinen Krug und stellte ihn achtlos ab; er kippte um und vergoss die letzten Tropfen in den Sand des Bodens. »Ich werde deiner Bitte Folge leisten.«

    »Ich danke dir.« Entschlossen trank ich ebenfalls, was einige Überwindung kostete. Der Wein schmeckte fad und warm, besaß eine fast brackige Nuance. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Immerhin war Flüssigkeit als solche inzwischen knapp, ihr Wert stieg, je länger wir unterwegs waren; und Orsat hatte mir von seinem Vorrat freiwillig und großzügig angeboten. Ob er es nur getan hatte, weil er meinen Worten vertraute, dass wir noch an diesem Tag den Rand einer Oase mit einer ausreichend großen Wasserstelle erreichen würden?

    Der Schriftgelehrte öffnete eine kleine, hölzerne Lade, die er seit unserem Aufbruch hütete wie seinen kostbarsten Schatz. Der Deckel war mit feinen Schnitzereien verziert, die allerlei mythologische Gestalten und Götter der Hellenen und Rômet zeigte – eine eigenartige Vermischung der beiden Kulturen, aber wohl immer häufiger geworden in den jüngsten Jahren. Ich sah noch, wie er eine weitere Rolle aus dickem Pergament hervorzog, dann verließ ich das Zelt.

    Die Sonneneinstrahlung ließ meine Augen tränen. Ich befand mich schon seit einer halben Ewigkeit auf Larsaf III, lebte so lange unter den Menschen dieses Planeten, dass ich mich bei Gelegenheiten wie diesen fragte, ob ich mich langsam aber sicher zu einem der ihren entwickelte. Normalerweise weinte ein Arkonide nicht, wenn er eine übermäßig helle Umgebung betrat. War das nicht eher eine Eigenart der Bewohner dieser Welt, eine Folge minderwertiger Physiologie und Biologie?

    Soll ich dir wirklich eine exakte Definition deiner körperlichen Reaktionen nennen?, lästerte der Extrasinn. Dein Leib ist weder mutiert, noch leidet er unter Anpassungssymptomen dieser Art. Arkonidische Augen tränen, wenn innere Erregung Besitz ergreift von …

    Ich weiß, unterbrach ich. Manchmal stelle ich philosophische Überlegungen an, die mit Logik nicht unbedingt zu erklären sind. Das sind Momente, in denen du …

    Philosophie? Aber er ließ er mich nun den Gedanken nicht zu Ende bringen. Bist du dir sicher? Oder versinkst du in Jammerei? Haderst du wieder einmal mit deinem Schicksal, das dich von deinen Artgenossen getrennt und zu einem Gestrandeten gemacht hat? Kümmere dich

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