Gaslicht 37: Das Schloss der flüsternden Schatten
Von Jane Robinson
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Vom alten Schloßturm schlug es Mitternacht. Im Ballsaal von Dunvegan Castle brach die Musik im selben Moment mit einem schrillen Mißton ab. Das Licht flackerte und erlosch. Angst und Entsetzen breiteten sich unter den Gästen aus. Alle starrten wie gebannt nach draußen, wo ein grelles Licht über dem Meer erschien, als sei mitten in der Nacht eine gleißende Sonne aufgegangen. Ein unheimliches Rauschen erfüllte die Luft. Und plötzlich flogen die Flügeltüren zur Terrasse auf. Im Lichtschein näherte sich ein Rappe in raschem Galopp dem Schloß.
Der Reiter trug ein feuerrotes Cape und einen breitkrempigen schwarzen Hut. Eine schwarze Maske verdeckte sein Gesicht.
»Heiliger Himmel! Der Geisterreiter!« rief Lady Burnsfield. Dann sank sie ohnmächtig zu Boden.
Lady Burnsfield war die älteste unter den Ballgästen, und man sagte ihr nach, sie habe Verbindung zu den Geistern ihrer verstorbenen Ahnen.
Bisher hatte man die Geschichten, die hinter vorgehaltener Hand über sie verbreitet wurden, nur amüsiert belächelt. In dieser Nacht jedoch, in der sich auf Schloß Dunvegan etwas so Außergewöhnliches ereignete, erhielt all das, was Lady Burnsfield betraf, eine besondere Bedeutung.
Jeder hier im Festsaal konnte erleben, daß es zwischen Himmel und Erde Dinge gab, die sich mit dem normalen Menschenverstand nicht erklären ließen.
Schreiend und kreischend wichen die Ballgäste vor dem heranpreschenden Reiter zurück, suchten Schutz hinter den Säulen oder begannen aus dem Saal zu fliehen.
Nur Rebecca, die schöne junge Tochter des Schloßherrn, schien sich nicht zu fürchten. Sie blieb mitten im Saal stehen und blickte dem Reiter lächelnd entgegen.
Sie trug ein reich mit Spitzen besetztes Abendkleid mit blaßroter
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Gaslicht 37 - Jane Robinson
Gaslicht
– 37 –
Das Schloss der flüsternden Schatten
Jane Robinson
Vom alten Schloßturm schlug es Mitternacht. Im Ballsaal von Dunvegan Castle brach die Musik im selben Moment mit einem schrillen Mißton ab. Das Licht flackerte und erlosch. Angst und Entsetzen breiteten sich unter den Gästen aus. Alle starrten wie gebannt nach draußen, wo ein grelles Licht über dem Meer erschien, als sei mitten in der Nacht eine gleißende Sonne aufgegangen. Ein unheimliches Rauschen erfüllte die Luft. Und plötzlich flogen die Flügeltüren zur Terrasse auf. Im Lichtschein näherte sich ein Rappe in raschem Galopp dem Schloß.
Der Reiter trug ein feuerrotes Cape und einen breitkrempigen schwarzen Hut. Eine schwarze Maske verdeckte sein Gesicht.
»Heiliger Himmel! Der Geisterreiter!« rief Lady Burnsfield. Dann sank sie ohnmächtig zu Boden.
Lady Burnsfield war die älteste unter den Ballgästen, und man sagte ihr nach, sie habe Verbindung zu den Geistern ihrer verstorbenen Ahnen.
Bisher hatte man die Geschichten, die hinter vorgehaltener Hand über sie verbreitet wurden, nur amüsiert belächelt. In dieser Nacht jedoch, in der sich auf Schloß Dunvegan etwas so Außergewöhnliches ereignete, erhielt all das, was Lady Burnsfield betraf, eine besondere Bedeutung.
Jeder hier im Festsaal konnte erleben, daß es zwischen Himmel und Erde Dinge gab, die sich mit dem normalen Menschenverstand nicht erklären ließen.
Schreiend und kreischend wichen die Ballgäste vor dem heranpreschenden Reiter zurück, suchten Schutz hinter den Säulen oder begannen aus dem Saal zu fliehen.
Nur Rebecca, die schöne junge Tochter des Schloßherrn, schien sich nicht zu fürchten. Sie blieb mitten im Saal stehen und blickte dem Reiter lächelnd entgegen.
Sie trug ein reich mit Spitzen besetztes Abendkleid mit blaßroter Seide. Ihr langes schwarzes Haar fiel in weichen Locken bis in den Nacken. Ihre Wangen schimmerten rosig, und ihre Augen strahlten, als spiegele sich Glück in ihnen wider.
Lord Dunvegan entdeckte voller Entsetzen, daß seine Tochter mitten im Saal stehengeblieben war.
»Rebecca«, rief er. »Rebecca, komm hierher!« Doch seine Stimme ging unter in dem Schreien und Kreischen um ihn her. Er wollte auf Rebecca zulaufen und sie zurückziehen, doch seine Füße gehorchten ihm nicht. Er konnte sie nicht von der Stelle bewegen.
Auch Lord Geoffrey of Barrenshire bemühte sich vergebens, Rebecca zu erreichen und sie in Sicherheit zu bringen. Er hätte jederzeit und ohne zu überlegen sein Leben für die schöne Rebecca eingesetzt, denn er liebte sie mit der ganzen Glut seiner jungen Jahre und begehrte sie zu seiner Frau. Aber es gelang ihm nicht, auch nur einen einzigen Schritt in jene Richtung zu machen, in der Rebecca stand.
Der Rappe preschte durch die hohe Flügeltür in den Ballsaal, und sekundenlang sah es aus, als würde er das schöne junge Mädchen niederrennen. Doch kaum einen Meter von Rebecca entfernt blieb er stehen. Der Geisterreiter schwang sich aus dem. Sattel und trat auf Rebecca zu.
Das aufgeregte und angstvolle Schreien und Kreischen der Ballgäste verstummte zu lähmendem Entsetzen.
Was würde mit der Tochter des Schloßherrn geschehen?
Warum fürchtete sie sich nicht wie alle anderen hier im Saal?
Hatte der Geisterreiter sie verhext?
Rebecca war wie in Trance versunken. Ihr Blick begegnete dem des seltsamen Besuchers. Sie streckte ihm mit herzlicher Gebärde beide Hände entgegen und lächelte zu ihm auf. Es war ein verklärtes Lächeln, das ihr eine überirdische Schönheit verlieh.
Der Fremde nahm ihre Hände und beugte sich tief darüber. Er sagte kein Wort. Es war so, als seien zwischen ihm und Rebecca alle Worte überflüssig.
Er hob den Kopf, schnippte mit den Fingern, und vor den Augen der reglos verharrenden Ballgäste zerfloß der Rappe zu einer schwarzen, schimmernden Marmorfläche.
Der Fremde schnippte wieder, und diesmal bewegten sich zwei Hände, die in weißen Handschuhen steckten, durch die Luft und nahmen das rotseidene Cape von seinen Schultern. Sie trugen es bis in die Nähe der Terrassentür und hielten es, als gehörten die Hände einem unsichtbaren Diener.
Der Fremde schnippte zum dritten Mal mit den Fingern. Eine Geige begann zu spielen, ein Cello setzte ein, und ein Klavier folgte. Himmlische Musik erfüllte den Raum, obgleich man weder die Instrumente noch die Musiker sehen konnte.
Der Reiter forderte Rebecca mit einer Verbeugung zum Tanz auf. Sie lächelte und ließ geschehen, daß er den Arm um ihre schmale Taille legte und ihre Hand ergriff. Sie begannen zu tanzen.
Rebecca war es, als schwebe sie. Ein nie gekanntes Glücksgefühl erfüllte sie. Sie war wie verzaubert, und sie wünschte sich, daß dieser Tanz niemals enden würde.
*
Lord Geoffrey stand neben einer der dicken Säulen, die die gewölbte Decke des Ballsaales trugen.
Er ließ keinen Blick von Rebecca. Eifersucht loderte in seiner Brust, und sein Herz brannte. Er hätte sich am liebsten auf das tanzende Paar gestürzt und Rebecca den Armen des Fremden entrissen. Doch er war wie gelähmt – wie von einem bösen Zauber versteinert.
Und so erging es auch den anderen Gästen im Saal.
Lord Dunvegan bangte um seine Tochter. Welches Schicksal mochte ihr beschieden sein? Was würde der Geisterreiter mit ihr tun? Vielleicht würde er sie entführen?
Warum geschah all dies Unerklärliche? Es hatte sich bis zu diesem Abend nie etwas Absonderliches auf Dunvegan Castle ereignet.
Seit vielen Generationen war sich das Leben auf dem Schloß der alten schottischen Adelsfamilie gleichgeblieben. Die Schloßchronik berichtete von Hochzeiten und Geburten, von Unglücksfällen und vom Tod der Schloßbewohner. Aber kein Chronist hatte jemals über eine unerklärliche Spukerscheinung berichtet.
Wenn Dunvegan Castle nicht nur in Schottland bekannt war, dann deshalb, weil man den weiblichen Mitgliedern dieses alten Adelsgeschlechtes immer besondere Schönheit und Faszination nachgesagt hatte.
So hatte sich auch die Kunde von Rebeccas Schönheit über das Land verbreitet, und Lord Geoffrey hatte in London davon gehört. Als man ihm die Fotografie des Mädchens zeigte, verliebte er sich so unsterblich in dieses Antlitz, daß er Tag und Nacht daran denken mußte und beschloß, in den Norden zu reisen, um Rebecca kennenzulernen.
Er teilte Lord Dunvegan seine Absicht mit und wurde in aller Form eingeladen, einen Besuch auf Schloß Dunvegan zu machen. Und ihm zu Ehren fand dieser Ball statt.
Geoffrey war der achtzehnte Lord von Barrenshire. Er besaß ein beachtliches Vermögen, ein Palais in London und ein schloßähnliches Landhaus in Wales. Im Hafen von Boumemouth lag seine weiße Motoryacht, luxuriös ausgestattet. Und für eilige Reisen verfügte der junge Lord über eine Privatmaschine.
Für Lord Dunvegan waren diese Fakten Grund genug, die Werbung des jungen Lords um seine einzige Tochter zu unterstützen.
Rebecca selbst stand dem jungen Mann, der in so leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannt war, eher zurückhaltend gegenüber. Zwar empfing sie den Gast ihres Vaters freundlich. Doch machte sie keinen Hehl daraus, daß sie seine Leidenschaft nicht erwiderte.
Lord Geoffrey respektierte dies, aber er dachte gar nicht daran aufzugeben. Seit er sie gesehen, in ihre Augen geschaut und ihre Stimme gehört hatte, war er mehr noch als zuvor entschlossen, Rebecca als seine Gemahlin heimzuführen. Sie und keine andere sollte Lady Barrenshire werden!
Er hatte seine ganze Hoffnung auf diesen Ball gesetzt und war überzeugt gewesen, der schönen Rebecca in so stimmungsvoller Atmosphäre näherzukommen. Noch vor wenigen Minuten hatte es ganz so ausgesehen, als würden sich seine Erwartungen erfüllen. Aber dann geschah das Ungewöhnliche – Unerklärliche – Übersinnliche, das ihn von Rebeccas Seite riß und seine Hoffnungen jäh zunichte machte.
Er mußte, wie in einem unsichtbaren Käfig gefangen gehalten, neben der Säule stehen und ansehen, wie der unheimliche Fremde das geliebte Mädchen in den Armen hielt und einen Ausdruck auf ihr Antlitz zauberte, wie er selbst ihn niemals bei ihr gesehen hatte.
Nicht nur Lord Geoffrey beobachtete, was mit Rebecca geschah. Nicht nur er erkannte, daß es dem Geisterreiter gelungen war, etwas in Rebeccas Herzen zu entfachen. Auch Lady Burnsfield, die inzwischen wieder zu sich gekommen war, erfaßte, was vorging. Sie bekreuzigte sich hastig, faltete die Hände und murmelte ein Gebet, mit dem sie den Himmel um Schutz für sich, für Rebecca und für alle, die in diesem Festsaal das gespenstische Geschehen miterleben mußten, anflehte.
*
Rebecca war der Welt entrückt. Sie hatte alles um sich her vergessen. Die Musik durchdrang sie wie ein süßes Gift und veränderte ihr Fühlen und Denken. Sie spürte den Boden unter ihren Füßen nicht mehr. Es war, als würde sie vom Arm ihres Tänzers über den spiegelnden schwarzen Marmor getragen.
Sie fragte nicht nach seinem Namen, nicht, woher er gekommen war und wohin er gehen würde. Sie hatte nicht einmal das Verlangen, hinter seine schwarze Maske zu schauen,